Auswirkungen der TARGET2-Problematik für Deutschland


Seminararbeit, 2012

25 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

1. Einleitung und Problemstellung

2. Einführung in das Zahlungsverkehrssystem TARGET
2.1. Funktionsweise und Bedeutung für das Eurosystem
2.2. Entwicklung der Bundesbank-Salden im TARGET2-System

3. Politische und ökonomische Risikofaktoren
3.1. Symptom oder originäres Risiko?
3.2. Finanzielle Risiken
3.3. Risiken im Kontext politischer Erpressbarkeit

4. Fazit

Literaturverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: Beispieltransaktion TARGET

Abbildung 2: Entwicklung der Salden Europeripherie vs. Bundesbank

Abbildung 3: TARGET2-Verrechnungssalden im Eurosystem

1. Einleitung und Problemstellung

Seit nunmehr vier Jahren schwebt die europäische Staatsschuldenkrise wie ein Damoklesschwert über Europa. Ausgelöst vom Zusammenbruch des US-amerikanischen Immobilienmarktes und der Investmentbank Lehman Brothers im Jahr 2008, entwickelte die globale Wirtschafts- und Finanzkrise in Europa eine erhebliche Eigendynamik und manifestierte sich seither in einer anhaltenden Schulden- und Zahlungsbilanzkrise europäischer Peripheriestaaten.

Im Zuge der seither implementierten Stabilisierungsmaßnahmen, deren Bandbreite ebenso mannigfaltig ist, wie ihre Bewertung durch Wissenschaft und Politik, scheinen sich die Leitlinien deutscher Fiskal- und europäischer Geldpolitik zunehmend zu entfremden, denn während die EZB zu immer drastischeren Mitteln greift, wie den beiden Dreijahrestendern und neuerlichen, diesmal unlimitierten Anleihekäufen, hinkt die demokratische Legitimation institutionalisierter Krisenmechanismen, wie ESM und EFSF, allem Anschein nach stetig hinterher.[1] Grund hierfür sind nicht selten konträre Positionen, vertreten durch Bundesregierung und Bundesbank, insbesondere gegenüber den von anderen Euromitgliedern forcierten, unkonventionellen Maßnahmen der EZB, die zu einer politischen Isolation Deutschlands geführt haben.[2] Inwieweit diese Isolation mit einer politischen Erpressbarkeit Deutschlands einhergeht, soll nun anhand des Trans-European Automated Real-time Gross Settlement Express Transfer System (TARGET2), ausführlich erörtert werden, das der Abwicklung grenzübergreifender Transaktionen dient.

Ob TARGET2 ein weiteres Instrument europäischer Finanzhilfen darstellt, ist seit über einem Jahr Gegenstand einer zunächst akademischen, später auch breiten medialen Debatte, maßgeblich angestoßen von Hans-Werner Sinn zu Beginn vergangenen Jahres. Auslöser hierfür waren massive Ungleichgewichte innerhalb der Salden des Zahlungssystems, zum einen hohe Forderungen bei der Bundesbank und zum anderen Verbindlichkeiten nationaler Zentralbanken aus Griechenland, Italien und Spanien.[3]

Ziel dieser Arbeit soll sein, die volkswirtschaftlichen Effekte aus den TARGET2-Salden zu benennen, deren politische und finanzielle Risiken für Deutschland herauszuarbeiten und anschließend in den Kontext politischer Erpressbarkeit einzuordnen. Im Idealfall gelingt es, Aussagen, wie jene von Hans-Werner Sinn: „Wir sind durch die Krisenländer erpressbar geworden“, mittels ökonomischer Fakten zu verifizieren, oder aber zu belegen, dass innerhalb des TARGET2-Streits willkürlich Äpfel und Birnen addiert werden.[4]

Um dies zu erreichen, wird im zweiten Abschnitt zunächst in die Funktionsweise von TARGET2 und dessen geldpolitische Bedeutung eingeführt (Abschnitt 2.1.). Darüber hinaus zeigt Teilabschnitt 2.2. die Entwicklung jener Salden auf, die seit Ausbruch der Staatsschuldenkrise erhebliche Ungleichgewichte aufweisen. Insbesondere die Beziehungen zu wirtschaftlich signifikanten, aber gleichermaßen bedrohten Volkswirtschaften, wie Spanien und Italien sollen hierbei näher betrachtet werden.

