Das „Ich“ in Walthers von der Vogelweide Sangspruchdichtung


Seminararbeit, 2011

14 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Thematische Hinführung

2. Die Rolle des Autors in der Sangspruchlyrik Walthers von der Vogelweide
2.1. Positionen zur Interpretation des „Ichs“ in Walthers Sangspruchdichtung
2.2. Überprüfung möglicher autobiographischer Bezüge anhand ausgewählter Sangsprüche
2.2.1. Lehensbitte an Friedrich L28,1
2.2.2. Lehensdank L28,31
2.2.3 Hofwechselstrophe L19,29

3. Schlussbetrachtung

4. Literaturverzeichnis
4.1. Primärtext
4.2. Sekundärliteratur

1. Thematische Hinführung

Aus dem Zeitalter des Mittelalters ist nur wenig über Autoren und Autorenschaft, Literaturverständnis, Rezitations- und Vortragsweise bezeugt. Walther von der Vogelweide, welcher als einer der bedeutendsten Dichter dieser Zeit anzusehen ist, „bediente die beiden großen Gattungen des Mittelalters und lebte daher sowohl das Leben eines fahrenden Sangspruchdichters als auch eines am Hofe angestellten Minnesängers.“[1] Dadurch, aber auch dank seines sehr umfangreich überlieferten und auch thematisch außergewöhnlich vielseitigen Werks bietet Walther eine große Angriffsfläche, um den Versuch zu wagen, aus seinem breiten Werk auf ihn als historische Persönlichkeit zu schließen.

Der Rückgriff auf sein Werk als biographisches Zeugnis ist wohl auch darauf zurück zu führen, dass alle greifbareren, historischen Zeugnisse bezüglich seiner Person bis auf die urkundliche Nennung eines „Walther cantor de Vogelweide“ im Handelsregister des Passauer Bischofs Wolfger von Erla als höchst unsicher gelten.[2] Im Gegensatz zum oft stark stilisierten Minnesang, in dem man schon seit langem von einem Rollen-Ich zum Verständnis der Lieder ausgeht[3], wurde in der eher lebenspraktisch ausgerichteten Sangspruchdichtung oftmals versucht, das lyrische Ich biographisch auszulegen[4], um eine möglichst lückenfreie Biographie des Sängers zu kreieren. Vorallem während des vaterländischen Patriotismus des 19. Jahrhunderts wurde Walther durch diese Art der Interpretation zum „Dichter der Nation“ hochstilisiert.[5] Dies stößt insofern auf Widerspruch in der jüngeren Forschung, dass es sich auch bei Sangsprüchen um lyrisch-literarische Texte handelt, deren Literarizität zu berücksichtigen ist. Interpretiert man das „Ich“ in Walthers Sangsprüchen nicht mehr nur als „autobiographisches Ich“, so ändert sich auch das Bild auf ihn als Sangspruchdichter immens. Daher beschäftigt sich die vorliegende Arbeit mit der Frage, ob, beziehungsweise inwiefern Rückschlüsse auf das Leben des Sängers anhand seiner „autobiographischen“ Sangsprüche überhaupt möglich sind. Des Weiteren soll darauf eingegangen werden, inwieweit die Beschäftigung mit der Biographie Walthers überhaupt sinnvoll und zielführend für die Erforschung seines Werks ist.

2. Die Rolle des Autors in der Sangspruchlyrik Walthers von der Vogelweide

2.1. Positionen zur Interpretation des „Ichs“ in Walthers Sangspruchdichtung

Nachdem der Zusammenhang der Kommunikationsmuster von Minnesang und Spruchdichtung erforscht war, konnte die Auslegung des „Ichs“ in Walthers Sangspruchdichtung „vom Berater der Adeligen am Hofe bis hin zum Kaiser, als ‚Liebling des Volkes‘“[6] nicht mehr aufrecht erhalten werden, und wandelte sich zur Vorstellung von Walther von der Vogelweide als „plebejischen Fahrenden, der abhängig von der Gunst seines Herrn ist“. [7] Somit änderte sich zunächst nur das Bild Walthers, nicht aber die biographische Methode zur Erschließung seiner Texte.

