Interferenzen - Fiktion und Fotografie bei W.G. Sebald


Magisterarbeit, 2011

99 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


1 Inhaltsverzeichnis

2 Einleitung

3 Aspekte des Erzählens bei WG. Sebald
3.1 Fiktionale Strategien des Erzählens
3.1.1 Erzähler und Autor: Die Erfindung des Ich
3.1.2 Biografien weiterschreiben. Das Dokument und das reflexive Hineinversetzen
3.1.3 Der zweite Erzähler: Zeugenschaft als erzählerisches Mittel in Die Ausgewanderten
3.1.4 Fotografisches Erzählen
3.2 Fiktive Strategien des Erzählens
3.2.1 Reise und Exil bei Sebald
3.2.1.1 Sebalds Reisen — Ortswechsel als Grundvoraussetzung der Fiktion
3.2.1.2 Ambros Adelwarth: Die Ausreise des Onkel Kasimir
3.2.2 Fühlen, Denken, Verzweifeln: Erinnern und Erinnerungslosigkeit in All'estero
3.2.3 Austerlitz' Schreibkrise und die Gedächtnislosigkeit der Fotografie

4 Die Fotografien in Sebalds Werk
4.1 Verweise zur Theorie von Text und Bild sowie Ikonotexten
4.2 Theoretische Vorbetrachtungen zur Fotografie
4.2.1 Der besondere Realitätsbezug der Fotografie
4.2.2 Fotos als Vergangenheitsbilder
4.3 Sebalds Fotos: Die vermittelte Verwendung eines (scheinbar) distanzlosen Mediums
4.3.1 Formelle Aspekte zu Sebalds Bildern
4.3.2 Der Autor und die Fotos
4.3.3 Der Erzähler und die Fotos
4.3.4 Zur Verbindung von Foto und Text bei WG. Sebald
4.3.5 Rezeption der Ikonotexte
4.4 Funktionen von Foto-Text-Relationen
4.5 Fotos vom Erzähler
4.5.1 Erzählerfoto in Die Ringe des Saturn: Die absolute Vergangenheit
4.5.2 Erzählerfoto in Die Ausgewanderten: Der Fotograf im Text
4.5.3 Erzählerfoto in Schwindel. Gefühle.: Ein Zuzwinkern

5 Betrachtungen einzelner Fotografien
5.1 Fotografien in Austerlitz
5.1.1 Kuppel des Bahnhofs von Antwerpen / brennender Bahnhof von Luzern: Das Wichtige liegt im Abseits
5.1.2 Zwei Fotos auf dem Weg zur Vergangenheit: Das Mosaik und das Treppenhaus
5.1.3 DieFotosvonVera
5.1.3.1 Das Bühnenbild mit zwei Schauspielern
5.1.3.2 Der Page der Rosenkönigin
5.1.3.3 Der vergessene Fundort der Fotografien
5.1.3.4 Balzacs Erzählung Le Colonel Chabert als Prätext
5.2 Fotografien in Henry Selwyn
5.2.1 DerTennisplatz
5.2.2 Der Küchengarten
5.2.3 Gemeinsamkeiten der Fotos

6 Schlussbetrachtung

7 Literaturverzeichnis

8 Quellenverzeichnis

9 Abbildungsverzeichnis

2.Einleitung

Der beeindruckende Ton von Sebalds Prosa, die zwischen Fakt und Fiktion ebenso changiert wie zwischen fotografischem Erzählen und akribischer Geschichtsschreibung, hat besonders nach seinem Unfalltod im Dezember 2001 viele Menschen in seinen Bann gezogen. Den größten Verdienst trägt dabei die im Text entstehende Forderung an den Leser, sich als Teil einer sensiblen Erinnerungskultur persönlich einzubringen. Sebald schafft es in seiner Rekonstruktion von Vergangenheit, der im 20. Jahrhundert mehr und mehr in Zweifel gezogenen Fotografie eine neue Relevanz als Medium der Erinnerung im literarischen Text zuzuweisen. Die Fiktion als Gedächtnisort erweist sich bei diesem Projekt als die der Zerbrechlichkeit des Individuums Raum gebende Form eines Erzählens, das sich auch als eine Kontemplation der Menschheitsgeschichte der Zerstörung und als ein Festhalten an der Hoffnung auf Einsicht und Umkehr versteht.

Diese Arbeit untersucht die fotografischen Abbildungen in ihrem Verhältnis zum Erzähltext in den drei Prosawerken Schwindel. Gefühle., Die Ausgewanderten und Austerlitg. Der Idee liegt die Tatsache zu Grunde, dass „Photographie und Photographien [...] in den einzelnen Texten Sebalds unterschiedlich eingesetzt [.,.]“1 werden und dass von ihnen eine Verweiskraft und Konstituierung im Gesamtwerk ausgeht, die in den Betrachtungen von Einzelwerken in der Forschung oft nur marginal zur Sprache kommt. Die vielfältigen Verbindungswege zwischen dem Erzähltext der drei Prosawerke, der zwischen dokumentarisch und fiktional schwankt, und der Fotografie zwischen banaler Tautologie und intertextuellem Verwirrspiel gaben den Anstoß zu dieser werkübergreifenden Untersuchung.

Eingrenzung der Textauswahl, Begründung

Die drei erwähnten Erzählungen werden durch einen Ich-Erzähler geleitet, der sich mit der Vergangenheit seiner Mitmenschen auf verschiedene Arten auseinandersetzt. Die Besonderheit bei Sebalds Annäherungen an die Vergangenheit 2 besteht darin, dass er einen Ich-Erzähler einsetzt, der unterschiedlich stark Präsenz zeigt, durch dessen Blick die Figuren und Geschichten aber einen fiktiven Charakter annehmen. Gleichsam sind die Erzählungen von Fakten- und Weltwissen durchdrungen. Die Erzählung Die Ringe des Saturn wurde in der Analyse weitgehend ausgelassen, da Inhalt und besonders Fotos über weite Teile um historische Personen kreisen.3 Zwar wird auch in diesem Werk eine fiktive Welt durch den Erzähler entworfen, die Verwechslung von Faktizität und Fiktionalität des Textes wird hier jedoch deutlicher getrennt und eingearbeitet als in anderen Texten, in denen Schicksale im Mittelpunkt stehen, die nur in Sebalds Text Erwähnung finden. Aus demselben Grund werden auch die erste und die dritte Erzählung in Schwindel. Gefühle, nicht behandelt. Franz Kafkas und Stendhals autobiografische Schriften und die von zahlreichen Forschungsarbeiten erbrachte Rekonstruktion ihrer geschichtlichen Existenz sind nach Ansicht der Verfasserin ausreichende Folien, die diese Texte vom Ansatz dieser Arbeit ausschließen.

Um den Rahmen dieser Arbeit zu erfüllen, können nur einige der Fotografien der erwähnten Werke besprochen werden, die in ihrem Gesamtzusammenhang mit dem jeweiligen Text und den anderen Texten eine wegweisende Rolle spielen. Dieser Umstand erklärt sich durch die Verweiskraft der Fotografien, in der ihre Fiktionalität begründet ist.

Kapitel I

Sebalds Prosawerke werden dem neuen Genre „Foto-Text“4 bzw. „Ikonotext“5 zugeordnet, demnach tragen zwei unterschiedliche Medien zur Fiktionalität des Gesamtwerks bei. Im ersten Abschnitt werden fiktionale und fiktive Erzählstrategien auf der textlichen Ebene untersucht. Sebalds Prosawerke tragen die Züge vieler literarischen Genres, namentlich der Autobiografie, Biografie, Reiseliteratur und Historiografie. All jene Genres haben die Eigenschaft gemein, von der Wirklichkeit — von etwas, was dem Autor zufolge wirklich passiert ist — erzählen zu wollen. Dabei ist es dem Autor ein Anliegen, das Gewesene gleichzeitig besonders glaubwürdig wiederzugeben. Das wichtigste Merkmal, das Sebalds Werke vom faktualen Erzählen zu unterscheiden scheint, ist der Umstand, dass er einen Erzähler einsetzt6, eine „abstrakte Instanz oder Funktion eines narrativen Textes [...], die nicht mit dem Autor identisch ist“7. Sebalds Ich­Erzähler schafft es, durch unterschiedliche erzählerische Mittel eine Transparenz der fiktiven Textwelt herzustellen. Das heißt, er unternimmt Versuche, den Leser von seiner Rolle abzulenken und scheint ausgehend von seinem fiktionalen Erzählen auf ein faktuales Erzählen hin zu zielen. Ganz im Sinne von Sebalds eigener Auffassung, dass „an der Nahtstelle zwischen Dokument und Fiktion literarisch die interessantesten Dinge“8 entstehen, durchbricht er die Erzähler-Autor­Unterscheidung. Er erreicht auf diese Weise nicht nur eine erhöhte Eindringlichkeit der fiktiven Welt und eine Parallelisierung der Welten von Leser und Erzähler, sondern erteilt durch den eigenen Anspruch an sein Projekt der Vermessung der Welt mittelbar einen Auftrag zum Nachforschen und Vervollständigen seiner Erinnerungskultur, die er der konventionellen Geschichtsschreibung entgegenstellt.

Fiktionalität wird auch erreicht durch die Vermitteltheit der Wiedergabe von Aussagen der sprechenden Figuren, denen der Autor begegnet und die er erzählen lässt. Da diese Berichte durch die Sebaldsche Erzählstimme wiedergegeben werden, „klingt“ die intradiegetische Erzählung nicht bloß gleich wie jene des Erzählers, sie erzeugt auch in einer ähnlichen Wertung ein Gleichgewicht zwischen Fakten aus dem eigenen, vergangenen Leben und den selten für die Erzählung wirklich notwendigen Ausführungen der Peripherie.

