Strickers "Daniel von dem blühenden Tal" - eine mittelalterliche Odyssee?


Hausarbeit, 2011

27 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Einleitung

1. Einflüsse der griechischen Mythologie im lateinischen Mittelalter
1.1 Antike griechische Mythen und Fabelwesen
1.2 Die Homer-Rezeption im Mittelalter

2. Daniel von dem blühenden Tal – eine mittelalterliche Odyssee?
2.1 Spuren von Homer-Kenntnissen beim Stricker
2.2 Die Odyssee und der Daniel im Vergleich

3. Analyse der griechischen Mythen im Daniel
3.1 Das Kyklopen-Motiv
3.2 Das Sirenen-Motiv

Schlussbemerkung

Literaturverzeichnis

Eigenständigkeitserklärung

Einleitung

Bei der Lektüre des Romans Daniel von dem blühenden Tal, fällt besonders ein Charaktermerkmal des Daniels auf, das ihn stark von dem ritterlichen Idialtyp des Artusritters unterscheidet. Der Held erinnert wegen seines Einfallsreichtums und seiner Klugheit stark an Odysseus, dem Hauptprotagonisten des griechischen Heldenepos ΟΔΥΣΣΕΙΑΣ (Odyssee) von Homer aus dem 8. Jahrhundert v. Chr. Seit der griechischen Antike ist er bekannt als der Urvater aller listenreichen Taten. Seine berühmteste List war die, die den Sieg der Griechen über die Trojaner brachte und somit den zehn Jahre andauernden Krieg beendete. Die List des Trojanischen Pferdes[1] . Ausgehend von dieser Feststellung, ergab sich die Frage, ob es weitere Ähnlichkeiten zu Homers Epen gibt. Dabei fiel auf, dass auch die Rahmenhandlung des Daniels gewisse Züge der Irrfahrt Odysseus, auf dem Weg zurück von Troja in seine Heimat Ithaka, aufweist, welche das Thema der Odyssee darstellt.

Strickers Daniel von dem blühenden Tal erzählt die fiktive Geschichte eines Helden, der Artus im Kampf gegen den Feind König Martur, beiseite stehen will und um als erster dort zu sein, sich heimlich ohne die Ritter der Tafelrunde auf den Weg ins wundersame und exotische Reich Cluse macht. Auf seinem Weg begegnet er immer wieder Menschen, die ihn darum bitten, sie von den Monstern und Dämonen, die sie bedrohen oder gefangen halten, zu befreien. Der vortreffliche Ritter kommt dem immer wieder nach, wobei er sein Leben riskiert, da die Ungeheuer, die teilweise ebenfalls aus der Odyssee oder anderen Mythen entlehnt sind, ihm in Größe, Kraft und magischen Fähigkeiten weit überlegen sind. Um sich gegen sie zu behaupten, kann er nur wie Odysseus seinen Verstand einsetzen und sie durch tückische Listen besiegen. In Cluse angekommen, trifft er wieder auf Artus und die bekannten Ritter der Tafelrunde, mit denen er Seite an Seite gegen den Feind kämpft. Daniels listenreiches Handeln verhilft auch in der entscheidenden Schlacht gegen die Feinde zu gewinnen und das Land Cluse zu erobern. Die Schlachtszenen erinnern wiederum an die ΙΛΙΑΔΟΣ (Ilias), die neben der Odyssee das zweite wichtige Epos Homers ist und den Sagenkreis um den Trojanischen Krieg, beschreibt.

Ziel der Hausarbeit wird es sein, Spuren griechischer Mythologie und insbesondere Homers Odyssee, in Strickers Daniel von dem blühenden Tal herauszuarbeiten und zu interpretieren, um die 1973 formulierte These Georg Finslers, dass ihm: „Außer Walahfrid und Ekkehard […] kein mittelalterlicher Dichter oder Schriftsteller bekannt [ist], bei dem man an Kenntnis Homers denken könnte“[2] zu widerlegen. Es soll bewiesen werden, dass der Stricker ein bedeutender Dichter des deutschen Mittelalter gewesen ist, der nicht nur durch die List des Daniels, ein neues ritterliches Ideal in die ritterlich-höfische Literatur gebracht hat, sondern auch beweist, dass er sich in einer Zeit, in der die homerischen Epen von Vergil und Ovid fast vollständig verdrängt worden sind, durch die Kenntnisse und die Verarbeitung des homerischen Stoffes, von den Dichtern jener Zeit abhebt.