Die jüngste Revision nahm den Widerspruch zwischen den beiden nicht kongruenten Walther-Bildern des armen Heimatlosen versus des „Gesprächspartner[s] des hohen Adels“[8] zum Anlass, „die Unvereinbarkeit von literarischem Ich und biographischem Ich zu konstatieren“[9], anstatt erneut das Waltherbild zu revidieren. Daraus folgt, dass viele ältere Interpretationen in Frage gestellt werden müssten. So ist die aktuell anerkannteste These, von einem Rollen-Ich in der Sangspruchdichtung ebenso wie in der Minnelyrik auszugehen, da beiden Gattungen derselbe objektive Charakter zugeschrieben werden sollte; so Wenzel in seinem Aufsatz zu „Typus und Individualität“.[10]

Diese Ansicht manifestiert sich auch anhand anderer Zeugnisse, wie etwa einer Zeichnung von Walther in der Manesse-Handschrift C (vgl. Abb.), welche eine stark typisierende Darstellung zeigt. Das Bild weißt keinerlei individuelle Merkmale auf, welche auf den historischen Walther schließen lassen würden. Stattdessen handelt es sich um eine status-charakterisierende Darstellung als adeligen, melancholischen, sinnierenden Herren. Das Besondere „geht auf im Allgemeinen“.[11]

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb.: Walther von der Vogelweide. Brunner u.a. , 2009, Cover.

Diese Darstellungsart entspricht auffällig genau der Selbstdarstellung des Dichters in der sogenannten „1. Reichsklage“ L 8,4[12], wo er sich in der Rolle des nachdenklichen, weisen Dichters inszeniert:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Da im feudalen hierarchischen Herrschaftsgefüge „jedes Individuum […] zur Geburt schon eine feste soziale Rolle im gesellschaftlichen feudalen hierarchischen Gefüge“[13] einnimmt, ist der soziale Rang das eigentliche Charakteristikum der Person, nicht ihre individuellen Besonderheiten.

Die Rollen, welche in der Sangspruchdichtung traditionell eingenommen werden, sind des Gastgebers am Hofe (wirt) und des Fahrenden (gast), welcher auf die Freigebigkeit (milte) des wirts angewiesen ist. Für das erhaltene gout spendet der Dichter seinem Gastgeber êre.[14] Hieraus ergibt sich ein gegenseitiges Wechselspiel der Abhängigkeit, welches mithilfe konventionalisierter Kommunikationsformen in den Strophen thematisiert wird (siehe 2.2). Da sowohl Lied als auch Sangspruch zumeist am Hofe, etwa im Rahmen höfischer Feste, vor adeligem Publikum vorgetragen werden, steht hierbei die Inszenierung höfischer Gesellschaft im Mittelpunkt. Somit spricht auf die Aufführungssituation eher für ein rollenhaft zu verstehendes „Ich“. Problematisch am Begriff des Rollen-Ichs erscheint jedoch, dass es sich um eine eher schwammige Bezeichnung handelt, welche unwillkürlich die Assoziation einer gespielten Theaterrolle hervor ruft. Dies steht jedoch im Widerspruch zum Aufführungscharakter mittelalterlicher Literatur[15]:

In der Kommunikation unter Anwesenden rechnet man eine Rede dem jeweiligen Sprecher persönlich zu, d.h. dem körperhaft präsenten, agierenden, argumentierenden Ich des Minnesängers, und man bezieht sie auf die Situation, in der er spricht, während für die situationsabstrakte Schrift die Sprecherinstanz erst noch zu klären ist. Vortragenden und Hörer umspannt ein gemeinsamer Situationshorizont, der im Lied in der Regel nicht problematisiert wird. “ [16]

Der Sänger wird im Mittelalter also sowohl als Erzähler als auch gleichzeitig als das „Ich“ im Text wahrgenommen. Diese Tatsache birgt die Gefahr, den fiktionalen Charakter der Rede zu übersehen. Daher gilt zu beachten, dass die im Lied oder Sangspruch beschriebene Situation, nicht genau wie im Text beschrieben, bei den Interaktionspartnern gegeben sein muss, allerdings sollte sie prinzipiell so gegeben sein können. Dies wird oftmals durch eine eher allgemein gehaltene „Hintergrundgeschichte“ erreicht. Dadurch, dass die grundlegende Situation so unbestimmt bleibt, fällt dem Rezipienten die Identifikation mit dem „Ich“ leichter. Daraus folgend können jedoch Schwierigkeiten für das Hörerverständnis ausgelöst werden, sobald der Sänger die Stimme eines anderen, beispielsweise Damen- oder Botenstrophen übernimmt. In diesen Fällen müsste daher rein systematisch zwischen einer internen Sprecherrolle und einer externen Sängerrolle unterschieden werden, was jedoch aufgrund der mittelalterlichen Vortragssituation wie oben erläutert nicht praktizierbar ist.[17]

