Der Roman "Agnes" von Peter Stamm im Deutschunterricht

Ausführliche Unterrichtseinheit mit Materialien


Examensarbeit, 2010

51 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 VORBETRACHTUNGEN
1.1 SACHANALYSE
1.1.1 Inhaltsangabe
1.1.2 Themenkreise im Roman
1.1.3 Sprachliche Gestaltung
1.1.4 Epochenbezug
1.2 DIDAKTISCHE ANALYSE
1.2.1 Überlegungen zur Auswahl der Lektüre
1.2.2 Überlegungen zur Konzeption der Unterrichtseinheit
1.3 METHODISCHE ANALYSE

2 DURCHFUEHRUNG DER UNTERRICHTSEINHEIT
2.1 INTENTIONEN DER UNTERRICHTSEINHEIT
2.1.1 Richtziel der Unterrichtseinheit
2.1.2 Grobziele der einzelnen Unterrichtsstunden
2.2 VERLAUF DER UNTERRICHTSEINHEIT IN TABELLARISCHER FORM
2.3 AUSFÜHRLICHE DARSTELLUNG EINER AUSGEWÄHLTEN EINZELSTUNDE
2.3.1 Sachanalyse
2.3.2 Intentionen der Unterrichtsstunde
2.3.3 Didaktische Überlegungen
2.3.4 Methodische Überlegungen
2.3.5 Verlauf der Unterrichtseinheit in tabellarischer Form
2.4 ERWARTUNGSHORIZONT FÜR EINE HAUSAUFGABE

3 TAFELBILDER
3.1 1. STUNDE, THEMENKREISE IM ROMAN
3.2 2. STUNDE, DIE PROTAGONISTEN
3.3 4. STUNDE, DIE GESCHICHTE IN DER GESCHICHTE
3.4 8. STUNDE, DISTANZ UND NÄHE

4 VERWENDETE LITERATUR

5 MATERIALIEN

1 VORBETRACHTUNGEN

1.1 SACHANALYSE

1.1.1 Inhaltsangabe

Der Ich-Erzähler, ein Schweizer Journalist, dessen Name während des gesamten Romans nicht erwähnt wird, schreibt in Chicago an einem Fachbuch über Luxuseisenbahnwagen. Aus der Retrospektive erzählt er, wie er beim Recherchieren in der Bibliothek ein Mädchen namens Agnes kennenlernt, woraufhin sich zwischen beiden eine ungewöhnliche Liebesgeschichte entwickelt. Er ist von Agnes fasziniert und erfüllt ihr den Wunsch, ein Buch über sie zu schreiben, damit sie der Nachwelt etwas von sich hinterlassen kann. Zunächst beschreibt er in dieser Geschichte nur die Beziehung der beiden, doch schließlich ‚überholt’ er die Gegenwart und schreibt auch über Zukünftiges, nach dem Agnes dann zunehmend ihr Leben ausrichtet.

Als Agnes schwanger wird, kann der Ich-Erzähler nicht damit umgehen und aufgrund seiner Reaktion trennt sich das Paar. Durch das Fachbuch, an dem er schreibt, lernt er Louise kennen, mit der er sich gut versteht und mit der er Agnes später betrügt. Als Agnes das Kind verliert, kommen beide wieder zusammen. Die Beziehung ist bis zuletzt durch Verständigungsschwierigkeiten geprägt, bis sich Agnes schließlich -gemäß dem Schluss der vom Ich-Erzähler am Computer verfassten Geschichte - das Leben nimmt.

1.1.2 Themenkreise im Roman

Ein typisches Merkmal von Peter Stamms Erzählstil, das sich durch sein gesamtes Werk zieht, ist die deutliche Markierung des Doppelsinns vieler Stellen. Dadurch entsteht ein dichtes Geflecht an Verweisen, Motiven und symbolhaften Themenkreisen, von denen die wichtigsten im Folgenden erläutert werden sollen.

1.1.2.1 Beziehungen und Suche nach Orientierung

Auf den ersten Blick steht bei Agnes zumindest auf der Ebene des Romangeschehens die Liebesgeschichte zwischen den beiden Protagonisten im Vordergrund, die sich aufgrund von Beziehungs- und Bindungsunfähigkeit der Figuren als zunehmend problematisch erweist. Bei Agnes und dem Ich-Erzähler handelt es sich um sehr ungleiche Menschen, die in einer Welt der Singles leben und Probleme damit haben, sich auf die jeweils andere Person einzustellen, woran die Beziehung letztendlich scheitert. Bis zum Schluss sind die Beziehungen im Roman durch Distanz und die Abwesenheit von der Bereitschaft, sich dem anderen gegenüber zu öffnen, gekennzeichnet. Oft wird dieser Aspekt durch Symbole wie das Fenster, das sich nicht öffnen lässt[1], versinnbildlicht. Beide schaffen es nicht, in ihrer Beziehung zueinander den nächsten Schritt zu machen, so dass sich die Beziehung nicht über einen begrenzten Raum hinaus entwickeln kann und sich beide bis zum Schluss fremd bleiben.[2] Immer, wenn der Ich-Erzähler versucht, Agnes besser zu verstehen oder sich in sie hineinzuversetzen, wird „das Bild wieder unscharf und sie wird von neuem zurück.“[3], so werden beispielsweise die Sätze, in denen er sich zu ihren Gefühlen äußert, stets im Konjunktiv formuliert.

„Das Geheimnisvolle ist die Leere in der Mitte“[4] - dieser Satz, den Agnes in Zusammenhang mit ihrer Arbeit über die Kristallgittertheorie formuliert, drückt wie kein anderer das Problem aus, das die beiden in ihrer Beziehung haben. Es ist ein Bild für die Kälte, die in der Beziehung liegt. Die Mitte müsste eigentlich mit menschlicher Nähe und Wärme ausgefüllt sein- da sie das in diesem Falle nicht ist, kann sie nicht funktionieren. Das wahre Innere des jeweils anderen bleibt ihnen verborgen.