Die Technik des fotografischen Erzählens verweist bereits auf die latente Thematik der Fotografie in seinem Werk, soll hier jedoch zunächst als fiktionale Strategie untersucht werden. Darin angelegt ist bereits eine die Vergangenheit sezierende Forschungstätigkeit, die sich auf historische Ereignisse und persönliche Erfahrungsberichte bezieht.

Da Sebalds Prosa sich nahezu immer an einer Reise entzündet, wird auch dieser Aspekt als fiktives Merkmal betrachtet. Die Fremdheitserfahrung ist bei Sebald ein gleichzeitig erlösendes wie bedrohendes Moment, das den Nährboden für die eingehende Selbstbetrachtung wie die Kontemplation und das Schreiben bereitet.

In einem letzten Schritt innerhalb der reinen Textbetrachtung soll vor allem auf die in nahezu allen Texten zu findenden Stellen der Uberrealität eingegangen werden: Traum, Alptraum, Wahn und Halluzination bzw Vision sollen als parallele Uberwirklichkeiten im Erzähltext analysiert und ihr fiktiver Charakter herausgestellt werden.

Kapitel II

Die Präsenz des Mediums Fotografie ist in den betrachteten Werken unübersehbar und dominiert den ersten Eindruck. Nach einem kurzen Abriss über den Gegenstand Foto-Text und bisherige Forschungstexte zum Foto bei Sebald werden verschiedene Aspekte beleuchtet, die sowohl die Fotografie als Medium als auch das Foto in Sebalds Text betreffen.

Zunächst werden die für Sebalds Texte wichtigsten Thesen aus den beiden einschlägigen fototheoretischen Intertexten, nämlich Roland Barthes’ Die helle Kammer 9 und Susan Sontags Essayband Über Fotografie 10 in einem Abschnitt zur Fototheorie vorgestellt. Dazu gehört der besondere Realitätsbezug der Fotografie, aus dem sich das die Verwendung von Fotos immer noch prägende Verständnis vom Foto als Dokument speist. Dies ist ein Verständnis des Mediums Fotografie, die sich Sebald in seinen Texten zunutze macht. In einem Interview bemerkt der Autor:

„Die Photographie ist das wahre Dokument par excellence. Von einer Photographie lassen sich die Leute überzeugen.“11

Die Fotografie scheint dem Streben des Sebaldschen Textes nach Authentizität zunächst Nachdruck zu verleihen. In ihrer neuen, zusätzlichen Eigenschaft als Textbegleiter aber erhalten und verlieren die Fotos neue Dimensionen der Unschuld bzw. des Beteiligtseins.

In Bezug auf die Fiktionalisierung des Ikonotextes erlangt das eingebettete Foto aufgrund der Eigenschaft, einen unwiederbringlichen Augenblick im historischen Zeitgefüge festzuhalten, eine besondere Stellung, die sich im Text niederschlägt und an vielen Stellen in Austerlitp ihre textliche Entsprechung findet.

Einen weiteren Schwerpunkt in der Betrachtung von Sebalds Fotografien bildet die Seite der Rezeption; sie wird in den Foto-Betrachtungen in Kapitel III auch zur Sprache kommen, weil es sich bei dem die fiktionalen Fotos umgebenden Text oft um die Beschreibung von Rezeptionsvorgängen handelt:

„Das Erstaunliche an Sebalds Text ist [...] die Tatsache, daß einige der Bilder, die die Figuren betrachten [...] dem Leser als Abbildungen im Roman selbst präsentiert werden und dadurch eine fiktionsexterne Perspektive auf die Bilder geschaffen wird.“12

Eine Übersicht über die verschiedenen Theorien zu Funktionen von Sebalds Fotografien wird in Kapitel 2.3 gegeben. Für die Betrachtungen im dritten Kapitel werden jene der (scheinbaren) Beglaubigung als auch des Erzähl- und Handlungsimpulses herausgegriffen, die zur Fiktionalisierung der Fotos beitragen und durch die Sebald die Entfremdung des Mediums Fotografie von der Wirklichkeit und die Einbindung in seine Prosa erreicht.

Kapitel III

Aus den Definitionen des Ikonotextes13 ergibt sich für die analytische Arbeit in den Augen der Verfasserin die Pflicht, die Fotos nie ohne den sie direkt umgehenden Text zu betrachten. Auch wenn das Foto als Bedeutungsträger innerhalb eines Erzähltextes eine über seine Positionierung hinausgehende Verweiskraft besitzt, ist die analytische Arbeit mit Fotos im literaturwissenschaftlichen Diskurs unabdingbar an die Kompositionsstruktur gebunden, die der Autor vorgegeben hat.14

Die Werke Oie Ausgewanderten15 (DA) und Schwindel. Gefühle.16 (SG) und Die Tinge des Saturn 17 (SG) sowie Austerlitfz 18 (A) werden in den Fassungen der Erstausgaben zitiert.

3 Aspekte des Erzählens bei W.G. Sebald

„Mein Medium istdie Prosa, nichtderPoman.“ W.G. Sebald 19

Sebald verfolgt verschiedene Strategien, um die Vermischung von Fiktionalität und Authentizität zu erreichen. Sein wichtigstes Werkzeug hierbei ist der Ich-Erzähler, der sowohl zu den Figuren des Textes, die immer Merkmale von real existierenden oder historischen Figuren tragen, als auch zum Leser eine besondere, weil intime und gleichzeitig distanzierte Beziehung unterhält. Dieser Erzähler, der es schafft, trotz einer minutiösen Berichterstattung und unter Einflechtung auch der eigenen persönlichen Unzulänglichkeiten auf eine taktvolle, behutsame Art zu erzählen, soll im Mittelpunkt des ersten Kapitels dieser Arbeit stehen.

Gegenstand: Fiktion

Da im ersten Kapitels verschiedene textinterne (fiktive) und -externe (fiktionale) Beglaubigungsstrategien des Erzählers bzw. des Autors untersucht werden sollen, wird die Abgrenzung der Begriffe an dieser Stelle kurz zusammengefasst. Meike Herrmann erläutert (Frank Zipfel paraphrasierend) die Begriffe „fiktional“ und „fiktiv“ folgendermaßen:

„Auf der Ebene der Story meint Fiktivität die dargestellte Handlung, die als real oder fiktiv zu bewerten ist. Auf der Ebene des Diskurses meint 'Fiktionalität die Vermittlung oder Erzählung dieser Handlung. Fiktion ist dann der Oberbegriff für fiktive, fiktional erzählte Texte. Eine gängige Bestimmung von Fiktion ist (auf Ebene der Fiktivität) die einer Rede ohne Anspruch auf Referentialisierbarkeit.“20

Gérard Genette streicht bei fiktionalen Texten eine „Vereinbarung der gegenseitigen Nichtverantwortlichkeit“21 zwischen Rezipient und Autor heraus, die auch Lars Blunck zufolge das Hauptkriterium für fiktionale Texte ist:

„Anders als Täuschungen verdanken sich Fiktionen [...] gerade des (gleichsam wohlwollenden) Gewahrseins der Fiktivität der in ihnen zur Anschauung gelangenden Wirklichkeiten, andernfalls sie nicht als Fiktionen, sondern als Fakten, nicht als fiktive Wirklichkeiten, sondern als faktuale (oder auch vorgetäuschte) Wirklichkeiten aufgefasst würden.“22

Demgegenüber wendet Sebald sowohl auf der fiktiven als auch der fiktionalen Ebene Strategien an, die dem Leser eine Kongruenz der fiktiven Welt mit der Realität suggerieren. Dazu gehört die große Detailtreue; durch den sezierenden Blick dieses Erzählers und eine Beschreibungsästhetik, die sich in erzählerisch gedehnten Passagen manifestiert, erhält der Text eine höhere Glaubwürdigkeit. Wir nehmen die fiktive Welt wie der Ich-Erzähler wahr, weil er an vielen Stellen hinter seinen Gegenstand zurücktritt. Insbesondere in Die Ausgewanderten und Austerlit^ tritt sein Antlitz eines menschlichen Mit-Erinnernden zutage. Durch die starke Erzählerfigur wird der Leser in den Text hineingezogen, er wird zum Komplizen des Erzählers und fühlt sich aufgefordert, das Berichtete in seiner, der echten Welt aufzusuchen, für sich selbst zu ergründen und das Andenken an die Schicksale weiterzuführen (oder das Gedenken wenigstens zu verfolgen).

Auf der anderen Seite sind in Sebalds Texten auch Innensichten zu finden, die den Ich-Erzähler zu einem befremdlichen Charakter werden lassen. Solche Muster finden sich vor allem in den Momenten der Erzählung, in denen körperliche Manifestationen der angestrengten geistigen Tätigkeit beschrieben werden.

Erzählstrategien der Einwebung persönlicher Daten des Erzählers führen dazu, dass der Ich­Erzähler der historischen Persönlichkeit Sebalds bis ins autobiografische Detail ähnelt.23 Die so erreichte Uberkreuzung von fiktionaler und fiktiver Ebene der Erzählung bildet das Kernstück der Leserverwirrung bezüglich der Fiktionalität des Erzählten.24

Sowohl auf fiktionaler als auch auf fiktiver Ebene arbeitete Sebald einander widersprechende Strategien zur Fiktionalisierung ein, in denen somit Tendenzen zur faktualen Erzählung ebenso wie zur fiktiven Erzählung auszumachen sind. Daher wird die Untersuchung der fiktionalen Äußerungen auf ihre Rolle als Fiktionssignale in dieser Arbeit gemäß der beiden Kategorien aufgeschlüsselt. Als solche werden fiktionsintern der Aspekt der Reise und die Rolle psychischer und physischer Schwäche untersucht. Die Leserverwirrung durch den Erzähler-Autor­Verwechslungsdiskurs und das vermittelte Erzählen werden für Strategien auf der fiktionalen Ebene analysiert.

