Selbstbewertung in der Grundschule

Können Schülerinnen und Schüler bereits in der Grundschule durch Förderung von Selbstkonzepten zur Selbstbewertung befähigt werden?


Hausarbeit, 2012

34 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

1. EINLEITUNG

In die Schule gehen heißt nicht nur neues Wissen lernen und anwenden. Es bedeutet auch immer ein "gemessen werden", mit anderen verglichen, bewertet und beurteilt werden. Bei vielen löst das Unsicherheit aus. Besonders beim Eintritt in die erste Klasse in der Grundschule fragen sich die Schüler bzw. Schülerinnen, aber auch Elternteile: bin ich/ ist mein Kind den Anforderungen gewachsen, kann man das ABC genauso schnell und gut lernen wie der Sitznachbar? Was ist, wenn ich nicht gut lernen kann und eine schlechte Note mit nach Hause bringe? Dieser Leistungsdruck im schulischen Lernen fordert und fördert eine Art von Selbstbewährung und zwar zum einen bei Erfolg, aber auch bei Misserfolg. "Zufriedenheit, Stolz, aber auch Selbstzweifel und Selbstabwertung stehen am Ende solcher Selbst- und Fremdbewertungsprozesse."[1] In der vorliegenden Hausarbeit wird auf die Chancen und Grenzen der Leistungsbewertung einschließlich der Bezugsnormen und der Fehlerquellen eingegangen. Weiter hin werden die Anforderungen an Leistungsbewertung dargelegt. Will man nun Schülerinnen und Schüler zum selbsttätigen Lernen befähigen, dann müssen sie ebenso eine Fähigkeit zur Selbstbeurteilung entwickeln können. Somit stellt sich die Frage, ob Schülerinnen und Schüler bereits in der Grundschule durch Förderung von Selbstkonzepten in der Lage sind, ihre Leistungen selbst zu bewerten. So liegt der Schwerpunkt dieser Arbeit auf Möglichkeiten zur Entwicklung von Selbstkonzepten in der Grundschule, insbesondere mit der Zielsetzung zur Befähigung zur Selbstbewertung. Das letzte Kapitel stellt die Konsequenzen für den Schulalltag dar. In der folgenden Hausarbeit wird aus Gründen des besseren Leseflusses grundsätzlich nur von Lehrern, obwohl auch Lehrerinnen damit eingeschlossen sind und nur von Schülern, obwohl auch hier die Rede von Schülerinnen ist, gesprochen.

