Mit Orang-Utans auf Du

Kurzbiografie der Anthropologin und Primatologin Biruté Galdikas


Fachbuch, 2012

56 Seiten


Leseprobe


Biruté Galdikas

Die „Queen der Orang-Utans“

Weltweit die beste Kennerin der Orang-Utans wissenschaftlich Pongo pygmaeus genannt - ist die in Deutschland geborene und in Kanada aufgewachsene Anthropologin und Primatologin Biruté Mary Galdikas. Die Forscherin beobachtete in den tropischen Urwäldern auf dem indonesischen Teil der Insel Borneo (Kalimantan) mehr als vier Jahrzehnte lang das Leben dieser scheuen Menschenaffen.

Die Mutter von Biruté hieß Filomena Slapys und arbeitete als Krankenschwester. Sie war eine der drei Töchter der verwitweten Bäuerin Maria Slapys, die nach der Besetzung von Litauen am 15. Juni 1940 durch die Sowjetarmee nach Berlin flüchten konnte. Durch Zufall hatte Maria erfahren, dass sie auf einer Liste von Menschen stand, die nach Sibirien deportiert werden sollten. Sie hatte sechs Jahre lang in den USA gelebt, weswegen man sie „die Amerikanerin“ nannte, und besaß einen ansehnlichen Bauernhof, der offenbar Begehrlichkeiten der Kommunisten weckte.

Der Vater von Biruté namens Antanas Galdikas war Unternehmer und allein aus Litauen nach Deutschland geflohen. Seine Verwandten glaubten, ihr Heimatland werde bald wieder unabhängig und wollten deswegen ihre Heimat und ihren Besitz nicht im Stich lassen. Nach der Kapitulation der Führung des „Dritten Reiches“ am 8. Mai 1945 kamen alle ausländischen

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Marktkirche in Wiesbaden,

dem Geburtsort von Biruté Galdikas

Flüchtlinge, die sich in Deutschland aufhielten, in Lager. In einem derartigen Lager bei Stendal in der Altmark (Mitteldeutschland) lernten sich Filomena Slapyps und der hochgewachsene, muskulöse Antanas Galdikas kennen und verliebten sich ineinander. Die Familie Slapys verließ in Begleitung von Antanas Galdikas das Lager in Stendal und zog weiter nach Westen. Im Juni 1945 heirateten Filomena Slapis und Antanas Galdikas in Öbisfelde. Weil die „Rote Armee“ näherrückte, strebte die Famile zusammen mit anderen Flüchtlingen zu Fuß weiter nach Westen. Eines Tages erreichten sie die amerikanisch besetzte Zone in Deutschland.

Am 10. Mai 1946 kam Biruté Marija Filomena Galdikas in der deutschen Großstadt Wiesbaden zur Welt. Den Namen ihres Geburtsortes erwähnte sie später in ihrem Buch „Meine Orang-Utans“ allerdings nicht. Eigentlich plante die gesamte Familie eine Auswanderung nach Amerika. Doch eine solche war nicht so leicht, weil die Amerikaner sich sehr wählerisch verhielten. Großmutter Maria und die Familie von Birutés Tante Eugenie wollten nicht lange warten und wanderten nach Australien aus. Dagegen musste die in Brooklyn geborene Tante Bronice, die im Alter von zwei Jahren die USA verlassen hatte und kein Wort Englisch sprach, nicht warten.

1948 wanderte Antanas Galdikas nach Kanada aus und arbeitete dort in Gold- und Kupferbergwerken. Ein Vierteljahr später folgten ihm seine Ehefrau Filomena und seine Tochter Biruté nach. Die Familie lebte anderthalb Jahre in Quebec, wo der Sohn Vytas Anthony zur Welt kam, und zog dann in die Großstadt Toronto.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Indianer vom Volk der Huronen.

Gemälde von Cornelius Krieghoff (1815-1872), Original im McCord-Museum, Montreal

Dort wurden die Tochter Aldona und der Sohn Al geboren und erwarb die Familie ihr erstes Haus. In Toronto ging Biruté an Samstagvormittagen zur litauischen Grundschule. Diese besuchte sie bis zur achten Klasse. Ihre Eltern legten großen Wert auf die Ausbildung ihrer Kinder. Eine respektvolle Bemerkung ihres Mathematiklehrers über den Doktortitel weckte bei Biruté den Wunsch, diesen akademischen Grad zu erreichen. Wenn es nach dem Willen ihrer Mutter gegangen wäre, hätte sie Ärztin werden sollen. Während des Besuches der ersten Klasse der Grundschule lieh sich Biruté erstmals in einer öffentlichen Bibliothek ein Buch aus. Darin ging es um einen im Dschungel arbeitenden Forscher, dessen Affe namens „Georg Naseweis“ schier unaufhörlich Bananen fraß. In der zweiten Klasse der Grundschule beschloss Biruté, sie wolle Forschungsreisende werden.

