Multi-Channel-Strategien als strategische Herausforderung für den stationären Einzelhandel in Deutschland


Diplomarbeit, 2011

94 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Tabellenverzeichnis

1 Einleitung

2 Grundlagen des Multi-Channel-Handels
2.1 Der Begriff des Multi-Channel-Handels
2.2 Der Begriff des Einzelhandels
2.2.1 Stationärer Einzelhandel
2.2.2 Electronic Commerce
2.3 Der Begriff der Multi-Channel-Strategie

3 Internetinduzierte Veränderungen im stationären Einzelhandel
3.1 Einführende Betrachtung der Veränderungen
3.2 Unternehmensbezogene Veränderungen
3.2.1 Dynamik und Komplexität des Wettbewerbs
3.2.2 Entwicklungen der Wertschöpfungskette
3.2.3 Virtualisierung
3.3 Konsumentenbezogene Veränderungen
3.3.1 Multioptionales Konsumentenverhalten
3.3.2 Multi-Channel-Verhalten
3.4 Zusammenfassung

4 Herausforderungen des Multi-Channel-Handels
4.1 Ressourcenallokation
4.2 Koordination der Kanäle
4.2.1 Generierung von Synergien
4.2.2 Entstehung von Dissynergien

5 Beobachtbare Multi-Channel-Strategien im deutschen stationären Einzelhandel
5.1 Allgemeine Beschreibung der Vorgehensweise
5.2 Formen der organisatorischen Umsetzung
5.2.1 Kooperationen
5.2.2 Unternehmensübernahme
5.2.3 Eigenerstellung
5.3 Bereiche der Kanal-Koordination
5.3.1 Konsumentenorientierte Koordination
5.3.2 Interne Prozess- und Managementorganisation
5.4 Zusammenfassung

6 Erklärungsansätze zur Wahl einer geeigneten Multi-Channel-Strategie ...
6.1 Einführung
6.2 Integrierte Strategie
6.3 Alternative Lösungsansätze

7 Resümee

Anhang

Literaturverzeichnis

The winners will be those that view the Internet as a complement to, not a can-nibal of, traditional way of competing.“1

Michael E. Porter, 2001

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: Veränderungen des Konsumentenverhaltens im Zeitverlauf

Abbildung 2: Mögliches Zusammenspiel der Distributionskanäle im Rahmen des Transaktionsprozesses und sich daraus ergebenen Herausforderungen

Tabellenverzeichnis

Tabelle 1: Vergleich der Distributionskanäle des Multi-Channel-Handels anhand ausgewählter Merkmale (aus Konsumentensicht)

Tabelle 2: Übersicht Multi-Channel-Strategien ausgewählter stationärer Einzelhändler in Deutschland

1 Einleitung

Problemstellung

Mit der Entwicklung und der Diffusion der modernen Informations- und Kommunikationstechnologien, insbesondere der Internettechnologie, nimmt das Internet auf viele Bereiche des täglichen Lebens Einfluss. Diese Entwicklung brachte neue Industriezweige hervor, veränderte bestehende Industriestrukturen und beeinflusste die Geschäftstätigkeit von Unternehmen. In einem von Dynamik und Wandel gezeichneten Wettbewerbsumfeld hat sich darüber hinaus das Konsumentenverhalten verändert und angepasst.

Das Internet stellt heutzutage aus Konsumentensicht neben einem innovativen und modernen Kommunikations- und Informationsmedium ebenfalls eine zu- nehmend attraktiver werdende Einkaufsmöglichkeit dar. Konsumenten nutzen das Internet dabei nicht nur um Waren zu erwerben, sondern neigen zu einem multioptionalen Verhalten, indem sie im Rahmen des Kaufentscheidungspro- zesses die jeweiligen Vorteile eines stationären und internetbasierten Distributi- onskanals miteinander kombinieren. Stationäre Einzelhändler, die sich den in- ternetinduzierten Veränderungen des Konsumentenverhaltens anpassen und gleichzeitig als Multi-Channel-Händler in mehreren Distributionskanälen - im stationären Handel sowie im Internethandel - aktiv sind, können somit gegen- über traditionellen stationären Einzelhändlern einen Vorteil realisieren.

Daher stellt sich nicht mehr die grundsätzliche Frage, ob das Internet in die strategischen Überlegungen eines stationären Einzelhändlers einbezogen wer- den sollte, sondern vielmehr, wie das Internet als ein strategisches Komplement in die allgemeine Unternehmensstrategie und -struktur wertstiftend eingebun- den werden kann. Stationäre Einzelhändler stehen vor der Herausforderung eine geeignete Multi-Channel-Strategie und somit einen praktikablen Weg der Koordination des stationären und des internetbasierten Distributionskanals zu finden. Diese Strategieentwicklung der Einzelhändler geschieht durch das Ab- wägen potentieller Synergien einer mehrkanaligen Strategie gegen möglicher- weise entstehende nachteilige Effekte (Dissynergien). Während viele große Einzelhandelsketten, wie beispielsweise Saturn, REWE oder OBI, noch vor ei-nigen Jahren Multi-Channel-Strategien sehr zurückhaltend und abwartend ge-genübertraten, werden sie nun unter Anwendung unterschiedlicher Strategien zunehmend im Multi-Channel-Handel aktiv.

Zielsetzung und Aufbau der Arbeit

Im Fokus dieser Arbeit steht demnach die Frage nach Erklärungsansätzen einer optimalen Ausgestaltung einer Multi-Channel-Strategie. Anhand von Beobach- tungen im deutschen stationären Einzelhandel werden Strategiedimensionen identifiziert sowie klassifiziert. Im Rahmen derer finden Praxisbeispiele aus ver- schiedenen Branchen des stationären Einzelhandels, u. a. dem Elektronikein- zelhandel, dem Lebensmitteleinzelhandel sowie Baumärkten Erwähnung.

Zunächst wird dabei in Kapitel 2 auf die Grundlagen des Multi-Channel-Handels sowie auf eine Einordnung der Begrifflichkeit in den Gesamtkontext eingegan- gen. Aufgrund einer hohen Vielfalt unterschiedlicher Begrifflichkeiten und Defini- tionen in Bezug auf die behandelte Thematik wird eine klare Abgrenzung des Multi-Channel-Handels als Kombination des stationären Handels mit dem Inter- nethandel zu anderen mehrkanaligen Distributionssystemen vorgenommen. In Kapitel 3 wird durch das Aufzeigen internetinduzierter Veränderungen der Wettbewerbsbedingungen die Relevanz eines kombinierten Handels aus statio- närem und internetbasiertem Distributionskanal untersucht und bestätigt. Da- raufhin wird in Kapitel 4 auf entstehende Herausforderungen im Rahmen der Umsetzung einer Multi-Channel-Strategie eingegangen. In Kapitel 5 werden Strategieformen stationärer Einzelhändler in Deutschland analytisch betrachtet und im Rahmen dessen auf verschiedene Strategiedimensionen eingegangen. Abschließend und unter Berücksichtigung der im Verlauf dieser Arbeit ermittel- ten Erkenntnisse, wird in Kapitel 6 auf mögliche Erklärungsansätze einer opti- malen Multi-Channel-Strategie im Rahmen des Einzelhandels eingegangen.

