Die Rolle transnationaler Konzerne in Entwicklungsländern am Beispiel der indischen Landwirtschaft - Zur Aktualität der Dependenztheorie


Bachelorarbeit, 2011

53 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Dimensionen der Dependenztheorie
2.1 Entstehungsgeschichte und theoretischer Ursprung
2.2 Kernaussagen
2.3 Modelltheoretisches Fundament
2.4 Theoretische Ansätze
2.4.1 Strukturalistischer Ansatz
2.4.2 Die Ausbeutungsthese
2.4.2.1 Indirekte Ausbeutung
2.4.2.2 Direkte Ausbeutung
2.5 Merkmale Transnationaler Konzerne
2.6 Die dependenztheoretische Sicht auf Transnationale Konzerne

3 Transnationale Konzerne in Entwicklungsländern – das Beispiel Indien und Bt cotton
3.1 Die Rolle Transnationaler Agrarkonzerne in Entwicklungsländern
3.2 Indien – Schwellen- oder Entwicklungsland?
3.3 Geschichte des indischen Agrarsektors von der Kolonialzeit bis heute
3.4 Was ist Bt cotton ?
3.5 Die Einführung von Bt cotton in Indien
3.6 Der Misserfolg von Bt cotton in Andhra Pradesh
3.6.1 Finanzielle und soziale Folgen für die indischen Kleinbauern
3.6.2 Die wirtschaftlichen Gewinne Monsantos

4 Die Konsequenzen der wirtschaftlichen Tätigkeit Transnationaler Konzerne in Entwicklungsländern – Globalisierungsproblem oder Folge struktureller Abhängigkeit?

5 Fazit

Literaturverzeichnis

1 Einleitung

Die seit den 1980er Jahren immer schneller voranschreitende Globalisierung hat zur Integration der Volkswirtschaften vieler Entwicklungsländer (EL) in die internationale Produktion und den Welthandel geführt. Dabei ist jedoch von Land zu Land unterschiedlich, ob diese Integration die Entwicklung aller wirtschaftlichen Sektoren fördert und zur Verminderung der Armut beiträgt oder ob sie die Not der Bevölkerung sogar noch vergrößert (vgl. Nübler 2003, 15ff.). Denn die Öffnung der Märkte und Liberalisierung des Handels bedeutet auch eine Zunahme an ausländischen Direktinvestitionen durch Transnationale Konzerne (Transnational Corporations, TNCs) sowie die Verstärkung der internationalen Arbeitsteilung (vgl. Schirm 2007, 80).

Die erhöhte wirtschaftliche Aktivität von TNCs in Entwicklungsländern bedingt auf der einen Seite zwar wirtschaftlich es Wachstum (vgl. Nübler 2003, 28). Auf der anderen Seite gibt es aber auch Negativeffekte, die unter anderem an der sozialen Situation einzelner Bevölkerungsgruppen erkennbar sind (vgl. ebd.). In Indien beispielsweise müssen Kleinbauern als Folge der internationalen Arbeitsteilung von der Subsistenzwirtschaft (der gebrauchswertorientierten Produktion für den Eigenbedarf sowie lokale und regionale Märkte) (vgl. Menzel 2010, 126; Mann 2005, 142f.) zur kommerzialisierten Form der Landwirtschaft übergehen, um größere Mengen für den Export zu produzieren (vgl. Wuppertal Institut 2005, 100f.). Bereits Anfang des 19. Jahrhunderts wurden hier deshalb traditionelle Anbauprodukte, wie z.B. Hirse, in vielen Regionen durch sogenannte „cash crops“ ersetzt (vgl. Mann 2005, 27). Diese haben einen höheren Geldwert als Grundnahrungsmittel und dienen überwiegend dem Verkauf auf dem Weltmarkt (vgl. Barratt Brown 1993, 29). Für ihren Anbau bedarf es heutzutage jedoch einer kapital- und chemikalienintensiveren Methode des Landbaus sowie des Gebrauchs von gentechnisch verändertem Saatgut, wodurch wiederum Transnationale Agrarkonzerne profitieren (vgl. Wuppertal Institut 2005, 101ff.).

