Exegese Ex 2,1-10 - Die Geburt Mose


Seminararbeit, 2011

22 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1.Textkritik

2. Formale Analyse
2.1 „Sitz im Buch“ und Kontextanalyse
2.2 Gliederung des Textes

3. Literarkritik
3.1 Literarische Uneinheitlichkeit des Textes
3.2 Literargeschichtliche Interpretation

4. Analyse des Grundtextes
4.1 Formmerkmale des Textes
4.2 Gattungsgeschichte
4.2.1 Analyse der Gattungsmerkmale
4.2.2 Die Sagenart und ihr "Sitz im Leben"
4.3. Formgeschichtlicher Vergleich
4.4 Motiv- und Begriffsgeschichte
4.4.1 Das "Wasser"-Motiv
4.4.2 Das "Verbergen"-Motiv
4.4.3 Der „Hebräer“ - Begriff

5. Redaktionsgeschichte

6. Gesamtinterpretation

7. Literaturverzeichnis

1.Textkritik

Für den Text Exodus 2,1-10 liefert die BHS 14 textkritische Angaben. Die Feststellung und kritische Überlegung, sowie die Überprüfung der Textzeugen in den jeweiligen Ausgaben erbrachte keine Abwandlung des Textes der BHS. Im Folgenden sollen exemplarisch einige textkritische Überlegungen erläutern werden, die für ein interpretatorisches Verständnis der Perikope relevant sein könnten:

1a Und es ging ein Mann vom Haus Levi hin[1] b und nahm (sich) die Tochter Levis.[2] 2a Und die Frau wurde schwanger, und gebar einen Sohn, b und sie sah, dass er schön war, c und sie verbarg ihn drei Monate. 3a Und sie konnte ihn nicht mehr verbergen,[3] b und sie nahm für ihn ein Schilfkästchen, und sie verpichte (es) mit Erdharz und Pech. c Und sie legte das Kind in es, d und legte (es) in das Schilf am Rand des Nils. 4a Und seine Schwester stellte sich hin von Ferne um zu wissen,[4] b was mit ihm getan werde. 5a Und die Tochter des Pharao stieg hinab um sich im Nil zu waschen, b und ihre Dienerinnen gingen an der Seite des Nil (entlang). c Und sie sah das Kästchen in der Mitte des Schilfs d und sie sandte ihre Magd hin, und sie nahm es. 6a Und sie öffnete (es),[5] b und sie sah ihn, das Kind.[6] c Und siehe, (der) Knabe weinte, und sie hatte Mitleid mit ihm. d Und sie sagte: e"Das ist eins von den hebräischen Kindern."7a Und seine Schwester sagte zu der Tochter des Pharao: b"Soll ich gehen und für dich eine stillende Frau von den Hebräerinnen rufen, c damit sie für dich das Kind säugen wird?"8a Und die Tochter des Pharao sagte zu ihr: b"Geh!"c Und das Mädchen ging, und rief die Mutter des Kindes. 9a Und die Tochter des Pharao sagte zu ihr: b"Trage dieses Kind weg und säuge es für mich! c Und ich werde dir deinen Lohn (dafür) geben."d Und die Frau nahm das Kind und säugte es. 10a Und das Kind wurde groß, b und sie brachte es zur Tochter des Pharao. c Und es wurde für sie zu einem Sohn. d Und sie rief seinen Namen "Mose" (Herauszieher/Retter), und sie sagte: e „Denn vom Wasser habe ich ihn herausgezogen."

