Aggression im Fußball und Fairnesserziehung im Sportunterricht der Regelschule


Examensarbeit, 2003

65 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Vorüberlegungen

1. Aggression
1.1 Definitionsproblematik
1.2 Begriffsklärungen
1.2.1 Aggression
1.2.2 Aggressivität
1.2.3 Gewalt
1.2.4 Bezug zum Handlungsfeld Sport- insbesondere des Fußballs
1.3 Aggressionstheorien Vorüberlegungen
1.3.1 Triebtheoretische Ansätze
1.3.2 Frustrations – Aggressionstheorie
1.3.3 Lerntheoretische Ansätze
1.3.4 Multikausale Ansätze
1.4 Differenzierungsmöglichkeiten von Aggressionen
1.4.1 Arten von Aggression (inhaltlich-motivational)
1.4.2 Formen von Aggression (äußerlich-formal)
1.4.3 Möglichkeiten der Differenzierung aggressiver Handlungen im Fußball
1.4.3.1 Das ´Foul´ als Indikator
1.5 Katharsis – Hypothese
1.5.1 allgemeine Überlegungen
1.5.2 Katharsis durch Sport?

2. Aggression in Schulen Vorüberlegungen
2.1 Begriffsklärung
2.2 Bedingungsfaktoren aggressiven Schülerverhaltens
2.3 Typendifferenzierung

3. Soziales Lernen und Fairnesserziehung im Sportunterricht der Regelschule - unter besonderer Berücksichtigung des Sportspiels ´Fußball´
3.1 Begriffsklärungen und Inhalte
3.1.1 Soziales Lernen
3.1.2 Fairness
3.1.2.1 Möglichkeiten der Differenzierung
3.2 Pädagogische Konsequenzen der Bedingungsfaktoren aggressiven Schülerverhaltens
3.3 Möglichkeiten zur Fairnesserziehung im Sportunterricht der Regelschule

Fazit

Literaturverzeichnis

Vorüberlegungen

Dass durch individuelle oder gesellschaftliche sportliche Betätigung ein reicher Schatz an Erfahrungen und ein gewisses seelisches Wohlbefinden für jeden Einzelnen möglich ist, scheint schon seit langem ein Aushängeschild der Körperertüchtigung.

Dass der Sport auch in jedem Falle die Möglichkeit bietet, seinen eigenen individuellen Vorstellungen entsprechende Sportarten zu betreiben, und durch positiv wirkende psychische und physische Interaktionen, jeden Einzelnen zu integrieren versteht, geht mit Vorherigem durchaus einher.

Man weiß, dass die Liste an positiven Faktoren des Sportes durchaus Blätter füllen könnte, aber man weiß auch, dass er gegenüber dem Alltag in unserer Gesellschaft einen entscheidenden Vorteil in sich trägt. Denn wenn oben bereits erwähnte körperliche oder verbale Interaktionen den Sport bestimmen, ist dieser in ein strenges Reglement eingefasst. Diese sportartspezifisch manifestierten Regeln gewähren, dass alle am Spiel beteiligten Parteien gleiche Bedingungen vorfinden, um erstens eine Chancengleichheit zwischen ihnen herzustellen, zweitens aber auch, und das stellt den Bezug zur vorliegenden Arbeit dar, immer wieder auftretende Aggressionen sofort negativ sanktionieren zu können, um entsprechende Eskalierungen nachhaltig zu unterbinden. Eine Regeltreue gibt es in unserer Gesellschaft nur bedingt. Deshalb sind moralische Werte, wie eine gewisse Fairness zwischen den Menschen unabdingbar.

Im Rahmen dieser Arbeit werden die gerade angesprochenen Themenfelder Aggression und Fairness bearbeitet. Dabei wird anfangs eine theoretische Grundlage zu den Aggressionen geschaffen, die nach meiner Ansicht notwendig ist, um später gezielt auf das Handlungsfeld des Fußballs eingehen zu können. Involviert sind hierbei Ausführungen zu Formen und Arten aggressiver Handlungen, sowie eine spezielle Analyse des vermeidlichen Indikators aggressiver Verhaltensweisen im Sport, des sogenannten ´Foulspiels´. Nach Ausführungen zur Katharsis-Hypothese wird sich dann der Thematik ´Aggression in Schulen´ gewidmet, um abschließend praxisnahe Beispiele zur notwendigen Fairnesserziehung in Regelschulen zu liefern.