Ergänzt werden die aus der Literatur gewonnenen Erkenntnisse durch zwei im Rahmen dieser Arbeit durchgeführten Interviews. Interviewpartner waren der Kommunikations- und Markenexperten Herr Löffler sowie der Experte für Internetanwendungen und E-Commerce Herr Eickmann. Auf diese Weise wurde der derzeitigen Aktualität und Dynamik von Multi-Channel-Strategien in der Praxis durch aktuelle Expertenmeinungen Rechnung getragen.

2 Grundlagen des Multi-Channel-Handels

Für ein umfassendes Verständnis des Multi-Channel-Handels bzw. der MultiChannel-Strategien sind im Folgenden alle relevanten Teilbereiche der Untersuchung näher zu erläutern sowie abzugrenzen.

2.1 Der Begriff des Multi-Channel-Handels

Gegenwärtig findet der Begriff des Multi-Channel-Handels zunehmend Anwendung um Strategien von Handelsunternehmen zu beschreiben, die sowohl über traditionelle stationäre Geschäfte als auch über das Internet Waren oder Dienstleistungen verkaufen. Aufgrund einer existierenden Begriffsvielfalt und unterschiedlichen Definitionsauffassungen ist es notwendig, den Begriff des MultiChannel-Handels klar abzugrenzen und zu definieren.

Die Begriffe „Mehrkanalhandel“, „Mehrkanalsystem“, „Mehrwegesystem“ oder „Multiple-Channel-System“, welche teilweise synonym verwendet werden, be- zeichnen allgemein die Verwendung mehrerer Kanälen, liefern jedoch zunächst keine Informationen über mögliche kanalspezifische Funktionen. Die Begriffe „Multiple Channel Distribution“2, „multiple Distribution“3 oder „hybrides Distribu- tionssystem“ spezifizieren den Begriff dagegen näher, indem sie die Distributi- onsfunktion der Kanäle hervorheben. Andere Begriffe wie beispielweise „Multi- Channel-Marketing“ oder „hybrides Marketingsystem“ legen einen marketingori- entierten Bezug nahe. Der Begriff des Multi-Channel-Handels, im angelsächsi- schen Raum als „Multi-Channel-Retailing“4 bezeichnet, lässt dagegen einen Schwerpunkt auf den Einzelhandel erkennen, ohne jedoch die Art der Distribu- tionskanäle zu spezifizieren.5

Der Begriff „ Channel “

Demzufolge muss näher auf den Begriff „Channel“ (deutsch: Kanal) eingegan- gen werden. Der Begriff stammt ebenfalls aus dem angelsächsischen Sprach- raum und wird häufig als Synonym für „Marketing Channel“ (deutsch: Marke-tingkanal) verwendet sowie als „set of interdependent organizations involved in the process of making a product or service available for use or consumption“6 definiert. Daraus geht hervor, dass es sich weniger um eine statische Funktion als um einen Transaktionsprozess handelt, der sowohl eine kommunikative als auch eine absatzorientierte Komponente impliziert. Im Mittelpunkt des Prozes- ses steht die Befriedigung von Konsumentenbedürfnissen, welche sich entlang dieses Transaktionsprozesses, auch als Kaufentscheidungsprozess bezeichnet, konzentriert.7

Im Rahmen dieser Arbeit wird der Transaktionsprozess in drei Stufen unterglie- dert - eine „Pre-Sales“-, „Sales“- sowie „After-Sales“-Phase.8 Unter die „Pre- Sales“-Phase fallen jegliche Prozesse, die sich im Vorfeld einer Transaktion (z.B. Produktkauf) auf Konsumentenseite ereignen. Dazu gehören unter ande- rem eine Informationssuche, eine Kaufanbahnung sowie ein Kaufimpuls.9 Die eigentliche Transaktionsabwicklung findet in der „Sales“-Phase statt, während unter dem Begriff der „After-Sales“-Phase alle Prozesse zusammengefasst werden, die sich im Anschluss einer Transaktion ereignen können (z.B. Retou- ren oder Reparaturservice). Ein Kanal dient dementsprechend sowohl der Kommunikation als auch der Distribution entlang der beschriebenen Transakti- onsstufen. Besonders während der „Pre-Sales“- und der „After-Sales“-Phase spielt der Kommunikationskanal eine bedeutende Rolle, da hinter einem sol- chen Kanal jeder mögliche Berührungs- und Kontaktpunkt vor und nach einer Transaktion stehen kann. Hingegen unterstützt der Distributionskanal die „Sa- les-Phase“ eines Transaktionsprozesses, wendet sich jedoch gleichzeitig auch an die vor- und nachgelagerten Transaktionsstufen. Ein Distributionskanal de- terminiert dabei die Art und Weise der Bereitstellung von Produkten bzw. Dienstleistungen sowie die Prozessabwicklung im Rahmen der Transaktions- abwicklung. Folglich übernimmt ein Distributionskanal auch Funktionen eines Kommunikationskanals, sodass unter der Bezeichnung Distributionskanal beide Funktionen zusammengefasst werden können.10 Im Verlauf der vorliegenden Arbeit wird dieser Auffassung gefolgt. Der Begriff „Channel“ wird aus diesem Grund auch als Distributionskanal definiert, der neben kommunikativen auch distributive Aufgaben übernimmt.

Des Weiteren unterstreicht das Präfix „Multi-“ in der Bezeichnung Multi- Channel-Handel eine Verwendung mehrerer Kanäle (mindestens zwei), lässt jedoch zunächst keine Rückschlüsse auf die Art der Distributionskanäle sowie auf mögliche Wirkungszusammenhänge zwischen den einzelnen Kanäle zu.11 Einige Autoren folgen einer weiter gefassten Definition des Multi-Channel- Handels.12 Andere Autoren verwenden hingegen eine enger gefassten Definiti- on und verstehen unter Multi-Channel-Handel eine Kombination aus einem Dis- tributionskanal des stationären Einzelhandels und des Electronic Commerce.13 Die im Englischen verbreiteten Bezeichnungen „clicks-and-mortar“14, „bricks- and-clicks“15 sowie „cyber-enhanced retailing“16 heben eben diese hybride Struktur aus stationärem Einzelhandel (im Englischen ausgedrückt durch „mort- ar“ bzw. „bricks“) und dem E-Commerce („clicks“) eindeutig hervor.17 Stationäre Einzelhändler, die eine Multi-Channel-Strategie in dem oben beschriebenen engeren Sinne verfolgen, werden demnach als Multi-Channel-Händler bzw. „clicks-and-mortar retailer“18 bezeichnet.

