Potenzial des Ritualhandelns im inklusiven Unterricht


Bachelorarbeit, 2012

60 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Gliederung

1. Einleitung

2. Problemstellung und Ziel der Untersuchung

3. Zur Einführung - was sind Rituale?
3.1 Begriffsklärung
3.2 Abgrenzung des Begriffs zu anderen Termini
3.3 Victor Turners Ritualtheorie
3.4 Zur Aktualität des Ritualbegriffs - Forschungsstand

4. Rituale im schulischen Kontext
4.1 Über die Einführung von Ritualien
4.2 Eigenschaften schulischer Rituale
4.3 Problemstellen beim Einsatz von Ritualien

5. Potenzial des Ritualhandelns im inklusiven Unterricht
5.1 Anforderungen an den inklusiven Unterricht
5.2 Rituale im inklusiven Unterricht - eine Fallstudie
5.2.1 Hospitation an der Schule Dempwolffstraße
5.2.2 Methodisches Vorgehen und Ziel der Untersuchung
5.2.3 Beobachtungssituation: Rituale der Klasse 1c
5.2.4 Resümee der Lehrerinterviews

6. Fazit und Ausblick

I. Literaturverzeichnis

II. Anhang

1. Einleitung

Die Institution Schule ist kein ausbalanciertes oder statisches System, sondern ein lebendiges, welches sich durch Adaptionen ständig verändert. Derzeit befindet sich das deutsche Bildungssystem in einer Phase der Umgestaltung. Waren bisher Regel- und Sonderschulen weit verbreitet, stehen sie nun in der Diskussion über eine gleichberechtigte Teilhabe am Bildungssystem. Mit dem Inkrafttreten der Behindertenrechtskonventionen der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderung ist das inklusive Bildungssystem zum Leitbild der Bildungspolitik geworden. Die Institution Schule besitzt dahingehend einen spezifischen Bildungsauftrag. Sie stellt sich einerseits der Herausforderung des Lehrens, sprich der Vermittlung von Wissen und Können, andererseits steht sie in der Pflicht ihren Schülern[1] zu mündigen, verantwortungsvollen Persönlichkeiten zu verhelfen. Die Institution muss dabei berücksichtigen, dass die Schüler eine Vielfalt unterschiedlicher Lernvoraussetzungen, Lernerfahrungen und Lernmöglichkeiten mitbringen. Sie sollte dahingehend eine Chancengleichheit für alle bieten, differenziert arbeiten, Fähigkeiten fördern und Werte im Unterricht gezielt vermitteln, um zur Sozialisation und Qualifikation der jungen Menschen beizutragen. Im Kontext dessen sind besonders die Elemente interessant, die nicht nur zum bloßen Unterricht zählen, sondern dazu beitragen den Schulalltag zu gestalten und auszuschmücken, um ein lernförderliches Klima zu schaffen.

Die vorliegende Arbeit ergründet das Potenzial des Ritualhandelns für den inklusiven Unterricht. Schwerpunktmäßig wird dabei der Übergang vom Elementarbereich zum Primarbereich thematisiert, der eine sensible Phase darstellt und darüber entscheiden kann, wie Kinder die Institution Schule langfristig erleben. Das Umfeld des Kindes, welches bis dato aus den Institutionen Familie und Kindergarten bestand, erweitert sich durch eine neue Lebenswelt, die durch neue Bezugspersonen und der Heterogenität einer Schulklasse gekennzeichnet ist, entdeckt und erobert werden möchte. Der Schuleingangsphase kommt somit eine große Bedeutung zu. In den ersten zwei Jahren des Anfangsunterrichts erlangen die Schüler fundierte Einblicke in die Institution Schule, wodurch ihre Einstellungen zum Leben und Lernen mitgeprägt werden. Der Anfangsunterricht trägt folglich zur Lern- und Persönlichkeitsentwicklung der Kinder bei, stellt gleichermaßen aber spezifische Anforderungen an die Professionalität der Lehrpersonen, die Schulneulinge in dieser Phase hilfreich, mittels pädagogisch-didaktischer Methoden und Konzepte, zu begleiten. Eine dieser Methoden ist der Einsatz von Ritualien im Unterricht.

In der Arbeit wird beginnend mit dem zweiten Kapitel die derzeitige Ausgangslage des deutschen Bildungssystems beschrieben. Aus diesen Erkenntnissen entwickelt sich die Fragestellung bezüglich des Potenzials des Ritualhandelns für den inklusiven Unterricht. Das dritte Kapitel beschäftigt sich mit den theoretischen Einsichten des Ritualbegriffs: Neben der Darstellung der Definitionsansätze, werden verschiedene angrenzende Begriffe kurz geklärt und vom Ritualbegriff abgegrenzt. Außerdem wird in ein Einblick in die Ritualtheorie Turners gegeben, sowie ein Bezug zum aktuellen Forschungsstand hergestellt. Das vierte Kapitel thematisiert Rituale im schulischen Kontext. Dahingehend werden Kriterien erarbeitet, die bei der Einführung von Ritualien zu beachten sind. Darüber hinaus werden Eigenschaften schulischer Rituale angesprochen aber auch Problemstellen erörtert. Im fünften Kapitel wird das Potenzial des Ritualhandelns für den inklusiven Unterricht herausgestellt. Zunächst erfolgt eine theoretische Auseinandersetzung mit den Anforderungen an einen inklusiven Unterricht. Für die weitere Erörterung wird eine eigens durchgeführte Fallstudie herangezogen. Ein Methodenteil erläutert die Vorgehensweise der qualitativen Forschungsmethode, die dieser Arbeit zugrunde liegt. Ferner werden die Ergebnisse der Beobachtungssituation, sowie die der Interviews zusammenfassend dargestellt und reflektiert. Die Arbeit endet mit einem Fazit und gibt einen Ausblick auf die weitere Schulentwicklung.