1. Aggression

1.1 Definitionsproblematik

Die Diskussionen um den Begriff der Aggression verlaufen nicht erst seit gestern äußerst kontrovers. Seit vielen Jahrzehnten versuchen sich Wissenschaftler und Gelehrte einer gemeinsamen Definition dieses schwammigen Begriffes anzunähern. Allein unter dem Aspekt, dass sich in sämtlicher Literatur zu diesem Thema weit mehr als eine Theorie über die Entstehung von Aggressionen wieder finden lassen, kann darauf geschlossen werden, dass die Forscher auch in Fragen der Definition aus verschiedenen Richtungen auf eine allgemeine und operationalisierbar erscheinende Begriffsbestimmung eingehen.

Bis heute ist es also nicht gelungen eine einheitliche und befriedigende Klärung des Inhaltes vorzunehmen. Da es mir aber wichtig erscheint, den bloßen Charakter entsprechender Aggressionen zu verstehen, bevor man auf verschiedene Bereiche eingeht, in denen sie - in meinem Fall der Mannschaftssport Fußball - eine Rolle spielen, werde ich in kommendem Abschnitt meiner Arbeit die mir am wichtigsten und allgemein konsensfähigsten Definitionsansätze aufzeigen. Zudem scheint es mir auch bedeutend, die Begrifflichkeit ´Aggression´ von dem vermeidlichen Vorläufer ´Aggressivität´ zu trennen und danach das Wesen einer Gewalttat darzustellen und mit einer aggressiven Handlung zu vergleichen, da die Begriffe ´Gewalt´ und auch ´Aggression´ in ihrem Bedeutungsgehalt sehr vielschichtig und inkonsistent sind und auch oft in der Alttagssprache verwendet und in Verbindung gebracht werden. Nach diesen allgemeinen Definitionsansätzen und als Abschluss des Punktes 1.2 werde ich die Begriffe jeweils im Handlungsfeld des Fußballs aufgreifen und voneinander abzugrenzen.

Der Thematik der Autoaggression werde ich mich in dieser Arbeit nicht stellen, da sie mir im Hinblick auf Aggressionen im Fußball und Möglichkeiten der Fairnesserziehung im Sportunterricht als eher unwichtig erscheint.

1.2 Begriffsklärungen

1.2.1 Aggression

Bevor ich auf die verschiedenen Definitionsversuche eingehen werde, sollte vorab geklärt sein, wo und in welcher Sprache der Begriff ´Aggression´ seinen Ursprung hat, da eine Begriffsetymologie oft schon den richtigen Weg zu einer Definition in sich trägt.

Die Herkunft des Wortes ´Aggression´ ist im Lateinischen zu finden, hier aber noch in verwandter Form, als Verb ´aggredior´. Der Inhalt liegt aber noch nicht im Zusammenhang mit einer Schädigung eines Individuums oder ganz allgemein eines Objektes, wie oft ein aggressives Verhalten definiert wird, sondern eigentlich nur in einem Annähern an eine andere Person. Erst in abgeleiteten und verwandten Substantiven kann man Inhalte, wie ´zielgerichtetes Angreifen´ oder ´Anlaufen´ ableiten (vgl. LENZEN, Bd. 1, 20).

Wie bereits erwähnt, gibt es unterschiedliche Sichtweisen, von denen aus auf eine aggressive Handlung geblickt werden kann. NOLTING ist der Ansicht, dass man als erstes eine Trennung von einer weiten und einer engen Definition treffen sollte. Der weite Aggressionsbegriff geht von der eben schon geschilderten ursprünglichen Bedeutung aus, der also Aggression mit jeder Form von Aktivität gleichsetzt. Aus diesem Blickwinkel kann ich den Aggressionsbegriff natürlich nicht durchleuchten, da in Hinsicht auf das eigentliche Thema dieser Arbeit, die gesamten Spielhandlungen im Fußball wohl als aggressiv bezeichnet werden könnten, und somit der Charakter dieser Sportart verfälscht dargestellt würde. Im Gegensatz zu der Weiten, versucht NOLTING durch eine enge Definition die Aggression von anderen Verhaltensweisen klar abzugrenzen. Das heißt, dass er eine aggressive Handlung in enger Sichtweise, ähnlich wie andere Autoren, mit einer Schädigung oder zumindest einer Intention dazu in Verbindung bringt. (vgl. NOLTING 1997, 22-26)

