Lebens- und Arbeitsalltag der Wärter in der Irrenpflege im Hospital Haina

Psychiatrische Pflege im 19. Jahrhundert


Diplomarbeit, 2008

84 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung
1.1 Fragestellung dieser Arbeit
1.2 Begriffe, Abbildungen
1.3 Aufbau der Arbeit
1.4 Landeshospitäler in Hessen im 19. Jahrhundert
1.5 Wärter im 19. Jahrhundert
1.5.1.1 Hausordnungen und Dienstanweisungen als Grundlage für die Aufgabenbeschreibung

2 Untersuchte Materialien und angewandte Methoden
2.1 Untersuchte Materialien
2.2 Angewandte Methoden

3 Ergebnisse
3.1 Hospital Haina als Pflege- und Versorgungsanstalt im 19. Jahrhundert
3.1.1 Lage, Bau und Ausstattung
3.1.2 Organisation der Anstalt
3.1.3 Pfleglinge
3.1.4 Behandlung der Pfleglinge
3.2 Wärter im Hospital Haina im 19. Jahrhundert
3.2.1 Rekrutierung, Wärteranzahl und Fluktuation
3.2.2 Organisationsstruktur des Wärterdienstes
3.2.3 Heiratsverbot und „Heiratsconsens“
3.2.4 Entlohnung und Pension
3.2.5 Arbeitszeit, Freizeit und Urlaub
3.2.6 Kost und Logis, Dienstkleidung
3.3 Dienstanweisungen als Aufgabenbeschreibung für die Wärter im Hospital Haina im 19. Jahrhundert
3.3.1 Ordnung für das Hospital Haina
3.3.2 „Dienstinstruction“ der Wärter aus dem Jahr 1800
3.3.3 Dienstanweisung für die Wärter aus dem Jahr 1828
3.3.3.1 Erstes Kapitel
3.3.3.2 Zweites Kapitel
3.3.3.3 Drittes Kapitel
3.3.4 Dienstanweisung für die Wärter aus dem Jahr 1854
3.3.4.1 Allgemeine Unterschiede zur Dienstanweisung aus dem Jahr 1828
3.3.4.2 Kapitel I, Dienstanweisung für den Oberwärter
3.3.4.3 Kapitel II, Dienstanweisung für die Wärter und „Wärtergehülfen“
3.3.4.4 Kapitel III, Dienstanweisung für die Wärter bei den Tobsüchtigen und Irren
3.3.4.5 Kapitel IV, Dienstanweisung für den Kranken- und Lazarethwärter und Bader sowie für den Badergehilfen
3.3.4.6 Kapitel V, Besondere Vorschriften für die Wärtergehilfen
3.3.5 Ausblick: Dienstanweisung für das Pflegepersonal aus dem Jahr 1902
3.4 Fallstudie eines Wärters im Hospital Haina aus dem 19. Jahrhundert
3.4.1 Erstes Bittschreiben zum „Heiratsconsens“ des Wärters Wiegand
3.4.2 Zweites Bittschreiben zum „Heiratsconsens“ des Wärters Wiegand
3.4.3 Nebenbeschäftigungen des Wärters Wiegand im Hospital Haina
3.4.4 Bestellung des Wärters Wiegand zum Oberwärter

4 Diskussion
4.1 Zusammenfassung der Ergebnisse
4.2 Diskussion der verwendeten Methode
4.3 Vergleich der Ergebnisse mit vorangegangenen Studien
4.4 Diskussion der Konsequenzen der Ergebnisse

5 Fazit und Ausblick

Quellenverzeichnis

Liste der verwendeten Abkürzungen

Verzeichnis der Abbildungen und Tabellen

Bildnachweise

Abbildungen

Anhang

Eidesstattliche Erklärung

1 Einleitung

Die Geschichte der psychiatrischen Pflege (Irrenpflege) ist im Vergleich zur allgemeinen Krankenpflege nur sehr unzureichend erforscht. Es finden sich in der Literatur nur wenige Studien, die sich konkret mit der Geschichte der psychiatrisch Pflegenden, der Wärter, und ihren Aufgaben in der Irrenpflege im 19. Jahrhundert auseinandersetzen. Eine größere Untersuchung des Themas haben Höll/Schmidt-Michel (1989) durchgeführt. Sie thematisieren die Situation der psychiatrisch Pflegenden in der Ausübung der Irrenpflege aus der Sicht der Psychiater anhand der Diskussion um die „Wärterfrage“. Das Problem dieser Fragestellung war die Schwierigkeit, aus Sicht der Psychiater zu dieser Zeit in Deutschland, geeignetes Wärterpersonal für die Wartung der Irren zu finden. Die „Wärterfrage“ wird allgemein im deutschsprachigen Raum diskutiert. Die Untersuchung basiert ausschließlich auf Sekundärquellen. Ein weiterer wichtiger Beitrag zur Geschichte der psychiatrischen Pflege stellt die Arbeit von Falkenstein (1999) dar. Der Untersuchungszeitraum dieser Arbeit beginnt am Ende des 19. Jahrhunderts und schließt zum Ende der Weimarer Republik. Falkenstein beschreibt die Entwicklung der Irrenpflege vom Durchgangs- zum Ausbildungsberuf aus pflegehistorischer Perspektive. Payk (2000) gibt in seinem Buch „Psychiater“ einen geschichtlichen Abriss über die psychiatrische Pflege in Deutschland von Beginn der Heilkunde bis in die heutige Zeit. Payk bezeichnet den Zeitraum der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts als „die ersten Schritte zur Professionalisierung der psychiatrischen Pflege“ (Payk, 2000, S.159). Eine Begründung für diese Aussage nennt er jedoch nicht. Roth (1999) beschreibt den Alltag in drei staatlichen Irrenanstalten in Württemberg im 19. Jahrhundert. Sie bezieht sich in ihrer Arbeit vorwiegend auf die Sichtweise der „Anstaltspfleglinge“. Grundlage ihrer Ausarbeitung sind vorwiegend primäre Quellen (Kranken- und Verwaltungsakten der drei Irrenanstalten). Über das Hospital Haina im 19. Jahrhundert finden sich zahlreiche historische, theologische und zeitgenössische Publikationen aus dem 20. Jahrhundert (Kahm, 1994; Heinemeyer/Pünder, 1983). In ihnen existieren wichtige Hinweise, die Auskunft über und Rückschlüsse auf den Psychiatriealltag, die sozialen Wechselwirkungen zwischen psychiatrisch Pflegenden, Pfleglingen und anderen Berufsgruppen im Hospital zulassen. In den oben genannten Studien wird betont, dass die größte Berufsgruppe, die psychiatrisch Pflegenden, eine „stumme“ Berufsgruppe sei (Falkenstein, 1999, S.7). Höll/Schmidt-Michel (1989, S.8) verwenden zur Darstellung der Irrenpflege fast ausschließlich die Sichtweise der Psychiater, da diesbezüglich kaum Quellen von Wärterinnen und Wärtern zur Verfügung stünden. Roth (1999, S.9) beklagt in ihrer Arbeit zur württembergischen Anstaltspsychiatrie im 19. Jahrhundert das völlige Fehlen der Perspektive des Pflegepersonals. Bis zum Ende des 19. Jahrhunderts gebe es „praktische keine persönliche Äußerung aus dieser Berufsgruppe“.

Unter Punkt 1.1 werden die Fragestellungen dieser Arbeit detailliert erläutert.