2. Chancen und Grenzen der Leistungsbewertung

2.1 Definition des Leistungsbegriffs

Der Begriff Leistung ist unmittelbar mit unserem gesellschaftlichen Wertesystem verknüpft. Tagtäglich werden wir mit dem Leistungsbegriff konfrontiert. Im sportlichen Bereich, in Politik und Technik, aber auch in kulturellen Bereichen und im täglichen Leben wird Leistung von uns erwartet – in Ausbildung und Beruf, aber auch im Freizeitbereich und innerhalb der Familie. Bezüglich der Leistung als gesellschaftliches Phänomen hat nach Ansicht von Paradies, Wester und Greving Schule eine fünffache Funktion zu erfüllen: 1. eine Qualifikationsfunktion, also die Dokumentation von Leistungen unter ganz speziellen Aspekten, 2. eine Selektionsfunktion, also die Vergabe von Sozialchancen für das weitere Leben, 3. eine Legitimationsfunktion, also ein gesellschaftlicher Auftrag, 4. eine Informationsfunktion für die weiterführenden Schulen, Hochschulen und Ausbildungsbetriebe und 5. eine Sozialisierungsfunktion, also die Vermittlung der Existenz und Gültigkeit von Leistungsnormen.[2] Leistung als psychologisches Phänomen hat nach Paradies, Wester und Greving drei unterschiedliche Dimensionen, die individuelle, die soziale und die zielorientierte Dimension. Dabei wird Leistung als „der Vollzug und das Ergebnis von Tätigkeiten in unterschiedlichen Handlungsfeldern“[3] definiert. Für Schüler und Lehrer zählt aber nur der pädagogische Leistungsbegriff. Welche Leistungen ein Schüler in einer bestimmten (Lern-)zeit und unter bestimmten Voraussetzungen erbringen sollte, legen die Schulen fest. Die Normen, die unter diesen Anforderungen entstehen, lassen sich nur sehr schwer zurückverfolgen. Sie setzten sich z.T. aus „unreflektierten Traditionen, impliziten Vorstellungen von Bildung, Erwartungen von abnehmenden Systemen wie Betrieben oder Universitäten und neuerdings auch Ergebnissen internationaler Vergleichsuntersuchungen“[4] zusammen. Die Frage, was ein Schüler eines bestimmten Alters jedoch können muss, bleibt unbeantwortet. Hieraus ist zu entnehmen, dass Leistungserwartungen Schwankungen und Konjunkturen „zum Opfer fallen“. Laut Knörzer und Grass erkannte Hermann Nohl dies schon sehr früh: „… In dieser Einstellung auf das subjektive Leben des Zöglings liegt das pädagogische Kriterium. Was immer an Ansprüchen aus der objektiven Kultur und den sozialen Bezügen an das Kind herantreten mag, es muss sich eine Umformung gefallen lassen, die aus der Frage hervorgeht: Welchen Sinn bekommt diese Forderung im Zusammenhang des Lebens dieses Kindes für seinen Aufbau und die Steigerung seiner Kräfte und welche Mittel hat dieses Kind, um sie zu bewältigen?“[5] Somit werden an Lehrer zwei Anliegen herangetragen: zum Einen dem Anspruch des Kindes auf sein subjektives Leben gerecht zu werden und zum Anderen den Anspruch seitens der objektiven Mächte, des Staates, der Gesellschaft und nicht zuletzt der Eltern zu erfüllen. Der pädagogische Leistungsbegriff müsste nach Knörzer und Grass folgende Elemente enthalten: 1. Der Schüler muss sich den Ansprüchen (von Außen) stellen, darf daran aber nicht zerbrechen. 2. Der Selbstanspruch, welcher an die Stelle des von außen kommenden Anspruchs treten soll, ist das pädagogische Ziel. 3. Der Prozess, bzw. der Weg zum Ergebnis sollte im Mittelpunkt stehen. 4. Unterschiedliche Erwartungskriterien sollten vorherrschen, damit Schülern weiterhin das Glück der „Könnenserfahrung“ vermittelt werden kann. 5. Der sachbezogene und personenbezogene Gütemaßstab hat gegenüber dem sozialen pädagogische Vorteile. 6. Änderung der Funktion der Leistungsbeurteilung, aus „Richter“ wird „Helfer“. 7. Versuch der Vermeidung von Konkurrenzlernen. 8. Vermittlung der Erfahrung an Schüler, dass sie bereits etwas können. 9. Leistungsforderungen sind nur dann pädagogisch, wenn sie innerhalb eines Sinnzusammenhangs ausgewiesen werden.[6] Für Grundschulkinder ist der Sinn hinter manchen Leistungen noch erkennbar. Später in der Schullaufbahn erkennen die meisten Schüler jedoch keinen Sinn mehr hinter der Leistung, welche sie in der Schule zu erbringen haben. Jedem Pädagogen sollte hier noch einmal vor Augen geführt werden, dass die Erschließung der Sinnhaftigkeit der Lehr- und Lernprozesse für die Schüler jedoch eine eminent wichtige pädagogische Aufgabe darstellt und nur unter diesem Aspekt Lerninhalte zur Bildung werden.

