Liebesblick in der Romantik

Zur Bedeutung von Perspektiv und Solipsismus im ›Runenberg‹ und im ›Sandmann‹


Hausarbeit, 2011

18 Seiten, Note: 2,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. EINFÜHRUNG

2. AUGE UND BLICK IN DER ROMANTIK

3. LIEBESBLICK IN DER ROMANTIK: KOMPARISTISCHE UNTERSUCHUNG
3.1 Der Blick auf das Liebesobjekt
3.2 Perspektiv und Solipsismus im Sandmann
3.3 Perspektiv und Solipsismus im Runenberg
3.4 Vom Blick der Liebe zum pathologischen Blick

4. ERGEBNISSE

Das Romantische ist also ein Perspektiv oder vielmehr die Farbe des Glases und die Bestimmung des Gegenstandes durch die Frm des Glases. (Brentano, Clemens: Werke, Bd. 2, hgg. von Kemp, Friedhelm, München 1963, S. 258f.)

1. EINFÜHRUNG

In der Äußerung Clemens Brentanos kommt zum Ausdruck, dass das Sehen in der Romantik kein ungetr ü btes optisches Wahrnehmen ist bzw. dass es einer Beeinflussung untersteht. Zwi- schen dem, was zu sehen ist, und dem Sehenden scheint etwas zwischengeschaltet, das Bren- tano »Perspektiv« nennt, es findet bei Brentano sicherlich Erwähnung, weil das materielle Perspektiv in eben jener Epoche bedeutungsvoll wird; in romantischen Texten nimmt es mit- unter - und in unterschiedlichen Formen - eine zentrale Funktion ein. »Das Romantische« wäre demnach als eine spezielle, mit dem Perspektiv verbundene Modifizierung des real Sichtbaren zu verstehen.

In E.T.A. Hoffmanns »Der Sandmann« (1817) tritt das Perspektiv in materieller Form in Erscheinung, als Nathanael sich mithilfe eines solchen optischen Hilfsmittels der geheim- nisvollen Olimpia zuwendet. Ludwig Tiecks Christian in »Der Runenberg« (1804) kann in ähnlicher Weise seinen Blick von einer ominösen Waldfrau kaum abwenden. In beiden Fällen entspricht das Verhalten des Protagonisten nicht dem, was objektiv zu sehen ist; die Waldfrau als Personifizierung der Mineralwelt und Olimpia als Automate werden zu möglichen Liebes- partnerinnen stilisiert, obschon sie offensichtlich nicht der menschlichen Gattung angehören. Nathanael und Christian verfallen ihnen trotzdem. Dass das Perspektiv dabei nicht an eine Materialität gebunden ist, zeigt Tiecks Erzählung, in der Christian kein optisches Hilfsmittel verwendet. Trotzdem schlägt sich auch hier das spezifische Sehen nieder, das Brentano den romantischen Texten anhängt und es wird deutlich, dass er in seiner Äußerung eine Ambigui- tät des Romantischen impliziert.

In dieser Untersuchung wird anhand der beiden Erzählungen die Ambiguität des Romantik- Begriffes und dessen epochengebundene Bedeutung herauszustellen sein. Dabei werden die Momente, da sich Christian und Nathanael jeweils verlieben, in den Mittelpunkt gerückt, denn diese stellen Initialpunkte für die jeweilige Erzählhandlung und den jeweiligen Ausstieg des Protagonisten aus der wirklichen Welt dar. Besondere Aufmerksamkeit wird dabei der Frage nach dem Blick durch das (nicht zwangsläufig materielle) Perspektiv geschenkt, sowie der Solipsismus-Theorie, die von einer auf das eigene Bewusstsein fokussierenden Wahrneh- mungsweise ausgeht.

Es soll sowohl geklärt werden, ob und in welchem Ausmaß diese Theorie auf beide Werke zutrifft, als auch ob sich aus der Analyse wiederum Rückschlüsse auf eine Spezifik des Liebesblicks in der Romantik ziehen lassen können.