Andere Autoren, wie MERZ, oder SELG teilen die Ansicht, dass „... jene Verhaltensweisen, mit denen die direkte oder indirekte Schädigung eines Individuums, meist eines Artgenossen, intendiert wird...“ (MERZ in GERISCH 2002, 176), als Aggression zu bezeichnen ist. Er geht also wie DANN (1972) davon aus, dass selbst die bloße Absicht jemanden zu schädigen, schon mit einer Aggression zu beschreiben ist. Drei Jahre später wurde MERZ´ s, von ihm selbst als „... vorläufige Definition...“ (2002, 176) beschriebene Begriffsbestimmung von SELG konkretisiert: „Eine Aggression besteht in einem gegen einen Organismus oder ein Organismussurrogat gerichteten Austeilen schädigender Reize (´schädigen´ meint beschädigen, verletzen, zerstören und vernichten; es impliziert aber auch wie ´iniuriam facere´ oder ´to injure´ schmerzzuführende, störende, Ärger erregende und beleidigende Verhaltensweisen, welche der direkten Verhaltensbeobachtung schwer zugänglich sind); eine Aggression kann offen (körperlich, verbal) oder verdeckt (phantasiert), sie kann positiv (von der Kultur gebilligt oder negativ (missbilligt) sein.“ (SELG in GERISCH 2002, 176) Der von SELG benutzte Begriff eines ´Organismussurrogats´ meint nichts anderes, als ein Organismusersatz oder ein Ersatzmittel (vgl. DROSKOWSKY/BAER 1994, 1324). Das heißt, dass eine aggressive Handlung nicht immer direkt, sondern auch indirekt gegen ein Objekt gerichtet sein kann.

Dem Problem, einer vermeidlich fahrlässigen bzw. unabsichtlichen Verletzung oder Schädigung haben sich DOLLARD, DOOB, MILLER, MOWRER, und SEARS gewidmet. Der Schluss zu dem sie gekommen sind ist, dass eine Aggression als eine Handlung definiert wird, „... deren Zielreaktion die Verletzung eines Organismus (oder Organismus-Ersatzes) ist...“ (DOLLARD et al. 1994, 19). Weiter heißt es: „Eine Person kann eine andere durch bloßen Zufall verletzen. Solche Handlungen gelten nicht als Aggressionen, da sie keine Zielreaktionen sind.“ (DOLLARD et al. 1994, 19) Für viele Autoren bestimmt also die Handlungsintention, ob ein Geschehen aggressiver Natur ist, oder eventuell auch nicht.

Natürlich gibt es im großen Felde der Aggressionsforscher, viele Autoren, die gleiche, ähnliche oder auch andere Definitionsansätze versucht haben empirisch zu belegen, aber ich denke, dass die von mir aufgeführten Anstöße zur Begriffsklärung als Grundlage für das weitere Verwenden des Aggressionsbegriffes, die Wichtigsten und Konsensfähigsten sind.

1.2.2 Aggressivität

Um eine Gleichmachung der beiden Begrifflichkeiten `Aggression´ und ´Aggressivität´ zu vermeiden und sie im Vorhinein gleich voneinander abzugrenzen, ist es unumgänglich gewisse inhaltliche Unterschiede aufzuzeigen. GERISCH weist daraufhin, dass unter Aggression „... aggressives Handeln verstanden wird. Aggressivität bezeichnet dagegen die Disposition zur Aggression, d.h. eine innere Bereitschaft zum aggressiven Handeln im Sinne eines relativ stabilen (nicht unmittelbar beobachtbaren) Persönlichkeitsmerkmals.“ (2002, 178) GERISCH geht deshalb auch mit SCHMIDT konform, der Aggressivität mit einer Bereitschaft erklärt, in einem relativ lang überdauernden Zeitraum aggressiv zu agieren (vgl. SCHMIDT in GERISCH 2002, 178-179). In anderer Literatur wird sie auch ganz allgemein als „... charakteristisches Merkmal des Dominanzstrebens oder auch des Leistungsstrebens...“ bezeichnet (LEXIKON DER PSYCHOLOGIE 1980, 36). Damit grenzt sich `Aggressivität´ von dem negativen Image ab, welches es mit einer Haltung des mutwilligen Verletzens oder Schädigens anderer in Verbindung bringt.

1.2.3 Gewalt

Für ein weiteres, im allgemeinen Sprachgebrauch genutztes Synonym für Aggressionen, steht der Terminus `Gewalt`. Das diese Begriffe in einem gewissen Zusammenhang stehen scheint klar, aber wie dies aus wissenschaftlichen Gesichtspunkten der Fall ist, beschreibt NOLTING in seinem Werk `Lernfall Aggression´ sehr einleuchtend. Er meint, dass Gewalttaten in der Regel eher massivere, insbesondere physische Formen von Aggressionen darstellen. Damit geht er mit HACKER’ s aufgeführten Thesen zur Gewalt einher. Er schreibt: „Nackte Gewalt ist die sichtbare, ungebundene, „freie“ Erscheinungsform von Aggression. Nicht alle Aggression ist Gewalt, aber alle Gewalt ist Aggression.“ (HACKER 1971, 15) Also ist, so gibt HACKER damit an, Gewalt eine Form von Aggression. In nachfolgender Abb. 1 benutzt NOLTING den Begriff einer strukturellen Gewalt und grenzt ihn von einer Personalen ab.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 1: Schema zum Verhältnis der Begriffe Aggression und Gewalt (Nolting 1997, 26)