3.1 Fiktionale Strategien des Erzählens

3.1.1 Erzähler und Autor: Die Erfindung des Ich

„Alles ist autobiographisch, selbstdas Tfundene.“Claude Simon

In allem, was ein bestimmter Mensch schreibt, ist sein individueller, persönlicher Geist, seine Identität enthalten. Diesem Fakt kann auch Sebald nicht entrinnen. Doch was verändert der Sebaldsche Ich­Erzähler an „seiner Textwelt“, dass wir sie als fiktiv wahrnehmen? Oder, anders gefragt, warum werden Sebalds literarische Texte grundsätzlich als fiktiv wahrgenommen, wenn es so vielen Forschern schwer fällt, bei ihm Fakt von Fiktion zu unterscheiden?

Es gibt in Sebalds Büchern etliche Hinweise auf eine mögliche Deckungsgleichheit zwischen Sebalds Erzähler und seiner Person. Wenn Sebalds Texte sich in ihrer Grundlage auf die Erinnerung eines Erzählers stützen, der aus der Vergangenheit seines eigenen oder eines anderen Lebens erzählt, stellen sie sich in den Kanon derjenigen Textsorten, die die Zeugenschaft bzw. die subjektive Wiedergabe der gelebten Wirklichkeit zur Grundlage haben. Dass wir es mit einem Ich-Erzähler zu tun haben, lässt zunächst an die Autobiografie denken. Hier jedoch muss klar unterschieden werden: Nicht nur, dass jeglicher textexterne Anhaltspunkt fehlt — auch im Text wird nie ein expliziter Hinweis darauf gegeben, dass der Ich-Erzähler WG. Sebald ist. Zwar erfahren wir beiläufig, dass der Erzähler im Jahr 1944 auf die Welt gekommen ist25, doch ist dies dem Leser genauso wenig hilfreich wie die Feststellung, dass er mit dem Autor viele Lebensstationen teilt26.

Michael Robinson, ein Freund des Autors, bemerkt zu Sebalds Erzähler:

"He has obvious affinities with Max, but it's playing on our naivety, because the reader is always tempted to identify the narrator with the writer. He's taunting us."27

Was fehlt, um in den vorliegenden Texten eine Autobiografie erkennen zu können, ist das Bekenntnis, dass der Mensch WG. Sebald diese Erlebnisse aus seiner Perspektive berichtet. Er muss sich zu erkennen geben und dafür einstehen, dass sich das, was er schreibt, sich seiner Meinung nach tatsächlich so zugetragen hat. Es fehlt der autobiografische Pakt28 mit dem Leser. Auch wenn er über die Biografien anderer schreibt, so speist sich sein Wissen nicht aus echten, zusammengetragenen Dokumenten, sondern wiederum aus Biografien bzw. autobiografischer Texten der Biografierten selbst.

Weil die Figuren bzw. der Erzähler innerhalb der Texte Sebalds häufig angeeignetes, im Rahmen der Geschichtsschreibung kanonisiertes und lexikalisiertes 'Wirklichkeitswissen' wiedergeben, gehört die Textsorte Historiografie ebenfalls zu den Ausgangsformen der Sebaldschen Prosa. Auch hier ist es die Erzählerfigur, die das Faktenwissen nach vorherigem Aneignen aus anderer, oft ungenannter Quelle an den Leser weitergibt. Der Text entfaltet sich nur aus einem Bewusstseinshorizont, in dem all dieses Wissen nebeneinander abrufbar ist, und zwar jenem dieser belesenen Ich-Erzählerfigur.

Sebald nennt sein Werk Austerlit% ein „Prosabuch unbestimmter Art“29, und tatsächlich können wir weder von einer Autobiografie, noch von Reiseliteratur, noch von Biografie oder Geschichtsabhandlung sprechen. Dies ist begründet in der impliziten Differenzierung zwischen Autor und Erzähler und grenzt sich durch diese grundlegend von den genannten Genres ab. Von dieser Differenzierung geht die Literaturwissenschaft und auch der Leser selbstverständlich aus — die bloße Nichtindikation, das Weglassen der Worte „Autobiografie“ oder „Roman“ auf dem Bucheinband markiert — so zumindest die allgemeine Handhabe — eher die Fiktion. Der Begriff der “fictional autobiography [...]”30, der Autofiktion31 greift hier wohl am ehesten.

Es ist eine besondere Authentizität des gelebten Lebens, eine extreme Nähe zwischen dem Autor und seinem Stoff — wenigstens diese, scheint es — wollen die Interviewer Sebalds oft bestätigt wissen:

„SPIEGEL: Der Ich-Erzähler in Ihrem Buch [...] trägt deutlich Ihre Züge. Stört es Sie, wenn man ihn mit Sebald gleichsetzt?

W.G. Sebald: Die bürgerliche Person ist etwas anderes als der Schriftsteller. Der Schriftsteller ist etwas anderes als der Erzähler. Und der Erzähler wiederum ist etwas anderes als die Figuren, die er beschreibt.

SPIEGEL: Aber die Lebensdaten und Details sind die Ihrer Biografie?

W.G. Sebald: Das stimmt in aller Regel ziemlich genau.“32

Während der Mensch WG. Sebald gleichzeitig Schriftsteller und Privatperson sein kann, scheint er die klare Trennung von Erzähler und Autor in jenen Partien zu potenzieren, wenn nicht gar zu durchbrechen, in denen davon die Rede ist, dass dieser Erzähler selbst Schriftsteller ist. Dass der Autor hier den Erzähler von der Privatperson mit denselben Worten von dem Schriftsteller Sebald abgrenzt, lässt auf eine Nähe zwischen dem Schriftsteller und dem Erzähler schließen, was in den zahlreichen metafiktionalen Passagen über den Schreibakt abzulesen ist. Diese sollen hier etwas genauer untersucht werden, um den Verwechslungsdikurs Erzähler — Autor bei Sebald als Fiktionalisierungsstrategie kenntlich zu machen.

Metafiktionale Passagen übers Schreiben

Die Niederschrift des Berichts durch den Erzähler findet in wenigen Texten Erwähnung. Die Thematik vom Schreiben selbst zieht sich jedoch durch die Texte Sebalds wie ein roter Faden. Austerlitz spricht vom Schreiben und von einer Schreibkrise, der Ich-Erzähler spricht wiederholt vom Schreiben als Reiseziel33, Geschriebenes von Bereyter und Adelwarth wird im Buch gar als Faksimile abgedruckt34.

Der Erzähler ist ein Autor, der verreist, um davon zu erzählen.35 Die zugrunde liegende Absicht, auf der Reise eine Niederschrift anzufertigen, wird durch den vorliegenden Text gleichsam gespiegelt. Dem Leser als dem letzten Zuhörer gibt er seine persönliche Reiseerfahrung weiter, aus diesem Fakt ergibt sich die eigentliche Motivation für die Niederschrift. Schreiben und Reisen sind zwei Tätigkeiten des Ich-Erzählers, die untrennbar miteinander verbunden und einander zu bedingen scheinen.

Die Reise selbst muss, wenn sie Gegenstand des Textes werden soll, außerhalb des geschriebenen Textes stattgefunden haben. Ihre Niederschrift, das schriftliche Festhalten dessen, was dem Schreibenden vom Erlebten noch erinnerlich ist, kann insbesondere beim Reisebericht immer erst auf das Erlebnis folgen. Die Nachzeitigkeit der Schrift gegenüber dem an die textexterne Welt gebundenen Ereignis ist immer gegeben. „[...] [F]ür jeden narrativen Text [ist] ein zeitliches Nacheinander konstitutiv“36, und auch in sich selbst ist er linear: Er entsteht erst „mit der Zeit“.37 In All'estero ist die Tätigkeit des Schreibens als dem Akt des Festhaltens, einer Vergegenwärtigung des Gewesenen besonders dicht eingestreut. Es finden sich einige Passagen, in denen der Erzähler die genauen Umstände seines Schreibprozesses darstellt. Der Erzähler und der Autor „verschwimmen“ miteinander in diesen Textpassagen. Für die Fiktionalisierungsstrategie in Sebalds Werken sind sie von außergewöhnlichem Interesse.

„Im Sommer 1987, sieben Jahre nach dieser Flucht aus Verona, habe ich, einem seit langem sich rührenden Bedürfnis endlich nachgebend, die Reise von Wien über Venedig nach Verona noch einmal gemacht, um meine schemenhaften Erinnerungen an die damalige gefahrvolle Zeit genauer überprüfen und vielleicht einiges davon aufschreiben zu können. [...] ich [versank] statt in den Schlaf, in meine Erinnerungen. [...] Geschwinder als ich es je für möglich gehalten hätte, verging mir über meinen Aufzeichnungen die Zeit, und ich kam erst wieder zu Bewußtsein, als der Zug [.] die im Glanz der Nacht liegende Lagune durchquerte.“38

Schreiben ist also auch eine Zeit der Bewusstlosigkeit in dem Sinne, dass der Schreibende über dem Schreiben die Zeit vergessen kann. Nicht nur stellt das Geschriebene selbst also etwas Bleibendes, Zeitloses dar, es verhilft auch im Moment seines Entstehens dem Denkenden, seine Gegenwart mit dem festgehaltenen Erinnerten zur Ewigkeit werden zu lassen; der Schreibende ist somit für einige Minuten herausgehoben aus der Zeit. Die Erinnerungen, die der Erzähler hier aufschreibt, sind nichts anderes als der vorstehende Reisebericht, den wir hier noch einmal von einer anderen Perspektive betrachten, nämlich in seiner Entstehung:

Ich setzte mich hinab an die Riva und holte wieder mein Schreibzeug, den Bleistift und das schöne linierte Papier heraus. [...] Bis in den halben Vormittag hinein bin ich an meinen Aufzeichnungen beschäftigt an der Fondamenta Santa Lucia gesessen. Der Bleistift lief leicht über das Papier [.. .]39

Die so erreichte Verschriftlichung führt zu einer mise en abyme 40 :

„Der 2. August war ein friedlicher Tag. Ich saß an einem Tisch nahe der offenen Terrassentür, hatte meine Papiere und Aufzeichnungen um mich her ausgebreitet und zog Verbindungslinien zwischen weit auseinander liegenden Ereignissen, die mir derselben Ordnung anzugehören schienen. Das Schreiben ging mir mit einer erstaunlichen Leichtigkeit von der Hand. Zeile um Zeile füllte ich die Bogen des linierten Schreibblocks, den ich von zu Hause mitgenommen hatte.[...]