Die vorliegende Arbeit folgt der enger gefassten Begriffsdefinition des MultiChannel-Handels und versteht ihn als Kombination eines physischen, stationären Kanals mit einem internetbasierten Kanal.

2.2 Der Begriff des Einzelhandels

Während im vorangegangenen Abschnitt bereits auf die Art der Distributionskanäle eingegangen wurde, werden nun der Einzelhandel im Allgemeinen und anschließend der stationäre Handel und der Electronic Commerce im Speziellen näher definiert. Hierzu wird jedoch zunächst auf den Begriff des Handels eingegangen, der zum einen im funktionalen Sinne, zum anderen im institutionellen Sinne beschrieben und definiert wird19:

Im funktionalen Sinne wird Handel als eigene wirtschaftliche Tätigkeit neben der Produktion und Konsumtion bezeichnet.20 Während sich im Handel eine Leis- tungserbringung sowohl auf einer materiellen als auch immateriellen Ebene ab- spielt, steht bei Industrieunternehmen bzw. dem produzierenden Gewerbe le- diglich die materielle Leistungserstellung im Vordergrund.21 Die Funktion, die der Handel im Wesentlichen übernimmt, besteht in der „[...] Überbrückung von räumlichen, zeitlichen, quantitativen, qualitativen, kapitalmäßigen und kommu- nikativen „Spannungen“, die zwischen Produktion und Konsumtion auftreten.“22 Die Überwindung dieser Spannungen wird dadurch gelöst, dass der Handel Sachgüter mit handelsspezifischen Dienstleistungen, wie beispielsweise der Bereitstellung spezieller Serviceleistungen, verknüpft und so der Verwendungs- reife näher bringt.23

Der Begriff Handel im institutionellen Sinne bezieht sich auf den Träger der Handelsleistung. Somit gelten Institutionen, die hauptsächlich Handel im funkti- onellen Sinne betreiben, als Handelsunternehmen bzw. Handelsbetriebe.24

Im Weiteren lässt sich der Handel im funktionalen Sinne in verschiedene Betriebsformen untergliedern.25 Unter einer Betriebsform ist dabei das Erscheinungsbild eines Handelsbetriebes zu bezeichnen, worunter all diejenigen Betriebe zusammengefasst werden, die sich aufgrund ihrer absatzpolitischen Instrumente (Marketing-Instrumente) größtenteils gleichen.26

In der Regel werden die Betriebsformen zwischen zwei und mehr Kategorien unterschieden. Die Autoren Müller-Hagedorn & Natter (2011) differenzieren etwa einerseits zwischen dem Großhandel und der Handelsvertretung sowie dem Einzelhandel anderseits.27 Der Einzelhandel grenzt sich insofern von den anderen Bereichen ab, als dass größtenteils Waren oder Dienstleistungen an private Endverbraucher bzw. Konsumenten verkauft werden.28 Diese Arbeit wird sich ausschließlich auf den Bereich des Einzelhandels und den an den Konsumenten gerichteten Absatz konzentrieren.

Der Einzelhandel wiederum lässt sich in drei Unterformen einteilen: den stationären Handel, den nicht-stationären Handel und den halbstationären Handel.29 Anstelle des nicht-stationären Handels wird auch häufig der Begriff Versandhandel verwendet.30

2.2.1 Stationärer Einzelhandel

Im Fokus der Betrachtung dieser Arbeit steht der stationäre Einzelhandel, der wie zuvor beschrieben, eine Unterform des Einzelhandels darstellt. Der statio- näre Handel wird im Allgemeinen dadurch charakterisiert, dass dieser im Ge- gensatz zum nicht-stationären bzw. Versandhandel über physische Geschäfts- lokale sowie einen direkten persönlichen Kontakt mit den Konsumenten ver- fügt.31 Im Laufe der Zeit haben sich eine Vielzahl von Betriebstypen innerhalb des stationären Handels herausgebildet, die sich in Bezug auf ihre Ausprägung (z.B. Größe und Art der Einkaufsstätten, Auswahl des Sortiments, etc.) unter- scheiden.32 Darunter zählen beispielsweise Fachgeschäfte, Supermärkte, Dis- counter, SB-Warenhäuser sowie Kaufhäuser.

2.2.2 Electronic Commerce

„ Defining electronic commerce is not a simple as it sounds, because electronic commerce is a fast moving target. The definition is ever-changing and expanding to include more and more sectors oft the economy, as the influence of electronic communications extends. “ 33

Im Zuge der Betrachtung des Multi-Channel-Handels sowie der Multi-Channel- Strategien stellt der Electronic Commerce (im Folgenden E-Commerce ge- nannt) neben dem stationären Einzelhandel den entscheidenden Teilbereich einer mehrkanaligen Distribution dar. In der Literatur und Praxis existieren un- terschiedliche Begriffsverwendungen und Definitionsansätze bezüglich eines Distributionskanals im Internet. So werden häufig „Internethandel“, „Onlinehan- del“ sowie „Electronic Commerce“ synonym verwendet.34 Aufgrund des dynami- schen Wandels des Internets sowie jeglichen daraus folgenden Verwendungen und Funktionen kann von einem fortlaufenden Entwicklungsprozess gespro- chen werden.35 In der Literatur existieren daher sowohl enger als auch weiter gefasste Definitionsansätze für den E-Commerce:36

In einem weiter gefassten Definitionsansatz schließt der E-Commerce „[...] jede Art der geschäftlichen Tätigkeit auf Basis elektronischer Verbindungen [...]“37 ein. Gemäß dieser Definition erstreckt sich der E-Commerce sowohl auf elekt- ronische Märkte, elektronische Hierarchien als auch elektronisch unterstützte Unternehmenskooperationen bzw. -netzwerke.38 Häufig wird in diesem Zusam- menhang auch der Begriff „Electronic Business“ (deutsch: Elektronischer Ge- schäftsverkehr) verwendet.39

Der E-Commerce stellt im engeren Sinne einen markt- und handelsbezogenen Begriff dar und kann mit dem Austausch von wirtschaftlichen Gütern (z.B. Pro- dukte oder Dienstleistungen) zwischen mehreren Wirtschaftssubjekten (z.B. Unternehmen und Konsumenten) unter Zuhilfenahme elektronischer Netzwerke gleichgesetzt werden.40 Elektronische Netzwerke existieren insbesondere in Form des Internets sowie über Telefon, Fax oder interaktives Fernsehen.41 Zu- sätzlich zu der reinen Umsetzung einer Transaktion, dem Bestell- und Bezahl- vorgang, beinhaltet der E-Commerce außerdem die Bereitstellung von Informa- tionen sowie einen Kundenservice.42 Neben der reinen Distributionsfunktion fungiert der E-Commerce somit auch als Informations- bzw. Kommunikations- medium und dient im Rahmen der Transaktionsphasen unterschiedlichen Auf- gaben und Funktionen (z.B. Informationsbeschaffung). In diesem Zusammen- hang wird gesondert von Online- bzw. Internet-Shopping gesprochen, wenn konkret das Internet zu Zwecken einer Transaktionsunterstützung oder - abwicklung verwendet wird.

