Sie waren ein Herz und eine Seele

Die Gütergemeinschaft bei Lukas unter dem Paradigma der aristotelischen Freundesethik


Essay, 2012

5 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Die Gütergemeinschaft bei Lukas unter dem Paradigma der aristotelischen Freundesethik

9. September 2012

Lukas Brand

2. Fachsemester Magister Theologiae

Die Beschreibung der Urgemeinde in der lukanischen Apostelgeschichte, erinnert auffallend an die Freundesethik bei Aristoteles. Es soll in diesem Essay der Frage nachgegangen werden, auf welche Weise Lukas durch die Ethik der idealen Freund- schaft bei der literarischen Gestaltung der Urgemeinde beeinflusst worden sein könn- te und wie dann vor diesem Hintergrund die Freundschaft in der Urgemeinde be- wertet werden muss.

Die drei Summarien In der Apostelgeschichte beschreibt Lukas die Jerusalemer Urgemeinde in drei ähnlich gestalteten Summarien (Apg 2,42-47; 4,32-35(4,36.37; 5,1-11); 5,12-16). Auf der einen Seite bilden Apg 2,43b-46a.47b-c den gemeinsamen Kern dieser Summarien:

43 bDenn durch die Apostel geschahen viele Wunder und Zeichen.44 Und alle, die gläubig geworden waren, bildeten eine Gemeinschaft und hatten alles ge- meinsam.45 Sie verkauften Hab und Gut und gaben davon allen, jedem so viel, wie er nötig hatte.46 Tag für Tag verharrten sie einmütig im Tempel,47 bund waren beim ganzen Volk beliebt. Und der Herr fügte täglich ihrer Gemeinschaft die hinzu [die gerettet werden sollten].“ (Einheitsübersetzung)

Auf der anderen Seite unterscheiden sich die Summarien voneinander in insgesamt vier Themen: (1) Die Lehre der Apostel (Apg 2,42) und (2) das Brechen des Bro- tes (Apg 2,46). Das Verkaufen der Grundstücke zur Unterstützung der Apostel als Stellverstreter (3) der Gemeinschaft (Apg 4,32b-c.34b-35). Dieses wird am Beispiel von Barnabas (Apg 4,36.37) und Hananias und Saphira (Apg 5,1-11) vertieft. Und

schließlich (4) der Glaube der Gemeinschaft, der sich in der Hoffnung auf Heilung ausdrückt (Apg 5,15.16).

Das dritte Thema in Apg 4,32-35 erscheint dabei als das zentrale Thema der Summarien. Es macht 50% des gemeinsamen Stammes aus, während die Apostel und der gemeinsame Glaube hier nur anklingen. Um dieses dritte Thema, das Bild der Gemeinde bei Lukas, soll es im Folgenden gehen.

Die Situation der Urgemeinde Lukas beschreibt die Situation der Urgemeinde nicht gemäß der tatsächlichen Gegebenheiten in der Gemeinde zur Zeit der Ent- stehung der Apostelgeschichte. Auch wenn Lukas die Kollekten für Jerusalem nicht ausdrücklich oder nur unterschwellig erwähnt (Apg 11,29), kennt er aus dieser Zeit die Notwendigkeit von Spenden für die Jerusalemer Gemeinde, z.B. aus Antiochien. Diese Kollekte hat Paulus, dessen Weggefährte Lukas gewesen ist, in den 40er und 50er Jahren des ersten nachchristlichen Jahrhunderts viel Zeit gekostet (Gal 2,10).

Das Folgende lässt sich bei Georgi (S.22-29.) ausführlich nachlesen und sei hier nur in den für das Essay entscheidenden Punkten wiedergegeben: Die Jerusalemer Ge- meinde wird bei Paulus als „die Armen“ (åi ptwqìi) bezeichnet (Gal 2,10). Das wurde zu dieser Zeit zwar durchaus als ein Würdetitel verstanden, kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Urgemeinde durch ihre eschatologisch verstandene Praxis tatsächlich zunehmend verarmte. <Oi ptwqìi zu sein, bedeutete eine selbstauferlegte Eigentumslosigkeit in einer Gütergemeinschaft. Falls eine solche Gemeinschaft tat- sächlich zu Beginn der Urgemeinde existiert hat, hat sie die Gemeinde in den Ruin getrieben. Einzig die Vorstellung, das eschatologische Gottesvolk zu sein, hielt die Gemeinde trotz aller Widrigkeiten in Jerusalem (vgl. Georgi, S.22-26). Das war aber ohne eine entsprechende Fürsorge und Unterstützung durch Kollekten nicht mög- lich, die sich hinter der Aufforderung mnhmoneÔwmen in Gal 2,10 (in zweiter Linie) verbergen (vgl. Georgi, S.27-29).