1.1 Fragestellung dieser Arbeit

Die vorliegende Arbeit thematisiert die Aufgaben und Tätigkeiten der Wärter in der Irrenpflege im Hospital Haina im 19. Jahrhundert. Ferner gibt sie einen Ausblick auf die Pflegepraxis des beginnenden 20. Jahrhunderts durch die Skizzierung der Inhalte einer Dienstvorschrift für das Pflegepersonal aus dem Jahr 1902. Der Untersuchungszeitraum wurde gewählt, da aus dieser Zeit nahezu keine Publikationen über die Wärter in der Irrenpflege und deren Charakterisierung vorliegen. Es existieren keine Untersuchungen, welche, auf primären Quellen basierend, den Wärteralltag in einer Irrenanstalt thematisieren. Es sind für diesen Zeitraum, laut der Sekundärliteratur, keine subjektiven Darstellungen der Wärter über ihre berufliche Situation, ihr Erleben oder ihre Wahrnehmungen des Hospitalsalltages beschrieben. Ein wichtiges Anliegen bei der Auswahl des Themas für diese Arbeit war es, etwas über die Wärter in der Irrenpflege und somit die Ursprünge der psychiatrischen Pflege im früheren Hospital Haina zu erfahren. Ein weiteres Motiv für diese Arbeit bestand darin, herauszufinden, welche Unterschiede bei den im Hospital Haina tätigen Wärtern und deren Arbeit sich von den Tätigkeiten der Wärter in vergleichbaren Irrenanstalten ergeben. Das Anliegen dieser Arbeit ist es zu eruieren, wie die konkreten Aufgaben aussahen, die die Wärter im Hospital Haina innehatten. Wer waren die Wärter, woher kamen sie, welche Bildung hatten sie? Was waren ihre Gründe, im Hospital zu arbeiten? Wie wurden sie angeworben? Nach welchen Kriterien erfolgte ihre Einstellung? Wie wurde ein Bewerbungsverfahren durchgeführt? Welche Gründe führten zur Entlassung der Wärter? Wie sahen ihre Arbeitsbedingungen aus? Wie waren sie organisiert, wie war die Stellung zu anderen Berufsgruppen? Wie hoch war ihr Gehalt im Vergleich zu anderen Berufsgruppen? Wie sahen die Normen und Regelungen aus, die ihre Arbeit formal bestimmten? Wie sah die Wirklichkeit der Wärter im Hospitalalltag aus? Lief alles nach der Norm, nach Plan ab? Waren die Wärter nur Befehlsempfänger, die jeden Befehl oder jede ärztliche Anordnung bedingungslos ausführten? Wie sah die Arbeits- und Lebenswelt eines Wärters aus? Wie empfand er seine soziale Situation? Wie äußerten die Wärter sich. Was waren ihre Alltagsprobleme und wie war der Umgang mit diesen Problemen?

Unter Punkt 1.2 werden die Begriffe, die in dieser Arbeit verwendet werden und die Abbildungen erläutert.

1.2 Begriffe, Abbildungen

Zum Teil werden in der vorliegenden Arbeit Begriffe wie „Wärter“, „Aufwärter“, „Hospitaliten“, „Pfleglinge“, „Irre“, „Wahnsinnige“, „Geisteskranke“, „Gemüthskranke“, „Irrenhaus“ und „Irrenanstalt“ auch außerhalb der Zitate verwendet. Es sind Begriffe aus der Terminologie des 19. Jahrhunderts, die damals keine diskriminierende Wertung für die Betroffenen darstellten, dies soll auch so verstanden werden. Um Missverständnisse und Stilbrüche zu vermeiden, wurden die oben genannten Begriffe nicht durch moderne Wörter wie „Psychiatrisches Krankenhaus“, „Patient“ oder „Pfleger“ ersetzt. Für den Hospitalinsassen wird in dieser Arbeit gewöhnlich der Begriff Pflegling verwendet. In den ungedruckten Quellen wurden die Wärter in Haina als „Aufwärter“ bezeichnet, in den Dienstanweisungen ist ausschließlich von Wärtern die Rede. Der Einfachheit halber und zum besseren Verständnis wird der Begriff Wärter in dieser Arbeit einheitlich verwendet, er ist gleichbedeutend mit dem Begriff Aufwärter. In dieser Arbeit wurden Fotos und Abbildungen aufgenommen, die einen wirklichkeitsnahen Eindruck des Hospitalsalltages im 19. Jahrhundert vermitteln.

Im Folgenden wird unter Punkt 1.3 der Aufbau der vorliegenden Arbeit beschrieben.

1.3 Aufbau der Arbeit

Unter Punkt 1.4 wird die Geschichte und die Funktion der vier Hospitäler in Hessen im 19. Jahrhundert in ihren Grundstrukturen dargestellt. Unter Punkt 1.5 wird ein allgemeines Bild des Wärters in Deutschland mit Hilfe der Sekundärliteratur formuliert. Unter Punkt 1.5.1.1 erfolgt die Darstellung der Hausordnungen als grundlegendes formales Regelwerk für die Aufgaben der Wärter. Unter Punkt 2 erfolgt die Darlegung der für die vorliegende Arbeit untersuchten Materialien und der angewandten Methoden. Unter Punkt 3 werden die Ergebnisse dieser Arbeit dargestellt. Unter Punkt 3.1 werden das Hospital Haina im 19. Jahrhundert und seine Insassen beschrieben. Unter Punkt 3.2 werden die Wärter im Hospital Haina mit ihren Eigenschaften, Rahmenbedingungen und ihrer Organisation ausführlich vorgestellt. Unter Punkt 3.3 werden die Hausordnung, die erste „Dienstinstruction“, und die folgenden Dienstanweisungen im 19. Jahrhundert vorgestellt und verglichen. Unter Punkt 3.3.5 wird die „Dienstvorschrift für das Pflegepersonal“ des Landeshospitals Haina kurz mit den Unterschieden zu den vorhergehenden Dienstanweisungen dargestellt. Unter Punkt 3.4 erfolgt die Vorstellung der Fallstudie aus der Personalakte eines Wärters aus dem Hospital Haina. Unter Punkt 4 findet die Diskussion der Ergebnisse statt. Es erfolgt dort eine Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse, eine Diskussion über die verwendete Methode, ein Vergleich mit vorausgegangenen Studien und eine Diskussion über die Auswirkungen der Ergebnisse. Der Punkt 5 gibt ein Fazit und einen Ausblick über die vorliegende Arbeit, wobei der Ausblick weitergehenden Forschungsbedarf aufgrund der vorliegenden Arbeit formuliert.

1.4 Landeshospitäler in Hessen im 19. Jahrhundert

Die hessischen Klöster Haina, Merxhausen, Gronau und die Pfarrei Hofheim wurden von Phillip dem Großmütigen in der Zeit von 1533 bis 1542 als Landeshospitäler eingerichtet. Das Hospital Gronau wurde bereits 1632 nach Plünderungen geschlossen (Nolte, 1996, S.19). Die Hospitäler dienten als Fürsorgeeinrichtungen für die umliegende Dorfbevölkerung. Eine weitere Zielsetzung war die Pflege der Geisteskranken, für die es bis zu diesem Zeitpunkt keine Fürsorge gab (Moritz, 1980 S.19). Eine Besonderheit der hessischen Hospitäler war die getrennte Versorgung der Geschlechter. Merxhausen war ein Frauenhospital. Haina war ein Männerhospital. In Hochheim wurden Frauen und Männer in getrennten Abteilungen untergebracht. Die hessischen Hospitäler gelten als die „ältesten Irrenanstalten“ Deutschlands (Nolte, 1996, S.38). Erst im 19. Jahrhundert rückte die Aufgabe der Geisteskrankenfürsorge in den Mittelpunkt der Landeshospitäler. Deutlich wurde dies durch die Bestimmung der Hospitäler Haina und Merxhausen zu Pflege- und Versorgungsanstalten für Unheilbare im Jahre 1815 (Nolte, 1996, S.38). Die Zahl der unheilbaren Geisteskranken stieg im Laufe des 19. Jahrhunderts stark an. So waren zum Ende des 19. Jahrhunderts in den hessischen Landeshospitälern nahezu alle Pfleglinge geisteskrank oder epileptisch (Nolte, 1996, S.38).

Die Pfleglinge wurden von Wärtern versorgt und gewartet. Unter Punkt 1.5 wird daher allgemein die Charakteristik eines Wärters im 19. Jahrhundert vorgestellt.

1.5 Wärter im 19. Jahrhundert

Höll/Schmidt-Michel (1989) bieten zu diesem Thema den umfassendsten Überblick. Zunächst soll geklärt werden, was im 19. Jahrhundert unter dem Begriff des Wärters verstanden wurde.

