Fließende Grenzen und die Frage nach der einen europäischen Identität


Seminararbeit, 2011

17 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Europa als Illusion
2.1. Yoko Tawadas Auffassung von Europa
2.2. Sprache als Identifikationsmittel?
2.3. Fließende Grenzen

3. Europa – Das große Gegenprojekt zu den USA
3.1. Kleine Geschichte der EU
3.2. Homogenität bleibt Illusion
3.3. In varietate concordia funktioniert nicht

4. Fazit

1. Einleitung

Europa ist aktueller denn je. Die Tageszeitungen und Nachrichtensendungen sind voll mit Meldungen: Schuldenkrise, millionenschwere Finanzierungsprojekte zur Rettung maroder Staatshaushalte vor dem kompletten Bankrott, Diskussionen um eine gemeinsame Verfassung für alle Mitgliedsstaaten der Europäischen Union oder Zuwanderungswellen aus den neuen Mitgliedsstaaten und die daraus resultierenden Probleme für Europa und die einzelnen Mitgliedsstaaten sind nur einige wenige der heftig diskutierten Themen; die „Euro-Krise“ ist allgegenwärtig und scheint kaum lösbar.

Die folgende Arbeit beschäftigt sich gezwungenermaßen marginal mit ökonomischen, politischen oder finanziellen Aspekten der Europäischen Union; im Fokus jedoch stehen kulturelle und soziale Schwierigkeiten wie auch die Konsequenzen für Europa als eine Vereinigung von 27 Staaten. Eine so hohe Zahl an unterschiedlichen Nationalitäten zu einem Staatenbund zusammenzufassen birgt naturgemäß einige – teils kaum zu überwindende – Hindernisse.

Die japanische Autorin Yoko Tawada beschäftigt sich in zahlreichen Werken intensiv mit dem Thema „Europa“ samt existierender Probleme hinsichtlich Integration, unterschiedlicher Nationalitäten mit jeweils eigenen Traditionen und Wertevorstellungen, Unsicherheit und Problemen; kurz:

Mit der nicht enden wollenden Suche nach (einer europäischen) Identität.

Ausgangspunkt der Fragestellung nach dieser europäischen Identität ist Yoko Tawadas Essay Eigentlich darf man es niemandem sagen, aber Europa gibt es nicht. Hieraus folgt die Analyse einer Auswahl kultureller sowie sozialer Probleme Europas, die aus der nicht optimal verlaufenen Entstehungsgeschichte Europas und der Europäischen Union resultieren. Die nicht zu beschönigende Konsequenz ist die Tatsache, dass die – zugegebenermaßen großartige – Idee von Europa als nicht realisierbares Konstrukt entlarvt und akzeptiert werden muss.

Ein denkbarer Lösungsansatz für dieses Dilemma soll abschließend im Ansatz skizziert werden.

2. Europa als Illusion

2.1. Yoko Tawadas Auffassung von Europa

In Yoko Tawadas Essay Eigentlich darf man es niemandem sagen, aber Europa gibt es nicht erfährt die literarische Figur als eine Art Doppelgestalt den europäischen Kontinent: Als ein männliches und ein weibliches Individuum – jeweils dargestellt als Theaterfigur. Allein diese Ausgangssituation aus dem Kontext des Theaters impliziert dem Rezipienten sofort ein Gefühl von Künstlichkeit und Erfundenem. Das Folgende ist fiktiv und alles andere als realistisch vorstellbar. Von Beginn an beherrscht also Illusion den gegenwärtigen Zustand und letzten Endes das Hauptproblem: Die Frage und endlose Suche nach der einen europäischen Identität. Traurige Konsequenz dieses scheinbar unlösbaren Definitionsproblems ist, dass Europa in Wirklichkeit überhaupt nicht existiert. Europa ist lediglich ein fiktives Konstrukt.

Die männliche Figur äußert sich im Essay vorwiegend kritisch. Kritik an Fremdem und Anderen dient in der westlichen Gesellschaft vor allem als Schutz davor, selbst kritisiert zu werden. Diese Kritik stellt die „spezifisch westliche Form von Rationalität“[1] dar; „Kritik [erscheint] als Grundform des Denkens.“[2] Geradezu zwanghaft werden Ereignisse, Institutionen sowie Personen kritisiert. Erstaunlicherweise kritisiert sich diese männliche Figur schließlich doch selbst, was allerdings plausibel erklärbar ist: Sogar Selbstkritik ist nützlich, dient sie doch als Schutz vor Nichtbeachtung – der wohl größten Angst des typischen Westeuropäers. Kritik und eine damit verbundene pessimistische Grundeinstellung wirken auf Außenstehende als eine Art Volkssport; aus dieser Disziplin geht der typische Europäer als klares Naturtalent hervor.[3]

