Indien gestern und heute. Die kulturellen Einflussfaktoren und Probleme


Hausarbeit, 2010

31 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 EINLEITUNG

2 HISTORISCHER ÜBERBLICK
2.1 VON DER ANTIKE BIS ZUM BRITISCH EMPIRE
2.2 DAS BRITISCH EMPIRE
2.3 GHANDI, TEILUNG UND UNABHÄNGIGKEIT
2.4 INDIEN AB 1949 BIS 2007

3 KULTURELLE EINFLUSSFAKTOREN UND PROBLEME
3.1 DAS KASTENSYSTEM
3.1.1 HORIZONTALE VS. VERTIKALE BEZIEHUNGEN
3.2 DER KASCHMIRKONFLIKT
3.2.1 DIE MOMENTANE SITUATION
3.2.2 ENTSTEHUNG DES KONFLIKTS
3.2.3 AUSBLICK: DIE ZUKUNFTSPERSPEKTIVEN
3.2.4 AKTUELLE VERHANDLUNGEN
3.3 ARMUT IN INDIEN
3.3.1 EINLEITUNG
3.3.2 ARMUT UND VERTEILUNG

4 INDIEN HEUTE - WELTWIRTSCHAFTSMACHT?
4.1 WIRTSCHAFTLICHE ENTWICKLUNG
4.2 AUSBLICK - ZUKÜNFTIGE ENTWICKLUNGEN

5 RESÜMEE

LITERATUR UND QUELLENVERZEICHNIS

1 Einleitung

„ Was gut ist f ü r Indien, ist auch gut f ü r die Welt “

Die Worte des indischen Premierministers Manmohan Singh - kurz vor dem Staatbesuch von Bundeskanzlerin Angela Merkel - bringen den gewachsenen Stellenwert Indiens im globalen Kontext auf den Punkt, zeigen aber auch das neue Selbstbewusstsein dieses Landes als zwei- te asiatische Super- bzw. Wirtschaftsmacht, welche die zukünftige Entwicklung der Welt sig- nifikant mitbestimmen und die Gleichgewichte verschieben wird (vgl. Piepenbrink, 2008, S.2). Wir verbinden mit Indien heute Bollywood und IT-Fachkräfte. Lange Zeit war das nach China bevölkerungsreichste Land der Erde ein Synonym für unbeschreibliches Elend, okkulte Sekten, Schlangenbeschwörer, Fakire, Kinderarbeit und des Kastensystems. Es schien, als ob das Land in politischer, sozialer und wirtschaftlicher Stagnation gefangen sei (vgl. Müller, 2006, S. 1). Doch mit der Einführung der sozialen Marktwirtschaft zu Beginn der 1990er Jah- re, begann der Modernisierungsprozess, der zu einem unvergleichbaren Wirtschaftsboom geführt hat (vgl. Woyke, 2008, S. 5). Dieser Aufschwung, mit einer überdurchschnittlichen Wachstumsrate von über acht Prozent (innerhalb der letzten vier Jahre) bringt auch seine Schattenseiten mit. Von dem Boom profitieren nämlich nur die wenigsten Inder, drei Viertel der Bevölkerung leben in Armut. Zudem steigt mit dem wirtschaftlichen Wachstum auch der Bedarf an Energie und damit der Ausstoß von Treibhausgasen, was Indien in den nächsten zehn Jahren zu einem der größten Umweltverschmutzer der Welt machen wird. Damit wer- den sie den Klimawandel bedeutend vorantreiben und zudem noch viel stärker davon be- troffen sein als die westlichen Industriemächte (vgl. Piepenbrink, 2008, S.2).

