Das kafkasche Reich

Eine rechtsphilosophische Untersuchung der Staatstheorien von Hobbes und Rousseau


Fachbuch, 2012

171 Seiten

V. R. Matthias (Autor:in)


Leseprobe


Inhalt

Prolog

Einleitung

Inter arma silent leges – rex est populus

Transzendentaler Tausch

Die öffentliche Gerechtigkeit und die kantische Annäherung

Rechtliche Grenzen der Gehorsamspflicht

Genesis und rechtliche Konsequenzen der Ungleichheit

Prinzipien des politischen Rechts – populus est rex

Ein Recht zur Revolution?

Rechtsphilosophisches Fazit

Völkerrechtliche Folgerungen

Epilog

Schluss und Ausblick

Literaturverzeichnis

Prolog

„Jemand musste Josef K. verleumdet haben, denn ohne dass er etwas Böses getan hätte, wurde er eines Morgens verhaftet.“[1]

„«Nein», sagte der Geistliche, «man muss nicht alles für wahr halten, man muss es nur für notwendig halten.»“[2]

„Am Vorabend seines 31. Geburtstages […] kamen zwei Herren in K.‘s Wohnung. In Gehröcken, bleich und fett, mit scheinbar unverrückbaren Cylinderhüten.“[3]

„Alle drei zogen nun in vollem Einverständnis […].“[4]

„Dann öffnete der eine Herr seinen Gehrock und nahm aus einer Scheide […] ein langes dünnes beiderseitig geschärftes Fleischermesser, hielt es hoch und prüfte die Schärfen im Licht.“[5]

„Wo war der Richter, den [K.] nie gesehen hatte? Wo war das hohe Gericht bis zu dem er nie gekommen war? […] Aber an K.‘s Gurgel legten sich die Hände des einen Herrn, während der andere das Messer ihm ins Herz stiess und zweimal dort drehte.[6] […] «Wie ein Hund!» sagte er […].“[7]

Da steht man – durch den Schriftsteller Kafka verstummt – „vor dem Gesetz“[8] und fragt sich ratlos: Was ist eigentlich Recht, und gibt es die Menschenwürde? Zynisch klingen hier die dem Juristen Kafka sicher bekannten Antworten Kants an:

„Die Menschheit selbst ist eine Würde“[9].

„Das Recht ist […] der Inbegriff der Bedingungen, unter denen die Willkür des einen mit der Willkür des anderen nach einem allgemeinen Gesetze der Freiheit zusammen vereinigt werden kann.“[10]

Einleitung

Die aristotelische Lehre von den verschiedenen Gesellschafts- und Herrschaftsformen, und in diesem Zusammenhang bezüglich der einschlägigen Verfassungen die Unterscheidung zwischen ihren Perfektionszustand und ihren Verfallsformen, alles auf der Grundlage der Vorstellung von der politischen Natur des Menschen, wurde in der Antike und bis zum Mittelalter als definitiv geltende politische Philosophie angesehen. Die Politik ist lt. Aristoteles ein Bestandteil der Ethik. Sie stellt Bekenntnis zum guten, gerechten und letztendlich glücklichen Leben dar.[11] Aristoteles geht davon aus, „daß der Staat zu den von Natur aus bestehenden Dingen gehört und daß der Mensch von Natur aus ein staatsbezogenes Lebewesen ist. […] Und der Natur nach früher ist der Staat als das Haus und jeder einzelne von uns, […] denn das Ganze muß früher sein als der Teil.“[12]

Der politische Aristotelismus wurde Anfang des 16. Jahrhunderts von Machiavelli und Mitte des 17. Jahrhunderts von Thomas Hobbes herausgefordert. In seinen Schriften thematisiert Machiavelli einen neuen, eindeutig antiaristotelischen Menschencharakter. Wir treffen dort einen homo oeconomicus, also einen modernen, individualistischen, egoistischen, unpolitischen Menschen, der pleonexisch Macht, Einfluss und Eigentum maximiert. Er ist eine rücksichtslose Kreatur mit destruktivem Potential .[13] Machiavelli statuiert – analog wie Hobbes, aber mehr als hundert Jahre früher –, dass Ordnung nur durch externe Zügelung durchgesetzt werden kann. Jedoch – anders als Hobbes – ist er überzeugt, dass man den erwachsenen Menschen politisch zum Bürger erziehen kann.[14] Machiavelli beschäftigt sich jedoch nicht mit der Genesis und dem Zweck und Ziel des Staates. Seine Methode ist induktiv, rhetorisch und empirisch, eine Staatstheorie präsentiert er nicht.[15] [16]

Machiavellis politisches Schrifttum befindet sich in viel engeren Grenzen als die politische Philosophie von Hobbes. Hobbes war Empirist, aber im Gegensatz zum englischen Empirismus betonte er „gebührend“ die Bedeutung der Mathematik, sowohl der reinen als auch der angewandten.[17] Seine Gesellschaftsvertragstheorie ist etwas ganz Neues, etwas, was von dem politischen Aristotelismus qualitativ verschieden ist. Hobbes bereitete der politischen Lehre des Aristoteles ein Ende. „Hobbes‘ more geometrico traktierte, der mathematischen Methode folgende politische Philosophie“ stellt eine Negation des politischen Aristotelismus dar: anstelle eines kooperationsbereiten Menschen hat er eine egoistische und konfliktbereite Person vor Augen. In der hobbesschen politischen Theorie spielt die Selbsterhaltung des Menschen die zentrale Rolle, im Unterschied zur Frage des guten und glücklichen Lebens.[18] Man sollte nicht übersehen, dass die politischen Schriften von Thomas Hobbes auf das Werk von Hugo Grotius[19] folgten. Bei Hobbes ist der Sinn des Staates nicht das Erreichen eines summum bonum, sondern nur das Abwenden des summum malum. Der Staat ist kein naturgegebenes Element, sondern ein künstliches Produkt, das aus der Not und Einsicht entstanden ist.

Die Entstehung und Legitimierung des Staates, also die Herrschaftslegitimation, prägt die neuzeitliche politische Philosophie. Der Terminus Souveränität ist ein primärer Grundbegriff der politischen Philosophie. Die Essenz der Souveränität ist die erste Hauptfrage, die in diesem Zusammenhang zu beantworten ist. Jean Bodin war einer der ersten, der sich mit dieser Frage in seinen in 1593 herausgegebenen Six livres de la république[20] beschäftigte. Bodin zufolge ist Souverän derjenige, der keinem anderen untertan ist, der die höchste Gewalt im Staate verkörpert[21], „die als oberste Gesetzgebung nur eine legibus soluta potestas (eine übergesetzliche Macht) sein kann.“[22]

Die Souveränität sei charakterisiert durch die Unübertragbarkeit und die Unlimitierbarkeit, auch eine Gewaltenteilung widerspreche dem Sinngehalt der Souveränität, der bodinsche Souverän ist weder den Gesetzen seines Amtsvorgängers, noch den von ihm selbst erlassenen Normen verpflichtet[23].

Der Staat ist bei Bodin explizit durch das Kriterium der Souveränität definiert: „Unter der Souveränität ist die dem Staat […] eignende absolute und zeitlich unbegrenzte Gewalt zu verstehen, von den Lateinern « maiestas » […] genannt“[24]. „Unter dem Staat […] versteht man die am Recht orientierte, souveräne Regierungsgewalt über eine Vielzahl von Haushaltungen und das, was ihnen gemeinsam ist. […] Dadurch unterscheiden sich Staaten […] von Räuber- und Piratenbanden“[25].

