Von der Kunst zum Ästhetizismus Stefan Georges


Hausarbeit, 2011

16 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. EINFÜHRUNG

2. VON DER KUNST STEFAN GEORGES
2.1 Formstrenge
2.2 Mythisierung
2.3 Nachbarschaft mit Schiller

3. ZUM ÄSTHETIZISMUS STEFAN GEORGES
3.1 Begriff des Ästhetizismus
3.2 Exkurs: Ästhetischer Fundamentalismus

4. ERGEBNISSE

Wenn dich meine wünsche umschwärmen Mein leidender hauch dich umschwimmt - Ein tasten und hungern und härmen : So scheint es im tag der verglimmt Als dränge ein rauher umschlinger Den jugendlich biegsamen baum · Als glitten erkaltete finger Auf wangen von sonnigem flaum. (George1, S. 43)

1. EINFÜHRUNG

So beginnt das Kapitel »Gezeiten« in Stefan Georges 1907 veröffentlichtem Werk Der sie- bente Ring. »In den Texten ist das Schicksal einer Liebe eher dargestellt als ihre Geschichte: einspruchslos verbleibt sie unter einem Bann«, und weiter sei sie »das romantische Convenu einer unglücklichen Liebe, bei George ganz ins Inwendige hineingerissen«2. Theodor W. Ad- orno hat dies in einem Nachwort zu Arnold Schönbergs Komposition zu Georges Gedichten aus Das buch der h ä ngenden g ä rten geschrieben, wozu das oben zitierte Gedicht zwar nicht gehört, was darauf aber doch auch zuzutreffen scheint. Das »Gezeiten«-Gedicht erzählt von einer solchen Liebe, von Flut und Ebbe der Gefühle und dem Drängen des lyrischen Ichs zum Objekt seiner Hinwendung. In diesem Sinne wird doch eine Geschichte erzählt, aber mit dem Schwerpunkt auf der des Ichs, was Adorno wohl mit dem »Inwendigen« meinte. Und auch das Schicksal lässt George am Ende des Gedichtes nicht vermissen, wie sich zeigen wird.

Den Autor des »Gezeiten«-Gedichtes als großen Dichter zu bezeichnen, wäre ebenso wenig vermessen wie die Bezeichnung eines großen Ästhetikers, denn seiner Dichtung wohnt ein Klang und ein Maß inne, das diesen Schluss zu rechtfertigten vermag. Und auch theoretisch hat sich George umfassend zum literarischen Feld geäußert, um damit sein eigenes ästhetisches Ideal zu formulieren, etwa in seinen »Betrachtungen«:

Die dichtung hat eine besondere stellung unter den künsten. Sie allein kennt das geheimnis der erweckung und das geheimnis des übergangs. (George, S. 311)

Aus dieser Formulierung »Über Dichtung« wird schon Georges kultisch konnotierter Aus- gangspunkt deutlich. Für ihn wohnte allein dieser Kunstform die Fähigkeit zu H ö herem inne. Der erste Vers seines »Gezeiten«-Gedichtes beschreibt das lyrische Ich als »rauhe[n] um- schlinger« mit »erkalteten fingern«, das dem »jugendlich biegsamen baum« gegenübersteht, den es zu formen gilt. Es bieten sich hier vielerlei Lesarten an; von der reinen Naturerschei- nung über die Jünglingsmetaphorik bis hin zum Diskurs über Ästhetik. Alle hätten zumindest eines gemeinsam: die Hervorhebung des Machtwillens bzw. des Willens nach Einflussnahme des (lyrischen) Ichs.

Stefan Georges Lyrik wurde mit vielen Attributen beschrieben; immer wiederkehrend erschei- nen »formstreng« und »mythisiert«, wie sie auch Sven Brömsel anführt. Diesen wird im Fol- genden nachgegangen, wie auch der Frage, an welchen großen Dichtern und Epochen er sich orientierte. Eine Gegenüberstellung von George und Friedrich Schiller, anhand von H. Stefan Schultzes Studie, wird zudem prägnante Aspekte zum Verständnis der Ästhetik des Ersteren liefern. Der Fokus dieser Untersuchung liegt nicht auf der Exegese von Georges Lyrik, son- dern nimmt diese als Ausgangspunkt für einen Blick auf sein Verständnis von Ästhetik und eine mögliche Entwicklung zum Ästhetizismus, hinsichtlich dessen ein Beitrag von Annette Simonis herangezogen wird. Denn Stefan George schritt noch weiter; sein Weg sollte ihn von der eigenen Lyrik über die Entwicklung einer eigenen Ästhetik hin zu einer Überzeugung füh- ren, die nicht nur eine individuelle Geltung beanspruchte, sondern darüber hinaus Einfluss ausüben wollte. Um zu ergründen, ob George einen Ästhetizismus bzw. sogar einen ästheti- schen Fundamentalismus vertrat, wie Stefan Breuer konstatiert, erscheint ein Exkurs, der mit- unter ins Soziologische münden kann, aber dem literaturwissenschaftlichen Diskurs dienen will, unerlässlich.