Aber auch die starke Fragmentierung des Landes führt zu innenpolitischen Schwierigkeiten. Die religiösen Unterschiede im Land, z.B. zwischen Hindus und Buddhisten, der Kaschmir- konflikt, die sprachliche Vielfältigkeit, die hierarchische Abspaltung in soziale Gruppen und die massiven wirtschaftlichen Gegensätze machen Indien zu einem interessanten Subkonti- nent voller Wiedersprüche. Die Geschichte hat Indien ausschlaggebend durch die lange Zeit der Kolonialherrschaften geprägt. Um also Indien als Ganzes - seine gesellschaftlichen Struk- turen, seine wirtschaftliche Entwicklung und heutig Situation - zu fassen, ist es von großer Wichtigkeit seine Geschichte zu kennen. Deswegen liegt der Schwerpunkt dieser Arbeit auf der Historie. Mit diesem Vorwissen, lassen sich alle anderen Bereich besser erschließen und verstehen.

Im ersten Abschnitt dieser Hausarbeit werde ich zunächst einen detaillierten historischen Überblick vermitteln. Im dritten Kapitel werden die kulturellen Faktoren und Probleme erläutert. Es wird auf das Kastensystem eingegangen, die Kaschmirproblematik und die Armut in Indien eingegangen. Im vierten Abschnitt wird die wirtschaftliche Entwicklung chronologisch vorgestellt und ein Ausblick über zukünftige gegeben.

2. Historischer Überblick

Um dieses schöne, vielfältige Land mit seiner gemischten, teilweise gespaltenen Gesellschaft, aber auch religiöse, aktuelle und politische Zusammenhänge zu verstehen, ist es von größter Bedeutung seine Geschichte zu kennen. Indien war immer stark zergliedert und von Kolonialherren besetzt, nicht wie China, welches schon sehr früh eine zentrale zusammenhängende (Welt) Macht war. Dieser Umstand machte es vielen Eroberern und Besetzern Indiens wesentlich leicht Fuß zu fassen.

2.1 Von der Antike bis zum Britisch Empire

„Indien ist mit seiner mehrtausendjährigen Geschichte eine der Wiegen der menschlichen Zivilisation (Wamser, 2005, S. 28). “ Zusammen mit Ägypten, Mesopotamien und China zählt es zu den vier Hochkulturen der Welt, die schon sehr früh eine sehr hohe Stufe der Zivilisation erreicht haben (vgl. Wamser, 2005, S. 28).

Bereits 5000 v. Chr. wurden Zeugnisse menschlicher Behausungen im Gebiet des heutigen Pakistans gefunden (vgl. Vermeer/ Neumann, 2008, S. 31). Im vierten Jahrhundert vor Chris- tus entwickelte sich eine Ackerbaukultur und erste dauerhafte Siedlungen etablierten sich. Hier, im Indus-Tal entwickelte sich dann langsam eine relativ fortgeschrittene Stadtkultur (Harappa-Kultur), die nach Süden und Westen expandierte und bis etwa 1500 vor Christus überlebte. Sie betrieben ausgiebig Handel und finanzierten sich durch Landwirtschaftliche Erzeugnisse. Der Untergang dieser Kultur begründet sich einerseits durch ökologische und tektonische Veränderungen (Rückgang von Niederschlägen und geologische Verwerfungen) als auch durch den Einfall der zahlenmäßig unterlegenen, militärisch aber weitaus überle- gender Indoarier1 (vgl. Betz, 2007, o.S).

Durch die Eroberung Nordindiens und der Unterwerfung der Bevölkerung entstand die Vedi- sche Kultur. Auf die Veden sind die klassischen, in indischer Sprache verfassten Hymnen, Legenden und liturgischen Texte zurückzuführen, die den Kernbaustein der hinduistischen Tradition formen.

Die Eroberer drangen nie bis in den weit entfernten Süden vor, so dass auch heute noch starke Unterschiede zwischen den Menschen in den jeweiligen Regionen vorherrschen. Auch verschont blieb der äußerste Osten (heute Bihar und Westbengalen), da dieser Landstrich als „unrein“ galt. In dieser Region entwickelten sich später eigene Großreiche und es entstanden die Gegenreligionen Buddhismus und Jainismus (vgl. Vermeer/ Neumann, 2008, S. 32). Ackerbau, einen pantheistischen religiösen Überbau, Erbkönigtum und ein verhältnismäßiger hoher technischer Standard zeichnete diese neue Hindu-Zivilisation aus. Außerdem wird das Kastenwesen2 und die hinduistische Vorstellung von pflichtgemäßer Lebensführung mit dieser Zeit bzw. Zivilisation verbunden (vgl. Betz, 2007, i.S.).

