Institutionelle Faktoren zur Unterstützung heterogener Regierungskoalitionen


Seminararbeit, 2011

24 Seiten, Note: 1,7

Anton Frick (Autor:in)


Leseprobe


Inhalt

1 Einleitung

2 Grundlagentheorie
2.1 Minimal connected winning
2.2 Minimal Range
2.3 Einbettung policy-orientierter Theorien in die allgemeinen Koalitionstheorien
2.4 Empirische Bedeutung

3 Heterogene Gesellschaft und trotzdem stabile Systeme – die Konkordanzdemokratie

4 Heterogene Koalitionen in Konkurrenzdemokratien
4.1 Stärkere Koalitionstreue
4.2 Externe Zufallsereignisse

5 Institutionelle Faktoren mit positiver Wirkung auf heterogene Koalitionen

6 Schlussbetrachtung

7 Literaturverzeichnis

1 Einleitung

Ob sich Regierungskoalitionen aus zwei oder mehreren Parteien in repräsentativen Demokratien bilden hängt grundlegend davon ab, ob die Parteien inhaltliche Schnittmengen haben auf deren Grundlage sie als Regierung ihre Politik betreiben können. So hatten sich beispielsweise in Deutschland die christlich-liberale Koalition und die sozialdemokratisch-grüne Koalition über einen langen Zeitraum zu einem Erfolgsgarant entwickelt. Der Hamburger Versuch einer schwarz-grünen Regierung 2008 hielt kaum länger als ein Jahr und in Baden-Württemberg bezeichnete der jetzige Ministerpräsident Winfried Kretschmann von den Grünen seine Wunschkoalition mit der SPD als „Liebesheirat“[1]. Doch in unseren kontinentaleuropäisch immer stärker sozial differenzierten Gesellschaften gestalten sich demzufolge auch politische Interessen immer eigenständiger. Volksparteien verlieren an Wählerstimmen und damit an Boden und Parteien mit ganz neuen, eigenen Nischeninteressen scheinen aus der Gesellschaftserde zu schießen.

Der Theorie von Robert Axelrod zufolge, bilden sich Koalitionen mit geringer Policy-Heterogenität wahrscheinlicher, in George Tsebelis allseits bekanntem Vetospielertheorem (2002) sind heterogene Bündnisse politisch sogar weniger bewegungsfähig – und damit doch auch wenig stabil. Bedeutet das für Staaten ohne solch bewährte Parteikonstellationen automatisch die politische Instabilität, oder gibt es Faktoren die trotz unterschiedlicher Interessen die Policy-Homogenität fördern?

Diese Arbeit geht der Frage nach, welche institutionellen Faktoren policy-heterogene Koalitionen stabilisieren, bzw. den Zusammenhalt über politischen Dissens hinweg sichern. Dabei werden in der wissenschaftlichen Kontextliteratur genannte und theoretisch konzeptionelle Argumente zu einem Quasi-Stabilisierenden-Faktorenkatalog zusammengestellt.

Diese Arbeit geht folgendermaßen vor: Der erste Teil wird die theoretische Grundlage der Policy-Homogenität als wichtige Determinante von Regierungsbildung anhand von Theorie und Empirie darlegen. Dabei werden die in der Einleitung genannten Theoreme zu Folgen von Heterogenität kurz erläutert. Im zweiten Schritt werden dann, anhand der Literatur, Einflussgrößen dargelegt, die mit der Policy-Homogenität bei Koalitionen und der Stabilität solcher zusammenhängen. In der darauffolgenden Analyse werden dann theoretisches Argument und Grundlagentheorie zusammengefügt um ein Ergebnis auf die Fragestellung zu finden. Die Schlussbetrachtung fasst das Ergebnis und die Beantwortung der Fragestellung zusammen und äußert Kritik an der gewonnenen Erkenntnis.

2 Grundlagentheorie

Parteien, das Sprachrohr und die Interessensvertretungsmacht in Gesellschaften, entstehen nach der bekannten Theorie von Lipset und Rokkan (1967) anhand in der Gesellschaft verlaufender Konfliktlinien, so genannten cleavages. Konfliktlinien sind in der Gesellschaft verankerte Konflikte sozialer, geographischer und ökonomischer Natur, die zur Bildung von organisierten Interessensgruppen führen. Die gegenläufigen Interessen sind wie folgt: Arbeit versus Kapital, Kirche versus Staat, Stadt versus Land und zentralisierte Entscheidungsinstanzen versus regional autonomen (vgl. Lipset/Rokkan 1967).

Es gibt neben institutionellen und länderspezifischen Faktoren der Regierungsbildung in den Koalitionstheorien zwei große Ansätze die die Parteien mit einbeziehen. Der office-seeking Ansatz erklärt Regierungsbildung aus dem Streben von Parteien und deren Führern nach Regierungsämtern und damit stets nach der kleinsten möglichen Mehrheitskoalition. Der im Folgenden vorgestellte policy-seeking Ansatz geht von Parteieninteresse an der zukünftigen Regierungspolitik und deren Inhalten aus. Die inhaltlichen Standpunkte von Parteien bilden die Grundlage für Koalitionspräferenzen von Parteien, die sachpolitisches Vorankommen in Koalitionen suchen und daher ihre Wunschpartner nach dem voraussichtlich bestmöglichen policy outcome wählen (vgl. Bräuninger/Debus 2008: 314). Dieses Argument erklärt, verbunden mit dem Streben nach Ämtern, die meisten Koalitionen, dabei gehen die einzelnen Theorien dieses Ansatzes unterschiedliche Wege.