Die zweite Hauptfrage bezieht sich auf die Begründung der politischen Herrschaft. Eine Antwort präsentieren hier die Theorie des Herrschaftsvertrages einerseits und die des Gesellschaftsvertrages andererseits. Der gemeinsame Nenner beider Theorien ist der Vertragsgedanke: die politische Herrschaft wird durch einen Vertrag legitimiert.[26]

Der Herrschaftsvertrag (Unterwerfungsvertrag, „pactum subiectionis“) wird durch ein bilaterales Abkommen zwischen einem bereits vorhandenen Souverän und seinen Untertanen geschlossen.[27] Nach diesem Modell gilt das Recht des Souveräns als originär, die Rechte der Untertanen gebrauchen zu ihrer Geltung aber einer zusätzlichen schriftlichen Niederlegung.[28] Ein Vorbild des Herrschaftsvertrags ist die Magna Charta Libertatum aus dem Jahre 1215.[29]

Demgegenüber wird der Souverän im Gesellschaftsvertragsmodell erst durch den Gesellschaftsvertrag etabliert, der so entstandene Souverän ist nicht eine der Vertragsparteien, er ist ein Produkt – das Produkt – dieses Vertrages. Im Gesellschaftsvertragsmodell ist das Volk der primäre Souveränitätsinhaber, die Befugnisse des eingesetzten Souveräns werden als Sekundärrechte aus dem Vertrag hergeleitet.[30] Die Union von Utrecht vom 23.01.1579, die zur Vereinigung der damaligen sieben nördlichen Provinzen Spaniens und somit zur Entstehung der heutigen Niederlanden führte, ist eine der historischen Vertragsurkunden, die einem Gesellschaftsvertrag entspricht.[31]

Seit Thomas Hobbes ist der Gesellschaftsvertrag die zentrale Strategie in der politischen Philosophie der Neuzeit, um zu erläutern, warum es die politische Macht im Rahmen von Staaten gibt, warum ein Staat entsteht. Der Sinn des Gesellschaftsvertrags ist, die politische Macht des Staates zu legitimieren. Es handelt sich um ein Modell zur Legitimation des Staates. Der Gesellschaftsvertrag begründet die Gehorsamspflicht der Bürger – sowie ihre Grenzen – gegenüber dem Staat. In allen Vertragstheorien schließen die vorstaatlichen, apolitischen Bewohner des Naturzustandes miteinander einen Vertrag, durch den sie einen Staat entstehen lassen, dem sie sich gleichzeitig unterwerfen. Durch und mit diesem Gesellschaftsvertrag wird der Staat legitimiert. Es handelt sich um einen freiwilligen und irreversiblen Vorgang, in dem sich alle Beteiligten wechselseitig Bindung an Rechte und Pflichten zusichern.[32]

In dieser Arbeit gehe ich zunächst davon aus, dass eigene Interessen der Menschen zum Streben nach Gerechtigkeit und letztendlich zum Streben nach Einhaltung der Menschenrechte auf dem Wege nach der Durchsetzung der „inherent rights, […] namely, the enjoyment of life and liberty, […] and pursuing and obtaining happiness and safety“[33] über einen Tausch – transzendental und real – zu einem Staat als Garanten des Friedens und der bezweckten Gerechtigkeit führen. Damit steht dieser Staat letztendlich selbst in der Pflicht, die Menschenrechte einzuhalten, und zu garantieren, dass diese von allen Menschen in seinem Gewaltenbereich eingehalten werden.

Ich gehe von der hobbesschen Theorie des konstitutiven Egoismus aus. Ich teile die hobbessche Überzeugung über den Menschen, der moralisch neutral nur im eigenen Interesse handelt. Ich bin davon überzeugt, dass das moralische Handeln und Tun im egoistischen Interesse eines jeden vernünftigen Menschen ist, denn „die Alltagserfahrung, dass viele Transaktionen gegenseitig vorteilhaft sind […], stellt die wichtigste Rechtfertigung für den berühmten Spruch von Adam Smith[[34] ] dar, dass eigennützige Tauschpartner auf einem Markt wie durch eine unsichtbare Hand dahin geführt werden, einem öffentlichen Interesse zu dienen.“[35] [36] Man darf nicht vergessen, dass „[d]er Tausch über die subjektiven Aneignungsformen fremden Besitzes, den Raub und das Geschenk, hinausgeht – ganz dementsprechend, daß die Geschenke an den Häuptling und die von ihm erhobenen Strafgelder die Vorstufen der Steuer sind – und finden auf diesem Wege als erste übersubjektive Möglichkeit die soziale Regelung vor.“[37]

Wenn wir vom egoistischen Interesse des Menschen sprechen, sollten wir nicht vergessen, dass das Verständnis, was als gut bzw. als böse betrachtet wird, sich von Kultur zu Kultur fundamental unterscheiden kann. Hobbes konzipiert eine Politik, die bestehen kann, auch wenn die Menschen in einem Relativismus an Normen und kulturellen Sitten befangen sind. Der von Hobbes durchdachte Mensch handelt selbstverständlich und aus egoistischer Sicht vernünftig gerechtfertigt.

Das Hauptinteresse des Bewohners des hobbesschen Naturzustandes ist die eigene Selbsterhaltung. Dieser Naturzustandsmensch muss mit dem Schlimmsten rechnen und dementsprechend ist er ununterbrochen misstrauisch. Die Vorbeugung durch eigene Aufrüstung ist notwendig und eventuell fühlt er sich gezwungen, einen Krieg präventiv zu führen. Der Mensch ist also durch eine rationelle Überlegung, nicht durch einen irrationalen Trieb, „ein Wolf für den Menschen“[38]. Um den Kriegszustand des Naturzustandes zu brechen, schließen die Menschen Hobbes zufolge einen Gesellschaftsvertrag, der der Gesellschaft Frieden gewährleisten soll. „Aus bellum omnium contra omnes soll protectio omnium contra omnes werden.“[39]

Demgegenüber präsentiert laut Rousseau erst der sich durch eine falsche Vergesellschaftung[40] entwickelte Mensch, also nicht der natürliche Bewohner des Naturzustandes, die von Hobbes beschriebenen wölfischen[41] Eigenschaften.

Als einen Gegenentwurf zum hobbesschen Leviathan[42] beschreibt Rousseau seine richtige Vergesellschaftung in der Schrift Du Contrat Social ou Principes du droit politique[43]. Das „Gemeinwesen als Ganzes“, der „Gemeinwille“ [„volonté générale“] wird bei Rousseau der Souverän, an den „die völlige Entäußerung jedes Mitglieds mit allen seinen Rechten“ stattfindet[44]. In dieser Arbeit möchte ich akzentuieren, dass der aus dieser totalen „Entäußerung“ folgende etatistische Absolutismus den Absolutismus des hobbesschen Leviathan überholt.[45] Dementsprechend wird in Bezug auf ein eventuell mögliches Widerstandsrecht die hobbessche ablehnende Auslegung eines solchen Rechts von Rousseau noch übertroffen.[46]

In beiden Absolutismen gibt es ein eindeutiges Primat des staatlichen Souveräns über die Kirche.

Bei der Anwendung der zwischenmenschlichen Beziehungen auf das Völkerrecht betreibt Hobbes eine Parsimonie: „[D]ie Freiheit von Staaten […] ist dieselbe wie die, welche jeder Mensch dann hätte, wenn es überhaupt keine bürgerlichen Gesetze und Staaten gäbe […], sie leben […] im Zustand eines ständigen Krieges, am Rande einer Schlacht, mit bewaffneten Grenzen und auf die anliegenden Nachbarn gerichteten Kanonen.“[47]

Rousseau, im Unterschied zu Hobbes, findet im Naturzustand „keine natürlich existierende Feindschaft zwischen Menschen“[48]. Im anthropologischen Bezug negiert er also die hobbessche Darstellung des Naturzustands, aber es bleibt ihm nichts anderes übrig als „dessen Logik der naturrechtlichen Argumentation für die Ebene der zwischenstaatlichen Beziehungen“[49] nolens volens zu akzeptieren. Dementsprechend landet Rousseau – zwar nicht so „parsimonisch“ wie Hobbes – aber auch bei einem Naturzustand in der Staatengemeinschaft, der ein Kriegszustand ist. Die Auflösung seiner Zwangslage ist die Folgerung, dass „der Kriegszustand ausschließlich aus dem Gesellschaftszustand“[50] resultiert.

Im vorliegenden Text sind Gedanken enthalten, mit denen ich mich schon seit Jahren begrifflich beschäftige. Was meine Vorgehensweise angeht, ist die Grundlage der Arbeit eine punktuelle Exzerption aus den im Literaturverzeichnis angegebenen Texten. Bei der unglaublichen Fülle einschlägiger Literatur habe ich die erforderlichen Quellen allerdings auch unter dem Aspekt meiner persönlichen Sichtweise ausgesucht. Ich beabsichtigte die meines Erachtens unübersehbaren Parallelen zwischen den Auswirkungen des hobbesschen und des rousseauschen Kontraktualismus zu zeigen – aber ich wollte keinen radikalen Standpunkt vertreten, ich versuchte also, die Epoché zu üben. Dabei habe ich – in Anlehnung an die Worte von Wolfgang Kersting[51] – oft „bei den Großen [der philosophischen] Zunft vorbei[ge]schaut, um [eigenen] Argumenten größeres Gewicht zu verleihen.“ Gleichlaufend habe ich selbstverständlich auch die mir bekannten gegenseitigen Meinungen an verschiedenen Stellen zu Sprache gebracht, um den vorhandenen wissenschaftlichen Gedanken-Austausch zu akzentuieren.

