Sprachensituation in Mexiko


Seminararbeit, 1998

14 Seiten, Note: sehr gut


Leseprobe


Inhalt

1. EINSTELLUNG ZUR INDIGENEN HERKUNFT UND GESCHICHTSBILD
1.1.Der erste Eindruck
1.2.Anfragen
1.2.1. Mythologisierung der Geschichte
1.2.2. Attraktion Indio
1.3.Zwischenbilanz: Der Schein trügt

2.DIE SPRACHEN MEXIKOS:
2. 1.Übersicht
2. 2.Bemerkungen zur Verschriftung der indigenen Sprachen Exkurs: Literatur in indigenen Sprachen

3. ANMERKUNGEN ZUR ERFORSCHUNG DER INDIGENEN SPRACHEN

4. DIE SITUATION DES SPANISCHEN
4. 1. Die ”Durchsetzung” des Spanischen nach der Kolonialzeit
4. 2. Besonderheiten des mexikanischen Spanisch
4. 2. 1. ¿ fervefa - qué es? - Unterschiede zum ”Standardkastillisch”
4. 2. 2. Indigenismen im mexikanischen Spanisch
4. 3. ”so nah an den USA”: die Rolle des Englischen
4. 4. Ergebnis: Die umzingelte Sprache

LITERATURVERZEICHNIS

1. Einstellung zur indigenen Herkunft und Geschichtsbild

1. 1. Der erste Eindruck

Als Besucher Mexikos nimmt man zuerst einmal eine sehr starke Verbindung zur indigenen Kultur und Herkunft Mexikos wahr. Hinweise und Symbole, die darauf verweisen finden sich auf den wichtigsten Manifestationen der staatlichen Identität:

- Als ein deutliches Zeichen dafür ist die mexikanische Nationalflagge sichtbar, auf der die Gründungssage von Tenochtitlán, dem Ursprung der heutigen Ciudad de México zu sehen ist.
- Die Gründungssage Tenochtitláns und Tempel der alten indianischen Kulturen sind neben revolutionären Motiven auch die Hauptdarstellungen auf dem größten Mosaik der Welt, das sich auf dem Gebäude der Hauptbibliothek der Universidad Nacional Aut ó noma de M é xico (UNAM) befindet.
- Das Museo Nacional de Antropolog í a beschreibt die Geschichte der Menschen auf diesem Teil des amerikanischen Kontinentes vom Übergang über die Behringstraße bis in die Indiohütten im Grenzgebiet zu Guatemala, von denen betont wird, daß sie noch heute so bewohnt werden, wie sie ausgestellt sind.
- Auch im spirituellen Zentrum der mexikanischen Identität, der Bas í lica de Guadalupe wird man in dieser Hinsicht fündig. Nicht nur, daß bei der Darstellung der Erscheinungsgeschichte immer wieder darauf Wert gelegt wird, daß die Gottesmutter als Mestizin (oder in manchen Versionen sogar als Indigena) erschienen ist; der Glockenturm vor dem Neubau der Basilika zeigt den aztekischen Kalender.

Der indianische Ursprung scheint den Mexikanern auf den ersten Blick also tatsächlich besonders wichtig zu sein. Und er ist es auch bis zu einem gewissen Grad. Wer sich in die südlichen mexikanischen Staaten (Oaxaca, Chiapas) begibt, der wird sogar sehr oft meinen, das zu beobachten.

1. 2. Anfragen

Über die sichtbaren Referenzen zu den indigenen Wurzeln des mexikanischen Volkes lassen sich aber im wesentlichen zwei relativierende Beobachtungen machen:

1.2.1. Mythologisierung der Geschichte

Die verschiedenen Referenzen auf die indianische Herkunft der Mexikaner werden in einer sehr idealisierten Weise dargestellt. Im wesentlichen trifft die Kritik des mexikanischen Geschichtsbildes durch Octavio Paz zu, an die ich hier anknüpfen möchte, da sie die Erfahrungen mit dem Umgang mit Geschichte wiederspiegelt. Paz schreibt im einleitenden Kapitel seines Buches ”Sor Juana Inés de la Cruz o las trampas de la fé” über das weitverbreitete mexikanische Geschichtsbild:

”México nace con el estado azteca o aun antes; pierde su independencia en el siglo XVI y la recobra en 1821. Según esta idea, entre el México azteca y el moderno no solo hay continuidad sino identidad;”1

Dieses Geschichtsbild wird in den Darstellungen vermittelt. Für Paz ist es zwischen Mythos und Negation anzusiedeln. Die Kritik von Ocatavio Paz hat für unsere Fragestellung eine besondere Bedeutung, da die im Geschichtsbild ausgeblendete Phase, nämlich die 300 Jahre, während derer Mexiko als Vizekönigreich Neuspanien in den Karten verzeichnet war (und sogar selbst Kolonialherrscherfunktionen -nämlich die Verwaltung der Philippinischen Inseln - übernommen hatte) gleichzeitig genau jene Phase der Geschichte sind, in der die dominante Sprache, nämlich das Spanische, in die Region gebracht wurde. Es muß also der Verdacht angemeldet werden, daß zwischen der Bewertung indigener Kulturen im offiziellen Geschichtsbild und der Sprachpolitik ein wesentlicher Unterschied besteht. Wie kann es sonst sein, daß eine Sprache zur dominanten und unhinterfragbaren Nationalsprache wird, die aus einer Periode der Geschichte kommt, über die nicht so bald ein Mexikaner ein Wort verliert, die Sprachen der so wichtigen indigenen Kulturen aber kontinuierlich zurückgedrängt werden?

1.2.2. Attraktion Indio

Indianische Kulturen sind Anziehungspunkt und Attraktion für den Tourismus. Dieses Phänomen ist hinlänglich bekannt und ähnliches ist überall auf der Welt, wo es Tourismus gibt, beobachtbar. Sprachenpolitisch von Interesse ist dabei die Rolle der indigenen Sprachen im öffentlichen Leben. Während man nach Beschriftungen und Informationen in Indianersprachen in den öffentlichen Bereichen meist vergeblich sucht, wird man in den Geländen der noch erhaltenen Ruinen der Tempel der indigenen Kulturen sehr schnell fündig: Hier werden die langen Informationstexte (zumeist auf Steintafeln) auch in einer indigenen Sprache wiedergegeben. Diese Bemühung des Instituto Nacional de Antropolog í a e Historia (INAH) dient sicherlich auch der Information der indigenen Besucher2, steht aber trotzdem sehr stark unter dem Verdacht, ein Tourismusgag zu sein. Denn von denselben indigenen Besuchern verlangt man, daß sie alle wichtigen Informationen im öffentlichen Leben in spanischer Sprache lesen und verstehen können.3 Um wirkliche Nähe zur indigenen Sprache dürfte es sich also kaum handeln.

1. 3. Zwischenbilanz: Der Schein trügt

Die Befassung mit der indianischen Vergangenheit in Mexiko hat sehr unklare Vorzeichen. Die Kolonialzeit als Auslöser für die Sprachsituation wie auch als Grundlage für die mestizische Identität wird ausgeblendet oder zumindest unterbelichtet. Dort, wo die Umsetzung des Selbstverständnisses der mexikanischen Identität auch auf sprachlicher Ebene geschieht, findet das hauptsächlich für Touristen statt.

Zwischen den prähispanischen Kulturen und ihren noch übrigen Nachkommen steht nicht nur die Zeit des Vizekönigreiches, sondern auch die Linse des Geschichtsrückblickes, die sie als lange Vergangenheit fast schon in das Reich des Mythos verdrängt, vergleichbar mit dem ”Goldenen Zeitalter” Ovids. Das ist zwar ein äußerst positiver (weil verklärter) Blick auf die indigenen Zeiten Mexikos, aber eben ein Blick auf eine Vergangenheit. Und Vergangenheit ist Erinnerung, und Erinnerungen müssen doch auf die Gegenwart keine (politischen) Auswirkungen haben, oder?