Dazu wird zunächst der Begriff Mythos, seine Herkunft und seine Funktion in der mittelalterlichen Literatur geklärt, um die möglichen Absichten, die der Stricker mit der Verarbeitung dieses Stoffes gehabt haben könnte, zu interpretieren. Als nächstes wird auf die Homer-Rezeption im Mittelalter eingegangen, um die Fragen zu beantworten, inwieweit der griechische Originaltext in der Wirkungs- und Lebenszeit des Strickers präsent war. In einem zweiten Punkt sollen dann bestimmte Szenen aus Strickers Roman Daniel von dem blühenden Tal hervorgehoben werden, die aus der Odyssee entlehnt worden sein könnten, um dann kurz auf die Gemeinsamkeiten und Unterschiede der Rahmengeschichte und der Charaktere einzugehen. Zum Schluss sollen bestimmte Textstellen aus der Odyssee und dem Daniel verglichen und analysiert werden, um zu belegen, dass der Stricker den Text bzw. den Stoff der homerischen Epen gekannt und in seinem Werk verarbeitet hat. Dazu werden zwei berühmte Szenen, die Szene mit dem Kyklopen Poliphem und die mit den Sirenen, aus der Odyssee vorgestellt, um dann mit ausgewählter Textstellen aus dem Daniel verglichen zu werden.

1. Einflüsse der griechischen Mythologie im lateinischen Mittelalter

1.1 Antike griechische Mythen und Fabelwesen

Bedeutung der Mythen im Mittelalter

Der Mensch kannte im Mittelalter drei Welten: die konkrete Welt seines Daseins, die Welt des „religiösen Bewusstseins“[3] und die dritte „mehr oder weniger eigenständige Welt eines zeichenhaften metaphysischen Systems“[4] . Die Welt der Fabelwesen, des zauberhaften und des mythischen. Im Mittelalter wurde zwischen erdachten und natürlichen Wesen kein großer Unterschied gemacht und „beide wurden gleichermaßen für sehr real gehalten“[5] . Aus diesem Grund spielten sie eine viel intensivere Rolle als heute. Nach Wunderlich gab es zwei Gründe dafür:

„Zum einen, weil die Bibel den Unterschied auch nicht macht; zum anderen, weil nach allgemeiner Anschauung vom Begriff auch auf das Wesen der Sache geschlossen wird: Worte sind der Dinge Zeichen. Deshalb bezeichnet 'Drache' unbezweifelbar einen existierenden Drachen oder 'Kynokephalos' eben einen wirklichen Hundsköpfigen“[6]

Das geschriebene Wort hatte im Mittelalter viel größere Bedeutung als heute. Die Existenz von Enzyklopädien, in denen auch Fabelwesen mit aufgeführt wurden, wie das Etymologiarum sive originum libri XX, kurz: Etymologiae von Isidor von Sevilla (um 560-636) oder die De rerum naturaris von Rabanus Maurus (9. Jh), unterstützten diese Vorstellungen. Das Fiktionsbewusstsein entsteht laut Petra Gilory-Hirtz erst „unter den Voraussetzungen der modernen Welt“[7] . Doch was sind Mythen und welche Funktion haben sie?

Der Mythos

Laut dem Brockhaus Mythologie[8] sind Mythen:

„[...] Geschichten, zum Teil uralte, zum Teil auch ganz zeitgenössische, denen eine Art Modellcharakter zukommt. [Sie sind] Bilder oder Geschichte, die dazu benutzt werden können (und konnten), um mit ihrer Hilfe andere Geschichten zu erzählen, Gedanken zu erläutern, Problemstellungen zu schildern und Erfahrungsgehalte zu vermitteln.“[9]

Sie erleichtern das Verständnis von schwer zu erklärenden Sachverhalten, indem sie verbildlichen. Die Menschen versuchten die fundamentalsten Fragen, nämlich die Fragen um das Sein und die Welt, mit Hilfe von Geschichten zu erklären, indem wundersame Wesen und Dinge stellvertretend für real existierendes standen. Denn „Wo man nichts genaues wissen kann, erzählt man Geschichten.“[10] . Da die Menschen nicht genau wussten, woher beispielsweise Naturkatastrophen kommen, schrieben sie es „dem gewaltigen Unmut oder dem Leichtsinn von Riesen zu.“[11] .