2.2 Geschichtlicher Abriss

Das Thema Leistungsbewertung ist nicht erst heute ein viel diskutiertes Thema, sondern ein Thema, welches schon seit den 70er - Jahren viele Kritikpunkte aufwies. Besonders aus den Jahren 1969 bis 1976 existiert eine Vielzahl von Veröffentlichungen in denen über die Notenvergabe und gerechte Alternativen gestritten wurde. Laut Winter liefern genau diese Reformdiskussionen eine Reihe von Ideen, Modellen und Versuchen, welche z.T. in der heutigen Zeit Anklang gefunden haben und fortbestehen. Im Mittelpunkt der Frage nach einer verbesserten Leistungsbeurteilung standen die Schulzensuren. In Frage gestellt wurden die Selektionsentscheidungen, die wirkliche Rückmeldequalität und die Frage der Motivierung. Auf diesem Hintergrund entstanden mehrere neue und verbesserte Formulierungen der Leistungsbewertung an Schulen. Fasst man diese (Schreiner 1970/ 72, Ziegenspeck 1973, Klafki 1974/ 76, Heller 1974, Nipkow 1977, Skowronek 1975)[7] zusammen, entsteht ein Konsens: eine Zurückdrängung der Noten, Forderung nach stärkerer Aussagekraft bzw. Objektivität der Leistungsbewertung und eine Ausweitung der Aufgaben von Leistungsbeurteilung und ihrer Gegenstände. Auf weitere – damals wichtige Ziele – wird im Folgenden eingegangen. Notenfreie Räume: Besonders in der Grundschule spielte dieser Aspekt durch den motivationshemmenden und selbstschädlichen Einfluss von Noten eine wichtige Rolle. Auch durch das Problem Prüfungsangst bzw. -druck konnte diese Forderung unterstützen. Als Ausweg sah man besonders die Notenfreiheit in den ersten beiden Schuljahren, aber auch bei Schulprojekten in höheren Jahrgängen, Laborschulen oder auch Waldorfschulen, und den kurzzeitigen Zensuren-losen Projektunterricht. Tests als Grundlage pädagogischer Entscheidungen: Dieser Punkt richtete sich vor allem gegen die Kritik an der Subjektivität der Zensuren, aber auch der nicht ziffermäßig ausgedrückten Lehrerurteile. Später wurden die Lehrerurteile im Systemzusammenhang und weitestgehend positiver gesehen. Mehr und bessere Rückmeldung: Diese Forderung entwickelte sich vor allem durch die in der USA in den 60er-Jahren breit vertretene Formulierung von Lernzielen und den curricularen Fassungen von Lehrplänen. Durch klar formulierte Ziele für den Unterricht sollte Schülern die Möglichkeit gegeben werden zielgerichteter zu lernen, Kriterienorientierte Tests sollten dem Schüler zeigen, wo er steht und was er als nächstes zu tun hatte. Dadurch wurden möglichst frühe und positive Rückmeldungen gewährleistet. Besonders informelle Tests schienen den Wunsch nach Objektivität, nützlicher Rückmeldung und wenig Konkurrenz zu vereinen. Lerndiagnose und der Fördergedanke: In den 70ern wurde der Begriff der Leistungsfeststellung durch die Lernhilfe als "Lerndiagnose" bezeichnet. Heute ist der Begriff der Diagnose in Verbindung mit der "Pädagogischen Diagnostik" zum "Oberbegriff für praktisch alle [...] Methoden der Leistungsfeststellung und Leistungsbeurteilung avanciert."[8] Bei den individuellen Lernhilfen sollte nun nicht nur der Schüler selbst, sondern auch seine gesamte Situation, die Klasse, Familie und Schicht analysiert und mit einbezogen werden. Neue Inhalte der Leistungsbewertung - soziale Fähigkeiten - Diagnosebögen: Klafki legte in den frühen 70er-Jahren Wert auf die Forderung nach anderen Inhalten in der Leistungsbewertung. Zum einen sollten die geistigen Prozesse beurteilt werden und zum anderen sollte das Ziel des Unterrichts sein, Urteils- und Kritikfähigkeit, sowie Fähigkeit der Selbst- und Mitbestimmung auszubilden – Schule wird hier als Vorfeld gesellschaftlicher Verbesserung gesehen. Die umstrittene Frage nach den Diagnosebögen ist bis heute noch nicht beantwortet. Zum einen sollen Diagnosebögen Raum für veränderte Inhalte der Leistungsbewertung geben, andererseits die Noten ersetzen oder ergänzen. Kritisiert wurde hierbei, dass die sprachlich formulierten Eigenschaftsbeschreibungen für die weiteren Noten missverstanden werden könnten und somit ihre selbstbestimmende Wirkung verstärkt würde. Ermutigung und Motivierung: Dies sollte durch zusätzliche Lehrerformulierungen zur Note, inwieweit der Schüler persönlich vorangekommen sei, erlangt werden. Heute wird dies im Allgemeinen als "individuelle Norm" oder "Fortschrittsnorm" bezeichnet. Mitwirkung der Schüler, Selbstständigkeit und Selbstbewertung: Die Schüler an Diskussionen um die Bewertungen der eigenen, aber auch anderer Leistungen zu beteiligen, wurde mit der Erziehung zur Mündigkeit bzw. zur Selbstständigkeit legitimiert. Dies kann als Hilfe "zur Selbstfindung, mit der Fehlerhaftigkeit der Fremdbeurteilung und v.a. mit dem Ziel begründet [werden], die Lernziele bzw. den Beurteilungsprozeß den Schülern transparent zu machen."[9] Weitere Veränderungen nach 1976 waren u.a. neue produktive Ansätze, die sich hinsichtlich der Pädagogischen Diagnostik entwickelten. Andere Modelle der Leistungsbeurteilung wurden entwickelt und Lehrer versuchten, direkt und praktisch Leistungsbeurteilung in der Schule zu ändern. Die Selbstkontrolle und Selbstbewertung ist einerseits als Nebeneffekt des individuellen Lernens anzusehen, wird andererseits im Zuge höherer Demokratisierung und Transparenz im Unterricht gefordert. Inwieweit sich die Selbstbewertung auf die Selbstentwicklung, in Hinsicht auf geistige Prozesse, Bewältigung von Aufgaben und das Lernen an sich auswirkt, wurde nur eingeschränkt wahrgenommen.