Katharina Weisrock liefert in ihrer Arbeit »Götterblick und Zaubermacht - Auge, Blick und Wahrnehmung in Aufklärung und Romantik« wichtige Grundlagen und Erkenntnis- se zur Spezifik der optischen Wahrnehmung des Subjektes in der romantischen Dichtung. Bei der theoretischen Bearbeitung des Themenfeldes wird auf ihre fundierten Erläuterungen zu- rückgegriffen, ebenso bei der Auseinandersetzung mit Ludwig Tiecks Runenberg, den sie bei- spielhaft untersucht. Zwar führt sie an wenigen Stellen auch E.T.A. Hoffmann und zum Teil dessen Sandmann an, jedoch stellt sie die beiden Werke nicht gegenüber1. Dies wird die fol- gende Untersuchung tun, da sich zwischen Runenberg und Sandmann viele Parallelen finden, die vor allem hinsichtlich einer Fokussierung auf den Liebesblick in der Romantik und die da- mit statuierte Verklärung der Wahrnehmung bedeutsam sind. Dabei wird auf die Funktions- weise des materiellen und eines möglichen immateriellen Perspektivs einzugehen sein, wie auch auf Jürgen Daibers These zum solipsistischen Sehen, die hinsichtlich der Blick-Thema- tik in der Romantik und den hier zu untersuchenden Texten Aufschluss geben kann.

2. AUGE UND BLICK IN DER ROMANTIK

Als Ausgangspunkt dient also Weisrocks Theorie, die besagt, dass »der romantische Blick […] den natürlichen Wahrnehmungsprozeß« (Weisrock, S. 35) verkehre, diese Theorie soll nun unter Beachtung weiterer Forschungsergebnisse anderer Wissenschaftler näher beleuchtet werden.2

Zunächst geht sie vom Sinnesorgan Auge aus, das sie grundsätzlich als Marginalie zwischen der Innen- und Außenwelt (Vgl. ebd., S. 15) bezeichnet. In der Romantik gebe es zum Einen eine erkenntnistheoretische Reduktion des Auges auf seine eigentliche Funktion (Vgl. ebd., S.34.), zum Anderen gewinne es im künstlerischen Diskurs an Gewicht, avanciere zum »höchsten ästhetischen Organ« (Ebd., S. 20). Auge und Blick sind in erster Linie deutlich zu trennen, da das Auge nur als Mittel für den Blick dient. Aikaterini Karakassi, die bei der Betrachtung des Sandmanns herangezogen wird, stellt zu eben dieser Problematik heraus: »Während die Augen an sich bloße Gegenstände sind, denen keine besondere Bedeutung zuzuschreiben ist, ist das blickende Auge Synonym für die existentielle Gefahr, machtlos, ohne Ausweg und ohne Hoffnung, einer fremden Gewalt preisgegeben zu sein«3. Dem Auge an sich kommt also erst Bedeutung zu, wenn es blickt bzw. erblickt wird, wie Karakassi es plastisch darstellt oder wenn es zum »Medium« wird, wie Weisrock es ausdrückt.

In diesem Sinne - und hier scheint die bewusst eingesetzte ästhetische Komponente laut Weisrock einzusetzen - greife die romantische Literatur auf vorrationalistische Traditionen zurück und bewirke (künstlich) die Spiritualität des Auges: »Als subjektives und spirituelles Organ wird das Auge zum vorzüglichen Medium romantischer Ästhetik.«4 Und weiter: »Mit Hilfe des bilderschaffenden Auges erhebt sich der romantische Geist zum uneingeschränkten Herrscher der sichtbaren wie der vorstellbaren Welt« (Weisrock, S. 35). Ob der Begriff des »Herrschers« zutrifft, wenn die Protagonisten zwischen Imaginärem und Realem nicht mehr zu unterscheiden imstande sind, ist fraglich. Weisrocks erklärt aber zunächst nicht nur den Gegenstand des Blicks, sondern berücksichtigt auch das Wie des Blicks, indem sie auf dessen Subjektivität hinweist: »Die Romantik«, konstatiert sie, »akzeptiert die grundsätzliche Sub- jektivität optischer Wahrnehmung. […] Im Blick des romantischen Protagonisten auf seine Welt verweben sich Wahrnehmung, Reflexion und Erotik zu einer Einheit von Sehen, Denken und Fühlen.« (Ebd., S. 34).