2. Formale Analyse

2.1 „Sitz im Buch“ und Kontextanalyse

Inhaltlich setzt das Buch Exodus da an, wo die Genesis mit ihren Erzvätergeschichten aufhört: Die Söhne Jakobs, welche sich nach dem Tode Josefs immer noch in Ägypten befinden, halten an der Zusage Gottes in Gen 50,24, dass er sie aus Ägypten herausführen werde, fest. Ex 1,1 beginnt mit den Namen der Söhne Israels/ Jakobs, also mit der Familienperspektive, erweitert dann aber in der folgenden Erzählung den Horizont: "Siehe, das Volk der Israeliten ist uns zu zahlreich und zu stark…" Fortan geht es also um das Volk Israel mit seinen Anführern Mose und Aaron. Wird in Ex 1 zuerst, wie im Sinne einer Einführung, die Situation des ganzen Volkes beschrieben, ihr Leid und ihre Versklavung, so erscheint Ex 2 durch das Auftreten bestimmter Charaktere und die Erzählung eines Einzelschicksales expliziter auf eine Person, die des Mose, bezogen. Obwohl von der Errettung der Israeliten aus Ägypten noch nicht die Rede ist, wird mit dieser Erzählung der Grundstein gelegt, genauer gesagt, wird mit der Rettung des Mose dieser Stein, der schließlich zum Exodus führt, ins Rollen gebracht. Die Intention der Erzählung um die Geburt und Errettung Moses ist klar, durch sie wird konkret der Führer des israelitischen Volkes eingeleitet und vorgestellt. Im weiteren Verlauf des Buches wird dann das Schicksal Moses mit dem des israelitischen Volkes verknüpft, es folgen seine Berufung durch Gott (Ex 3-4) und seine Annahme vom Volk (Ex 4,27-31), die Wunder- und Plagenerzählung (Ex 7-11), das Passahfest (Ex 12,1-28) und der endgültige Auszug aus Ägypten (Ex 12,29-51).

Betrachtet man den Text im Blick auf seine Abgrenzung nach vorne und nach hinten, so kann auf Anhieb erkannt werden, dass es sich um relativ klare Übergänge handelt. Die Geschichte um Moses Geburt ist gut in den Erzählfluss eingefügt. Durch die deutliche Einführung der handelnden Personen und der typischen Erzähleinleitung וַיֵּ֥לֶךְ wird hier ein absoluter Handlungseinsatz geschaffen und die Erzählung erscheint im ersten Moment unabhängig vom Kontext zu basieren. Die erste Inkohärenz taucht jedoch auf, wenn sich der Leser die Frage stellt, warum die Eltern ihr Kind verstecken und schließlich auch aussetzen müssen? Ohne Ex 1 kann diese Frage nicht beantwortet werden. Denn der Handlung der Eltern des Kindes geht die Anweisung des Pharao (Ex 1,16) voraus alle israelischen, männlichen Säuglinge in den Nil zu werfen. Da zwar die Aussage des Pharao weiterhin bestehen bleibt, er aber nicht mehr persönlich auftritt, kann deshalb hier von einer gewissen Unstimmigkeit gesprochen werden. In diesem Zusammenhang knüpft auch die Behauptung der Pharaonentochter, dass es sich bei dem gefundenen Kind um ein hebräisches handeln muss (Vers 6f) ebenfalls an die Aussage in Ex 1,22: „Da gebot der Pharao seinem ganzen Volk und sprach: Alle Söhne, die geboren werden, werft in den Nil, aber alle Töchter lasst leben." an. Nicht nur die Handlungen der auftretenden Personen können erst im Zusammenhang des Kontextes verstanden werden, auch verweisen die Wörter wie פַּרְעֹה , בֵּן und הַיְאֹר sowohl auf die vorherige Perikope, als auch auf die darauffolgenden Erzählung (Ex 2,11-25). Die Abgrenzung nach hinten ist viel klarer zu erkennen: die folgende Perikope wird deutlich durch einen Tempusmarker begonnen und es lieg dort eine ganz andere Thematik und Personenkonstel-lation vor. Nur Mose taucht wieder auf, alle anderen Personen werden in keiner Weise erwähnt und von Kindstötungen ist auch nicht mehr die Rede. Die Perikope in Ex 2,11-25 erzählt davon, dass Mose für einen Landsmann eintritt und einen Ägypter umbringt. Nicht nur tritt משֶׁה , der inzwischen groß geworden ist ( גדל Vers 11), wieder als Hauptperson auf (Vers 11 und 12), sondern auch die Lage der Israeliten ( עִבְרִי ebenfalls Vers 11) hat sich nicht geändert - immer noch werden sie von den Ägyptern unterjocht (Vers 11). Dass Moses leibliche Familie nicht wieder auftaucht, kann hier auf Grund der Tatsache, dass er zwischenzeitlich von der Pharaonentochter adoptiert wurde und daher wahrscheinlich auch keinen Kontakt mehr zu ihnen hat, nicht als Unstimmigkeit angesehen werden. Überraschend ist jedoch, dass weder seine neue Mutter, noch die Mägde der Pharaonen-tochter wieder ins Geschehen integriert werden. Des Weiteren besteht eine sehr große Inkohärenz in Bezug auf Moses Verhältnis zum Königshaus. Wird er in der vorliegenden Perikope offiziell Teil der Königsfamilie, so kann sich später niemand mehr daran erinnern und selbst Mose geht darauf nicht ein.