Funktion der Fabelwesen in der Literatur des Mittelalters

Die einzelnen Fabelwesen, die in den Mythen vorkamen, hatten eine Art Modellcharakter, da sie oftmals für die Tugenden und Laster der Menschen standen. Der Ritter kämpft in den Artusromanen gegen böse Fabelwesen und wird von guten begleitet und unterstützt. Das dämonische, monströse spiegelt dabei laut Thormann das unhöfische Leben und die unhöfischen Werte wider[12] . Der Held, der auszieht um sich diesen Monstern zu stellen, repräsentiert dabei die höfische Ordnung und stellt sie mit dem Sieg über das Böse wieder her. Außerdem stehen die Monster für reelle Gefahren und Ängste, die die Menschen in dieser Zeit hatten. Durch den Sieg über das Böse wird bildlich die Überlegenheit dargestellt.

Die guten Fabelwesen hingegen befinden sich innerhalb des Artushofes, wie beispielsweise die Zwerge, die im Erec an der Festgesellschaft teilnehmen oder im Wigalois Jungfrauen begleiten und Schätze behüten. Diese werden meist als schöne Gestalten beschrieben, die den ritterlichen Idealen gerecht werden.

„Mythische Wesen, Fabelvölker etc. kommen im Mittelalter in Massen vor, egal ob an den Rändern illuminierter Handschriften, an oder in Kirchenmauern, auf Karten oder in der Literatur, ganz gleich also ob in Bild oder Schrift.“[13]

Die Mythen über Fabelwesen und wundersame Gegenstände existieren jedoch schon sehr lange vor dem Mittelalter. Ihre Entstehung geht zurück in die Antike. Genauer gesagt, nach Griechenland und in den Orient.

Herkunft der Mythen

Griechische Autoren wie der Seefahrer Skylax (6. Jh. v. Chr.) oder der Historiograph Ktesias von Knidos (ca. 5. Jh. v. Chr.) berichteten von den „Wunder[n] des Morgenlandes, genauer gesagt Indiens“[14] und den orientalischen bzw. indischen Tradierungen. Seit dem galt das Land für die westliche Welt als exotisch und wunderhaft. Das Aussehen dieser Monstren ging dabei zumeist auf real existierende Menschen zurück, die eine Missbildung hatten[15] . Plinius der Ältere fasst in der Naturalis historia (vor 79 n. Chr., deutsch 1543) „eine Vielzahl solcher phantastischer Menschen und Tiere, die oft in Äthiopien oder Indien beheimatet sind“[16] zusammen.

Besonders böse und schreckliche Menschen wurden in der Tradition sehr hässlich und furchterregend beschrieben. Allein durch die Beschreibung ihrer Taten konnte man das Böse nicht veranschaulichen, aus diesem Grund wurden ihnen monströse Attribute zugeordnet. Noch heute beschreiben wir einen Vergewaltiger oder Mörder als Monster oder Teufel.

Ein paar Jahrhunderte später entstanden in Griechenland die sogenannten Heldenmythen. „Als Schöpfer des Heldenmythos galt den Griechen der Frühzeit ein legendärer blinder Sänger namens Homer.“[17] . Er war weitgehend unbekannt, doch ihm konnten die zwei Epen Ilias und Odyssee zugeordnet werden.

Die Ilias behandelt den Sagenkreis um den trojanischen Krieg, den die Griechen gegen die Trojaner dank einer List Odysseus gewannen. Die Odyssee handelt von der Heimreise Odysseus und seiner Männer, die sich jedoch zu einer Irrfahrt gestaltete, die ihnen zehn Jahre ihres Lebens kostete. Auf dieser Heimfahrt treffen sie auf Götter, Sirenen, Kyklopen, Meeresschlangen und andere Fabelwesen, bis Odysseus am Ende durch die Hilfe der Göttin Athene nach Hause findet. Diese beiden Epen waren bereits in der Antike von zentraler Bedeutung und blieben es bis heute „Sie bilden […] den Stoff unzähliger Bearbeitungen und Interpretationen bis in unsere Gegenwart.“[18] . In vielen Werken erkennt man noch heute den Einfluss der Sagen, wie beispielsweise in James Joyce Ulysses (1914-1921), Wolfgang Petersens Film Troy (2004) oder Stanley Kubriks A Space Odyssey (2001). Doch auch im Mittelalter gab es eine starke Präsenz der homerischen Sagen, wie wir an Strickers Daniel von dem blühenden Tal sehen werden.

[...]