Bereits als Fünfjährige fragte sich Biruté, woher die Menschen kommen und wollte mehr darüber erfahren. Mit zwölf ging sie oft durch den „High Park“ in Toronto, der zwei Straßen vom Haus ihrer Familie entfernt lag. In ihrer Phantasie erschien ihr dieser Park mit Landschildkröten und Stockenten wie eine unberührte Wildnis. Bei ihren Streifzügen hielt sie oft inne und beobachtete still und verborgen die Wildtiere des Parks. Dabei versetzte sie sich in Gedanken oft in die Rolle eines Indianers vom Volk der Huronen und es hätte sie nicht gewundert, wenn sie einen solchen angetroffen hätte.

Falls ihr Traum, Forschungsreisende zu werden, nicht in Erfüllung gehen konnte, wollte Biruté eine Ballett- tänzerin werden. Als Kind erhielt sie jahrelang Ballettunterricht.

Zur Zeit einer wirtschaftlichen Flaute in Kanada gaben die Eltern von Biruté ihr Immobiliengeschäft auf und verließen Toronto. Der Vater arbeitete nun im UranBergbau am Elliot-See im nördlichen Kanada. Biruté besuchte die „Elliot Lake High School“ und trug mit Gelegenheitsjobs zum Unterhalt der Familie bei.

Während ihrer Zeit an der High School interessierte sich Biruté immer mehr für Orang-Utans. Sie las ein Buch nach dem anderen über diese rötlichen asiatischen Menschenaffen. Orang-Utans zogen sie in den Bann, weil sie vermutete, jene müssten den Vorfahren der Menschen zu Beginn der Vorgeschichte ähneln.

Ende der 1950-er Jahre erwog die Familie Galdikas einen Umzug von Kanada nach Los Angeles in Kalifornien (USA), wo die Tante Bronice und ein Onkel lebten. Die Familie Galdikas hoffte, sie würde in Los Angeles leicht Arbeit finden. Doch es dauerte drei Jahre, bis die Familie Galdikas endlich nach Kalifornien kommen konnte. Die Eltern von Biruté waren kanadische Staatsbürger, wurden aber von US-Behörden als Litauer betrachtet, für die eine Einwanderungsquote von hundert Personen pro Jahr galt. Wer aber mit einem amerikanischen Bürger verwandt war, rückte auf der Liste der Antragsteller weit nach vorne. Während der Wartezeit in Kanada zog die Familie nach Vancouver.

Nach ihrem 17. Geburtstag schrieb sich Biruté an der „University of British Columbia“ „UBC“) in Vancouver ein. Ein Berater empfahl ihr das Studium der Infinitesimalrechnung (Differentialrechnung und Integralrechnung), physikalischen Chemie und Kirchengeschichte des Mittelalters. An der „University of British Columbia“ hatte Biruté zeitweise den Eindruck, die Dozenten würden mehr für sich selbst Lesungen durchführen als für ihre Studenten. Nach ihren letzten Klausuren fuhr sie im Bus zu ihrer inzwischen in Los Angeles lebenden Familie.

Ungefähr ein halbes Jahr lang arbeitete Biruté in Los Angeles ganztags. Nebenher besuchte sie Abendkurse am „City College“. Irgendwann reichten ihre Ersparnisse für die Einschreibegebühren als externe Studentin der „University of California“ („UCLA“) in Los Angeles und sie konnte sich 1965 dort einschreiben. Nach Ansicht von Biruté herrschten an der „UCLA“ im Gegensatz zur „University of British Columbia“ Tatendrang und Forschergeist. Biruté belegte Kurse über die Biologie wirbelloser Meerestiere bis zur Arbeitspsychologie. Sie eilte von einem Seminar zum anderen und verbrachte viele Stunden mit Literaturstudium in der Bibliothek.

