Risiko Einsamkeit - Gesellschaftliche Bedingungen eines problematischen Gefühlszustands


Examensarbeit, 2011

49 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Einsamkeit als Emotion

3. Einsamkeit
3.1. Historische Einordnung des Begriffs
3.2. Einsamkeit vs. Alleinsein
3.3. Einsamkeit vs. Soziale Isolation
3.4. Definition
3.4.1. Verwendung des Begriffs „Einsamkeit“ im Englischen
3.5. Arten der Einsamkeit

4. Determinanten der Einsamkeit im sozialen Wandel
4.1. Globalisierung
4.1.1. Arbeit und Mobilität
4.1.2. Arbeitslosigkeit und Armut
4.1.2.1. Forschungsergebnisse
4.1.3. Informationstechnologien
4.1.3.1. Forschungsergebnisse
4.2. Individualisierung und Pluralisierung
4.2.1. Urbanisierung und Verstädterung
4.2.1.1. Nachbarschaft im Wandel
4.2.1.2. Exkurs: Netzwerkforschung
4.2.1.3. Segregation
4.2.2. Wandel der Familienstrukturen
4.2.2.1. Single-Gesellschaft
4.2.2.1.1. Forschungsergebnisse
4.3. Demografische Alterung
4.3.1. Einsamkeit im Alter

5. Schlussbetrachtung

6. Anhang

7. Quellen

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: Sozioökonomisches Panel

Abbildung 2: Arbeitslose und Arbeitslosenquote

Abbildung 3: Einschränkungen aufgrund besonderer finanzieller Belastungen

Abbildung 4: Soziales Netzwerk: Deprivationsanteile der Untersuchungspopulation nach Einkommenslage

Abbildung 5: Einsamkeit nach sozialen Merkmalen

Abbildung 6: Offline- und Online-Netzwerke

Tabellenverzeichnis

Tabelle 1: „Predicting different uses of the internet from respondent demographics and social resources“

1. Einleitung

„Was ist das Thema deiner Staatsarbeit?“ fragte mich eine Freundin. „Einsamkeit und deren soziologische Bedingungen“, antwortete ich. Betroffenes Schweigen folgte meiner Aussage.

Dieses ist nur ein Beispiel von vielen, welches zeigen soll, dass die Thematik Einsamkeit in unserer heutigen Gesellschaft, in der es auf Teamfähigkeit und soziale Empathie ankommt, äußerst negativ besetzt ist. Einsamkeit wird als Ausdruck sozialer Inkompetenz verstanden, die mit Gefühlen des Schams, des Unbehagens, des Wegblickens und Leugnens verbunden ist. Auch in den wissenschaftlichen Disziplinen ist dieser „Turn-away-Effekt“ zu vernehmen, so dass „Einsamkeit“ bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts in den Sozialwissenschaften weitgehend ignoriert worden ist.

Wie abhängig Individuen von einem sozialen Beziehungsgefüge sind, in dem sie Anerkennung finden und Unterstützung erfahren, zeigen die in der Geschichte immer mal wieder aufgetreten Fälle von Wolfskindern oder mutwillig isolierten Kindern.

Ob Psammetich, ein ägyptischer Pharao, oder Kaiser Friedrich II., immer wieder gab es Versuche, Kinder in völliger Isolation aufwachsen zu lassen ohne jegliche menschliche Nähe. Aus der Einsamkeit der Kinder resultierten neben großen Sprachdefiziten auch Bindungsunfähigkeit und geistige Fehlbildungen.

Ein anderes Beispiel aus den Vereinigten Staaten zeigt, dass Frühgeborere im Brutkasten ihren, durch Isolierung herbeigeführten, kognitiven Rückstand schneller durch physischen Kontakt aufholen. In der Tierwelt gibt es ähnliche Beobachtungen: sobald es Neugeborenen an Berührung mangelt, fahren diese ihren Stoffwechsel zurück und hören auf zu wachsen.[1]

Einsamkeitserfahrungen, die Ablehnung durch andere Menschen, entsprechen der Gefühlslage einer physischen Verletzung.[2] Zu diesem Ergebnis sind die Wissenschaftler der Bowling Green State University in Ohio gekommen.