Einer dieser Konzerne ist Monsanto, ein Transnationales Agrarunternehmen mit Sitz in den USA, der in Indien u.a. die gentechnisch veränderte Bt -Baumwolle (oder auch Bt cotton) vertreibt. Laut Konzern steigert Bt cotton den Ertrag und verringert die Kosten für Bauern, sodass es aktiv zur Armutsminderung beiträgt (vgl. Monsanto 2005, 2011). Doch seit einigen Jahren häufen sich Beiträge in Presse und Literatur, die Sorte halte nicht das, was sie verspreche, sondern führe vor allem unter den Kleinbauern Indiens zu hohen Schulden und sogar Selbstmord (vgl. The New York Times 31.05.2006; Robin 2008). Monsanto hingegen mache durch den Verkauf des Saatguts Millionengewinne (vgl. ebd.). Anhand dieses Beispiels diskutiert die vorliegende Arbeit, ob und inwieweit die Tätigkeiten Transnationaler Konzerne positive oder negative Folgen für Entwicklungsländer haben.

Die Hintergründe und Konsequenzen dieses Zusammenhangs werden mit Hilfe der in den 1960er Jahren entstandenen Dependenztheorie erläutert. Obwohl in vielfacher Hinsicht kritisiert und für obsolet erklärt (vgl. Bachinger/Matis 2009, 140; Shie/Meer 2010, 84), hat diese Entwicklungstheorie, wie gezeigt werden wird, bezüglich der internationalen wirtschaftlichen Verhältnisse immer noch einen großen Erklärungswert. Denn die Ursachen für die Unterentwicklung und Armut der Entwicklungsländer sieht sie, anders als ihr theoretisches Gegenstück, die Modernisierungstheorie, nicht in internen Faktoren (z.B. Mangel an Rationalisierung oder institutioneller Regelung) (vgl. Nohlen/Nuscheler 1992a, 34), sondern „als Konsequenz [ihrer, C.S.] spezifischen Einbindung […] in den von den kapitalistischen Staaten beherrschten Weltmarkt“ (Bachinger/Matis 2009, 124). Sie begreift daher externe Faktoren wie den Handelsaustausch mit den Industrieländern (IL) und den Kapital- und Technologietransfer Transnationaler Konzerne als Entwicklung hemmende Aspekte (vgl. Nohlen/Nuscheler 1992a, 46). Dabei stehen die sogenannte strukturelle Abhängigkeit der Entwicklungs- von den Industrieländern sowie der Ausbeutungsaspekt, der sich aus dieser Abhängigkeit ergibt, im Vordergrund (vgl. Bachinger/Matis 2009, 126).

Als Quelle wird hierbei zum einen Sekundärliteratur, z.B. Lehr- und Handbücher, Übersichtsartikel und Beiträge dependenztheoretischer Vertreter aus Sammelbänden, herangezogen. Für die Analyse des Fallbeispiels der Kleinbauern in Indien dienen zum anderen Studien indischer und internationaler Nicht-Regierungsorganisationen sowie Berichte von Monsanto als Primärliteratur.

Kapitel zwei beschreibt, in Abgrenzung zur Modernisierungstheorie, die für diese Arbeit erheblichen Aspekte der Dependenztheorie und begründet dabei gleichzeitig die Wahl dieses theoretischen Ansatzes. Mittelpunkt des dritten Kapitels sind neben einem kurzen historischen Überblick über die Geschichte des indischen Agrarsektors, das Fallbeispiel der Einführung von Bt cotton in der Provinz Andhra Pradesh im Jahr 2002 sowie die daraus resultierenden Folgen für die dort ansässigen Kleinbauern. In Kapitel vier wird dieses Bespiel mit Hilfe der Dependenztheorie diskutiert und dabei gezeigt, welche Auswirkungen die Aktivitäten Transnationaler Konzerne auf Entwicklungsländer haben und inwieweit die Ausführungen dieser Theorie im Hinblick auf die heutige Situation auf dem Weltmarkt noch aktuell sind.

2 Dimensionen der Dependenztheorie

Zu Beginn dieser Arbeit soll ein Überblick über die wesentlichen Aspekte der Dependenztheorie und ihren Unterschied zur Modernisierungstheorie gegeben werden. Nach den Kernaussagen (2.2) und dem zugrundeliegenden theoretischen Modell (2.3) werden die beiden Denkrichtungen der Theorie vorgestellt (2.4). Danach folgt die Bestimmung der Eigenschaften Transnationaler Konzerne (2.5) sowie ihr Verständnis in der Dependenztheorie (2.6). Zunächst gibt jedoch Kapitel 2.1 einen Einblick in Geschichte und Ursprung dieser Theorie.