2. Die Sprachen Mexikos:

Mexiko ist heute das größte spanischsprachige Land. Bei der Volkszählung 1990 zählte man 81.249.645 Einwohner4. Gleichzeitig gibt es in Mexiko eine große Zahl von autochtonen Indianersprachen, deren Zahl sich nach offiziellen Angaben auf 56 beläuft. Diese Sprachen werden von den Angehörigen der indigenen Volksgruppen gesprochen. Die Zahl der Volksgruppen beträgt etwa 60.5 Wie viele Sprachen es tatsächlich gibt und welche tatsächlich noch gesprochen werden oder gar auch verschriftet sind, darüber unterscheiden sich die Meinungen. Der Sprachatlas aus dem Jahr 1996 des Instituto Nacional Indigenista, im folgenden kurz ”INI” genannt, spricht von ”más de 62 lenguas indígenas que se hablan en el país.”6 Der Director General de Culturas Populares, José N. Itarriaga sprach diesen Februar im Rahmen einer offiziellen Preisverleihung im Museo Nacional de Culturas Populares von 64 bekannten und auch anerkannten indigenen Sprachen7, im Casa de Escritores en Lenguas Indigenas kann man Literatur in 62 Sprachen vorfinden, was bedeutet das 62 der Richtwert für die - in welcher Form auch immer - verschrifteten Sprachen ist. Die Angaben schwanken also zwischen 56 (die Zahl, die man in der meisten europäischen Literatur vorfindet) und 64.

2.1. Übersicht

Die folgende Aufstellung, die 58 Sprachen nennt, ist die umfangreichste der entlehnbaren Literatur8 und entstammt einer Sprachkarte.9 Im wesentlichen werden die indigenen Sprachen in vier Sprachengruppen eingeteilt: 1.

[...]


1 Paz, Octavio: Sor Juana Inés de la Cruz o las trampas de la fé, México, 61998.

2 Um der Bevölkerung den Besuch der Stätten zu ermöglichen werden diese ja an Sonn- und Feiertagen gratis zugänglich gemacht.

3 Eine ähnliche Beobachtung kann auch in den Medien gemacht werden, wie Karen Zidek im zweiten Teil der Arbeit zeigen wird.

4 Angaben aus: Zimmermann, Klaus: Die Sprachensituation in Mexiko, in: Briesemeister, Dietrich / Zimmermann, Klaus (Hg.): Mexiko heute, Frankfurt am Main, 1996, S. 333

5 Diese Zahl ergibt sich aus der Aufzählung der Volksgruppen in: Masferrer Kan, Elio: Die Indianer in Mexiko, in: Briesemeister, Dietrich / Zimmermann, Klaus (Hg.): Mexiko heute, Frankfurt am Main, 1996, S. 304 - 310.

6 Embris, Arnulfo y otros: Atlas de lenguas indígenas de México, ed. INI, dirección de investigación y promoción cultural, subdirección de investigación, 1996, p.10.

7 Ceremonia de Premiacion del Premio Nezahualcóyotl de literatura en lenguas indígenas de 1998 am 25. Februar 1999 in México D. F.

8 Der Sprachatlas des INI listet 62 Sprachen auf, war aber leider nur im INI selbst einsehbar.

9 Quelle: Masferrer Kan, Elio: Die Indianer in Mexiko, in: Briesemeister, Dietrich / Zimmermann, Klaus (Hg.): Mexiko heute, Frankfurt am Main, 1996

Ende der Leseprobe aus 14 Seiten

Details

Titel
Sprachensituation in Mexiko
Hochschule
Universität Wien  (Romanistik)
Veranstaltung
Seminar: Formen der Sprachenpolitik in Lateinamerika
Note
sehr gut
Autor
Jahr
1998
Seiten
14
Katalognummer
V20267
ISBN (eBook)
9783638241991
ISBN (Buch)
9783656448273
Dateigröße
577 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
In der Arbeit wird die Situation der in Mexiko gesprochenen Sprachen geschildert und sie enthält auch eine Auflistung der (noch) lebenden Indianersprachen. (Die Arbeit war die Grundlegung für weitere Arbeiten anderer AutorInnen.)
Schlagworte
Viel, Sprachensituation, Mexiko, Seminar, Formen, Sprachenpolitik, Lateinamerika
Arbeit zitieren
Ralph Regenfelder (Autor:in), 1998, Sprachensituation in Mexiko, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/20267

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