Jugendkulturen und Geschlechtsspezifika

Beispiel: Gothic-Szene


Hausarbeit (Hauptseminar), 2009

27 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


1 Einleitung

Spätestens mit Beginn der Adoleszenz beginnen Jugendliche sich in ihrer Bemühung, einen eigenen Weg für sich zu finden, von gewohnten Strukturen abzugrenzen und bauen sich eine eigene, meist gleichaltrige Alternative auf. Diese kann von losen Verbindungen, Cliquen und anderen kleineren Kreisen bis hin zu einer Partizipation an einer Jugendkultur bestimmt sein und bietet den Jugendlichen die Möglichkeit, sich mit ihrer eigenen Erlebniswelt auseinanderzusetzen und die Chance, handlungsorientierte Fähigkeiten zu entwickeln, wie dies vorher nicht möglich war: Gemeinsame Handlungsorientierungen und Sinnbezüge, sowie ein eigenes Auseinandersetzungsfeld für die Bildung individueller Gefühls- und Handlungsstrukturen, geben den Jugendlichen einen Raum, sich selbst zu bestimmen und eine Identität zu entwickeln. Fernab von der Hierarchie, z.B. der Generationsunterschiede und den tendenziell eher dominanten, schützenden Erziehungsverhältnissen, ergibt sich die Möglichkeit eines aktiven Ausprobierens und Transzendierens der eigenen Lebenswelt, die je nach dem betreffenden Jugendlichen unterschiedlich ausfallen kann (Vgl. Hurrelmann 2005, S.126-136).

Dabei entwickelt sich nicht nur die eigene Individualität und die daraus resultierende Identität, sondern auch ein Umgang mit dem ‚Normalen‘, der wesentlich durch die individuelle Erfahrung der Lebenswelt geprägt erscheint.[1]

1.1 Begriffsklärungen und Eingrenzungen

Die Zielgruppe dieser Betrachtung sind adoleszente Jugendliche, die sich in eben der oben beschriebenen Weise auf ‚einen Weg zu sich selbst begeben‘. Der Begriff Adoleszenz bezeichnet die Entwicklungsphase, die über die Pubertät, kurz gesagt das körperliche Erwachsenwerden, hinausgeht. Kasten stellt die einzelnen Phasen dieser Entwicklung, detaillierter als Zimmermann und Hurrelmann, in einer Graphik dar:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb.1: aus Zimmermann, 2006, S.156[2]

Insbesondere interessieren in dieser Auseinandersetzung Jugendliche, die sich während der Adoleszenz Jugendkulturen zuordnen, festen Zusammenschlüssen von Jugendlichen also, die sich mehr oder weniger von der ‚Norm‘ abheben und sich mit eigenen Werten und Handlungen eine Position in der Gesellschaft suchen.

Jede Jugendkultur, die als anerkannt gilt, etwa aktuell die Techno- oder HipHop -Szene, begann einmal als eine nicht anerkannte Subkultur:

„Mit einer Subkultur wird das von der vorherrschenden Kultur abweichende Muster von Werten, Normen und Verhaltensweisen bezeichnet, das deutlich als Modifikation oder sogar als Gegenposition zur Gesamtkultur erkennbar ist. In einer jugendlichen Subkultur schaffen sich die Gruppenmitglieder eine soziale Umwelt, in der sie sich der Kontrolle der Erwachsenen entziehen und meist ritualisierte Verhaltensformen, bestimmte Kleidungsstile und eigene Auffassungen als identitätsstiftende Merkmale entwickeln. Mit einer Subkultur ist also die Entstehung und Ausbreitung verfestigter Milieus verbunden, die Jugendlichen eine spezifische Sicht der ‚Welt‘ vermitteln, die sich von der gesellschaftlich vorherrschenden Kultur abgrenzt.“ (Hurrelmann, 2005, S.132)

Die Jugendkulturen von heute waren folglich die Jugendsubkulturen von gestern und jede für sich hat so ihr eigenes Profil, auch wenn sie sich heute der ‚Normalität‘ angenähert haben bzw. eine mehr oder weniger große Anerkennung erfahren.