[1] Odysseus ließ ein großes hölzernes Pferd bauen und den Trojaner als Friedensgeschenk bringen. Zur gleichen Zeit ließ er alle Schiffe der Griechen verstecken, so dass die Trojaner dachten, dass sie sich zurückgezogen hatten. Sie feierten ein großes Fest und als sie eingeschlafen waren, stiegen die Griechen, die sich im Inneren des Pferdes versteckt hatten, heraus und töteten alle Trojaner, bis auf einige wenige, die die Stadt über einen Tunnel verlassen konnten. Aeneas war einer der geflohenen Trojaner, der der Sage nach, das Trojanische Volk in einem anderen Land wieder aufbaute. Er wird bei den Römern als Stammesvater angesehen, da sie sich als die direkten Nachfahren der Trojaner verstehen. Deshalb spielte Vergils Aeneis im lateinischen Mittelalter eine viel wichtigere Rolle als die Epen Homers.

[2] Finsler, Georg (1973): Homer in der Neuzeit von Dante bis Goethe. Nachdr. d. Ausg. Leipzig, 1912. Italien, Frankreich, England, Deutschland. Hildesheim, New York: Olms-Verlag. S. 2

[3] Bräuer, Rolf (1999): Die arthurische Dämonologie – Umdeutung eines archaischen Mythos zu einem mythischen Teilsystem ritterlich-höfischer Utopie. In: Dämonen, Monster, Fabelwesen, Wunderlich, Werner/Müller, Ulrich (Hgg.). 1999. Sankt Gallen: Universitätsverlag. S. 77

[4] Ebd.

[5] Thormann, Michael (2010): Monstren im Mittelalter: die Dämonologie in Strickers Roman 'Daniel von dem blühenden Tal‘. Studienarbeit. München, Ravensburg: Grin-Verlag. S. 15

[6] Wunderlich, Werner (1999): Dämonen, Monster, Fabelwesen. Eine kleine Einführung in Mythen und Typen phantastischer Geschöpfe. In: Dämonen, Monster, Fabelwesen, Wunderlich, Werner/Müller, Ulrich (Hgg.). 1999. Sankt Gallen: Universitätsverlag. S. 17

[7] Gilory-Hirtz, Petra (1991): Begegnung mit dem Ungeheuer. In: Kaiser, Gert (1991): An den Grenzen höfischer Kultur. Anfechtung der Lebensordnung in der deutschen Erzähldichtung des hohen Mittelalters. München: Fink. S. 168

[8] Emrich, Ulrike/Kratzmeier, Peter et al. (2009): Der Brockhaus Mythologie. Die Welt der Götter, Helden und Mythen. Gütersloh: Brockhaus.

[9] Emrich, Ulrike/Kratzmeier, Peter et al. (2009): Der Brockhaus Mythologie. Die Welt der Götter, Helden

und Mythen. Gütersloh: Brockhaus.

[10] Wunderlich, Werner (1999): Dämonen, Monster, Fabelwesen. Eine kleine Einführung in Mythen und Typen phantastischer Geschöpfe. In: Dämonen, Monster, Fabelwesen, Wunderlich, Werner/Müller, Ulrich (Hgg.). 1999. Sankt Gallen: Universitätsverlag. S. 13

[11] Ebd.. S. 20

[12] Thormann, Michael (2010): Monstren im Mittelalter: die Dämonologie in Strickers Roman 'Daniel von dem blühenden Tal‘. Studienarbeit. München, Ravensburg: Grin-Verlag. S. 23

[13] Ebd. S. 14

[14] Thormann, Michael (2010): Monstren im Mittelalter: die Dämonologie in Strickers Roman 'Daniel von dem blühenden Tal‘. Studienarbeit. München, Ravensburg: Grin-Verlag. S. 15

[15] Wunderlich, Werner (1999): Dämonen, Monster, Fabelwesen. Eine kleine Einführung in Mythen und Typen phantastischer Geschöpfe. In: Dämonen, Monster, Fabelwesen, Wunderlich, Werner/Müller, Ulrich (Hgg.). 1999. Sankt Gallen: Universitätsverlag. S. 29

[16] Ebd.

[17] Römer, Cornelia Eva (2009): Das Phänomen Homer in Papyri, Handschriften und Drucken. Wien: Phoibos Verlag. S. 10

[18] Ebd. Vorwort von Dr. Johanna Rachinger

Ende der Leseprobe aus 27 Seiten

Details

Titel
Strickers "Daniel von dem blühenden Tal" - eine mittelalterliche Odyssee?
Hochschule
Universität Duisburg-Essen
Note
1,0
Autor
Jahr
2011
Seiten
27
Katalognummer
V201569
ISBN (eBook)
9783656279983
ISBN (Buch)
9783656280750
Dateigröße
590 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
strickers, daniel, odyssee
Arbeit zitieren
Antonella Corrado (Autor:in), 2011, Strickers "Daniel von dem blühenden Tal" - eine mittelalterliche Odyssee?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/201569

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