2.1 Entstehungsgeschichte und theoretischer Ursprung

Die Dependenztheorie entstand im Verlauf 1960er Jahre in Lateinamerika und vollzog einen radikalen Perspektivenwechsel gegenüber den konventionellen Positionen der Entwicklungstheorie, vor allem gegenüber der Modernisierungstheorie (vgl. Herkenrath 2003, 49). Vor dem Hintergrund der Untersuchungen von Raúl Prebisch zur Ausbeutung der Entwicklungsländer durch das kapitalistische Weltwirtschaftssystem in den 1950er Jahren liefert die Dependenztheorie einen eigenen Erklärungsansatz zur Unterentwicklung der Dritten Welt[1] (vgl. Bachinger/Matis 2009, 123). Sie macht weltpolitische und weltwirtschaftliche Faktoren, also exogene Ursachen, und die strukturelle Abhängigkeit (Dependenz), also die Verschränkung von sozio-ökonomischen Strukturen auf verschiedenen Entwicklungsebenen, der Entwicklungs- von den Industrieländern statt endogene gesellschaftliche und politische Faktoren für dieses Problem verantwortlich (vgl. Herkenrath 2003, 49; Schirm 2007, 22). Dabei definiert Theotonio dos Santos (1970, 1972) Abhängigkeit als eine Situation, in der sich die beherrschenden Industrieländer wirtschaftlich eigenständig entwickeln können, während die abhängigen Entwicklungsländer dies nur als Effekt dieser Entwicklung vermögen ( dependent reproduction ) (vgl. 1970, 235; 1972, 243).

Theoretisch gründet sich die Dependenztheorie auf imperialistische Konzepte nach Lenin und Luxemburg sowie auf marxistische und neo-marxistische Ansätze (vgl. Hout 1993, 18ff.). Aus diesem Grund liegt dem hier verwendeten Begriff der Ausbeutung auch das marxistische Verständnis zugrunde, dass sich der Kapitalbesitzer den durch Arbeit erwirtschafteten Mehrwert aneignet, der Arbeiter hingegen nur den zur Erhaltung seiner Arbeitskraft notwendigen Preis erhält (vgl. Schmidt 1995, 76). Wie sich dies auf die Beziehungen zwischen Entwicklungs- und Industrieländer übertragen lässt, wird in Kapitel 2.4 beschrieben.

Die einzelnen Vertreter der Dependenztheorie bilden jedoch keine homogene Gruppe, deren Problemschwerpunkte einheitlich sind, weshalb die Literatur auch von Dependenztheorie n spricht (vgl. Bachinger/Matis 2009, 124; Herkenrath 2003, 49). Zum besseren Verständnis wird der Begriff hier jedoch im Singular verwendet und die Unterschiede der zwei bestehenden Denkrichtungen im Verlauf dieses Kapitels beschrieben.

2.2 Kernaussagen

Trotz verschiedener Zugänge und Schwerpunkte teilen die Vertreter der Dependenztheorie eine grundlegende Auffassung: Unterentwicklung ist eine Konsequenz der „spezifischen Einbindung der Entwicklungsländer in den von den kapitalistischen Staaten beherrschten Weltmarkt“ (Bachinger/Matis 2009, 124) und kein Modernisierungsdefizit verursacht durch innergesellschaftliche oder kulturelle Faktoren wie es die Modernisierungstheorie behauptet (vgl. Menzel 2010, 99). Vielmehr ist sie „das Resultat eines historischen Prozesses“ (Bachinger/Matis 2009, 124) und zu einem Großteil aus vergangenen und andauernden wirtschaftlichen und anderen Beziehungen zwischen den Entwicklungs- und Industrieländern entstanden (vgl. Frank 1966/1996, 106). Hiermit ist die Entfaltung des Kapitalismus in Europa und dessen verschiedene Etappen und Ausprägungen im Imperialismus (vgl. Nohlen/Nuscheler 1992a, 46), beginnend mit dem Raubkolonialismus im 16. Jahrhundert, gemeint (vgl. Senghaas 1974, 15). Die damit einhergehende Integration in den Weltmarkt und die internationale Arbeitsteilung, in der die EL auf Agrargüterproduktion und Rohstoffabbau und die IL auf die Produktion von Fertigwaren spezialisiert sind, bringen die Länder der Dritten Welt bis heute in eine Situation der Abhängigkeit (vgl. Schirm 2007, 22; Habermann 2005, 41). Aus diesem Grund sind es auch exogene Faktoren, die im Mittelpunkt der Analyse der Dependenztheoretiker stehen, wie z.B. die Ausbeutung durch Transnationale Konzerne (vgl. Bachinger/Matis 2009, 124; Nohlen/Nuscheler 1992a, 46).