Einmal fragte sie [Luciana, die Wirtin des Hotels, JK] mich, ob ich einjournalist sei oder ein Schriftsteller. Als ich ihr sagte, daß weder das eine noch das andere ganz zutreffe, wollte sie wissen, was ich jetzt gerade zu Papier bringe, worauf ich ihr wahrheitsgemäß sagte, daß ich mir darüber selbst nicht recht im Klaren sei, daß ich aber in zunehmendem Maße das Gefühl habe, es handle sich um einen Kriminalroman. [.] Luciana fragte mich, ob Limone auch in der Geschichte vorkomme, und ich sagte, nicht nur Limone käme vor in der Geschichte, sondern auch das Hotel und sogar sie selber.“41

Der Erzähler nennt den Ort und das genaue Datum der Niederschrift. Diese Indizien allein geben schon Anlass zu der Vermutung, das der dem Leser vorliegende Text eine Reinschrift dieser intradiegetischen Aufzeichnungen sind. Durch die Spiegelung des Schreibaktes in der Erzählung spielt der Erzähler mit dem Leser, der sich plötzlich teilzunehmen glaubt an der Herstellung des Textes, den er liest. Der Text aber, den der Erzähler niederschreibt, ist das fiktionale Pendant zum vorläufigen Manuskript des Autors. Und das „schöne linierte Papier“ als greifbare „Unterlage“ des Textes bleibt doch ein Gegenstand der fiktiven Erzählung All'estero. 42

Wenn die fiktive Figur Luciana fragt, was der Ich-Erzähler gerade schreibe, so rücken die Welten des Lesers und des Erzählers mit einem Schlag unendlich nah aneinander. Ihre Frage nach dem Text im Text gibt uns keinerlei Aufschluss über den Text selbst, sondern stellt die Fiktionalität des Ich-Erzählers in Frage, der vor unseren Augen zum Autor zu werden scheint. Limone kommt genau dann in unserer Geschichte vor, wenn der Ich-Erzähler ihr gegenüber behauptet, die Stadt käme in seinem Text vor. Natürlich kann er, rückblickend auf die damalige Situation, vieles über seinen Text behaupten, da der Leser nicht nachprüfen kann, ob es sich um seinen Text handelt. Mit dem Spiegelungseffekt des Textes im Text bewahrheitet der Ich-Erzähler zum Zeitpunkt der Niederschrift seine Behauptung von damals.

Eine Aussage über den Inhalt dieser metafiktionalen Passagen kann freilich kaum über das Festhalten eines Schreibaktes hinausgehen, vergleichbar eines Fotos, das der Fotograf von seinem Spiegelbild aufnimmt.

Beschriebene Orte

Wenn aber der Erzähler an Orte kommt, die für ihn bereits mit einem Text belegt sind, stimmt dieses zeitliche Nacheinander von Erleben und Schreiben nicht mehr. Der andere Autor hat diesen Ort bereits vor dem reisenden Ich-Erzähler beschrieben, ihm seine Zeit und seinen besonderen Lebensabschnitt „zugeordnet“. Diese Verschiebung der Chronologie und das Uberkreuzen von Bekanntem und neu hinzukommenden Erfahrungen konstituiert in Sebalds Reiseliteratur einen Erzählkosmos, in dem angelesene Literaturgeschichte bzw. biografisches Wissen und eigene Erfahrung nicht mehr voneinander zu unterscheiden sind. So überlagern sich Zeiträume, Biografien, Schicksale. Die so in Unordnung gebrachte zeitliche Abfolge von Leben und Schreiben wird von Sebald als Fiktionalisierungstaktik verwendet. Besonders in All'estero, der zweiten Erzählung im Band Schwindel. Gefühle, lässt sich diese Überlagerung von Chronologien beobachten. Während der Leser die Handlung beispielsweise noch imjahr 1980 wähnt, in dem der Ich-Erzähler Grillparzers Tagebuch auf derTeise nach Italien liest, nacherzählt er einige Passagen im Präsens. Sein Gedankengang schweift von Grillparzers durch die Betrachtung des Dogenpalastes im Jahr 1819 ausgelösten Fieberschauern und Halluzinationen zu den Verfolgten, die der eigentliche Grund für die Zustände des Autors sind und zu denen auch Giacomo Casanova gehörte. Von dessen Aufenthalt und Flucht aus dem Dogenpalast im Jahr 1755 handeln die folgenden sechs Seiten, den Bogen zu seiner Rahmenerzählung schlägt der Erzähler schließlich mit dem Hinweis auf eine Koinzidenz:

„Mich hat dieser Versuch Casanovas, mit einem anscheinend willkürlichen Wort- und Zahlenspiel veranlaßt, in meinem eigenen Kalender zurückzublättern, wobei ich zu meiner Verwunderung, ja zu meinem Schrecken feststellte, daß der Tag im achtzigerjahr [...] der letzte Tag des Monats Oktober gewesen ist, einjahrestag somit jenes Tages [...], an dem [.] Casanova [.] den bleiernen Panzer des Krokodils durchbrochen hat.“43

Während er die Episode aus demjahr 1755 nacherzählt, liest er selbst Grillparzers Tagebuch von 1819. Am Nachmittag des 31. Oktober 1980 erfolgt die Handlung des Lesens, doch die im Präsens wiedergegebene Erzählung über Casanova ereignet sich für den Leser zur selben Zeit. Die Zeit der Rahmenhandlung wechselt kurz in die Zeit der Niederschrift — der Ich-Erzähler erinnert sich gleichsam an sich selbst. Diese Ebenen der Erinnerung liegen somit in verschiedenen Epochen und Zeiten.

„Diese Verschachtelung der unterschiedlichen Erzählinstanzen und Zeitebenen steht der Linearität des Textes im Sinne einer chronologisch organisierten Handlung entgegen.“44

Auf der Ebene der Fiktivität wird eine Verwirrungstaktik des Erzählers deutlich, die sich parallel zu jener vollzieht, die für die Verwechslung von Autor und Ich-Erzähler auf der fiktionalen Ebene herausgearbeitet wurde.45

Verknüpfungen zwischen Autor und Erzähler auf fiktiver Ebene

Der Ich-Erzähler besitzt einen ähnlichen Bildungshintergrund wie der Autor und Literaturwissenschaftler WG. Sebald, da er belesen ist und sich sehr gut mit den Biografien der Autoren auskennt, die er gelesen hat. Der Leser wiederum, womöglich nicht so sehr literarisch vorgebildet wie der Ich-Erzähler, kann in ihm einen Kenner der Literaturgeschichte ausmachen. Indem er die „Schriftsteller weit auseinander liegender Epochen einander begegnen und miteinander korrespondieren“46 lässt, stellt er die Subjektivität des Ich-Erzählers in den Vordergrund und unterstreicht, dass seine Weltsicht der Maßstab der Erzählung ist. Allerdings geht von dieser Technik des Verwebens auch der implizite Hinweis auf die anderen Texte aus, das bedeutet: Der Leser von WG. Sebald liest die Namen der Schriftsteller (und oftmals auch ihrer im Text verarbeiteten Werke) und kann nun selbst nachlesen, was dem Ich-Erzähler schon bekannt ist. Der Erzähler vermittelt dem Leser durch diesen Fingerzeig einerseits seine intellektuelle Überlegenheit, andererseits fordert er ihn somit auch heraus. Für die weitere Lektüre bedeutet dies die Etablierung eines Vertrauensverhältnisses zwischen Leser und Erzähler. Eine gewisse Offenheit gegenüber neuen Informationen und eine Bereitschaft zur Weiterbildung wird von diesem Erzähler nun als selbstverständlich voraus gesetzt.

3.1.2 Biografien weiterschreiben. Das Dokument und das reflexive Hineinversetzen

Sebalds Werke beginnen mit der Erwähnung eines klaren zeitlichen Rahmens — ein typisches Signal für faktuales Schreiben:

“The factual beginning leads the reader to believe that the narrator is telling “the truth“ about his experiences that he is about to share.”47

In sich sind die Erzählungen in den Bänden 'Oie Ausgewanderten und Schwindel. Gefühle, sowie in Austerity diesbezüglich einheitlich und nachvollziehbar gestaltet, denn der Ich-Erzähler gibt uns von Zeit zu Zeit wieder einen Hinweis auf Zeitpunkt und Ort seines Aufenthaltes. Mit diesen Hinweisen erhält der Reisebericht einen tagebuchartigen Charakter und erfährt eine Verwurzelung des Erzählten in der „echten“ Vergangenheit. Da die Hinwendung zur Vergangenheit stets im in der Erzählgegenwart Aufgefundenen ihren Ursprung nimmt, wird der Ich-Erzähler zur waltenden Instanz:

„[Dieser] Erzähler ist sich dessen bewusst, daß seine ästhetische, stets fragmentarische Perspektive eine andere als die historische ist, und dies auch sein muß [...] Nicht die faktengetreue Rekonstruktion eines historischen Ereignisses ist also das Anliegen des Erzählers, sondern die fiktionalisierende Restitution einer Erinnerungskultur.48

Die Annäherung an den jeweiligen Erzählgegenstand erfolgt in einer Erzählhaltung, die in der Einschränkung des Blicks, in der Subjektivität wurzelt, diesen Blick nie verlässt und nie leugnet.