Dass Einsamkeit eine besondere Aufmerksamkeit verdient, zeigt sich ebenfalls durch gesellschaftliche und innerfamiliäre Sanktionstechniken, die als Strafe den Entzug der Freiheit des Individuums einfordern. Einsamkeitsstrafen gehören sogar zu den zentralen Sozialtechniken.

Einsamkeit kann als Hölle oder aber auch als Tor zur Weisheit begriffen werden. Gerade die positive Hinwendung ist unserer westlichen Kultur nicht fremd.

In einer Studie der TNS Infratest Sozialforschung, die 19684 Teilnehmer untersuchte, kam man auf die Frage „Wie sehr stimmen sie persönlich der Aussage: ‚Ich fühle mich oft einsam?’ zu dem Ergebnis, dass sich jeder fünfte Deutsche einsam fühlt.

Folgende Grafik soll diese Tatsache verdeutlichen:

Abbildung 1: Sozioökonomisches Panel[3]

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Bestimmte Lebensphasen rufen mehr Einsamkeit hervor als andere. Dieses Gefühl durchzieht alle Schichten und Altersklassen.

In der vorliegenden Arbeit möchte ich mich zunächst mit dem Oberbegriff „Emotionen“ auseinandersetzen, um schließlich auf die Einsamkeit im Speziellen zu kommen. Über eine historische Wandelbarkeit des Begriffs „Einsamkeit“, komme ich zur Abgrenzung des Begriffs gegenüber dem „Alleinsein“ und der „Sozialen Isolation“. Daran soll eine entsprechende Definition von „Einsamkeit“ folgen und auf die begriffliche Verwendung im Englischen eingegangen werden. Abschließend wird auf die verschiedenen Arten der Einsamkeit eingegangen.

Der Hauptteil der Staatsarbeit beschäftigt sich mit den sozialen Determinanten im Hinblick auf das Phänomen der Einsamkeit. Anhand des sozialen Wandels werden drei Kategorien herausgestellt, die wiederum spezielle Bedingungen für das Einsamkeitsempfinden darstellen. Schließlich endet die Ausarbeitung mit einer Schlussbetrachtung.

2. Einsamkeit als Emotion

Einsamkeit ist eines der tiefgreifendsten Gefühle des Menschen. Sie ist von Beginn an Teil unseres Lebens. Wir kommen alleine auf die Welt und im scheidenden Moment des letzten Atemzugs sind wir ebenfalls auf uns allein gestellt.

Einsamkeit lässt sich neben anderen Gefühlslagen unter dem Oberbegriff „Emotionen“ fassen. Emotionen haben die Funktion, zwischenmenschliche Beziehungen zu ermöglichen, das Gruppenverhalten zu synchronisieren oder Informationen weiterzugeben.

Im 17. Jahrhundert wurde das Wort „Emotion“ aus dem Französischen entlehnt und geht ursprünglich auf das Lateinische ēmovēre, bedeutet „herausbewegen“, zurück.[4] Das „Herausbewegen“ kommt in der folgenden Definition von Emotionen besonders zur Geltung: „…eine subjektive Gefühlslage, die als Antwort auf eine Interpretation und Bewertung einer Situation entsteht, mit einer physiologischen Aktivierung einhergehen können, und in Form von Emotionsexpressionen zum Ausdruck gebracht werden können.“[5] Diese Definition verdeutlicht ebenfalls die Ausgangslage von Emotionen, nämlich den jeweiligen interpretierenden und bewertenden Aktanten.

In der Soziologie wurde den Emotionen zunächst keine große Aufmerksamkeit geschenkt. Zunächst standen sie fast ausschließlich im Fokus der Psychologie, der Theologie und der Philosophie. Erste Annäherungsversuche wurden in den 1970er Jahren in den USA unternommen, wie beispielsweise der austauschtheoretische Ansatz von Theodore D. Kemper oder das symbolisch interaktionistische Konzept von Arlie Hochschild.[6] Emotionen sind für unser tägliches Miteinander, für unsere Kommunikation und als Schutzmechanismus von entscheidender Bedeutung. Sie strukturieren und steuern unser soziales Handeln und dienen als Antrieb und zur Orientierung. Somit werden sie zwar subjektiv empfunden, sind jedoch nicht ausschließlich Privatangelegenheit eines Menschen, sondern müssen in Interaktion mit der Umwelt und dem wechselseitigen Handeln gedeutet werden.