Die vorliegende Arbeit folgt dem Begriffsverständnis des E-Commerce im engeren Sinne.43 Im Weiteren finden die Formen des E-Commerce, die nicht der technischen Grundlage des Internet unterliegen, in dieser Arbeit keine weitere Beachtung. Im Folgenden werden deshalb Internet-Shopping und Internethandel synonym zum E-Commerce verwendet.

Ausprägungsformen des E-Commerce

Neben dem reinen Begriffsverständnis und einer Begriffsabgrenzung des E- Commerce ist ebenfalls die Aufschlüsselung in verschiedene Eigenschaften und Ausprägungen von Bedeutung. Demnach existieren abhängig von dem Grad einer Digitalisierung verschiedene Formen des E-Commerce.44 Im Rah- men dessen können Produkte oder Dienstleistungen, einzelne Prozesse sowie die Distribution sowohl in einer physischen als auch in einer digitalen Ausprä- gung vorliegen. Eine Extremform stellt dabei der reine E-Commerce dar, bei dem das Produkt bzw. die Dienstleistung, die Prozessabwicklung sowie die Dis- tribution an den Konsumenten in digitaler Form oder auf elektronischem Weg erfolgen.45 Sobald digitale und physische Dimensionen kombiniert werden, wird auch von partiellem E-Commerce gesprochen.46 Dieser liegt beispielsweise dann vor, wenn ein Konsument ein Produkt (z.B. ein Buch) über das Internet bestellt und dieses durch einen (externen) Logistikdienstleister an den Konsumenten ausgeliefert wird. Der Multi-Channel-Handel kann diesbezüglich als eine Ausprägungsform des partiellen E-Commerce angesehen werden, da sowohl digitale als auch physische Prozesselemente, Produkte, Dienstleistungen oder Distributionsformen miteinander kombiniert werden können.

2.3 Der Begriff der Multi-Channel-Strategie

Nach der Definition des Multi-Channel-Handels und seiner Teilbereiche wird im folgenden Abschnitt auf den Begriff der Multi-Channel-Strategien und deren Bedeutung im Rahmen der vorliegenden Arbeit eingegangen.

Der Multi-Channel-Handel wird zunächst als eine Strategie von stationären Ein- zelhändlern definiert, die neben einem traditionellen physischen Distributions- kanal einen zusätzlichen Distributionskanal in Form eines Internetshops einfüh- ren.47 Diese Strategie muss insofern von anderen Strategieformen abgegrenzt werden, als sowohl Internethändler, Versandhändler sowie weitere Betriebsfor- men des Einzelhandels theoretisch eine Kombination aus stationärem Handel und Internethandel im Rahmen einer differenzierten Distributionsstrategie ver- folgen können.

Im Rahmen der vorliegenden Arbeit stellt der Multi-Channel-Handel den Gestaltungsbereich der Multi-Channel-Strategien dar.48 Im Fokus der Betrachtung steht neben der organisatorischen Umsetzung, auch die Koordination der Kanäle sowie die inhaltliche Ausgestaltung von Multi-Channel-Strategien.49

3 Internetinduzierte Veränderungen im stationären Einzel-handel

„Fostered by these technologies, the growth of electronic markets is continuing to have a dramatic impact on the nature of competition, forms of organizing business, and the behaviors of buyers and sellers in both consumer and business markets.“50

3.1 Einführende Betrachtung der Veränderungen

Internetnutzung und -verhalten

Die zunehmende Verbreitung und Nutzung des Internets steht in engem Zu- sammenhang mit den Veränderungen des Konsumentenverhaltens sowie dem Wettbewerbsverhalten der Unternehmen im stationären Einzelhandel in Deutschland.

In den vergangenen zehn Jahren ist die Anzahl der Internetnutzer um knapp das Doppelte gestiegen - von ca. 38 % auf knapp 74 % der deutschen Bevölke- rung.51 Der Anteil der Haushalte, die im Jahr 2010 über einen festen Internetzu- gang verfügten, betrug 77 %.52 Deutschland ist demnach mit rund 52 Millionen Internetnutzern der größte Internetmarkt in Europa. Zudem hat sich die demo- graphische Struktur der Internetnutzer im Verlauf der letzten Jahre der allge- meinen demografischen Struktur Deutschlands weiter angenähert.53 Das Inter- net ist zwar im Vergleich zu anderen Medien, wie beispielweise dem Fernsehen oder den Printmedien, ein vergleichsweise junges Medium, jedoch steigt der Anteil der älteren Bevölkerungsschichten, die die Möglichkeiten des Internets entdecken und seine Anwendung erlernen, stetig an. Besonders stark wuchs in den letzten Jahren die Anzahl der Internetnutzer mittleren Alters (40 bis 59 Jah- re) sowie den älteren Bevölkerungsschichten (ab 60 Jahre).54 Insgesamt zeigt der Verlauf der Entwicklung, dass der Einfluss und die Bedeutung des Internets für die gesamte deutsche Bevölkerung erheblich angestiegen ist und auch in Zukunft weiter wachsen wird. Mit der zunehmenden Diffusion und Nutzung des Internets erhöht sich gleichzeitig auch der Einfluss des Internets auf Einzelhan-delstransaktionen, was bedeutet, dass die Konsumenten das Internet verstärkt im Rahmen des Kaufentscheidungsprozesses nutzen.55 Dies zeigt sich zum einen durch Veränderungen des Informationsverhaltens der Konsumenten, zum anderen durch die verstärkte Nutzung des Internets als Distributionskanal. Die Anzahl der Konsumenten, die im Internet Waren oder Dienstleistungen kaufen, ist ebenso wie die Umsatzentwicklung des E-Commerce in den letzten Jahren kontinuierlich gestiegen.56