„Auf den ersten Blick erscheinen die Texte von W.G. Sebald aufgrund der vielen Ortswechsel, Rückblicke, integrierten Fremdtexte und des periskopischen Erzählens undurchsichtig. Bei genauem Lesen wird jedoch immer deutlich, daß die verschiedenen mündlichen und schriftlichen Erzählinstanzen in einem hierarchischen Verhältnis stehen und von einer übergeordneten Erzählerstimme abhängen.“49

Im Band Die Ausgewanderten und Austerlit^ verwebt Sebald die einzelnen Geschichten, die sein Ich­Erzähler protokolliert, durch Leitmotive50 und die Verwendung einander ähnlicher Fotografien. Auch durch dieses Verweben gelangt der zunächst scheinbar biografische Forschungsbericht des Erzählers auf eine neue Ebene der Fiktionalität; aus den einzelnen Lebensgeschichten wird Literatur. Was die vier Erzählungen zuerst verbindet, ist der Erzähler, die durch den Zufall bestimmten in einer zeitlichen Abfolge sich reihenden Begegnungen mit den Menschen bilden die Vorlage für Sebalds Erzählungen.51 Auch seine Lektüre bestimmt (wie oben gezeigt) die Gedankengänge des Erzählers. In All'estero streut Sebald nicht nur Zitate von Nabokov, Kafka usw ein52, er lässt sie zu seinen Figuren werden, er spinnt ihre Biografie weiter, gestaltet gelebte Zeit aus:

„In Sebalds literarischen Werken nehmen andere Dichter seit je einen besonderen Platz ein — als teils fiktive, teils das Geschehen mit ihrer Biografie und ihrem Werk illuminierende Figuren. Die Durchdringung von Fakt und Fiktion, realer Lebensgeschichte und surrealen Motiven hat der Autor auf die Höhe einer eigenen Gattung gebracht [·..]“53

Diese biografische Annäherung an die jeweilige Schriftsteller-Figur ruft den Wissenshorizont um die jeweilige historische Figur auf. Dieser genügt Sebald jedoch nicht, da er seinen Ich-Erzähler in die Gegenwart seiner schriftstellerischen Vorbilder reisen lässt. Er wandelt mit Kafka am Strand von Riva, begleitet Henri Beyle in seinen Versuchen, seiner Erinnerung Herr zu werden, plant mit Casanova den Ausbruch aus dem Dogenpalast. Die Feststellung der biografischen Lücken und das reflexive Hineinversetzen gehen bei Sebald nahtlos ineinander über, wie hier am Beispiel des Textes Dr. K's Badereise nach Riva zu sehen ist:

„Es spricht jedoch kaum etwas dafür, daß Dr. K. das Hotel an diesem 15. September noch verlassen hat. [...] Dr. K. bleibt also im Hotel.“54

„Wie Dr. K. die paar Tage in Venedig in Wirklichkeit zugebracht hat, wissen wir nicht. Die düstere Stimmung scheint ihn jedenfalls nicht verlassen zu haben. Ja, sie allein war es, die es ihm, wie er vermutete, möglich gemacht hat, sich überhaupt zu erhalten vor dieser Stadt, diesem Venedig, das ihn [.] auf das tiefste beeindruckt haben Der Ich-Erzähler wird durch die Lücken im Lebensbericht zum Weitererzählen gereizt, Lakten und Imagination gehen häufig innerhalb eines Satzes ineinander über. Er scheint sich an seine Stelle versetzen zu wollen, seine Eindrücke nachvollziehen und nachempfinden zu wollen. Der Ich-Erzähler ist im Gegensatz zu seinem Autor nicht gebunden an die Zeit seines Lebens und auch nicht an irgendein Leben, selbst in Kafkas Rolle kann er schlüpfen, da er sich auf der Bewusstseinsebene bewegt. Seine Gegenwart ist die Gegenwart der Porträtierten, er selbst damit unsterblich.55

„Eine zeitliche Vorrangigkeit des einen Textes (Prätext) vor dem anderen [kann] nicht mehr aufrechterhalten werden [...], da weder die Vergangenheit vergangen noch die Gegenwart gegenwärtig ist.“56

Da im Bewusstsein des Ich-Erzählers alle Informationen nebeneinander existieren, ist er dazu geeignet, selbst eine scheinbar absolute Vergangenheit wie die einer Biografie auszugestalten. Die „Rückversetzung“ in der Zeit ist ein Merkmal der Liktion; die Biografie eines verehrten Schriftstellers aufzufüllen hingegen reine Imagination, die es von der auf Dokumenten basierenden biografischen Arbeit zu trennen gilt.

Sebald selbst formuliert diese Absicht, durch „Lügengeschichten“ von der Wahrheit zu erzählen, in einem Interview:

“That's the paradox. You have this string of lies, and by this detour you arrive at a form of truth which is more precise, one hopes, than something which is strictly provable.”57

Die vom Erzähler vorgenommene Vermischung von Lakt und Liktion legitimiert sich in den Augen des Autors also aufgrund des höheren Ziels, eine neue Lorm für eine präzise Wahrheit zu erreichen. Doren Wohlleben formuliert: „[...] [D]ie Dichotomie Wahrheit und Lüge [ist] nicht nur aufgehoben, sondern die unerreichbare Wahrheit [ist] regelrecht auf Erscheinungsformen der Lüge angewiesen [...].“58 Die Konsequenz dieser Vermischung liegt aufseiten der Rezeption. Der Leser kann „Dokument“ und „Liktion“ nicht mehr unterscheiden, weil ihm die Markierungen fehlen. Dies gilt sowohl für die eingestreuten literarischen Werke als auch für autobiografische bzw. biografische Daten, und es gilt (im Hinblick auf das zweite Kapitel dieser Arbeit) insbesondere auch für die eingestreuten Lotografien. Welche Konsequenzen dies auf der Rezeptionsebene hat, hat jeder Leser von Sebald selbst erfahren: „By denying the reader the comfort of a separation between fact and fiction, he unsettles the reader, forcing him to personally engage with the text.“59 Sebald fordert seinen Leser auf, selbst nachzuforschen, da er in seiner Prosa die Imagination des Ich-Erzählers und sein Laktenwissen bis zur Ununterscheidbarkeit verwebt:

“The Emigrants is indeed fiction, though the degree to which it is fiction is the last thing but immediately clear to its reader. Nothing egregiously fictional is to be found therein, and much that seems simply documentary is included in the telling of the four tales. It is in such details and at such crossroads that the careful reader must look to understand Sebald’s conception of fiction and the role fact plays therein.”60

“The Emigrants reads like fiction—and is fiction because of the care and patterning of Sebald’s narration, because of its anguished interiority, and because Sebald so mixes established fact with unstable invention that the two categories copulate and produce a kind of truth which lies just beyond verification: that is, fictional truth”.61

Der Ich-Erzähler verführt den Leser, sein Projekt jenseits der Fiktion des Werks in die Wirklichkeit zu tragen und zu vervollständigen.62

Fiktion ist bei Sebald also nicht das Gegenteil von Wirklichkeit, sondern ergänzt sie vielmehr; sie ist das Produkt aus Ich und Welt, die im Kopf verarbeitete Welt, die Projektion der Welt, die Idee. Auf dem Weg zur Wahrheit, im Projekt des schreibenden Ich-Erzählers und des Autors WG. Sebald, ist sie das notwendige, das schöne Vehikel, das den Weg zu den eigentlichen Zusammenhängen der Welt weisen kann. Ohne Fiktion ist die Welt — wie die Fotos ohne Geschichte63 - eine bruchstückhafte, schwebende Sinnlosigkeit.

In einem reflexiven Hineinversetzen macht Sebald durch seine (gleichsam autobiografische) Lektüre sowohl von biografischen als auch nichtbiografischen Schriften verstorbener und verehrter Schriftstellerkollegen auch den eigenen Bildungshorizont zum Thema. Er vermischt somit verschiedene Kenntnisstände, Epochen und verschleiert die Quellen, so dass die Schriftsteller lebendig werden und ihre Texte neue Sinnzusammenhänge erfahren:

„[...] [D]iese in Sebalds Fiktion handelnden Schriftstellerfiguren waren auch zuvor schon in gewisser Weise literarische Figuren, weil sie sich selbst durch ihre autobiographischen Schriften von real existierenden Personen in literarische Figuren „umgeschrieben haben.“64

Die Ich-Erzähler-Konstrukte also, die die autobiografischen Texte der anderen entwerfen, werden zu Vorgängern seines Ich-Erzählers. Sebalds Arbeit an den Biografien und den Autobiografien ist ein Fortschreiben, ein Hineindenken und Lückenfüllen. Wo die Figur nicht vollständig in ihren Dokumenten abgebildet ist, wird sie durch Versatzstücke aus ebenso erzählenswerten Lebensläufen vervollständigt, so geschehen in Austerlit^c „SPIEGEL: Hat Jacques Austerlitz ein reales Vorbild?