Das Auge schafft Bilder, die in der romantischen Auffassung also vermeintliche Bilder sein können, da Objektivität keine Bedingung darstellt. Der Einfluss von Relikten des Aberglau- bens auf diese Auffassung sei die Grundlage dafür, dass der Liebesblick zum zentralen Motiv werden könne, »weil in ihm der Initialpunkt einer aufbrechenden Identitätskrise darstellbar wird« (Ebd., S. 20). Diesem Aspekt ist auch in dieser Untersuchung Aufmerksamkeit beizu- messen (siehe Punkt 3.4), da der resultierenden Identitätskrise beide Protagonisten - und auf dem Höhepunkt auch dem Wahnsinn - verfallen. Detlef Kremer, der Tiecks Werke einer psy- chosemiotischen Untersuchung unterzogen hat, bringt diesbezüglich noch einen wichtigen Aspekt an; das Phantastische: »Die romantische Option auf das Phantastische stützt zwei Un- bestimmtheiten des romantischen Textes: die Ununterscheidbarkeit von Traum und Wirklich- keit und die Auflösung von Figurenidentitäten. Beide«, führt er aus, »unterstehen einer para- doxen Logik, derzufolge eine Szene zugleich Traum und fiktive Realität und eine Figur gleichzeitig sie selbst und eine andere sein kann.«5 Die Irritation des Blicks, bzw. eine da- durch beeinflusste Verarbeitung des Gesehenen schlägt sich nieder auf die Identität des (ver- meintliche) Bilder Sehenden, so scheint es. Weisrock geht mit diesem Ansatz konform: die sichtbare Welt6 entspräche laut Kremer der »Wirklichkeit«, die vorstellbare Welt laut Kremer dem »Traum«, wenngleich es terminologische Unterschiede gibt7. Des Weiteren überträgt sie die Problematik auf den Liebesblick, der ambivalent sei. Dieser enthalte »zugleich mit dem Glücksversprechen die Gefahr des Ich-Verlusts. […] Der Blick, zentrales Mittel zur Konstitu- tion romantischer Subjektivität, läßt die Selbstfindung nicht immer gelingen. Zuweilen findet der romantische Protagonist seine Identität nur noch im Wahnsinn, dann rückt auch der ästhe- tische Blick in die Nähe des pathologischen.« (Ebd., S. 36)

[...]


1 Weisrock behandelt neben Tiecks Runenberg Joseph von Eichendorffs Das Marmorbild. Vgl. Weisrock, Ka- tharina: Götterblick und Zaubermacht - Auge, Blick und Wahrnehmung in Aufklärung und Romantik. Opla- den 1990.

2 Vorangestellt werden muss, dass Weisrock bisweilen mit Begriffen wie »gut«, »böse«, »Zauber« und »Magie« operiert, auf die in dieser Arbeit verzichtet werden soll, da sie als ambig und für den Zusammenhang entbehr- lich erscheinen.

3 Karakassi, Aikaterini: Ein subtiler Tod oder der Blick des Anderen - E.T.A. Hoffmanns »Der Sandmann« und Jean-Paul Sartres Blick-Konzept. In: Das Argument in der Literaturwissenschaft - Ein germanistisches Sympo - sion in Athen, hgg. von Benning, Willi et. al., Oberhausen 2006, S. 162.

4 Jürgen Daiber hat untersucht, dass »[d]ie Romantiker […] diesen Gedankengang vom Blick [Die Augen als Spiegel der Seele] als Ausdrucksform von Geistes- und Gefühlszuständen über Schellings Naturphilosophie auf[nehmen].« Siehe hierzu: Daiber, Jürgen: Die Autofaszination des Blicks. Zu einem Motivkomplex im Er- zählwerk E.T.A. Hoffmanns. In: Euphorion. Zeitschrift für Literaturgeschichte, 4/1999. Hgg. von Adam, Wolf- gang, Heidelberg, S. 487

5 Kremer, Detlef: Einsamkeit und Schrecken. Psychosemiotische Aspekte von Tiecks Phantasus -Märchen. In: Die Prosa Ludwig Tiecks, hgg. von Kremer, Detlef, Bielefeld 2005, S. 56.

6 An dieser Stelle kommt die Frage auf, ob ihr Begriff »sichtbar« nicht problematisch ist, da die Protagonisten das Irreale sehen, Irreales für sie sichtbar ist.

7 So verwendet Kremer den Begriff des »Phantastischen«, Weisrock den des »Wunderbaren«.

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Details

Titel
Liebesblick in der Romantik
Untertitel
Zur Bedeutung von Perspektiv und Solipsismus im ›Runenberg‹ und im ›Sandmann‹
Hochschule
Universität Erfurt  (Philosophische Fakultät )
Veranstaltung
Sehen und Gesehenwerden
Note
2,3
Autor
Jahr
2011
Seiten
18
Katalognummer
V203695
ISBN (eBook)
9783656298250
ISBN (Buch)
9783656298472
Dateigröße
627 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
liebesblick, romantik, bedeutung, perspektiv, solipsismus
Arbeit zitieren
René Ferchland (Autor:in), 2011, Liebesblick in der Romantik, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/203695

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