Die Sozialdemokratische Wählerinitiative


Seminararbeit, 2012

25 Seiten


Leseprobe


Gliederung

1. Vorwort

2. Annäherung von Geist und Macht
2.1 Intellektuelle in ihrem Element: Wahlkampf in Buchform
2.2 Wahlkontor deutscher Schriftsteller
2.3 Günter Grass' Wahlkampfreise 1965

3. Schulterschluss von Geist und Macht
3.1 Der Berliner Kreis
3.2 Die Wahlzeitschrift dafür
3.3 Die Wahlkampfreise
3.4 Nach der Bundestagswahl 1969

4. Die Personalie Günter Grass
4.1 Die Beziehung zu Willy Brandt
4.2 Die Beziehung zur eigenen Vergangenheit

5. Nachwort

Anhang:

I. Quellen- und Literaturverzeichnis

II. lektronischen Quellen

1. Vorwort

„Wir sind dafür, dass die Wähler den Wahlkampf nicht allein den Parteien überlassen. Unsere Initiative soll ein Beispiel geben. Denn wir sind der Meinung, dass die Zukunft der Demokratie in Deutschland die Stärkung der Sozialdemokratischen Partei verlangt. Deshalb werden wir die SPD in ihrem Wahlkampf unterstützen. Wir sind nicht halbherzig. Die SPD ist für uns nicht das kleinere Übel. Sie ist in unseren Augen diejenige große Partei, die am glaubwürdigsten und zuverlässigsten gesellschaftlichen Fortschritt, soziale Demokratie und liberale Rechtsstaatlichkeit verbürgt.“1

So stellte Erdmann Linde, Geschäftsführer des Sozialdemokratischen Hochschulbunds (SHB), die Sozialdemokratische Wählerinitiative (SWI) am 24. März 1969 den Medien vor.

Das bemerkenswerte an der SWI ist die bis dahin nie so enge Verflechtung von Geist und Macht, von Intellektuellen und Politikern.2

Auch Günter Grass betonte dies in seiner Rede Des Kaisers neue Kleider, die er im Bundestagswahlkampf 1965 hielt:

„Denn der Schriftsteller ist aufgerufen, die Stimme zu erheben, wenn sich in unserem Land wieder einmal das Unrecht zum Gewohnheitsrecht mausern will! Denn der Ort des Schriftstellers ist inmitten der Gesell- schaft und nicht über oder abseits der Gesellschaft. (...) Tretet vor die Tür! Stoßt euch die Knie und Stirn wund an unserer Realität. Genie wohnt nicht mehr im holden Wahnsinn, sondern in unserer nüchternen Zivilgesellschaft. Die Heiligen sind Pragmatiker geworden. Kein Anlass besteht, den antiquierten Gegensatz von Geist und Macht neu zu kon- struieren.“3

Im ersten Teil meiner Hausarbeit möchte ich kurz den Weg zu diesem Schulter- schluss von Geist und Macht weitestgehend chronologisch nachzeichnen, um dann die Sozialdemokratische Wählerinitiative im Bundestagswahlkampf 1969 vorzustellen.

1969 wurde Willy Brandt der erste sozialdemokratische Bundeskanzler der Bun- desrepublik Deutschland. Wie groß war der Anteil der SWI an diesem Erfolg? Gallionsfigur der Initiative, so wurde schon bei der ersten Recherche zum The- ma schnell deutlich, war Günter Grass. Seine Popularität als Schriftsteller war der Magnet für die Wahlkampfveranstaltungen. Gegenwärtig wird er in weiten Teilen der Gesellschaft durch sein Israel-kritisches Gedicht, aber vor allem durch seine 2008 bekanntgewordene Mitgliedschaft in der Waffen-SS, von der er in seiner Autobiografie Beim Häuten der Zwiebel erzählt, politisch im rechten Spektrum gesehen.4 Warum engagierte er sich überhaupt politisch? Und gerade so aufopfernd für die SPD, die in den 60ern noch in weiten Teilen der Bevölke- rung als kommunistische Partei galt? Diese Fragen werden in dieser Arbeit be- antwortet.

1959 reagierte die SPD mit dem Godesberger Programm auf das enttäuschen- de Ergebnis der Bundestagswahl 1957, in der CDU/CSU die absolute Mehrheit der Stimmen erhielt. Um mittelfristig Regierungsverantwortung übernehmen zu können, musste sich die Partei neue Wählerschichten erschließen.5 Im neuen Grundsatzprogramm, das mit 324 gegen 16 Stimmen verabschiedet wurde, bekannte man sich zur sozialen Marktwirtschaft und zur Bundeswehr.6 Der erste Schritt in diese Richtung ist auf den ersten Blick ersichtlich: Man wechselte die Farbe. Statt im klassischen Rot der Arbeiterbewegung wurden Broschüren, Mitgliedsausweise und Plakate blau. Ein Zeichen, das allen auf den ersten Blick auffallen sollte: Man hat sich vom Kommunismus abgewandt.7 Wegweisend auf dem Weg zur Volkspartei sollte Willy Brandt sein und so wähl- te man ihn als Kanzlerkandidaten für die Bundestagswahl 1961.8