Nach dem Emotionsmodell von Jürgen Gerhards entstehen Emotion als eine positive oder negative Erlebnisart eines Subjektes im Zusammenspiel der folgenden vier Subsysteme: Persönlichkeit, Organismus, Sozialstruktur und Kultur, die sich wiederum den Ebenen Psychologie, Physiologie und Soziologie zuordnen lassen.[7]

Persönlichkeit referiert auf den bereits erwähnten Ausgangspunkt für Emotionen. Letztlich ergeben sich Emotionen nicht aus dem Nichts oder reflexartig. Lediglich der Akteur kann durch seine wahrnehmende Bewertung Emotionen entstehen lassen.

Der Organismus stellt die physiologischen Parameter dar. Beide Subsysteme sind für eine soziologische Analyse jedoch weniger von Bedeutung. Aus Sicht der Soziologie interessieren die Sozialstruktur und die Kultur bei der Emotionsentstehung, da Gefühle trotz der subjektiven Interpretation nicht beliebig, sondern in verschiedene Muster und Normen gebettet sind.

In Bezug auf die Sozialstruktur bedient sich Gerhards der sozialstrukturellen Theorie Kempers, die zwei fundamentale Aspekte in den Vordergrund der Sozialstruktur rückt: Macht und Status. Beide Dimensionen unterscheiden sich hinsichtlich ihrer Freiwilligkeit und der Unfreiwilligkeit bei der Umsetzung der Ideen anderer. Diese Dyade wird im Modell in vier Teilbereiche unterschieden (Macht Egos, Macht Alters, Status Ego und Status Alters), die nach Kempers durch ihre verschiedenen Kombinationsmöglichkeiten schließlich alle Emotionen bestimmen lassen. Allerdings ist dieses Modell nicht hinreichend, denn Emotionen ergeben sich nicht automatisch als Reaktion auf sozialstrukturelle Stimuli, sondern sind das Ergebnis von Interpretation und Bewertung der handelnden Akteure.[8] Hiermit kommt dem vierten Teilsystem eine entsprechende Bedeutung zu. Im Rahmen der Kultur werden, den in ihr lebenden Menschen, Regeln und Normen vermittelt, so dass entsprechende Deutungsmuster nicht subjektiv und damit spontan und beliebig umgesetzt werden können. „Gefühlsregeln sind Deutungsmuster, meist über die Sozialisation vermittelt und über Formen der sozialen Kontrolle stabilisiert, die festlegen, was und wie in welcher Situationen gefühlt und zum Ausdruck gebracht werden soll.“[9] Nach Arlie Hochschild benannte „feeling-rules“ bestimmen somit in welchen Situationen Emotionen zu erwarten sind, wie stark diese Emotionen ausgeprägt sein dürfen und wie lange sie anhalten können. Die Gefühlsnormen unterlaufen einem ständigen Prozess des Produzierens und der Kontrolle durch die Mitmenschen. Somit sind die Gefühlsregeln nach Gesellschaft oder Milieu je unterschiedlich und gehen aus der jeweiligen Soziologie hervor.

Der Einfluss des Sozialen in den Bereich der Emotionen besteht demnach zum einen aus dem Sozialsystem, der wechselseitigen Kommunikation und des sozialen Handelns untereinander, und zum anderen aus der durch die Kultur vermittelten normativen Deutungskonstrukte der jeweiligen Gemeinschaften.