Inter arma silent leges – rex est populus

Wenn wir an das egoistische Interesse des Menschen denken, beobachten wir bei Hobbes in Bezug auf die Sitten und Gebräuche einen Relativismus oder gar Skeptizismus über die moralischen Ansichten der Menschen. „Was […] das Objekt des Triebes oder des Verlangens eines Menschen ist: Dieses Objekt nennt er für seinen Teil gut, das Objekt seines Hasses und seiner Abneigung böse […]. Denn die Wörter gut, böse […] werden immer in Beziehung zu der Person gebraucht, die sie benützt, denn es gibt nichts, das schlechthin und an sich so ist. Es gibt auch keine allgemeine Regel für Gut und Böse“[52].

Wir sehen, dass das „Gute“ und das „Angenehme“ bzw. das „Schlechte“ und das „Unangenehme“ bei ihm identisch sind[53], dabei „ist […] das Begehren der Menschen verschieden, gemäß ihren verschiedenen Anlagen, Gewohnheiten, Ansichten; man kann das an den durch die Sinne wahrgenommenen Dingen bemerken, z. B. beim Schmecken, Fühlen und Riechen. Aber viel mehr gilt dies für Dinge, die sich auf das Handeln im täglichen Leben beziehen, wo der eine das lobt, d. h. gut nennt, was der andere tadelt, d. h. schlecht nennt; ja derselbe Mensch lobt sehr oft das, was er zu anderer Zeit tadelt. Aus solchem Verfahren muss Uneinigkeit und Streit entstehen.“[54]

Der „Grundgedanke“[55] des hobbesschen Konzepts der Vergesellschaftung wird nachstehend formuliert: „In dem Zustande der Natur, wo jeder Mann sein eigener Richter ist und sich von einem anderen unterscheidet durch die Namen und Benennungen, die er den Dingen gibt, und wo dann aus diesen Verschiedenheiten Streit und Friedensbruch entstehen, war es nötig, dass ein gemeinsames Maß für alle Dinge, die zu Streitigkeiten Anlass geben konnten, aufgestellt wurde. Wie zum Beispiel: Was soll recht, was gut, was Tugend, was viel, was wenig, was Mein und Dein, was ein Pfund, was ein Quart genannt werden? Denn in diesen Dingen können die Privatansichten auseinander gehen und so Streitigkeiten erzeugen. Dieses gemeinsame Maß nun ist, wie einige sagen, die richtige Vernunft, und würde ihnen beipflichten, wenn ein derartiges Ding, wie die richtige Vernunft, in rerum natura bekannt oder zu finden wäre. Gewöhnlich aber meinen die, welche nach der richtigen Vernunft rufen, um irgendeine Differenz zu entscheiden, ihre eigene Vernunft. Dies aber ist gewiss, da es die richtige Vernunft an sich nicht gibt, so ist unerlässlich, dass die Vernunft irgendeines Mannes oder irgendeiner Anzahl Männer die Stelle derselben einnehmen muß, und jener Mann bezw. jene Männer sind die, welche die herrschende Gewalt haben [...], und folglich sind die bürgerlichen Gesetze für alle Untertanen das Maß ihrer Handlungen, wodurch bestimmt wird, ob sie Recht oder Unrecht haben, nützen oder schaden, tugendhaft oder lasterhaft sind, und durch diese Gesetze muss die Anwendung und genaue Begriffsbestimmung aller Wörter, die zweifelhaft sind und zu Streitigkeiten führen können, festgesetzt werden. So zum Beispiel, bei Gelegenheit einer merkwürdigen oder unförmlichen Geburt, soll es nicht durch Aristoteles oder die Philosophen entschieden werden, ob dieselbe ein Mensch ist oder nicht, sondern durch diese Gesetze.“[56]

Es geht hier darum, zu versuchen, einen gemeinsamen Nenner für alle „Kulturen“ in der geographischen und historischen Sicht zu finden. Und zwar zu suchen, was als „allgemein natürlich“, als „menschlich“, als „gut“ kulturübergreifend betrachtet wird. Wenn wir die Sitte des Tauschens aus der menschlichen Natur ableiten wollen, dann sollten wir uns mit Hobbes[57] zunächst an „drei hauptsächliche Konfliktursachen“ erinnern: „Erstens Konkurrenz, zweitens Mißtrauen (defensio, Abwehr), drittens Ruhmsucht.“ Die Grundlage sei der „konstitutive[] Egoismus“ des Menschen[58]. „«Homo homini lupus» […] Hier ist nicht die Rede von einer irrational-wölfischen Triebnatur, von obsessiver Machtgier, sondern von den Vorbeugungsstrategien der instrumentellen Vernunft; von dem gewaltbereiten offensiven Mißtrauen“[59].

Im Rahmen der knappheitsbedingten Konkurrenz scheint es auf den ersten Blick im Naturzustand am einfachsten, wenn der Mensch sich das Objekt seines Verlangens einfach nimmt, evtl. wenn er es dem anderen stiehlt. Im hobbesschen Sinne sind nämlich „[d]ie Begierden und andere menschlichen Leidenschaften […] an sich keine Sünde. Die aus diesen Leidenschaften entspringenden Handlungen sind es ebenfalls so lange nicht, bis die Menschen ein Gesetz kennen, das sie verbietet: solange keine Gesetze erlassen werden, können sie dieses Gesetz nicht kennen, und es kann kein Gesetz erlassen werden, solange sie sich nicht auf die Person geeinigt haben, die es erlassen soll.“ Hobbes „klagt damit die menschliche Natur [nicht] an“[60].

Die Verhaltensweisen des Menschen im hobbesschen Naturzustand entsprechen dem Interesse seiner Selbsterhaltung. Man muss ständig misstrauisch sein und somit das Schlimmste einkalkulieren, dem Faustrecht der anderen durch eigene Aufrüstung vorbeugen und gegebenenfalls präventiv handeln. Man muss in diesem Sinne ein rationaler homo oeconomicus und dementsprechend egoistisch sein.[61] Am Anfang steht im Naturzustand also „die Vernunft des offensiven Mißtrauens, die […] [durch] rationale Strategie des Wettrüstens den Naturzustand in einen Kriegszustand verwandelt“[62]: „Und wegen des gegenseitigen Mißtrauens gibt es für niemand einen anderen Weg, sich selbst zu sichern, der so vernünftig wäre wie Vorbeugung, das heißt, mit Gewalt oder List nach Kräften jedermann zu unterwerfen, und zwar so lange, bis er keine andere Macht mehr sieht, die groß genug wäre, ihn zu gefährden. Und dies ist nicht mehr, als seine Selbsterhaltung erfordert und ist allgemein erlaubt. Auch weil es einige gibt, denen es Vergnügen bereitet, sich an ihrer Macht zu weiden, indem sie auf Eroberungen ausgehen, die sie über das zu ihrer Sicherheit erforderliche Maß hinaustreiben, könnten andere, die an sich gerne innerhalb bescheidener Grenzen ein behagliches Leben führen würden, sich durch bloße Verteidigung unmöglich lange halten, wenn sie nicht durch Angriff ihre Macht vermehrten. Und da folglich eine solche Vermehrung der Herrschaft über Menschen zur Selbsterhaltung eines Menschen notwendig ist, muß sie ihm erlaubt werden.“[63]

Der hobbessche Naturzustand ist ein rationales Konstrukt, ist eine methodische Konstruktion. Dort kann keine spontane gesellschaftliche Ordnung entstehen. Hobbes geht dabei nicht davon aus, dass es je eine historische Epoche vor der Zivilisation gab, in der alle Menschen im Krieg aller gegen alle lagen, seine Erwägungen verstehen allerdings Notsituationen als solche, in denen der Naturzustand plötzlich da war. Die Katastrophe des Zusammenlebens im offenen Bürgerkrieg wird in der Praxis erst durch die Einsetzung eines Gewaltmonopols verhindert. „Der Mensch ist“ also objektiv, nicht subjektiv, „ein Wolf für den Menschen“[64]: „Um [ihren] Kampf zu beenden, schließen die Menschen einen Vertrag, der die Gesellschaft – so Hobbes – befrieden soll. […] Im Mittelpunkt dieser «frühbürgerlichen Gesellschaftstheorie» steht bei Hobbes – ebenso wie bei Locke – und Rousseau das Vertragsdenken. Freilich wird dieser Vertrag nicht wirklich abgeschlossen, sondern ist eine bloße Fiktion. [[65]] Bildlich gesehen ist das die Vereinigung der Einzelnen zu einer künstlichen Person, dem Leviathan.“[66]