Weiterhin gibt es weder Leidenschaft noch Emotionen in der Beziehung, abgesehen von ein paar kurzen Gefühlsausbrüchen von Seiten Agnes´, die immer wieder versucht, die Situation zu ändern, aber anscheinend nicht weiß, wie sie das schaffen könnte. Durch die Kältemetapher, die in unterschiedlichster Form[5] immer wieder auf verschiedenen Ebenen des Romans angesprochen wird, wird dieses Problem zusätzlich hervorgehoben.

Auch die mangelnde Kommunikation innerhalb der Beziehung wird schnell zum Problem, was spätestens an der Stelle besonders deutlich wird, an der der Ich-Erzähler mit der Schwangerschaft Agnes´ konfrontiert wird. Da er nicht in der Lage ist, seine Gedanken auszudrücken, verletzt er Agnes durch seine kühle Reaktion. Das Ergebnis sind abgehackte Gespräche und Dialoge mit fragmentarischem Charakter, in denen nicht wirklich auf die Aussagen des anderen eingegangen wird.

>>Magst du Eis dazu?<< fragte sie, ohne mich anzublicken. Wir aßen. >>Der Kuchen ist gut<<, sagte ich.[6]

Die Kälte innerhalb der Beziehung steht stellvertretend für eine moderne Welt, die sich auszeichnet durch ein Gefühl des Mangels und die konsequente Suche nach dem Wesentlichen. Es herrschen Gefühlsarmut und Furcht vor einem sinnlosen Tod vor und somit ist Agnes nicht nur ein Beziehungsroman, sondern auch ein Roman, der von den Alltagsnöten des modernen Menschen erzählt, von Einsamkeit, Beziehungsunfähigkeit und der großstädtischen Entfremdung, in der sich die Menschen -wie auf Seurats Bild Un Dimanche d’été à l’Ile de la Grande Jatte, das die beiden Protagonisten in einem Museum betrachten- nicht mehr gegenseitig anschauen.

Die Todesthematik, die innerhalb des Romans einen großen Raum einnimmt, beschäftigt vor allem Agnes. Aus der Ohnmacht heraus, die sie in der Sterblichkeit erkennt, resultiert der Wunsch nach Unsterblichkeit. Wäre nach dem Tod die Existenz des jeweiligen Menschen schlichtweg ausgelöscht, bestünde für Agnes kein Sinn im Leben. Das jedoch will sie nicht glauben, weshalb sie zu dem Schluss kommt, um ein Leben mit Sinn anzufüllen, müsse man es schaffen, auch nach dem Tod noch präsent zu sein. Um das zu erreichen, will Agnes Spuren hinterlassen, die sie unvergesslich machen. Zunächst sieht sie dies durch ihre Dissertation über die Kristallgittertheorie erreicht. Sie „mag den Gedanken, dass alle, die sich irgendwann mit den Symmetrien der Symmetriegruppen befassen, auf [ihren] Namen stoßen werden.“[7] Doch bald wird ihr klar, dass eine solche Dissertation nicht wirklich sie am Leben erhält, sondern nur eine trockene Theorie. Nach der Totgeburt ihres Kindes bleibt nur noch das Buch, das der Erzähler über sie schreiben soll, als mögliche Spur, die sie hinterlassen kann. Da ihrer Meinung nach die Handlung mit der Realität übereinstimmen muss, das Erzählen ihres Lebens jedoch keine gute Geschichte ergibt, muss sie sich ihrem Schicksal fügen und ihr ‚echtes’ Leben dem Erzählten anpassen.

In der zweiten Schlussvariante, dem „einzig mögliche[n], [...]einzig wahre[n] Schluß“[8], beendet Agnes ihr Leben durch den Kältetod. Sie wird mit der fiktiven Agnes überblendet, wird „zu den Worten und Sätzen, die sie gelesen hatte[9]. Zunächst stellt „sie die Kälte nur fest, ohne sie zu fühlen[10], doch dann gewinnt sie

„das Gefühl zurück, erst in den Füßen, in den Händen, dann in den Beinen und Armen, es breitete sich aus, wanderte durch ihre Schultern und ihren Unterleib zu ihrem Herzen, bis es ihren ganzen Körper durchdrang und es ihr schien, als liege sie glühend im Schnee, als müsse der Schnee unter ihr schmelzen.“

Das Bild von der Leere in der Mitte bekommt nun eine neue Bedeutung; Agnes fehlt der Sinn im Leben. Erst der Tod kann - als Sinn - diese Leere ausfüllen. Zum ersten Mal erfährt Agnes Wärme und hat das Gefühl, auf dem richtigen Weg zu sein.

1.1.2.2 Wahrheiten, Lügen und die Wirklichkeit

Innerhalb des Romans lassen sich verschiedene Wirklichkeitsebenen ausmachen, die nicht immer streng voneinander getrennt werden. Der Leser ist geneigt, das Romangeschehen als Wirklichkeit anzunehmen, dennoch markiert sich der Text selbst als Konstrukt. Dies geschieht einerseits durch die häufigen intertextuellen Verweise, andererseits aber auch explizit, denn der Roman selbst gibt vor, das literarische Produkt zu sein, das im Romangeschehen als solches vorkommt.