„Die vier Subsysteme konstituieren nicht an sich schon Emotionen, sondern erst durch die Konstruktionsleistungen und Interpretation der vier Ebenen durch die handelnden Subjekte.“[10]

Emotionen sind ferner durch folgende Charakteristika bestimmt: Das Individuum ist sich in der Regel über seine Gefühle bewusst, sie wirken sich auf seinen körperlichen Zustand aus, stehen im Zusammenhang mit spezifischen neurophysiologischen Aktivitäten und gehen mit verschiedenen Verhaltensweisen einher.[11]

3. Einsamkeit

Seit dem Spätmittelalter wird das Wort „einsam“ verwendet und bezeichnete damals denjenigen als einsam, der mit sich selbst eins ist.[12] Anhand dieses Beispiels zeigt sich, dass der Begriff einen historischen Wandel durchlaufen hat, der im Folgenden Abschnitt, neben der Begriffsspezifizierung hin zur Definition, aufgezeigt werden soll.

3.1. Historische Einordnung des Begriffs

Um einen umfassenden Einblick über den Begriff „Einsamkeit“ zu erhalten, ist es wichtig, sich mit der historischen Einordnung und dem Begriffswandel auseinanderzusetzen, um schließlich die Einsamkeit unserer heutigen Gesellschaft näher zu beleuchten.

Grundsätzlich lässt sich schon einmal vorab sagen, dass der Einsamkeit entweder eine schöpferisch produktive Kraft zugesprochen oder diese als eine quälend leidvolle Erfahrung beschrieben und empfunden wurde und wird.

Einsamkeit wurde zunächst im Zusammenhang mit religiösen und mystischen Aspekten als ein Ort des Rückzuges und eine Möglichkeit des schöpferischen Genusses im Einklang mit Gott verstanden. In Zeiten der Aufklärung wurde diese Sichtweise abgelöst durch eine Hinwendung des Individuums zu sich selbst; die religiöse Einsamkeit wird demnach abgelehnt und eine Zurückgezogenheit mit dem Ziel persönlicher Vervollkommnung zur schöpferischen Tätigkeit und Geistesarbeit wird begrüßt.[13] Durch den gesamtgesellschaftlichen, kulturellen und intellektuellen Fortschritt steht nun das schöpferische Individuum im Vordergrund. Dieses Lebensgefühl kommt auch in literarischen Werken wie Gothes „Die Leiden des jungen Werthers“ zum Ausdruck.

Im kulturgeschichtlichen Zeitalter der Romantik erfährt die Einsamkeit eher eine programmatische Bedeutung. In der Einsamkeit findet das Individuum sowohl tröstenden Schutz als auch die Option auf sich allein gestellt zu sein. Werke des Künstlers Caspar David Friedrich verdeutlichen die romantische Sehnsucht nach Einsamkeit, das eins sein mit der Natur und die damit verbundene schöpferische oder auch zerstörerische Kraft des Gefühls einer ganzen Epoche.

In der weiteren gesellschaftlichen Entwicklung bis ins 19. Jahrhundert hat sich Einsamkeit zusehends als Form echter Freiheit verbunden mit dem Gefühl der Ausgeschlossenheit entwickelt. Dies zeigt sich beispielsweise auf künstlerischer Ebene in den Werken von Vincent van Gogh. Van Gogh beschreibt sehr treffend: „Mancher Mensch hat ein großes Feuer in der Seele, und niemand kommt, um sich daran zu wärmen.“ Schopenhauer empfindet Einsamkeit als ausschließliche Möglichkeit des Selbstseins und der Freiheit und somit als „Los aller hervorragenden Geister“.[14]

Auch Nietzsche beschäftigt sich mit der Emotion Einsamkeit, indem er diese zum einen den großen Philosophen als Wesensmerkmal zuschreibt, zum anderen jedoch auch die qualvolle Gefahr der Vereinsamung erkennt.[15]

Im Zeitalter des ausgeprägten Individualismus des 20./21. Jahrhunderts gilt Einsamkeit in unserer heutigen Konsumgesellschaft eher als Makel und ist entsprechend unerwünscht. Individualisierung und das Streben nach dieser sind ein fester Bestandteil unserer Welt und beinhalten Einsamkeit als Versagensgefühl.