2.3 Bezugsnormen der Leistungsbeurteilung

Leistungen müssen definiert werden und benötigen als Bezug eine Norm. Mögliche Normen als Grundlage für Leistungsbewertung sind nach Paradies, Wester und Greving die folgenden: Die Individualnorm, also individuelle Bezugsnorm: Dabei werden individuelle Leistungen erfasst und dem Schüler eine Rückmeldung über seinen persönlichen Lernstand gegeben. Meist handelt es sich dabei um mündliche Rückmeldungen oder auch Lernentwicklungsberichte. Dabei wird der Schüler nicht mit anderen Schülern verglichen. Die Sachnorm, also kriteriumsorientierte Bezugsnorm: Dabei bilden die Lernziele der Unterrichtsfächer die Grundlage der Zensierung. Entweder hat der Schüler die Anforderungen erfüllt oder nicht. Das Erreichen fachspezifischer Lernziele lässt sich dabei allerdings wesentlich einfacher bewerten als das Erreichen methodischer oder sozialer Lernziele. Insbesondere zeigen Untersuchungen wie PISA, dass gleiche Leistungen sehr unterschiedlich bewertet werden, selbst wenn man sie an der gleichen Schule misst. Die Sozialnorm, also kollektive Bezugsnorm: Hierbei orientieren sich die individuellen Leistungen jedes einzelnen Schülers an den Leistungen der Klasse als Vergleichsgruppe. Nach der Gaußschen Normalverteilung befinden sich danach viele Schüler im Mittelbereich, was gemeinhin als gerecht angesehen wird. Allerdings werden vorgegebene Standards dabei nur eingeschränkt berücksichtigt, da weitere Vergleichsgruppen nicht herangezogen werden. Alle Bezugsnormen haben sicherlich ihre Berechtigung, aber in der Praxis trifft man dabei auf Probleme und sicherlich unterliegt die Leistungsbewertung auch einigen Fehlerquellen.

2.4 Fehlerquellen bei der Leistungsbeurteilung

„Jede Art von Wahrnehmung, von Bewusstwerdung und von Beurteilung hängt von vielen subjektiven Faktoren ab bzw. wird von den unbewussten Voreinstellungen und Erwartungen des Beobachtenden beeinflusst.“[10] So spielen z. B. Vor- und Zusatzinformationen über Schüler eine Rolle bei der Bewertung von Arbeiten. Handelt es sich um das Heft eines Spitzenschülers oder des ständig unaufmerksamen Schülers? Ist es vielleicht das Heft eines Kollegenkindes? Aber auch Sympathie und Geschlecht spielen nachweislich eine Rolle. So wurde festgestellt, dass häufig Mädchen bei gleicher Leistung besser beurteilt werden, da sie als fleißiger, angepasster und ordentlicher wahrgenommen werden. Auch subjektive Theorien wie „Jungen sind sprachlich weniger begabt als Mädchen“ führen zur Beeinflussung der Objektivität, ebenso wie der sogenannte Halo-Effekt und logische Fehler, wie z.B. „Wer in Mathematik gut ist, hat auch in Latein gute Noten.“ Weitere Effekte als Fehlerquellen der Beurteilung können Milde- und Strengeeffekt und der Reihenfolgeeffekt sein. Unter Milde- und Strengeeffekt versteht man die Neigung von Lehrern, besonders schlechte oder gute Note zu vermeiden und der Reihenfolgeeffekt beschreibt das sich langsam verändernde Beurteilungsverhalten während längerer Korrekturarbeiten. Die Inhalte der vorhergehenden Kapitel zeigen deutlich auf, dass unter dem Grundgedanken der Gerechtigkeit und Chancengleichheit bei der Bewertung von Schülern das Verfassen neuartiger Gütekriterien für Beurteilungen notwendig wird.