Im Osten Indiens entstanden im 5. Jahrhundert v. Chr. zwei bedeutende Strömungen; einmal die des Siddharta Gautama3, der die vorerst bedeutendste indische Religion, den Buddhis- mus gründete und andererseits nahm der Jainismus hier seine Anfänge. Buddha wurde im ehemaligen Königreich Magadha, welches sogar im Westen Indiens nur wenig bekannt war, geboren. 326 v. Chr. versuchte Alexander der Große auf seinem Indienfeldzug dieses Reich zu erobern. Doch der Weg von dem heutigen Ost-Afghanistan bis ins heutige Bihar im Osten war auch für die Soldaten von Alexander zu weit. Somit gelang sein Vorhaben nie (vgl. Ver- meer/ Neumann, 2008, S. 32).

Das Hindu-Königreich (Magadha), welches einen großen Teil Indiens ausmachte, die Land- wirtschaft beherrschte und das Gewerbe effektiv kontrollierte und besteuerte, verfügte über eine große Armee und eine ausgedehnte Beamtenschaft (vgl. Betz, 2007, o.S). Zu den be- kanntesten Herrschern dieser Zeit zählte König Ashoka (268-232 v. Chr.), der dem Königreich zu seiner kulturellen Blütezeit verhalf. Das sogenannte Maurya-Reich beherbergte das größ- te Staatswesen, das Indien je erleben sollte. Nachdem König Ashoka mit großer Brutalität die Macht erzwungen hatte, konvertierte er zum Buddhismus und führte das erste Staatwesen der Welt ein, das buddhistische Prinzipien wie Soziale Wohlfahrt und Gewaltverzicht zur Grundlage der Verfassung machte. Nach Ahokas Tod zersplitterte das riesige Reich in kleine, belanglose Staaten.