Die Gütergemeinschaft ist also zur Zeit der Entstehung der Apostelgeschichte bes- tenfalls ein über 30 Jahre vergangener Urzustand, oder eine ideale Beschreibung der Urgemeinde. Ein solches Idealbild könnte dann an die Freundesethik des Aristo- teles angelehnt sein. Daher soll im Folgenden die Urgemeinde in der lukanischen Beschreibung unter dem Paradigma der Freundesethik betrachtet werden. Hierbei ist es tatsächlich nicht von Bedeutung, ob es sich um eine historische Beschreibung oder ein Idealbild handelt, dass im Laufe der Gemeindegeschichte (im doppelten Wortsinne) aufgegeben werden muss.

Freundesethik bei Aristoteles Für Aristoteles ist Freundschaft offensichtliches, gegenseitiges Wohlwollen (EthNik VIII 1 1155a). Dabei unterscheidet er drei Ar- ten von Freundschaft: zwei Arten der akzidentellen Freundschaft, die entweder auf gegenseitigem Nutzen basiert und so lange hält, wie die Freunde gegenseitigen Nutzen voneinander haben. Hört dieses Nutzinteresse am Partner auf, endet auch die Freundschaft. Oder sie basiert auf gegenseitiger Unterhaltung und Lust. Eine solche Freundschaft ändert sich nicht selten schon am gleichen Tag, dafür ist sie ungemein intensiv. Vollkommene Freundschaft hingegen bedeutet, dass die Freunde sich in ihrer Trefflichkeit gleichen. Sie sind Freunde an sich. Eine solche Freundschaft braucht verhältnismäßig lange um zu entstehen, hält dafür aber auch länger.

Aristoteles beschreibt vor allem den Wert der Freundschaft für das Leben in der Gemeinschaft (EthNik VIII 1 1155a). Sie hält zusammen und ersetzt den Zwangs- charakter des Rechts. „Sind die Bürger einander Freund, so ist kein Rechtsschutz nötig.“ (EthNik VIII 1 1155a) Der Gesetzgeber (å nomojèthc) strebt dann nach Eintracht und Freundschaft, anstatt nach Gerechtigkeit, denn diese kommt in einer Gemeinschaft aus Freunden von selbst. Eine Rechtsgemeinschaft bedarf aber der Freundschaft und die vollkommen Gerechten sind Freunden gleich.

Apg 4,32, sie waren „ein Herz und eine Seele“ (parallel zu Aristoteles „(Ein Herz und) eine Seele“ (EthNik IX 8 1168b)), spricht für eine Bewertung der Urgemeinde als ideale Freundesgemeinde, die Lukas im Blick hat. Und sie hat gewiss das Potential in Christus eine solche zu werden. Denn im Glauben an den einen Gott und Erlöser und in der Nachfolge Christi, können alle Mitglieder der Gemeinde gleichermaßen trefflich sein und sich aus ihr gegenseitig in Freundschaft lieben, wie Aristoteles es für gute Freunde beschreibt.

Der Hananias-Effekt Nach Aristoteles können aber nur Leute von trefflichem Charakter gute, d.h. vollkommene Freunde sein. Lukas musste das berücksichtigen, wenn er sein Idealbild unter dem aristotelischen Paradigma aufrechterhalten wollte.

Die Organisation der Gütergemeinschaft ist an den Essenerorden angelehnt (Vgl. Georgi, S.23). Die Apostel und später die drei Säulen, bilden åi nomojètai, denen die Spenden der Mitglieder zur Versorgung der Gemeinde übergeben wurden, wie Apg 4,34b-35.37 (|| 2,45;5,2b) beschreibt. Die Perikope, nach der Hananias und seine Frau sterben, als sie einen Teil des Erlöses aus ihrem Grundstück für sich behalten (Apg 5,1-11), lässt sich vor dem lukanischen Ideal der vollkommenen Freundschaft deuten. Hananias und Saphira handeln nicht nach dem aristotelischen Vorbild (EthNik VIII 11 1159b) - „Freundesgut, gemeinsam Gut“, par. zu Apg 2,44c || 4,32c „unter ihnen war alles Gemeinsam“ - sondern gerade entgegen der Weisung der Freundesethik. Daraufhin werden sie von Petrus verurteilt, der als å nomojèthc darum bemüht ist, die Eintracht zu bewahren und die Zwietracht auszutreiben (EthNik VIII 1 1155a).

Da sie kein gegenseitiges Wohlwollen an den Tag legen, sterben Hananias und seine Frau auf den Richtspruch der Apostel hin. Sie werden bildhaft aus der Freundes- gemeinschaft ausgestoßen, weil sie sich dem unbedingten, gegenseitigen Wohlwollen entziehen. Sie und die falschen Brüder stehen der Freiheit in Christus Jesus (vgl. Gal 2,4) entgegen.