2. Problemstellung und Ziel der Untersuchung

Im Jahr 2009 trat die Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen (kurz: UN­Konvention) in Deutschland in Kraft, womit sich die Bundesländer und Kommunen völkerrechtlich verpflichtet haben, die Rechte und die Inklusion von Menschen mit Behinderung in der Gesellschaft aktiv zu unterstützen (vgl. HEIMLICH 2012, S.7). Der Begriff Inklusion lässt sich aus dem Lateinischen herleiten und bedeutet allgemein das Einbeziehen von Teilen in und zu einem Ganzen (MONTAG STIFTUNG JUGEND UND GESELLSCHAFT 2012, S.2). Zunehmend versteht sich der Begriff als ein Konzept menschlichen Zusammenlebens: Inklusion zielt auf die selbstverständliche Zugehörigkeit aller Menschen zur Gesellschaft ab, mit der Möglichkeit der uneingeschränkten Partizipation in allen Bereichen menschlichen Lebens, in möglichst weitgehender

Selbstbestimmung (vgl. HEIMLICH 2012, S.13). Inklusion wendet sich gegen Zwei- Gruppen-Kategorisierungen wie „Deutsche und Ausländer“, „Behinderte und Nichtbehinderte“, „Heterosexuelle und Homosexuelle“, „Reiche und Arme“ etc., sondern sieht die bestehende Diversität der einzelnen Individuen als Quelle kultureller Bereicherung an:

„Je unterschiedlicher und vielfältiger die Menschen einer Gruppe sind, desto mehr kann die Gemeinschaft undjeder Einzelne in ihr profitieren. Inklusion bedeutet daher vor allem, die in einer Gemeinschaft vorhandenen Formen von Vielfalt zu erkennen, wertzuschätzen und zu nutzen.“ (MONTAGSTIFTUNGJUGEND UND GESELLSCHAFT 2012, S.2f)

Im deutschsprachigen Raum bezieht sich der Inklusionsansatz derzeit vorrangig auf den Bildungs- und Erziehungsbereich. Ein inklusives Bildungssystem soll sich demnach als Bestandteil der Gesellschaft etablieren und gleichsam zu einer inklusiven Gesellschaft beitragen, nicht aber gänzlich für den gesellschaftlichen Inklusionsprozess zur Verantwortung herangezogen werden (vgl. HEIMLICH 2012, S.12). Dies erfordert eine Neuordnung und Umstrukturierung von Zugangsmöglichkeiten in allen gesellschaftlichen, partizipatorischen Bereichen. Besondere Beachtung wird dabei dem Bildungswesen zu teil. Der Zugang zu einem inklusiven Bildungssystem steht im Fokus der Bildungspolitik und ist ein brisantes Thema, das immer wieder neue Diskussion entfacht, da ein inklusives Bildungssystem, wie es laut Artikel 24 der UN-Konvention gefordert wird, in Deutschland als solches noch nicht vorhanden ist und sich erst entwickeln, beziehungsweise weiter ausgebaut werden muss. Dies hätte letztendlich eine umfassende Schulreform zur Folge (vgl. ebd., S.7). Derartige umfassende Reformen besitzen einen hohen Arbeitsaufwand und sind zudem sehr kostenintensiv. Die Vergangenheit hat verdeutlicht, dass solch komplexe Pläne oftmals an mangelnden Ressourcen scheitern (vgl. ebd., S.7).

Zur Umsetzung der inklusiven Schulreform bedarf es zwei wesentliche Schritte: Inklusion muss als Prozess der Veränderung eines Systems betrachtet und zu einer wesentlichen Aufgabe der Schulentwicklung erhoben werden. Ferner muss der Zugang zu Bildungsinhalten den Schülern geöffnet werden, indem sich die Unterrichtstruktur, Methodik und Didaktik verändert (vgl. ebd., S.8). Im Rahmen dieser Arbeit soll das Potenzial des Ritualhandelns, als eine Methodik des inklusiven Unterrichts, herausgestellt werden. Ziel der Untersuchung ist es zu prüfen, in wie weit Rituale zur Etablierung eines inklusiven Charakters in allgemeinbildenden Schulen beitragen können.

3. Zur Einführung - was sind Rituale?

In fast allen Lebensbereichen lassen sich Rituale finden, unser Alltag steckt voll von ihnen und doch lässt sich die Frage nach dem was ein Ritual ist nur schwer beantworten. Der Begriff Ritual impliziert vielfältige Auslegungsspielräume, möchte man sich allerdings tiefer gehend mit Ritualien beschäftigen, reichen Alltagsdefinitionen meist nicht aus, da sie unklar formuliert, diffus und in ihrer Bedeutung unbestimmt sind. Der Begriff Ritual ist in einem solch hohem Maß (themen-) übergreifend und vielseitig, dass es Schwierigkeiten bereitet, ihn auf eine Definitionseinheit zu reduzieren, beziehungsweise Deutungsmuster zu einem Dogma zu erheben. Wichtig erscheint das Bezugssystem, unter dem Rituale betrachtet werden.