Dieser Begriff wird in dem Wörterbuch der Oekonomischen Encyklopädie folgendermaßen erklärt: “Wärter, 1) bisweilen so viel wie Wächter; 2) eine Person, welche die nöthige Sorge für etwas trägt oder die nöthige Handreichung leistet“ (Krünitz, 1773-1858). In Zedlers Universal-Lexicon heißt es: „Wärter oder Wärterin heißt nach Gelegenheit eine Manns- oder Weibs-Person, welche auf krancke, unsinnige, schwermüthige, oder andere dergleichen Personen genaue Aufsicht haben und vor deren Pflege und Wartung besonders besorgt seyn soll“. (Zedler, S.263). Für die Menschen im 19. Jahrhundert stand die Tätigkeit des Irrenwärters in Konkurrenz zur Arbeit in der Industrie. Die Bewerberlage für die Tätigkeit des Wärters war vor allem in den Städten so gering, dass nahzu jeder Interessent angenommen wurde. Die Fluktuation des Personals war infolgedessen sehr hoch (Höll/Schmidt-Michel, 1989, S.25; Roth, 1999, S.70). Die Löhne der Wärter waren generell niedriger als in anderen Berufen. Das Ansehen der Tätigkeit war in der Bevölkerung gering. Aussagen zu Wärtern in der Mitte des 19. Jahrhunderts finden sich in der „Anleitung zur Krankenwartung für die Pflegeschule der Berliner Charité“: „In der Realität sind es gescheiterte Existenzen, die zu jedem anderem Geschäft untauglich sind“ (Gedicke, zit. n. Höll/Schmidt-Michel, 1989, S.24). Haisch (1959, S.3150) berichtet, dass das Wartpersonal nicht selten aus „Rohlingen und Trinkern“ bestand. Weiter berichtet er, dass oftmals Strafgefangene als Irrenwärter zur Betreuung der Pfleglinge eingesetzt waren. Dies hatte für den Arzt den Vorteil, dass viele der Wärter sich durch Klugheit und Vorsicht und Gewandtheit auszeichneten. In der Anstalt Sonnenstein in Pirna wurden ehemalige Soldaten gern als Wärter eingestellt, da sie Pünktlichkeit und Sauberkeit gewohnt waren. Außerdem konnten sie lesen und schreiben. Des Weiteren brachten sie Zeugnisse von ihren Vorgesetzten mit (Höll/Schmidt-Michel, 1989, S.27). Schröter (2003, S.40) beschreibt, dass im Waldheimer Zuchthaus im 19. Jahrhundert anfangs überwiegend Strafgefangene, aufgrund guter Führung, als Krankenwärter eingesetzt wurden. Um 1880 waren, nach der Umwandlung des Zuchthauses in eine Irrenstation, sechs freie „Berufskrankenwärter“ für rund 30 Pfleglinge zuständig. Der Wärter-Pfleglingschlüssel lag bei 1:5. Die Wärter in Waldheim waren junge Männer, die meist einen handwerklichen Beruf gelernt und anschließend Militärdienst geleistet hatten. Für eine Einstellung als Wärter spielten gute Zeugnisse der militärischen Vorgesetzten und die ärztliche Gesundheitsbescheinigung eine wichtige Rolle. Die Wärter besaßen keinerlei Ausbildung bezüglich ihrer Tätigkeit. Alle Wärter hatten acht Jahre die Schule besucht und verfügten über einen Volksschulabschluss. Sie stammten aus einfachen Verhältnissen und bewarben sich freiwillig. Die Fluktuation in der Irrenanstalt Waldheim war wahrscheinlich gering, da alle exemplarisch vorgestellten Personalakten von Wärtern stammten, die über 30 Jahre im Dienst der Anstalt standen (Schröter, 2003, S.41). Zu Beginn des 19. Jahrhunderts wurden im württembergischen Ludwigsburg noch Sträflinge zur Wartung der Irren eingesetzt. Straffällig gewordene Frauen wurden vom Gericht als Strafe für mehrere Monate zum Dienst in die Irrenanstalt verwiesen (Roth, 1999, S.66). In der württembergischen Anstalt in Zwiefalten war ein Wärter bzw. eine Wärterin, wie in der Anstalt Waldheim, für die Wartung von circa 30 Pfleglingen zuständig. Die Wärter bzw. Wärterinnen hatten ihre Wohnungen in der Irrenanstalt. Die Wohnungen lagen räumlich direkt neben den Krankensälen oder die Wärter oder Wärterinnen schliefen gemeinsam mit den Pfleglingen in einem Raum. Die Wärter bzw. Wärterinnen verfügten über keinerlei Ausbildung. In der württembergischen Anstalt Schussenried war die Fluktuation unter dem Wartpersonal sehr hoch. Im Jahr 1875 waren von „19 Wärtern 7 entlassen und 3 waren entlaufen“ (Roth, 1999, S.70). Im Kloster Eberbach war zu Anfang des 19. Jahrhunderts ein Wärterehepaar für die Irren zuständig. Sie leisteten eine gute Arbeit, da die Pfleglinge „Zuneigung und Vertrauen zu ihnen gefasst“ hatten (Hötger, 1977, S.160). Im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts wurden allgemein ausgediente Gardisten als Wärter im Kloster Eberbach eingestellt. Die Wärter mussten ledig sein. Die Wärter oder Wärterinnen schliefen mit den Pfleglingen in einem Raum und nahmen gemeinsam die Mahlzeiten mit ihnen ein (Hötger, 1977, S.161). In der „Dienstordnung für die Officianten“ der Irrenanstalt Marsberg sollte zu Eröffnung der Anstalt ein unterrichteter und verpflichteter Krankenwärter angestellt werden (StAMS, X Nr. 3, Bl. 340, S.23). Die Unterrichtung sollte durch den Hospitalarzt erfolgen.

Unter Punkt 1.5.1.1 werden die allgemeinen Sollbestimmungen, die die Grundlage für den Handlungsrahmen der Wärter in den Irrenhäusern vorgaben, dargelegt.

1.5.1.1 Hausordnungen und Dienstanweisungen als Grundlage für die Aufgabenbeschreibung

In den Irrenanstalten in Deutschland des 19. Jahrhunderts dienten Haus- oder Hospitalordnungen als grundlegendes formales Regelwerk für die Organisation der Irrenanstalten. Sie fungierten als offizielle Richtlinie für das Verhalten und Handeln aller im Hospital lebenden und tätigen Personen (Roth, 1999, S.69). Die Aufgaben und der Handlungsrahmen der Wärter in der Irrenpflege wurde im 19. Jahrhundert vor allem durch Hausordnungen, „Dienstinstructionen“ und Dienstanweisungen formal definiert und festgelegt. Sie regelten die Anforderungen an den Stelleninhaber, formulierten Zielsetzungen, Aufgaben, Rechte und Pflichten des Stelleninhabers sowie die Zusammenarbeit mit anderen Funktionsträgern innerhalb der Organisation (Höll/Schmidt-Michel, 1989; Hötger, 1977; Roth, 1999, S.68). Diese Dienstanweisungen wurden von den ärztlichen Direktoren der Irrenanstalten erarbeitet (Höll/Schmidt-Michel, 1989, S.31). Die Regierungen der einzelnen Staaten erließen ebenfalls Dienstordnungen für sämtliche Berufsgruppen der Irrenanstalt (StAMS, X Nr. 3, Bl. 340). Laut Hötger (1977, S.352) wurde auf die „strikte“ Einhaltung dieser Haus- oder Hospitalordnung in den entsprechenden „Dienstinstructionen“ explizit hingewiesen. Die Hausordnung diente dem Wärter als Richtschnur seines Handelns. In den Paragrafen zwei und drei der „Dienstinstruction für das Wärterpersonal bei dem herzoglich nassauischen Irrenhause zu Eberbach“ wird dies deutlich: Die Wärter und Wärterinnen „ … sollen sich mit dem Inhalte, der ihnen mitgeteilten Hausordnung … genau bekannt machen“. Im § 2 heißt es, die Wärter und Wärterinnen sind „ … der Hausordnung … unterworfen“. Jede Übertretung der Hausordnung oder besondere Vorkommnisse mussten die Wärter umgehend dem Verwalter melden. Laut § 3 der Dienstanweisung der Irrenanstalten der Stadt Berlin heißt es: „Das Wartepersonal … muß sich die Bestimmungen der Haus- und Tagesordnung … mit allem Fleiß zu eigen machen“ (Falkenberg, 1897, S.41). Bei Versäumnissen zur Anzeige oder bei Verstößen gegen die Haus- oder Hospitalordnung mussten die Wärter für die entstandenen Schäden persönlich haften oder es drohten ihnen andere Strafen. Tippel (1897, S.1) beschreibt als Folge der „Alles regierenden Hausordnung ergiebt“ sich vieles von selbst, was den Schwestern viele Entscheidungen abnehmen sollte.