Den Unterschied sieht er darin, dass die Schädigung bei einer strukturellen Gewalt „... nicht durch aktives, zielgerichtetes Verhalten sichtbarer Akteure herbei geführt...“ (NOLTING 1997, 26) wird, sondern eher von einer im System liegenden Ungerechtigkeit, also einer Macht, die nicht direkt am Geschehen ist, wie Staatsmänner, Regierungssysteme u.s.w. Er gibt weiter an, dass diese strukturelle Gewalt deshalb nichts mit entsprechenden Aggressionen zu tun hat. Eine personale Gewalttat hingegen entsteht immer aus einer Aggression heraus.

Natürlich wäre es auch äußerst interessant, der Frage nachzugehen, in welcher Form sich das Wesen einer personalen Gewalt an und in deutschen Fußballstadien wiederfinden läst und wie man diese bekämpfen könnte. Doch würde dies den Rahmen des jetzt schon sehr komplexen Themenfeldes dieser Arbeit sprengen, und wäre auch für den strukturellen Ablaufplan, der letztlich zur Fairnesserziehung im Sportunterricht der Regelschule führen wird, nicht sinnvoll und kann deshalb auch keine Berücksichtigung finden.

1.2.4 Bezug zum Handlungsfeld Sport – insbesondere des Fußballs

Da Definitionen nicht nur der allgemeinen Verständigung dienen, sondern auch als Grundlage für ein weiteres Arbeiten mit den entsprechenden Begriffen, werde ich in diesem Abschnitt untersuchen, wo diese drei zuvor dargestellten Begriffe im Sport und speziell im Fußball ihren Platz finden.

Aber wie bereits im allgemeinen Teil der Definitionsproblematik angeklungen ist, gibt es keine einheitliche Begriffsbestimmung von ´Aggression´. „Es gibt nur nützliche und vorläufige Umschreibungen bzw. Akzentuierungen, die den Weg für verschiedene operationale Definitionen offen halten.“ (SELG in GERISCH 2002, 199) Aggressionen werden, aufgrund ihres negativen Images, oft als abstrakte Verhaltensweisen dargestellt, obwohl sie in äußerst natürlichen Determinanten ihren Ursprung haben. Das soziale Bezugsfeld beispielsweise, entsprechend verfolgte Ziele oder situative Faktoren, wie das Verlieren eines Zweikampfes oder das Hinnehmen eines Gegentores, sind Gründe für entsprechend aggressive Verhaltensweisen im Sport. Darauf wird aber im Punkt 1.3[1] detaillierter eingegangen. In nachfolgenden Zeilen werde ich einen kurzen Exkurs in die Entstehungsgeschichte bzw. in eine Entstehungstheorie des Sportes durchführen, da sie nach meiner Ansicht wichtige Definitionsansätze verschiedener Autoren begründen könnte.

Eine Annahme erklärt die Entstehung des sportlichen Wettkampfes mit der intraspezifischen Aggression, die einen Instinkt darstellt, der schon seit der Entstehung des Menschen in unseren Genen liegt. Diese Aggression gegenüber unseren Artgenossen hat einen besonderen Wert, da sie gewährleistet, dass sich stärkere Individuen und Gruppen gegen schwächere durchsetzen, immer ein ausreichend großes Revier zur Verfügung haben und dadurch eine gewisse Rangordnung im Gefüge entsteht. Der Grund dafür, dass diese Machtkämpfe fast nie tödlich enden, sind laut WIEMANN spezielle Hemmungsmechanismen, die durch „... artspezifische Demuts- und Beschwichtigungssignale (des Schwächeren) eine Hemmung der Aggression des Stärkeren auslösen.“ (WIEMANN in ZIMMERMANN 1975, 43) Da aber die Entwicklung der Waffen in einer so hohen Geschwindigkeit vonstatten ging, dass „... eine genetisch fixierte Adaption in keiner Weise Schritt halten konnte, blieb nur die Möglichkeit zur konsequenten Reglementierung der Kampfhandlungen...“ (WIEMANN in ZIMMERMANN 1975, 43). Da aber im Bezug des Rangkampfes psychische Fähigkeiten die Körperlichen im Laufe der Zeit ablösten, mussten Aggressionen, die innerhalb einer Gruppe entstanden, auf andere Weise abgebaut werden. Daraus folgend entstand der sportliche Wettkampf in seiner Urform (vgl. WIEMANN in ZIMMERMANN 1975, 42-43).

