Das TARGET2-System im internationalen Zahlungsverkehr: Die TARGET2-Problematik


Bachelorarbeit, 2012

67 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

EINLEITUNG

Problemstellung

Aufbau der Arbeit

EVALUATION DER TARGET2-PROBLEMATIK

I. Ökonomische Analyse der TARGET2-Salden
I.1 Harmonisierung der nationalen Zahlungssysteme und die Einführung TARGET2
I.1.1 Weg zum TARGET2-System
I.1.2 Das TARGET2-System
I.2 Entstehung der TARGET2-Salden
I.3 TARGET2 in der EZB-Bilanz
I.3.1 Bilanzen der Zentralbanken
I.3.2 TARGET2 in der Bilanz
I.3.3 Haftungsproblematik der TARGET2-Salden
I.4 TARGET2 in der Zahlungsbilanz
I.4.1 Zahlungsbilanz
I.4.2 TARGET2 in der Zahlungsbilanz
I.5 Entwicklung der TARGET2-Salden im Zeitablauf

II. Wissenschaftliche Diskussion über die TARGET2-Problematik und Lösungsvorschläge zu deren Reduktion
II.1 Finanzmarktkrise 2007 und Sudden Stop
II.2 Wissenschaftlicher Diskurs über den fortwährenden Anstieg nach der Finanzkrise
II.2.1 Finanzierung des Leistungsbilanzdefizits der GIIPS-Staaten
II.2.2 Kapitalflucht aus den GIIPS-Ländern
II.2.3 Verknüpfung beider Theorien
II.2.4 Abgeleitete Hypothesen und deren wissenschaftlicher Diskurs
II.2.4.1 Kreditverdrängungshypothese
II.2.4.2 Fiskalhypothese
II.3 Lösungsvorschläge und deren Risiken
II.3.1 Amerikanisches Modell
II.3.2 Zinsanreizsysteme bzw. Deckelungen zur Begrenzung der TARGET2-Salden
II.3.3 Supranationaler Bankensektor und Fiskalunion

KRITISCHE REFLEXION

Der Appendix
(1) Vereinfachte Zentralbankbilanz: Deutsche Bundesbank
(2) Vereinfachte Zentralbankbilanz: Bank of Greece

Literaturverzeichnis

Ehrenwörtliche Erklärung

Abbildungsverzeichnis

Kapitel I.:

Abb. I-1: Struktur des TARGET Systems

Abb. I-2: Struktur des TARGET2 Systems

Abb. I-3: Drei verschiedene Szenarien eines Güterkaufs

Abb. I-4: Vereinfachte Bilanz einer Zentralbank

Abb. I-5: Vereinfachte Bilanz der deutschen Bundesbank

Abb. I-6: Vereinfachte Bilanz der Bank of Greece

Abb. I-7: Entwicklung der deutschen Zahlungsbilanz (in Mio. €)

Abb. I- 8: Entwicklung des dt. Kapitalbilanzsaldos und des Postens 4.4 (in Mio. €)

Abb. I-9: TARGET2-Salden der Eurozone (Angaben in Mio)

Kapitel II:

Abb. II-1: Entwicklung Lohnstückkosten ausgewählter Länder

Abb. II-2: Entwicklung der Leistungsbilanzdefizite der GIIPS-Länder

Abb. II-3: Entwicklung der Lohnstückkosten ausgewählter Länder in Folge der Finanzmarktkrise (Index: Q3 2008 = 100)

Abb. II-4: Vereinfachte Bilanz zweier Federal District Banks

Abb. II-5: Abrechnungsverfahren der ISA-Salden

Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

EINLEITUNG

Problemstellung

Die letzten Jahrzehnte waren durch starke strukturelle und historisch bedeutende Veränderungen gezeichnet, die unser Leben prägen sollten. Zum einen dehnte sich die technische Entwicklung weiter aus und drang in immer mehr Lebensbereiche vor. Nachrichten werden per App empfangen, Briefe wurden durch E-Mails substituiert und Geld wurde mit Hilfe elektronischer Hilfsmittel immer schneller und kostengünstiger transferiert. Elektronische Abrechnungssysteme, wie beispielsweise (bspw.) das Real Time Gross Settlement (RGTS) System, vereinfachten und beschleunigten den Zahlungsverkehr zwischen den Staaten enorm. Jedoch entstand daraus natürlich auch eine Fülle unterschiedlicher länderspezifischer Abrechnungssysteme.