Erst ab dem dritten nachchristlichen Jahrhundert gewinnt wieder eine nordindische Macht, die Gupta-Dynastie an Einfluss. Unter dieser Herrschaft wurden Buddhismus und Hinduismus weiter gefördert und ausgebaut. Eine diesbezüglich unterstützendes Ereignis war die Erbau- ung der vermutlich größten Lehrstätte der Antike in Bihar: Nalanda. In ihr studierten etwa zehntausend Studenten aus ganz Asien und es lehrten ca. tausend Lehrkräfte. Man sagt, Na- landa soll neun Millionen Bücher beherbergt haben (vgl. Vermeer/ Neumann, 2008, S. 32). Mit dem Einbruch der Hunnen, die von 500 bis 527 Nordindien beherrschten, setzte das frü- he Mittelalter ein und löste das klassische Altertum grausam ab. Die Hunnenkönige sahen sich nicht als neue Ordnungsmacht. „Sie raubten und zerstörten. Ihre Herrschaft verging so schnell wie sie begonnen hatte“ (Rothermund, 1995, S. 83). Das Dilemma wurde durch den Niedergang der Handelsbeziehungen nach Rom noch verstärkt. Das hinterlassene Machtva- kuum in Nordindien sorgte dafür, dass sich nun die Staaten Südindiens (die nicht von dem Hunnensturm heimgesucht worden sind) entfalten konnten. Sie reproduzierten das Kultur- erbe des Altertums, überboten es sogar an gestalterischer Kraft und Innovationsreichtum (Rothemund, 1995, S. 83). Da nach dem Einfall der Hunnen, keine bedeutenden Eroberer in da Land einfielen, konnten die indischen Herrscher in der Gangesebene ihr Machtkämpfe unter sich austragen (Rothemund, 1995, S. 83). Zu dieser Zeit verlor der Buddhismus an Ein- fluss - einerseits weil die Unterhaltung von Klöstern zu kostspielig war und andererseits weil viele Klöster von den Hunnen zerstört wurden (vgl. Vermeer/ Neumann, 2008, S. 33). Eine Vielzahl kleinerer Reiche wechselte sich ab, bis am Ende des zehnten Jahrhunderts islami- sche Turkvölker nach Nordwestindien eindrangen und bis zum dreizehnten Jahrhundert Del- hi und die Ganges-Ebene erobert hatten. „Die Sultane von Delhi gründeten ihre Herrschaft auf die Pflichten und Rechte der Sharia und zogen von Nicht-Muslimen Schutzgelder ein. Sie strebten aber nicht die völlige Unterwerfung unter den Islam und die Beseitigung der hin- duistischen Sozialordnung an, wenngleich etliche Tempel zerstört wurden“ (Betz, 2007, o.S). Das Bestreben der unteren Führer als auch fehlende Regelungen friedlicher Nachfolge und Konflikte mit der beherrschten Gesellschaft führten zum Zusammenbruch des Sultanats und zu einer erneuten politischen Fragmentierung (vgl. Betz, 2007, o.S). Erst die türkisch- persischen Mogulherrscher, Nachfahren der Mongolen, die aus Afghanistan Anfang des sechzehnten Jahrhunderts einfielen, stellten wieder eine herrschende Einheit her. Der Anführer Babur besiegte dank seiner neuen Kriegstechnik (Artillerie) den Sultan von Delhi und begründete das Mogulreich. Das Reich dehnte sich von Afghanistan bis Bengalen und auf den nördlichen Deccan aus und wandelte sich von einem Feudalreich in ein zentralistisch regierten, absolutistischen Staat. Der Enkel Baburs, Akbar versuchte die beiden großen Kul- turen und Religionen zu vereinen und einen neuen Herrscherstil für die kommenden Genera- tionen zu etablieren (vgl. Stang, 2002, S. 43). Wunderschöne Bauwerke, wie der Taj Mahal, die Stadt Fatehpur Sikri oder das Rote Fort in Agra entstanden und wurden zum Erben In- diens. Mit Delhi als Hauptstadt hatten die Moguln große Probleme ihren Einfluss zu sichern, wodurch es zu erneuten Einfällen aus dem Nordwersten, Aufstände im Süden und kleinen Staaten mit Rajas oder Maharajas kam - Indien war nämlich kein einheitliches Reich, wel- ches einmal besetzt, nur noch verwaltet werden musste (vgl. Vermeer/ Neumann, 2008, S. 33). Mit Aurangzeb (1658-1707) kam ein Jahrhundert nach Agbar ein Mogul an die Herr- schaft, dessen radikale Politik zu einer feindlichen Spaltung zwischen Hindus und Muslimen führte. Er verfolgte einen orthodox-religiösen Kurs, hinderte die Menschen an ihrer Religi- onsausübung und ließ Hindu-Tempel niederreißen. Durch seine politische Agenda und die steuerliche Ausbeutung der landwirtschaftlichen Bevölkerung kam es zu vermehrten Auf- ständen, die das Ende dieser Dynastie mit sich brachten (vgl. Betz, 2007, o.S.).

Zum Zusammenbrechen der Dynastie wesentlich beigetragen hat die kriegerische HinduBevölkerung, die Marathen. Sie überfielen auf ihren Feldzügen West-, Zentral- und Nordindien. Jedoch fielen mit dem Aufstieg der Marathen, die Expansion der Afghanen und das Vorrücken der Briten zusammen. 1761 wurden die Marathen von den Afghanen vernichtend in einer großen Schlacht besiegt. Somit löste sich die Vorstellung von einem indischen Reich unter ihrer Vorherrschaft in Luft auf und hinterließ stattdessen ein völlig ruiniertes Indien, welches dann umso leichter von den Briten erobert werden konnte.

