Solidarität der europäischen Union und finanzpolitische Eigenverantwortung der Mitgliedstaaten


Seminararbeit, 2012

39 Seiten, Note: 10,2


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

A. Einführung

B. Die Solidarität der Europäischen Union
I. Der Begriff der Solidarität
II. Entwicklung der Solidarität
1. Vor dem Vertrag von Lissabon
2. Nach dem Vertrag von Lissabon
III. Die Ziele und Werte der Union
1. Allgemeine Werte und Ziele
2. Die Solidarität in Art. 2 S.2 EUV
3. Das Grundprinzip der Solidarität in Art. 3 III 3 EUV
4. Die gegenseitige Loyalität in Art. 4 III 1 EUV
IV. Solidarität in den Unionspolitiken
1. Die GASP
2. Asyl und Einwanderung
3. Energiepolitik
4. Sozial- und Gesundheitspolitik
5. Transeuropäische Netze
6. Industrie- und Agrarpolitik
7. Katastrophenschutz
8. Die Solidaritätsklausel in Art. 222 AEUV
9. Die Vertragssolidarität in Art. 351 II S.2 AEUV
10. Die Flexibilitätsklausel in Art. 352 AEUV
V. Die Solidarität in der EGRC
VI. Die Justiziabilität des solidarischen EU-Charakters

C. Die Solidarität und die Eigenverantwortlichkeit der EU-Mitgliedstaaten in der Wirtschafts- und Währungsunion
I. Der wirtschaftspolitische Solidaritätsbegriff
II. Die finanzielle EU-Solidarität
1. Rechtliche Grundlagen
a.) Handeln innerhalb der Eurozone
(1) Art. 126 AEUV
(2) Art. 121 I AEUV
(3) Art. 122 AEUV
b.) Handeln außerhalb der Eurozone
c.) Finanzieller Beistand gemäß Art. 352 AEUV
d.) Problematik der Durchsetzung
2. Die Finanzkrise
a.) Die Griechenland-Problematik
b.) Gefährdung durch andere Staaten
c.) Folgen der Schuldenkrise
III. Die finanzpolitische Eigenverantwortung der EU-Mitgliedstaaten
1. Art. 120 S.1 AEUV
2. Das Subsidiaritätsprinzip in Art. 5 III EUV
3. Art. 126 I AEUV
4. Die No Bail-out Klausel gem. Art. 125 AEUV
a.) Der Begriff
b.) Das Eigenverantwortungsprinzip
c.) Ökonomische Erwägungen
d.) Schwierigkeiten der Klausel

D. Das Spannungsverhältnis zwischen Solidarität und Eigenverantwortung der Mitgliedsstaaten in der EU
I. Das Spannungsverhältnis
II. Die Eigenverantwortung in der Union
III. Die Solidarität in der Union
IV. Stellungnahme

E. Zukunftsaussichten für das solidarische Europa

F. Abschließende Stellungnahme

Literaturverzeichnis

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Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

„Die Solidaritätsdröhnung, der wir alle heute ausgesetzt sind, ist so stark, dass ich nur raten kann: Seid auf der Hut, wenn dieses Wort fällt. Denn es könnte sein, dass Ihr nur diszipliniert werden sollt, oder zumindest zur Kasse gebeten."[1]

A. Einführung

Der Vertrag von Lissabon wurde im Dezember 2007 unterzeichnet und trat am 1. Dezember 2009 in Kraft. Er bedeutet nunmehr eine große Veränderung für die Europäische Union in vielerlei Hinsicht. Nun bildet der EUV mit dem AEUV gemeinsam die einheitliche Rechtspersönlichkeit der EU, auf die ihr Handeln gestützt wird und durch die auch die Individuen der Mitgliedstaaten erstmals persönlich Recht besitzen. Es stellt eine verfassungsähnliche Grundordnung der Union dar, aber die EU bleibt ein nichtstaatlicher Staatenverbund. Den Mitgliedstaaten wird mehr Mitspracherecht und dadurch auch mehr Macht zuteil. Das Ziel einer „Mega-Union“ wurde dadurch aber nicht erreicht.[2] Ein Aspekt, der an Bedeutung gewonnen hat ist die generelle Stärkung des europäischen Solidaritätsprinzips im Vertrag von Lissabon und miteinhergehenden Folgen für die Mitgliedstaaten der Union.[3] Dieser Bereich hat besondere Aktualität gewonnen durch die Finanzkrise und die Griechenland-Problematik. Diesen Aspekt werde ich in der folgenden Arbeit weiter erörtern, indem ich zunächst auf die allgemeine Solidarität in der EU eingehe und dann speziell auf das Verhältnis von Solidarität und Eigenverantwortung der EU-Mitgliedstaaten im Finanzbereich der Wirtschafts-und Währungsunion.

