Inwiefern wird die Berliner Zeitschrift die „Siegessäule“, ihrer Selbstbezeichnung als „Queeres“ Magazin gerecht?

Eine Analyse des „Queer“-Begriffs und eine Verortung der „Siegessäule“ in der „Queer“-Theorie


Hausarbeit, 2011

19 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. „Queer“ als das Aufbrechen der Normativität

3. Judith Butlers „Queer“ Theorie und Michel Foucaults Machtbegriff
3.1. Judith Butlers „Queer“ Theorie
3.2. Michel Foucaults Begriff der Macht
3.3. „Queer“ in einem Zusammenspiel der Theorien Butlers und Foucaults

4. Analyse der „Siegessäule“ (November 2008-Februar 2011)
4.1. Coveranalyse
4.2. Homonormativität
4.3. Analyse der Werbeanzeigen
4.4. „Queer“ und Intersektionalität
4.5. Thematisierung verschiedener Sexualitäten

5. Fazit

6. Quellen

7. Internet

1. Einleitung

„Queer“ als Begriff zu definieren und zu präzisieren scheint paradox und gegen jeden möglichen Inhalt der Thematik. „To queer“ bedeutet, jemanden in die Irre führen. Etwas soll aus dem selbstverständlichen Normalzustand in ein Ungleichgewicht gebracht werden. Somit kann es keine Zielsetzung sein, Queer theoretisch, methodisch und disziplinär einzuordnen und zu bestimmen. (vgl. Degele, 2007, 11) Besonders die Aneignung von „Queer“ im akademischen Feld, welches Eigenschaften und Identitäten zuzuschreiben versucht, wiederspricht jeglicher Kritik an Macht- und Ausschlussmechanismen. Die Normalität, gegen welche „Queer“ sich stellt, versucht das Widerstandspotential zu bezwingen. Der Widerstand gegen das „Normale“ ist in diesem Zusammenhang als Ausschluss zu definieren, somit kann ein Begriff niemals ohne eine Exklusionspolitik wirken. Ausgeschlossen wird das Normale, welches im ständigen Wandel ist und somit „Queer“ immer wieder aufs Neue umzudeuten versucht. Somit erhebt diese Arbeit keinen Anspruch auf eine absolute Definition des Begriffs „Queer“ , sondern verortet eine Definition als Möglichkeit, den aktuellen Diskurs greifbar zu machen. Queer kann „keineswegs lediglich als sexualtheoretische Erweiterung der Geschlechterforschung“ (Degele, 2007, 52) gesehen werden. Es geht darum, die Normalität, ihre Wirkungsmechanismen, wie auch Entwicklungen im Ganzen greifbar zu machen. Hier stellt sich die Frage, inwiefern dies in einer Gesellschaft möglich ist, in welcher das Normale unsichtbar, selbstverständlich, wie auch ständig reproduziert wird.

Die Arbeit soll im ersten Teil ein kleines Spektrum von Definitionsmöglichkeiten aufzeigen und einen groben Überblick über den Ursprung bzw. die Idee von „Queer“ geben. Im zweiten Teil wird Bezug auf die politische Theorie Judith Butlers genommen. Sie ist als „Queer“ Theoretikerinnen berühmt, da sie die Grundidee einer ständigen Subversion gegen die Normativität vertritt.1 Des Weiteren wird die Machtanalytik Michel Foucaults, im Speziellen das Konzept der Bio-Macht, kurz vorgestellt, da dieses Konzept von besonderer Bedeutung für das Verständnis von Machtmechanismen und Diskursen ist. Mithilfe dieser beiden Theorien kann im dritten Teil das Berliner Stadtmagazin „Siegessäule“ daraufhin untersucht werden, inwiefern diese dem Anspruch der „Queer“ Theorie gerecht wird, oder nicht doch bestehende (heterosexuelle) Normen übernimmt, bzw. durch (homosexuelle) Normen ersetzt. Die Frage der Subversivität des Magazins soll unter Berücksichtigung des Theoriekonzepts von Butler und Foucault geklärt werden. Ziel dieser Arbeit ist es, einen Einblick in die Idee der „Queer“ Theorie zu geben. Beispielhaft soll aufgezeigt werden, welche Schwierigkeiten sich in der Praxis ergeben, wenn diese der Theorie des Begriffs gerecht werden will.