2.2 Das Britisch Empire - East-India Company

Wenig bekannt ist, dass nicht die britische Krone Indien im 17. Und 18 Jahrhundert regiert hat, sondern das Land von der East India Company (EIC) kontrolliert wurde. Diese Handels- gesellschaft verfügte über eigene militärische und fortschrittliche Verwaltungsstrukturen. Die Fokussierung auf die Geldvermehrung ihrer Eigentümer, ließ die Entwicklung Indiens schlichtweg erlahmen und wirkt bis heute immer noch nach. „Die Kolonialzeit wird nicht zu- letzt wegen dieser 150 Jahre währenden Ausbeutung als Joch im geschichtlichen Bewusstsein empfunden. Indien hat unter diesem Regime gleichermaßen profitiert wie auch stark gelitten“ (Vermeer/ Neumann (2008), S. 34).

Die EIC wurde im Jahre 1600 als gewöhnliche Handelsgesellschaft mit Gewinnbeteiligung der Investoren gegründet. Die Königin von England gewährte ihren Kaufleuten zwischen dem Kap der Guten Hoffnung und der Magellanstraße für fünfzehn Jahre Handel zu treiben. Die EIC breitete sich beginnend von der indischen Westküste im Jahr 1612 immer weiter aus. Dreißig Jahre später hatte sie Niederlassungen in Madras und Westbengalen an der Ostküs- te. Sie gründete Niederlassungen in Surat, Madras, Bombay und Kalkutta und erhielt schließ- lich auch das Recht eigene Münzen zu prägen und die Militärgerichtsbarkeit in Indien auszu- üben (vgl. Vermeer/ Neumann, 2008, S. 34). Ein entscheidender Punkt für die britische Herr- schaft in Indien war die Gewinnung der Provinz Bengalen. Durch die wachsende Einfluss- nahme der East India Company in Bengalen kam es zu Auseinandersetzungen mit dem Mo- gul-Kaiser in Delhi. 1757 gewannen die Briten die Schlacht von Plassey und hatten damit die Kontrolle über die Steuern dieser reichen Provinz - die Steuern wurden auch eingesetzt um den Süden zu unterwerfen. Die Schlacht bracht aber noch einen anderen entscheidenden Vorteil mit sich: Sie konnten jetzt auch den Weg flussaufwärts entlang der Ganga für sich beanspruchen (vgl. Kulke/ Rothermund in Stang, 2002, S. 52). Die faktische Inbesitznahme weiter Teile Indiens durch die EIC war anfangs von einer grausamen Ausbeutung begleitet, der 1784 mit dem India Act versucht wurde, ein Ende zu setzten - erfolglos. Der Privathandel wurde verboten, finanzielle und kommerzielle Funktionen wurden strikt getrennt, die Agrar- steuer vereinheitlicht und es wurde ein System unabhängiger Gerichte implementiert. Auf- grund der Regulierung des Landbesitzes und dem Einsatz der Grundherren als Steuereintrei- ber, war die Landwirtschaft einer erheblichen Belastung ausgesetzt und brachte rasch aufei- nander folgende Hungersnöte (vgl. Betz, 2007, o.S.).

Die Haupthandelsgüter der East India Company waren Tee, Seide, Gewürze und vor allem Baumwolle. Durch die Vertreibung der französischen Konkurrenz, besaß die EIC das Han- delsmonopol. Als der Import der in Großbritannien begehrten feinen bengalischen Baum- wolle zu teuer wurde begannen die Briten selber Tücher zu weben und zu spinnen - die in- dustrielle Revolution nahm ihre Anfänge. Aufgrund der hohen Nachfrage entstand ein Ar- beitskräftemangel, der durch technisch weiterentwickelte bzw. neu erfundene Maschinen kompensiert werden sollte. Eine Gegenläufige Entwicklung war in Indien zu sehen: ein Über- schuss an billigen Arbeitskräften, bedingt durch eine relativ geringe Nachfrage - hier wurden keine Maschinen benötigt. Die Anfangs gut funktionierende Wirtschaft Indiens, die zwi- schenzeitlich von dem Zustrom der Ausländer profitierte, litt zunehmend unter der gierigen Besatzungsmacht, deren Interesse es nicht war, Indien wirtschaftlich zu entwickeln (vgl. Vermeer/ Neumann, 2008, S. 35). Indien wurde also nur auf den Status eines Rohstoffprodu- zenten degradiert. Auch die Inder selber wurden als unfähig erklärt, anspruchsvollere Arbei- ten zu verrichten.