Jeder Text steht am Ende einer Tradition unzähliger anderer Texte, in die er sich als eine Folge von Abhängigkeiten einreihen muss. Schon die literarische Gattung, für die sich ein Autor entscheidet oder nicht entscheidet, erzeugt eine solche Abhängigkeit, sodass Intertextualität als solche auf den unterschiedlichsten Ebenen entstehen kann. Neben der nicht markierten Intertextualität, die im Prinzip in jedem Text zu finden ist, weist der Roman Agnes aber vor allem intertextuelle Verweise auf, die markiert sind.[11]

In diesem Zusammenhang ist die Todesthematik, aber auch das Thema der sinnstiftenden und am Leben erhaltenden Kunst auf der Ebene des Romangeschehens zu sehen, die leitmotivisch durch die Erwähnung anderer literarischer Texte, die dieselben Themen ansprechen[12], Verknüpfungen herstellen und so den Deutungshorizont erweitern und auf mögliche Lesarten hinweisen. Außerdem stellen die Figuren oft selbst Bezüge zwischen der Kunst und ihrem Leben her, wie beispielsweise Agnes bei der Betrachtung des Gemäldes von Seurat.

Das Kunstwerk wird so zu einem von der Realität losgelösten, ästhetischen Konstrukt und ermöglicht dem Leser die Verknüpfung mit dadurch verbundenen künstlerischen Traditionen. Es will die Wirklichkeit nicht länger abbilden, sondern vielmehr etwas aussagen, bedeuten - eben Kunst sein.

Mit den im Roman eingebauten Metatexten, also Texten über den Roman Agnes, wird noch eine besondere Form von Intertextualität geboten. Die Entstehung des Werkes selbst sowie dessen Konzeption in sprachlicher und inhaltlicher Hinsicht wird durch die Figuren thematisiert. Der Erzähler gibt sich als Schriftsteller zu erkennen und gibt Einblick in die Entstehung seines Werkes.

Konsequenterweise wird auch in Bezug auf den Erzähler die Aufgabe des Anspruchs, durch Literatur die Wirklichkeit abbilden zu wollen, umgesetzt. Durch eine Art Destabilisierung des Erzählers verschwimmen die Grenzen zwischen Realität und Fiktion, sodass der Leser nicht mehr weiß, was er glauben darf, weil es nicht richtig zu sein scheint, sich auf die wörtliche Ebene zu verlassen, sondern man vielmehr unter die Oberfläche blicken muss.

Der Erzähler behauptet zwar mehrfach, er wolle nur beschreiben, doch er versucht dennoch immer wieder, seine Variante der Wahrheit durchzusetzen. Zudem handelt es sich bei dem Roman um eine Art Apologie, der Erzähler ist also zum einen emotional betroffen und zum anderen in seiner sinnlichen und subjektiven Wahrnehmung gefangen.

Unterschwellig wird der Leser an vielen Stellen darauf aufmerksam gemacht, wie schwierig, wenn nicht unmöglich es ist, die Wirklichkeit abzubilden. Schon Fotographien, Zeichnungen und sogar Spiegel[13] versagen bei dem Versuch, Agnes zu zeigen, wie sie wirklich ist[14].

So wird das Schreiben als Mittel herangezogen, wenn die graphische Übertragung scheitert[15]. Doch auch hier kann eine adäquate Abbildung nicht erreicht werden, denn der Erzähler legt sich die Realität quasi zurecht: Wenn er Agnes die Kapitel vorliest, wundert er sich, wie viele Dinge sie anders erleben oder in Erinnerung haben.

Bei der Betrachtung von Seurats Gemälde, bei dem „die Farben […] nicht gemischt, sondern zusammengesetzt [wurden] wie auf einem Gobelin“[16], verhindert zu starke Nähe das Erkennen, erst aus der Distanz ergibt das Bild einen Sinn als Ganzes.[17] Auch auf der Ebene der Romanhandlung trifft dieser Grundsatz zu, denn erst durch die zeitliche Distanz zu den Geschehnissen kann ein Sinn ausgemacht werden.[18]

Hier lehnt sich Stamm ganz deutlich an den Perspektivismus nach Leibniz an[19], demzufolge je nach Perspektive unterschiedliche Wirklichkeiten entstehen. Dies erklärt auch das Nebeneinander der Versionen von Agnes und dem Erzähler, wenn sie sich nicht darauf einigen können, wie sich etwas nun tatsächlich ereignet hat.

Somit spricht der Roman Agnes das Problem der Unerzählbarkeit einer Wirklichkeit an, die durch den Wertepluralismus in unserer heutigen Zeit, den ständigen Wandel und den sich immer schneller vollziehenden Fortschritt bedingt ist. Als Einzelner kann man nicht mehr auch nur einen Aspekt des gesamten Wissens überblicken und sich gleichzeitig auch nicht mehr auf seine Sinne verlassen, was durch die Unzuverlässigkeit des Erzählers verbildlicht wird.

Auf der Bildebene des Romans entstehen die zwei Gegenpositionen, die aus diesen Überlegungen resultieren, als Konflikt zwischen den Figuren. Während Agnes fordert, Geschriebenes und Realität müssten übereinstimmen, geht der Erzähler davon aus, Geschriebenes erzeuge Realität.

1.1.2.3 Die Macht der Worte

Was den Roman Agnes besonders modern macht, ist das medienkritische Moment[20], das besonders raffiniert in die verschiedenen Ebenen des Textes miteingeflochten wird. Medien stehen hier für die Verzerrung oder ausschnitthafte Wiedergabe von Wirklichkeit und treten in Form von Fotographien, Spiegelbildern, Videoaufnahmen und natürlich Texten auf, denen vor allem gemeinsam ist, dass sie lediglich Momentaufnahmen und einzelne Aspekte einer Sache zeigen können. So enthält beispielsweise die im ersten Kapitel geschilderte Videoaufzeichnung nur Ausschnitte und kann kein ganzes Bild zeigen.[21]

Auch die Sprache in Büchern weist Mängel auf, denn Worte und Beschreibungen verweisen zwar auf Wirklichkeit, transformieren diese aber nur in ein anderes Medium. Doch andererseits wirken Medien auch auf die Wirklichkeit ein[22], und werden in diesem Zusammenhang auf inhaltlicher Ebene häufig thematisiert. Beispielsweise gab der Erzähler seine belletristischen Versuche zugunsten der Sachliteratur auf, was er mit dem Gefühl der Unkontrollierbarkeit des Stoffes begründet.[23]