Die Siegessäule wird im Zeitraum von November 2008 bis März 20112 exemplarisch untersucht.

2. „Queer“ als das Aufbrechen der Normativität

In der direkten Übersetzung aus dem Englischen bedeutet „queer“ ; „eigenartig, homosexuell, komisch, schwul, seltsam, sonderbar, suspekt, verdächtig, verrückt, verschroben, wunderlich, zweifelhaft, die Tunte, der Schwule“ 3 (Leo online Wörterbuch). Queer, als pejorative Fremdbezeichnung (Homo, Schwuchtel, …) wurde vereinzelt als positive Eigenbezeichnung von Schwulen und Lesben verwendet (gay-pride). In kritischer Abgrenzung an der sich verfestigenden Homo-Identität wurde Ende der 1980er, Anfang der 1990er der Begriff vermehrt affirmativ verwendet. Als BegründerInnen dieser Eigenbezeichnung gelten (homosexuelle) Schwarze4 Menschen und (homosexuelle) People of Color5 aus den sozialen Randbezirken amerikanischer Großstädte (vgl. Czollek, 2009, 33). Diese sahen sich durch die einheitliche Homo-Identität nicht repräsentiert und „[…] begannen, den offenen und verdeckten Rassismus im Mainstream der Homo-Community zu kritisieren.“ (Jagose, 2005, 84).

Im deutschen Raum kann „Queer“ analytisch in drei Anwendungsbereiche unterteilt werden: „die (feministisch) lesbisch-schwul queere Richtung, die lesbisch-bi-schwul-transgender queere Richtung und die plural-queere Richtung.“ (Czollek, 2009, 34)6 Erstere steht ausschließlich für die Emanzipation schwul-lesbischer Identitäten, da der Begriff „Queer“ in der BRD parallel mit der Homo-Identitätspolitik auftauchte (Czollek, 2009, 35). Die ausschließenden Identitäten von Schwulen und Lesben standen in der BRD in diesem Zeitraum noch zur Debatte, sodass „Queer“ nicht wie in den USA zur Abgrenzung verwendet wurde, sondern zur Identitätsfindung. Auch aktuell werden in diesem Anwendungsbereich Zugehörigkeits- und Abgrenzungsverhältnisse stark diskutiert. Die zweite Richtung schließt nach Czollek Bisexuelle und Transgender in die Bewegung mit ein, wobei hier die Dichotomien männlich-weiblich, homosexuell-heterosexuell und männlich- weiblich noch nicht aufgebrochen sind. Ein Übergang zum plural-queeren Ansatz bieten Anerkennung von weiteren Identitäten wie Intersexuelle, Pansexuelle, Transsexuelle, Asexuelle, weiße, Schwarze, heterosexuelle, homosexuelle, bisexuelle, pansexuelle Menschen, welche Polyamorie praktizieren, Schwarze bisexuelle Transmänner, Bisexuelle of Color, Transgender of Color, Schwarze Transfrauen, alte BDSM- Intersexuelle of Color mit Behinderung welche Polyamorie praktizieren (…)7. Diese „Unabschließbarkeit und potenzielle Unbestimmbarkeit“ (Kleve, 2004, S. 26) ist eine anzuerkennende Forderung der „Queer“ Theorie. Die Identitätsformen können unendlich weiter ausgeführt werden, doch genau dagegen tritt „Queer“ ein, „für das Ende des Eindeutigmachens des Uneindeutigen“ (Kleve, 2004, 15). Im Gegensatz zum Willen alles zu kategorisieren, geht es in der „Queer“ Theorie um „das Aushalten des Unbestimmten bzw. verschiedener Identitätsformen oder Nicht-Identitäten“ (ebenda.). Das Ziel, „die Identität des Nicht-Identischen nicht nur auszuhalten, sondern in gedanklichen und kommunikativen Bewegungen für sich und für andere sichtbar zu machen“ (ebenda.).

Es zeigt sich, dass die dritte Variante am offensten ist, da die größtmögliche Vielfalt unter den Menschen einbezogen wird. Die Zielsetzung von „Queer“ ist somit das radikale Entlarven von vermeintlichen Wahrheiten in Bezug auf Vorstellungen des Normalen.