Im hobbesschen Naturzustand herrscht Gleichheit zwischen allen Menschen. Daraus folgt aber eine prinzipielle gegenseitige Gefährdung. „Die Natur hat die Menschen hinsichtlich ihrer körperlichen und geistigen Fähigkeiten so gleich geschaffen, daß trotz der Tatsache, daß bisweilen der eine einen offensichtlich stärkeren Körper oder gewandteren Geist als der andere besitzt, der Unterschied zwischen den Menschen alles in allem doch nicht so beträchtlich ist, […] so ist der Schwächste stark genug, den Stärksten zu töten – entweder durch Hinterlist oder durch ein Bündnis mit anderen, die sich in derselben Gefahr wie er selbst befinden.“[67]

Es gibt nämlich keine Gewissheit[68] darüber, ob ein Nachbar dasselbe Gut – die Knappheit vorausgesetzt – haben will wie ich selbst: „Daraus ergibt sich klar, daß die Menschen während der Zeit, in der sie ohne eine allgemeine, sie alle im Zaum haltende Macht leben, sich in einem Zustand befinden, der Krieg genannt wird, und zwar in einem Krieg eines jeden gegen jeden. Denn Krieg besteht nicht nur in Schlachten oder Kampfhandlungen, sondern in einem Zeitraum, in dem der Wille zum Kampf genügend bekannt ist. Und deshalb gehört zum Wesen des Krieges der Begriff Zeit, wie zum Wesen des Wetters. Denn wie das Wesen des schlechten Wetters nicht in ein oder zwei Regenschauern liegt, sondern in einer Neigung hierzu während mehrerer Tage, so besteht das Wesen des Kriegs nicht in tatsächlichen Kampfhandlungen, sondern in der bekannten Bereitschaft dazu während der ganzen Zeit, in der man sich des Gegenteils nicht sicher sein kann. Jede andere Zeit ist Frieden.“[69]

Eine eindeutige Konsequenz ist das bellum omnium contra omnes, ein permanenter[70] Kriegszustand als ein Spiegelbild des Naturzustandes. Da sind wir bei der zentralen These der hobbesschen Naturzustandskonzeption gelandet: der Naturzustand ist ein Kriegszustand. Kant formuliert dies mit folgenden bekennenden Worten: „Im Zustande des Friedens bin ich sicher durch mein Recht. Im natürlichen durch nichts als meine Gewalt; ich muß jederzeit in der Kriegsrüstung seyn, bin jederzeit bedroht durch andere; also ist dieses ein Zustand des Krieges“[71].

Die hobbessche Gleichheit der Menschen im Naturzustand korrespondiert zwar strukturell der menschenrechtlichen Gleichheit, die Locke in seiner politischen Philosophie gelehrt hat, ist aber nicht mit ihr zu verwechseln. Bei Hobbes gibt es keine naturrechtlichen oder menschenrechtlichen Normen, die eine autonome normative Geltung hätten, d. h. ohne Rücksicht auf die Existenz einer staatlichen Legislatur. „Es kann nur eine einvernehmliche Konfliktlösung in Gestalt eines Vertrages geben, vor dem sich alle als gleiche versammeln, in dem alle als gleiche behandelt werden und durch den alle in gleicher Weise profitieren. Auch wenn der vertragsformale Egalitarismus bei Hobbes sich in einen vertragsinhaltlichen Absolutismus verwandelt, muß man doch in der hobbesschen These von der natürlichen Gleichheit der Menschen im Naturzustand den Beginn der Theoriegeschichte des bürgerlichen Egalitarismus erblicken.“[72] Es handelt sich um eine erste Annäherung im Sinne der Schrift von Kant Idee zu einer allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher Absicht [73] , die wir nachstehend noch näher angehen.

Im hobbesschen Naturzustand finden wir keine natur- oder vernunftrechtliche Verfassungsordnung. Dieser Naturzustand ist kein Naturrechtszustand. Hobbes ist ein eingefleischter Rechtspositivist. Was Recht und Unrecht ist, wird ausschließlich durch die staatliche Legislative normiert: Auctoritas, non veritas facit legem. Eine etwaige Übereinstimmung mit naturrechtlichen oder vernunftrechtlichen Normen hat auf die Gültigkeit der Gesetze keinen Einfluss.[74] „Diebstahl, Totschlag, Ehebruch und alles Unrecht ist nach dem Naturgesetz verboten; was aber als Diebstahl, als Totschlag, als Ehebruch und als Unrecht an einem Bürger gelten soll, hat nicht das natürliche, sondern das bürgerliche Gesetz zu bestimmen.“[75] Also „aus den Verordnungen des Inhabers der höchsten Gewalt [muß] entnommen werden, was […] Unrecht ist.“[76] Dazu steht es nicht im Widerspruch, dass Hobbes gleichlaufend sagt, dass die natürlichen Gesetze „unveränderlich und ewig“[77] sind, da lt. Kersting „Hobbes […] den vertrauten Naturrechtsbegriffen eine gänzlich neue Bedeutung [gibt], die dem traditionellen Verständnis dieser Konzepte widerstreitet.“[78] Und Kersting weiter: „Die natur- und menschenrechtliche These von der Existenz vorstaatlicher subjektiver Rechte wird von Hobbes […] negiert: [Das] Recht, alles zu tun und alles zu nehmen, ist nur eine Umschreibung des Sachverhalts, daß es im Naturzustand keinerlei Rechte gibt, weder handlungsbezogene Freiheitsrechte noch güterbezogene Eigentumsrechte […]. Das Recht auf alles ist ein durchgängig negativ bestimmtes Recht und folglich ein Un-Recht“[79].

Hobbes sagt explizit: „Das natürliche Recht, […] jus naturale genannt, ist die Freiheit eines jeden, seine eigene Macht nach seinem Willen zur Erhaltung seiner eigenen Natur, das heißt seines eigenen Lebens, einzusetzen und folglich alles zu tun, was er nach eigenem Urteil und eigener Vernunft als das zu diesem Zweck geeignete Mittel ansieht. Unter Freiheit versteht man nach der eigentlichen Bedeutung des Wortes die Abwesenheit äußerer Hindernisse. Diese Hindernisse können einem Menschen oftmals einen Teil seiner Macht wegnehmen, das zu tun, was er möchte, aber sie können ihn nicht daran hindern, die ihm verbliebene Macht so anzuwenden, wie es ihm sein Urteil und seine Vernunft gebieten. […] Und weil sich die Menschen […] im Zustand des Kriegs eines jeden gegen jeden befinden, […] so folgt daraus, daß […] jedermann ein Recht auf alles hat […]. Und deshalb kann niemand sicher sein […], die Zeit über zu leben, die die Natur dem Menschen gewöhnlich einräumt […].“[80]

Der von Hobbes dargestellte Naturzustand ist sehr grauenvoll, es handelt sich jedoch um keinen apriorischen „anthropologischen Pessimismus“. Die aktuelle Bürgerkriegssituation in den sog. „failed states“, z. B. in Somalia und vor kurzem im ehemaligen Jugoslawien, zeigt die Realität des hobbesschen Naturzustandes.[81] Auch die Plünderungen auf Haiti und in Chile nach den letzten verheerenden Erdbeben unterstützen die hobbessche Schilderung des Naturzustandes. Jedes Kleinkind, das einmal ein erstes Spielzeug bekommen hat, gibt es nicht freiwillig heraus und es muss ihm beigebracht werden, dass es nicht alles, was es als „gut“[82] betrachtet, auch mitnehmen kann. Und das Streben nach Macht und Überlegenheit in Bezug auf die Position in der Geschwisterreihe, wie es Alfred Adler[83] analysierte, konkretisiert weiter, meiner Meinung nach, die Auffassung von Hobbes. A. W. Price[84] bemerkt hier zutreffend: „It is through maturing that the child grows into «another self».” Das «another self» wird sich bald, wie ich nachstehend zeigen möchte, „klar machen, daß die Mehrzahl der Beziehungen von Menschen untereinander als Tausch gelten kann.“[85]