W.G. Sebald: Es stecken zweieinhalb Lebensgeschichten in ihm, Biografien, denen ich nachgegangen bin.“65

Der fiktionale Text beruht auf der Fruchtbarkeit dieser Lebensgeschichten, die Verbindung von Erfundenem und Authentischem ist konstituierend für sein Werk:

„Sebalds narratives Markenzeichen ist [.] die erzählerische Kombination: der fließende Übergang von der Realität des Geschauten in die Fiktionalität seiner Darstellung; und die Verbindung von Eklektizismus und Intuition: die Auswahl der vermittelten Gegenstände, Inhalte, Themen und das reflexive Hineinversenken in ihre mögliche, denkbare Geschichte.“66

In einem Gespräch mit dem Wissenschaftler Volker Hage antwortete WG. Sebald auf einen Einwand zur Gratwanderung des Lesers bezüglich Fiktion (Erfundenem) und Zitat (Dokument), er halte gerade diesen Schwebezustand „für sehr produktiv“.67 Sebald fordert seinen Leser heraus, denn er ist im Text als Mensch mit Geschichte, als Persönlichkeit mit Bildungshintergrund angesprochen und wird so zum Komplizen des Erzählers, der ihn mit seinem Wissen versorgt, ihn aber gleichzeitig auf die zahlreichen Lücken hinweist, die sein Bericht hinterlässt. Der erzählerische Auftrag wird so mittelbar an den Leser weitergegeben. Die Fiktionalität spielt hierbei die Rolle der „unsicheren Konstanten“: „Das ist ja gerade das Geheimnis der Fiktion, daß man nie genau weiß, wo die Trennungslinie verläuft.“68 In den einzelnen Werken sind die Anteile der beiden Pole an der Erzählung unterschiedlich gewichtet. Der Erzähler selbst ist derjenige, der als fiktionale Schlüsselfigur verwebt, was teilweise nachzuweisen oder schlicht erfunden ist oder auf eine falsche Spur führt. Doch auch wenn das Erfundene die Fiktion charakterisiert, ist es eben nicht das Gegenteil der Wirklichkeit, sondern ergänzt vielmehr das Konglomerat aus wirklichkeitsschreibenden Genres: Um der Geschichte die nötige Glaubwürdigkeit und damit den Charakter des Wahren zu geben, muss der Autor die gesehene Wirklichkeit oft sowohl beschneiden als auch ergänzen.69 All jene Möglichkeiten, Einfluss zu nehmen auf das Dokumentierte finden bei einem literaturschaffenden Prozess statt, wie ihn Sebald beschreibt: „Das Fiktive ist der Schnitt des Kleides, aber der gute Schnitt nützt nichts, wenn das Material schäbig ist.“70 Die Verarbeitung durch den Erzähler, der dem Leser die Bearbeitung abnimmt, es ihm vermittelt wie den Zeugenbericht, uns aber gleichzeitig das Übertragen auf den Horizont des Nachgeborenen, Unwissenden nicht erspart, macht Sebalds Bücher zu Gedächtnistexten, die in einem universellen Medium das Erinnern gleichzeitig thematisieren und den geschichtlichen Abgrund vor uns öffnen können. Das Erfundene ist zugleich das Quäntchen Wahrheit, weil es Gedankenprozesse darstellt, die real existieren, die die mögliche Welt abbilden. Denn die „Wahrheit des Textes ist nicht ein Verhältnis zwischen Wort und Ding, sondern zwischen Aussage und Aussage; [...] Nur bei nicht-fiktionalen Texten fordern wir die Übereinstimmung von Fakten und Aussage.“71

Daher ist die Unterscheidung in Erfundenes und Authentisches bei Sebalds Werken nicht nur unmöglich geworden, der Wille, sie zu verfolgen, verstellt auch den Blick auf das Wesentliche, den Wahrheitsgehalt der Prosa.

3.1.3 Der zweite Erzähler: Zeugenschaft als erzählerisches Mittel in Die Ausgewanderten

Sebalds Erzählerfigur tritt in den beiden Werken Austerlit.% und Die Ausgewanderten über weite Strecken stark in den Hintergrund, sie scheint gar hinter den zweiten und dritten Erzählern zu verschwinden. In einer großen Zahl der Sebaldschen Texte (insbesondere Austerlitf 72 ) stellt der Autor den Bericht einer wiederum erzählenden Figur ins Zentrum, die dem Ich-Erzähler als Zeuge dient und, wenn sie von sich selbst spricht, als Protagonist jener zweiten Erzählebene fungiert. In jenen Fällen, in denen der im Zentrum stehende Mensch sein Schicksal nicht mehr selbst wiedergeben kann, übergibt der Erzähler das Wort an eine vertraute Person. Um dem Leser diesen Bericht vermitteln zu können, nennt der Erzähler sowohl die Umstände seiner Begegnung als auch jene der Erzählsituation en detail.73 Das Sprechenlassen des Anderen wird zum Mittel der Authentifizierung, denn indem die Distanz genommen wird, erscheint das Gesagte glaubwürdiger. Gleichzeitig macht dieser Kniff die Erzählerfigur menschlicher, denn auch er kann sich dem Einzelschicksal erst dann wirklich annähern, wenn er schweigt und die anderen sprechen lässt.74

Die persönliche Wahrnehmung des neu Gesehenen steht in Schwindel. Gefühle, und Die Ringe des Saturn noch stark im Vordergrund.75 So der Erzähler jedoch nicht von sich selbst erzählt, sondern wiedergibt, was andere erzählen, führt er dem Leser die Vermitteltheit des Berichteten stets durch das Wiederholen der inquit-Formel (sagte .) vor Augen.76

„Bei genauem Lesen wird jedoch immer deutlich, daß die verschiedenen mündlichen und schriftlichen Erzählinstanzen in einem hierarchischen Verhältnis stehen und von einer übergeordneten Erzählerstimme abhängen.“77

Durch diese immer wiederholten Signale der Distanziertheit scheint der Ich-Erzähler seinen Text als authentisch markieren zu wollen. Allerdings ist auch diese Vermitteltheit in den Dienst der Erzählinstanz gestellt, wie Markus Weber herausstellt:

„Der Erzähler [ist] willkürlicher Arrangeur, Interpret seines Materials, auch als Ubermittler von [...] Lebensberichten. Das ist bei der weiteren Lektüre mitzubedenken.“78

Paul Bereyter: Das erinnerte Leben als Projektionsfläche Die persönliche Auseinandersetzung des Ich-Erzählers mit dem Schicksal des anderen wird in Sebalds Werk immer wieder aufs Neue nachgezeichnet. Eine besonders anschauliche Darstellung der Motivation für seine „Schicksalsforschung“ findet sich in der zweiten Erzählung des Bandes Die Ausgewanderten. Er sieht sich zunächst konfrontiert mit der Nachricht vom Tod seines Volksschullehrers Paul Bereyter und einem kurzen Hinweis, „[...] das Dritte Reich habe ihn an der Ausübung seines Lehrerberufs gehindert.“79 Auf sich allein gestellt reflektiert er, was ihm aus der Schulzeit von dem fremd gewordenen Leben erinnerlich ist. Doch bevor er tiefergehende Recherchen aufnimmt, versucht er zunächst, sich vorzustellen, wie dieser die Minuten vor seinem Tod verbracht haben mag und versetzt sich buchstäblich in die Lage des Lehrers:

„Darum habe ich [.] versucht, mich ihm anzunähern [.] Ich sah ihn [.] hingestreckt auf dem Geleis. Er hatte, in meiner Vorstellung, die Brille abgenommen und zur Seite in den Schotter gelegt. [.] Zuletzt, als das schlagende Geräusch sich näherte, sah er nurmehr ein dunkel Grau, mitten darin aber, gestochen scharf, das schneeweiße Nachbild des Kratzers, der Trettach und des Himmelsschrofens.“80

Die intime Begegnung findet in der Vorstellung des Ich-Erzählers statt — sie ist also nur ein Vermischen von Faktenwissen (er trägt eine Brille) und Mutmaßungen (er legte sie zur Seite). Dies geht so weit, dass er sich in den anderen einzufühlen, seine Sinneswahrnehmungen und damit verbundene Empfindungen noch einmal zu erleben versucht:

„Solche Versuche der Vergegenwärtigung brachten mich jedoch [.] dem Paul nicht näher, höchstens augenblicksweise, in gewissen Ausuferungen des Gefühls, wie sie mir unzulässig erschienen und zu deren Vermeidung ich jetzt aufgeschrieben habe, was ich von Paul Bereyter weiß [...]“81

Nicht die Vergegenwärtigung selbst ist das Unzulässige in seinen Augen, sondern die Ausuferungen des Gefühls.82 Die Auseinandersetzung mit dem Anderen muss sich an den Fakten orientieren, die von ihm gesammelt und dem Leser übermittelt werden. Das eigene Einfühlen schriftlich festzuhalten erscheint dem Ich-Erzähler unzulässig, er will es dem Leser selbst überlassen, sich in den Lehrer einzufühlen.

Der Erzähler selbst unterscheidet also selbst zwischen Fakten und Imagination, wobei auf der fiktionalen Seite zwei Schritte unterschieden werden: die reine Vergegenwärtigung des Erinnerns und die auf dieser aufbauenden Einfühlung. Die Erinnerungsarbeit und ihre Verschriftlichung soll an den Platz des vagen Gefühls treten, das ihn unbefriedigt lässt und ihm nur etwas über ihn selbst und nicht über den Lehrer sagen kann.

Sebald setzt durch diese Einfühlungsepisode am Anfang ein Zeichen für seine eigene Arbeitsweise. Einerseits betont er durch den Ich-Erzähler, seine „exemplary fictional construction“83 eine subjektive Herangehensweise, die eine bewusst in Kauf genommene Einseitigkeit der Wahrnehmung zur Folge hat. Andererseits weist er auf die Gefahren dieser Perspektive hin, denn sein Ziel ist die persönliche Annäherung an das Einzelschicksal in ihrer unmittelbarsten Form. Seine Selbstbeschränkung zielt auf eine Authentifizierung des Geschriebenen, denn wenn die Einfühlung auch Imagination ist, entwickelt er sie vor seinem persönlichen Bewusstseinshorizont, und alle Unterscheidung zwischen Imagination und Faktenwissen liegt bei ihm.

Das nachträgliche Niederschreiben aus dem Gedächtnis muss der Leser dem Erzähler abnehmen, ob er etwas hinzu gedichtet, weggelassen oder beschönigt hat, ist nicht mehr nachvollziehbar. In jedem von Sebalds Sätzen begegnen wir dem ewigen, gegen die Literatur vorgebrachten Argument der Lügenschreibung84:

“Sebald has his own scruples about the morally questionable process of falsification. We're brought up to tell the truth, but as a writer you're an accomplished liar. You persuade yourself it's to achieve a certain end. But there's a problem in departing from the literal truth to achieve an effect - in the worst case, melodrama, where you make someone cry. It's a vice.'”85

Sebalds Erzähler verweist implizit immer wieder darauf, dass die Dichotomie Lüge/Wahrheit in seinem Erzählkosmos nicht greift. Die Begegnung mit der Fremde ist dabei der Nährboden für die von ihm angeführten Koinzidenzen und Analogien. Die Fiktionalität der Erzählung, sei es jene von anderen, sei es seine eigene, speist sich aus der Distanzlosigkeit, der unheimlichen Nähe zu ihrem Gegenstand. Der unvollkommene Ich-Erzähler ist des Lesers einziger Zugang.