Der Punkt 2 beschreibt zum einen, welche Quellen untersucht, und zum anderen, welche Methoden zur Erstellung dieser Arbeit eingesetzt wurden.

2 Untersuchte Materialien und angewandte Methoden

In der vorliegenden Arbeit wurden Akten und andere Materialien aus dem Archiv Haina ausgesucht und analysiert. Unter Punkt 3.1 werden diese Materialien und der Umgang mit ihnen detailliert vorgestellt.

2.1 Untersuchte Materialien

Um die Forschungsfragen zu beantworten, wurden primäre (ungedruckte und gedruckte Schriftstücke und Fotos aus dem Archiv im Kloster Haina) Quellen zur Datenerhebung genutzt. Die primären Quellen stammen direkt aus der Ausstellung, der Bibliothek und dem Archiv zur Hospital- und Krankenhausgeschichte im ZSP Haina, Bestand 13. Es wurden Hausordnungen, „Dienstinstructionen“ und Dienstanweisungen als Norm bzw. Sollvorgabe für die Wärter hinsichtlich ihrer Aufgaben und der Verhaltensregeln ausgewertet. Die Dienstanweisungen für die Wärter aus dem Jahr 1828 und dem Jahr 1854 wurden verglichen. Ferner wurden Geldrechnungen aus dem 19. Jahrhundert analysiert, um einen Überblick über die unterschiedlichen Löhne der einzelnen Berufsgruppen zu erhalten. In den Geldrechnungen wurden nicht nur die Jahresgehälter der einzelnen Berufsgruppen dokumentiert, sondern auch jede gesonderte Tätigkeit, die extra vergütet wurde. Somit geben die Geldrechnungen Auskunft darüber, welche Aufgaben zu welchem Zweck durchgeführt wurden. Sie ermöglichen somit einen Einblick, aus vergütungstechnischer Sicht, in die Tätigkeiten der Wärter und lassen Rückschlüsse auf den Psychiatriealltag im Hospital Haina zu. Das Strafbuch (mit dem Titel: „Strafen, so gegen Hospitaliten erkannt worden“) aus dem Jahr 1826 bis 1851 gibt die Gründe für die Anwendung und Durchführung von Zwangsmaßnahmen an und lässt somit auf den Alltag im Hospital Haina schließen. Im Mittelpunkt dieser Arbeit stehen die Wärter im Hospital Haina und ihre Aufgaben, von daher wurden hauptsächlich Personalakten von Wärtern hinsichtlich ihrer Inhalte überprüft und entsprechend ausgewertet. Das Archiv verfügt über umfangreiche Bestände der Hainaer Hospitalgeschichte. Der Bestand umfasst Akten der Gutsverwaltung, Gerichtsakten, Patientenakten, Personalakten, Dienstanweisungen für im Hospital tätige Berufsgruppen, aber auch Korrespondenzen und anderes Material aus dem 16. Jahrhundert bis in das 20. Jahrhundert. Dieses Archiv ist daher das bei weitem umfangreichste und wichtigste für die Geschichte der Hospitäler in Hessen (Droste/Greef, 2007). In dem Klostergebäude befindet sich auch ein Psychiatriemuseum, das 1992 eingerichtet wurde. Das Museum enthält eine reichhaltige Sammlung an Archivgut und Gegenständen zur Hospital- und Psychiatriegeschichte. Die Ausstellung gibt mit seinen Exponaten einen Einblick in den Alltag, die Pflege und die soziale Ordnung des Hospitals Haina. Eine einzelne Personalakte eines Wärters, der über 38 Jahre im Dienst des Hospitals Haina stand, wurde exemplarisch herausgegriffen, um daran eine Fallstudie durchzuführen. Einzelne Abschnitte wurden zur Auswertung transkribiert. Einige Exponate des Museums wurden fotographisch abgelichtet. Im evangelischen Pfarramt Haina befindet sich das Archiv der Kirchengemeinde Haina. Hier wurde das Buch über die „Konfirmation und Trauungen“ aus den Jahren 1831-1910 nach der Anzahl verheirateter Wärter des Hospitals Haina im 19. Jahrhundert durchsucht. Ferner wurde die Quelle nach konfirmierten Kindern von Wärtern ausgewertet, um einen Überblick über deren Familienverhältnisse zu erhalten. Mit der gleichen Zielsetzung wurde im LKAN nach Trauungen und konfirmierten Kindern von Wärtern des Hospitals Haina in den Kirchbüchern des Kirchenkreises Kirchhain gesucht.

Alle gedruckten und ungedruckten Quellen wurden unverändert (was Abkürzungen, Schreibweise und offensichtliche Schreibfehler betrifft) wiedergegeben. Auslassungen werden in Zitaten mit … angegeben.

Die angewandten Methoden zu dieser Arbeit werden unter Punkt 2.2 beschrieben.

2.2 Angewandte Methoden

Laut Brandenburg, Panfil und Mayer (2007, S.43) ist die Beschäftigung mit der Literatur ein wesentlicher Gesichtspunkt wissenschaftlichen Arbeitens. Durch die Beschäftigung mit der einschlägigen Literatur eines Themengebietes können der Wissensstand der Literatur und der Stand der Forschung erfasst werden.

Die Literaturrecherche der vorliegenden Arbeit wurde mittels des OPAC–Systems in der Deutschen Bibliothek und der Bibliothek der Fachhochschule Frankfurt am Main durchgeführt. Des Weiteren wurde die Dokumentationsstelle Pflege / Hilde-Steppe-Archiv der Bibliothek der Fachhochschule Frankfurt am Main durchsucht. Das Archiv, in dem die Quellenrecherche zu dieser Arbeit durchgeführt wurde, befindet sich im alten Klostergebäude in Haina. Haina ist heute Zentrum für soziale Psychiatrie, eine gemeinnützige Gesellschaft mit beschränkter Haftung der „LWV-Gesundheitsmanagement GmbH“. Zur Geschichte des Hospitals s. Punkt 3.1. In Haina wurde die Literaturrecherche an verschiedenen Suchorten vorgenommen. Sie wurde am PC über eine Datenbank oder per Handsuche durchgeführt. Die
Suchorte in Haina waren die Ausstellung, Bibliothek und Archiv zur Hospital- und Krankenhausgeschichte , das kirchliche Archiv und die Bibliothek des ZSP.

Zusätzlich wurden Referenzen aus Literaturverzeichnissen verwendet. Als Suchbegriffe wurden „Wärter“, „Irrenpflege“, „Hospital Haina“, „19. Jahrhundert“ benutzt. Im Vorfeld zu den Recherchen im Archiv in Haina wurde die zuständige Leiterin des Funktionsbereichs Archiv, Gedenkstätten, Historische Sammlungen des LWV kontaktiert und eine entsprechende Erlaubnis für die Recherchen zu dieser Arbeit eingeholt. Im Archiv in Haina wurde mit der Unterzeichnung einer Vereinbarung zum Datenschutz (s. Anhang 1) die Recherche in den Unterlagen des Archivs ethischen und datenschutzrechtlichen Anforderungen gerecht.

Burschel, Schwendemann, Steiner und Wirbelauer (1997, S.138f) benennen zur Beurteilung der Authentizität von Quellen zum einen Begriffe und Motive, die für die Fragstellung relevant sind, zum anderen soll etwas über die Bedeutung der Quellen ausgesagt werden. Die Bedeutung der Quellen kann sich im Laufe der Zeit verändern. Ferner ist die Bestimmung der möglichen Intention der Quelle zu berücksichtigen. Die primären Quellen wurden daher nach relevanten Inhalten und entsprechend der Fragestellung ausgewählt. Die Quellen wurden ideologiekritisch hinterfragt und es erfolgte eine Interpretation.