2. VON DER KUNST STEFAN GEORGES

Der wert der dichtung entscheidet nicht der sinn (sonst wäre sie etwa weisheit gelahrtheit) sondern die form d.h. durchaus nichts äusserliches sondern jenes tief erregende in maass und klang wodurch zu allen zeiten die Ursprünglichen die Meister sich von den nachfahren den künstlern zweiter ordnung unterschieden haben. […]

Strengstes maass ist zugleich höchste freiheit. (George, S. 310)

Aus diesen Äusserungen Georges »Über dichtung« wird durchaus deutlich, worum es ihm geht, auf welchen Grundpfeilern seine Vorstellung von Ästhetik beruht. Dabei scheint er nicht die hinlängliche Bedeutung von Form und Maß zu meinen, die allein die äußere Form beträfen. Ihm geht es primär um ein inneres, »tief erregendes« Maß, das sich nicht auf bloße Beachtung der Reimstrukturen reduzieren lässt. So sagt er:

Reim ist bloss ein wortspiel wenn zwischen den durch den reim ver- bundenen worten keine innere verbindung besteht. (George, S. 310)

»Jenes tief erregende in maass und klang« bleibt hingegen eine wissenschaftlich-analytisch schwer fassbare Größe, weshalb andere Aspekte zu sammeln sind, die eine objektive Betrach- tung erlauben.

2.1 Formstrenge

In seinem Aufsatz »Gadamers poetische Ästhetik im Blick auf Stefan George«3 nennt Sven Brömsel das Stichtwort »Musikalität« und führt aus: »Um die letzte Jahrhundertwende ver- suchte Stefan George, an die Tradition einer Wort- und Klangeinheit des Altertums anzuknüp- fen. […] Die Georgesche Schule wollte die Sprache wieder mit Musik anfüllen und auf eine verschüttgegangene Einheit von Maß, Klang und Sinn im Worte verweisen.« (Brömsel, S. 609) Eine dezidiert musikalische Motivation ist bei George selbst - zumindest in seinen Aus- führungen »Über Dichtung« - nicht dargelegt, doch erscheint dies nicht fern, wenn George die Wichtigkeit des Rhythmus' hervorhebt4, wobei die Verwendung dieses musikalischen Terminus' schon darauf hindeutet.

Der Lyrik Georges ist eine gewisse Musikalität inhärent, ein Blick auf sein gesamtes Œvre zeigt an vielen Stellen Sänge und Lieder auf, die mitunter musikalisch interpretiert wurden, wie von Arnold Schönberg. Warum aber war George an dieser Eigenschaft gelegen? Die Beziehung zwischen Metrik und Klang scheint darüber Aufschluss geben zu können. Anhand von Georges eigener Dichtung lässt sich die Entsprechung seiner Vorgaben an Form und Maß durchaus unproblematisch untermauern, wie ein erneuter Blick auf sein »Gezeiten«Gedicht und dessen strenge Metrik belegt. Der zweite Vers:

Doch schliessen die schatten sich dichter So lenkt der gedanke dich zart.

Dann gelten die klänge und lichter · Dann ist uns auf unserer fahrt : Es schüttle die nacht ihre locken Wo wirbel von sternen entfliegt · Wir wären von klingenden flocken Umglänzt und geführt und gewiegt. (George, S. 43)

Für George wohnte der Dichtung unter den Künsten eine besondere Bedeutung inne, doch ist dabei von Wichtigkeit, dass das Versemachen für ihn nicht allein stand, sondern mit dem Ver- sesagen einherging. Vor diesem Hintergrund erklärt sich Georges Bemühen um eine Wieder- herstellung von einer »Wort- und Klangeinheit«. Das Hersagen stelle das Textfeld in ein an- deres Verhältnis zu Rhythmus und Ton. Dafür, so Brömsel weiter, »orientiert er sich an den Traditionen des Altertumes und der liturgischen Sangesform des Gregorianischen Chorales. Von ihm übernimmt er einen stark psalmodierenden Ausdruck im Hersagen.« (Brömsel, S. 610)

Die Frage, ob die »Gezeiten«-Verse dieser Formstrenge und diesen Ansprüchen entsprechen, soll hier nicht weiter verfolgt werden; weil ein Messen des Dichters an seiner eigenen Theorie zu weit führen würde. An dieser Stelle ist das Augenmerk auf Georges künstlerisches Selbstverständnis zu richten, das zu seiner ausgeprägten Ästhetik führte.

Die Umsetzung seines Ideals hatte folgende Vorgaben: »Es sollten in der Georgeschen Poesie die musischen Urkräfte eine neue Bindung im Gesamtrhythmus erfahren.

[...]


1 George, Stefan: Werke. Ausgabe in vier Bänden, Bd. 2, hgg. von Boehringer, Robert, München 31983.

2 Adorno, Theodor W.: Zu den Georgeliedern. In: Schönberg, Arnold: Fünfzehn Gedichte von Stefan George : Für Gesang und Klavier, Wiesbaden 1959, S. 77.

3 Brömsel, Sven: Gadamers poetische Ästhetik im Blick auf George. In: Weimarer Beiträge. Zeitschrift für Literaturwissenschaft, Ästhetik und Kulturwissenschaften, 4/1997. Hgg. von Engelmann, Peter et. al., Wien.

4 »Freie rhythmen heisst soviel als weisse schwärze · wer sich nicht gut im rhythmus bewegen kann der schreite ungebunden.« (George, S. 310)

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Details

Titel
Von der Kunst zum Ästhetizismus Stefan Georges
Hochschule
Universität Erfurt  (Philosophische Fakultät)
Veranstaltung
Das Sinnliche, das Schöne, die Kunst und ihre Liebhaber. Geschichten der Ästhetik
Note
1,0
Autor
Jahr
2011
Seiten
16
Katalognummer
V203691
ISBN (eBook)
9783656298274
ISBN (Buch)
9783656298984
Dateigröße
553 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
kunst, ästhetizismus, stefan, georges
Arbeit zitieren
René Ferchland (Autor:in), 2011, Von der Kunst zum Ästhetizismus Stefan Georges, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/203691

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