2.3 Modelltheoretisches Fundament

Neben den erwähnten imperialistischen und marxistischen Einflüssen verarbeiten die Vertreter der Dependenztheorie auch Ideen des Strukturalismus (vgl. Menzel 2010, 101). Dabei gehen sie grundlegend von einem kapitalistischen Weltsystem aus, dessen Bestandteile (Länder) in Beziehung zueinander stehen und das durch den Austausch von Waren auf dem kapitalistischen Weltmarkt und die damit verbundene internationale Arbeitsteilung charakterisiert ist (vgl. Dera 1999, 4). Dies verstärkt die Ungleichheit zwischen den einzelnen Ländern und führt zur Bildung eines dominanten Kerns und einer untergeordneten Peripherie (vgl. Hout 1993, 1).

Einfluss auf diese Annahmen hatte vor allem Johan Galtungs sogenanntes Zentrum-Peripherie-Modell , das die asymmetrischen Abhängigkeitsbeziehungen auf internationaler und nationaler Ebene zu erfassen versucht (vgl. Bachinger/Matis 2009, 125) und welches die Dependenztheoretiker in ihre Überlegungen aufgenommen haben (vgl. Dera 1999, 4; Frank 1966/1996, 107ff.).

Auf der Makro-Ebene bilden die entwickelten kapitalistischen Industrienationen das „Zentrum“ (oder auch „Metropolen“), während die Entwicklungsländer die „Peripherie“ („Satelliten“) darstellen (vgl. Frank 1966/1996, 107ff.; Menzel 2010, 103). Das Zentrum beutet dabei die Peripherie systematisch aus, indem es den Gewinnüberschuss (Surplus) aus der Peripherie abzieht und diese als Ort für Kapitalanlagen, Arbeitskräftereservoir und Lieferant von billigen Produkten, z.B. aus der Landwirtschaft, missbraucht (vgl. Ghosh 2001, 41f.). Für die Peripherie bedeutet dies eine starke Begrenzung ihrer Wachstumsmöglichkeiten (vgl. ebd.).

Die Struktur der Makro-Ebene überträgt sich auf den nationalen Level, die Mikro-Ebene, wodurch auch ein Entwicklungsgefälle innerhalb eines peripheren Landes entsteht (vgl. Ghosh 2001, 42). Auf der einen Seite existieren dort große Städte, die als nationale Zentren an das Banken- und Kommunikationssystem angeschlossen sind und in denen sich Transnationale Konzerne niederlassen (vgl. Bachinger/Matis 2009, 125f.). Auf der anderen Seite steht die nationale Peripherie, das meist agrarische Hinterland, welches mit technologisch kaum entwickelten Produktionsmitteln ausgestattet ist (vgl. ebd.), aber trotzdem einen Großteil des Surplus produziert, den die TNCs aus den Entwicklungsländern abziehen (Dekapitalisierung) (vgl. Menzel 2010, 108; Bachinger/Matis 2009, 129). Gesellschaftlich betrachtet, findet sich in der ersten Sphäre die reiche, gebildete Oberschicht, während in den ländlichen Gebieten die einfachen und meist armen Bevölkerungsteile leben (vgl. Habermann 2005, 39).

Die Zentren der Peripherie dienen laut diesem Modell als Brückenköpfe der Industrieländer, da zwischen beiden eine Interessenharmonie besteht. Hier treffen die Abhängigkeitsstrukturen der internationalen und nationalen Ebene zusammen (vgl. Menzel 2010, 103). Dies ermöglicht den Industrienationen, und damit auch den Transnationalen Konzernen, bestimmenden Einfluss auf die gesamte Peripherie auszuüben (vgl. Bachinger/Matis 2009, 129). Für die vorliegende Arbeit ist dies insofern von Bedeutung, als hieraus abgeleitet werden kann, dass TNCs vom System der internationalen und nationalen Abhängigkeitsbeziehungen direkt profitieren, wenn sie sich in einem Entwicklungsland niederlassen.