Zum anderen wurde der Europäische Integrationsprozess weiter vorangetrieben und 1992 wurde in Maastricht eine Gemeinsame Währungsunion beschlossen. Im Zuge der Implementierung der monetären Union 1999 wurde eine Integration der unterschiedlichen Zahlungs- und Abrechnungssystem unabdingbar. Dazu musste ein universelles System eingeführt werden, das die nationalen Systeme verbindet beziehungsweise (bzw.) ersetzt. Das TARGET-System war geboren. Die Nachfolgeversion TARGET2 sollte Probleme der ersten Version beheben und den Zahlungsverkehr noch effizienter gestalten. Jedoch ergaben sich in Folge der Finanzkrise 2008 auch erhebliche Probleme mit diesem System. Es akkumulierten sich aufgrund des Funktionsmechanismus TARGET2s riesige Beträge in den Bilanzen der Zentralbanken (ZB), die Haftungsrisiken und andere Auswirkungen mit sich brachten. Die Entdeckung der Salden in der Bilanz der Europäischen Zentralbank (EZB) durch Prof. Dr. Hans-Werner Sinn und die Veröffentlichung dieser Problematik in der Wirtschaftswoche[1] beschäftigte in der Folge viele Ökonomen, die sich seither zahlreichen kontroversen Diskussionen hingeben. Dabei geht es vor allem um die Deutung dieser Salden und ihre implizierten Risiken für die EU und die nationalen Staaten der europäischen Währungsunion. Eine genaue ökonomische Analyse dieser TARGET2 Problematik soll einen Einblick in diese interessante Thematik liefern. Ziel dieser Arbeit ist es nun, die Gründe der akkumulierten Salden zu finden, sie wissenschaftlich zu diskutieren und mögliche Lösungsvorschläge, zur Beseitigung der Salden, aufzuzeigen.

Aufbau der Arbeit

Die Arbeit ist im Sinne eines ganzheitlichen und logisch fortlaufenden Prozesses strukturiert und besteht aus zwei großen Kapiteln (Kap.), wobei das erste die theoretische Basis bildet (Kap. I) und das darauffolgende ausgehend von der Basis die in der Wissenschaft strittigen Punkte diskutiert und Lösungsvorschläge präsentiert (Kap. II).

Das erste Kapitel soll den theoretischen Grundstock legen, um die Entstehung der TARGET2-Salden zu verstehen. Von besonderer Bedeutung ist dabei Kapitel I.2, in dem mehrere Beispiele zur Entstehung von TARGET2-Salden aufgezeichnet werden, die im Fortgang des Textes wiederholt aufgegriffen werden. Außerdem sollen in dem ersten Teil die grundlegenden Prinzipien der Haftung verstanden werden, die Verbindung zu anderen volkswirtschaftlich relevanten Parametern und deren logischer Zusammenhang hergestellt werden. Im zweiten Teil werden zunächst unterschiedliche in der Wissenschaft diskutierte Theorien in Bezug auf die TARGET2-Problematik dargeboten und die gegensätzlichen Meinungen gegenübergestellt und abgewogen. Anschließend werden unterschiedliche Lösungen vorgestellt, die versuchen die Problematik der TARGET2-Salden zu lösen. Im Schlussteil werden die gewonnenen Erkenntnisse der TARGET2-Systematik noch einmal aufbereitet und kritisch reflektiert, um die Arbeit damit abzuschließen.

EVALUATION DER TARGET2-PROBLEMATIK

I. Ökonomische Analyse der TARGET2-Salden

Zuerst soll geklärt werden, was das TARGET2-System ist (Kap. I.1) und anschließend wie es zu der Erzeugung der TARGET2-Salden gekommen ist (Kap. I.2). Anschließend werden die Salden in den Kontext einer Zentralbankbilanz gesetzt, um daraus haftungsrelevante und somit risikorelevante Implikationen abzuleiten. Außerdem soll gezeigt werden, dass sich neben den TARGET2-Salden auch noch andere ökonomisch relevante Parameter der Bilanz veränderten (Kap. I.3). Diese veränderten Positionen und die TARGET2-Salden werden anschließend im zahlungsbilanztheoretischen Rahmen betrachten und erste Verbindungen aufgezeigt (Kap. I.4). Abschließend soll der Fokus auf die gesamteuropäische Entwicklung der TARGET2-Salden ausgeweitet werden, um den Blick von der einzelfallorientierten bilanziellen bzw. zahlungsbilanziellen Sicht auf die gesamteuropäische Ebene zu erweitern und auf Kap. II überzuleiten (Kap I.5).