B. Die Solidarität der Europäischen Union

Die Stellung der Solidarität und der Umgang mit ihr haben sich in der Europäischen Union von Vertrag zu Vertrag weiterentwickelt und diese Entwicklung möchte ich nun darstellen.

I. Der Begriff der Solidarität

Im Allgemeinen beruht Solidarität auf gemeinsamen Wertorientierungen und beschreibt das Zusammengehörigkeitsgefühl in einer Gruppe und die Mitverantwortlichkeit des Einzelnen für die anderen in dieser Gruppe. Solidarisches Verhalten zielt in einem Staat auf dessen Erfolg und bedeutet Pflichterfüllung, loyalen Einsatz für das Ziel und das Zurückstellen eigener Interessen, Wünsche und Ansichten. Solidarität meint insbesondere die Bereitschaft, anderen in Notsituationen zu helfen, und die Mitmenschlichkeit, die dem zu Grunde liegt.[4] Im Recht tauchte die Solidarität bereits im römischen Recht auf und bedeutete im damaligen Kontext Gemeinschaftshaftung.[5] Mittlerweile hat das solidarische Verhalten insbesondere im Völkerrecht an Bedeutung gewonnen und im Europarecht hat sich ein eigener Solidaritätsbegriff herausgebildet. Im Unionsvertrag wird die Solidarität jedoch nicht definiert und muss daher aus anderen Gebieten im Wege der Auslegung ermittelt werden.[6] Dieser Solidaritätsbegriff umfasst keinesfalls auf Kosten anderer zu leben, sondern eine Bereitschaft für andere einzustehen und insbesondere die Rechtspflicht der EU-Mitgliedstaaten sich die Lasten gegenseitig zu erleichtern.[7] Die Solidarität hat somit einen Verpflichtungscharakter entwickelt, der allerdings durch die jeweilige Gemeinschaft legitimiert werden muss.[8] Teilweise wird der Begriff auch mit der „responsibility to protect“[9] gleichgesetzt, demnach mit der Verantwortung sich gegenseitig innerhalb einer Gemeinschaft zu beschützen. Speziell der finanzielle Aspekt der Solidarität hat heute im Zuge der Schuldenkrise an Aktualität gewonnen. Für den EuGH stellt die Solidarität eine Einhaltung der Bindung an eine Gruppe dar, um deren Funktionsfähigkeit zu erhalten.[10] Jedenfalls unterstützt der solidarische Wert den europäischen Gesellschaftsvertrag, indem man freiwillig Nachteile zugunsten Dritter hinnimmt.[11] Insgesamt ist der Begriff der Solidarität in der EU nicht neu, aber deutlicher ausgestaltet.

II. Entwicklung der Solidarität

Die Solidarität musste sich jedoch erst entwickeln um ein bedeutender Teil der EU-Integrationspolitik zu werden.

1. Vor dem Vertrag von Lissabon

Der Union fiel schon vor dem Vertrag von Lissabon die Aufgabe zu den wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalt und die Solidarität zwischen den Mitgliedstaaten zu fördern. Aber dies hat sich erst allmählich entwickelt. Zu Beginn hatte die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft 1957 nur das Ziel wirtschaftliche Vorteile für die Mitgliedstaaten zu sichern. Ziele waren bereits eine harmonische Wirtschaft, deren Wachstum und eine Stabilisierung der Lebensstandards. Das Ziel einer solidarischen Gemeinschaft war damals nicht vorhanden. Mit den Verträgen von Maastricht und Amsterdam wurde eine deutliche Solidarisierung mit den Völkern der Mitgliedstaaten zur Zielsetzung hinzugefügt. Dinge wie eine hohe Beschäftigungsrate, sozialer Schutz und Umweltschutz gehörten nun zu den politischen Zielen der EG bzw. EU und damit auch die Hilfe für andere Mitgliedstaaten, für die sich die Zielerreichung als wesentlich schwieriger erwies. Einen festgelegten Solidaritätsgrundsatz gab es nach dem Vertrag von Maastricht 1993 in Art. 1 III S.2 EUV, welcher bereits alle Unionspolitiken umfassend eine Gemeinwohlverpflichtung darstellen sollte. Das Solidaritätsprinzip war damals aber noch nicht zentral und sehr allgemein gehalten.[12] Die Solidarität im wirtschaftlichen Handeln wurde in Art. 2 EGV eingeführt und war wichtig, um das Wirtschaftsleben mit den vielen neuen Beitrittsländern zu harmonisieren.[13]