Dies ist ein erstes Beispiel für die Probleme, die sich Lukas bei seiner Beschreibung der Urgemeinde nach dem Ideal der aristotelischen Ethik stellen. Er versucht sie zu überwinden und eine Urgemeinde darzustellen, die nach seinem Idealbild aus einer homogenen Gruppe guter Menschen bestand, gemäß dem Sprichwort „Freundschaft ist Gleichheit“ (EthNik IX 8 1168b). Aber er kann nicht verbergen, dass Freund- schaft und Friede in der Urgemeinde nur von kurzer Dauer waren. So schildert er z.B. Uneinigkeit in der Frage der Beschneidung der Heidenchristen (Apg 15,5), die auch im Apostelkonzil nicht abschließend geklärt werden konnte (Gal 2,11). Die Aus- einandersetzungen um das Apostelkonzil zeigen auch die Uneinigkeit in der Frage der trefflichen Nachfolge Christi. Die ganze Gemeinschaft kam niemals zu einer ge- meinsamen Vorstellung von einer trefflichen Nachfolge. Immer wieder traten in ihren Reihen Vertreter anderer Frömmigkeitsideale auf. Wie die Geschichte zeigt, verlor die Gütergemeinschaft nach dem finanziellen Ruin schnell ihren inneren Nutzen als Kern der gegenseitigen akzidentellen Freundschaft. Als die Gemeinde Konkurs mach- te, fiel die Basis der Freundschaft in der realen Gemeinde weg. Außerdem machte sich Zwietracht „als das feindliche Element“ (EthNik VIII 1 1155a) in der Gemeinde breit und die Freundesgemeinde zerbrach.

Geht man also realistischer Weise davon aus, dass die Urgemeinde einen Schnitt durch die Gesellschaft und im Glauben eine heterogene Gruppe darstellte, so war sie keine Gemeinschaft von gleichermaßen trefflichen Charakteren. Es war also nach Aristoteles ausschließlich möglich, dass die Mitglieder der Urgemeinde untereinander Freunde um des Nutzens Willen gewesen sein konnten (EthNik VIII 5 157a).

„Liebe deinen nächsten wie dich selbst.“ Das Gebot der universalen Liebe (Lk 10,27), ist für Lukas ein zentrales Thema der jesuanischen Verkündigung. Auch wenn es in der Apostelgeschichte an der fraglichen Stelle nicht mehr explizit anklingt, stellt es einen Weg zu einer Freundesgemeinde aller Christen dar. Dieser gibt eine ethische Weisung, durch deren treffliche Einhaltung alle Menschen in Christus Freunde wer- den können. Mit Aristoteles heißt das: Man ist sich selbst der beste Freund (nach den oben immer wieder zitierten Sprichworten) und muss sich selbst folglich am meisten lieben. Diese Selbstliebe kann als positiv bewertet werden, wenn sie sich im Streben nach dem Guten und Schönen ereignet, was wiederum der ganzen Polisgemeinde zu- gute kommt. Solche Selbstliebe ist gut und edel (EthNik IX 8 1168b-1169b) und ist somit das Erfordernis einer recht verstandenen Freundesethik. Streben alle diesem Ideal trefflich nach, sind sie hierin gleich und können wahre Freunde sein.

Literatur

1. Aristoteles: Ethica Nicomachea. Oxford University Press 1962.
2. Georgi, Dieter: Der Armen zu gedenken. Die Geschichte der Kollekte des Pau- lus für Jerusalem. Neukirchen-Vluyn21994. Zitiert als: Georgi.
3. Hg. Grumach, Ernst: Aristoteles - Nikomachische Ethik. Band 6, Darmstadt 41967. Zitiert als: EthNik
4. Lindemann, Andreas: Die Evangelien und die Apostelgeschichte. Studien zu ihrer Theologie und zu ihrer Geschichte. Tübingen 2009.
5. Schnelle, Udo: Einleitung in das Neue Testament. Göttingen62007.
6. Söding, Thomas: Freund sein mit Jesus. Ein neutestamentliches Motiv, in: Communio 36 (2007) 220-231.
7. Die Bibel. Einheitsübersetzung. Trier 2008.

Ende der Leseprobe aus 5 Seiten

Details

Titel
Sie waren ein Herz und eine Seele
Untertitel
Die Gütergemeinschaft bei Lukas unter dem Paradigma der aristotelischen Freundesethik
Hochschule
Ruhr-Universität Bochum  (Katholisch-Theologische Fakultät)
Veranstaltung
Geschichte des Urchristentums
Note
1,0
Autor
Jahr
2012
Seiten
5
Katalognummer
V204603
ISBN (eBook)
9783656306542
ISBN (Buch)
9783656578949
Dateigröße
460 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Urgemeinde, Gütergemeinschaft, Mahlgemeinschaft, Herz und eine Seele, Aristoteles, Freundesethik, Nikomachische Ethik, Apostelgeschichte, Apg 4
Arbeit zitieren
Lukas Brand (Autor:in), 2012, Sie waren ein Herz und eine Seele, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/204603

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