Queer intendiert, Menschen anerkennend sein zu lassen und erhebt den Anspruch die Selbstrepresentation aller Subjekte, insofern sich diese selbst bezeichnen oder definieren dürfen, wenn und wann immer sie es wollen (Perko, 2004, 32).

Wie oben schon kurz angedeutet, liegt der Focus von „Queer“ nicht nur auf dem Themengebiet der Sexualität, sondern thematisiert auch Kapitalismuskritik und Intersektionalität von „Rasse“ , Geschlecht und Klasse (vgl. Yekani, 2005, 10).

3. Judith Butlers „Queer“ Theorie und Michel Foucaults Machtbegriff

3.1. Judith Butlers „Queer“ Theorie

Judith Butlers „Queer“ -Theorie richtet sich auf das Überschreiten, Loslösen und Brechen mit „binär codierten Identitätsformation[en]“ (Bublitz, 2005, 90). Diese binäre Codierung durchzieht die Körper und versucht sie in Kategorien wie Mann- Frau, männlich-weiblich, homosexuell-heterosexuell einzuordnen. Jede, mit Sanktionen belegte Abweichung von der Normalität (in und zwischen den Kategorien) kann als Queer bezeichnet werden. Allerdings muss es erkennbar sein, als ein „Akt, durch den die […] repressive Oberfläche gesprengt wird […]“ (Butler, 1995, 234). Das Seltsame, Verwirrende, Nicht-passende ist „Queer“ . Im Sinne Butlers ist es, das Nicht-Zusammenpassen von sex, gender und desire (Anatomie, Geschlechtsidentität und sexuelles Begehren [vgl. Butler, 1991, 46]) welches Verwirrung stiftet, sowie der Körper, der nicht einzuordnen ist, indem die Kategorien vermischt werden (Homo-, Bisexuelle und Trans-Menschen). Die Existenz von Körpern, die nicht in einen der binären Codes einer Kategorie passen, brechen mit der vermeintlichen Natürlichkeit der zwei Geschlechter und der Begehrensstruktur (Intersexuelle, Pansexuelle und Asexuelle). Die Frage, welche sich hier stellt, ist die nach der Definition von Normalität. Normal ist es, anatomisch entweder ein Mann oder eine Frau zu sein, sich dementsprechend weiblich oder männlich zu verhalten und das jeweils andere Geschlecht zu begehren (heteronormative Zweigeschlechtlichkeit). Auch Parodien wie Dragkings und Dragqueens sind nach Butler wichtig und hilfreich für das Aufbrechen eines vermeintlichen Wissens über Zweigeschlechtlichkeit. Dies soll allerdings nicht in Form einer „willkürlichen, beliebigen oder gar künstlichen theatralischen Darstellung des Geschlechts“ (Villa, 2008, 135) geschehen. Das Spiel mit den Geschlechtern stellt eine subversive Handlung nach Butler dar, allerdings müssen die Bedingungen der Konstruktion zuerst erkannt werden, um diese danach zu verändern. Es geht ihr darum, „zur Geschlechter-Verwirrung anzustiften“ (Butler, 1991, 61) Nach Butler reicht das Konzept „Queer“ als ausschließliche Kritik an heteronormativer Zweigeschlechtlichkeit nicht aus, da „durchaus andere Verhältnisse der Rassen -, Klassen-, und heterosexistischen Unterdrückung hervor[ge]rufen“ (Butler, 1991, 33) werden können. Allerdings existieren mit diesen Begriffsbestimmungen neue „kategoriale und identitätsorientierte Begrenzungen“ (vgl. Hark, 2008, 110).

Mit dieser Theorie werden neue Diskurse konstruiert, welche „Queer“ im eigentlichen Sinne aufbrechen wollen. Der Begriff „Queer“ will Bezeichnungen wie homosexuell, lesbisch, schwul, bisexuell und transgender nicht einfach ersetzen, sondern auch „quer zu all diesen Kategorien“ (Hark, 2008, 111) stehen und diese aufbrechen.