Einfluss des Internets auf wettbewerbstheoretische Modelle

Die Informations- und Kommunikationstechnologien57 haben alle bisher aufge- stellten ökonomischen Regeln und Gesetze fundamental beeinflusst und jede Art von wirtschaftlichen Aktivitäten durchdrungen.58 So haben sich in der Ver- gangenheit vermehrt Autoren und Wissenschaftler mit dem Einfluss der Inter- nets auf das allgemeine Wettbewerbsumfeld beschäftigt. Downes & Mui (1998) ergänzen etwa das „Modell der fünf Wettbewerbskräfte“, auch „five-forces framework“59 genannt, nach Porter (1979) um drei neue Treiber bzw. Kräfte der Digitalisierung, der Globalisierung sowie der Deregulierung, die im Zuge der Entwicklung der IKT die Wettbewerbsbedingungen nachhaltig verändert haben sollen.60 Dagegen führt Porter (2001) eine Analyse des Einflusses des Internets anhand des von ihm entwickelten Wettbewerbsmodells durch, ohne dabei einer Ergänzung des Modells um weitere Treiber vorzunehmen.61 Der Beitrag in Wirtz (2001) sowie eine Weiterführung in Wirtz (2010) beschreiben die internetindu- zierten Veränderungen auf das Unternehmensumfeld anhand von vier zentralen Entwicklungen („4 Forces“62 ). Die Beiträge stellen deutlich die durch das Inter- net hervorgerufenen Veränderungen auf die allgemeinen Markt- und Wettbe- werbsbedingungen hervor. Im Folgenden werden die internetinduzierten Verän- derungen aus Unternehmens- sowie Konsumentenperspektive identifiziert.

3.2 Unternehmensbezogene Veränderungen

Aus Unternehmenssicht zählen eine zunehmende Dynamik und Komplexität des Wettbewerbs, eine Veränderung der Wertschöpfungskette sowie die Virtua- lisierung zu den wichtigsten Ausprägungen der internetinduzierten Veränderun- gen.63

3.2.1 Dynamik und Komplexität des Wettbewerbs

Markt- und Preistransparenz

Im Vergleich zu traditionellen Märkten führen die besonderen Eigenschaften des Internets zu einer verstärkten Transparenz des Marktes und einem Abbau von Informationsasymmetrien.64 In der Literatur wird auch von einem sogenann- ten „Friktionsabbau“65 gesprochen, der hauptsächlich durch die hohe Verfüg- barkeit von Informationen im Internet ausgelöst wird.66 Friktionen bezeichnen dabei Faktoren, die den Wechsel zwischen verschiedenen Anbietern erschwe- ren und den Nachfrager, aufgrund von potentiellen Such- und Wechselkosten, an einen speziellen Anbieter binden.67 Das Internet bietet durch den freien und ortsunabhängigen Zugang zu Informationen verbesserte Vergleichsmöglichkei- ten sowie eine größere Übersicht über Produktsortimente, Preise und Anbie- ter.68 Dies führt zu einer steigenden Transparenz und zum Abbau von Informa- tionsasymmetrien, was eine Verschiebung der allgemeinen Verhandlungsmacht zugunsten der Konsumenten zur Folge hat.69

Abbau von Markteintrittsbarrieren

Unter Markteintrittsbarrieren werden Faktoren verstanden, die potentielle neue Akteure von einem Markteintritt abhalten.70 Dies können sowohl strukturelle, strategische als auch institutionelle Barrieren sein.71

Mit dem Einsatz des Internets ist neben der zunehmenden Markt- und Preis-transparenz ein Abbau von Markteintrittsbarrieren und Markteintrittskosten verbunden, was dazu führt, dass neue Akteure bzw. Konkurrenten in den Markt eintreten.72 Die internetinduzierten Veränderungen bewirken besonders die Reduzierung der finanziellen und technologischen Hindernisse eines Markteintritts und beeinflussen somit den Bereich der strukturellen Barrieren.73 So stellt die Eröffnung eines Online-Shops oder die Einrichtung einer virtuellen Internetpräsenz für Unternehmen aus technologischer Sicht ein vergleichsweise geringes Problem dar und ist im Kontrast zu der Errichtung eines physischen Geschäfts mit reduzierten Kosten und Risiken verbunden.74

Verschiebung von Branchengrenzen

Des Weiteren eröffnen die Digitalisierung, Ubiquität und weltweite Vernetzung des Internets neue organisatorische Möglichkeiten und führen zu entscheiden- den Verschiebungen von Branchengrenzen und Geschäftsfeldern.75 Sowohl traditionelle stationäre Unternehmen als auch reine Internethändler nutzen die Möglichkeiten des Internets und weiten ihren Wirkungsbereich und ihr Leis- tungsangebot aus.76 Dies kann beispielweise eine Erweiterung der Kundenan- sprache von einem regionalen zu einem nationalen Markt bedeuten. Außerdem äußert sich eine Erweiterung des Leistungsspektrums darin, dass Unterneh- men, über ihr eigentliches Kerngeschäft hinaus, im Internet ein erweitertes diffe- renziertes Leistungs- und Produktspektrum anbieten.77 Nationale und internati- onale Unternehmen sowie Unternehmen, deren eigentlicher Ursprung in ande- ren Branchen liegt, treten so in Konkurrenz zueinander. Dadurch steigt die An- zahl der am Markt agierenden und konkurrierenden Unternehmen und führt zur Verschiebung der traditionellen Markt- und Branchengrenzen.78

Insgesamt führen sowohl die zunehmende Markt- und Preistransparenz, der Abbau von Markteintrittsbarrieren als auch die Verschiebung und die Aufwei-chung von Branchengrenzen zu einer Zunahme der Wettbewerbsdynamik und Komplexität der Wettbewerbsbedingungen.79

3.2.2 Entwicklungen der Wertschöpfungskette

„The ubiquity of the Internet - the fact that anyone can link to anyone else - makes it potentially possible for a participant in the value chain to usurp the role of any other participant.“80