Im Anschluss an diese deskriptive Bestandsaufnahme, sollen die Salden interpretiert und finanzielle Risiken herausgearbeitet werden, die der Bundesrepublik Deutschland – gegeben verschiedene Szenarien – aus den Ungleichgewichten des TARGET2-Systems möglicherweise entstanden sind (Abschnitt 3.1. und 3.2.). Inwieweit dies zu politischer Erpressbarkeit geführt haben könnte, ist Kernaspekt von Abschnitt 3.3.

2. Einführung in das Zahlungsverkehrssystem TARGET2

2.1. Funktionsweise und Bedeutung für das Eurosystem

Gemäß Artikel 105 Absatz 2 des Vertrages zur Gründung der europäischen Gemeinschaft ist die Förderung des reibungslosen Zahlungsverkehrs eine der Aufgaben des Europäischen Systems der Zentralbanken, dem neben der EZB auch die nationalen Zentralbanken aus 23 EU-Mitgliedsstaaten angehören.[5] Dieser Aufgabe wurde mit der Einführung des Zahlungsverkehrssystems TARGET 1999 Rechnung getragen, das eine Verbindung zwischen Systemen nationaler Zentralbanken und der EZB herstellte. Aufgrund mangelnder Effizienz, speziell in Hinblick auf Transaktionskosten und technische Instandhaltung, wurde TARGET im Jahr 2007 sukzessive in das Nachfolgesystem TARGET2 überführt, das seither eine einheitliche technische Plattform für grenzübergreifende Zahlungen bereitstellt. Neben den 23 nationalen Zentralbanken wird das System auch von mehr als 4400 Geschäftsbanken genutzt. Anders als sein Vorgängersystem, das hauptsächlich der Übertragung von Großbeträgen diente, kann TARGET2 auch für Kleinstbeträge, beispielsweise im Privatkundengeschäft, genutzt werden.[6]

Ein solches Zahlungssystem ist grundsätzlich notwendig, um eine möglichst hohe Fungibilität der nationalen Guthaben innerhalb der Währungsunion zu gewährleisten. Depositen bei einer deutschen Geschäftsbank sollen zu möglichst geringen Kosten in Guthaben französischer oder österreichischer Banken umgewandelt werden können, sodass im Ergebnis keine Unterscheidung zwischen rein innerstaatlichen und innereuropäischen Zahlungsströmen stattfindet.[7]

Ursprung solcher Transaktionen können Außenhandelsaktivitäten sowie Wertpapier- und Kreditgeschäfte innerhalb der Eurozone sein, die über bzw. von Geschäftsbanken getätigt und via TARGET2 mit den nationalen Zentralbanken verrechnet werden. Auch Zahlungen aus Offenmarktoperationen des Eurosystems werden über TARGET2 abgewickelt.[8] Mehrere Autoren, unter anderem Buiter et al. (2011) oder Sinn (2011) verdeutlichen die Funktionsweise von TARGET2 anhand von Außenhandelstransaktionen, spezieller mittels eines deutschen Warenexports in die Europeripherie. Die Lieferung eines abstrakten Exportgutes im Wert von beispielsweise 1.000€ erfolgt hierbei auf Rechnung, wobei die Überweisung durch die jeweils involvierten Geschäftsbanken via TARGET2 getätigt wird. Im Ergebnis verringert sich das Bankguthaben des Importeurs bei seiner Geschäftsbank um 1.000€, während der Exporteur eine Gutschrift in gleicher Höhe erhält.[9]

Abbildung 1 zeigt die technische Umsetzung der Überweisung zwischen einem spanischen Unternehmen ES, sowie einem deutschen Unternehmen D über das TARGET2-System. Entlang des blauen Pfeiles sind die Buchungen dargestellt, die aus der Überweisung der 1.000€ in den Zentralbankbilanzen resultieren.