Die systematische Recherche in den elektronischen Datenbanken PSYNDEX, CARELIT, CINAHL, MEDLINE und COCHRANE Database of Systematic Reviews (CDSR) und COCHRANE Database of Abstracts of Reviews of Effectiveness (DARE) (öffentlicher Zugang über MedPilot) erfolgte mit der Zielsetzung, Studien und Artikel zum Thema Wärter in Verbindung mit Irrenpflege und dem 19. Jahrhundert zu finden. Als Suchbegriffe wurden einzeln und in Kombination „Wärter“, „Irrenpflege“, „Psychiatrie“, „Hospital“ und „19. Jahrhundert“ verwendet. Des Weiteren wurden folgende Begriffe mit diesen Trunkierungen verwendet: „Irren*“, „*Wärter“, „*Pflege“.

Um fortschreitend möglichst umfassend über die Thematik Wärter, Irrenpflege, 19. Jahrhundert und Haina informiert zu sein, wurde in der Internetsuchmaschine „google“ unter folgenden Begriffen zusätzlich recherchiert: „Wärter“, „Irrenpflege“ und „Haina“ in Verbindung mit „19. Jahrhundert“, „Aufgaben“, „Dienstinstructionen“, „Hausordnung“, und „Hospitalordnung“. Diese Recherche erfolgte ausschließlich auf deutschen Internetseiten, da sich das Themengebiet auf deutsche Angebote beschränkt. Weitere Suchorte waren die hessischen Staatsarchive über die Recherchedatenbank HADIS und die nordrheinwestfälischen Staatsarchive. Hier wurde nach folgenden Begriffen gesucht: „Hausordnung“, „Hospitalordnung“, „Dienstordnung“ und „Dienstanweisung“ in Kombination mit „19. Jahrhundert“ und „Haina“. Die vorliegende Arbeit versteht sich als eine pflegehistorische Untersuchung. Die kritische Betrachtung des Autors dieser Arbeit soll berücksichtigt werden: Der Autor dieser Arbeit war 14 Jahre als Fachkrankenpfleger für Psychiatrie in der heutigen Einrichtung des Zentrums für soziale Psychiatrie Haina tätig. Der Blick des Autors erfordert somit ein hohes Maß an Eigenreflexion bezüglich der Fragestellung und der Herangehensweise an die vorliegende Arbeit. Die Gefahr einer zu hohen Empathie für die eigene Berufsgruppe zum einen und eine Pauschalisierung der anderen Berufsgruppen (Ärzte, Pfarrer, Beamte) zum anderen musste reflektiert werden. Die Rolle als neutraler Autor ermöglichte es, eine distanzierte Sichtweise gegenüber anderen Berufsgruppen im 19. Jahrhundert einzunehmen und diese in ihrer Identität zu unterscheiden. Ferner erlaubte die Einnahme dieser Rolle das Erkennen und Zulassen des niedrigen sozialen Standes der Wärter und deren geringe Wertschätzung als Berufsgruppe im Hospital Haina im 19. Jahrhundert. Die Tatsache, dass unter Punkt 2.1 nur Material von männlichen Akteuren (Wärter, Beamten und Hospitaliten) untersucht wurde, stellt keine Wertung gegenüber dem weiblichen Geschlecht dar, sondern ergibt sich aus der Tatsache, dass Haina ein Männerhospital war.

Unter Punkt 3 werden die Ergebnisse dieser Arbeit vorgestellt.

3 Ergebnisse

Unter Punkt 3.1 wird die Geschichte und die Funktion des Hospitals Haina skizziert.

3.1 Hospital Haina als Pflege- und Versorgungsanstalt im 19. Jahrhundert

Das Hospital Haina wurde von Landgraf Philipp dem Großmütigen im Jahre 1533 gegründet. Der Zweck des Hospitals war die Pflege und Versorgung von armen und kranken Dorfbewohnern aus der Umgebung. Vor allem aber diente das Hospital der anstaltlichen Verwahrung von Geisteskranken, für die es bis zu diesem Zeitpunkt keine Form der Fürsorge in Deutschland gab. Die Einrichtung des Klosters Haina als Hospital war somit die erste derartige Einrichtung für geisteskranke Männer in Deutschland (Moritz, 1980, S.18). 1815 wurde Haina "Pflege- und Versorgungsanstalt für preßhafte, und insbesondere für verrückte, wahnsinnige, hilflose und epileptische Personen", wobei „preßhaft“ für Gebrechlichkeit, Krankheit, Elendigkeit steht (Grimm, 2004). Dies machte sich auch in den Diagnosen der Insassen bemerkbar. In Haina waren von den Pfleglingen im Jahr 1800 66% geisteskrank oder epileptisch. Zum Ende 19. Jahrhunderts stieg die Zahl der unheilbaren Geisteskranken bereits bis auf 94% (Nolte, 1996, S.38f).

Unter Punkt 3.1.1 werden Einzelheiten zu Lage, Bau und Ausstattung des Hospitals Haina vorgestellt.

3.1.1 Lage, Bau und Ausstattung

Ein Lageplan des Hospitals aus dem Jahr um 1830 (s. Abbildung 5) zeigt die verschiedenen Abteilungen des Hospitals Haina, in denen die Pfleglinge untergebracht waren. Dies waren das Capitel, ein großer Saal, er befindet sich noch innerhalb der Klosteranlage und der Raum daneben, die Hospitalitenwohnung. Zwischen der Krankenstube und dem Durchgang lag die Wärterstube (s. Abbildung 6). Oberhalb des Capitels ist noch ein weiteres Stockwerk vorhanden, in dem ebenfalls Pfleglinge untergebracht waren. Dies war das Schlafhaus. Östlich vom Capitel lag das Magazin. Hier waren die tobsüchtigen und gefährlichen Irren untergebracht. Im Magazin wurden um 1850 40 Autenriethsche-Zellen, benannt nach ihrem Erfinder, dem Leiter der Tübinger Universitätsklinik (1792-1835), Ferdinand Autenrieth, errichtet. Sie dienten zur Isolierung von tobsüchtigen Pfleglingen. Die Autenriethschen-Zellen sind so ausgestattet, dass die Fenster und die Öfen mit Holzpalisaden geschützt waren, so dass der Tobsüchtige sich daran nicht selbst verletzen konnte (vgl. Hayner, 1817, S.14f). Daneben gab es im Magazin vier Versammlungsstuben und vier Wohnzimmer (vgl. Kahm, 1994, S.92). Darüber lag ein weiteres Gebäude, das Lazareth, für die Unterbringung akut und chronisch kranker Pfleglinge, die chirurgisch behandelt werden mussten. Der Bau bestand aus 20 Zimmern. Für diese Abteilung war der gut ausgebildete Lazarethwärter zuständig, der über eine offizielle Qualifikation zum Bader oder Barbierer verfügte (s. auch unter Punkt 3.3.4.5). Nördlich von diesen Gebäuden befand sich der Irrengarten, wo die Pfleglinge der beiden Abteilungen täglich, unter Aufsicht der Wärter, hineingelassen wurden. Südlich dieser Gebäude schloss sich der Hof für das Hospital an. Gegenüber dem Lazareth befand sich das Blockhaus. Dieses Gebäude hatte drei Stockwerke. Es verfügte über 10 Doppelzimmer in der untersten Etage mit zwei Zimmern für die Wärterfamilie und über 8 große Einzelzimmer im oberen Geschoß. Im Erdgeschoss dieses Gebäudes waren kleine Räume zur Aufnahme der „unreinlichen Idioten“, gemeint sind hiermit harn- und/ oder stuhlinkontinente Pfleglinge. Der Neubau lag neben dem Blockhaus in Richtung Osten (vgl. Kahm, 1994, S.83). Der Neubau war von der Anzahl der Stockwerke und vom Grundriss ähnlich konstruiert wie das Blockhaus, der Neubau war kleiner als das Blockhaus. Der Irrengarten und der Hof für das Hospital waren von Gebäuden und einer Mauer umschlossen. Der Honoratiorenbau, eine weitere Abteilung des Hospitals, lag im Ostteil des ehemaligen Klostergebäudes, hier waren selbstzahlende oder besser gestellte Pfleglinge untergebracht. Daran schloss sich die Hospitalküche an. Südlich des Neubaus befand sich die Schneiderei und im direkten Umkreis lagen andere Einrichtungen, die Schusterei, der Marstall, unterschiedliche Ställe für Schafe, Rinder und Schweine, die Wäscherei, Metzgerei, Bäckerei, der Gutshof usw., wo die Pfleglinge, die arbeitsfähig waren, ihre tägliche Arbeit verrichteten (s. Abbildung 7). Im ehemaligen Klosterbereich im Ostflügel waren ebenfalls Pfleglinge untergebracht (Kahm, 1994, S.82f). Die Zimmer oder Kammern waren mit ein bis zwei Pfleglingen belegt. Jeder Pflegling hatte ein eigenes Bett mit einer Matratze, einem Oberbett, einem Kissen, einer wollenen Decke mit Bett- und Kissenbezug. Die pflegebedürftigen Pfleglinge, die aufgrund ihrer Gebrechen ständig bettlägerig waren, wurden gemeinsam in Sälen untergebracht (Schlieper, 1983, S.258). Der Aufwand für die Versorgung und Pflege dieser Pfleglinge war somit geringer.