2. Nach dem Vertrag von Lissabon

Mit dem Vertrag von Lissabon wurde die Zielhierarchie vom dreistufigen System mit Aufgaben gem. Art. 2, Tätigkeiten gem. Art. 3 und einzelnen Handlungsermächtigungen in ein zweistufiges System verwandelt. Nun sind im EUV die Zielvorstellungen der EU niedergelegt und im AEUV die Tätigkeitsfelder und Aufgaben ebendieser. Der Vertrag von Lissabon bringt eine stärkere Gewichtung für die genannten Solidaritätsziele, die letztlich nur durch staatliche Regulierungen und damit Eingriffe in die bürgerliche Freiheit zu realisieren sind. Zudem sind die Ziele zur Förderung der Egalität deutlich verstärkt worden, also auch Diskriminierungsverbote.[14] Der Vertrag von Lissabon kennt viele Formen der Solidarität der EU-Mitgliedstaaten. Diese Solidarität ist der Garant für die Wirtschafts-und Wohlstandsgemeinschaft der EU.[15] Sie steht in einem strukturellen Spannungsverhältnis zu der wirtschaftlichen Freiheit.[16] Heute ist die Solidarität in jedem Fall ein allgemeiner Rechtsgrundsatz des Unionsrechts.[17] Sie umfasst als Leitfaden für unionsrechtliche Maßnahmen fast alle Politikbereiche.[18] Auf diese werde ich im Folgenden genauer eingehen.

III. Die Ziele und Werte der Union

Die EU zeichnet sich als Gemeinschaft insbesondere durch ihre im EUV festgelegten Werte und Ziele aus.

1. Allgemeine Werte und Ziele

Die Europäische Union hat als Eckpfeiler der Gemeinschaft bestimmte Ziele, die zu verfolgen sind und sie hat während ihrer Laufbahn viele Zielsetzungen dazugewonnen, wobei jedoch alles 1957 mit rein wirtschaftlichen Zielen ihren Anfang nahm. Heute umfasst die Zielsetzung der Union einen ganzen Katalog an bedeutenden Aufgaben. Hierbei hat die Förderung der harmonischen und ausgewogenen Entwicklung des Wirtschaftslebens, die Förderung der Hebung der Lebenshaltung und Lebensqualität und die Förderung der Solidarität zwischen den Mitgliedstaaten besonderes Gewicht.[19] Die Solidarität zählt dabei bereits zu den Grundwerten und Prinzipien der EU. Dieser muss aber, in Anbetracht aller EU-Ziele nicht nur ein allgemeiner Wert sein, sondern tatsächlich verbindlich.[20]

2. Die Solidarität in Art. 2 S.2 EUV

Im Art. 2 EUV werden die grundlegenden Werte der Union, auf die sich die Politiken, Ziele und Maßnahmen gründen, festgelegt. Hier ist neben der Menschenwürde, Freiheit, Demokratie, Gleichheit, und Rechtsstaatlichkeit auch die Solidarität verankert. In Art. 2 S.2 EUV wird die Solidarität deutlich als Wert der Gesellschaft der EU benannt. Sie hat dort aber noch keine verbindliche Wirkung, sondern zeigt lediglich den Stellenwert der gegenseitigen Zusammenarbeit und Hilfe. Sie hat jedoch auch nicht nur deklaratorischen Charakter, denn die Mitgliedstaaten die beitreten haben gem. Art. 49 EUV diese Werte zu achten, darunter die Solidarität.[21]

3. Das Grundprinzip der Solidarität in Art. 3 III 3 EUV

Der allgemeine Solidaritätsgedanke ist in Art. 3 III Unterabsatz 3 EUV verankert. Hier wird die Förderung der Solidarität bereits als konkretes Ziel benannt. Es soll demnach ein sozialer Ausgleich stattfinden und es lässt sich davon auch die Pflicht eines jeden Mitgliedstaates ableiten, alles Mögliche zu versuchen, um einen Austritt zu verhindern.[22] Es ist demnach Kohärenz und Solidarität zu schaffen, auch wenn Art. 3 III 3 EUV in einem Konflikt zu Art. 5 III EUV steht, dem Subsidiaritätsgebot.[23]