Dennoch ist Einsamkeit ein Kennzeichnen moderner Gesellschaften wie David Riesman bereits 1950 in seiner Veröffentlichung „The Lonely Crowd“ über die Einsame Masse feststellt[16], in der er den amerikanischen Charakter in Abhängigkeit von verschiedenen Sozialstrukturen darstellt, wobei der Begriff „Einsamkeit“ konkret an keiner Stelle erwähnt wird.

Riesman beschreibt vorausahnend die Entwicklung des sozialen Wandels zu Beginn unseres Jahrhunderts. Er postulierte, dass die anstehende Bevölkerungsschrumpfung nicht nur ökonomische Konsequenzen haben würde, sondern auch Veränderungen im Bereich Familie, soziales Umfeld und der Gesamtgesellschaft nach sich ziehen wird. Er leitete drei Sozialcharaktere ab, die er den Traditionsgeleiteten, den Innengeleiteten und den Außengeleiteten nennt. Jeder Typus steht für eine bestimmte Phase des gesellschaftlichen Wandels. Der Traditionsgeleitete ist durch Rituale und komplizierte Systeme der Ehre und Moral an seinem gesellschaftlichen Platz infolge von Geburt und Familie gehalten. Diesen Typus verankert er im Mittelalter, in dem Einsamkeit als friedliches Beisammensein gedeutet wurde.

Ein höherer Bevölkerungsumsatz, ein sprunghaftes Bevölkerungswachstum und eine umfassende Nahrungsverfügbarkeit führen schließlich dazu, dass mehr Individuen ein reproduktives Alter erreichen. Diese Veränderungen bringen den Innengeleiteten Charakter hervor. Durch eine größere Nachkommenschaft können nicht mehr alle Kinder in die Fußstapfen der Eltern treten. Sie suchen sich eine Beschäftigung außerhalb der Primärgruppe.

Erreicht die Bevölkerung nun ihr Maximum, tritt nach Riesman eine Bevölkerungsschrumpfung ein, die durch niedrige Geburtenraten ausgelöst wird. Damit einhergehend minimieren sich auch die Sterberaten. Das wiederum führt zu massiven Umstellungen in den Einsamkeitsregime moderner Industriestaaten. Nach Riesman ist dieser Außengeleitete Charakter, ein Typus unserer aktuellen Gesellschaft, in seiner Orientierung vollkommen abhängig von anderen Individuen, deren soziale Sanktionsordnungen Verhaltenskonformität hervorrufen. Der Außengeleitete befindet sich nie im radikalen Selbstbezug, sondern ist immer abhängig von seiner Primärgruppe.

Die Sozialwissenschaft näherte sich der Thematik Einsamkeit erst sehr spät. Ausschlaggebend war vornehmlich die Veröffentlichung von Robert Weiss 1973, der erstmals Einsamkeitstheorien entwickelte. Weiss geht in seinem Werk „Loneliness: The Experience of Emotional and Social Isolation“ davon aus, dass das Individuum mit zwei sozialen Bedürfnissen ausgestattet ist, nämlich das Bedürfnis nach enger Bindung einerseits und das Bedürfnis nach sozialer Integration andererseits. Weist das Individuum jedoch ein Defizit in Hinblick auf diese Bedürfnissen auf, führt dies nach Weiss zur Einsamkeit. Er unterscheidet die „soziale und die emotionale Isolation. Während soziale Isolation durch fehlende Freunde oder mangelnder Geselligkeit ausgelöst wird, ist es bei der emotionalen Isolation vor allem das Fehlen einer vetrauten Person, der man sich zugehörig empfindet.“[17]

Gerade in der Kunst und auf musikalischem Terrain wird dieses Einsamkeitsgefühl thematisiert, wie beispielsweise durch Werke von Jean-Michaek Basquiat oder Jackson Pollock. Lieder wie „Lonesome me“ von Neil Young, „Kein Schwein ruft mich an“ von den Comedian Harmonists, „With or without you“ von U2 oder „You´re frozen“ von Madonna sind Indizien dafür, wie sich das Gefühl der Einsamkeit in unserer Wohlstandsgesellschaft etabliert hat.

In der Soziologie wird Einsamkeit als Ergebnis normativer gesellschaftlicher Auflagen und der Wirkung soziokultureller Rahmenfaktoren aufgefasst, die in der vorliegenden Arbeit partiell abgearbeitet werden sollen.