Analog zu dieser Entstehungstheorie sagt DENKER, „... jede Art von Sport in unserer Gesellschaft ist auch eine Form von Aggression...“ (DENKER in GERISCH 2002, 200). Auch FÜRNTRATT sieht ein wettkämpferisches Verhalten, und damit auch das Fußballspiel, immer auch als Aggression, weil in diesem Wettkampf immer ein Schädigen oder Schwächen des entsprechenden Gegners impliziert ist. Er führt aber weiterhin an, dass diese Aggressionen innerhalb der verschiedenen Sportarten jeweils in anderer Form erscheinen (vgl. FÜRNTRATT in GERISCH 2002, 200).

Auch NAUL/VOIGT sehen den sportlichen Wettkampf als Handlungsfeld, dass von aggressivem Verhalten geprägt ist. Sie benutzen den von PILZ et. al. angeführten Begriff des ´Dominanzverhaltens´ und binden ihn in ihren Ansatz zur Begriffsbestimmung ein. So ist Aggression im Sport laut ihnen ein „...`ritualisiertes (durch die Spielregeln eingeschränktes – d. Verf.) Dominanzverhalten`...“, dass innerhalb dessen in verschiedenen Formen unterschieden wird (NAUL/VOIGT in GERISCH 2002, 201). So scheint nach vorderen Zeilen geklärt, dass laut NAUL/VOIGT und FÜRNTRATT nicht der Sport als Ganzes aggressive Handlungen in all ihren Formen beinhaltet, sondern nur der sportliche Wettkampf, der durch Regeln und Normen eingeschränkt, bei den Akteuren ein ständiges Dominanzstreben entstehen lässt, und dass durch dieses, ein entsprechender Triumph über den jeweiligen Gegner angestrebt wird.

Verständlich ist, dass ich nicht mit DENKER´ s oder NAUL/VOIGT´ s Definitionsversuchen arbeiten kann, da so der komplette Wettkampfsport Fußball als reine Aggression verstanden werden müsste. Deshalb beziehe ich mich im Hinblick auf das Ziel dieser Arbeit im großen und ganzen auf GABLER, der von den bisher aufgeführten Ansätzen abgeht. Er ist der Ansicht, dass Aktionen im Sport dann als aggressiv zu bezeichnen sind, wenn sie außerhalb von sportlichen Normen und Werten, eine absichtliche Schädigung des Gegners vorsehen (vgl. GABLER in GERISCH 2002, 203). Ob auf verbaler oder körperlicher Ebene, sei irrelevant. Als Aggressionen werde ich diese Handlungen bezeichnen, welche in instrumenteller, reaktiver oder feindseliger Form[2] den Gegner, den Lehrer, die Zuschauer, den Schiedsrichter oder sogar den Mitspieler schädigen. Die Intention dazu sei mit inbegriffen.

In welcher Form sich Aggressivität von ihrem Verwandten Aggression abgrenzt, habe ich bereits im Punkt 1.2.2[3] geklärt. In Bezug auf den Sport, ins besondere des Fußballs heißt dies also, dass eine überdauernde Bereitschaft aggressiv zu handeln (Aggressivität) in jedem Wettkampfspiel zu finden und auch unumgänglich ist, um eigene Ziele zu erreichen und den jeweiligen Gegner entsprechend zu dominieren. Ein absichtliches Verletzen durch Fouls oder andere regelwidrige Handlungen sind deshalb nicht in einer gewissen Aggressivität impliziert. Aber in welcher Form Aggression und Aggressivität im Fußball auftreten, durch welche Regeln versucht wird, sie auch und vor allem im Sportunterricht im Rahmen der Fairness zu halten, oder ob der Fußballsport sogar Möglichkeiten sozialen Lernens bietet um Respekt, Toleranz und Verständnis seinen Mitmenschen gegenüber in den Alltag zu übertragen, werde ich an anderer Stelle dieser Arbeit thematisieren.

1.3 Aggressionstheorien Vorüberlegungen

Nachdem nun deutlich geworden ist, was man unter ´Aggression´ versteht, wie sie sich von ihren Verwandten ´Gewalt´ und ´Aggressivität´ abgrenzt und welchen Standpunkt verschiedene bedeutende Autoren und Forscher zu diesem Thema einnehmen, sollte nun noch zum weiteren Verständnis erläutert werden, wie das Aggressionsverhalten mit der Natur des Menschen in Verbindung steht, beziehungsweise welche Theorien zur Entstehung von Aggressionen im Laufe der Zeit entstanden. Analog zu der gerade aufgezeigten Definitionsproblematik, gibt es auch zu dieser Thematik die unterschiedlichsten Erklärungsversuche.