Im Alter von 19 Jahren hatte Biruté ein Schlüsselerlebnis für ihren weiteren Lebensweg. Sie saß unter mehr als 200 Studenten in der hintersten Reihe eines riesigen Hörsales für Vorlesungen in Psychologie, als der Dozent „die junge Britin, die mit Schimpansen lebt“ erwähnte. Später schrieb sie hierüber, von fernher sei ein kristallklarer Ton zu ihr gedrungen, er habe eine Weile nachgehallt und sei dann allmählich verschwunden. Erst zwei Jahre später erfuhr Biruté in einem Kurs über Anthropologie den Namen jener „jungen Britin, die mit Schimpansen lebt“. Dabei handelte es sich um Jane

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Schimpansen-Forscherin Jane Goodall im Oktober 2010

Goodall. Wenn Biruté damals Fotos von Orang-Utans sah, fühlte sie sich zu diesen Menschenaffen hingezogen wie zu alten Bekannten. Ihr Wunschtraum war es, Urwälder im Fernen Osten zu durchstreifen, um OrangUtans zu erforschen. Aus diesem Grund schrieb und verschickte sie allerlei Briefe, was jedoch erfolglos blieb.

Mit 19 Jahren erblickte Biruté Galdikas in Los Angeles zufällig einen jungen Mann, der danach in ihrem Privatleben schnell eine wichtige Rolle spielte. Bei der Heimfahrt von der Universität mit einem Auto, das ihr der Vater überlassen hatte, sah sie den 17-jährigen Kanadier Rod Brindamour. Rod stand mit dem jüngeren Bruder von Biruté auf einem Gehsteig. Dort hatte sie gerade ein Freund miteinander bekannt gemacht und die jungen Leute suchten einen Laden am Sunset Boulevard. Als sich die Blicke von Biruté und Rod trafen, lächelte der junge Mann gewinnend. Dies verwirrte die bebrillte Biruté so sehr, dass sie beinahe die Kontrolle über das Auto verloren, es auf den Bürgersteig gelenkt und Rod angefahren hätte. Es war sozusagen Liebe auf den ersten Blick. Obwohl beide nichts von der Ehe hielten, verlobten sie sich bereits nach einigen Tagen. Zu jener Zeit sah Biruté aus wie ein Blumenkind der 1960-er Jahre. Sie trug mal Jeans, mal Miniröcke und ihre langen Haare reichten bis zu ihren Hüften. Rod hatte ebenfalls lange Haare. Mit seiner Lederjacke und seinem flotten Motorrad wirkte er wie ein Rebell, heißt es über ihn.

Rod Brindamour interessierte sich für Naturwissenschaften und hoffte auf ein College-Stipendium. Als

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Paläontologe Louis Leakey (1903-1972)

mit Funden aus der Olduvai-Schlucht (Tansania)

sein Wunsch nicht in Erfüllung ging, wollte der begeisterte Motorradfahrer die Welt sehen. 1966 schloss Biruté Galdikas ihr Grundstudium in Psychologie mit „summa cum laude“ („mit höchstem Lob“) ab. Anschließend schrieb sie sich für das Aufbaustudium in Anthropologie mit dem Spezialgebiet Archäologie ein. Oft beteiligte sie sich am Wochenende an Ausgrabungen. Außerdem verbrachte sie ein Semester mit Freilandarbeit an der „University of Arizona“ (Tucson) und arbeitete bei einer Grabung im Reservat von Fort Apache mit. Zusammen mit Judy Amesbury legte sie an einem kleineren Hang eine Begräbnisstätte frei. Von Judy erfuhr sie, dass diese einmal an den englisch-kenianischen Paläontologen Louis Leakey (1903-1972) geschrieben und angefragt habe, ob es möglich sei, in der Olduvai-Schlucht (Tansania) zu arbeiten. Überrascht hörte Biruté, das Ehepaar Leakey habe Judy ermutigt, zu kommen. Im März 1969 hielt Louis Leakey an der „UCLA“ eine Vorlesung über seine Fossilienfunde in Afrika. Obwohl der mehr als 65-Jährige nicht mehr der Gesündeste war, kaum noch Zähne trug und ohne Stock nicht gehen konnte, trat er als charismatischer Redner auf, der seine Zuhörer begeisterte. Als jemand fragte, welchen Stellenwert die Untersuchung von Primaten für das Verständnis der Evolution habe, antwortete er: „den höchsten“. Lebende Primaten lieferten Modelle, anhand derer man die Knochen ausgestorbener Hominiden mit Fleisch bedecken könne. Außerdem erklärte er, er habe gerade ein Telegramm bekommen, in dem Dian Fossey mitgeteilt habe, die Berggorillas hätten sich so sehr an sie gewöhnt, dass ihr einer von ihnen die Schuhbänder öffne.