Die Entwicklung und Diffusion der Internets hat grundlegende Veränderungen in der wirtschaftlichen Organisation und Gestaltung der Wertschöpfungskette von Produkten und Dienstleistungen hervorgerufen. Gleichzeitig wurde die Interme- diärsfunktion des Handels verändert.81 Bereits in früheren Betrachtungen des Einflusses innovativer Informationstechnologien auf die Organisationsstruktur von Märkten und Unternehmen, gingen Autoren und Wissenschaftler von einer anhaltenden Transformation der Wertkette82, induziert durch die technologische Entwicklung, aus.83 Nach Williamson (1981), neben Ronald Coase84 einer der wichtigsten Vertreter der Transaktionskostentheorie, gibt es zwei grundlegende Mechanismen, wonach Transaktionsabwicklungen in der Wirtschaft organisiert sind.85 Demnach stellen die interne Abwicklung über eine hierarchische Struktur sowie die Abwicklung über den Markt zwei Extreme eines Kontinuums dar.86 Sowohl bei der Herstellung eines Gutes als auch bei der späteren Abwicklung des Austausches des Gutes zwischen den verschiedenen Transaktionspartnern entstehen zwei Arten von Kosten: Produktionskosten und Koordinationskos- ten.87 Durch die Wahl einer entsprechenden Organisationsstruktur entstehen unterschiedlich hohe Kosten, wobei Unternehmen genau die Struktur wählen, die für sie die geringsten Transaktionskosten verursacht.88 Die Verwendung des Internets bzw. moderner IKT reduziert die Transaktionskosten für Hersteller und Konsumenten.89 Durch den einfachen Zugang und freien Fluss der Informationen reduzieren sich beispielsweise die Suchkosten der Konsumenten nach einem geeigneten Produkt oder Anbieter.90 Außerdem wird durch den Einsatz des Internets die Kommunikation zwischen den Transaktionspartnern erheblich erleichtert und verbessert, was zu einer entscheidenden Veränderung der Organisations-, Kommunikations- und Marktstrukturen führt.91

Der Einzelhandel spielt als Intermediär in den traditionellen Märkten eine zent- rale Rolle.92 Als Intermediär wird dabei die Funktion bezeichnet, die ein Einzel- handelsunternehmen bei der Vermittlung und beim Austausch zwischen Her- steller und Konsument übernimmt und gleichzeitig die von Konsumenten ge- stellten Anforderungen befriedigt.93 Durch die Möglichkeit der direkten Verlin- kung und Kommunikation zwischen Herstellern und Nachfragern im Zuge der Entwicklung der IKT sowie der Diffusion des Internets hat sich die traditionelle Intermediärsfunktion gewandelt.94 Diese Veränderungen werden in der Literatur durch die Begriffe Disintermediation, Cybermediation sowie Reintermediation beschrieben.95

Disintermediation

Disintermediation bezeichnet die Ausschaltung bzw. Umgehung von Wert- schöpfungsstufen durch die Möglichkeit der direkten Verbindung von Herstel- lern und Nachfragern, im Zuge der Anwendung der Internet-Technologie.96 Auf diese Weise reduzieren sich die Koordinations- bzw. Transaktionskosten auf Seiten der Hersteller sowie der Nachfrager, wodurch der Handel als traditionel- ler Intermediär an Bedeutung verliert.97 Die Hersteller können auf diese Weise höhere Gewinnmargen erzielen und sammeln durch die direkte Interaktion mit den Konsumenten wichtige Erkenntnisse bezüglich zukünftiger Markt- und Kon-sumentenanforderungen.98 Die originären Aufgaben des Handels werden zu-nehmend direkt von den Herstellern sowie spezialisierten Anbietern übernommen.99 Zu spezialisierten Anbieter zählen beispielsweise Logistikdienstleister, die die physische Distribution von Produkten zum Endverbraucher ausführen. In diesem Zusammenhang wird auch von einer Entbündelung der Handelsfunktionen („Unbundeling of channel functions“100 ) gesprochen.101 Es ist daher zu konstatieren, dass sich die Machtposition des Handels im Allgemeinen zugunsten der Hersteller und einem Direktvertrieb verschiebt.102

Cybermediation

In Folge des Bedeutungsverlusts der traditionellen Intermediäre, wie beispiels- weise des Handels, hat sich eine neue Form der Intermediation - die soge- nannte Cybermediation - entwickelt.103 Als Cybermediäre werden Unternehmen bezeichnet, die die Möglichkeiten des Internets nutzen, um neue Geschäftsmo- delle aufzubauen und innovative Mittlerleistungen anzubieten.104 Dies können sowohl rein internetbasierte Einzelhändler sein (engere Begriffsauslegung), als auch solche Intermediäre, die das Internet zusätzlich nutzen um ausgewählte vor- und nachgelagerte Verkaufsprozesse (weitere Begriffsauslegung) anzubie- ten und zu unterstützen.105 Dies kann die Bereitstellung von Informationen, die Abbildung des Produkt- und Leistungsangebotes sowie serviceunterstützende Leistungen im Internet beinhalten. Darunter zählen unter anderem Preissuch- machinen, Online-Communities oder Online-Auktionshäuser.

Reintermediation

Neben der Disintermediation und Cybermediation tritt zusätzlich der Effekt der Reintermediation auf.106 Dieser beschreibt das Angebot von Online-Aktivitäten durch Intermediäre, deren Ursprung eigentlich in den traditionellen Distributi- onskanälen liegt.107 Die traditionellen Intermediäre sehen auf diese Weise die Möglichkeit sich der Veränderung und der Bedrohung durch das Internet zu stellen und eine zusätzliche Art der Differenzierung zu realisieren.108 Die Verfolgung von Multi-Channel-Strategien stationärer Einzelhändler kann als Form der Reintermediation verstanden werden.109

Es ist außerdem davon auszugehen, dass die strukturellen Veränderungen nicht in einer einzigen Entwicklung auftreten, sondern sich eine Dynamik aus dem gleichzeitigen Auftreten von Disintermediation, Reintermediation sowie Cybermediation ergibt.110 Aus dem Zustand veränderter Markt- und Wettbe- werbsbedingungen lässt sich eine unmittelbare Relevanz für Multi-Channel- Strategien ableiten, die sowohl als Reaktion als auch als Weiterentwicklung des Einzelhandels auf eine zunehmende Dynamik und Komplexität zu verstehen ist.111

3.2.3 Virtualisierung

Die zunehmende Virtualisierung von Unternehmen und Produkten führt aus Un- ternehmensperspektive zu zwei wesentlichen Veränderungen.112 Die Entwick- lung beider Veränderungen hängt insofern miteinander zusammen, als dass die Virtualisierung bzw. Digitalisierung von Produkten auf der einen Seite Verände- rungen der gesamten Organisationsstruktur innerhalb der Unternehmen hervor- ruft, und auf der anderen Seite die Entwicklung virtueller Unternehmen zusätz- lich begünstigt.113 Die Virtualisierung von Produkten äußert sich hauptsächlich in Form von immateriellen Gütern, die im Vergleich zu nicht-virtuellen, materiel- len Gütern eine andere physische Form und Kostenstruktur aufweisen.114 Bei- spiele können digitale Audioformate (z.B. MP3) oder digitale Medienangebote (z.B. E-Newspaper) sein. Die Attraktivität digitaler Güter resultiert zum größten Teil aus den Möglichkeiten der Individualisierung von Produktangeboten und aus der unmittelbaren und kostengünstigen Auslieferung über das Internet.115 Der Austausch sowie die Distribution der Produkte zwischen Anbieter und Nachfrager erfolgt ohne zusätzliche Kosten oder Zeitverluste.116 Für physische Produkte (z.B. Audio-CDs) besteht dabei die Gefahr einer Substitution durch digitale Produkte.117