Unter Punkt 3.1.2 werden die verschiedenen Berufsgruppen in der Organisation des Hospitals Haina beschrieben. Exemplarisch werden deren Gehälter mit aufgeführt, um einen Überblick über die Vergütungsstrukturen im Hospital Haina zu Beginn des 19. Jahrhunderts zu erhalten.

3.1.2 Organisation der Anstalt

Die personelle Führung der Anstalt bestand aus einem Obervorsteher und drei bis vier Beamten. Der Obervorsteher war der eigentliche Hospitalleiter. Die folgenden Gehaltsangaben der verschiedenen Berufsgruppen beziehen sich ausnahmslos auf das Jahr 1810 (LWV Archiv Haina, Best. 13. Geldrechnungen 1810). Der Obervorsteher erhielt ein Gehalt von 525 Th jährlich, hinzu kamen Naturalien wie Getreide, Holz, Heu und Stroh. Des Weiteren erhielt er 10 Gänse, 20 Hühner und 26 Hahnen, er war somit der am höchsten Besoldete im Hospital Haina. Der Rentmeister war erster Beamter, der für die Verwaltung und die Rechnungslegung des Hospitals zuständig war. Sein Jahresgehalt belief sich auf 126 Th im Jahr, dazu kamen Naturalien. Der zweite Beamte war der Fruchtrentmeister, der den Grundbesitz der Anstalt und seine Erträge zu verwalten hatte. Sein Gehalt betrug 113 Th jährlich. Der Pfarrer gehörte ebenfalls zu dieser Beamtengruppe, sein Jahresgehalt lag auch bei 113 Th. Er war mit seinen Gehilfen zuständig für die christliche Erziehung der Pfleglinge. Dies war zu dieser Zeit eine wichtige therapeutische Aufgabe. Als vierten Beamten gab es noch den Sekretär, der auch als Hospitalinspektor bezeichnet wurde. Er hatte verschiedene Aufgaben innerhalb des Hospitals und erhielt 107 Th Jahresgehalt (vgl. Kahm, 1994, S.32). Des Weiteren gab es noch weitere Beamte, die eine wichtige Bedeutung hinsichtlich der Vorgesetztenfunktion für die Wärter im Hospital hatten. Der Küchenmeister und Kleiderverwalter, auch als Hausmeister bezeichnet, wurde hier genannt. Er war neben dem Hospitals-Arzt, den es in Haina ab 1821 gab, und dem späteren Oberwärter, welcher ab dem Jahr 1853 in den Geldrechungen aufgeführt wurde, der unmittelbare Vorgesetzte der Wärter. Er verdiente 113 Th pro Jahr. Der Koch verdiente 42 Th und die zwei Oberförster erhielten 24 Th im Jahr. Im Hospital war ein Chirurgus angestellt. Dieser Begriff wurde damals für einen Wundarzt verwendet (Krünitz, 1773 bis 1858). Er erhielt ein Jahresgehalt von 40 Th. Für die Wartung der Pfleglinge waren im Jahr 1810 11 Wärter mit je einem Jahresgehalt von 24 Th tätig.

3.1.3 Pfleglinge

Die Pfleglinge, die in Haina aufgenommen wurden, waren meist Menschen, die bis dahin ein armseliges Leben geführt haben. Sie kamen aus den untersten Bevölkerungsschichten. Die wenigsten der aufgenommenen Pfleglinge waren Honoratioren, dies waren Personen von Stand, Studierte, Offiziere und ihre Familien, die ihren Aufenthalt im Hospital selbst zahlten (Schlieper, 1983, S.256). Eine erste Aufstellung und Beschreibung über die Pfleglinge und deren Unterbringung wurde 1800 von dem Haus- und Küchenmeister Cranz aufgrund einer Anfrage von außen erstellt (LWV Archiv Haina, Best. 13. Alg. 1). Als Diagnosen der Pfleglinge wurden genannt: Geisteskrankheit, Blindheit, Taubheit, Gebrechlichkeit, Lahmheit, Epilepsie, manche Pfleglinge wurden auch als „närrisch“ oder „wahnsinnig“ diagnostiziert. Die Einteilung der Pfleglinge in unterschiedliche Stände, in Honoratioren und den so genannten Gemeinen, die, wie eingangs beschrieben, völlig mittellos waren, schlug sich vor allem in deren Unterbringung und in deren Verköstigung nieder. Die Honoratioren (sofern sie nicht tobsüchtig oder anderweitig selbst- oder fremdgefährdet waren) wurden in dem gleichnamigen Bau einquartiert. Diese wurden in der Regel in gut ausgestatteten Einzel- und Doppelzimmern untergebracht. Die Gemeinen waren meist in Mehrbettzimmern beherbergt. Die Matratzen und das Bettzeug der Betten waren teilweise mit Stroh gefüllten Säcken ausgestattet. Alle Pfleglinge erhielten Anfang des 19. Jahrhunderts drei Mahlzeiten pro Tag. Das Frühessen bestand aus einer warmen Suppe und Bier, es war für beide Stände gleich. Die Mittags- und Abendmahlzeit unterschied sich vor allem in ihrem Fleischanteil. Die Kost für die Honoratioren bestand aus 4,5 Pfund Fleisch in neun Portionen pro Woche, während die Kost für die Gemeinen nur zwei Pfund Fleisch in vier Portionen für die Woche enthielt.

Ansonsten gab es Kartoffeln, Gemüse und Getreideprodukte. Jeder Pflegling erhielt täglich 1,5 Pfund Brot und 1/2 Maß (=1,09 Liter) Bier (Schlieper, 1983, S.259). Die Kostformen wurden auch nach medizinischer Bedürftigkeit unterschieden. Es gab eine ärztlich verordnete Krankenkost, die auch Wein und eine extra Portion Fleisch enthielt. Es sind dementsprechend unterschiedliche Speisepläne überliefert, die diese medizinischen und ständischen Unterschiede abbilden. Die Mahlzeiten wurden von den Pfleglingen in ihrem Zimmern eingenommen. Die Verköstigung ging also über den Eigenbedarf der einzelnen Pfleglinge hinaus. Im Gegensatz zu der mit Lebensmittel schlechter versorgten Landbevölkerung hatten die Pfleglinge einen Überschuss an Nahrungsmittel. Dies hatte zur Folge, dass die Pfleglinge mit diesen Nahrungsmitteln Handel mit der Landbevölkerung betrieben. Dies wurde von der Hospitalleitung unter Strafe gestellt. Über die Strafen für die Pfleglinge wurde ein Strafbuch (von 1826 bis 1851) geführt (LWV Archiv Haina, Best. 13, Strafbuch). Es war tabellarisch eingeteilt in die Rubriken Name, Vorname des Pfleglings, Zimmer und Vergehen. Das Vergehen beschrieb die begangene Straftat des Pfleglings. Eine weitere Rubrik war das Straferkenntniß, es legte fest, welche Art und welcher Umfang der Strafe bei dem betreffenden Pflegling angewandt wurde. Das Straferkenntniß wurde eingeteilt in: Hospitalarrest, Arrest bei Wasser und Brot (der Pflegling wurde für eine bestimmte Zeit in eine abschließbare Einzelzelle eingesperrt und erhielt zu den Mahlzeiten nur Wasser und Brot), Fleisch- und Bierabzug (für circa 6-14 Tage), Verbringen im Zwangsstuhl, Tragen eines angeschlossenen Klotzes und körperliche Züchtigungen (Hiebe). Die körperlichen Züchtigungen in Form von Hieben wurden im Strafbuch ab 1849 nicht mehr vermerkt. Es ist davon auszugehen, dass diese seitdem nicht mehr vorgenommen wurden. Die genannten Vergehen sind Beleidigungen, Beschimpfungen gegen andere Pfleglinge oder Hospitalpersonal (vor allem gegen Wärter), Nichterscheinen zu Gottesdiensten, aber auch Angriffe auf Wärter oder „Mißhandlungen“ von anderen Pfleglingen. Die Strafmaßnahmen wurden vom Arzt angeordnet und mussten von den Wärtern durchgeführt werden. Bei den körperlichen Züchtigungen ist nicht bekannt, wer diese ausgeführt hatte.