Seit rund 100 Jahren gibt es diese Theorien zur Entstehung von Aggressionen nun schon, und im Laufe der Zeit haben sich im Hinblick auf die verschiedenen Wissenschaften, welche sich mit der Problematik beschäftigen, verschiedene Felder gebildet. Auf der einen Seite stehen die Verfechter der Trieb- und Instinkttheorien, welche anfangs aus psychoanalytischer und später auch aus ethologischer Sicht versuchten, auf das Thema einzugehen. Auf einer anderen Seite stehen jene, welche die von BANDURA maßgeblich geprägten lerntheoretischen Ansätze verfechten. Die Frustrations-Aggressions-Hypothese findet sich ihrem Inhalt entsprechend so ziemlich zwischen diesen beiden wieder und nimmt dementsprechend eine gewisse Sonderstellung ein. Entstehen Aggressionen also nun, weil sie einem Trieb zugrunde liegen, der zur Abreaktion drängt und anschließend wieder neu entsteht? Entstehen sie als Reaktion auf bestimmte Erfahrungen? Ist der Mensch dazu befähigt Aggressionen zu erlernen bzw. daraus zu lernen (vgl. DANN 1972, 9)? Oder sind multikausale Beziehungen der Schlüssel zur Entstehung aggressiven Verhaltens?

In kommendem Abschnitt werde ich also die mir am wichtigsten scheinenden Theorien zu Ursachen und Bedingungen aggressiven Verhaltens darstellen, diese dann in 1.3.4 (Multikausale Ansätze) in Verbindung bringen und abschließend Schlussfolgerungen erarbeiten, die mir als relevant für die Sportpädagogik erscheinen.

1.3.1 Triebtheoretische Ansätze

Bevor ich auf die zwei wichtigsten Vertreter der Triebtheorien eingehen werde, sollte vorerst eine Basis geschaffen werden und geklärt sein, wie generell Triebe definiert werden. Ein Trieb ist ein, im allgemeinen „... seelischer und/oder körperlicher Antrieb, der als dranghaft erlebt wird und auch ohne Vermittlung des Bewusstseins entstehen kann.“ (LEXIKON DER PSYCHOLOGIE 2001, 346) Es ist quasi ein psychisch und physisch begründetes Bedürfnis, das auf Befriedigung drängt.

W. McDOUGAL hat in seiner Instinktlehre 18 Grundtriebe unterschieden, welche sogar das Atmen, die Furcht und das Entleeren mit einschloss. Ein Aggressionstrieb ist demzufolge ein Trieb, der zu aggressiven Handlungen führt bzw. sich in diesen äußert. (vgl. Lexikon der Psychologie 2001, 346)

Die Trieb/Instinkttheorie, die davon ausgeht, dass sich Energien, in dem Fall Aggressionsenergien, immer wieder neu bilden und entladen werden müssen, wurde erstmals 1908 von A. ADLER postuliert, der dazumal noch zum Kreise der Psychoanalytiker um S. FREUD gehörte. Letzterer hat im Laufe seiner Theoriebildung unterschiedliche Vorstellungen zur Aggression entwickelt. 1920 war er es dann, der in seinen Aufzeichnungen erstmals von zwei sich gegenüberstehenden Triebsystemen sprach - Eros (Lebenstrieb) und Thantos (Todestrieb). Auslöser in diesem System ist der Todestrieb, der ganz allgemein das Lebendige zum Toten machen, und somit einen spannungslosen Zustand erreichen will. Da aber ein schneller Triumph des Thantos die Selbstvernichtung des Menschen bedeutet, verhindert dies wiederum der Gegenspieler Eros, was den Todestrieb nach außen, quasi an ein anderes Objekt lenkt und sich letztlich in unserem aggressiven Handeln zeigt (vgl. Lexikon der Psychologie 2000, 346-347).

GERISCH (2002) verweißt auf GRAUMANN, der aussagt, dass Untersuchungen, die diesen Aggressions- bzw. sogar Todestrieb nachweisen könnten, nicht durchzuführen seien, da noch andere Bedingungen (Geschlecht oder Hormonspiegel) in Dominanz- und Kampfsituationen eine Rolle spielen. Und weil diese immer wieder als Beobachtungsgrundlage dienen, sind Ergebnisse, die daraus geschlossen werden, nicht beweisbar. Damit scheint klar, dass jede Rückführung von aggressiven Handlungen auf einen angeborenen Aggressionstrieb reine Spekulation bleibt und damit Aggressionen nur bedingt auf FREUD’ s Theorien zurück zu führen sind.