1.2 Gegenstand und Fragestellung

Eine dieser ‚Jugendsubkulturen von gestern‘ ist, nach der Kommerzialisierung Anfang des 21. Jahrhunderts und spätestens deutlich mit dem Aufkommen der ‚EMO-Szene‘, die in gewisser Weise als ein subkultureller Nachfolger betrachtet werden kann[3], die „Schwarze Szene“, „Gothic-Szene“ oder „Gruftie-Szene“.

Eben diese wird in folgendem thematisiert werden und das nicht nur, weil sie sich, wie medial sichtbar, ähnlich wie die Punk-Szene, bis heute von der ‚Normalität‘ abhebt. Darüber hinaus birgt sie augenscheinlich eine Besonderheit in sich, die sich in der ‚EMO-Szene‘ fortzusetzen scheint: Im Gegensatz zu anderen Jugendkulturen und -subkulturen weist sie auf den ersten Blick eine deutlich höhere weibliche Präsenz auf und steht alltagstheoretisch in dem Ruf deutlich geschlechtsneutraler zu sein. Vermutlich wird in diesem Rahmen nicht nachzuweisen sein, warum genau ersteres zutrifft und ob letzteres der Realität entspricht, aber die Frage soll hier gestellt und mit möglichen Thesen unterlegt werden.

Was gibt die Szene den weiblichen Heranwachsenden, das sie hier stärker aktiv werden und in anderen Szenen, etwa der Hip-Hop-Szene, eher in den Hintergrund treten lässt? Weshalb sind es hier, träfe die These zu, vermehrt weibliche Heranwachsende, die die aktive Partizipation an dieser Szene bevorzugen und in anderen eher passiv erscheinen?

Gründe dafür lassen sich vielfältig nennen und entwickeln: Es könnte die Nähe zur gesellschaftlichen ‚Norm‘ sein, die die jungen Frauen vor anderen zurückschrecken lässt, denn diese setzt fast deutlich voraus, dass die Hierarchie der Geschlechter und die gängigen Werte, wenn auch abgewandelt, umgesetzt werden. Es könnte die Möglichkeit zum individuellen sein, wobei dies eher unwahrscheinlich daherkommt, da jede Szene nach Individualität und Identität zu streben scheint, aber vielleicht ist die Individualität in dieser Szene etwas besonderes? Festzustehen scheint, dass die Faszination des Unbekannten und die Möglichkeit zur eigenen Transzendenz u.a. hier für beide Geschlechter höher ist. Warum das so ist, gilt es u.a. zu ergründen.

Zur Beantwortung dieser Fragestellung wird im Folgenden zunächst der Ursprung der gegenständlichen Subkultur und der Forschungsstand kurz dargestellt werden, bevor eine funktional optimierte Skizze der Szene zum Gegenstand wird, die die Basis für die Beantwortung der Fragestellung liefern soll. Nachdem im Anschluss der Bezug zu der geschlechtsspezifischen Betrachtung hergestellt wurde, werden die Thesen vorgestellt werden, die sich der Beantwortung der Frage annähern wollen, so dass im Ende mögliche Ideen stehen, die bei allem nicht vollendet sein können.

Denn: Geschlechtsdarstellungen können defensiv oder offensiv sein. Offensiv bedeutet: Ich bleibe so wie ich bin, weil ich mich so wohl fühle. Defensiv hingegen: Ich tue alles, um den gesellschaftlichen Normen (als Mann oder Frau) zu entsprechen (Vgl. Breitenbach, 2000, S.32). Die Realität eines Heranwachsenden liegt irgendwo zwischen diesen extremen und die der „Schwarzen Szene“ gilt es hier zu finden.