Die Kleidung der Pfleglinge bestand aus grauem, wollenem Tuch und niederem Leinen. Honoratioren und Pfleglinge, die Geld verdienen konnten, trugen bessere Kleidung (Schlieper, 1983, S.259).

3.1.4 Behandlung der Pfleglinge

Ein wichtiger Teil der Behandlung der Pfleglinge war das Ausüben einer angemessenen Arbeit. Diese Arbeitstherapie wurde für den jeweiligen Pflegling über die Werk-Kommission ärztlich angeordnet. Als Arbeitstätigkeiten wurden Feld- und Anlagearbeiten, Botengänge, Holzarbeiten, Besenbinden, Spinnen und Weben, Fruchtwenden auf den Trockenböden, Arbeiten in der Schneiderei und Schuhmacherei sowie Glockenläuten angeboten (Kahm, 1994, S.50). Die Pfleglinge arbeiteten ebenfalls in den Abteilungen und halfen den Wärtern bei ihren Verrichtungen. Für ihre Arbeitsleistung erhielten die Pfleglinge einen Lohn und verdienten sich somit Geld für die Befriedigung von Nebenbedürfnissen. Eine strenge Haus- oder Hospitalordnung war Teil der Therapie für die Hospitaliten. Sie sollte die Pfleglinge zur Selbstdisziplinierung und zur Verinnerlichung eines asketischen Lebensideals erziehen (Noll, Dort, 2007). Eine weitere Funktion dieser Hausordnung war, neben der Vermeidung des Müßigganges bei den Pfleglingen, die Festlegung einer festen zeitlichen Ordnung, die für das Personal im Hospital und die Pfleglinge gleichermaßen galt. Die Strukturierung des Tagesablaufes der Pfleglinge war ein wichtiger Teil der Therapie. Der Ablauf des Tages war sehr streng eingeteilt, so gab es eine festgelegte Tagesordnung für die Pfleglinge. Die Wärter mussten dafür sorgen, dass diese Tagesordnung von den Pfleglingen strikt eingehalten wurde. Der Tagesablauf begann im Sommer um 5:30 Uhr, im Winter um 6:30 Uhr mit Aufstehen, Waschen, Kämmen und Ankleiden. Von 6:00 bis 6:30 Uhr wurde gemeinsam gebetet. Die religiöse Belehrung war ebenfalls Teil der Therapie. Danach gab es Frühstück. Nach dem Frühstück gingen die Pfleglinge von 7:30 bis 11:00 Uhr zur Arbeit oder zu ihrer Beschäftigung in die verschiedenen Arbeitsstätten. Die Einnahme des Mittagessens mit anschließender Ruhepause war für die Zeit von 11:00 bis 13:00 Uhr vorgesehen. Ab 13:00 bis 17:00 Uhr gingen die Pfleglinge wieder zur Arbeit. Von 17:00 bis 18:00 Uhr gab es Abendessen. Danach war Zeit für Erholung. Ab 21:00 war Nachtruhe. Im Winter begann die Nachtruhe schon ab 20:00 Uhr (LWV Archiv Haina, Best. 13 (1828)).

Die diätetische Therapie bestand in der Verordnung der Krankenkost (s. dazu auch Punkt 3.1.3). Die medikamentöse Therapie bestand aus der Gabe von Digitalis, Baldrian, Opium und Brechmitteln (LWV Archiv Haina, Best. 13. Ungeordnete Kiste 8). Die Medikamente wurden von dem Arzt angeordnet und dem jeweiligen Pflegling durch den Wärter verabreicht (LWV Archiv Haina, Best. 13. (1854)). Der Lazarethwärter führte im Auftrag des Arztes Aderlässe und „Fontanellen“ bei den Pfleglingen durch (s. auch Punkt 3.3.4.5).

Anwendung von Heil- und Zwangsmaßnahmen

Zwangsmaßnahmen wurden als Therapie und als Strafe angewendet. Dies wurde an der Anwendung von Zwangsmaßnahmen in Form von Hieben, Klotz ans Bein, der Anwendung des Zwangsstuhls und Arrest in der Zelle als Strafen deutlich, wobei mit den Zellen meist die Autenriethschen-Zellen in der Abteilung des Magazins gemeint waren. Wenn diese Maßnahmen als Strafen Anwendung fanden, wurden sie in dem Strafbuch dokumentiert. In diesem Buch fanden sich insgesamt sieben Fälle, bei denen die Anwendung des Zwangsstuhls dokumentiert ist. Die Gründe für die Anwendung dieser Zwangsmaßnahme waren unterschiedlich, diese waren im Einzelnen: „wegen mehrtätigen vagabundierenden Umhertreibens“, „weil sich Pfleglinge gegen die Wärter und dessen Frau widersetzten“, „weil er sich der Arbeit entzogen“ und „weil er einen anderen Pflegling geschlagen hat“ (LWV Archiv Haina, Best. 13. Strafbuch). Bei der Anwendung von Zwangsmaßnahmen im Rahmen der „Therapie“ wurden hingegen keine Aufzeichnungen gefunden. Im Hospital Haina wurde im 19. Jahrhundert gerade bei den Tobsüchtigen und Irren folgende Zwangsmaßnahmen eingesetzt (vgl. auch Punkt 3.3.4.4): Erst wurde dem Pflegling der Zwangsgürtel (s. Abbildung 2) angelegt, dann erfolgte die Zwangsbehandlung im Zwangsstuhl (s. Abbildung 3), danach wurde eine weitere Behandlung im Zwangsbett (s. Abbildung 4) und anschließend ein Einsperren in der Autenriethschen-Zelle (s. auch Punkt 3.1.1) durch den Arzt angeordnet.

Unter Punkt 3.2 wird der Wärter im Hospital Haina und seine Herkunft näher beschrieben.

3.2 Wärter im Hospital Haina im 19. Jahrhundert

Gerade in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts war die Situation der Landbevölkerung in Hessen von Armut und Nahrungsmittelknappheit geprägt. Die Anstellung im Hospital bedeutete für die Angestellten eine gesicherte lebenslange Unterkunft und Versorgung mit Lebensmitteln. Die Versorgung und Pflege bei eintretender Krankheit, Gebrechlichkeit und Pflegebedürftigkeit der Angestellten war ebenfalls sichergestellt. Die Ehefrauen der meist männlichen Hospitalmitarbeiter wurden durch die Zahlung einer Witwenrente nach dem Tod der Ehepartner weiter versorgt. Das Hospital war somit ein attraktiver Arbeitgeber für die Menschen in dieser Region und in dieser Zeit. Dies führte dazu, dass der Hospitalleitung stets eine große Anzahl geeigneter Stellenbewerber für die Wärtertätigkeit vorlagen. Es wird daher unter Punkt 3.2.1 beschrieben, aus welchen Verhältnissen die Wärter sich rekrutierten, nach welchen Kriterien der Obervorsteher das Wärterpersonal auswählte und wie der Bewerbungsprozess verlief. Eine Falldarstellung anhand einer Personalakte soll Auskunft über die Durchführung der Einstellungsformalitäten geben. Eine Stellenausschreibung für den Lazarethwärter wurde 1850 von der Hospitalleitung in einer Zeitung aufgegeben. Darauf folgten Bewerbungsschreiben von etlichen Bewerbern. Durch den Blick in die Originalausschreibung und in das Bewerbungsschreiben des späteren Stelleninhabers soll der Vorgang dieses Personalgewinnungsverfahrens wirklichkeitsnah dargestellt werden.