Einsamkeit hat sich in der historischen Entwicklung einem Wandel unterzogen und es bestehen unterschiedlichste Blickwinkel diese zu betrachten. Es wird sie immer geben und in unserer heutigen Zeit hat sie eine besondere Qualität.

3.2. Einsamkeit vs. Alleinsein

Um dem Begriff „Einsamkeit“ näher zu kommen, soll zunächst eine Abgrenzung zu dem Begriff „Alleinsein“ vorgenommen werden. Diese Abgrenzung findet im täglichen Sprachgebrauch, im Verständnis von Laien, in populärwissenschaftlichen und zum Teil auch wissenschaftlichen Texten nämlich nur unzureichend statt. Dass Einsamsein nicht mit Alleinsein gleichzusetzen ist, nicht synonym verwendet werden kann, soll im Folgenden verdeutlicht werden.

„Alleinsein“ meint einen Zustand oder den Tatbestand, der objektiv wahrgenommen wird. Es handelt sich um einen sozialstatistischen Befund des physischen Getrenntseins von einer bestimmten Person oder einer Gruppe, der messbar ist, eben die Zeit, die ein Individuum faktisch alleine verbringt. Ein Individuum, welches allein ist, hat somit ein Kontaktdefizit, welches keiner Bewertung unterläuft. Somit fühlt sich nicht jeder, der allein ist, gleich einsam. Erst die belastende, unerträgliche und ungewünschte Form des Alleinseins führt schließlich in die Einsamkeit. Mit Kontaktdefizit ist nach Townsend das Ausbleiben von arrangierten Treffen mit anderen Personen gemeint und beinhaltet somit mehr als der gelegentliche Austausch von Grüßen.[18]

Auf Townsend ist auch die Differenzierung der Begriffe „Alleinsein“ und „Einsamsein“ zurückzuführen. So unterschied er 1957 in einer Studie die beiden Begriffe wie folgt: „To be socialy isolated is to have few contacts with family and community; to be lonely is to have an unwelcome feeling of luck or loss of companionship. The one is objective, the other subjective and, as we shall see, the two do not coincide.”[19]

[...]


[1] vgl. Poschardt, Ulf 2007, S.14

[2] vgl. Poschardt, Ulf 2007, S.15

[3] vgl. Sozioökonimisches Panel 2008

[4] vgl. Wikipedia: Emotion 2011

[5] vgl. Gerhards, Jürgen 1988, S.50

[6] vgl. Gerhards, Jürgen 1998a, S.188

[7] vgl. Gerhards, Jürgen 1998a, S.188

[8] vgl. Gerhards, Jürgen 1986, S.764

[9] vgl. Gerhards, Jürgen 1998a, S.194-195

[10] vgl. Gerhards, Jürgen 1998a, S.199

[11] vgl. Silbereisen, Rainer / Pinquart, Martin 2008, S.56

[12] vgl. Poschardt, Ulf 2007, S.89/90

[13] vgl. Bohn, Caroline 2008, S.21

[14] vgl. Poschardt, Ulf 2007, S.15

[15] vgl. Bohn, Caroline 2008, S.22

[16] vgl. Riesman, David 1953

[17] vgl. Buba, H.P. / Weiß, H. 2003, S.15

[18] vgl. Bungard, Walter 1975, S.15

[19] vgl. Bungard, Walter 1975, S.94

Ende der Leseprobe aus 49 Seiten

Details

Titel
Risiko Einsamkeit - Gesellschaftliche Bedingungen eines problematischen Gefühlszustands
Hochschule
Technische Universität Dortmund
Note
1,7
Autor
Jahr
2011
Seiten
49
Katalognummer
V202901
ISBN (eBook)
9783656384380
ISBN (Buch)
9783656385288
Dateigröße
1395 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Einsamkeit, Alter
Arbeit zitieren
Yvonne Preuth (Autor:in), 2011, Risiko Einsamkeit - Gesellschaftliche Bedingungen eines problematischen Gefühlszustands, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/202901

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