3.1 Begriffsklärung

Laut Duden lässt sich der Begriff Ritual auf das lateinische Wort „ritualis“ zurückführen. Übersetzt bedeutet dies den Ritus, eine religiöse Vorschrift, betreffend (vgl. DUDEN 2012, Suchbegriff: Ritual). Weiterführend beschreibt der Duden Rituale als ein „wiederholtes, immer gleichbleibendes, regelmäßiges Vorgehen nach einer festen Ordnung“ (ebd. 2012). Daran wird deutlich, dass der Begriff heutzutage nicht ausschließlich im religiösen Zusammenhang benutzt wird, sondern weitaus allgemeiner, wobei die Akzente der Definitionsansätze in der Fachliteratur unterschiedlich gesetzt werden. Zugleich sei damit angesprochen, dass der Terminus Ritual seit geraumer Zeit Einzug in verschiedene wissenschaftliche Disziplinen erhält und an Bedeutung gewinnt (siehe Kapitel 3.4.).

Eine allgemeine Definition zu Ritualien stammt von Wimmer und Schäfer. Rituale sind demnach eine „besondere, sozial gestaltete, situative und aktionale Ausdrucksform von Kultur“ (WIMMER/SCHÄFER in Kaiser 2001, S.3) Jackel meint zudem, dass allen Ritualien eins gemein ist: „Es sind feststehende Handlungssequenzen, die nach ganz bestimmten Regeln ablaufen und lange Zeit in dieser Form Gültigkeit haben, d.h. die als tradiert und überraschungsarm eingestuft sind“ (JACKEL 1999, S.14). Kaiser ergänzt den Ritualbegriff um folgende Aspekte: Rituale bilden demnach ein soziales System, innerhalb dessen eine gemeinsame Leitidee zum Ausdruck kommt. Sie binden sich an ein bestimmtes szenisches Arrangement und besitzen zudem eine emotional-symbolische Ebene (vgl. KAISER 2000, S.5). Die Definitionsansätze geben lediglich einen Einblick in die Thematik, sollen aber an der Stelle ausreichend für eine allgemeine Begriffsklärung sein.

Im schulischen Kontext existieren verschiedene Definitionsansätze mit jeweils anderen Schwerpunkten. Einige Autoren betonen verstärkt die gemeinsame, gleichartige Handlung, andere sprechen dem Wiederholungscharakter die größere Rolle zu. Ein älterer Definitionsansatz Wellendorfs bezeichnet schulische Rituale als „typische Szenen, in denen der Zusammenhang einzelner Interaktionen und Handlungen mit dem szenischen Arrangement als ganzen symbolisch dargestellt sind“ (WELLENDORF 1973, S.70f.). Neuere Definitionsansätze greifen diese Aspekte auf und erweitern den Ritualbegriff. Petersen beschreibt Rituale als einen Prozess eigentümlicher Form und Dynamik, der spezifische Handlungsweisen in einer Klasse etabliert und, unterstützt durch Symbolik und Ästhetik, einen Handlungsspielraum erzeugt, in dem sich hierarchische Strukturen vorübergehend auflösen, sodass in einem geschützten Rahmen neue Erfahrungen und Gruppenbeziehungen ermöglicht werden (vgl. PETERSEN 2001, S.11). Riegel erfasst Rituale als Symbolhandlungen, die signalhaft wirken und von den beteiligten Individuen sofort verstanden werden. Kaiser fügt hinzu, dass Rituale durch ihre starke Symbolhaftigkeit einerseits eine emotionale Dimension (Trauerbewältigung, Angstbewältigung, Machtzuschreibung, Solidarisierungsmöglichkeiten etc.) besitzen, andererseits aber auch kontextbezogen sind (vgl. KAISER 2000, S.4, S.10). Es sind demnach sich wiederholende Handlungsmuster, an denen sich die Klasse beteiligen kann und wodurch schulisches Zusammenleben entsteht (vgl. GROEBEN 2000, S.13). Rituelle Lernarrangements sind nach Wulf und Zirfas kontinuierlich veränderbare Rituale, die flexibel und gegenüber Innovationen offen sind und somit zum stetigen Prozess der Differenzierung und Entdifferenzierung zwischen den Beteiligten beitragen:

„Sie bieten nicht weniger ein relativ homogenes und striktes Handlungsmuster für den Übergang von einem Zustand in den nächsten, [...] sondern verfügen über eine Dehnbarkeit, die individuelle Lernmuster, transitorische Gemeinschaften und tentative Lernprozesse zu integrieren in der Lage ist.“ (WULF/ZIRFAS 2007, S.327)

Im Sinne der vorangegangenen Definitionsansätze lassen sich Rituale an folgenden Kriterien zusammenfassend festmachen:

- Rituale werden interaktiv von mehreren Personen (der Klasse, dem Jahrgang, der Schule) hergestellt und getragen
- Rituale besitzen einen besonderen Charakter, der sich von Alltagshandlungen abhebt
- Rituale bestehen aus sich wiederholenden Handlungsmustem, meist mit einer spezifischen Symbolik/ Ästhetik
- Rituale sind ganzheitlich angelegt und erfassen verschiedene Ebenen/ Dimensionen
- Rituale sind zum Teil festgelegt, zum Teil variabel

3.2 Abgrenzung des Begriffs zu anderen Termini

Rituale werden oftmals mit Begriffen gleichgesetzt wie ritualisierte Handlung, Regel, Gewohnheit, Brauch, Ritus oder Zeremonie. Zwischen den Begriffen können die Grenzen fließend sein (vgl. KAISER 2000, S.ll). Im Folgenden soll eine Differenzierung vorgenommen werden. Es seijedoch daraufhingewiesen, dass eine eindeutige Abgrenzung der nachfolgenden Begriffe schwierig ist, in Anbetracht dessen das sie zum Teil auseinander hervorgehen, aufeinander aufbauen oder aufeinander verweisen.

Ritualisierte Handlung:

Die Fachliteratur beschreibt neben Ritualien häufig ritualisierte Handlungen, die augenscheinlich Ritualien ähneln, deren Merkmale aber nur bedingt erfüllen. Wimmer und Schäfer erfassen ritualisierte Handlungen als eine Reglementierung, die in ihrer Ausführung Interpretations- und Handlungsspielräume der Beteiligten umfangreich einschränkt (vgl. WIMMER/ SCHÄFER 1998, S.33). Petersen definiert ritualisierte Handlungen als zeitlich und inhaltlich festgelegte Handlungsabfolgen, die im Laufe des Schultages oder einer Schulwoche stattfinden (vgl. PETERSEN 2001, S.ll). Verglichen mit Ritualien weisen ritualisierte Handlungen ebenfalls einen festgelegten Ablauf auf, allerdings fehlt ihnen oftmals die Symbolik, die bei Ritualien charakteristisch ist. Außerdem sind sie weniger emotionsgeladen als Rituale und haben eher den Zweck, den Unterricht zu strukturieren. Petersen bezeichnet ritualisierte Handlungen daher als eine Vorform schulischer Rituale (vgl. ebd., S.ll).

Regel:

Mitunter werden Rituale kritisiert und abgelehnt, da sie mit Regeln verwechselt werden. Gleichwohl werden einfache Regeln häufig zu Ritualien erklärt, obwohl sie diesen Anspruch nicht erfüllen. Der Begriff Regel stammt vom lateinischen Wort „regula“ und bezeichnet ein Richtholz oder Maßstab (vgl. DUDEN 20l2, Suchbegriff: Regel).

Bei der Initiierung von Ritualien und Regeln sind ähnliche Prozesse erkennbar. Sie müssen über Absprachen mit der Gruppe eingeführt und etabliert werden (vgl. PETERSEN 2001, S.14). In Zielsetzung, Adressatenbezug und Dynamik unterscheiden sich Rituale und Regelnjedoch fundamental voneinander: Regeln dienen der Vorbeugung und Bekämpfung von Missständen (vgl. ebd., S.14). Sie weisen, unabhängig wie positiv sie formuliert werden, auf Schwierigkeiten hin. Regeln sind rational und gleichzusetzen mit Appellen, welche die Einhaltung verabredeter Verhaltensweisen einfordern und einen Verstoß durch Sanktionen ahnden (vgl. ebd., S.14). Im Unterschied dazu besitzen Rituale eine symbolische Kraft, die über den rationalen Kern der Regeln hinausgeht. Sie füllen und gestalten das Zusammensein einer Gruppe (vgl. RIEGEL 2000, S.22). Im Gegensatz zu Regeln können Rituale Situationen der Arbeit und des täglichen Zusammenlebens strukturieren, rhythmisieren, inszenieren und enthierarchisieren (vgl. ebd., S.22).

Gewohnheit:

Eine Gewohnheit ist eine durch häufige und stete Wiederholungen selbstverständlich gewordene Handlung, Haltung oder Eigenheit (vgl. DUDEN 2012, Suchbegriff: Gewohnheit). Im Bereich der Soziologie werden Gewohnheiten als automatisierte Verhaltensweisen, beziehungsweise Einstellungen, definiert (vgl. PETERSEN 2001, S.14). Es handelt sich dabei oftmals um emotionslose Ausdrucksweisen menschlicher Handlung, ohne das diese hinterfragt oder angezweifelt werden (vgl. ebd., S.14). Rituale hingegen sind Sequenzen von verbalen oder nonverbalen Äußerungen und Handlungen symbolischen Gehalts, die emotionale Dimensionen mit einschließen (vgl. KAISER 2000, S.4f.).