4. Die gegenseitige Loyalität in Art. 4 III 1 EUV

Art. 4 III 1 EUV legt die wechselseitige Loyalität der Mitgliedstaaten fest. Der EuGH nennt die ehemalige Pflicht zur Solidarität heute die Pflicht zu loyaler Zusammenarbeit,[24] oder das Loyalitätsprinzip ist zumindest eine Spezialausprägung des Solidaritätsprinzips. Dieser Artikel begründet die Pflicht zur Solidarität der Mitgliedstaaten der EU untereinander und meint damit speziell die Unterstützung und den ausgleichenden Beistand in Krisen und Notsituationen.[25] Es könne darauf auch unmittelbar autonome Pflichten gestützt werden,[26] als Grundlage für Primärpflichten.

IV. Solidarität in den Unionspolitiken

Die solidarische Tätigkeit der EU wirkt sich in vielen Bereichen aus. Eine besondere Rolle spielt sie in der Sozialpolitik, der Einwanderungspolitik, dem Wettbewerbsrecht, der Kriegs- und Katastrophenhilfe und schließlich in der Verwirklichung der Wirtschafts-und Währungsunion. Die Solidarität fungiert in dieser Entwicklung als Katalysator zwischen einem wachsenden tatsächlichen Bedürfnis nach einer gemeinsamen Ausrichtung und unzureichenden Beistandspflichten. Sie ist dadurch Ausdruck der Verbindung der Ziele und deren tatsächlicher Umsetzung in allen Politikbereichen. Die gegenseitige Solidarität verwehrt es einem Mitgliedstaat, sich Hilfspflichten im Fall einer Versorgungskrise in einem anderen Mitgliedstaat zu entziehen, auch, wenn zwischen den Staaten eine gewisse Uneinigkeit besteht.[27] In den verschiedenen Bereichen wird die Solidarität einzeln normiert.

1. Die GASP

Mit der gemeinsamen Außen-und Sicherheitspolitik ist ein wichtiger Bestandteil der EU vor dem Vertrag von Lissabon erhalten geblieben. Die Entwicklung einer gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik hat sich als besonders schwierig herausgestellt und die Solidarisierung in diesem Bereich mit anderen Staaten ebenfalls. Die GASP ist nun im EUV in den Art. 23-46 normiert und die EU spricht sich darin deutlich für solidarische Zusammenarbeit in diesem Bereich aus. In Art. 24 III S.1, 2 EUV soll die gegenseitige politische Solidarität gefördert und entwickelt werden. Dies stellt aber eher einen politischen Appell dar, als eine verpflichtende Norm[28] und ist nicht justiziabel.[29] Art. 25. lit.c spricht noch von systematischer Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten, meint aber den politischen Dialog und die Diplomatie und nicht die gegenseitige Solidarität im engeren Sinne.[30] Art. 31 I 2 S.3 EUV beinhaltet zusätzlich Loyalitätspflicht bei der Beschlussfassung, die auf Solidarität gegründet ist.[31] Art. 32 EUV legt die Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten im Rat fest und verlangt in S.4 der Vorschrift ein solidarisches Miteinander. Dieses Prinzip wird als Verwirklichung des Solidaritätsgedanken in Art. 24 EUV gesehen und als bedeutendster Bestandteil der GASP.[32] Die Solidarität wird dabei gleichsam als Loyalität der Union verstanden und damit als zentral für ihren Zusammenhalt.[33] Die Art. 34 und 35 EUV spezialisieren diese Grundsätze nochmals, indem sie Koordination der Aufgaben mit gewissen Treue-und Förderungspflichten und die Zusammenarbeit auf diplomatischer Ebene normieren.