2.1 Minimal connected winning

Robert Axelrod (1970) formulierte in „Conflict of Interest“ seine Überlegungen so:
„The hypotheses relating conflicts of interest to behaviour arethat the less conflict of interest there is a coalition, the more likely it will form and themoney likely will be durable if it does form“ (vgl. Axelrod 1970: 168).

„Demnach erleichtern geringere ideologische Gegensätze innerhalb einer Koalition deren Bildung und Erhalt“ (vgl. Müller 2004: 275). Hat eine Koalition eine geringere Spannweite der Politkinhalte, wie jede andere mögliche Mehrheitskoalition, nennt man sie „ minimal connected winning “ Koalition. Die Spieler in dieser Koalition bilden also eine Mehrheitskoalition und sind inhaltlich-politische Nachbarn auf einer gedachten rechts-links Skala. Die Koalition ist geschlossen, d.h. zwischen den beiden äußersten Koalitionspartnern, sind alle Parteien auf der Skala zwingend Teil der Koalition. Solche Koalitionen enthalten keine zusätzliche Partei die nicht notwendig ist diese beiden Ansprüche zu erfüllen bzw. die das politisch-inhaltliche Spektrum erweitern würden. Sie gelten nach ihrer Bildung auch als stabil. Dabei spielt es für die Skalierung nach Axelrod keine Rolle, wie (unterschiedlich) weit die Parteien voneinander entfernt sind, es zählt nur die „Nachbarschaft“ (vgl. Axelrod 1970: 168). Diese Theorie hat sich empirisch immer wieder bestätigt und war auch Grundlage der später dargelegten empirischen Untersuchungen.

Ein kurzes Beispiel soll diese Theorie verdeutlichen:

Bei einer Wahl erhalten die fünf Parteien (A,B,C,D,E) eines politischen Systems folgende Stimmergebnisse:
A = 28 Stimmen, B = 9 Stimmen, C = 23 Stimmen, D = 7 Stimmen und E = 33 Stimmen.

Die Mehrheit erreicht eine Koalition demnach mit 51 Stimmen. Es ergeben sich die Koalitionsmöglichkeiten A-B-C und C-D-E. Zwar würden beispielsweise auch C und E eine Mehrheitskoalition erreichen, sie stehen aber in keinem Nachbarschaftsverhältnis, sind demnach nicht connected und benötigen in diesem Fall noch Partei D. Die A-B-C Koalition bildet ist die kleinere Gewinnkoalition mit 60 Stimmen (zu 63 Stimmen bei C-D-E) und damit, nach Gesichtspunkten des Strebens nach möglichst viel eigenem Gewinn pro Partei, die sich wahrscheinlicher bildende Koalition dieses Beispiels.

2.2 Minimal Range

Eine minimal range Koalition nach De Swaans Konzeption (1973) lässt sich ebenfalls auf der links-rechts-Skala darstellen. So wird theoretisch logisch davon ausgegangen, dass je weiter die Parteien auseinander liegen, die politischen Präferenzordnungen größer werden. Aufgrund dieser Annahme bilden Parteien möglichst solche Koalitionen, die ideologisch ähnliche oder gleiche Inhalte verfolgen. Das sind auf der Skala jeweils die Nachbarn einer Partei, Parteien die am äußeren Rand der Skala stehen, egal ob rechts oder links, grenzen diese demnach ein. Sie werden der Theorie folgend nicht miteinander koalieren, da sie ideologisch gesehen, am weitesten voneinander entfernt sind. Die Koalitionspräferenzen bilden sich nun für eine Partei Anteil einer Gewinnkoalitionen haben kann derart, dass nur die Gewinnkoalition präferiert wird, die die kleinste Spannweite unter den Koalitionspartnern auf der Skala hat (vgl. De Swan 1973: 71). Zudem werden Parteien, die innerhalb der minimalen ideologischen bei maximal numerisch notwendigen Spannweite liegen, bei der Koalitionswahl nur berücksichtigt, wenn sie für die erforderliche Mehrheit von Nöten sind.

In unserem Beispiel würde sich diese Theorie so darstellen:
A = 28 Stimmen, B = 9 Stimmen, C = 23 Stimmen, D = 7 Stimmen und E = 33 Stimmen.

A und E haben zwar eine Mehrheit, koalieren aber nicht miteinander, da sie beide den Rand der Skala einnehmen. C liegt gleich weit von A und E entfernt, bildet mit A aber eine kleinere Gewinnkoalition als mit E. A und C werden miteinander koalieren, sie könnten sogar B mit in die Koalition nehmen, da B die Spannweite nicht vergrößert. Aus office-seeking Gründen (nämlich, dass mit B der Ämtergewinn für alle Beteiligte sinken würde) werden A und C allerdings ohne B, alleine miteinander koalieren.