Die Briten expandierten immer weiter, auch vorangetrieben durch die festgeschriebenen Verträge mit den indischen Fürsten, die besagten, dass beim Tod eines Fürsten ohne Erbfol- ge seine Territorien an die EIC fielen (vgl. Stang, 2002, S. 52). Somit waren sie de facto Herr- scher über große Teile Indiens mit allen Machtbefugnissen, die sie hierfür benötigten. Ihre Machtreichweite erreichte in der Mitte des 18. Jahrhunderts ihren Höhepunkt - sie reichte bis nach Singapur und Hongkong. Mit diesem Machzenit gingen das Aufkommen von ver- mehrten Aufständen einher. Als Reaktion auf diese Aufstände entzog die britische Krone der EIC langsam die Machkompetenzen und übernahm selber die Kontrolle über das Land (vgl. Vermeer/ Neumann, 2008, S. 35).

Die Bemühungen der Briten Indien zu „zivilisieren“ stießen bei der indischen Bevölkerung immer öfter auf Ablehnung. Sie sahen dies Versuche immer häufiger als einen Angriff gegen ihre Sitten und ihre Religion (vgl. Stang 2005, S. 53). Als man sie schließlich zwang Patronen- hülsen4, die mit Tierfett eingerieben waren, zu verwenden, kam es 1857 einem Aufstand (die sog. Sepoy-Rebellion), der sich in rascher Geschwindigkeit über weite Teile des Land verteilte und von den noch herrschenden Moguln unterstützt wurde (vgl. Vermeer/ Neumann, 2008, S. 35). Nachdem der Aufstand mit Hilfe der Sikhs niedergeschlagen wurde, löste sich die Ost- indiengesellschaft auf und die britische Krone übernahm die direkte Alleinherrschaft über Indien. Königin Viktoria widmete sich dieser Aufgabe mit einer solchen Ehrenhaftigkeit, so dass sie sich im Jahre 1877 zu Kaiserin von Indien ernannte und sogar Hindi lernte (vgl. Ro- thermund, 1995, S. 95). Die Politik der Briten veränderte sich jedoch nicht signifikant - In- dern wurde z.B. der Zugang zum „Indian Civil Service“, den Beamtendienst zum Großteil verweigert. Ihnen wurde das ihnen zustehende Recht durch bürokratische Hürden genom- men. Das erzeugte natürlich erneuten Unmut in der indischen Bevölkerung; Außerdem wur- de die Ausbeutung der indischen Wirtschaft durch die Briten nun auch von der indischen Bildungselite wahrgenommen und kritisiert (vgl. Vermeer/ Neumann, 2008, S. 36). 1885 fand in Bombay die erste Sitzung des Nationalkongresses (All-India National Congress) statt, in der die unterschiedlichen Strömungen zusammentrafen. Aber auch hier herrschte kein Konsens - während die Nationalisten die Meinung vertraten, mittels britisch-indischer Gesetze einen unabhängigen Staat zu gründen, waren ihre Gegenspieler darauf erpicht Indien von ihren Besatzungsmächten zu befreien und einen starken Staat zu formen. Man sprach also über die zukünftige Kooperation oder Boykottierung der britischen Krone. Als Reaktion auf die religiös-intendierte Teilung Bengalens, in eine östliche und eine westlich Hälfte5 kam es zu weiteren schwerwiegenden Protesten. Die Inder boykottierten britische Waren und kauften nur noch im eigenen Land hergestellte Produkte („swadeshi“). Sogar eine Verfassungsreform konnte die anstehenden Konflikte zwischen Angehörigen des Kongresses nicht klären. Die britische Regierung war verunsichert und traf zunehmend falsche oder hilflose Entscheidun- gen. Als König George V. 1891 nach Indien kam, machte er die unglückliche Teilung Benga- lens rückgängig und verlegte die Hauptstadt Kalkutta nach Delhi (vgl. Vermeer/ Neumann, 2008, S. 36). Die Teilung hatte die Gegensätze von Hindus und Muslimen trotz der Revidie- rung offensichtlich gemacht und verstärkt und es folgten antibritische, teils terroristische Protestwellen. Daraufhin gründetet sich 1906 die All-India Muslim League, die sich für ver- fassungsgarantierte Sicherheiten und separate Wahlkreise einsetzte - an seiner Spitze stand Mohammed Ali Jinnah (vgl. Stang, 2005, S. 55).