Wiedergabe von autobiografischen Texten: Das Tagebuch der Luisa Lanzberg

Max Aurach überreicht dem Erzähler in der vierten Erzählung des Bandes Die Ausgewanderten „an die hundert handschriftlichen Seiten Aufzeichnungen“86 seiner Mutter Luisa Lanzberg. Er begründet die Überantwortung des für ihn sehr kostbaren Tagebuchs folgendermaßen:

„Bei dieser zweiten Lektüre seien die stellenweise wirklich wunderbaren Aufzeichnungen ihm vorgekommen wie eines jener bösen deutschen Märchen, in denen man, einmal in den Bann geschlagen, mit einer angefangenen Arbeit, in diesem Fall also mit dem Erinnern, dem Schreiben und dem Lesen, fortfahren muß, bis einem das Herz bricht. Deswegen gebe ich das Kuvert jetzt lieber aus der Hand, sagte Aurach [...] “87

[...]


1 AlexandraTischel:AusderDunAÆammerderGeschichte. In: Claudia Ohlschläger: W.G. Sebald.PolitischeArchäologie und melancholische Pastelei, S.31-45, hier S.32.

2 In Anlehnung an Antje Tennstedt: Annäherungen an die Vergangenheitbei Claude Simon und W.G. Sebald am Beispiel von Lejardin des Plantes, Die Ausgewanderten und Austerlitz. Rombach, Freiburg/Berlin/Wien 2007.

3 Die Ausnahme im Hinblick auf Sebalds Erzählerfigur ist die Fotografie in Oie ^Ringe des Saturn, auf der der Autor an einen Baum gelehnt zu sehen ist (vgl. 2.5.1)

4 Diesen Begriff verwendet und fundiert Thomas Steinaecker in seiner Vergleichsstudie 'Literarische Foto-Texte.

5 Alex Seiler wählt diese Bezeichnung in „Als hätten die Bilder selbst ein Gedächtnis“.

6 „[...] die interne Fokalisierung, jenes typische Fiktionalitätskriterium [...]“ Gérard Genette, Fiktion und Fiktion, Fink, München 1992, S.79.

7 http://de.wikipedia.org/Erzähler, abgerufen am 10.7.2011.

8 Carole Angier: WeristW.G. Sebald?In Franz Loquai (Hg.): W.G. Sebald. Eggingen 1997, S.43-50.

9 Roland Barthes: Die helle Kammer. Bemerkungen yurPhotographie. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1989.

10 Susan Sontag: 'Über Fotografie. Carl Hanser, München 1978.

11 Christian Scholz/W.G. Sebald: „Aberdas Geschriebene istja kein wahres Ookument“. Fin Gespräch mit dem Schriftsteller W. G. Sebald überLiteratur undPhotographie. In: Neue Zürcher Zeitung 26./27.02.2000, S.51f., hier S.51.

12 Alexandra Tischel:Aus derDunkelkammerderGeschichte. Zum Zusammenhang von Photographie und Erinnerung in W. G. Sebalds Austerlitz. In: Michael Niehaus, Claudia Ohlschläger (Hg.): W.G. Sebald. PolitischeArchäologie und melancholischeBastelei. Erich Schmidt, Berlin 2006, S.31-45, hier S.39.

13 „Iconotexte zeichnen sich dadurch aus, dass in ihnen die beiden Medien nicht bloß nebeneinander gestellt werden, sondern untrennbar miteinander verbunden sind.“ Torsten Hoffmann/Uwe Rose: „Quasijenseits derZeit.“ S.594. Auch Alex Seiler benutzt den Fachterminus Ikonotext. „[...] ein Artefakt, in dem [.] nicht nur der Text, sondern auch die Abbildungen als konstitutive Elemente angesehen werden müssen.“ „Als hätten die Bilderselbstein Gedächtnis“, S.14.)

14 So ist denn auch teilweise bemerkt worden, das in der englischsprachigen Ausgabe sowie in den gebundenen bzw. den Taschenbuchausgaben verschiedentlich Fotos fehlen, Abbildungen beschnitten oder der Ausschnitt vergrößert wurde, - an ihrer exakten Position im Text wurde jedoch weder editorisch noch in späteren Auflagen etwas verändert.

15 W.G. Sebald: DieAusgewanderten. Vier lange Vrgählungen. Eichborn, Frankfurt am Main 1992.

16 W.G. Sebald: Schwindel.Gefühle. Eichborn, Frankfurt am Main 1990.

17 W.G. Sebald: Die 'Tinge des Saturn. Eichborn, Frankfurt am Main 1995.

18 W.G. Sebald: Austerity. Carl Hanser, München/Wien 2001.

19 W.G. Sebald, Campo Santo , 263.

20 Meike Herrmann: Fiktionalitätgegen den Strich lesen. Was kann die 'Fiktionstheorie %u einer Poetik des Sachbuchs beitragen? Humboldt-Universität zu Berlin / Universität Hildesheim, Dezember 2005, S.6f. (nach Frank Zipfel: Fiktion, Fiktivität, Fiktionalität.Analysen yurFiktion in derFiteraturund yum Fiktionsbegriff in derFiteraturwissenschafi. Berlin 2001)

21 Gérard Genette: 'Fiktion und Fiktion. S.20.

22 Lars Blunck: 'Fotografische Wirklichkeiten. S.26.

23 Auch und besonders die „Erzählerfotos“ suggerieren autobiografische Nähe.

24 „Die Ebenen der histoire, der erzählten Geschichte, und dem discours, der Art und Weise ihrer Vermittlung, erweisen sich als eng miteinander verwoben.“ Claudia Ohlschläger: Beschädigtes Leben. Erzählte Risse. W.G. Sebalds poetische Ordnung des Lnglücks. (= Reihe Litterae Band 142). Rombach Freiburg i.Br. / Berlin / Wien 2006. S.10.

25 SG 109.

26 U.a. entschließt sich der Ich-Erzähler „im Herbst 1966 [...], nach England überzusiedeln“ und fliegt „von Kloten nach Manchester“ (DA 219).

27 Mayajaggi, RecoveredMemories. (The Guardian Profile: W.G. Sebald), The Guardian, 22.09.2001.

28 Philippe Lejeune: Te Pacte autobiographique. Editions du Seuil (collection Poétique), 1975, (dt. Übersetzung bei Suhrkamp Ffm 1991). « C'est l'engagement que prend un auteur de raconter directement sa vie (ou une partie, ou un aspect de sa vie) dans un esprit de vérité. Le pacte autobiographique s'oppose au pacte de fiction. » Quelle:

http://www.autopacte.org/pacte_autobiographique.html (Philippe Lejeune selbst unterhält die Internetseite), abgerufen am 12.7.2011.

29 Martin Doerry/Volker Hage/W.G. Sebald: „Ichfürchte dasMelodramatische“, Spiegel-Gespräch, in: DER SPIEGEL 11/2001 (12.3.2001), S.228-234, hier S.230.

30 Ana-Isabel Aliaga-Buchenau: “A Time He Could Not Bear to Say Any More About“. Presence and Absence of the Narrator in W.G. Sebald's ‘The Emigrants“. In: Scott Denham/Mark McCulloh (Hgg.): W.G. Sebald. History, Memory, Trauma.

(=Interdisciplinary German Cultural Studies Volume 1), Walter de Gruyter Berlin/New York 2006, S.141-155, hier S.141.

31 Frank Zipfel umreißt die Geschichte des Begriffs Autofiktion in seinem Aufsatz Autofiktion. Zwischen den Grenzen von Eaktualität, Eiktionalität undEiteraritäti In: Simone Winko, Fotisjannidis, Gerhard Lauer (Hgg.): Grenzen der 'Literatur: Zu Begriff und Phänomen des literarischenf=WVisionen 2), de Gruyter Berlin 2009 S.285-314.

32 Martin Doerry/Volker Hage/W.G. Sebald: „Ichfürchte dasMelodramatische“, S.233. Sebald schafft es an dieser Stelle, den Mythos um seine Person trotz der eindeutigen Fragen aufrecht zu erhalten und verrät nicht mehr von sich als sein Text.

33 Die Wiederholung der Italienreise des Ich-Erzählers in All'estero ist motiviert durch den Wunsch, die Begebenheiten aus dem Jahr 1980 zu verstehen, die den Erzähler in die Flucht getrieben hatten. Er fährt „von Wien über Venedig nach Verona“, um seine „[...] schemenhaften Erinnerungen genauer zu überprüfen und vielleicht einiges davon aufschreiben zu können.“ SG 97.

34 DA 86f., 194f., 200f.

35 Sebald selbst sagt über das Schreiben: „Viele Autoren unterschätzen die Tatsache, dass man sich um sein Material kümmern muss. Martin Doerry/Volker Hage/W.G. Sebald: „Ichfürchte dasMelodramatische“, S.228.

36 Matias Martinez/Michael Scheffel: Einführung in dieEr^ähltheorie, S.32.

37 Besonders die in die Reiseberichte eingestreuten und während der Reise aufgenommenen Fotografien bekommen in dieser Hinsicht einen besonderen Stellenwert, denn auch wenn erst nach der eigentlichen Reise der Film entwickelt wird und in etwa gleichzeitig der Text entsteht, sind die Bilder doch tatsächlich schon da, denn sie entstanden während der Reise selbst und erhalten durch ihre konstitutive zeitliche Nähe zum Ereignis zusätzliche Authentizität. Aufgenommene Eindrücke finden sich im Text in eine schriftliche Form gebracht wieder, während die Fotos das pure Vergangene wiederzugeben scheinen. Zur kritischen Gegenüberstellung der beiden in Sebalds Text zu findenden Medien siehe Kapitel 2.