Abbildung 1: Beispieltransaktion TARGET2

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: Eigene Darstellung[10]

Da Zahlungen innerhalb von TARGET2 in Zentralbankgeld erfolgen, werden die Reserveguthaben der involvierten Geschäftsbanken bei der jeweiligen nationalen Zentralbank tangiert, wobei die Deutsche Bank als Zahlungsempfänger eine Forderung gegen die Bundesbank in Höhe von 1.000€ erhält.[11] Auf spanischer Seite hinterlegt die Bank Santander im Gegenzug zentralbankfähige Sicherheiten bei der Banco de España. Für die Bundesbank entsteht eine Forderung gegen die EZB, also nur indirekt gegenüber der sendenden Notenbank, die zum Refinanzierungssatz verzinst und im Inland nicht erneut besichert wird. Dieser Prozess bedarf keiner konkreten Zustimmung durch nationale Zentralbanken, sondern verläuft vollkommen automatisiert.[12] Gleichen sich die Zahlungsströme im Tagesverlauf nicht aus, erfolgt eine Saldierung verbleibender Forderungen und Verbindlichkeiten über die EZB.[13]

Eine weitere Form von Transaktionen, die im Kontext der TARGET2-Diskussion besondere Relevanz annimmt, sind einfache Überweisungen von Konten in der Europeripherie an deutsche Geschäftsbanken.[14] Auch hier weist das Empfängerland eine TARGET2-Forderung auf; die Zentralbank des Landes, in dem die Überweisung getätigt wird, hat dann eine Verbindlichkeit.[15] Dies ist Gegenstand einer signifikanten Depositenflucht aus den Peripherieländern in vermeintlich sichere Häfen, insbesondere Deutschland.[16]

Die Entwicklung der daraus resultierenden Salden in der Bilanz der Bundesbank wird im nächsten Teilabschnitt ausführlich beschrieben.

2.2. Entwicklung der Bundesbank-Salden im TARGET2-System

Die Nettoforderung der Deutschen Bundesbank belief sich auf zuletzt rund 751 Milliarden Euro, mit einer durchschnittlichen Wachstumsrate von monatlich 7,6% seit Beginn des Jahres 2007.[17] Abbildung 2 zeigt den stetigen Anstieg dieser Forderungspositionen in diesem Zeitraum. Während sich Transaktionen im TARGET2-System vor 2007 weitgehend die Waage hielten, verzeichneten Nettozuflüsse seit Mitte 2007 ein massives Übergewicht, das seither zu einem rapiden Anstieg der Forderungsposition der Bundesbank führte.[18]

Abbildung 2: Entwicklung der Salden Europeripherie vs. Bundesbank

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle 1: Eigene Darstellung[19]

Dem Forderungsüberhang der Bundesbank steht eine ganze Reihe von Ländern mit hohen Verbindlichkeiten gegenüber, von denen eine, in der relevanten Literatur übliche Auswahl, ebenfalls in Abbildung 2 abgetragen wurde.[20]

Der signifikante Anstieg der Ungleichgewichte seit Mitte 2007 wird von mehreren Autoren übereinstimmend – unter anderem Sinn; Wollmershäuser (2011) und Lipponer; Ulbrich (2011) – auf die Anfänge der Finanzkrise zurückgeführt, als der europäische Interbankenhandel zusehends zusammenbrach, sodass private Kapitalexporte in die Peripheriestaaten mangels Vertrauen in den dortigen Bankensektor versiegten. Aufgrund der Anspannungen im Interbankenmarkt werden Kapitalzuflüsse in diese Staaten zunehmend über das TARGET2-System realisiert und nicht mehr durch private Kapitalströme abgebaut, wie es vor der Krise die Regel war.[21]