2. Annäherung von Geist und Macht

2.1 Intellektuelle in ihrem Element: Wahlkampf in Buchform

Im August 1961 gab Martin Walser den Sammelband Die Alternative oder brau-chen wir eine neue Regierung? heraus. Für die meisten Autoren ein klares „ja“. Ein Großteil der Beiträge gründete auf dem Restaurationsvorwurf: Anstatt ein neues, demokratisches Deutschland aufzubauen, strebt der parteipolitische Zeitgeist, so der Tenor, Richtung Weimarer Republik.9 Doch es blieb weitestge- hend bei der Ablehnung der CDU geführten Regierung. Nur wenige Autoren, darunter Günter Grass, sprachen sich offen dafür aus, die SPD zu wählen. Doch er sah die SPD noch als kleineres Übel und verpackte seine Wahlempfeh- lung in humoristische Kritik an der Partei.

„Ich könnte auf die vorliegenden Parteiprogramme eingehen und die fast gleichlautenden Versprechungen beider zu schnell gewachsenen Partei- en untersuchen und die Verfasser der Weinpanscherei bezichtigen. Das werden wohl meine Vor- und Nachredner kenntnisreich tun; mir möge vorbehalten bleiben, private Einsichten zu formulieren, etwa: Wählt SPD. Unter diesem Zeichen werdet ihr zwar nicht siegen, aber auch nicht vor die Hunde gehen.“10

Im Bundestagswahlkampf 1965 veröffentlichte Hans Werner Richter Plädoyerfür eine neue Regierung oder Keine Alternative. Intellektuelle wie Siegfried Lenz, Rudolf Augstein und Günter Grass porträtierten in kurzen Texten Mitglieder des Schattenkabinetts Willy Brandts.11

„Was allen [Autoren, NMT] gemein ist, scheint der Wunsch nach Ablösung zu sein, also Ablösung der Regierung und der Regierungspartei durch die Opposition. Eine parlamentarische Demokratie, in der eine Partei immer nur als Regierungspartei fungiert und die anderen immer nur als Oppositionspartei, ist zum Absterben verurteilt.“12

2.2 Wahlkontor deutscher Schriftsteller

Im gleichen Wahlkampf formierte sich das von Günter Grass, Klaus Wagenbach und Hans Werner Richter initiierte Wahlkontor deutscher Schriftsteller. Schriftsteller der Gruppe 47 setzten sich zum Ziel, die SPD durch eine eingängige Sprache für neue Wählerschichten attraktiv zu machen.13 Dafür verfasste das Wahlkontor Reden für SPD-Politiker und schlug Wahlkampfslogans vor, die aber von der Partei abgelehnt wurden.14

Im September startete die Gruppe eine Anzeigenkampagne, die neben Mitglie- dern des Wahlkontors deutscher Schriftsteller auch andere Künstler oder Wis- senschaftler wie Ernst Bloch, Marcel Reich-Ranicki und Kurt Sontheimer unter- schrieben.15

„Die Unsicherheit im politischen Leben der Bundesrepublik wächst. Sie muss überwunden werden. (...) Eine veränderte Welt verlangt neue Erkenntnisse auch in der Politik. Darum ist ein Wechsel nötig. Darum plädieren wir für eine Regierung der Sozialdemokraten.“16

2.3 Günter Grass' Wahlkampfreise 1965

Parallel dazu ging Grass auf Wahlkampfreise durch 32 Großstädte der BRD. Seine Auftritte wurden von SHB und dem Liberalen Hochschulbund organisiert. Das Credo: „Fortan spricht der Wähler mit. Die Parteien müssen mit seiner In- itiative rechnen.“17 In seinen Reden forderte er die Bürger - als Souverän der parlamentarischen Demokratie - auf, von ihrem Wahlrecht Gebrauch zu ma- chen.

„Denn Wahlen sind Appelle an die Vernunft des einzelnen. (...) Nicht strahlendes Weiß und düsteres Schwarz stehen zur Wahl, sondern meh- rere Grautöne. (...) Noch nie bestand Anlass, angesichts von Politikern oder Parteien in Begeisterung zu geraten. Unsere Geschichte lehrt es uns schmerzhaft.“18

Wie mit dem letzten Satz des Zitats sprach Grass häufig die Zeit des Nationalsozialismus an und warnt: „Wehret den Anfängen. Wir haben die Wahl!“19