Die „Angst vor dem Tod“ führt den Menschen dazu, den Hang zum Krieg zu zähmen. Die Vernunft des Menschen treibt ihn schon im Naturzustand dazu, den durch die Vernunft des offensiven Mißtrauens entstandenen Kriegszustand möglichst zu verlassen und sich um einen Frieden zu bemühen. Die „Vernunft postuliert“ deswegen die sog. natürlichen Gesetze und natürlichen Rechte, die man einhalten sollte, um zu überleben, konkret das „Recht auf Selbsterhaltung“.[86] „Die natürlichen Gesetze verpflichten in foro interno, das heißt sie [werden] von unserem Gewissen […] anerkannt, aber [sie verpflichten] in foro externo, das heißt zu ihrer Anwendung, nicht immer.“[87] Dabei, im hobbesschen Sinne, ist „[ e ] in Gesetz der Natur, lex naturalis , eine von der Vernunft ermittelte Vorschrift oder allgemeine Regel, nach der es einem Menschen verboten ist, das zu tun, was sein Leben vernichten oder ihn der Mittel zu seiner Erhaltung berauben kann, und das zu unterlassen, wodurch es seiner Meinung nach am besten erhalten werden kann. […] Recht besteht in der Freiheit, etwas zu tun oder zu unterlassen, während ein Gesetz dazu bestimmt und verpflichtet, etwas zu tun oder zu unterlassen. So unterscheiden sich Gesetz und Recht wie Verpflichtung und Freiheit, die sich in ein- und demselben Fall widersprechen.“[88]

Die natürlichen Gesetze sind induktiv gewonnene Vorschriften, die zur Befriedigung der Selbsterhaltungs- und Glücksinteressen führen, falls sie beachtet werden. In deren Zentrum steht der Imperativ der Friedensbemühungen: „Folglich ist dies eine Vorschrift oder allgemeine Regel der Vernunft: Jedermann hat sich um Frieden zu bemühen, solange dazu Hoffnung besteht. Kann er ihn nicht herstellen, so darf er sich alle Hilfsmittel und Vorteile des Kriegs verschaffen und sie benützen. Der erste Teil dieser Regel enthält das erste und grundlegende Gesetz der Natur, nämlich: Suche Frieden und halte ihn ein. Der zweite Teil enthält den obersten Grundsatz des natürlichen Rechts: Wir sind befugt, uns mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln zu verteidigen. […] [Das] zweite Gesetz der Natur […] entspricht […] der Heiligen Schrift: Was ihr wollt, daß euch andere tun sollen, das tut ihnen, sowie diese[m] für alle Menschen geltende[n] Gesetz: Quod tibi fieri non vis, alteri ne feceris .“[89].

An dieser Stelle spielt der Begriff des Vertrages eine fundamentale Rolle. Jeder Tausch impliziert in sich einen gegenseitig verbindlichen Vertrag. Hobbes sagt, „[d]ie wechselseitige Übertragung von Recht nennt man Vertrag.“[90] Mit Kants Worten geht es hier konkret um den „Akt der vereinigten Willkür zweier Personen“[91]. Und es folgt bei Hobbes „ein drittes [natürliches Gesetz]: Abgeschlossene Verträge sind zu halten. […] Und in diesem natürlichen Gesetz liegen Quelle und Ursprung der Gerechtigkeit. Denn wo kein Vertrag vorausging, wurde auch kein Recht übertragen, und jedermann hat ein Recht auf alles; folglich kann keine Handlung ungerecht sein. Wurde aber ein Vertrag abgeschlossen, so ist es ungerecht, ihn zu brechen; und die Definition der Ungerechtigkeit lautet nicht anders als «die Nichterfüllung eines Vertrags». Und alles, was nicht ungerecht ist, ist gerecht. Weil aber auf gegenseitigem Vertrauen beruhende Verträge ungültig sind, wenn […] eine der beiden Parteien die Nichterfüllung befürchtet, so kann es tatsächlich – obwohl der Ursprung der Gerechtigkeit im Abschluß von Verträgen liegt – solange keine Ungerechtigkeit geben, bis die Ursachen dieser Furcht beseitigt sind. Solange die Menschen im natürlichen Kriegszustand leben, kann dies nicht geschehen. Bevor man deshalb von «gerecht» und «ungerecht» reden kann, muß es eine Zwangsgewalt geben, um die Menschen gleichermaßen durch die Angst vor einer Bestrafung zur Erfüllung ihrer Verträge zu zwingen, die gewichtiger ist als der Vorteil, den sie sich vom Bruch ihres Vertrags erhoffen, und um das Eigentum zu sichern, das die Menschen durch gegenseitigen Vertrag als Entschädigung für das aufgegebene universale Recht erwerben. Eine solche Macht gibt es aber vor Errichtung eines Staates nicht […], und wo keine Zwangsgewalt errichtet wurde, das heißt, wo es keinen Staat gibt, gibt es kein Eigentum, da alle ein Recht auf alles haben: deshalb ist nichts ungerecht, wo es keinen Staat gibt. So liegt also das Wesen der Gerechtigkeit im Einhalten gültiger Verträge. Aber die Gültigkeit von Verträgen beginnt erst mit der Errichtung einer bürgerlichen Gewalt, die dazu ausreicht, die Menschen zu ihrer Einhaltung zu zwingen, und mit diesem Zeitpunkt beginnt auch das Eigentum.“[92]

Letztendlich findet also die Vernunft in der „Rechtsentsagung“ die Grundlage, die in der Konsequenz „ein zwischenmenschliches politisches Leben“ ermöglicht[93]: „Auf das Recht auf irgendetwas verzichten heißt sich der Freiheit begeben, einen anderen daran zu hindern, den Nutzen aus seinem Recht hierauf zu ziehen. Denn verzichtet jemand auf sein Recht oder überträgt er es, so gibt er damit niemandem ein Recht, das dieser nicht vorher schon besessen hätte, da es nichts gibt, worauf nicht jedermann von Natur aus ein Recht hätte. Er gibt vielmehr dem anderen nur den Weg frei, damit dieser sein eigenes ursprüngliches Recht ohne eine von ihm verursachte Behinderung ausüben kann, nicht aber ohne Behinderung durch einen anderen. So liegt die Wirkung, die der Wegfall des Rechts eines anderen auf jemanden hat, in einer entsprechenden Verringerung der Hindernisse in der Ausübung seines eigenen ursprünglichen Rechts.“[94] „Und die Vernunft legt die geeigneten Grundsätze des Friedens nahe, auf Grund derer die Menschen zur Übereinstimmung [also zu einem Vertrag] gebracht werden können.“[95]

Über den Begriff der Gerechtigkeit kommen wir zur Moralität und umgekehrt. Im Kapitel „Moralität des Tausches“[96] charakterisiert Campagna den „Tausch […] als beiderseitiges Geben und Nehmen. Der Tausch setzt also […] Reziprozität – aber nicht unbedingt auch Symmetrie und Proportionalität – im Geben und Nehmen voraus.“[97] Dies führt direkt zu Aristoteles[98]: „Denn in vielen Fällen stimmen die Reziprozität und ausgleichende Gerechtigkeit nicht überein.“ Wobei „das Gerechte […] das Proportionale [ist]; das Ungerechte ist, was die Proportionalität verletzt.“[99] „Folglich wird das ausgleichende […] Gerechte das Mittlere zwischen Verlust und Gewinn sein.“[100]

Hobbes fasst alle natürlichen Gesetze zu einer „leicht einsehbaren Maxime“ zusammen, „welche lautet: Füge einem anderen nicht zu, was du nicht willst, daß man dir zufüge.“[101] „Obwohl er die natürlichen Gesetze als «Wege zum Frieden» charakterisiert hatte, […] ist Hobbes der Auffassung, daß sie als solche ungeeignet sind, den Zustand des Krieges aller gegen alle zu beenden. […] Mit [seiner] Qualifizierung der natürlichen Gesetze als Gewissensregeln macht Hobbes deutlich, daß auch der gute Wille der einzelnen […] nicht zur Realisierung des Rechtsfriedens hinreicht“[102]. „In diesem Zusammenhang erwähnt Hobbes das Sprichwort, daß «unter den Waffen die Gesetze schweigen» [[103] ]. [In der] Auslegung, die er ihm gibt, […] gilt [es] auch «in bezug auf das natürliche Gesetz, wenn man es nicht nur auf die Gesinnung, sondern auch auf das Handeln bezieht» [[104] ], […] weil man sich durch eine […] einseitige Befolgungsbereitschaft [der natürlichen Gesetze] nur zum Opfer fremder Willkür machen würde.“[105]