3.2. Michel Foucaults Begriff der Macht

Die Macht ist nach Foucault jede Normierung des Diskurses. Der Diskurs wird von vielen Subjekten, Gruppen, Institutionen in Interaktion miteinander und unter Berücksichtigung der Regeln und der Ordnung des Diskurses gestaltet. Diskurse sind somit geordnete Aussagemengen, welche auf die Sichtweisen von Subjekten wirken, aber auch gleichzeitig von ihnen produziert werden (vgl. Ladwig, 2009, 201).

Nach Foucault gibt es kein Außerhalb der Macht und selbst die Subversion ist ein Teil der Macht.

Unter Macht, scheint mir, ist zunächst zu verstehen: Die Vielfältigkeit von Kraftverhältnissen, die ein Gebiet bevölkern und Organisieren; das Spiel, das in unaufhörlichen Kämpfen und Auseinandersetzungen diese Kraftverhältnisse verwandelt, verstärkt, verkehrt; die Stützen, die diese Kraftverhältnisse aneinander finden, indem sie sich zu Systemen verketten […] (Foucault, 1983, 93)

[...]


1 Ein Beispiel ihrer permanenten Subversion gegen Macht und Normen ist die Ablehnung des Zivilcourage- Preises beim CSD 2010 in Berlin, aufgrund seiner Mittäterschaft und der Community an Rassismus und Militarismus.

2 Die Zeitschriften sind alle im Onlinearchiv zugänglich unter http://www.siegessaeule.de/archiv.html und werden im Text wie folgt angegeben: [Monat/Jahr Seite]

3 Die kursiven Bedeutungen gelten in der Bezeichnung als abwertender Slang.

4 Schwarz stellt hier eine selbstgewählte politische Identitätskategorie dar, welche die Erfahrung der Unterdrückung durch weiße Menschen beinhaltet. Um den Kontruktionscharakter dieser Kategorien zu verdeutlichen wird weiß kursiv geschrieben und Schwarz groß. (vgl. Rodríguez, 2003, 34 und Eggers, 2009, 13)

5 „eine selbstbestimmte Bezeichnung von und für Menschen, die nicht weiß sind. Mit dem Konzept „People of Color“ setzt man erstmals voraus, das Nicht-Weiße über einen gemeinsamen Erfahrungshorizont in einer mehrheitlichen weißen Gesellschaft verfügen.“(Sow; 2008; 20f).

6 Gudrun Perko definiert noch eine weitere Variante, welche sich „im modischen Gebrauch, indem alles Schicke queer erscheint“ (Perko, 2004, 31) verorten lässt.

7 Diese Aufzählung soll keinen Anspruch auf Vollständigkeit erheben. Sie dient zur Erklärung der Vielfältigkeit von Identitäten und soll auf Interdependenzen von Unterdrückungsverhältnissen aufmerksam machen.

Ende der Leseprobe aus 19 Seiten

Details

Titel
Inwiefern wird die Berliner Zeitschrift die „Siegessäule“, ihrer Selbstbezeichnung als „Queeres“ Magazin gerecht?
Untertitel
Eine Analyse des „Queer“-Begriffs und eine Verortung der „Siegessäule“ in der „Queer“-Theorie
Hochschule
Freie Universität Berlin
Note
1,3
Autor
Jahr
2011
Seiten
19
Katalognummer
V205249
ISBN (eBook)
9783656315810
ISBN (Buch)
9783656319405
Dateigröße
503 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
inwiefern, berliner, zeitschrift, siegessäule, selbstbezeichnung, queeres, magazin, eine, analyse, queer, verortung
Arbeit zitieren
Maria Jahn (Autor:in), 2011, Inwiefern wird die Berliner Zeitschrift die „Siegessäule“, ihrer Selbstbezeichnung als „Queeres“ Magazin gerecht? , München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/205249

Kommentare

  • Noch keine Kommentare.
Blick ins Buch
Titel: Inwiefern wird die Berliner Zeitschrift die „Siegessäule“, ihrer  Selbstbezeichnung als  „Queeres“ Magazin gerecht?



Ihre Arbeit hochladen

Ihre Hausarbeit / Abschlussarbeit:

- Publikation als eBook und Buch
- Hohes Honorar auf die Verkäufe
- Für Sie komplett kostenlos – mit ISBN
- Es dauert nur 5 Minuten
- Jede Arbeit findet Leser

Kostenlos Autor werden