2. Asyl und Einwanderung

Auch für den Bereich der Einwanderungspolitik, im Politikbereich der Freiheit Sicherheit und des Rechts, lassen sich Rechte und Pflichten aus dem Solidaritätsgebot ableiten. Jedoch lässt sich hierauf kein konkreter Anspruch auf eine Flüchtlingsaufnahme stützen.[34] Es besteht kein von der EU gesteuertes Lastenverteilungssystem bei der Asylantenaufnahme, jedoch gibt es für die Asylbewerbung Zuständigkeitsvorschriften, die eine Umverteilung der Flüchtlinge ermöglicht. Dieser Mechanismus entspringt dem Solidaritätsgedanken der Union.[35] Im Bereich der Einwanderungspolitik gibt es einen Solidaritätsgrundsatz in Art. 67 II S.1 AEUV. Speziell wird die Solidarität in der Einwanderungspolitik nun in Art. 80 AEUV behandelt.[36] Danach ist ein solidarischer Lastenausgleich bei der Aufnahme der Flüchtlingsströme möglich, es handelt sich um eine nach Außen bezogene Solidarität. Ein finanzieller Ausgleich kann auch darauf gestützt werden.[37] Aus dieser Vorschrift wurde auch die Richtlinie RL 2001/55 über eine Mindestnorm für die Gewährung vorübergehenden Schutzes hergeleitet.[38] Aktuell gibt es jedoch Probleme in der Migrationspolitik, da die nördlichen EU-Staaten nicht mehr bereit sind Flüchtlinge aufzunehmen und sich ihrer Pflicht entziehen wollen.[39]

[...]


[1] Von Alemann, Ulrich; Solidarier aller Parteien - verschont uns! Eine Polemik, 1996, http://library.fes.de/gmh/main/pdf-files/gmh/1996/1996-11-a-756.pdf .

[2] Ebenso: Oppermann/Classen/Nettesheim, S.18, Rn.14, 15.

[3] Callies in: Calliess/Ruffert, Art.194 AEUV, Rn.5.

[4] Ruland, NJW 2002, 3518, 3518.

[5] Schieder in: Harnisch/Maull/Schieder, S.17.

[6] Schieffer, S.205.

[7] Schieffer, S.206.

[8] Schieder in: Harnisch/Maull/Schieder, S.21.

[9] Siehe: Wolfrum, S.290, Rn.14.

[10] Bieber/Epiney/Haag, S.104, Rn.20.

[11] Bieber/Epiney/Haag, S.105, Rn.21.

[12] Stumpf In: Schwarze, Art. 1 EUV, S.68, Rn.43.

[13] Hatje In: Schwarze, Art. 2 EGV, S.265, Rn.21.

[14] Basedow in: EuZW 2008, 225.

[15] Siehe auch: Oppermann/Classen/Nettesheim, S.28, Rn.35.

[16] Luczak, S.387.

[17] Schieffer, S.208.

[18] Streinz/Ohler/Herrmann, S.81.

[19] Müller-Graff in: Dauses, Rn. 120.

[20] Wagener In: Bedingungen europäischer Solidarität, S. 75.

[21] Fischer, Art. 2 III EUV, S. 133.

[22] Streinz, Art. 3 EUV, S.20, Rn.9.

[23] Calliess/Ruffert, Art. 3 EUV, S.54, Rn.41.

[24] Calliess/Ruffert, Art. 4 EUV, S.66, Rn.29.

[25] Calliess/Ruffert, Art. 4 EUV, S.72, Rn.41.

[26] EuGH Rs. C 285/96, Slg. 1998, I-5935, Rn. 19.

[27] Calliess in: Calliess/Ruffert, Art.194 AEUV, Rn.6.

[28] Callies/Ruffert, Art.24 EUV, S.340, Rn.12.

[29] Streinz, Art. 24 EUV, S.244, Rn.8,9.

[30] Streinz, Art. 25 EUV, S.247, Rn.14,15.

[31] Callies/Ruffert, Art.31 EUV, S.378, Rn.5.

[32] Callies/Ruffert, Art.32 EUV, S.383, Rn.3.

[33] Siehe: Streinz, Art. 32 EUV, S.264, Rn.1.

[34] Schieffer, S.206.

[35] Schieffer, S.212.

[36] Streinz, ER, S.396, Rn.1000.

[37] Calliess/Ruffert, Art. 80 AEUV, S.1115, Rn.4.

[38] Streinz, Art.80 AEUV; S.950, Rn.5.

[39] Weber In: http://www.theeuropean.de/roderick-parkes/6550-solidaritaet-in-europa.

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Details

Titel
Solidarität der europäischen Union und finanzpolitische Eigenverantwortung der Mitgliedstaaten
Hochschule
Ludwig-Maximilians-Universität München
Veranstaltung
Schwerpunktseminar Europarecht
Note
10,2
Autor
Jahr
2012
Seiten
39
Katalognummer
V203065
ISBN (eBook)
9783656290940
ISBN (Buch)
9783656291565
Dateigröße
620 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
solidarität, union, eigenverantwortung, mitgliedstaaten
Arbeit zitieren
Elena Naebkhel (Autor:in), 2012, Solidarität der europäischen Union und finanzpolitische Eigenverantwortung der Mitgliedstaaten, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/203065

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