I.1 Harmonisierung der nationalen Zahlungssysteme und die Einführung TARGET2

In diesem Kapitel wird zuerst definiert, was ein TARGET-System ist und wie es funktioniert, um dann anschließend die Gründe der Einführung des Systems zu erläutern (I.1.1). Im Anschluss soll die Notwendigkeit der Weiterentwicklung des TARGET-Systems zum TARGET2-System dargelegt werden und kurz auf die Besonderheiten des neuen Systems eingegangen werden (I.1.2).

I.1.1 Weg zum TARGET2-System

TARGET2 steht für Trans-European Automated Real-time Gross Settlement Express Transfer System 2 und es handelt sich um ein RTGS System.[2] Dieses Kürzel steht wiederum für Real-Time Gross Settlement. Dabei handelt es sich um ein „Zahlungsverkehrssystem, in dem Zahlungsaufträge zum Zeitpunkt ihres Entstehens einzeln verarbeitet [=“brutto bzw gross“] und unverzüglich abgewickelt [=“real-time“] werden.“[3] Die RTGS Systeme wurden in den meisten europäischen Nationen um 1980 (in Deutschland 1987) als Folge der stark gesunkenen Telekommunikations- und Computerkosten eingeführt.[4] Anfangs konkurrierte das RTGS System noch mit dem DNS (Deferred Net Settlement) System, das die Zahlungen nicht brutto sondern netto verrechnete. Der Hauptunterschied bestand darin, dass bei einem Nettozahlungssystem die unterschiedlichen Transaktionen einer Bank „fortlaufend verrechnet, ohne dass eine entsprechende Deckungsüberprüfung vorgenommen wird.“ Erst am Ende eines Arbeitstages werden die verrechneten und geschuldeten Salden an die jeweilige Gläubiger-Bank überwiesen.[5] Im Falle des Konkurses einer Bank und der Nichterfüllung von Zahlungen besteht das Risiko, dass Banken, deren Konten als Verrechnungskonten genutzt wurden, Ausfälle hinnehmen müssten. Daher könnten diese ebenfalls in Liquiditätsschwierigkeiten geraten und im schlimmsten Falle besteht die Möglichkeit, dass sich eine Pleite auch auf diese Institute ausweitet. Dies wiederum könnte zu neuen Ansteckungseffekten führen.[6] Es besteht also ein systematisches Risiko.[7] Bruttozahlungssysteme verrechnen die Zahlungen einzeln, d. h. wenn das Verrechnungskonto ausreichend gedeckt ist, wird die Transaktion abgewickelt ohne mit einer anderen Transaktion verrechnet zu werden.[8] Kurze Finanzierungsengpässe können mit der Hilfe von „Innertags-Überziehungskredite[n]“ ausgeglichen werden. Das systematische Risiko ist also deutlich geringer, aber es entsteht ein Kreditausfallrisiko. Dieses versuchten die europäischen Staaten zu reduzieren, indem Sie gegen die Aufnahme von Zentralbankgeld bzw. der Nutzung der Überziehungskredite Sicherheiten verlangten. Demgegenüber steht das Model der Amerikaner, die keine Sicherheiten verlangen, sondern die Zahlung einer Gebühr.[9] Wird eine Transaktion über das Bruttozahlungssystem abgewickelt, so kommt es zu einem Mittelabfluss für die Geschäftsbanken. Diese müssen folglich wieder neu finanziert werden, was auf verschiedenen Wegen erreicht werden kann. Es nehmen dabei die vorhandenen Sicherheiten einer Bank ebenfalls eine wichtige Rolle ein. Diese Thematik wird noch vertieft in Kap. I.3.1 betrachtet, wenn die Zentralbankbilanzen genauer analysiert werden.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. I-1: Struktur des TARGET Systems

(Quelle: Schaper (2007), S.59)