2 Entwicklung und Forschungsanlass

Ende der 70er Jahre und Anfang der 80er Jahre kristallisierte sich unter den Augen der Medien eine neue Jugendgruppierung heraus. Schwarzgekleidet, mit gänzlich ungeklärten Symboliken und Kleidungsstilen erweckte sie den Eindruck, dass die aktiven Jugendlichen ihre Lebenswelt pessimistisch ablehnten und dabei starke Tendenzen zeigten, sich aus der Gesellschaft ausgrenzen zu wollen. Letzteres war bereits aus der Punk-Szene bekannt, erschien jedoch hier als etwas gänzlich anderes: Diese Jugendgruppierung hob eine kritisch ablehnende Haltung gegenüber der ‚normalen Gesellschaft‘ hervor und verkehrte die ‚Normalität‘ in eine alternative Denk- und Lebensart, die so noch nicht bekannt gewesen war.

Bis Mitte der 80er Jahre etablierte sich diese Gruppierung zu einer Jugendkultur als Subkultur, die nicht mehr fortzudenken war. Die Medien publizierten ihre Wahrnehmung und prägten damit nicht nur die gesellschaftliche Etablierung, sondern auch die ablehnende Haltung gegenüber den ‚Gruftis‘ nachhaltig. Die schwarze Kleidung, die eher düster, melancholische Musik und die Symbole, etwa ein umgekehrtes Kreuz, führten dazu, dass die Szene zügig mit den Begriffen 'Okkultismus' und 'Satanismus' in Verbindung gebracht wurde und die ablehnende Haltung der Jugendlichen in ihrer explorativen Adoleszenz ihnen als eine extreme Flucht aus der ‚Normalität‘ ausgelegt wurde.

Eltern, PädagogInnen und ‚betroffenen Jugendlichen‘ wurde in Buchform eine ganze Reihe von Ratgebern zur Verfügung gestellt, wie sie sich gegen diesen ‚Auswuchs‘ schützen könnten und prägten den bis heute als negative Konnotation bestehenden Ruf der Szene: Die „sensationsgerechte Erzeugung von Klischees, gleichgültig, ob sie der Alltagsrealität der betreffenden Jugendlichen übereinstimmen oder nicht“ (Schmidt/Neumann 2004, S.65) führte zu der alltagstheoretischen Annahme, dass Jugendliche dieser Szene nur zu Satanisten werden könnten, die mit Sicherheit auch suizidgefährdet seien.

3 Der Forschungsstand

Die beschriebene Interpretation führte Mitte der 80er Jahre zu einer verstärkten Auseinandersetzung der Forschung mit dieser Thematik, um die „Verkennung und Verzerrung des jugendlichen Alltagslebens“ (Schmidt/Neumann 2004, S.65) zu überprüfen. Mehrere quantitativ - empirische und darauf folgende qualitative Studien nahmen sich der Thematik an und definierten die Szene mehrheitlich mit einem Begriff, der sie bis heute prägt: „Schwarze Szene“ (Schmidt/Neumann 2004, S.66). Sie sei der „Inbegriff bzw. [der] Ausdruck [ihrer Inhalte und die] Manifestation von okkultischen, satanistischen Neigungen und Irrwegen in der Adoleszenz, denen eine gesellschaftlich abweichende und damit ‚gefährliche‘ Tendenz unterstellt [bleibt]“ (Schmidt/Neumann 2004, S.66).

Der Zusammenhang des Okkulten mit der Jugendszene wurde erst mit Anfang der 90er Jahre durch weitere Studien in Zweifel gezogen und überprüft.

Eine dieser Forschungsbemühungen, die die Eigenständigkeit der „Schwarzen Szene“ als jugendkulturelles Phänomen nachzuweisen suchen, präsentiert Werner Helsper in seiner Publikation „Die Symbolik des Todes und des Bösen in der Jugendkultur“ 1992, deren Ergebnisse im Anschluss an diesen Überblick kurz dargestellt werden, um, trotz, wie im Weiteren deutlich werden wird, aller widerlegten Ergebnisse, ein Bild der Szene skizzieren zu können.