Auf der anderen Seite steht die weibliche Verkörperung Europas. Sie symbolisiert folgenden griechischen Mythos: Der nicht selten unmoralische Gottesvater Zeus ist „von der Schönheit der jungen Europa ergriffen“[4] und verwandelt sich in einen prächtigen Stier, um die Aufmerksamkeit der jungen phönizischen Prinzessin zu erlangen. Europa fällt auf diese List herein und wird von Zeus in Stiergestalt auf die Insel Kreta entführt, dort vergewaltigt und zurückgelassen. Als eine weitere irdische Geliebte des Gottes wird Europa zur Namensgeberin des bis dahin fremden Weltteils.[5] Europa wird folglich bereits als eine Verlust-Figur vorgestellt,[6] einsam und ohne irgendeinen Beistand in ihrer hilflosen Lage. Die weibliche Figur Europas tritt in Tawadas Essay als eine Art Phantom auf, in jeglichen Dimensionen äußerst schwer vorstellbar und kaum zu begreifen.

Durch beide Theaterfiguren im Essay, besonders allerdings durch die weibliche Figur, wird der Versuch Tawadas deutlich, Ungreifbares und Unbegreifliches durch Sprache an etwas Körperliches zu binden; gewissermaßen mit Worten in eine vorstellbare Erscheinung zu verwandeln. Sprache wird somit unersetzlich für den gesamten Prozess des Verstehens und zu einem notwendigen Hilfsmittel, welches den Leser näher an das komplexe und nur schwer zu erfassende Problem treten lässt.

2.2. Sprache als Identifikationsmittel?

Allerdings wählt die japanische Autorin Yoko Tawada deutsch, also das Fremde, als Sprache für ihre Beschreibungen. Sich in einer Fremdsprache auszudrücken birgt stets einige Schwierigkeiten; nur äußerst selten können Sachverhalte hier exakt so dargestellt werden wie in der eigenen Muttersprache. Um es noch radikaler zu fassen: Tawada wiederholt lediglich bereits Gesagtes, wenn sie sich in deutscher Sprache äußert – schließlich lernt der Mensch nur durch die bloße Wiederholung einzelner Worte eine ihm fremde Sprache. Folglich ist keine objektive Beschreibung von Zuständen mehr möglich. Das Ergebnis auf dem Papier sind lediglich Wiederholungen bereits existierender, europäischer Selbstreflexionen.[7]

Die Sprache, in der Tawada ihre eigenen Erfahrungen mit dem europäischen Kontinent aufzeichnet, ist eine europäische und spiegelt folglich das Thema Fremde in seiner ganzen Bandbreite schon auf der Mikroebene des eigentlichen Erzählens wider. Die Tatsache, dass Tawada Fremdes, Andersartiges, bestehende Probleme und Konflikte erkennt und niederschreibt, reicht allerdings nicht aus für eine zufriedenstellende Antwort auf die essentielle Frage nach einer europäischen Identität. Bloßes Registrieren bedeutet nicht verstehen.[8]

[...]


[1] Monika Schmitz-Emans: Fließende Grenzen und rätselhafte Verwandlungen. Yoko Tawadas Visionen von Europa, in: Europa – Stier und Sternenkranz, hrsg. von Renger/Ißler, Bonn 2009, S. 319.

[2] Yoko Tawada: „Eigentlich darf man es niemandem sagen, aber Europa gibt es nicht.“ In: Talisman: Literarische Essays, Tübingen 1996, S. 48.

[3] Vgl.: Ebd.

[4] Gustav Schwab: Die schönsten Sagen des klassischen Altertums, Frankfurt/Main 2008, S. 34.

[5] Vgl.: Ebd., S. 39.

[6] Vgl.: Monika Schmitz-Emans: Fließende Grenzen und rätselhafte Verwandlungen, S. 320.

[7] Vgl.: Ebd., S. 322.

[8] Vgl.: Ebd., S. 321.

Ende der Leseprobe aus 17 Seiten

Details

Titel
Fließende Grenzen und die Frage nach der einen europäischen Identität
Hochschule
Karlsruher Institut für Technologie (KIT)  (Zentrum für Angewandte Kulturwissenschaft)
Veranstaltung
Mythos Europa - Identität und Konstruktion eines Kulturraums
Note
2,0
Autor
Jahr
2011
Seiten
17
Katalognummer
V203921
ISBN (eBook)
9783656308768
ISBN (Buch)
9783656309178
Dateigröße
423 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Yoko Tawada, Europa, Mythos, Identität, kulturelle Grenzen, Einigung Europas, EU
Arbeit zitieren
Gabriela Augustin (Autor:in), 2011, Fließende Grenzen und die Frage nach der einen europäischen Identität, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/203921

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