3. Anforderungen an Leistungsbewertung in Grundschulen

Die Leistungsbewertung in der Grundschule wird in Niedersachsen durch einen Erlass des MK geregelt: „Jede Schülerin und jeder Schüler hat das Recht auf Anerkennung ihres bzw. seines individuellen Leistungsstandes und Lernfortschrittes. Deshalb muss die Leistungsbewertung nicht nur ergebnisorientiert, sondern auch schülerbezogen und lernprozessorientiert erfolgen und Leistungsentwicklung fördern. … Die Lehrkraft hat die einzelnen der Leistungsbewertung zugrunde liegenden Elemente für Außenstehende nachvollziehbar zu beschreiben und für jede Schülerin und jeden Schüler auch in ihrer Entwicklung zu qualifizieren.“[11] Als Bewertungssystem werden für das erste Schuljahr Verbalbeurteilungen, ab dem 2. Schuljahr Noten vorgeschlagen. Jedoch ist die Fragwürdigkeit von Zensuren allgemein bekannt. Wenn ein Schüler gute Zensuren schreibt, heißt es, der Schüler sei schlau und hätte Erfolg. Schreibt er schlechte Noten, wird angenommen, er wäre zu dumm und zu schlecht, um in dieser Klassenstufe oder Schulform zu bestehen. Ein weiteres Problem neben der Stigmatisierung ist die Subjektivität und die zu große Abhängigkeit von den jeweiligen Zusammenhängen und Bedingungen. Zudem geben Zensuren keinerlei Auskunft über das Wissen, welches wirklich von Schülern behalten und verstanden wird. Darüber hinaus bleibt unklar, über welche Kompetenzen die Beurteilten tatsächlich verfügen. Leistungsbewertung soll auch der Motivation dienen, allerdings zeigen Studien, dass „sich schlechte Noten eher hinderlich auf die Lernmotivation auswirken“.[12] Gute Noten hingegen weisen eine höhere externale Motivation auf. Zudem beinhalten Noten immer einen Stress- und Angstfaktor. Selbst gute Schüler entwickeln bereits in der Grundschule Leistungsängste, ob sie es denn schaffen werden, die angestrebt weiterführende Schule zu erreichen. Sinnvollere Leistungsbewertungen können Lernrückmeldungen, Portfolios und dialogische Lernentwicklungsberichte sein. Lernrückmeldungen sollen Schülern beschreiben, welche Lernentwicklungen sie in einer bestimmten Zeit vollbracht haben. Darunter fallen zum einen die erlernten Inhalte, sowie Kompetenzen, über die verfügt wird, die für die spätere Entwicklung notwendig sind. Darüber hinaus sollte im Dialog zwischen Lehrer und Schüler, vielleicht auch unter Einbindung der Eltern, eine Strategie erarbeitet werden, wie die schulischen Leistungen verbessert werden können, wobei die Empfehlungen für jede Partei verständlich dargestellt werden sollten. Dabei dürften keinesfalls sogenannte "Einbahnstraßen" entstehen. Das heißt, es darf keine Verkündigung alleine durch den Lehrer erfolgen, sondern die Lernrückmeldungen müssen immer im Dialog mit dem Schüler stattfinden, "der die Sicht der Schüler und Eltern ernsthaft mit einbezieht."[13] Am Ende sollten die Lernrückmeldungen - so gut es geht - in Noten übersetzt werden - auch wenn die Reduktion der Aussagen für den einen oder anderen dann negativer ausfallen kann. Die Erarbeitung von Portfolios stellt eine weitere Form von Leistungsbewertung dar. Besonders in der Region Rhein-Neckar wird der Versuch gestartet, dass Schulen völlig frei entscheiden können ob sie Zensuren vergeben möchten, oder die Schüler zur Bewertung Portfolios erhalten. Die Georg-Christoph-Lichtenberg-Gesamtschule verzichtet bereits seit 40 Jahren auf die Vergabe von Zensuren bis zum Ende der 8. Klasse. In der Gesamtschule wird mehr Wert auf die Rückmeldungen zur individuellen Lernentwicklung gelegt. Die Rückmeldungen entstehen über das gesamte Kompetenzspektrum des Kindes, indem das einzelne Kind im Mittelpunkt mit seinen individuellen Ressourcen steht. Die