Medienkritik wird aber auch in Bezug auf Agnes geäußert, nämlich in Form der Gewalt, die die Bücher auf Agnes ausüben, und die für den unkritischen, unreflektierten Umgang mit Texten steht. Diese Gewalt äußert sich auf verschiedenen Ebenen; zum einen berichtet Agnes davon, wie sie von Erzählungen mitgerissen wird, zum anderen übt die Geschichte des Erzählers buchstäblich Gewalt über sie aus, indem sie sie veranlasst, ihr Leben nach ihr auszurichten. Agnes lebt in den Bücherwelten und geht emotional zu beteiligt mit Texten um[24], anstatt diese auch gleichzeitig aus einer distanzierten Perspektive zu betrachten.

Was Agnes in dieser Hinsicht versäumt, wird also indirekt dem Leser angeraten – nämlich ein reflektierter und prüfender Rezipient zu sein, der das Falsche bzw. Gefälschte erkennt und selbst entscheidet, was Wahrheit ist, ohne dem Erzähler alles zu glauben.

1.1.3 Sprachliche Gestaltung

1.1.3.1 Sprache und Erzählstil

Besonders auffällig ist die große sprachliche Ökonomie des Romans, die sich als Tendenz natürlich zum einen historisch vor dem Hintergrund einer Zeit des Missbrauchs von Sprache erklären lässt, zum anderen aber gerade durch die inhaltliche Thematisierung von Sprache und Text auch die Aussageabsicht des Romans unterstützt.

Die Sprache selbst ist einfach, klar und kommt ohne Ausschmückungen aus. Es liegt eine konsequente Reduktion von Sprache vor, bei der kein Wort zuviel verwendet wurde.

Es wird mit überwiegend kurzen Hauptsätzen gearbeitet, die interessanterweise im Kontrast zu den misslungenen belletristischen Versuchen des Erzählers stehen.

Das Formale des Textes überträgt sich, so dass auch inhaltlich Leerstellen und ein deutlicher Doppelsinn entstehen.

Die distanzierte Sprache, die kühl und kontrolliert daher kommt, steht in Analogie zu der beziehungsarmen Welt, die durch sie beschrieben wird, und unterstreicht deren illusions- und schmucklosen Charakter.

Der Stil ermöglicht durch seine schlichte, fast karge, aber vor allem leicht verständliche Art auch ungeübten Lesern einen leichten Zugang zur Bildebene, unter deren Oberfläche sich jedoch eine Fülle von Symbolen, Metaphern, Anspielungen etc. verbergen. Die Sprache erzeugt das Gefühl, dass mehr hinter den Wörtern und Aussagen steht und dass auf verschiedenen Ebenen erzählt wird.

Die wenigen im Text enthaltenen Dialoge sind aufs Wesentliche gekürzt, was das Scheitern der Kommunikation zwischen den Protagonisten, aber auch den anderen Figuren unterstreicht.

Durch die Vermischung der unterschiedlichen Erzählebenen wird der Leser in die Irre geführt und durch die Anordnung der Geschehnisse entsteht eine Art Zirkelbewegung des Textes. Dass der Erzähler mit der Zeit mehr und mehr die ‚echte’ Agnes mit der fiktiven Agnes aus seiner Geschichte überblendet, zeigt sich auch auf der Zeichenebene, so beispielsweise durch die zunehmende Aufgabe der zunächst konsequenten Trennung von Stellen, die dem Buch Agnes entnommen wurden, von der Romanhandlung durch kursiv gedruckten Text.[25] Doch auch im Ganzen betrachtet wird diese Trennung nicht klar vorgenommen, da der Erzähler ja den Anschein erweckt, bei dem Roman handele es sich um die von ihm verfasste Geschichte.

Eine weitere sprachliche Besonderheit sind die Zitate, die im modernen Roman durch Verbindung zu anderen Werken und deren Thematiken bzw. Aussagen neue Lesarten entstehen lassen, bzw. auf die Möglichkeit einer bestimmten Lesart hinweisen

1.1.3.2 Erzählperspektive

Schon im ersten Kapitel wird die Erzählperspektive, die auch inhaltlich für den Roman von äußerster Wichtigkeit ist, bildlich dargestellt, indem man durch die Augen des Erzählers durch das Fenster seiner Wohnung blickt. Den Roman kennzeichnet eine subjektive Färbung des Erzählten[26], die sich aus verschiedenen Konstanten zusammensetzt. Zunächst einmal ist in diesem Zusammenhang die emotionale Beteiligung des Erzählers zu erwähnen, durch die Beschönigungen des Geschilderten entstehen. Es handelt sich um eine Art Verteidigungsrede, die den Versuch darstellt, die Schuld in Bezug auf den Ausgang der Ereignisse von sich zu weisen. Weiterhin bestimmen aber auch andere Faktoren die Unzuverlässigkeit des Erzählers als Berichterstatter, wie beispielsweise Auslassungen, die durch fehlende Kenntnis[27] oder auch aus Gründen persönlicher Motivation entstehen. Die erzählerische Subjektivität zeigt sich selbst in dem Versuch, historische Ereignisse darzustellen, was am Beispiel des Pullman-Streiks, über den sich der Ich-Erzähler informieren will und auf den es sehr unterschiedliche Sichtweisen gibt, deutlich gemacht wird. Trotz all dieser Punkte gibt der Erzähler dennoch vor, die Wahrheit zu erzählen[28], auch wenn die Schwierigkeit, die Welt sprachlich darzustellen, praktische Probleme zur Folge hat.[29]

So gibt der Erzähler kaum etwas von sich preis[30] und ist in Bezug auf seine wahren Beweggründe und Interessen nicht offen.