3.2.1 Rekrutierung, Wärteranzahl und Fluktuation

Die im Hospital Haina tätigen Wärter rekrutierten sich gewöhnlich aus den umliegenden Dörfern des Hospitals. Sie hatten in der Regel einen handwerklichen Beruf erlernt oder /und als Soldat beim Militär gedient. Im Folgenden werden die Einstellung, der Verlauf und die Entlassung eines Wärters anhand der Eintragungen in seiner Personalakte dargestellt. Der Obervorsteher Quentin vermerkt in der Personalakte des Johannes Dörfler am 04.07.1886:

„Meldet sich der Maurer Johannes Dörfler aus Moischeid, welcher, den 29 .Okt. 1862 geboren u. vom November 1882 bis Sept. 1884 beim 1. Garde Grenadier – Reg. gedient unter Vorlage des Führungsattestes als Wärter.“

Der Obervorsteher vermerkte weiter, dass Dörfler nach dem Zeugnis des Militärs sich gut geführt und „keine Strafen erlitten“ habe. Dieses „Führungsattest“ wurde vom Obervorsteher Quentin als Beleg für die Eignung Dörflers als Wärter angesehen. Er wurde am 19.07.1886 als Wärter eingestellt. Am gleichen Tag wurde er, laut Eintragungen des Obervorstehers Quentin, in der Personalakte, „ ... im Allg. mit dem ihm obliegenden Verpflichtungen bekannt gemacht und dem Oberwärter zur specieller Instruction überwiesen“. Dörfler quittierte am gleichen Tag handschriftlich, dass er über die „Dienstanweisung für den Oberwärter, die Wärter und den Wärtergehülfen sowie für den Kranken- und Lazarethwärter des Landeshospitals Haina“ von 1854 und „seiner Dienstobliegenheit“ von dem Oberwärter „instruiert“ wurde. Weiter quittierte er, dass er die Dienstanweisung ausgehändigt bekommen habe. Der Obervorsteher vermerkte, dass er am gleichen Tag eine Zahlungsanweisung an die Renterei über einen Betrag von 360 Mark für Dörfler veranlasst habe. Ab 1871 erfolgte die Währungsumstellung von Th auf Mark und Pfennig. Das Wertverhältnis lag bei einem Th zu etwa vier Mark (Kahm, 1994, S.39). Weiterhin ist vermerkt, dass am 25.08.1886 von der Hospitalkleiderverwaltung Kleidungsstücke, wahrscheinlich handelte es sich um Dienstkleidung, an Dörfler ausgegeben wurden. Am 7.10. 1886 wurde die Einstellung des Wärters Dörfler durch den Landesdirektor genehmigt. Am 12.04.1888 vermerkt der Verwaltungsbeamte Köhen, dass Dörfler wegen „Angetrunkenheit“ eine Strafe von einer Mark zahlen musste. Am 11.05.1888 notiert der Obervorsteher Quentin:

„Dörfler wurde heute seines Dienstes entlassen, nachdem ich bei einem Besuch des Hospitals beobachtet habe, dass Dörfler den Pflegling Christian Schrimpf 2 mal mit der Faust in den Rücken schlug und sodann den zur Erde gegangenen Schrimpf 2 mal mit dem Fuße trat.“

Quentin veranlasste sofort die Einstellung der Vergütung für Dörfler bei der Hospitalsrenterei zum 12.05.1888 (LWV Archiv Haina, Best. 13, Pers 169).

Das obige Beispiel lässt vermuten, dass die Normen der Hausordnungen und Dienstanweisungen und die tatsächliche Wirklichkeit im Hospital unterschiedlich aussahen. Da Dörfler innerhalb kurzer Zeit zweimal durch Normverstöße auffiel und daraufhin entlassen wurde.

Die Anwerbung des Lazarethwärters erfolgte über ein Zeitungsinserat. Es wurde am 21.01.1850 in der zweiten Beilage zum Wochenblatt für den Bezirk Marburg unter Besondere Bekanntmachungen der Verwaltungs- und Finanzbehörden Nummer 116 aufgegeben. Die Abbildung 8 zeigt die Beilage zum Wochenblatt für den Bezirk Marburg vom 02.02.1850. Auf diese Stellenausschreibung erfolgten insgesamt 12 Bewerbungsanschreiben. Die Stelle erhielt der Bader Doutteil zu Zwesten. In seinem Bewerbungsschreiben (LWV Archiv Haina, Best. 13. A32) formulierte er folgendes:

„Kurfürstliche Hospitals-Inspektion!

Der Bädermeister Georg Ludwig Doutteil zu Zwesten,

Verwaltungsamt Fritzlar bittet ganz gehorsamst:

ihn bei Wiederbesetzung der erledigten Bader- u. Lazarettwärterstelle

zu Haina gewogenst zu berücksichtigen und zu derselben hochgeneigtest

in Vorschlag zu bringen.

Von meiner frühesten Kindheit an hatte ich eine entschiedene Neigung zum Badergeschäft, welche mit den Jahren immer mehr Stärke bekam.

Ich suchte mir deshalb unter Anweisung meines verstorbenen Vaters diejenigen Kenntnisse zu erwerben, welche von einem Bader erfordert werden und suchte mich besonders, da mein Vater Wundarzt war, in den chirurgischen Wissenschaften zu üben. Hierauf unterwarf ich mich einen Examen und es wurde mir in Folge desselben gestattet, die kleinen wundärztlichen Geschäfte zu verrichten und wie nun dieselbe seit beinahe 20 Jahren ausgeübt. Darüber dürften wohl anliegende Zeugnisse sprechen. So lange ich und meine Frau allein war, suchte ich mich stets von meinem Verdienst redlich durchzuschlagen, allein da ich jetzt vierer Kinder habe, sehne ich mich sehr nach Verbesserung meiner Lage.

Da ich nun in Erfahrung gebracht, dass die Bader- und Lazarettwärterstelle in dem Hospitale Haina erledigt ist, so erlaube ich mir ganz gehorsamste Bitte auszusprechen, Kurfürstliche Hospitals-Inspektion mich bei Wiederbesetzung der freien Stelle gewogenst berücksichtigen und zu derselben hochgeneigtest in Vorschlag bringen.“

Das Bewerbungsschreiben zeigt, dass Zeugnisse und gute Referenzen schon im 19. Jahrhundert eine wichtige Bedeutung hatten. Der Bewerber Doutteil wurde am 01.04.1850 im Hospital als Lazarethwärter eingestellt. Auffällig ist, dass Doutteil trotz der Tatsache, dass er eine Frau und vier Kinder zu versorgen hatte, die Stelle erhielt, s. dazu auch Punkt 3.4.2: Stellungnahme des Obervorstehers zur Verheiratung der Wärter.

Die Anzahl der Wärter hat sich im Laufe des 19. Jahrhunderts verändert.

Die folgende Tabelle gibt Auskunft über die Anzahl der Pfleglinge und der Wärter im 19. Jahrhundert im Hospital Haina (vgl. Holthausen, 1907, S.50). Die letzte Spalte gibt das Verhältnis von Wärtern zu Pfleglingen wieder.

[...]

Ende der Leseprobe aus 84 Seiten

Details

Titel
Lebens- und Arbeitsalltag der Wärter in der Irrenpflege im Hospital Haina
Untertitel
Psychiatrische Pflege im 19. Jahrhundert
Hochschule
Frankfurt University of Applied Sciences, ehem. Fachhochschule Frankfurt am Main
Note
1,3
Autor
Jahr
2008
Seiten
84
Katalognummer
V203239
ISBN (eBook)
9783656359166
ISBN (Buch)
9783656359739
Dateigröße
5104 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Geschichte, Pflege, Psychiatrie, Psychiatrische Pflege, Pfleglinge, Wärter, Aufwärter
Arbeit zitieren
Axel Eierdanz (Autor:in), 2008, Lebens- und Arbeitsalltag der Wärter in der Irrenpflege im Hospital Haina, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/203239

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