Brauch:

Ein Brauch beschreibt eine fest gewordene und in bestimmter Form ausgebildete Gewohnheit oder Sitte, innerhalb einer Gemeinschaft (vgl. DUDEN 2012, Suchbegriff: Brauch). Bräuche besitzen wie Rituale Regelmäßigkeiten und Wiederholungen. Im Gegensatz zu Ritualien lassen Bräuche mehr Freiräume zu und haben einen geringeren manipulativen Charakter. Sie finden meist im Verlauf des Jahres statt, wie beispielsweise zu Ostern und Weihnachten, und sind Ausdruck von Volkskultur (vgl. PETERSEN 2001, S.14)

Ritus:

Der Begriff Ritus wird meist als Synonym für das Wort Ritual verwendet. Beide Begriffe stammen aus dem Lateinischen, wobei der Begriff Ritus auf dem lateinischen Wort „ritus“ beruht, während der Begriff Ritual sich aus dem dazugehörenden Adjektiv „ritualis“ ableitet (vgl. DUDEN 2012, Suchbegriff: Ritus). Beide Begriffe zielen auf religiöse Bräuche und Gewohnheiten ab. Im Unterschied zum Ritualbegriff, umfasst das Wort Ritus allerdings ausschließlich religiöse Handlungen, wodurch sich die Begriffe voneinander abgrenzen lassen.

Zeremonie:

Eine Zeremonie ist eine feierliche Handlung, die nach bestimmten festen Formen, beziehungsweise einem Ritus nach, abläuft (vgl. DUDEN 2012, Suchbegriff: Zeremonie). Die Zeremonie ist somit Teil eines Ritus, mit dem Begriff selbst aber nicht synonym zu verwenden. Der Begriff Zeremonie bezieht sich demnach auf Regeln und Verhaltensweisen, die während einer religiösen Feierlichkeit von einer Gruppe vollzogen werden. Im Gegensatz zu Ritualien, die immer die Möglichkeit einer Veränderung der Teilnehmer und ihrer sozialen Position einräumen, bestätigen Zeremonien gegebene soziale Konfigurationen, haben aber weder das Ziel noch die Kraft diese umzuformen (vgl. FÖRSTER 2003, S.706).

Es existieren nicht nur unterschiedliche Definitionsansätze zu Ritualien und den angrenzenden Begriffen, auch innerhalb der Ritualtheorien lassen sich unterschiedliche Thesen und Ansatzpunkte finden. Es würdejedoch den Rahmen dieser Arbeit überschreiten all jene zu thematisieren. Daher soll im Folgenden exemplarisch eine Ritualtheorie aufgegriffen werden.

3.3 Victor Turners Ritualtheorie

Anfang des 20. Jahrhunderts trug der französische Ethnologe van Gennep zahlreiche Beschreibungen von Ritualien zusammen und unterzog sie umfangreichen Analysen, die er in seinem Werk „Les rites de passage“ (VAN GENNEP 1909) veröffentlichte. Seine Theorie gilt bis heute als Standardwerk und wurde immer wieder aufgegriffen und weiterentwickelt, unter anderem von dem Ethnologen Victor Turner, dessen Ritualtheorie im Folgenden beschrieben werden soll. Er knüpft an das Phasenmodell van Genneps an und entwickelt die Grundannahme, dass Rituale immer einen prozesshaften Charakter besitzen und demnach aus einer zeitlichen Perspektive zu untersuchen sind (vgl. FÖRSTER 2003, S.704). Seine Theorie ist besonders für die Etablierung schulischer Rituale von Interesse, da sie dem Erstarrungspotenzial jener vorzubeugen vermag (vgl. PETERSEN 2001, S.18). Im Rahmen dieser Arbeit besitzt die Theorie eine Relevanz für die Schuleingangsphase und eignet sich hervorragend zur Beschreibung der Transition vom Elementarbereich zum Primarbereich. Van Gennep bezieht seine Theorie weitgehend auf Übergangsriten[2]. Sie markieren einen Orts-, Zustands-, Positions- oder Altersgruppenwechsel und sind durch drei Phasen gekennzeichnet: die Trennungsphase, die Schwellenphase und die Angliederungsphase (vgl. TURNER 1998, S.251). Diese drei Phasen nimmt Turner in seiner Theorie auf und konkretisiert diese.

In der Trennungsphase kommt es mittels symbolischen Verhaltens zur Ablösung des Einzelnen/ einer Gruppe von einer bestehenden Sozialstruktur und/ oder kulturellen Bedingungen (vgl. TURNER 1998, S.251). Die Lösung ist von zentraler Bedeutung, da sie gleichzeitig den Einzelnen/ die Gruppe einstimmt und vorbereitet, sich auf etwas Neues einzulassen. Für die Schwellenphase ist die Mehrdeutigkeit charakteristisch: es wird ein kultureller Bereich durchschritten, der weder Merkmale des vergangenen, noch des zukünftigen Zustandes aufweist (vgl. ebd., S.251). Die Ritualtheorie Turners widmet sich besonders dieser Phase und überträgt das Dreiphasenmodell van Genneps auf soziale Kontexte, die nicht den Riten unterliegen (vgl. FÖRSTER 2003, S.704). Turner beschreibt die Schwellenphase als einen kreativen Übergangszustand: es tritt eine abrupte Herauslösung aus gewohnten sozialen Bedingungen des sozialen Lebens ein, die mitunter einen Statusverlust zur Folge hat und alte Rollenmuster aufhebt. Turner beschreibt die Qualität einer solchen herausgelösten Lebensphase mit dem Begriff „liminality“ (vgl. KERLL/ WAGNER 2003, S.1). Die Bedeutung dieses mehrdeutigen Zustands liegt einerseits in der Initiierung von Statusübergängen, andererseits in seiner besonderen Form der Vergemeinschaftung und der sozialen Kohäsion, die Turner mit dem lateinischen Begriff „communitas“ bezeichnet (vgl. ebd., S.1; TURNER 1998, S.252f.). Nach Turner ist die Schwellenphase die wichtigste Phase des rituellen Prozesses und gilt als Angelpunkt der Transformation von einem Status in einen anderen, beziehungsweise von einer Lebensphase in die nächste (vgl.Röttger-Rössler2011,S.38). In der dritten Phase,der