Im Weiteren führen die steigende Verbreitung digitaler Produkte und die zu- nehmende Diffusion des Internets zu einer zunehmenden Virtualisierung von Unternehmen und Organisationsabläufen.118 Der Einsatz moderner IKT ermög- licht Unternehmen interne sowie externe Prozessabläufe effizienter koordinie- ren und organisieren zu können.119 Auf diese Weise wird ein Unternehmen zu einer sogenannten „Virtual Organization“120. Die Verschiebung von physischen zu virtuellen Transaktionen eröffnet darüber hinaus die Möglichkeit, Prozesse arbeitsteilig aufzugliedern und zu spezialisieren.121 Die auf diese Weise reali- sierten Skalen- und Lerneffekte verursachen niedrigere Kosten für die Prozess- koordination, sodass eine Zerlegung und Fremdvergabe an spezialisierte exter- ne Anbieter effizienter ist.122 Unternehmen sind so in der Lage Wertschöp- fungsprozesse zu optimieren, indem jeder Partner genau den Teil der Wert- schöpfungskette übernimmt, der den Kernkompetenzen des jeweiligen Unter- nehmens zugerechnet werden kann.123 Als mögliche Folge der Zusammenar- beit mit externen Unternehmen können sich verschiedene Kooperationsformen, wie etwa „Business Webs“124 oder virtuelle Netzwerke, Strategische Allianzen oder Outsourcing, herausbilden.125

3.3 Konsumentenbezogene Veränderungen

Das der Perspektive der Konsumenten betrachtet, neben einer zusätzlichen Einkaufsmöglichkeit ein Spektrum an verschiedenen Funktionen, die als kaufunterstützende Funktionen zu bezeichnen sind.

[...]


1 Porter (2001), S. 63.

2 Vgl. Easingwood & Cloeho (2003), S. 38.

3 Vgl. Schögel (1997), S. 22.

4 Der Begriff „Multi-Channel-Retailing“ findet in der englischsprachigen und deutschen Literatur weite Verbreitung. Als Beispiele können an dieser Stelle Poloian (2009), Zhang et al. (2010) und Dholakia, Zhao & Dholakia (2005) angefügt werden. Die einzelnen Schriftweisen des Be-griffs variieren zwischen den einzelnen Beiträgen.

5 Vgl. Müller-Lankenau (2003), S. 17.

6 Coughlan et al. (2006), S. 2.

7 Vgl. Schramm-Klein (2003), S. 48.

8 Vgl. Steinfield, Bouwman & Adelaar (2002), S. 94. Im Rahmen anderer Arbeiten, z.B. Schramm-Klein (2003) wird zwischen fünf einzelne Stufen - „Erkennen eines Bedürfnisses“, „Informationssuche“, „Evaluation der Alternativen (Beurteilung)“, „Auswahl/ Kauf“ und „Nach-kaufphase“ unterschieden (vgl. Schramm-Klein (2003), S. 48f.).

9 Vgl. Ball & Hudetz (2008), S. 32.

10 Vgl. Schröder (2005), S. 2.

11 Vgl. Schramm-Klein (2003), S. 21.

12 Vgl. Schröder (2005), S. 3; Schramm-Klein (2003), S. 21; Coughlan et al. (2006), S. 257 ff.

13 Vgl. Steinfield, Bouwman & Adelaar (2002), S. 93; Steinfield, Adelaar & Liu (2005), S. 199; Müller-Lankenau, Wehmeyer & Klein (2005), S.85; Görsch (2002), S. 748; Otto & Chung (2000), S. 1.

14 Steinfield, Bouwman & Adelaar (2002), S. 93.

15 Gulati & Garino (2000); Willcocks & Plant (2001).

16 Otto & Chung (2000).

17 Vgl. Müller-Lankenau (2007), S. 12.

18 Vgl. Gulati & Garino (2000), S. 111.

19 Vgl. Katalog E (2006), S. 27.

20 Vgl. Müller-Hagedorn (1998), S. 15.

21 Vgl. Müller-Lankenau (2007), S. 8.

22 Müller-Lankenau (2007), S. 6.

23 Vgl. Müller-Lankenau (2007), S. 8.

24 Vgl. Schramm-Klein (2003), S.6.

25 Vgl. Müller-Hagedorn & Natter (2011), S. 89.

26 Vgl. Müller-Hagedorn & Natter (2011), S. 89.

27 Vgl. Müller-Hagedorn & Natter (2011), S. 90.

28 Vgl. Müller-Lankenau (2007), S. 9.

29 Vgl. Schobesberger (2007), S. 20.

30 Vgl. Müller-Hagedorn & Natter (2011), S. 90f.

31 Vgl. Schobesberger (2007), S. 19.

32 Vgl. Müller-Hagedorn & Natter (2011), S. 92.

33 Choi, Stahl & Whinston (1997), S. 12.

34 Vgl. Fritz (2004), S. 27.

35 Vgl. Whinston, Stahl & Choi (1997), S. 12; Haertsch (2000), S. 13.

36 Vgl. Passenheim (2003), S. 89f.

37 Picot, Reichwald & Wigand (1996), S. 331.

38 Vgl. Picot, Reichwald & Wigand (1996), S. 331.

39 Vgl. Ausschuss für Definitionen zu Handel und Distribution (2006), S. 24.

40 Vgl. Passenheim (2003), S. 89.

41 Vgl. Müller-Hagedorn & Natter (2011), S. 91.

42 Vgl. Choi, Stahl & Whinston (1997), S. 13.

43 Vgl. Ausschuss für Definitionen zu Handel und Distribution (2006), S. 24f.

44 Vgl. Turban et al. (2010), S. 47f.

45 Vgl. Turban et al. (2010), S. 47f.

46 Vgl. Turban et al. (2010), S. 47f.

47 Vgl. Otto & Chung (2000), S. 1; Bahn & Fischer (2003), S. 319; Gulati & Garino (2000),S. 113.

48 Vgl. Müller-Lankenau (2007), S. 12.

49 Vgl. Gulati & Garino (2000), S. 113f.

50 Grewal et al. (2003), S. 391.

51 Vgl. Eimeren & Frees (2011), S. 334f. Darunter zählen alle Personen in Deutschland, die mindestens zehn Jahre und älter sind.