Bemerkenswert ist die jüngste Entwicklung der Verbindlichkeiten Spaniens und Italiens, deren immanente Gefährdung später einsetzte, als in den Fällen Griechenlands oder Irlands. Ein Großteil der Literatur stützt sich auf die letztgenannten Staaten, um mögliche Risiken für Deutschland zu analysieren, beispielsweise Sinn (2011) und Abad et al. (2012). Im Verlauf dieses Jahres entwickelten sich jedoch Spanien und Italien zu den größten Schuldnern innerhalb des TARGET2-Systems. Abbildung 3 stellt die Verrechnungssalden im Eurosystem grafisch dar; hierbei wird das Ungleichgewicht zwischen der Bundesbank als Hauptgläubiger und Staaten mit besonders hohen Verbindlichkeiten, noch einmal deutlich.

Dieser Zusammenhang erklärt die eingangs erwähnte Fokussierung auf jene Staaten, denn anders als noch im letzten Jahr sind es nicht mehr Irland, Portugal und Griechenland, welche die höchsten Verbindlichkeiten ausweisen, sondern mit Spanien und Italien wirtschaftlich weitaus größere Volkswirtschaften.

[...]


[1] Vgl. Tornell, Westermann (2012) S.2

[2] Siehe hierzu Handelsblatt Nr. 125, „Wie Merkel in die Monti-Falle tappte“ und Handelsblatt Nr. 149, 3.8.2012: „Wie lange noch?“.

[3] Vgl. Homburg(2011) S. 530 und S. 526.

[4] Siehe http://www.wiwo.de/politik/europa/euro-krise-target-salden-draengen-deutschland-an-den-abgrund/6277238.html und http://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/streit-um-target-salden-ein-professor-der-aepfeln-birnen-und-bananen-addiert-1.1310221.

[5] Vgl. Fahrholz (2012) S. 6.

[6] Vgl. Europäische Zentralbank (2012) S. V und Sinn; Wollmershäuser (2011) S. 7.

[7] Vgl. Bindseil; König (2011) S. 3 und 4.

[8] Vgl. Deutsche Bundesbank (2011) S. 34.

[9] Vgl. Homburg (2011) S. 526 und 527.

[10] In Anlehung an Quaas (2011) S. 835 und Sell; Bauer (2011) S. 9.

[11] Vgl. Ulbrich, Lipponer (2011) S. 69 und Bindseil; Cour-Thimann; König (2011) S.81.

[12] Vgl. Fahrholz (2012) S.6. und S. 10, sowie Sinn (2011) S.1.

[13] Vgl. Deutsche Bundesbank (2011) S. 34.

[14] Vgl. Bindseil; Cour-Thimann; König (2011) S.81. oder Homburg (2011) S.528.

[15] Vgl. Fahrholz (2012) S.6.

[16] Vgl. Abad; Löffler; Zemanek (2011) S. 1.

[17] Stand 31.7.2012, Daten bereitgestellt von http://www.iew.uni-osnabrueck.de/en/8959.htm

[18] Vgl. Sinn; Wollmershäuser (2011) S. 4.

[19] Daten bereitgestellt von http://www.iew.uni-osnabrueck.de/en/8959.htm; Abrufdatum 7.9.2012

[20] Vgl. unter anderem Tornell; Westermann (2012) S. 3, zumeist aggregiert als GIIPS

[21] Vgl. Homburg (2011) S.528 und Deutsche Bundesbank (2011) S.35.

Ende der Leseprobe aus 25 Seiten

Details

Titel
Auswirkungen der TARGET2-Problematik für Deutschland
Hochschule
Gottfried Wilhelm Leibniz Universität Hannover  (Institut für Öffentliche Finanzen)
Veranstaltung
Seminar aktuelle Fragen der Finanzpolitik
Note
1,7
Autor
Jahr
2012
Seiten
25
Katalognummer
V204030
ISBN (eBook)
9783656301202
ISBN (Buch)
9783656301820
Dateigröße
945 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
TARGET2, Schuldenkrise, Sinn, EZB, Geldpolitik
Arbeit zitieren
Sebastian Schrön (Autor:in), 2012, Auswirkungen der TARGET2-Problematik für Deutschland, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/204030

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