Angliederungsphase, ist der Übergang vollzogen und abgeschlossen. Das Individuum/ die Gruppe befindet sich in einem relativ stabilen Zustand, der durch entsprechende traditionelle Werte und Normen sowie ethische Maßstäbe gekennzeichnet ist und zudem sozial- und strukturbedingte Rechte und Pflichten des Einzelnen/ der Gruppe einfordert (vgl. TURNER 1998, S.251).

Wie bereits erwähnt lässt sich das Phasenmodell auf schulische Kontexte übertragen. Die Trennungsphase ist dabei meist durch bestimmte Veränderungen gekennzeichnet, beispielsweise räumlichen Veränderungen, wie dem Aufheben der Sitzordnung, beziehungsweise hierarchischen Veränderungen, indem die Lehrperson zu einem gleichwertigen Teil der Klasse wird (vgl. PETERSEN 2001, S. 18). Diese erste Phase bedarf einer besonderen Symbolik, ,,[...] um nonverbal immer gleiche Gruppenaktivitäten bei bestimmten Anlässen auszulösen“ (ebd., S.18). Dabei ist die aktivierende Wirkung bei den Schülern um so größer, je spezifischer die Symbolik für den entsprechenden Kontext (vgl. ebd., S.19). Die Schwellenphase lässt sich im schulischen Kontext daran erkennen, dass die Schüler die Leitung und Gestaltung mit übernehmen. Es werden hierarchische Strukturen außer Kraft gesetzt, die es dem einzelnen Kind ermöglichen, sich ins Geschehen mit einzubringen, um sich neu und kreativ zu erleben (vgl. ebd., S.19). Die Angliederungsphase schulischer Rituale ist dadurch gekennzeichnet, dass eine räumliche Veränderung oder Auflösung stattfindet. Es werden Sitzkreise aufgelöst und Materialien, die während des Rituals benutzt wurden, an ihren Platz zurückgelegt. In einigen Klassen werden Rituale mit Liedern oder Sprechversen beendet (vgl. ebd., S.20).

3.4 Zur Aktualität des Ritualbegriffs - Forschungsstand

Die Einstellung gegenüber Ritualien hat sich im Laufe der Geschichte immer wieder verändert. Rituale sind in traditionellen Kulturen entstanden, haben aber in ihrer weiteren historischen Entwicklung ihren „lebensregulierenden Charakter“ weitestgehend verloren (vgl. KAISER 2000, S.16). Nur in vereinzelten gesellschaftlichen Nischen sind sie noch immer von zentraler Bedeutung. Dennoch ist seit geraumer Zeit festzustellen, dass Rituale in modernen Gesellschaften eine Renaissance erleben:

„Es scheint, als -würden die rapiden technologischen, ökonomischen und gesellschaftlich-kulturellen Veränderungsprozesse das Bedürfnis nach sicherheitsspendenden stabilisierenden Ritualen geradezu hervorrufen.“

(KAISER 2000, S. 18)

Damit sei angesprochen, dass gerade in Zeiten der Globalisierung und Veränderung Rituale wieder an Bedeutung gewinnen. Seit Ende der 80er Jahre mehren sich die Artikel und Aufsätze über Rituale, in denen deren positive Wirkung betont wird (vgl. GROEBEN 2000, S.15). Nicht zuletzt, wahrscheinlich aufgrund der zunehmenden Multireligiosität und Multikulturalität der globalen Weltgesellschaft, hat sich daraus ein eigenes Forschungsgebiet entwickelt. An der Universität Heidelberg beispielsweise, existiert seit 2002 der Sonderforschungsbereich „Ritualdynamik“. In 17 Teilprojekten arbeiten derzeit über 90 Wissenschaftler aus 15 geistes- und kulturwissenschaftlichen Disziplinen am Projekt „Ritualdynamik“. Neuste Erkenntnisse belegen, dass Rituale kreative und sinnstiftende Kulturelemente sind, die sich den Möglichkeiten der Globalisierung anpassen und neue, Kulturen und Nationen überspannende Werte schaffen (vgl. UNIVERSITÄT HEIDELBERG 2008).