2.3 Einbettung policy-orientierter Theorien in die allgemeinen Koalitionstheorien

Parteien lassen sich allerdings realistisch nicht auf einer eindimensionalen (rechts-links) Skala abbilden. So kommt ein zweidimensionales System, auf dem einerseits die gesellschaftliche Position und andererseits die wirtschafts- und sozialpolitische Position verortet werden kann, der Realität wie beispielweise im deutschen Parteiensystem wesentlich näher (vgl. Pappi 2009: 195ff.). Politische Stabilität ergibt sich dann, wenn keine Partei ihre Koalition einseitig verlassen würde, da sie in einer anderen Koalition, sowohl inhaltlich als auch die Macht betreffend, besser gestellt wäre (vgl. Pappi 2009: 197).

Die Grundidee der politischen Nähe der vorausgegangenen Theorie bleibt allerdings erhalten, muss aber jeweils im Zusammenspiel der beiden Dimensionen gesehen werden. Generell können die oben genannten policy-orientierten Theorien der Koalitionsbildung diese alleine nicht voraussagen. Der erste Schritt zu weiteren Präzisierung von Koalitionstheorien ist die Verbindung von office- und policy-orientierten Theorien. So sind beispielsweise sog. minimal-winning Koalitionen, also Koalitionen die nach reiner Mandatsorientierung jeden Partner zum Erhalt der Mehrheit brauchen, auch bei einer höheren Policy-Distanz der Parteien , die sich eigentlich inhaltlich uneins sind, stabil (vgl. Warwick 1979: 490).

Diese spieltheoretischen Überlegungen können für tatsächliche Regierungsbildungen in unterschiedlichen Staaten um jeweils spezifische oder zusätzliche allgemeine Determinanten erweitert werden. So spielen zu der grundsätzlichen Policy-Nähe zweier oder mehrerer Parteien deren jeweilige Voraussagen, in Bezug auf Wunschkoalitionen, eine Rolle bei der späteren tatsächlichen Koalitionsbildung. Umgekehrt, gilt das auch für negativ getroffene Aussagen, d.h. für vor der Wahl getroffene Absagen einer bestimmten Koalition, im Falle des ausreichenden Stimmengewinns, beizutreten (vgl. Martin/Stevonson 2001; Bräuninger/Debus 2008: 333). Auch wenn in der spieltheoretischen Überlegung der Policy-Homogenen-Koalition der Abstand zwischen den Parteien und die tatsächliche inhaltliche Einstellung keine Rolle spielt, so werden doch in der Praxis Parteien aus Koalitionen ausgeschlossen, die sich anti-systemisch geäußert haben (sog. Anti-System-Parteien) (vgl. Martin/Stevonson 2001: 46).

Weiterhin beeinflussen auch institutionelle Merkmale der jeweiligen Länder die Koalitionswahl. So haben beispielsweise in Mehrebenendemokratien die unterschiedlichen bereits vorhandenen Koalitionen Einfluss auf neu zu bildende, die strategische Position von Parteien generell und beim Start der Koalitionsverhandlungen beeinflusst den Koalitionsausgang genauso wie staatliche Regelungen zum Schutz bestimmter Positionen (vgl. Martin/Stevonson 2001; Bräuninger/Debus 2008).

Eine ganz andere, in der Einleitung angeschnittene, Betrachtungsweise der Auswirkung von heterogenen Positionen ist die Vetospieler von Tsebelis (2002). Hier wird argumentiert, dass politische Bewegung nur in solchen Bereichen stattfinden kann, in dem mehrere Einstellungen verschiedener beteiligter Akteure zu einem Thema übereinkommen. Dabei verringert sich die Möglichkeit von solchen Schnittmengen mit der Distanz zwischen den Akteuren. Dieses Thema wird allerdings aufgrund seiner Komplexität nicht weiter verfolgt. Festzuhalten bleibt nur, dass auch in dieser Theorie, Policy-Homogenität eine wichtige Grundlage darstellt.

Das Erreichen von Policy-Homogenen Koalitionen ist also nur ein einflussnehmender Faktor am Koalitionstisch, ein allerdings grundlegend wichtiger, wie die folgenden empirischen Untersuchen zu Koalitionsbildungen zeigen.

[...]


[1] Spiegel Online Artikel vom 31.03.2011, http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,754366,00.html (Zugriff 13.09.2011).

Ende der Leseprobe aus 24 Seiten

Details

Titel
Institutionelle Faktoren zur Unterstützung heterogener Regierungskoalitionen
Hochschule
Universität Konstanz
Note
1,7
Autor
Jahr
2011
Seiten
24
Katalognummer
V204299
ISBN (eBook)
9783656302452
ISBN (Buch)
9783656396918
Dateigröße
523 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Koalitionsbildung, Konkordanzdemokratie, Policy-Analyse, Konkurrenzdemokratie, Regierungsbildung
Arbeit zitieren
Anton Frick (Autor:in), 2011, Institutionelle Faktoren zur Unterstützung heterogener Regierungskoalitionen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/204299

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