Rückmeldungen finden in dialogischen Strukturen, so genannten "LEB-Besprechungen"(LEB = Lernentwicklungsbericht), statt. So ermöglicht z. B. Tischgruppenarbeit, in der sechs Schüler mit unterschiedlichen Leistungsfähigkeiten zusammen arbeiten und sich gegenseitig unterstützen können, dass der Lehrer hierbei die Rolle des Coachs einnehmen kann und den Schülern bereits in der Gruppenphase Rückmeldung zu ihrem Arbeitsverhalten oder ihrem Lernfortschritt geben kann. Genauso können auch andere Schüler die Rolle des Coachs und somit die des Bewertenden (anderer Schüler) einnehmen (Schülerrückmeldungen). Dabei wird darauf geachtet, dass die Bewertungen immer mit etwas Positivem, wie einem Lob beginnen. Außerdem gibt es so genannte Lernordner, die in der Klasse jedem frei zugänglich sind. Diese Lernordner beinhalten schriftliche Rückmeldungen, aber auch Fachrückmeldungen (zweimal im Halbjahr). Halbjährlich gibt es Lernentwicklungsberichte, welche im Dialog entstehen und besprochen werden. In den Lernentwicklungsberichten gibt der Klassenlehrer jedem Schüler Rückmeldung über seine Lernentwicklung und Tipps zur Optimierung. Gültig sind diese Berichte aber erst, wenn die Schüler ihre eigenen Berichte über sich geschrieben haben. Wenn beide Berichte entstanden sind, werden auf so genannten "LEB-Besprechungen" die Berichte mit Eltern und Schüler einer Tischgruppe besprochen. Alles in allem sind dies Herangehensweisen bei denen die "Kognitive[n] Leistungen [...] auf einer Stufe gewürdigt [werden] wie handwerkliche, künstlerische, sportliche und soziale Leistungen, [...] die Bewältigung von Konflikten innerhalb und außerhalb der Schule, das Umgehen mit Handicaps, mit Schicksalsschlägen, mit Gewalt oder Drogen."[14] Ganz allgemein verspricht man sich von Verbalbeurteilungen einen höheren Informationsgehalt, da eine differenziertere Beschreibung von Stärken und Schwächen des Schülers zum Ausdruck gebracht werden kann. Zudem kann der Prozess des Lernens Berücksichtigung finden, die Gesamtentwicklung des Kindes kann deutlicher zur Sprache gebracht werden und gleichzeitig bieten die Verbalbeurteilungen Eltern einen größeren Anreiz, das Gespräch mit dem Lehrer zu suchen. Selbstverständlich sind Verbalbeurteilungen aber zeitaufwändiger oder aber aussageschwächer, da sie Standardformulierungen beinhalten, die schablonen- und floskelhaft wirken. Nach Knörzer und Grass lassen sich vier Idealtypen von Verbalbeurteilungen identifizieren[15]. Das normative Zeugnis unterscheidet sich kaum vom Ziffernzeugnis. Die Normen werden aus den Lernzielen abgeleitet. Das schöne Zeugnis sucht für jedes Kind Positives, Defizite werden häufig verschwiegen, so weicht es Konflikten aus, welche das normative Zeugnis heraufbeschwört. Letztlich werden die Eltern aber getäuscht. Das deskriptive Zeugnis beschreibt ganz nüchtern den Ist-Zustand, keine Entwicklung, es gibt keine Ratschläge und ermöglicht keinerlei Prognosen. Das Zeugnis auf dem Weg zum pädagogischen Entwicklungsbericht lässt normative Elemente zurücktreten. Es werden Prozesse dargelegt und nicht nur Resultate. Dies setzt eine kontinuierliche und systematische Beobachtung des Kindes durch den Lehrer voraus. Unterstützen lassen könnte sich der Lehrer von den Schülern selbst – vorausgesetzt, diese haben gelernt, ihren eigenen Lernstand auszuloten, also einen Weg zur Selbstbeurteilung gefunden. „Viele heute diskutierte Konzepte schulischen Lernens wie […] erfordern andere Formen der Leistungsbeschreibung und –beurteilung, bei denen es möglich, ja eigentlich notwendig ist, die Schülerinnen und Schüler zu beteiligen.“[16] Dies setzt aber voraus, dass Schülern ein Zugang zum selbstgesteuerten Lernen eröffnet wird.