Außerdem entsteht durch die Eingeschränktheit der individuellen Weltbetrachtung eine gewisse Vagheit - der Leser erhält beispielsweise kein greifbares Bild von Agnes, weil man sie nur durch die Augen des Erzählers sieht.

Die Entscheidung für einen solch subjektiven Ich-Erzähler erscheint konsequent vor dem Hintergrund des postmodernen Wertepluralismus unserer heutigen Zeit. Die Autoren kehren dem allwissenden Erzähler den Rücken zu, weil sie einsehen, dass ein Wahrheitsanspruch in Bezug auf die Darstellung einer komplexen Welt, die der Einzelne nicht mehr überschauen kann, nicht gerechtfertigt sein kann.

1.1.4 Epochenbezug

Was die literaturgeschichtlichen Bezüge angeht, vereint Agnes sowohl moderne als auch postmoderne Merkmale in sich. Neben inhaltlichen Aspekten wie der Amerikathematik und dem damit verbundenen Spiel mit Klischees und Vorurteilen, sowie anderen Themen, die typisch für die Gegenwartsliteratur sind, wie die unerfüllte Sehnsucht nach Liebe heutiger Menschen, die Kälte ihrer Umwelt und Singles zwischen Freiheit und Sinnlosigkeit der Einzelexistenz, mutet besonders die geschilderte Entfremdung des Romanhelden von der immer unüberschaubarer werdenden Welt, die ihn umgibt, modern an. Daraus resultiert die Negation des typischen Helden und die Geburt des Antihelden, der sich seiner Fehlbarkeit und Nichtigkeit angesichts seiner Umwelt bewusst ist, und den wir auch bei Agnes in Form eines gescheiterten, illusionslosen Schriftstellers, der an seiner Bindungsunfähigkeit sichtlich leidet, vorgesetzt bekommen.

Während die Moderne den ‚Warencharakter’ der Kunst beklagt und auf ebendiesen mit einem gewissen Innovationsstreben reagiert, kritisiert die Postmoderne diese Tendenz[31], und entscheidet sich im Gegenzug für einen Pluralismus von Sprachen, Modellen und Verfahrensweisen. Die strenge Trennung von Unterhaltungsliteratur und Hochliteratur wird aufgehoben und im Zuge der Aufgabe des Absolutheitsanspruchs verleihen die postmodernen Autoren ihren Texten einen gewissen Hybridcharakter[32], der durch die Vermischung unterschiedlicher Stile, Mehrfachkodierung und Intertextualität entsteht. Im Roman Agnes werden solche Mittel besonders konsequent verwendet und durch die verschiedenen Ebenen, die hier ineinander laufen, auf die Spitze getrieben. Während ein typisches Merkmal der modernen Literatur die offengelegte Montagetechnik[33] ist, entsteht durch eine Fülle von auf den unterschiedlichsten Ebenen angesiedelten intertextuellen Verweisen eine scheinbar „geschlossene Welt, die sich allerdings, mit Blick auf ihren intertextuellen Ursprung, als Täuschung erweist.“[34]

Doch auch diese erzählerische Ebene weist moderne Elemente auf, wie beispielsweise das Thematisieren des Erzählens an sich, durch das deutlich gemacht wird, dass man nun nicht mehr länger versucht, Wirklichkeit zu erzeugen oder abzubilden, sondern vielmehr Vorbehalte gegenüber dem Versuch der realistischen Schilderung äußert. Als Konsequenz aus dieser Einsicht wird auch nicht mehr länger an der Chronologie der Darstellung festgehalten.

Das postmoderne Werk spitzt dies weiter zu und gibt sich durch Metatextualität selbst als Konstrukt zu erkennen.

Aus der Einsicht in das Versagen der Fiktion vor der Wirklichkeit folgt eine zunehmende Skepsis gegenüber der Ich-Identität und –Authentizität; so entsteht eine Vielzahl von Texten, in deren Zentrum der Schreibende steht, und in deren Tradition sich auch Agnes einreiht.

1.2 DIDAKTISCHE ANALYSE

1.2.1 Überlegungen zur Auswahl der Lektüre

Die Bildungsstandards von 2004 sehen für die Jahrgangsstufe 10 ausdrücklich die Beschäftigung mit einem Werk der Gegenwartsliteratur vor. Der Roman Agnes von Peter Stamm ist als besonders aktueller und junger Text hierfür gut geeignet.

Er überzeugt durch die Einfachheit der verwendeten Sprache, die auch ungeübte Leser nicht abschreckt und die den Roman keineswegs trivial werden lässt, sondern im Gegenteil die Persönlichkeit des Ich-Erzählers unterstreicht. Gerade die Verständlichkeit in Bezug auf die sprachliche Gestaltung ist zudem etwas, dass sich die Schüler der Klasse 10b ausdrücklich wünschen, wie aus der Auswertung der Umfrage, die ich im Vorfeld durchgeführt habe, hervorging. Weiterhin halte ich den Roman für geeignet, da er eine große Vielfalt an Themen bietet, die im Unterricht exemplarisch herausgegriffen werden können. Aufgrund der vielen Leerstellen, Motive und Bilder ergibt sich eine Fülle an Interpretationsansätzen, die auch ohne literaturwissenschaftliche Kenntnisse ins Auge springen.

Im Sinne einer globalen Herangehensweise an schwierige literarische Texte enthält Agnes zudem viele intertextuelle Bezüge, die Aussagen über im Text enthaltene Themen treffen. Einige dieser Bezüge eignen sich besonders gut dazu, im Unterricht angesprochen zu werden, um den Schülern die Bedingtheit eines Textes, der sich in eine lange Tradition von vorangehenden Werken einreiht, vor Augen zu führen.