Mit diesen neuen Ergebnissen, die den bezeichneten Zusammenhang in der Mehrheit deutlich relativierten, entstand Mitte der 90er Jahre ein neuer Blickwinkel: Die „Schwarze Szene“ wurde als eine jugendkulturelle Gemeinschaftsform aufgefasst. Deren „spezifischer, jugendkultureller Stil mit einer sich darum gruppierenden musikorientierten, jugendkulturellen Szene“ (Schmidt/Neumann 2004, S.67) wurde unter dem Alltagsbegriff „Gothic-Szene“ zu einer legitimen Szene, die nun einen Weg darstellte, die Adoleszenz zu erleben, sich jedoch nicht von dem Mitte der 80er Jahre geprägten Ruf distanzieren konnte.[4]

4 Forschungsergebnisse

Um die „Schwarze Szene“ analysieren zu können, müssen vor Beginn mit Hinblick auf die Fragestellung die wesentlichen Züge bekannt sein, die für die Szene prägend sind. Erst dann kann verständlich werden, warum diese Szene sich im Gegensatz zu anderen, parallel existierenden Jugendkulturen und -subkulturen geschlechtsneutraler konstituierte und worin sich diese Tendenz begründet.

4.1 Prägende Forschungserkenntnisse durch Werner Helsper

Anfang der 90er Jahre veröffentlichte Werner Helsper seine Erkenntnisse in der Publikation „Die Symbolik des Todes und des Bösen in der Jugendkultur“, die hier beispielhaft zur Veranschaulichung dienen sollen. Diese qualitative Studie, in der drei Probanden mit ihren biographischen Erfahrungen in der „Schwarzen Szene“ zu Wort kommen, stellt sich der Frage nach der Intensität des Zusammenhanges mit der Lebensgestaltung und einem möglichen Satanskult und sucht die Szene in einem zweiten Schritt zu skizzieren, um die relativierenden Ergebnisse zu verifizieren.[5]

[...]


[1] Ein Beispiel sei hier die Geschlechteridentität bzw. die Antw ort auf die Frage: Wer bin ich als Frau oder Mann und was macht mich als solche/r aus? Sie entwickelt sich aus den sozialisatorischen Einflüssen, die den Jugendlichen durch seine Umwelt begegnen und prägen seine Selbstwahrnehmung maßgeblich.

[2] Hierbei zählen nicht die Unterteilungen nach diesem Modell, sondern die Verfügbarkeit eines Überblickes (Vgl. Kasten, 1999, S.15; in: Zimmermann, 2006, S.156).

[3] Werden die Merkmale und Überzeugungen Anfang des 21. Jahrhunderts aufkommenden Jugendbewegung genauer betrachtet, wird deutlich, dass diese deutliche Elemente der „Gothic-Szene“ aufweist. Diese Analyse ist hier nicht zu leisten, so dass auf die Internetportale verwiesen sei, die öffentlich vielfältig zur Verfügung stehen (www.jugendszenen.com, www.culture-on-the-road.de, www.jugendforschung.de u.a.).

[4] Szeneintern gelten sie bis heute als Bestandteil der gängigen Vorurteile und Rechtfertigungsgründe. Näheres ist u.a. unter www.northern-gothics.de, www.gothic-insider.de oder www.schwarzesglück.de zu erlesen.

[5] Alle folgenden Ergebnispräsentationen sind in Schmidt/Neumann 2004 und Helsper 1992 genauer nachzulesen und werden im Einzelnen der Übersicht halber durch den Konjunktiv und nicht durch einen Literaturverweis deutlich werden.

Ende der Leseprobe aus 27 Seiten

Details

Titel
Jugendkulturen und Geschlechtsspezifika
Untertitel
Beispiel: Gothic-Szene
Hochschule
Europa-Universität Flensburg (ehem. Universität Flensburg)
Note
1,0
Autor
Jahr
2009
Seiten
27
Katalognummer
V203573
ISBN (eBook)
9783656303206
ISBN (Buch)
9783656303862
Dateigröße
729 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
jugendkulturen, geschlechtsspezifika, beispiel, gothic-szene, Jugand, Jugend, Szene, Schwarzträger, Todessehnsucht, Clique, Vorurteile, Kultur, Subkultur, Szeneclub
Arbeit zitieren
Melanie Johannsen (Autor:in), 2009, Jugendkulturen und Geschlechtsspezifika , München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/203573

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