Nach dieser Veranstaltung stürzte die 22-jährige Biruté auf Louis Leakey zu, erzählte ihm, sie wolle OrangUtans beobachten und berichtete über ihren bisherigen schulischen Werdegang. Als sie nach Haus kam, teilte ihre Mutter mit, jemand habe angerufen, Biruté solle Leakey am nächsten Tag aufsuchen.

Bei der erneuten Begegnung mit Leakey bestand Biruté bravourös Intelligenztests und bejahte unter anderem die Frage, ob sie sich den Blinddarm entfernen lassen würde. Danach teilte Leakey ihr mit, er werde Erkundigungen über einen geeigneten Ort für die Forschungsarbeit und deren Finanzierung einholen. Bis dahin sollten sie in Verbindung bleiben und Biruté sich bis September 1969 zum Aufbruch bereithalten. Weil Biruté vor ihrer Abreise noch ihr Magisterexamen ablegen und sich vom Fachbereich als Doktorandin aufnehmen lassen wollte, schlug sie den Januar im Folgejahr vor.

Doch im Januar 1970 passierte noch nichts. In der Folgezeit heirateten Biruté und Rod zuerst in Mexiko und später, als sie erfuhren, ihre in Mexiko geschlossene Ehe könne eventuell in Kalifornien nicht gültig sein, in Los Angeles noch einmal. Rod holte während der Wartezeit in Kanada seinen Schulabschluss nach und besuchte das College. Biruté erfüllte bis auf die Abfassung ihrer Doktorarbeit alle Vorausetzungen für ihre Promotion.

Leakey kam regelmäßig nach Los Angeles und traf sich dort mit Biruté. Er meinte, Biruté und Rod müssten außer den Flugkosten noch über mindestens 5.000 US-

Dollar verfügen. Als Alternative für das Orang-UtanProjekt regte er die Erforschung von Zwergschimpansen (Bonobos) in Zaire (Kongo) an, doch Biruté wollte dies nicht.

Eines der Treffen von Biruté Galdikas mit Louis Leakey fand in der Wohnung der Familie Goodall in London statt. Dort lernte sie Jane Goodall, deren Mutter Vanne Goodall und Dian Fossey kennen. Louis und Biruté befassten sich stundenlang mit Listen für Versorgungsgüter, logistischer Planung und der Finanzierung des Orang-Utan-Projekts. Louis hatte zuvor mit einem amerikanischen Filmproduzenten Kontakt aufgenommen, der das Forschungsvorhaben finanzieren wollte, wenn er die Filmrechte bekam. Später zog der Filmproduzent aus Hollywood sein Angebot zurück. Stattdessen stellten die „Wilkie Brothers Foundation“ und die „National Geograph Society“ Gelder bereit.

Am 1. September 1971 brachen Biruté und Rod nach Südostasien auf. Seit dem Kennenlernen mit Leakey waren rund 30 Monate vergangen. Nach Zwischenaufenthalten in Washington, Rod eine Fotoausrüstung von der „National Geograph Society“ lieh, und in London trafen Biruté und ihr Gatte in der kenianischen Hauptstadt Nairobi ein. Dort waren sie mehrere Wochen lang Gäste des Ehepaares Leakey. Louis zeigte den Beiden bedeutende Fundstellen wie Fort Ternan und die Olduvai-Schlucht, wo seine Ehefrau Mary arbeitete. Mary wirkte zunächst mürrisch, doch später taute sie auf und scherzte mit Biruté und Rod. Als Biruté und Rod aus Afrika abreisten, sahen sie den gebrechlichen Leakey zum letzten Mal. Er erlag am 1.

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Details

Titel
Mit Orang-Utans auf Du
Untertitel
Kurzbiografie der Anthropologin und Primatologin Biruté Galdikas
Autor
Jahr
2012
Seiten
56
Katalognummer
V203461
ISBN (eBook)
9783656298519
ISBN (Buch)
9783656300465
Dateigröße
4255 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Schlagworte
Biruté Galdikas, Orang-Utans, Menschenaffen
Arbeit zitieren
Ernst Probst (Autor:in), 2012, Mit Orang-Utans auf Du, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/203461

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