[...]


[1] Knörzer, Wolfgang und Grass, Karl: Den Anfang der Schulzeit pädagogisch gestalten. Studien- und Arbeitsbuch für den Anfangsunterricht. 5., völlig überarbeitete und neu ausgestattete Aufl., Weinheim und Basel 2000. S. 192.

[2] vgl.: Paradies, Liana und Wester, Franz und Greving, Johannes: Leistungsmessung und -bewertung. Berlin 2005. S. 24f.

[3] ebd. S. 26.

[4] Knörzer, Wolfgang und Grass, Karl: Den Anfang der Schulzeit pädagogisch gestalten. Studien- und Arbeitsbuch für den Anfangsunterricht. 5., völlig überarbeitete und neu ausgestattete Aufl., Weinheim und Basel 2000. S. 201.

[5] ebd. S. 201.

[6] vgl. Knörzer, Wolfgang und Grass, Karl: Den Anfang der Schulzeit pädagogisch gestalten. Studien- und Arbeitsbuch für den Anfangsunterricht. 5., völlig überarbeitete und neu ausgestattete Aufl., Weinheim und Basel 2000. S.202f.

[7] Winter, Felix: Schüler lernen Selbstbewertung. Ein Weg zur Veränderung der Leistungsbeurteilung und des Lernen. Frankfurt am Main 1991. S. 8.

[8] Winter, Felix: Schüler lernen Selbstbewertung. Ein Weg zur Veränderung der Leistungsbeurteilung und des Lernen. Frankfurt am Main 1991. S. 10.

[9] Winter, Felix: Schüler lernen Selbstbewertung. Ein Weg zur Veränderung der Leistungsbeurteilung und des Lernen. Frankfurt am Main 1991. S. 12.

[10] Paradies, Liana und Wester, Franz und Greving, Johannes: Leistungsmessung und -bewertung. Berlin 2005. S. 34.

[11] RdErl. des MK vom 02.07.2001-31-83200

[12] Gittner, Frauke: Leistungsbewertung mit Portfolio in der Grundschule. Kempten 2009. S. 49.

[13] Vogelsaenger, Wolfgang: Leistungsbewertung im Dialog. Feedback und Beratungsgespräche. Aus: Pädagogik 6/ 09.

[14] Vogelsaenger, Wolfgang: Leistungsbewertung im Dialog. Feedback und Beratungsgespräche. Aus: Pädagogik 6/ 09.

[15] vgl. Knörzer, Wolfgang und Grass, Karl: Den Anfang der Schulzeit pädagogisch gestalten. Studien- und Arbeitsbuch für den Anfangsunterricht. 5., völlig überarbeitete und neu ausgestattete Aufl., Weinheim und Basel 2000. S. 212.

[16] Winter, Felix: Schülerselbstbewertung. Friedrich Jahresheft 1996. Velber 1996. S. 34.

Ende der Leseprobe aus 34 Seiten

Details

Titel
Selbstbewertung in der Grundschule
Untertitel
Können Schülerinnen und Schüler bereits in der Grundschule durch Förderung von Selbstkonzepten zur Selbstbewertung befähigt werden?
Hochschule
Universität Osnabrück
Note
1,0
Autor
Jahr
2012
Seiten
34
Katalognummer
V205236
ISBN (eBook)
9783656331971
ISBN (Buch)
9783656332503
Dateigröße
559 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
selbstbewertung, grundschule, können, schülerinnen, schüler, förderung, selbstkonzepten
Arbeit zitieren
Karolin Strohmeyer (Autor:in), 2012, Selbstbewertung in der Grundschule, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/205236

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Titel: Selbstbewertung in der Grundschule



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