Neben der spannenden Handlung und der vielschichtigen Charaktere, in die sich die Schüler einfühlen müssen, überzeugt der Roman außerdem durch seine zeitgerechten, aktuellen Themen, wie beispielsweise das Problem der Macht, die Medien heute auf die Menschen ausüben und die Veränderung, die dies innerhalb unserer Gesellschaft bewirkt. Solche Themen sind den Schülern geläufig und können daher gut auf ihre Lebenswelt bezogen werden.[35]

1.2.2 Überlegungen zur Konzeption der Unterrichtseinheit

Unter dem übergeordneten Ziel der literarischen Bildung, das eine der Hauptaufgaben des Deutschunterrichts darstellt, soll am Beispiel eines literarischen Werks der Gegenwart den Schülern ein leserbezogener Umgang mit einem literarischen Texten angeboten werden. Hierbei sollen die Themen so ausgewählt werden, dass sie bei den Schülern auf Interesse stoßen und diesen Schnittpunkte mit ihrem Leben aufzeigen. Aus der im Vorfeld durchgeführten anonymen Befragung ging hervor, dass die Schüler sich wünschen, eine ausführliche Charakterisierung der Protagonisten vorzunehmen, um deren Beweggründe besser zu verstehen, weshalb ich beispielsweise diesem Thema eine Stunde widmen möchte.

In diesem Zusammenhang habe ich mich auch, was die Auswahl der Methoden zur Vermittlung des Stoffs angeht, an den Interessen der Schüler orientiert. So kam unter anderem der Wunsch nach theaterpädagogischen Elementen zur Besprechung des Inhalts auf, weshalb ich Methoden wie den ‚Hot Chair‘ an geeigneten Stellen einbauen werde.

Durch die Unterrichtseinheit zum Roman Agnes sollen die Schüler Literatur als Mittel der Wirklichkeitsvermittlung begreifen, indem die Themen, die in Bezug auf die dargestellte Gesellschaft und Lebenswelt in der Romanhandlung erarbeitet wurden, besprochen werden.

Indem ich am Beispiel dieses Romans den Schülern anhand unterschiedlicher Aspekte eine Art grundlegendes Handwerkszeug für den Umgang mit einem solchen Werk an die Hand gebe bzw. die Schüler sich dieses erarbeiten, lernen sie, mit altersgemäßen Texten der Gegenwartsliteratur umzugehen und erwerben Fertigkeiten im Umgang mit Werken der Hochliteratur.[36]

Hierfür sollen die Schüler beispielsweise durch die Hinterfragung der subjektiven Erzählperspektive und der Prüfung der Aussagen, die der Ich-Erzähler macht, von naiven Rezipienten bloßer Unterhaltungsliteratur zu reflektierten und kritischen Lesern erzogen werden und einen Blick für die typischen Merkmale anspruchsvoller Literatur entwickeln, wie die Mehrschichtigkeit, die unterschiedlichen Deutungsangebote, Motive, usw. Neben der Motivation der Schüler steht diese Hinführung der Schüler zu einer kritischen, sinnvollen Lektüre im Literaturunterricht an erster Stelle. Eine solch aufgeklärte Haltung überträgt sich natürlich immer auch auf andere Lebensbereiche und scheint mir daher für die persönliche Entwicklung äußerst wichtig zu sein.

Die Unterrichtseinheit soll die Schüler bei ihren Lesegewohnheiten abholen, weshalb ich für die Klasse als Einstieg in die Gegenwartsliteratur einen Roman ausgewählt habe, der vor allem durch die einfache, nüchterne Sprache, die sich stark an der gesprochenen Sprache orientiert, auffällt und der inhaltlich Themen berührt, die die Schüler auf ihre Lebenswelt beziehen können, wie beispielsweise die Auswirkungen der modernen Medien auf Kommunikation und Lebenskonzepte, aber auch die Fremdheit und das Leben innerhalb einer Großstadt und die Suche nach einem Ideal, nach dem man sein Leben ausrichten kann.[37]

Aus diesen Überlegungen ergab sich der Aufbau dieser Unterrichtseinheit, die zunächst eine Lesemotivation bieten soll, zugleich aber eine Sensibilisierung der Schüler für Themen und Motive des Romans, die auf unterschiedlichen Ebenen angesiedelt sind, anstrebt. Im Anschluss an die inhaltliche Auseinandersetzung mit der Romanhandlung, bei der unter anderem Charakter und Einstellung der Figuren besprochen werden sollen und bei der ich Wert darauf lege, dass die Schüler - im Sinne der im Bildungsplan verankerten personalen Kompetenz - lernen, sich in fremde Denkweisen hinein- und mit unterschiedlichen Weltanschauungen auseinanderzusetzen, sollen die formalen Besonderheiten des Romans näher betrachtet werden. Hierfür eignet sich meiner Meinung nach die Erzählperspektive am besten, da diese im Falle des Romans Agnes besonders stark auf den Inhalt Einfluss nimmt. Zum Abschluss der Unterrichtseinheit soll vor allem die Deutung des Romans unter Berücksichtigung der vielen Themen und Motive, die im Roman eine Rolle spielen, im Vordergrund stehen. Dabei ist es mir wichtig, den Schülern nie den Eindruck zu vermitteln, es gebe nur eine mögliche Deutung. Vielmehr sollen sie begreifen, dass es verschiedene Sichtweisen auf einen literarischen Text gibt, die durch eine gute Begründung legitimiert werden.

So wird zwar insgesamt am Inhalt des Romans gearbeitet, aber die Kenntnisse, die die Schüler erwerben, sind derart, dass sie auch auf andere Texte angewendet werden können. Nicht nur in der Gegenwartsliteratur ist es wichtig, Inhaltliches zu hinterfragen, sich mit dem Erzähler auseinanderzusetzen und Leitmotive eines Werkes zu analysieren, um so zu einer Lesart zu kommen.