52 Vgl. DSTATIS (2011), S. 10.

53 Vgl. AGOF (2011), S. 9; AGOF (2007), S. 10.

54 Vgl. Eimeren & Frees (2011), S. 335.

55 Vgl. Müller-Lankenau (2007), S. 51

56 Vgl. HDE (2011); Bitkom (2011).

57 Im folgenden Verlauf der Arbeit wird die Abkürzung „IKT“ verwendet.

58 Vgl. Porter (2001), S. 63; Drucker (2002), S. 3f.; Sampler (1998), S. 343.

59 Porter (1998), S. 3.

60 Vgl. Downes & Mui (1998), S. 64.

61 Vgl. Porter (2001), S. 67.

62 Vgl. Wirtz (2010), S. 117; Wirtz (2001), S. 151.

63 Vgl. Wirtz (2010), S. 117f.

64 Vgl. Grewal et al. (2003), S. 391f.; Granados, Gupta & Kauffman (2006), S. 154.

65 Wirtz (2010), S. 136.

66 Vgl. Brynjolfsson & Smith (2000), S. 579.

67 Vgl. Wirtz (2010), S. 136

68 Vgl. Granados, Gupta & Kauffman (2006), S. 154f.

69 Vgl. Bakos (1991), S. 302; Giaglis, Klein & O´Keefe (2002), S. 237; Granados, Gupta & Kauffman (2006), S. 154; Schramm-Klein (2003), S. 35.

70 Vgl. Bain (1956); Han, Kim & Kim (2001).

71 Vgl. Wirtz (2010), S. 141f.

72 Vgl. Schramm-Klein (2003), S. 35; Dholakia, Zhoa & Dholakia (2005), S. 64.

73 Vgl. Wirtz (2010), S. 142.

74 Vgl. Grewal et al. (2003), S. 392; Wirtz (2010), S. 143; siehe Anhang: Experten-Interview 2.

75 Vgl. Sampler (1998), S. 344.

76 Vgl. Müller-Lankenau (2007), S. 58.

77 Vgl. Müller-Lankenau (2007), S. 59.

78 Vgl. Sampler (1998), S. 344; Haertsch (2000), S. 36f.

79 Vgl. Porter (2001), S. 69.

80 Ghosh (1998), S. 130.

81 Vgl. Malone, Yates & Benjamin (1987), S. 484; Gosh (1998), S. 126f.

82 Die Wertkette bildet alle Stufen eines Wertschöpfungsprozesses ab, die ein Produkt von der Planung über die Produktion bis hin zur Auslieferung an den Konsumenten durchläuft (vgl. Porter & Millar (1985)).

83 Vgl. Benjamin & Wigand (1995); Malone, Yates & Benjamin (1987).

84 Roland Coase veröffentlichte 1937 den Beitrag „The Nature of the Firm“ und gilt als einer der Begründer der Transaktionskostentheorie (TKT).

85 Vgl. Sarkar, Butler & Steinfield (1998), S. 216.

86 Vgl. Williamson (1975).

87 Vgl. Malone, Yates & Benjamin (1987), S. 485.

88 Vgl. Sarkar, Butler & Steinfield (1998), S. 216.

89 Vgl. Giaglis, Klein & O`Keefe (2002), S. 240.

90 Grewal et al. (2003), S. 391.

91 Vgl. Malone, Yates & Benjamin (1987), S. 484ff.; Giaglis, Klein & O´Keefe (2002), S. 237.

92 Vgl. Wirtz (2010), S. 145.

93 Vgl. Sarkar, Butler & Steinfield (1998), S. 215.

94 Vgl. Sarkar, Butler & Steinfield (1998), S. 216.

95 Vgl. Giaglis, Klein & O´Keefe (2002), S. 231.

96 Vgl. Jin & Robey (1999), S. 48.

97 Vgl. Malone, Yates & Benjamin (1987), S. 488.

98 Vgl. Giaglis, Klein & O´Keefe (2002), S. 232.

99 Vgl. Sarkar, Butler & Steinfield (2002), S. 218.

100 Sarkar, Butler & Steinfield (1998), S. 218.

101 Vgl. Sarkar, Butler & Steinfield (1998), S. 218.

102 Vgl. Wirtz (2010), S. 145.

103 Vgl. Giaglis, Klein & O´Keefe (2002), S. 323; Jin & Robey (1999), S. 48.

104 Vgl. Sarkar, Butler & Steinfield (1995), S. 215.

105 Vgl. Sarkar, Butler & Steinfield (1995), S. 217.

106 Vgl. Müller-Lankenau (2007), S. 57.

107 Vgl. Giaglis, Klein & O´Keefe (2002), S. 240.

108 Vgl. Giaglis, Klein & O´Keefe (2002), S. 231.

109 Vgl. Müller-Lankenau (2007), S. 57.

110 Vgl. Giaglis, Klein & O´Keefe (2002), S. 243.

111 Vgl. Müller-Lankenau (2007), S. 58.

112 Vgl. Olderog (2003), S. 44.

113 Vgl. Wirtz (2010), S. 129.

114 Vgl. Choi, Stahl & Whinston (1997), S. 59.

115 Vgl. Wirtz (2010), S. 131f.

116 Vgl. Davidow & Malone (1992), S. 3f.

117 Vgl. Porter (2001), S. 67.

118 Vgl. Wirtz (2010), S. 133.

119 Vgl. Ahuja & Carley (1999), S. 742.

120 Ahuja & Carley (1999), S. 742.

121 Vgl. Wirtz (2010), S. 134.

122 Vgl. Wirtz (2010), S. 134f.

123 Vgl. Scholz (2000), S. 15.

124 Tapscott, Ticoll & Lowy (2000) definieren den Begriff als „[...] dinstict system of suppliers, distributors, commerce service providers, infrastructur providers, and customers that use the internet as primary business communications and transactions.“ (Tapscott, Ticoll & Lowy (2000), S. 17).

125 Wirtz (2010), S. 134f.

Ende der Leseprobe aus 94 Seiten

Details

Titel
Multi-Channel-Strategien als strategische Herausforderung für den stationären Einzelhandel in Deutschland
Hochschule
Universität zu Köln  (Seminar für Unternehmensführung und Logistik)
Note
2,0
Autor
Jahr
2011
Seiten
94
Katalognummer
V204660
ISBN (eBook)
9783656359142
ISBN (Buch)
9783656360124
Dateigröße
682 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Multi-Channel, E-Commerce, stationärer Handel, Einzelhandel, Internethandel, Electronic Commerce, Multichannelstrategien, Multichannel, Multi-Channel-Strategien
Arbeit zitieren
Andreas Stolz (Autor:in), 2011, Multi-Channel-Strategien als strategische Herausforderung für den stationären Einzelhandel in Deutschland, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/204660

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