Ganz konkret in Bezug auf die Einhaltung der Verträge und somit den Begriff der Gerechtigkeit lesen wir bei Hobbes: „Da die Kraft von Worten […] zu schwach ist, um die Menschen zur Erfüllung ihrer Verträge anzuhalten, gibt es in der menschlichen Natur nur zwei denkbare Hilfsmittel zu ihrer Stärkung, und diese sind einmal die Furcht vor den Folgen eines Wortbruches, oder aber das Gefühl des Ruhms oder Stolzes, als jemand dazustehen, der einen Wortbruch nicht nötig hat. Dieser letzte Fall ist ein Edelmut, den man zu selten antrifft, daß er vorausgesetzt werden könnte.“[106]

Von Bedeutung ist also: „Die staatliche Gewalt ermöglicht erst die Durchsetzung dieser Gesetze, denn ohne die sichtbare Gewalt des allmächtigen Leviathan […] gibt es keine Instanz, die für die Einhaltung der Verträge sorgen könnte.“[107]

Hobbes zeigt zwei Wege zu einem Staat, beide werden durch die Angst charakterisiert. Der „Staat durch Einsetzung“[108] eines Souveräns, durch einen Gesellschaftsvertrag, entsteht durch die Angst der Menschen voreinander. In diesem Zusammenhang verzichten alle auf ihr Naturrecht und schaffen durch „eine wirkliche Einheit aller in ein und derselben Person, die durch Vertrag eines jeden mit jedem zustande kam“ den Staat, den Hobbes „Leviathan“ nennt und als „sterblichen Gott“ klassifiziert. „Denn durch diese ihm von jedem einzelnen im Staate verliehene Autorität steht ihm so viel Macht und Stärke zur Verfügung, die auf ihn übertragen worden sind, daß er durch den dadurch erzeugten Schrecken in die Lage versetzt wird, den Willen aller auf den innerstaatlichen Frieden und auf gegenseitige Hilfe gegen auswärtige Feinde hinzulenken.“[109] Der hobbessche Vertrag ist kein Herrschafts- und Unterwerfungsvertrag[110] zwischen den Untertanen und dem eingesetzten Souverän – er stellt eine fundamental neue, bis dahin unbekannte, Konzeption dar. Der hobbessche Gesellschaftsvertrag ist ein Begünstigungs- und Autorisierungsvertrag zu Gunsten des durch den Vertrag geschaffenen Herrschers, der ein Herrschaftsbegründungsprogramm beinhaltet, „das den gesellschaftsvertraglichen Egalitarismus zur Rechtsgrundlage eines absolutistischen Staates macht. […] In der politischen Philosophie Hobbes‘ müssen zwei Vertragsinhaltsargumente unterschieden werden. Das eine stellt einen Rechtsverzicht ins Zentrum des Vertrages; das andere macht eine Autorisierungshandlung zum Vertragsinhalt. Das erste wird von Hobbes […] in De Cive [[111] ] entwickelt; das zweite findet sich erst im Leviathan [[112] ] .[113]

Das Hauptziel des Gesellschaftsvertrages ist die Beendigung des Krieges aller gegen alle. „Aber wie die Menschen zur Erlangung von Frieden und Selbsterhaltung einen künstlichen Menschen geschaffen haben, genannt Staat, so haben sie auch künstliche Ketten geschaffen, die man bürgerliche Gesetze nennt.“[114] Die hobbessche politische Philosophie ist eine methodische Friedenswissenschaft. Der „politische Staat“[115], der von Hobbes konstruierte Leviathan ist eine „Erfindung […], die die Quelle allen vermeidbaren Übels“ durch sein Machtmonopol abdichten und politische Stabilität und friedliches Zusammenleben aller Bewohner sichern soll[116]. „Die Konstitution staatlicher Herrschaft durch den Rechtsverzichtsvertrag fügt dem Recht keine neue Dimension zu, schafft kein neues Recht. Das Herrschaftsrecht ist vom ius in omnia weder formal noch inhaltlich unterschieden. […] Der begünstigende Rechtsverzicht hebt die Konkurrenz der iura in omnia et omnes auf […]. Der Souverän ist […] eine natürliche Person, die zur Ermöglichung der Friedensordnung ihr ius in omnia als einzige behält und ungehindert ausüben kann.“[117]

Der zweite Weg in den Staat ist der „Staat durch Aneignung“, „wenn z. B. jemand […] seine Feinde seinem Willen dadurch unterwirft, daß er ihnen unter dieser Bedingung das Leben schenkt.“[118] Die Furcht der Untertanen vor der Gewalt des Siegers garantiert Frieden.

Der Herrscher, der Leviathan, ist Produkt der jeweiligen wechselseitigen Unterwerfungsverträge der Naturzustandsbewohner. Er ist keine Vertragspartei, er ist Begünstigter und Destinatär des Gesellschaftsvertrages. Er kann daher schon prinzipiell keinen Vertragsbruch begehen. Für den Herrscher – und nur für ihn – gilt ein grenzenloses ius ad omnia. Da er keine Vertragspartei ist, ist er an innerstaatliches Recht nicht gebunden und ein überstaatliches Recht gibt es nicht in der hobbesschen Theorie.[119] „Der Souverän ist der Kopf des Leviathan, die Staatsbediensteten sind seine Glieder. Da der Monarch die einzige Quelle des Rechts ist, folgt daraus […] notwendigerweise“[120]: „Der Souverän eines Staates, ob Versammlung oder Einzelperson, ist den bürgerlichen Gesetzen nicht unterworfen.“[121]. Der hobbessche Vertrag ist also ein Herrschaftsbegründungsvertrag, kein Herrschaftsbegrenzungsvertrag. Der hobbessche Staat ist ein absolutistischer Staat; es gibt keine Norm, die in Bezug auf das Naturrecht oder auf ein Vernunftrecht den Leviathan in seinen Machtbefugnissen limitieren, oder bürgerliche Grundrechte bzw. etwaige Menschenrechte gewähren würde. Hobbes begründet und legitimiert mit seinem Vertragskonzept eine absolute unteilbare Staatsgewalt.[122]

Dies schließt auch die Kirche ein, auch sie muss dem Leviathan untergeordnet sein. Der staatliche Souverän ist gleichzeitig das Oberhaupt der Kirche. Da „das Reich Christi nicht von dieser Welt ist, […] können seine Diener keinen Gehorsam in seinem Namen fordern, es sei denn, sie sind Könige, […] die Gott dazu bestimmt hat, souveräne Gewalt über uns zu haben.“[123]

Wir sehen, dass der Schwerpunkt der hobbesschen Staatslehre die absolute Souveränität des Herrschers ist. Seine absolute Herrschaft ist eine sowohl hinreichende als auch notwendige Bedingung für das Ende des Kriegszustandes und die Schaffung des Friedens im Innern des entstandenen Staates. Sie sorgt für das Ende des „Behemoth“, des Bürger krieges im Naturzustand[124]. Oft wird beanstandet[125], dass die hobbessche kontraktualistische Konzeption im Widerspruch zum gegenseitigen Misstrauen der Menschen in dem von ihm charakterisierten Naturzustand steht und dass sie nicht zu einem Staat führen kann. Abgesehen davon, dass die hobbessche Vertragstheorie keine historische Zeittafel präsentiert und eine hypothetische Argumentationskonstruktion ist, möchte ich daran erinnern, dass das Chaos des Englischen Bürgerkrieges, das Hobbes vor Augen hatte[126], und das eine konkrete historische Realisierung des Naturzustands war, doch überwunden wurde. Wie erkennt die Vernunft, dass es klüger ist, sich dem Frieden (mit dem Ziel der Selbsterhaltung), als dem Selbsterhaltungszweck (notfalls durch Gewalt als Mittel), unterzuordnen? Die Antwort finden wir bei Hobbes: „Denn Klugheit ist nur Erfahrung, die alle Menschen, die sich gleich lang mit den gleichen Dingen beschäftigen, gleichermaßen erwerben.“[127] Daraus folgt: Nach gewisser Zeit mit der letzteren Alternative sagt die schlechte Erfahrung den Menschen, dass die erste Alternative in Form eines Gesellschaftsvertragsabschlusses (Tausch Freiheit gegen Frieden) für alle vorteilhafter wäre.