2.4 Theoretische Ansätze

Wie in Kapitel 2.1 bereits erwähnt, lässt sich die Dependenztheorie in zwei Denkrichtungen unterteilen: den strukturalistischen Ansatz und die Ausbeutungsthese (vgl. Bachinger/Matis 2009, 126). Die Vertreter der zweiten Variante gehen in ihren Überlegungen zur Abhängigkeit explizit auf die Ausbeutung von Entwicklungsländern durch den Welthandel und Transnationale Konzerne ein (vgl. ebd.). In der strukturalistischen Variante hingegen stehen strukturelle Verflechtungen und asymmetrische Beziehung von Zentrum und Peripherie sowie die wirtschaftlichen, sozialen, politischen und kulturellen Unterschiede im Vordergrund (vgl. ebd.; Dera 1999, 8), sodass Transnationale Konzerne weitgehend außer Acht bleiben. Das Problem der Ausbeutung ist hier allenfalls ein zusätzliches Argument (vgl. Boeckh 1980, 89). Denn lediglich Osvaldo Sunkel (1972) merkt in seiner Analyse über die Struktur transnationaler kapitalistischer Integration in Lateinamerika an, dass „der Beitrag des ausländischen Privatkapitals zur wirtschaftlichen Entwicklung keineswegs so sicher ist, wie man annimmt“ (304) und erwähnt somit einen möglichen negativen Einfluss von TNCs in Entwicklungsländern. Und laut Ghosh (2001) spricht ihnen Fernando Cardoso sogar eine positive Rolle bei der internen Entwicklung der Länder der Dritten Welt zu (vgl. 113).

Jedoch hat die strukturalistische Ausprägung der Dependenztheorie für das Thema dieser Arbeit insofern Relevanz, als dass die in ihr beschriebene strukturelle Abhängigkeit und internationale Arbeitsteilung den Konzernen ermöglicht, in der Peripherie ihre jeweiligen Interessen zu verfolgen (siehe Kapitel 2.3). Das folgende Kapitel stellt daher die wesentlichen Aspekte dieser Variante kurz vor.

2.4.1 Strukturalistischer Ansatz

Ein integraler Bestandteil dieser Ausprägung der Dependenztheorie ist die Ansicht, dass es in Entwicklungsländern zwar Wachstum gibt (vgl. Bachinger/Matis 2009, 130). Dieser ist aber durch die Einbindung der Länder in den kapitalistischen Weltmarkt und die strukturelle Abhängigkeit von den Industrieländern deformiert (vgl. ebd.; Quijano 1974, 305). Eine entsprechend erfolgreiche Entwicklungspolitik kann demnach in den betroffenen Ländern nicht umgesetzt werden (vgl. Ghosh 2001, 116).

Die Ursache für die strukturelle Abhängigkeit und die Ausrichtung der Wirtschaft der Peripherie auf die Bedürfnisse der IL liegt in der Konzentration der technologischen Ressourcen in den privilegierten Regionen der Welt und ihre ungleichmäßige Übertragung auf die EL (vgl. Bachinger/Matis 2009, 130). Die Ausbreitung des technologischen Fortschritts in den Entwicklungsländern, und damit die wirtschaftliche Entwicklung, vollziehen sich daher ungleich und langsamer als in den Zentren (vgl. ebd., 131). Aus diesem Grund spricht Fernando Cardoso auch von abhängiger kapitalistischer Entwicklung (vgl. Cardoso 1974, 211).