2.2 Gliederung des Textes

1 Exposition/Einleitung des 1.Erzählstranges (Vers 1).
2 Mädchen vom Hause Levi wird schwanger, gebärt einen Sohn, versteckt ihn und setzt ihn in einem Schilfkorb aus (Vers 2-3).
3 Einschnitt/ Beginn des 2.Erzählstranges: Schwester des ausgesetzten Kindes beobachtet die Aussetztungsszene (Vers 4).
4 Hauptteil des 1.Erzählstranges: Auftritt/Bad der Pharaonentochter und Entdeckung des ausgesetzten Kindes (Vers 5-6).
5 Hauptteil des 2. Erzählstranges: Auftritt und Lösungsvorschlag der Schwester des Kindes, welcher von der Tochter des Pharao erlaubt wird; Verknüpfung Prinzessin- und Mutterhandlung (Vers 7-8a).
6 Auftritt der Mutter des Kindes und Befehl der Pharaonentochter (Vers 8b-9).
7 Ende 2.Erzählstrang: Übergabe des ausgewachsenen Kindes an Tochter des Pharao (10ab).
8 Ende 1.Erzählstrang: Adoption des Mose und Namensgebung (Vers 10cd).

Es ist sowohl durch Punkt 1 eine Exposition, als auch mit Punkt 7 und 8 eine Ausleitung vorhanden. Die Erzählung ist mit Vers 10 an ihr Ziel gelangt, der Adoption Moses als Pharaonenprinz und die Erläuterung seines sagenumwobenen Namens, und besitzt somit einen klaren Abschluss. Der aufmerksame Leser kann jedoch über diesen Abschluss hinausblicken und hinter der Namens-gebung einen Hinweis auf die weitere Exoduserzählung erkennen. Insgesamt lässt sich die Erzählung in acht Abschnitte gliedern. Im Blick auf den Verlauf ist zu sagen, dass eine Haupthandlungslinie und eine Nebenhandlungslinie vorliegt, was zu mehreren Höhepunkten führt. Sowohl die Rettung aus dem Nil, das keinesfalls zu erwartende Mitleid der Tochter des Pharao mit einem Hebräerkind, wie auch die Tatsache, dass die mit ihrem Kind wiedervereinte Mutter Mose noch eine Zeit lang behalten darf, stellen Wende- und Höhepunkte da. Wie die Erzählstruktur erkennen lässt, besteht der Großteil der Perikope aus narrativen Elementen. Diese erstrecken sich von Vers 1a bis 6e, von 8c bis 9a und von 9d bis 10d. Die Erzählblöcke werden durch einen Dialog (Vers 6e-8b) und zwei wörtlichen Reden (Vers 9b-d und 10e) unterbrochen, wobei der Dialog und die direkte Rede neun Teilverse einnehmen, die Erzählblöcke hingegen 28. Auf den ersten Blick ist hier schon zu erkennen, dass der Abschnitt der wörtlichen Rede (Vers 6e-8b) von den Erzählblöcken umrahmt wird und dass die Erzählung um das Schicksal des Kindes im Vordergrund steht und durch die Dialoge eher 'ausgeschmückt' wird. Es kann somit eine große Erzähleinheit von den Versen 1 bis 6 und 10, und ein kleiner Abschnitt wörtlicher Rede von Vers 7 bis 9 festgehalten werden.

[...]


[1] Der textkritische Apparat merkt an, dass in Vers 1a die Namen der Eltern Mose gar nicht genannt werden und verweist daher auf Ex 6,20, wo diese als Amram und Jochebed vorgestellt werden.