38 SG97f.

39 SG 98f.

40 Eine mise en abyme ist ein Bild im Bild oder auch die Beschreibung eines Verschriftlichungsvorgangs innerhalb eines schriftlichen Werkes, wie sie hier vorliegt.

41 SG 112f.

42 In der Spiegelung des nicht in landläufige Genres einzuordnenden Textes nimmt Sebald schon in seinem ersten Prosatext vorweg, was allen Rezensenten seiner Werke schwer fiel.

43 SG 71.

44 Antje Tennstedt, Annäherungen an die Vergangenheit, S.138.

45 Er selber lädt dazu ein, die fiktive Wirklichkeit in Frage zu stellen, als er die Erzählung Derjäger Gracchus von Franz Kafka in Dr. K.s Badereise nach Riva paraphrasiert: „[...] und ist das nicht eine der eigenartigsten Falschmeldungen aller Erzählungen, die erzählt worden sind?“ SG 188.

46 Doren Wohlleben: Schwindel der 'Wahrheit. 'Ethik undAsthetik derEüge in Boetik-Vorlesungen und Romanen derGegenwart (—Reihe Cultura Band 29), Rombach, Freiburg 2005, S.299.

47 Ana-IsabelAliaga-Buchenau: ‘ATimeHeCould Not Bear to Say Any MoreAbout“, S. 142.

48 DorenWohlleben: SchwindelderWahrheit. S.287f.

49 Antje Tennstedt, Annäherungen an die Vergangenheit, S.58.

50 Die „Schriftsteller-Figur“ Vladimir Nabokovs und der Selbstmord sind solche wiederkehrenden Motive, ebenso ist der Holocaust in diesen Biografien des 20.Jahrhunderts latent präsent.

51 Dass solch tief greifende Recherchetätigkeit des Ich-Erzählers Konsequenzen für die Gegenwart hat, wird in der ersten Erzählung des Bands DieAusgewanderten, angedeutet. Erst die Offenbarung gegenüber dem Erzähler scheint einen lange aufgeschobenen Bewusstseinsprozess ausgelöst zu haben, an dessen Ende der erste Protagonist Henry Selwyn in der gleichnamigen Erzählung Selbstmord begeht.

52 Doren Wohlleben spricht von der „Kopräsenz unterschiedlichster literarischer Texte“ (Schwindel derWahrheit, S.299).

53 Andrea Köhler: Die Weltim Auge des Kranichs. W.G. Sebalds nachgelassene Prosa und verstreute Essays. In: NZZ, 07.10.2003 (Beilage Frankfurter Buchmesse), S.62/B2.

54 SG 162.

55 SG 163f.

56 Doren Wohlleben: Schwindel derWahrheit, S.299.

57 Joseph Cuomo:A conversation with W.G. Sebald, In: Lynne Sharon Schwartz (Hg.): The emergence of memory. Conversations with W. G. Sebald. Seven Stories Press, New York/London/Melbourne/Toronto 2007, S.93-118, hier S.108.

58 Doren Wohlleben: Schwindel derWahrheit, S.273.

59 Susanna Lennéjones: What’s in a Frame? Photography, Memory, and History in Contemporary German Literature. Dissertation an der University of Cincinnati 2006, S.103.

60 Leland de la Durantaye: Thefacts of fiction, orthefiigure of VladimirAabokov in W. G. Sebald, S.433.

61 James Wood: The Broken Estate. Essays on Eiterature andBelief. Modern Library, New York 2000, S. 249.

62 Aus dieser Motivation entstand die Internetseite wgsebald.de, auf der der Betreiber alle bei Sebald genannten Persönlichkeiten, Orte, Gebäude, Landschaften aufs Genauste verzeichnet, Landkarten zu den Reisewegen des Erzählers einfügt, geschichtliche Daten und literarische Zitate nachweist und erläutert.

63 Vgl. Susan Sontag, 'Über Fotografie, S.28. In Kapitel 2 wird der Vergangenheitscharakter der Fotografie näher erläutert.

64 Susanne Schedel: 'Werweiß, wie es vorEeiten wirklichgewesen isti, S.62.

65 Martin Doerry/Volker Hage/W.G. Sebald: „Ichfürchte dasMelodramatische“, S.228.

66 Heinz Ludwig Arnold: W.G. Sebald: 1944 — 2001. In: Ders. (Hg.): W.G. Sebald. Text+Kritik 158 (2003), S.3-5, hier S.3f. Das von Arnold angesprochene reflexive Hineinversenken bildet die Nahtstelle zwischen Fiktionalität und Fotografie. Denn das Foto scheint bei Sebald mehr noch als andere Medien der Dokumentation dieses Erzählen herauszufordern, zum Zusammenhang siehe Kapitel 2.

67 Volker Hage: HitlerspyromanischeFantasien: W.G. .Sebald. In: Ders.: Zeugen derZerstörung. DieLiteraten und derLuftkrieg. Essays und Gespräche. S. Fischer, Frankfurt am Main 2003, S.259-279, hier S.265.

68 Ebd.

69 In Logis in einem Landhaus spricht Sebald über die Arbeitsweise des Malers Jan Peter Tripp, der Fotografien als Vorlagen für seine Gemälde nimmt. Diese Technik entspricht — übertragen auf die seinen Werken zugrunde liegenden Biografien — auch der Arbeitsweise Sebalds: „Die mechanische Schärfe/Unschärferelation wird aufgehoben, Hinzufügungen werden gemacht und Abstriche. Etwas wird an eine andere Stelle gerückt, hervorgehoben, verkürzt oder um eine Geringfügigkeit verdreht.“ WG. Sebald: Logis in einem Landhaus. Über Gottfried Keller, Johann PeterHebel, Robert Walserund andere. Carl Hanser, München 1998. S.179.

70 Sigrid Löffler: Wildes 'Denken. Gespräch mitW.G. Sebald. In: Franz Loquai (Hg.): W.G. Sebald. Eggingen 1997, S.135-144, hier S.137.

71 IrisDenneler: VonAamenundDingen, S.145f.

72 Die Vermitteltheit im IkonotextAusterlit% soll insbesondere bei der Betrachtung der Fotografien im dritten Teil der Arbeit zur Sprache kommen.

73 Auch diese Informationen sind wieder als fiktionale Kennzeichen für die Faktizität des Berichts zu werten.

74 „Als Erzähler machte Sebald sich zum fiktiven Medium der Überlieferung; indem er von fremden Schicksalen schrieb, erzählte er von den eigenen Schatten.“ Andrea Köhler: Verabredungen in derVergangenheit. T.um Tod des Schriftstellers W.G. Sebald. In: NZZ, 17.12.2001, S.23.

75 In Austerlit^ und DieAusgewanderten sind es die Wahrnehmungen der Zeugen, die der Erzähler ebenfalls sehr eindringlich vermittelt, die aber durch die Vermitteltheit einen anderen Stellenwert besitzen, häufig aber ebenfalls von Reiseberichten handeln. Der Erzähler bleibt aber auch in diesen beiden Werken der ein- und ausführende eigentliche Protagonist, der den Leser an der Hand nimt und ihm auch hier aus seinem Leben berichtet.

76 AlexSeiler: ..Als hättendie Bilder selbsteinGedächtnis“, S.19ff.,bes. S.22.

77 Antje Tennstedt, Annäherungen an die Vergangenheit, S.58.

78 Markus R. Weber: Diefantastische befragtdiepedantische Genauigkeit. S.65.

79 DA 42.

80 DA 44.

81 DA44f.

82 Ebensolche „Ausuferungen des Gefühls“ verdichten sich in Schwindel.Gefühle. in der Beschreibung einer surrealistischen Uberwirklichkeit. Die Darstellung von (vergangenen) Gefühlen und den das Ich umgebenden Orten und Personen geht hier immer nahtlos und scheinbar unbemerkt ineinander über. Obwohl sich der Ich-Erzähler auch hier in sein früheres Ich „einfühlt“, ist für ihn solche rückblickende Verschriftlichung hingegen legitim — zumindest bleibt sie unkommentiert.

83 Susan Sontag:A Mind in Mourning. W.G. Sebald's travels in search of some remnantof thepast. In: Times Literary Supplement, 25.2.2000, S.3.

84 „Der alte Vorwurf, dass Dichter lügen, rührt möglicherweise daher, dass fiktionales Erzählen sich offensichtlich nicht an die Regeln des referentiellen Gebrauchs der Sprache hält.“ Frank Zipfel, Autofiktion. Zwischen den Grenzen von Faktualität, Fiktionalität und Literarität? In: Simone Winko, Fotisjannidis, Gerhard Lauer (Hgg.): Grenzen derLiteratur: Zu Begriff und Phänomen des literarischenf—ReVisionen 2), de Gruyter Berlin 2009, S. 285-314, hier S.289.

85 Mayajaggi, 'Recovered Memories.

86 DA 288.

87 DA 289.

Ende der Leseprobe aus 99 Seiten

Details

Titel
Interferenzen - Fiktion und Fotografie bei W.G. Sebald
Hochschule
Technische Universität Berlin  (Institut für LIteraturwissenschaft)
Note
1,0
Autor
Jahr
2011
Seiten
99
Katalognummer
V201594
ISBN (eBook)
9783656321583
ISBN (Buch)
9783656324942
Dateigröße
3479 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Winfried, Georg, Maximilian, Max, Fototheorie, Intermedialität, Nachkriegsliteratur, Foto-Text, Photographie, Ikonotext, Fiktionalität, Erinnerung, Gedenken, Holocaust, Shoah, Shoa, Literatur
Arbeit zitieren
Julia Kraushaar (Autor:in), 2011, Interferenzen - Fiktion und Fotografie bei W.G. Sebald, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/201594

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