Der aus der strukturellen Abhängigkeit resultierende periphere Kapitalismus ist durch eine interne strukturelle Spaltung der abhängigen Länder gekennzeichnet (vgl. Bachinger/Matis 2009, 133; Senghaas 1974, 29), welche mit der Beschreibung der Mikro-Ebene des Zentrum-Peripherie-Modells bereits angesprochen wurde. Diese sogenannte „strukturelle Heterogenität“ äußert sich sowohl auf wirtschaftlicher Ebene (unausgewogene Produktionsstruktur zwischen Zentrum und Peripherie) als auch auf gesellschaftlicher Ebene (zunehmende soziale Zerklüftung) der Entwicklungsländer (vgl. Senghaas 1974, 29). Die privilegierten Schichten in den Zentren der Peripherie sind als „,fortgeschrittenste‘ Teile ihrer Volkswirtschaften mit dem internationalen kapitalistischen System verflochten“ (Cardoso 1974, 211) und nehmen eine Art Stellvertreterrolle für die Industriestaaten ein. Der größte Teil der Bevölkerung wird hingegen marginalisiert und leidet unter Armut (vgl. Senghaas 1974, 29).

2.4.2 Die Ausbeutungsthese

Auch dieser Variante der Dependenztheorie liegt das Zentrum-Peripherie-Modell zugrunde. Es steht jedoch nicht die strukturelle Verflechtung der beiden Sphären, sondern der hieraus resultierende unmittelbare Ausbeutungsaspekt der Peripherie durch das Zentrum im Vordergrund. Die Vertreter dieser Richtung unterscheiden dabei zwei Formen der Ausbeutung: die eine durch Handel, die andere durch ausländische Direktinvestitionen und Dekapitalisierung (vgl. Hout 1993, 59). Die erste Form ist indirekter Natur und bezeichnet die ungleichen Positionen in den Handelsbeziehungen (vgl. Bachinger/Matis 2009, 126). Die zweite hingegen ist direkt und bezieht sich auf die koloniale Vereinnahmung und später den Transfer des erwirtschafteten Mehrwerts Transnationaler Konzerne aus der Peripherie (vgl. ebd.). Allerdings werden beide Formen mitunter auch in einer historischen Abfolge präsentiert: Die koloniale Phase eines Entwicklungslandes ist von direkter Ausbeutung geprägt. Nach der formalen Unabhängigkeit sind die Länder der Peripherie dann weiterhin als Nahrungsmittel- und Rohstofflieferanten in den Weltmarkt integriert, was eine indirekte Form der Ausbeutung darstellt. Der steigende Zufluss an Auslandskapital in den vergangenen Jahrzehnten lässt wiederum das Ansteigen der direkten Ausbeutung erkennen (vgl. ebd.).

2.4.2.1 Indirekte Ausbeutung

Eine Erklärung für die herrschende indirekte Ausbeutung der Peripherie liefert die Behauptung der „säkularen Verschlechterung der terms of trade“ aus dem Jahr 1949 (vgl. Bachinger/Matis 2009, 127; Hout 1993, 59). Die terms of trade geben das reale Austauschverhältnis der exportierten und importierten Güter eines Landes an. Im Fall der Entwicklungsländer ist dies das Verhältnis zwischen den Preisen für den Export von Rohstoffen und dem Import von Fertigprodukten (vgl. Nohlen/Nuscheler 1992a, 48). Eine säkulare Verschlechterung dieses Verhältnisses meint nun, dass der Handel zwischen Entwicklungs- und Industrieländern keinen gleichmäßigen Nutzen für beide Seiten hat, sondern letztere bevorteilt (vgl. Bachinger/Matis 2009, 127). Denn um das bereits erreichte Importvolumen beibehalten zu können, müssen die EL die Produktion ihrer Exportgüter ständig steigern (vgl. Boeckh 1980, 89), was u.a. zu einer zunehmenden Überausbeutung der Arbeitskraft der Bevölkerung führt (vgl. ebd.). Ferner sorgt die dafür verantwortliche internationale Arbeitsteilung durch ihre beschleunigte Veränderung und Vertiefung auch für eine Einschränkung und sogar Reduzierung der „economic, social, and political distribution of the benefits from the production and export of [...] primary commodities“ (Frank 1981, 158).