Für Hobbes gibt es ein eindeutiges tertium non datur: entweder Anarchie oder absolute Herrschaft. John Locke[128] hat 1689 hingegen behauptet, dass der Absolutismus nicht die eindeutige Konsequenz der hobbesschen Prämissen sei. Lt. Locke gibt es doch ein Drittes zwischen dem Naturzustand und einem absolutistischen Staat, nämlich die konstitutionelle Herrschaft mit einer gesetzlich normierten Gewaltausübung. Man darf aber nicht vergessen, dass er jedoch den Naturzustand nicht so negativ sieht wie Hobbes, obwohl es auch für ihn klar ist, dass es kein absolutes, angeborenes Sittengesetz gibt. Auch bei Locke wird der Naturzustand in Form eines wechselseitigen Vertrages der Naturzustandsbewohner überwunden. Hobbes hat sämtliche eine absolute Herrschaft mäßigende Mittel explizit oder implizit negiert, in erster Linie eine Verfassungs- und Gesetzesbindung des Souveräns sowie eine Gewaltenteilung. Der Leviathan ist kein Rechtstaat und noch weniger ein Verfassungsstaat.[129]

Transzendentaler Tausch

Wir haben gesehen, dass der Staat, der „Leviathan“, keine gleichberechtigte Vertragspartei in der Theorie von Hobbes ist. Der Leviathan ist bekanntlich ein pragmatisches Produkt des Gesellschaftsvertrages, der das primäre Ziel hat, Freiheit gegen Frieden zu tauschen.[130] Höffe spricht von einem „ transzendentale[n] Tausch[131] und folgt: „Wo Interessen unaufgebbar [Hervorhebungen durch V. M.] […] sind, dort überträgt sich die Unaufgebbarkeit auf die Wechselseitigkeit; in seinen Optionen ist man nicht mehr frei; der entsprechende Tausch ist unverzichtbar.“[132] Dieser transzendentale Tausch „verlangt […] von jedem [Mitmenschen] eine Leistung. Und deren Minimum heißt: keine Gewalt auszuüben, woraus die Integrität von Leib und Leben folgt.“[133] „Die eigene Fähigkeit, Täter von Gewalt zu sein, tauscht man für das Interesse ein, fremder Gewalt nicht zum Opfer zu fallen.“[134] Hobbes spricht in diesem Zusammenhang vom „Staat durch Einsetzung[135]. An dieser Stelle möchte ich noch die folgende Anmerkung von Tugendhat hinzufügen, und zwar, dass die hobbessche „Rechtfertigung des Staates aus dem egoistischen Interesse eines jeden“ sicher auf den ersten Blick verschieden ist von einer „moralische[n] Rechtfertigung des Staates […] aber beide Weisen der Rechtfertigung [laufen] inhaltlich auf dasselbe hinaus, weil wir bei allen, die sich aus kontraktualistischen Gründen auf einen Staat einigen, voraussetzen können, daß sie dieses Interesse haben.“[136]

Wenn der Staat infolge des vorstehend erwähnten hypothetischen „transzendentalen Tauschvertrages“, des o. g. Gesellschaftsvertrages, als Garant der Einhaltung u. a. der Tausch-, Kauf- und Dienstverträge schon da ist, dann landen wir nolens volens bei Steuern. Diese spielen bei der Erzwingung staatlicher Gesetze eine besondere Rolle, wie Simmel zeigt: „Es ist […] ganz ungenau, wenn man vom Staate sagt, er erzwinge die Befolgung seiner Gesetze. Er kann tatsächlich niemanden dazu zwingen, seiner Militärpflicht zu genügen oder das Leben und Eigentum andrer zu achten oder ein Zeugnis abzulegen, sobald der Betreffende nur bereit ist, es auf die Strafen für die Gesetzesverletzung ankommen zu lassen; was der Staat in diesem Falle erzwingen kann, ist nur, daß der Sünder diese Strafen erdulde. Nur in Hinsicht auf eine einzige Gesetzeskategorie ist der Zwang zur positiven Erfüllung möglich: auf die Steuerpflicht. Die Erfüllung derselben (wie die der geldwerten privatrechtlichen Verpflichtungen) kann allerdings im strengsten Sinne des Wortes erzwungen werden, indem dem Pflichtigen der betreffende Wert mit Gewalt abgenommen wird.“[137]

Olson[138] beschreibt die von Simmel betonte Entstehung des Zwanges zur positiven Erfüllung bei der Steuerpflicht mit folgenden Worten „Wenn der Anführer einer umherziehenden Räuberbande […] stark genug ist, sich in einem gegebenen Territorium durchzusetzen und andere Banditen fernzuhalten, kann er Verbrechen in diesem Gebiet monopolisieren – er wird ein stationärer Bandit. [Hobbes spricht in diesem Falle vom «Staat durch Aneignung »[139], Anm. von V. M.] Der Vorteil dieses Monopols auf Verbrechen ist nicht in erster Linie, dass er sich nehmen kann, was andere sonst gestohlen hätten; wichtiger ist, dass das Monopol ihm ein umfassendes Interesse an dem Gebiet gibt. […] Er ist der einzige, der in dem fraglichen Gebiet in der Lage ist zu besteuern oder zu stehlen. Dieses Monopol auf Diebstahl ändert die Anreize in dramatischer Weise. […] Erstens veranlasst ihn sein umfassendes Interesse dazu, den Prozentsatz der Abgaben zu verringern, die er von jedem Opfer seines Diebstahls erzwingt. […] Der stationäre Bandit, der ein Gebiet dauerhaft beherrscht [er wird aus einem Anführer einer «Räuberbande»[140] zum «Inhaber der souveränen Gewalt»[141] – Anm. v. V. M.], [möchte,] dass die Opfer ein Motiv haben zu produzieren und gegenseitig vorteilhaften Tausch durchzuführen. Je größer das Einkommen ist, das die Opfer des Diebstahls erzielen, umso mehr ist zu holen.“ In letzter Konsequenz wird der stationäre Bandit zu „[ e ] in [ em ] Wohltäter für die von ihm Beraubten. Die zweite Art, in der die umfassenden Interessen [Hervorhebungen durch V. M.] des stationären Banditen seine Anreize ändern, besteht darin, dass sie ihm einen Anreiz geben, öffentliche Güter bereitzustellen, die seinem Gebiet und denjenigen zugutekommen, die er mit seiner Steuer bestiehlt. […] Wir wissen, […] dass viele öffentliche Güter die Gesellschaft produktiver machen, wie Dämme, die gegen Überflutung schützen, die Polizei, die von Verbrechen abschreckt, und Quarantänen, die ansteckende Krankheiten abwehren.“[142] Es findet hierbei ein Tausch zwischen dem stationären Banditen und seinen Untertanen statt: er erhält „seine“ Steuern und sie bekommen seine „Wohltaten“ zu spüren.

Summa summarum: Der zum Souveränen aufgestiegene stationäre Bandit „gleicht nicht dem Wolf, der den Elch jagt, sondern eher dem Landwirt, der dafür sorgt, dass sein Vieh geschützt und mit Wasser versorgt wird.“[143]. Im Einklang mit diesen Ausführungen lesen wir bei Simmel (obwohl er von Olson nicht erwähnt ist): „Denn der kluge Despotismus wird immer diejenige Form für seine Forderung wählen, welche dem Untertanen möglichste Freiheit in seinen rein individuellen Beziehungen läßt. Die furchtbaren Tyrannien der italienischen Renaissance sind doch zugleich die Pflanzstätten der vollkommensten und freiesten Ausbildung des Individuums in seinen idealen und Privatinteressen geworden, und zu allen Zeiten – vom römischen Kaisertum bis zu Napoleon III. – hat der politische Despotismus in einem ausschweifenden privaten Libertinismus seine Ergänzung gefunden. Der Despotismus wird um seines eigenen Vorteils willen seine Forderungen auf dasjenige beschränken, was ihm wesentlich ist, und Maß und Art desselben dadurch erträglich machen, daß er in allem übrigen möglichst große Freiheit gibt. Die Forderung der Geldleistung vereinigt beide Gesichtspunkte in der denkbar zweckmäßigsten Weise: die Freiheit, die sie nach der rein privaten Seite hin gestattet, verhindert absolut nicht die Entrechtung nach der politischen, die sie so oft vollbracht hat.“[144]

[...]


[1] Kafka, 1997c, S. 2, 3 bzw. Kafka, 2007, S. 9.

[2] Kafka, 1997b, S. 58, 59; Kafka, 2007, S. 233.

[3] Kafka, 1997a, S. 6, 7 bzw. Kafka, 2007, S. 236.

[4] Kafka, 1997a, S. 14, 15 bzw. Kafka, 2007, S. 239.

[5] Kafka, 1997a, S. 20, 21 oder Kafka, 2007, S. 240, 241.

[6] Kafka, 1997a, S. 22, 23; Kafka, 2007, S. 241.

[7] Kafka, 1997a, S. 24, 25 oder Kafka, 2007, S. 241.

[8] Vgl. Kafka, 1915 (s. hier auch Kafka, 1997b, S. 42-47 bzw. Kafka, 2007, S. 226-227) und Derrida, 2005, S. 30-89.