Da im Rahmen dieser Arbeit schulische Rituale im Fokus stehen, soll an dieser Stelle ein Einblick in den aktuellen Forschungsstand des konkreten Themas gegeben werden. In Folge des Nationalsozialismus besaßen Rituale in den Regelschulen, bis in die 70er Jahre hinein, einen negativen Charakter und wurden als „automatisierte sinnentleerte Handlungsabläufe“ aufgefasst, die der Disziplinierung und Manipulierung der Schüler dienten (vgl. SCHULTHEIS 1998, S.7). Die Rückkehr zu einem positiven Ritualverständnis erhielt in den 80er Jahren ihren Impuls aus der Reformpädagogik. Innerhalb der Reformpädagogik wurden Rituale nicht abgeschafft, sondern kamen weiterhin zum Einsatz, wie das Beispiel der Laborschule Bielefeld verdeutlicht: Durch die örtliche Öffnung der Räumlichkeiten entstanden rituelle Strukturierungen. Zudem benannte 1977 Hartmut von Hentig, der Begründer der Laborschule, „Regeln, Reviere, Rituale“ als wichtige Bestandteile der Schule (vgl. GROEBEN 2000, S.15). Später griff Becker den Gedanken Hentigs auf und beschrieb Rituale als Mittel der Bedürfnisbefriedigung nach Orientierung und symbolischen Ausdrucks (vgl. BECKER 1987, S.48f.). Fortan kam es zu regen Auseinandersetzungen mit dem Thema. Combe warnte 1994 allerdings davor den „Rekurs auf Rituale“ leichtfertig dahin zunehmen. Er stimmte seinen Vorredner zu, dass es einseitig sei, Rituale nur als Mittel des Machtmissbrauchs zu sehen, andererseits appellierte er an eine kritische Haltung gegenüber Ritualien (vgl. COMBE 2004, S.22ff.). Es sei darauf verwiesen, dass Rituale in der aktuellen Literatur nicht unkritisch gesehen werden. Vielfältig wird neben der positiven Wirkung auf mögliche Gefahren und Problemstellen hingewiesen.

Zusammenfassend bleibt festzuhalten, dass Rituale ihren negativen Charakter allmählich verlieren und für den Unterricht mehr und mehr an Bedeutung gewinnen. Dies verdeutlichen auch die aktuellen Werke von Kaiser, Petersen, Wulf und Zirfas, an denen sich die vorliegende Arbeit maßgeblich orientiert.

4. Rituale im schulischen Kontext

Der Übergang vom Elementarbereich zum Primarbereich ist ein entscheidender Lebensabschnitt der Kindheit. Der Transition kommt somit eine große Bedeutung zu. Sie gestaltet sich als sensible Phase und trägt zur Lern- und Persönlichkeitsentwicklung der Kinder bei, stellt gleichermaßen aber spezifische Anforderungen an die Professionalität der Lehrerinnen und Lehrer, die Schulneulinge in dieser Phase hilfreich mittels pädagogisch­didaktischer Methoden und Konzepte zu begleiten. Eine dieser Methoden ist der Einsatz von Ritualien im Unterricht. Es gibt unterschiedliche Weg, wie Rituale Einzug in den Schulalltag erhalten. Sie können spontan aus einer Situation heraus entstehen, sich verfestigen und wandeln oder sie entwickeln sich allmählich und stehen dabei unter dem Einfluss aller Beteiligten, die über ihre Festigung entscheiden (vgl. PETERSEN 2001, S.15).

4.1 Über die Einführung von Ritualien

Im schulischen Kontext werden Rituale vorwiegend von Lehrpersonen initiiert. Bei der Initiierung gilt es einige Aspekte zu berücksichtigen, damit sich Rituale langfristig in einer Klasse etablieren können und auf die Akzeptanz der Schüler stoßen. Zum einen beinhalten Rituale bestimmte Strukturelemente: sie werden durch die Zeit, durch die kulturelle Bedeutung, durch die institutionelle Weite und durch die räumliche Verortung bestimmt (vgl. KAISER 2000, S.8). Zum anderen ist es bei der Initiierung von Ritualien wichtig, dass die Kinder in den Entstehungsprozess mit einbezogen werden. Dahingehend sollte die Lehrperson Absprachen über Zeit- und Handlungsspielräume von Ritualien treffen, deren Einsatz begründen und gegebenenfalls Handlungsmuster die Schüler erproben lassen. Für den Prozess der Initiierung erweist sich dabei der Einsatz von Symbolen als besonders hilfreich (vgl. PETERSEN 2001, S.15). Petersen betont zudem die konsequente Durchsetzung eines beschlossenen Rituals. Häufige Unterbrechungen oder Aussetzungen sind in der Entstehungsphase eines Rituals hinderlich und können nicht die gewinnbringende Wirkung erzielen (vgl. ebd., S.15f.).

Besonders im Anfangsunterricht sind Rituale und ritualisierte Handlungen von Bedeutung. Die Kinder erfahren einen lebenseinschneidenden Übergang von der vorschulischen zur schulischen Lebenswelt. Dieser Übergang wird erleichtert, indem den Kindern Struktur und Geborgenheit geboten wird. Durch Rituale werden den Schulanfängern Wege zum selbstbestimmten Handeln gegeben und Vorgänge in der Klasse durchschaubar gemacht (vgl. Prengel 1999, S.9; S.110). Dies istjedoch nicht immer einfach und erfordert von der Lehrperson viel Einfühlungsvermögen, denn es gilt zu beachten, dass Kinder unterschiedlicher Herkunft und sozialer Entwicklung aufeinandertreffen, denen die Möglichkeit eingeräumt werden muss, ihre Vielfalt zum Ausdruck zu bringen (vgl. ebd., S.110).

4.2 Eigenschaften schulischer Rituale

Beim Eintritt in die Schule sollte nicht nur der Lernerfolg im Vordergrund stehen, sondern auch das Wohlbefinden der Schüler berücksichtigt werden. Rituale können dahingehend wichtige didaktische Werkzeuge darstellen. Richtig eingesetzt, übernehmen sie vielerlei Funktionen, helfen dabei den Unterricht zu tragen und auszugestalten.