Einen ethologischen[4] Ansatz veröffentlichte KONRAD LORENZ (1965) mit seinem Buch ´Das sogenannte Böse´. Er spricht im Vorwort seines Werkes auch „...von einem auf den Artgenossen gerichteten Kampftrieb von Tier und Mensch.“ (LORENZ 1965, IX) Aber auch davon, dass sie dazu vorhanden sind, um im ursprünglichen Sinne die Lebens- und Arterhaltung zu sichern. Im Gegensatz zum Tierreich, erhalten diese Triebe beim Menschen jedoch einen gefährlichen Charakter, da durch den Mangel an Möglichkeiten[5] und der fehlenden Tötungshemmung, durch zum Beispiel Fernwaffen eine eher negative sogar zerstörende Funktion daraus entsteht.

LORENZ ist also der Auffassung, dass sich das Aggressionsverhalten beim Menschen durch einen echten Instinkt mit endogener Antriebssteuerung definiert, der dennoch einen äußeren Reiz benötigt, um den Menschen zu aggressiven Verhaltensweisen zu bewegen. Fehlen diese Reize aber über einen längeren Zeitraum, entladen sich diese angestauten Triebenergien auch spontan[6] (vgl. NOLTING 1997, 58f.). Wie andere Vertreter der Trieb/Instinkttheorien spricht auch LORENZ von einer Möglichkeit das Ventil für das Entladen der angestauten Aggression auch künstlich, quasi in angemessenen Situationen zu öffnen. Gemeint ist hier die Theorie einer ´Katharsis´. Von was diese ausgeht, wie und ob sie überhaupt anwendbar ist, werde ich in 1.5 genauer durchleuchten.

Ähnlich wie FREUD’ s, gelten LORENZ’ s Theorien heute als nahezu widerlegt. NOLTING beschreibt in seinem Buch sehr deutlich, dass LORENZ sich „... als Pionier der Tierverhaltensforschung sicherlich auszeichnet, ... [aber dass er sie]... bei seiner Beschäftigung mit der menschlichen Aggression durch voreilige Schlüsse und anekdotenhafte Erläuterungen ersetzt.“ (NOLTING 1997, 63)

EIBL-EIBESFELD, der wohl fähigste Vertreter des LORENZ´schen Gedankenguts bezieht sich eher auf eine diplomatischere Variante, einem „ ... interaktionistischen Ansatz...“ (PILZ/TREBELS 1976, 18). Er lässt genetisch-, sowohl kulturell-, als auch sozialbedingte Faktoren von aggressiven Handlungen in seine Gedanken einfließen, und geht davon aus, dass Evolutionen auf kultureller und stammesgeschichtlicher Ebene auf keinen Fall zu vernachlässigen sind, und dass es auch Möglichkeiten gibt Aggressionen durch soziales Lernen zu beeinflussen (vgl. PILZ/TREBELS 1976, 18). EIBL-EIBESFELD hält dennoch an einem endogenen-spontanen Aggressionstrieb fest, aber er kommt mit seinen Auffassungen auf triebtheoretischer Seite einem Multikausalen Ansatz wohl am Nächsten.

1.3.2 Frustrations – Aggressionstheorie

Ähnlich wie im letzten Punkt ist es für mich bedeutsam, dass Begriffe im Voraus klar definiert werden. Unter ´Frustration´ (lateinisch: frustra = vergebens) versteht man im ´Lexikon der Psychologie´ „... einen Zustand bei Versagungs-, Enttäuschungs-, Misserfolgserlebnissen aufgrund unbefriedigender oder nicht zu befriedigender Erwartungen (z.B. Unterbrechung einer zielgerichteten Handlung infolge einer Störung).“ (2001, 78) In DOLLARD’ s ähnlicher Definition heißt es, dass eine Frustration als ein Zustand verstanden wird, „... der eintritt, wenn eine Zielreaktion eine Interferenz erleidet.“ (DOLLARD et al. 1994, 19) ´Interferenz´ meint in diesem Fall eine Störung oder Hemmung von gewissen Handlungen. (vgl. DUDEN 1994, 646) Zu beachten ist hierbei, dass die Ursachen dafür nicht unbedingt in der Person selbst liegen müssen, sondern auch von seiner unmittelbaren Umwelt ausgehen können.