[9] Kant, 2004, S. 354.

[10] Kant, 2004, S. 66, 67.

[11] Vgl. Kersting, 2005, S. 1, 5.

[12] Aristoteles, 2003, S. 78 [1253a].

[13] Vgl. Kersting, 2005, S. 9-11; Voigt, 2009, S. 120.

[14] Voigt, 2009, S. 121.

[15] Voigt, 2009, S. 221, 226.

[16] Das bekannteste – 1513 verfasste – Buch von Machiavelli ist sicher Il Principe (Machiavelli, 1532a). Russell (2009, S. 513, 516) empfiehlt aber auch parallel hierzu Machiavellis 1513-1517 gleichlaufend geschriebene Discorsi (Machiavelli, 1532b) zu lesen, um die liberale Seite dieses politischen Schriftstellers nicht zu übersehen und ihn besser zu verstehen.

[17] Russell, 2009, S. 565, 555.

[18] Vgl. Kersting, 2008, S. 14, 15; s. auch Kersting, 2005, S. 3, 4.

[19] Grotius, 1625.

[20] Bodin, 1593; 1981, 1986.

[21] Vgl. Thiele, 2008, S. 58.

[22] S. Thiele, 2008, S. 61.

[23] Vgl. Bodin, 1981, S. 213 und Thiele, 2008, S. 59, 61.

[24] Bodin, 1981, S. 205.

[25] Bodin, 1981, S. 98.

[26] Vgl. Thiele, 2008, S. 20.

[27] Thiele, 2008, S. 20, 21.

[28] S. Thiele, 2008, S. 23.

[29] Thiele, 2008, S. 22.

[30] Vgl. Thiele, 2008, S. 23.

[31] S. Thiele, 2008, S. 24.

[32] Vgl. Schäfer, 2010, S. 2.

[33] S. The Virginia Declaration of Rights, June 12, 1776, Section 1.

[34] Vgl. Smith, 1796.

[35] Olson, 2002, S. 59.

[36] N. B. Man sollte hier vielleicht anmerken, dass für Kersting (2009, S. 46) aber die „unsichtbare Hand […] ein Mythos der Entproblematisierung moralschädigender Auswirkungen wirtschaftlichen Handelns“ ist.

[37] Simmel, 1989, S. 89.

[38] Hobbes, 1959, S. 59.

[39] Mayer-Tasch, 1964, S. 118.

[40] Rousseau, 2008, S. 211, 213.

[41] Vgl. auch Kersting, 2005, S. 142.

[42] Hobbes, 1651; 1966.

[43] Rousseau, 1762.

[44] Vgl. Rousseau, 2003, S. 17, 18 und Rousseau, 1962, S. 244.

[45] Vgl. Kersting, 2005, S. 149.

[46] Vgl. Adam, 2002, S. 193.

[47] Hobbes, 1966, S. 166.

[48] Bloch, 2010, S. 290.

[49] Asbach, 2000, S. 245

[50] Bloch, 2010, S. 290.

[51] Kersting, 2009, S. 8.

[52] Hobbes, 1966, S. 41; vgl. auch Hobbes, 1959, S. 22, 23.

[53] Vgl. Schäfer, 2010, S. 3.

[54] Hobbes, 1959, S. 112.

[55] Vgl. Schäfer, 2010, S. 3.

[56] Hobbes, 1990, S. 209, 210.

[57] S. Hobbes, 1966, S. 95.

[58] Kersting, 2005a, S. 109.

[59] Kersting, 2005a, S. 111; vgl. auch Kersting, 2005, S. 67.

[60] Hobbes, 1966, S. 97.

[61] Vgl. Kersting, 2005, S. 67.

[62] Kersting, 2008a, S. 173.

[63] Hobbes, 1966, S. 95.

[64] Hobbes, 1959, S. 59.

[65] Fetscher, 1966, S. XXIV.

[66] Voigt, 2000, S. 46.

[67] Hobbes, 1966, S. 94.

[68] Vgl. Schäfer, 2010, S. 4.

[69] Hobbes, 1966, S. 96.

[70] Vgl. Schäfer, 2010, S. 4.

[71] Kant, 1934, S. 476, Reflexion 7646.

[72] Kersting, 2005, S. 68, 69.

[73] Kant, 1912, S. 23.

[74] Vgl. Kersting, 2005, S. 73.

[75] Hobbes, 1959, S. 142.

[76] Hobbes, 1959, S. 144.

[77] Hobbes, 1966, S. 121.

[78] Kersting, 2005, S. 73.

[79] Kersting, 2005, S. 74, 75.

[80] Hobbes, 1966, S. 99, 100.

[81] Vgl. auch Thiele, 2008, S. 29.

[82] S. Hobbes, 1966, S. 41; vgl. auch Hobbes, 1959, S. 22, 23.

[83] S. Adler 1973, S. 138-142.

[84] S. Price, 2006, S. 232.

[85] Simmel, 1989, S. 59.

[86] Vgl. Schäfer, 2010, S. 4.

[87] Hobbes, 1966, S. 121.

[88] Hobbes, 1966, S. 99.

[89] Hobbes, 1966, S. 99, 100.

[90] Hobbes, 1966, S. 102.

[91] Kant, 2004, S. 118.

[92] Hobbes, 1966, S. 110, 111.

[93] Vgl. Schäfer, 2010, S. 5.

[94] Hobbes, 1966, S. 100.

[95] Hobbes, 1966, S. 98.

[96] Campagna, 2005, S. 105 ff.

[97] Campagna, 2005, S. 108.

[98] Aristoteles, 2006, S. 172 [1132b].

[99] Aristoteles, 2006, S. 169 [1131b].

[100] Aristoteles, 2006, S. 170 [1132a].

[101] Hobbes, 1966, S. 120, 121.

[102] S. Hünig, 2000, S. 148.

[103] Hobbes, 1959, S. 124.

[104] Hobbes, 1959, S. 124.

[105] S. Hünig, 2000, S. 149, 150.

[106] Hobbes, 1966, S. 108.

[107] Voigt, 2000, S. 49.

[108] Hobbes, 1966, S. 135.

[109] Hobbes, 1966, S. 134.

[110] Vgl. Thiele, 2008, S. 20, 21.

[111] S. Hobbes, 1642.

[112] S. Hobbes, 1651.

[113] Kersting, 2005, S. 83; vgl. auch Peters, 2005, S. 20.

[114] Hobbes, 1966, S. 164.

[115] Hobbes, 1966, S. 135.

[116] Vgl. Kersting, 2005a, S. 47.

[117] Kersting, 2005, S. 85.

[118] Hobbes, 1966, S. 135.

[119] Vgl. auch Mayer-Tasch, 1964, S. 119.

[120] Voigt, 2000, S. 50.

[121] Hobbes, 1966, S. 204.

[122] Vgl. Kersting, 2005, S. 96.

[123] Hobbes, 1966, S. 379, 381.

[124] Vgl. Hobbes, 1679.

[125] Vgl. Kersting, 2005, S. 81.

[126] Vgl. Hobbes, 1679.

[127] Hobbes, 1966, S. 94.

[128] Vgl. Locke, 1977, S. 257-259.

[129] Vgl. auch Kersting, 2000, S. 91, 92.

[130] S. Hobbes, 1966, S. 131, 134, 135.

[131] Höffe, 1998, S. 34.

[132] Höffe, 1998, S. 37.

[133] Höffe, 1998, S. 35.

[134] Höffe, 1998, S. 75.

[135] Hobbes, 1966, S. 135.

[136] Tugendhat, 1993, S. 350.

[137] Simmel, 1989, S. 546.

[138] Olson, 2002, S. 20, 21.

[139] Hobbes, 1966, S. 135.

[140] Vgl. Bodin, 1981, S. 98.

[141] Bodin, 1981, S. 213.

[142] Olson, 2002, S. 23.

[143] Olson, 2002, S. 26.

[144] Simmel, 1989, S. 547, 548.

Ende der Leseprobe aus 171 Seiten

Details

Titel
Das kafkasche Reich
Untertitel
Eine rechtsphilosophische Untersuchung der Staatstheorien von Hobbes und Rousseau
Autor
Jahr
2012
Seiten
171
Katalognummer
V202787
ISBN (eBook)
9783656286271
ISBN (Buch)
9783656287919
Dateigröße
942 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Staatstheorien, Hobbes, Rousseau, Widerstandsrecht, Völkerrecht
Arbeit zitieren
V. R. Matthias (Autor:in), 2012, Das kafkasche Reich, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/202787

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