Rituale rhythmisieren, strukturieren und orientieren

Rituale dienen im Unterricht als Rhythmisierungs-, Strukturierungs- und Orientierungshilfen (vgl. RIEGEL 2000, S.21). Sie sind sowohl zeitlich, räumlich als auch inhaltlich angesiedelt und bieten eine Rahmung für verschiedene Arbeitsphasen (vgl. PETERSEN 2001, S.11). Grundschulkinder besitzen ein unterschiedlich ausgeprägtes Zeitempfinden, das zudem abhängig von Tagesform und Situation ist (vgl. ebd., S.22). Die Schüler benötigen gerade in der Schuleingangsphase ritualisierte Handlungsabläufe, mit einer klaren Regelstruktur und wiederkehrenden Gewohnheiten, um die zeitliche Komponente besser einschätzen und sich daran orientieren zu können (vgl. BECKER 1987, S.18f.). Dies erfordert innerhalb des Unterrichts eine Rhythmik, die sich durch Spannungs- und Entspannungsphasen kennzeichnet und verschiedene Unterrichtsmethoden ermöglicht (vgl. PETERSEN 2001, S.22). Nicht nur Arbeitsphasen und methodische Wechsel können durch rituelle Inszenierungen strukturiert werden, sondern auch räumliche Übergänge, die Ruhe- und Aktivitätszonen definieren. (vgl. KERLL/ WAGNER 2003, S.8)

Gerade die zeitliche, räumliche und inhaltliche Struktur, die den Ritualien eigen ist, erleichtert es den Kindern, den Ablauf des Unterrichts besser zu durchschauen, (vgl. KAISER 2000, S.28ff.). Nicht zuletzt wird den Schülern damit Halt und Sicherheit gegeben. Dieser Aspekt hat besonders in der vergangenen Jahren an Bedeutung gewonnen, da die Lebenswelt vieler Schüler mehr und mehr durch Vereinzelung, Unsicherheit und Orientierungslosigkeit geprägt ist, was sich in extremen Fällen in destruktiven und aggressiven Verhalten äußert und sich vermehrt in Unterrichtssituationen beobachten lässt (vgl. RIEGEL 2000, S.21).

Rituale fördern soziale Umgangsformen

Rituale verleihen dem Unterricht nicht nur Struktur und Orientierung, sie regeln darüber hinaus das soziale Miteinander, wirken gemeinschaftsbildend und integrierend (vgl. KAISER 2000, S.28). Durch eine gezielte Inszenierung einer alltäglichen Situation machen sie aus einem Nebeneinander der Gruppenmitglieder ein Zusammenspiel aller, stärken die Zusammengehörigkeit und schaffen somit eine Perspektive für die Schüler (vgl. PETERSEN 2001, S.12). Durch rituelle Formen, Festlegungen und die gemeinsame Teilnahme entsteht gleichsam eine Gruppe, die sich gegenüber nicht Nicht-Mitgliedern abgrenzt (vgl. ebd., S.12). Indem Rituale durch Symbolik und Rhetorik gemeinsame Handlungen inszenieren, ermöglichen sie es den Gruppen sich wahrzunehmen und Einfluss auf ihr Umfeld auszuüben, indem sie beispielsweise eigene Räume definieren und einnehmen, ihr Selbstverständnis ausdrücken und weiterentwickeln (vgl. KERLL/ WAGNER2003,S.7). In rituellen Prozessen erlangen die Schüler ein Bewusstsein für die Gruppe und stellen soziale Zusammenhänge her. Mittels Ritualien kann sich hierbei ein inklusiver Charakter entfalten, der Diversität akzeptiert und Außenseiterkonstellationen vermindert (vgl. ebd., S.7).

Rituale dienen der Persönlichkeitsentwicklung

Rituelle Arrangements fördern aber nicht nur das soziale und praktische Lernen, darüber hinaus dienen sie der Persönlichkeitsentwicklung, indem die Schüler dazu angeregt werden, ihren Lernprozess selbständig zu gestalten und zu kontrollieren. Die dadurch erlangte Selbstständigkeit hilft den Lernenden ihre Individualität zu entfalten (vgl. WULF/ ZIRFAS 2007, S.326).

[...]


[1] Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird in dieser Arbeit auf die Unterscheidung in weibliche und männliche Endungen verzichtet. Gemeint sindjeweils immer beide Geschlechter.

[2] In seinem Werk „Les rites de passage“ benutzt Van Gennep den Begriff „Riten“ als Bestandteil einer Zeremonie. Das Wort Ritual kommt in seinen Ausführungen seltener vor, wird aber synonym benutzt.

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Details

Titel
Potenzial des Ritualhandelns im inklusiven Unterricht
Hochschule
Universität Hamburg
Veranstaltung
Behindertenpädagogik
Note
1,7
Autor
Jahr
2012
Seiten
60
Katalognummer
V204153
ISBN (eBook)
9783656610335
ISBN (Buch)
9783656609872
Dateigröße
3703 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Rituale, Inklusion
Arbeit zitieren
Jenny Krone (Autor:in), 2012, Potenzial des Ritualhandelns im inklusiven Unterricht, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/204153

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Titel: Potenzial des Ritualhandelns im inklusiven Unterricht



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