[2] Die Septuaginta (LXX) liest anstelle von בַּת־לֵוִֽי ("die Tochter Levis") in Vers 1b τῶν θυγατέρων, was mit "der Töchter" im Genitiv Plural übersetzt wird. Die Septuaginta ist ein gewichtiger Zeuge und ihre Lesart ist nachvollziehbar, wenn man bedenkt, dass Levi wahrscheinlich mehr als nur eine Tochter hatte. Aber da es sich in dieser Perikope um eine ganz bestimmte Tochter, nämlich um die eben genannte Jochebed, handelt, sollte man bei der Textfassung der Masoreten bleiben.

[3] In Vers 3a schlagen der Samaritanische Pentateuch und die Septuaginta vor noch אִמּוֹ einzufügen. Bei beiden Schriften handelt es sich um hochwertige Textzeugen, was für ihre Lesung sprechen würde. Da aber anzunehmen ist, dass אִמּו ֹ nur eingefügt wurde um die Personage zu klären, und der masoretische Text (MT) auch ohne diese zusätzliche Information auskommt, weil es relativ naheliegend ist, dass die Mutter mit der Femininendung gemeint ist, kann man auf die Variante des Samaritanischen Pentateuch und der LXX gut verzichten und die Lesart der Masoreten auch auf Grund der "lectio brevior" beibehalten.

[4] Der Samaritanische Pentateuch bietet in Vers 4a eine andere Lesart als der MT an, nämlich וַתִּתְיַצַּב . Der Unterschied besteht also darin, dass der MT das י von יצב weglässt. Da es dafür keine plausible Erklärung gibt und bei Gesenius nachzulesen ist, dass es sich hierbei um einen Textfehler handeln muss, ist der Schreibweise des samaritanischen Pentateuchs rechtzugeben.

[5] In Vers 6a wird im samaritanischen Pentateuch noch ein Suffix dritte Person Singular feminin angehängt, das sich auf das Schilfkästchen bezieht. Inhaltlich wäre es plausibel, weil nochmal verdeutlicht werden würde, was genau geöffnet wird, aber an sich ist das Schilfkästchen auch das Einzige, was in der Situation gemeint sein könnte. Dass der MT dieses Suffix nicht hat könnte zwei Gründe haben: entweder wurde es schlichtweg vergessen, oder es wurde vom Schreiber weggelassen, um den Text zu vereinfachen. In diesem Falle wäre der MT auf Grund von "lectio brevior probabilior" vorzuziehen.

[6] Der Samaritanische Pentateuch, der Targum und der Targum Jonathan lesen wie die Vulgata und die Septuaginta in Vers 6a וַתֵּרֶא . Der Samaritanische Pentateuch und die Septuaginta sind sehr gute Belege, der Targum und die Vulgata jedoch sind nicht die vertrauenswürdigsten und sind deshalb mit Vorsicht zu genießen. Im masoretischen Text ist die Stelle "doppelt gemoppelt": zum einen steht dort ein Suffix dritte Person Singular maskulin und zum anderen dann noch ein im Akkusativ folgendes הַיֶּלֶך (nach Lisowsky ist es durchaus üblich הַיֶלֶ mit einem Akkusativ zu verbinden, siehe: Lisowsky, Konkordanz, 608). Hier steht nun eine "lectio difficilior" des masoretischen Texts einer "lectio brevior"der restlichen Texte gegenüber. Im Zweifelsfall sollte man sich an den masoretischen Text halten und dessen Lesart folgen.

Ende der Leseprobe aus 22 Seiten

Details

Titel
Exegese Ex 2,1-10 - Die Geburt Mose
Hochschule
Ludwig-Maximilians-Universität München  (Evangelische Theologie)
Veranstaltung
Proseminar Exodus - Altes Testament
Note
2,0
Autor
Jahr
2011
Seiten
22
Katalognummer
V204193
ISBN (eBook)
9783656315308
ISBN (Buch)
9783656318750
Dateigröße
643 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Altes Testament, Exodus, Exegese, Geburt Mose
Arbeit zitieren
Julia Gleich (Autor:in), 2011, Exegese Ex 2,1-10 - Die Geburt Mose, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/204193

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