1.3 METHODISCHE ANALYSE

Bei der Konzeption der Unterrichtseinheit zum Roman Agnes habe ich mich für ein sukzessives Vorgehen entschieden; der Text soll also nicht schon im Vorfeld von den Schülern gelesen und dann erst besprochen werden. Diese Entscheidung beruht auf unterschiedlichen Überlegungen. Zum einen ist es mir besonders wichtig, bei den Schülern ein Interesse am Roman zu wecken, wofür es sich meiner Meinung nach anbietet, das erste Kapitel zunächst gemeinsam zu lesen und sich im Anschluss daran im Plenum über den weiteren Verlauf und die Protagonisten Gedanken zu machen. Zum anderen halte ich es für sinnvoll, in einer Klasse, in der es einige Schüler gibt, die in ihrer Freizeit nicht sehr viel lesen, den Roman in kleineren Einheiten zu präsentieren, sodass diese Schüler nicht gleich die Motivation oder den Überblick verlieren. Außerdem bezwecke ich durch die gemeinsame Besprechung des ersten Kapitels eine Art Sensibilisierung der Schüler für die weitere Lektüre. Ein geübter Leser achtet automatisch auf auffällige Themen, Motive oder Erzählstile eines Textes, den Schülern sollte man meiner Meinung nach gerade bei der ersten Lektüre eines solchen zeitgenössischen Werks Hinweise geben, worauf man beim Lesen beispielsweise achten kann und wie mit solchen Besonderheiten eines Textes umzugehen ist.

Bei der thematischen Gliederung der Unterrichtseinheit in die einzelnen Unterrichtsstunden stand die Vermittlung einer gewissen ‚Grundausstattung’ im Vordergrund, die man für die erfolgreiche Lektüre eines Werks der Hochliteratur und natürlich insbesondere der zeitgenössischen Literatur benötigt.

So sollen die Schüler zunächst auf die Themen und Motive des Romans, von denen eine Fülle bereits im ersten Kapitel enthalten ist, aufmerksam gemacht und vor allem für deren mögliche Funktionen sensibilisiert werden, sodass eine gänzlich naive Lektüre des Romans bereits im Vorfeld ausgeschlossen wird, was für die spätere Interpretation natürlich grundlegend ist. In einem zweiten Schritt sollen die Protagonisten des Romans genauer betrachtet werden, deren Persönlichkeiten und Charaktereigenschaften die Handlung ja erst entstehen lassen. Die „individuelle Erfahrung des Einzelnen“[38] ist häufig Gegenstand zeitgenössischer Prosa. Hierbei sollen die Schüler ebenfalls eine kritische Haltung entwickeln, aus der heraus sie Beweggründe, Einstellungen und Aussagen hinterfragen und darüber hinausgehend Erklärungsversuche unternehmen und diese durch Textbelege begründen. Als Vertiefung soll sich daran die Besprechung der Todesthematik anschließen, die innerhalb des Romans einen großen Platz einnimmt. Die verschiedenen Haltungen der Figuren zu diesem Thema sowie die Konsequenzen, die sich daraus jeweils ergeben, sollen ermittelt und bewertet werden. Neben der Klärung der schwierigen Charaktere sollen die Schüler erkennen, dass Erzählen immer auch Sinn und Identität stiftet und in diesem Bereich Angebote macht.[39]

Im Anschluss daran erfolgt eine genauere Untersuchung des untypischen Romanaufbaus, der durch die eingearbeitete Geschichte entsteht, an der der Erzähler schreibt und die in gewisser Weise auch der Roman selbst darstellt. In diesem Zusammenhang sollen zunächst die Funktion und die Beschaffenheit dieses ‚Porträts’ besprochen werden und danach natürlich die Auswirkungen, die diese Geschichte auf die Protagonisten und deren Beziehung hat.

Gerade die Beziehung bzw. die Liebesgeschichte zwischen den Hauptfiguren interessiert die Schüler, vor allem da sie nicht einer typischen Liebesgeschichte entspricht, wie sie in der Trivialliteratur oder in den meisten Kinofilmen dargestellt würde. Daher halte ich es auch wichtig, diese Beziehung und die Gründe für deren Scheitern mit den Schülern zu analysieren. Zwangsläufig muss in diesem Zusammenhang die Sprache auf die Kommunikation kommen, da diese auf den unterschiedlichsten Ebenen scheitert. Zum einen findet sie oft überhaupt nicht statt, zum anderen verstehen sich die Protagonisten nicht, weil sie nicht auf den anderen eingehen oder diesen gar missverstehen. Für diese unterschiedlichen Ebenen sollen die Schüler Beispiele aus dem Text heranziehen und sich so damit aueinandersetzen. Thematisch kann an diese Problematik durch die Besprechung und Deutung der Fenster- und Kältesymbolik angeknüpft werden. Den späten Zeitpunkt für diesen Inhalt habe ich gewählt, weil diese Symboliken gerade vor dem jeweiligen Handlungszusammenhang, vor dem sie stehen, betrachtet werden müssen.

Besonders wichtig, aber auch erst vor der gesamten Handlung zu sehen, ist die nähere Betrachtung des Erzählers mit seiner Erzählhaltung und -perspektive. Auch hier ist es notwendig, dass die Schüler eine naive Lesehaltung ablegen und die Aussagen, die ihnen präsentiert werden, hinterfragen. Sie müssen begreifen, dass es typisch für einen Ich-Erzähler ist, dass dieser „nicht in sicherer und ironischer Distanz zum erzählten Geschehen [steht, sondern] vielmehr […] Betroffener [ist] und […] vorgeblich Sebsterlebtes“[40] berichtet. Aus diesem Grund muss man dem Anschein von Authentizität, den ein Ich-Erzähler stets vermittelt, kritisch gegenübertreten. Im Fall Agnes haben die Aussagen des Erzählers etwas von einer Apologie, woran die Schüler erkennen sollten, dass das Erzählen an sich als eine Art „sprachliches Handeln“[41] zu verstehen ist.