Diesem Ansatz sehr ähnlich ist das Theorem des ungleichen Tauschs (vgl. Menzel 2010, 113). Grundsätzlich geht es hierbei ebenso wie beim Verfall der terms of trade um die abhängige periphere Reproduktion der Entwicklungsländer durch Primärgüterexporte und Fertigprodukt- bzw. Luxusgüterimporte (vgl. ebd., 114f.). Dadurch bleibt jedoch der innere Markt, und hier insbesondere die Massenkonsumgüterproduktion, begrenzt (vgl. ebd.) und die Bedürfnisse des Großteils der Bevölkerung werden vernachlässigt (vgl. Boeckh 1980, 89). Etwaige Produktivitätssteigerungen im Exportsektor gehen nicht mit Lohnsteigerungen einher, da der Binnenmarkt nicht relevant und die IL nur an billigen Primärgütern interessiert sind (vgl. Menzel 2010, 114). Auch hier kommt es zu einer Überausbeutung der Arbeitskraft (vgl. Boeckh 1980, 89) sowie letztendlich zu einer Marginalisierung der ländlichen und Kleingewerbe treibenden Bevölkerung (vgl. Menzel 2010, 115). Ein Problem, das nach diesem Theorem gleichzeitig als Bedingung der Integration in den Weltmarkt gesehen werden kann (vgl. ebd.).

2.4.2.2 Direkte Ausbeutung

Bei diesem Ansatz geht es um die „direkte Extraktion von Mehrwert wie im Falle der Überweisung von Profiten, Zinsen, Royalties [Lizenzgebühren, C. S.] usw.“ (Braun 1974, 139) aus der Peripherie in das Zentrum, was bereits zu Zeiten der Kolonialisierung beobachtet werden konnte (vgl. Menzel 2010, 115). Denn aufgrund der kapitalistischen Produktionsweise war es den Kolonialmächten des 18. und 19. Jahrhunderts möglich, ihre Produktivität auszuweiten und sich ökonomisch zu entwickeln (vgl. Bachinger/Matis 2009, 139; Ghosh 2001, 29). Den Kolonien hingegen blieb dies aufgrund ihrer Rolle als Rohstofflieferanten, der Zerstörung ihrer heimischen Industrie und der oben erwähnten Extraktion ihres erwirtschafteten Überschusses durch die Kolonialmächte weitgehend verwehrt (vgl. Menzel 2010, 115; Ghosh 2001, 29). Vor allem die Regionen der Welt, die früher die engsten Beziehungen zum Zentrum hatten, gelten daher heute als besonders unterentwickelt (vgl. Frank 1966/1996, 112). Ein Beispiel hierfür ist Indien, dessen Textilindustrie von der britischen Kolonialregierung systematisch demontiert wurde, um den Export britischer Textilerzeugnisse zu fördern (vgl. Bachinger/Matis 2009, 138; Menzel 2010, 115), und dessen natürliche Ressourcen sowie Agrarsektor die britische Krone zu ihrer Bereicherung ausgebeutet hat (vgl. Baran 1966, 241ff.). Ein Zustand, der, wie diese Arbeit zeigen wird, in ähnlicher Form bis heute anhält.

[...]


[1] Der Begriff „Dritte Welt“ wird hier bewusst als Synonym verwendet. Er soll dabei weder wertend gebraucht werden noch eine hierarchische Ordnung implizieren, wie es z.B. Dieter Nohlen (1980, 98) beschreibt. Vielmehr liegt ihm dieselbe Definition zugrunde, die für den Begriff des Entwicklungslandes gilt, wodurch die Gemeinsamkeiten der hierzu zählenden Staaten hinsichtlich ihres geringen sozioökonomischen Entwicklungsniveaus ausgedrückt werden sollen (vgl. Schmidt 1995, 242). Gleichzeitig soll dabei jedoch nicht geleugnet werden, dass auch innerhalb dieser Gruppe große Unterschiede in der wirtschaftlichen Entwicklung bestehen (vgl. Nohlen/Nuscheler 1992, 21f.).

Ende der Leseprobe aus 53 Seiten

Details

Titel
Die Rolle transnationaler Konzerne in Entwicklungsländern am Beispiel der indischen Landwirtschaft - Zur Aktualität der Dependenztheorie
Hochschule
Bergische Universität Wuppertal
Note
1,3
Autor
Jahr
2011
Seiten
53
Katalognummer
V202785
ISBN (eBook)
9783656288633
ISBN (Buch)
9783656289128
Dateigröße
697 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Dependenztheorie, TNCs, Gentechnik, Indien, Ausbeutung
Arbeit zitieren
Caroline Schiller (Autor:in), 2011, Die Rolle transnationaler Konzerne in Entwicklungsländern am Beispiel der indischen Landwirtschaft - Zur Aktualität der Dependenztheorie , München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/202785

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