Eine verwischte Grenze zwischen Autor-Ich und Sänger-Ich entsteht auch insbesondere dann, wenn der Texturheber sich selbst ins Spiel bringt. So wählt Walther des Öfteren seine Existenz als Sänger und Hofdichter selbst als Thema, wie etwa in L.66,27f..: wol vierzic jâr hân ich gesungen unde m ê . [18] Die Selbstthematisierung durchbringt somit die konventionalisierte Rollen-Rede und macht diese als fiktional deutlich.[19] Die moderne literaturwissenschaftliche Sichtweise, von einem völlig fiktionalen, vom Autor unabhängigen lyrischen Ich auszugehen, ist damals daher noch nicht im Bewusstsein der Rezipienten verankert und kann aufgrund des Vortragsverständnisses trotz der Fiktionalität des Textes nicht verwendet werden.[20]

Der Literaturwissenschaftler Jan-Dirk Müller weißt im Bezug auf die Rollenhaftigkeit des „Ichs“ auch darauf hin, dass die verstärkte Betonung der „Literarizität der Sangspruchdichtung“ jedoch „an der primären Situationsgebundenheit der Texte und ihrem praktischen Geltungsanspruch grundsätzlich“ nichts ändert.[21] Schließlich kommt die Sangspruchdichtung biographischen Ausdeutungen naturgemäß mehr entgegen als Minnelieder[22]. Dies zeigt sich vorallem an ihrem Themenspektrum: Weisheitslehre und Lebensregeln, Glaubensgut, Problematik der Sängerexistenz (Bitte, Dank, Lob und Schelte) sowie Hoflehre. Dieses Spektrum wird durch Walther auch durch politische Stellungnahmen sowie Gesellschaftliches, Kirchenkritik, Persönliches und der Thematisierung der neuen höfisch-ritterlichen Kultur erweitert. Zusätzlich spricht er auch Grundprobleme höfischer Dichtung an und thematisiert als weitere thematische Neuerung die Rolle des Sangspruchdichters als Berater am Hofe.[23]

[...]


[1] Manfred-Günter Scholz (1999), S.18.

[2] Werner Schröder (1974), S.88ff.

[3] Jan-Dirk Müller (1994), S.107.

[4] Horst Wenzel (1983), S.9.

[5] Günther Schweikle (1994), S.25f.

[6] Horst Wenzel (1983), S.13f.

[7] Ebd.

[8] Ebd., S.14.

[9] Ebd.

[10] Ebd., S.18.

[11] Ebd., S.6.

[12] Günther Schweikle (1994), S.74.

[13] Ebd., S.1f.

[14] Horst Brunner u.a. (2009), S.16.

[15] Jan-Dirk Müller (1994), S.109f.

[16] Ebd.

[17] Jan-Dirk Müller (1994), S.110f.

[18] Christoph Cormeau (1996), S.147.

[19] Ebd., S.111.

[20] Ebd, S.112.

[21] Ebd., S.114.

[22] Horst Wenzel (1983), S.12.

[23] Horst Brunner u.a. (2009),S.141ff.

Ende der Leseprobe aus 14 Seiten

Details

Titel
Das „Ich“ in Walthers von der Vogelweide Sangspruchdichtung
Hochschule
Ludwig-Maximilians-Universität München  (Deutsche Philologie)
Note
1,7
Autor
Jahr
2011
Seiten
14
Katalognummer
V205339
ISBN (eBook)
9783656322900
ISBN (Buch)
9783656324614
Dateigröße
503 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
walthers, vogelweide, sangspruchdichtung
Arbeit zitieren
Stefanie Garstenauer (Autor:in), 2011, Das „Ich“ in Walthers von der Vogelweide Sangspruchdichtung, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/205339

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