Um die Interpretation auf einer weiteren Ebene anzusiedeln, ist es mir wichtig, vor der abschließenden Stunde am Beispiel des Kristallgittergleichnisses die im Roman enthaltenene Gesellschaftskritik anzusprechen. Zudem üben sich die Schüler so noch einmal in der Deutung eines abstrakten Bildes, das sie auf verschiedene Aspekte des Romans beziehen und somit die Bildebene verlassen müssen.

Um die Unterrichtseinheit abzuschließen, habe ich mich dafür entschieden, die Schüler den Roman nocheinmal mit all seinen Besonderheiten als Ganzes betrachten zu lassen, wofür sich eine Analyse der Titelbilder anbietet. Einzelne Elemente der Bilder müssen gedeutet und auf den Roman selbst bezogen werden, sodass in dieser letzten Stunde im Grunde eine Widerholung alles bisher Erarbeiteten erfolgt, die durch die Methode der Bildanalyse allerdings erheblich an Redundanz verliert. Zudem können die Schüler in dieser Stunde überprüfen, inwieweit sie den Roman bereits durchdrungen haben und natürlich zeigt sich so auch für den Lehrer, ob die Einheit bei den einzelnen Schülern Erfolg hatte.

Bei der Konzeption der einzelnen Unterrichtsstunden war mir vor allem daran gelegen, einen Anknüpfungspunkt zu finden, der den Schülern angeboten werden kann. So dient beispielsweise ein Sonett, das auch innerhalb der Romanhandlung thematisiert wird, als Einstieg in die Besprechung der Todesthematik. In der vorangegangenen Unterrichtseinheit wurde die Lyrik des Barock behandelt, weshalb die Schüler sofort die typischen Merkmale eines solchen Gedichts benennen können. Aber auch thematisch möchte ich auf die Lebenswelt der Schüler Bezug nehmen, indem besonders auf die Themen eingegegangen werden soll, die die Schüler interessieren, wie beispielsweise die Liebesgeschichte, das Leben in der Großstadt, die Medienkritik etc. So wird den Schülern gleichzeitig auch die Aktualiät des Romans bewusst, wovon ich mir ebenfalls eine motivierende Wirkung erhoffe.

Bei der Auswahl der im Unterricht eingesetzten Methoden habe ich vor allem auf die Wünsche der Schüler, die diese im Rahmen der Umfrage geäußert haben, reagiert und einer punktuellen inhaltlichen Besprechung einzelner Stellen viel Raum gelassen. Außerdem gaben einige Schüler an, sie würden es schätzen, auch etwas Praktisches in Form eines szenischen Spiels angeboten bekommen, was ich ebenfalls berücksichtigte, indem ich mit der Methode ‚Hot Chair’ ein Rollenspiel zur Erarbeitung der Charaktere der Hauptpersonen einbaute. Weiterhin war es mir wichtig, mit Visualisierungen in Form von Bildern zu arbeiten und so vor allem in den Stundeneinstiegen bei den Schülern eine gewisse Motivation zu bewirken.

[...]


[1] vgl. Agnes S.9

[2] So behält Agnes, obwohl sie beim Erzähler einzieht, dennoch ihre Wohnung, so dass sie ihre Unabhängigkeit nie ganz aufgibt.

[3] Agnes S.11

[4] Agnes S.45

[5] Eis, Schnee, Kälte, frieren etc.

[6] Agnes S.43

[7] Agnes S.31

[8] Agnes S.139

[9] Agnes S.150

[10] Agnes S.151

[11] vgl. Genette S.9ff

[12] z.B. Shakespeares Sonett 18

[13] vgl. Agnes S.36; S.105 etc.

[14] vgl. Agnes S.38f; S.48

[15] vgl. Agnes S.107f

[16] Agnes, S.69

[17] vgl. hierzu auch die Schilderung der Kameraführung (Agnes S.9f)

[18] vgl. Agnes S.44f; S.69

[19] vgl. Leibniz S.2ff

[20] vgl. Staub 1999

[21] vgl. Agnes S.11

[22] vgl. Agnes S.84

[23] natürlich ist diese Begründung auch gleichzeitig Teil seiner Apologie

[24] vgl. Agnes S.62

[25] vgl. hierzu 2.4 ‘Erwartungshorizont für eine Hausaufgabe’

[26] vgl. Agnes S.56 u.a.

[27] vgl. Agnes S.56f

[28] vgl. Agnes S.135f

[29] vgl. Agnes S.56

[30] man erfährt nicht einmal seinen Namen

[31] vgl. Wucherpfennig S.324

[32] vgl. Grabes S.96

[33] Homberger S.437

[34] Jeßing & Köhnen S.134

[35] vgl. Dörfler S.21

[36] vgl. Bildungsplan 2004

[37] vgl. Hamm 1989

[38] Jeßing & Köhnen S.119

[39] vgl. Jeßing & Köhnen S.120

[40] Jeßing & Köhnen S.122

[41] Jeßing & Köhnen S.119

Ende der Leseprobe aus 51 Seiten

Details

Titel
Der Roman "Agnes" von Peter Stamm im Deutschunterricht
Untertitel
Ausführliche Unterrichtseinheit mit Materialien
Hochschule
Staatliches Seminar für Didaktik und Lehrerbildung Stuttgart, Abteilung Gymnasien
Note
1,0
Autor
Jahr
2010
Seiten
51
Katalognummer
V205131
ISBN (eBook)
9783656317241
ISBN (Buch)
9783656318569
Dateigröße
5338 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
roman, agnes, peter, stamm, deutschunterricht, ausführliche, unterrichtseinheit, materialien
Arbeit zitieren
Tatjana Titze (Autor:in), 2010, Der Roman "Agnes" von Peter Stamm im Deutschunterricht, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/205131

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