Daneben setzte er eigene Schwerpunkte, auch abseits des Programms der SPD. So sprach er sich in der Rede Was ist des Deutschen Vaterland? für die Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze aus. Die Frage, zitiert aus dem gleichna- migen Gedicht von Ernst Moritz Arndt, beantwortet er abseits aller nationalen oder geographischen Definitionen: „Was ist des Deutschen Vaterland? Was wir aus ihm machen.“20 In dem Zusammenhang rief er die Vertriebenen dazu auf, in der Bundesrepublik ihre Städte neu zu gründen: „Lasst uns Stadtgründer sein! Wir haben Platz in der Eifel, im Hunsrück, im Emsland und im Bayrischen Wald.“21

Gerade dieser Punkt rief innerhalb der Partei Kritik hervor, so dass der Parteivorstand im August 1965 deutlich machte:

„Wir möchten bemerken, dass der Schriftsteller Günter Grass ohne Auftrag unserer Partei Veranstaltungen durchführt und für die SPD wirbt. (...) Wir freuen uns über die Initiative von Herrn Grass, müssen aber auch feststellen, dass wir mit manchen seiner Ausführungen nicht einverstanden sind. Herr Grass ist nicht Mitglieder unserer Partei.“22

Grass betonte immer wieder, dass man nicht von der SPD finanziert würde.23 Daher nahm man Eintrittsgeld für die Veranstaltungen. Aus dem Überschuss fi- nanzierte man mehrere Bibliotheken, die einzelnen Bundeswehrkasernen über- geben wurden.24 Darüber hinaus schrieben die Organisatoren einen Preis für Schullesebücher aus.

[...]


1 o.V.: Protokoll der Verhandlungen des Außerordentlichen Parteitags der

Sozialdemokratischen Partei Deutschlands vom 16. bis 18.4.1969 in Bad Godesberg. Bonn 1969. S. 184.

2 Vgl. Daniela Münkel: Bemerkungen zu Willy Brandt. Berlin 2005. S. 187.

3 Günter Grass: „Der Kaisers neue Kleider. Rede im Bundestagswahlkampf“. In: Ders.: Werke.

Göttinger Ausgabe. 12 Bde. Göttingen 2007. Bd. 11: Essays und Reden 1955-1979. S. 124.

4 Günter Grass: Beim Häuten der Zwiebel. München 2008.

5 Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland (Hg.): Unzufriedene Republik: Das Godesberger Programm - eine neue SPD. http://www.hdg.de/lemo/html/DasGeteilte Deutschland/DieZuspitzungDesKaltenKrieges/UnzufriedeneRepublik/eineNeueSPD.html. Zuletzt aufgerufen am 29.07.2012.

6 o.V.: Godesberger Programm. Grundsatzprogramm der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands von 1959. http://www.spd.de/linkableblob/1816/data/godesberger_programm.pdf

7 Haus der Geschichte (Hg.): Unzufriedene Republik. Zuletzt aufgerufen am 29.07.2012.

8 ebd.

9 Vgl. Münkel: Bemerkungen zu Willy Brandt. S. 189.

10 Günter Grass: Wer wird dieses Bändchen kaufen?“ In: Ders.: Werke. Bd. 11. S. 38.

11 Vgl. Hans Werner Richter (Hg.): Plädoyer für eine Regierung oder Keine Alternative. Reinbek 1965.

12 Ebd. S. 9.

13 Vgl. Daniela Münkel: Willy Brandt und die„vierte Gewalt“. Frankfurt am Main 2005. S. 164.

14 Vgl. Münkel: Bemerkungen zu Willy Brandt. S. 206.

15 Vgl. ebd. S. 195.

16 Rainer Nitsche / Klaus Roehler (Hg.): Das Wahlkontor deutscher Schriftsteller in Berlin 1965. Versuch einer Parteinahme. Berlin 1990. S. 14.

17 Günter Grass: „Des Kaisers neue Kleider “ In: Ders.: Werke. Bd. 11. S. 124.

18 Ebd.

19 Ebd. S. 126.

20 Günter Grass: „Was ist des Deutschen Vaterland? “ In: Ders.: Werke. Bd. 11. S. 115.

21 Ebd.

22 Zitiert nach: Münkel: Willy Brandt und die„vierte Gewalt“. S. 165.

23 Grass: „Des Kaisers neue Kleider “ In: Ders.: Werke. Bd. 11. S. 122.

24 Vgl. Arno Barnert (Hg.): Uwe Johnson, Anna Grass, Günter Grass - Der Briefwechsel. Frankfurt am Main 2007. S. 54.

Ende der Leseprobe aus 25 Seiten

Details

Titel
Die Sozialdemokratische Wählerinitiative
Hochschule
Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn
Autor
Jahr
2012
Seiten
25
Katalognummer
V202865
ISBN (eBook)
9783656288282
ISBN (Buch)
9783656289302
Dateigröße
418 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
sozialdemokratische, wählerinitiative
Arbeit zitieren
Niklas-Max Thönneßen (Autor:in), 2012, Die Sozialdemokratische Wählerinitiative, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/202865

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