2.3 Ghandi, Teilung und Unabhängigkeit

„Der erste Weltkrieg stimulierte revolutionäre wie auch konstitutionelle Aktivitäten in In- dien. Bengalen und der Punjab wurden von einer Welle der politischen Gewalt erfasst, die von den Briten brutal niedergeschlagen wurde“ (Betz, 2007, o.S). Zeitgleich versuchten der Kongress und die Muslimliga, die zum ersten mal einen gemeinsamen politischen Konsens fanden, der auf eine weitergehende Verfassungsreform zielte, Indiens Beitrag zum Krieg in politische Konzession umzusetzen (vgl. Betz, 2007, o.S.). 1919 reagierten die Briten mit eini- gen Zugeständnissen: Inder konnten bis in die höchsten Ministerposten der Zentralregierun- gen aufsteigen, außerdem erhielten die Provinzen einen größeren Handlungsspielraum und mehr Autonomie. Die meisten Konzessionen und Reformen wurden jedoch als „zu wenig und zu spät“ deklariert (vgl. Stang, 2005, S. 55).

[...]


1 Sie nannten sich selbst arya, was übersetzt „die Edlen“ bedeutet

2 Eine detaillierte Beschreibung der Entstehung und des Wesens des Kastensystems in Kapitel 5.1

3 Siddharta Gautama erhielt später den Ehrennamen Buddha

4 Die Patronenhülsen mussten vor dem Gebrauch abgebissen werden. Diese Prozedur war für Hindus als auch für Muslime absolut inakzeptabel, da man nicht die Herkunft des Fettes kannte.

5 Diese Fläche entspricht ziemlich genau dem heutigen Bangladesch

Ende der Leseprobe aus 31 Seiten

Details

Titel
Indien gestern und heute. Die kulturellen Einflussfaktoren und Probleme
Hochschule
Leuphana Universität Lüneburg  (Institut für Soziologie)
Veranstaltung
Kultursoziologie
Note
2,0
Autor
Jahr
2010
Seiten
31
Katalognummer
V202208
ISBN (eBook)
9783668325111
ISBN (Buch)
9783668325128
Dateigröße
723 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Indien, India, Kultursoziologie, Geschichte Indiens, Indiens Wirtschaft, Indiens Kultur, Armut in Indien, Kasten, Kaschmir, Pakistan Konflikt, Kolonialisierung Indien, British India, Kastensystem, Kashmirkonflikt, Weltwirtschaftsmacht Indien, Zukunft Indiens, Ghandi, Britisch Empire, Unabhängigkeit Indiens
Arbeit zitieren
B. Sc. Empirische Wirtschafts- und Sozialwissenschaften Fabian Sohns (Autor:in), 2010, Indien gestern und heute. Die kulturellen Einflussfaktoren und Probleme, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/202208

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