Die ursprünglich knapp gefasste Hypothese, die einen Zusammenhang zwischen Frustrationen und darauffolgender Aggressionen beschreibt, besagt in ihrem Ursprung, dass Aggressionen Reaktionen auf frustrierende negative Erfahrungen sind. In Anlehnung an FREUD’ s Aussage, gingen v.a. DOLLARD, DOOP, MILLER, MOWRER und SEARS (1939) anfänglich davon aus, dass auf jede erlebte Frustration ein aggressives Verhalten folgt. Da aber manche Frustrationserlebnisse nicht notwendigerweise Aggressionen zur Folge haben und umgekehrt, nicht alle Aggressionen aus einer Frustration folgen, wurde diese Aussage zwei Jahre später von MILLER weiterentwickelt und damit verfeinert, dass es stattdessen bei jeder Frustration zumindest einen Anreiz für Aggressionen gibt und dass die Stärke zur Bereitschaft zur Aggression von der Stärke der gestörten Aktivität, vom Grad der Störung und von der Anzahl der Frustrationen abhängt. (vgl. Lexikon der Psychologie 2001, 78)

BERKOWITZ und DENKER verwiesen später darauf, dass auch Emotionen wie Ärger, Trauer oder Wut als Reaktionen auf ein frustrierendes Erlebnis folgen könnten, und dass daran anschließend die unmittelbare Konstellation Frustration – Aggression wohl immer weiter verschwimmt. Ebenso wurden andere Konsequenzen wie Rückzug, Selbstbetäubung oder Resignation in Betracht gezogen. Daraus schließend kann man festhalten, dass ein Frustrationserlebnis eine Reihe von den verschiedensten Reaktionen zur Folge haben kann, von denen nur eine der Anreiz oder der Antrieb zur Aggression ist.

Natürlich scheint dieser Zusammenhang wie gemacht für eine sportbezogene Durchleuchtung des Themas. Es scheint auch logisch, dass anhand dieser Theorie eine Katharsisfunktion des Sportes nicht auszuschließen ist, denn wer hat nicht ab und an das Bedürfnis nach einem stressigen und frustrierenden Arbeitstag seinen Ausgleich im Sport zu suchen, um quasi seine angestauten Frustrationen abzuleiten. Aber mehr dazu im Punkt 1.5.

Eine andere Seite dieser sportspezifischen Durchleuchtung ist, dass zum großen Teil gerade in Sportspielen wie Fußball, immer wieder Situationen auftreten, in denen Zweikämpfe verloren, Gegentore hingenommen, oder rüde und taktische Fouls eingesteckt werden, und damit gerade erst innere Frustrationen entstehen aus denen dann Aggressionen resultieren können. VOLKAMER hat sich mit diesem Thema kritisch auseinander gesetzt, und geht letztlich davon aus, dass sich bei Sportlern, also auch Fußballern, eine Überforderung einstellt, die aggressive Verhaltensweisen auslöst, wenn Niederlagen drohen. Impliziert in diese Überforderungen sind verbale Attacken und unkontrollierte Handlungen, die diesen Mannschafts- oder „... Gestaltzerfall...“ (in GERISCH 2002, 115), wie VOLKAMER ihn bezeichnet, weiter voran treiben. Er fand also in seinen Untersuchungen u.a. heraus, dass unterlegene Mannschaften häufiger foulen als Gewinnende, dass aber mit ansteigender Tordifferenz die Anzahl an aggressiven Handlungen sinkt. Dies ist wohl damit zu begründen, dass die Frustration, die mit dem vermeidlichen Verlieren einhergeht, dann abschwillt, wenn man sich mit der Niederlage abgefunden hat und es aussichtslos erscheint sich gegen dieses Verlieren zu wehren (vgl. VOLKAMER in 2002, 115).

[...]


[1] Aggressionstheorien

[2] Näheres dazu in 1.4.1 (Arten von Aggression)

[3] „Disposition zur Aggression, d.h. eine innere Bereitschaft zum aggressiven Handeln im Sinne eines relativ stabilen (nicht unmittelbar beobachtbaren) Persönlichkeitsmerkmals.“ (GERISCH 2002, 178)

[4] Ethologie - Vergleichende Verhaltensforschung

[5] Beim Tier sind diese Territorialverteidigungen oder Rangordnungsstreben

[6] Dampfkesseltheorie

Ende der Leseprobe aus 65 Seiten

Details

Titel
Aggression im Fußball und Fairnesserziehung im Sportunterricht der Regelschule
Hochschule
Universität Erfurt  (Sport - und Bewegungswissenschaften)
Note
1,3
Autor
Jahr
2003
Seiten
65
Katalognummer
V20365
ISBN (eBook)
9783638242554
ISBN (Buch)
9783638700764
Dateigröße
671 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Aggression, Fußball, Fairnesserziehung, Sportunterricht, Regelschule
Arbeit zitieren
Steffen Knäbe (Autor:in), 2003, Aggression im Fußball und Fairnesserziehung im Sportunterricht der Regelschule, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/20365

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