Jedes Land hatte bis zur Einführung der Gemeinschaftswährung ein eigenes RTGS System. In Folge der Einführung einer gemeinsamen Währung mussten auch diese nationalen Zahlungssysteme harmonisiert werden. Dieses Ziel wurde 1999 mit der Einführung des Systems TARGET verfolgt. Das neue gesamteuropäische System verknüpfte die einzelnen nationalen RTGS Systeme und erleichterte auf diesem Weg den innereuropäischen Kapitalfluss zwischen den einzelnen Staaten, die den Euro eingeführt hatten. Die immer noch dezentralisierten Nationalen Zentralbanken (NZB) führten jedoch ihre einzelnen Systeme weiter.[10] „Über ein Interlinking-System als Kommunikationsschnittstelle“ wurden die „15 Echtzeit-Bruttoverrechnungssysteme“ miteinander verbunden.[11] TARGET konnte somit als Schnittstelle zwischen den weiterhin bestehenden nationalen Abrechnungssystemen verstanden werden.[12] (s. Abbildung I-1)

I.1.2 Das TARGET2-System

Die Europäische Zentralbank (EZB) folgte den nachstehenden Hauptzielen für ein gesamteuropäisches Zahlungssystem. Es sollte das systematische Risiko gesenkt, die Effizienz gesteigert, sowie die sichere Abwicklung des Kapitalflusses gewährleistet werden, um das nötige Vertrauen der Systembenutzer zu erlangen. Des Weiteren war die Sicherstellung der Aufsichtspflichten der EZB ein wichtiges Kriterium. Sie benötigt genaue Informationen darüber, wie schnell das Geld zirkuliert und somit wie und ob sie selbst geldpolitisch aktiv werden muss.[13] Diese Ziele schienen auf den ersten Blick mit der Einführung des TARGET Systems erfüllt. Es gab jedoch noch einige Mängel hinsichtlich der dezentralen und komplexen Struktur des Systems. Die Effizienz war in jedem Fall noch zu steigern. Diese ersten Probleme sollte die überarbeitete Fassung TARGET2 beheben.[14] Es sollte außerdem die Harmonisierung der Gemeinschaftswährung weiter vorantreiben und eine einheitliche klare Preisstruktur anbieten.[15]

Deswegen wurde eine einheitliche technische Plattform geschaffen, die Single Shared Platform (SSP)[16] , auf der jeder TARGET2-Teilnehmer sein eigenes Konto eröffnen und darüber seine Geschäfte abwickeln konnte[17] (s. Abbildung I-2). Direkt teilnehmen kann jedes Kreditinstitut, das seinen Sitz im Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) hat, unter Beaufsichtigung steht und ein Konto im TARGET2 System führt.[18] Werden die Voraussetzungen einer direkten Teilnahme jedoch nicht erfüllt, so ist es auch möglich über ein direkt an TARGET2 teilnehmendes Institut ebenfalls am System zu partizipieren. Befindet sich das Kreditinstitut, das sich für eine solche Transitlösung entscheidet, im EWR so spricht man von einer indirekten Teilnahme, andernfalls von einer „Adressierbare[n] BIC“s Lösung.[19] Wie die Teilnehmer Zahlungen über dieses System und ihre dafür geschaffenen Konten abwickeln, soll nun Gegenstand des nächsten Kap. I.2 sein.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. I-2: Struktur des TARGET2 Systems

(Quelle: Schaper (2007), S.60)

I.2 Entstehung der TARGET2-Salden

In Kapitel I.1.2 wurde erarbeitet, dass das TARGET2-System den innereuropäischen Kapitalfluss erleichtert und harmonisiert soll. Wie dies praktisch aussieht und funktioniert, soll mithilfe des folgenden Beispiels verdeutlichen werden. Dieses besteht aus dem Kauf von Gütern und der damit verbundenen Bezahlung der Güter (s. Abbildung I-3). Dabei werden drei unterschiedliche Szenarien der Bezahlung betrachtet. In dem stark vereinfachten Beispiel sind 2 Akteure aktiv, wobei B von A Güter kauft. Der Güterstrom ist in allen Szenarien gleich und in Abbildung I-3 für jedes Szenario mithilfe eines grünen Pfeils gekennzeichnet. Die roten Pfeile stellen die jeweiligen Geldströme dar. Im ersten Szenario werden die Güter bar bezahlt. Es findet ein einfacher Tausch statt. Im Falle einer nationalen Überweisung (2.Szenario in Abbildung I-3) kommt ein dritter Akteur ins Spiel, die Bank. Diese bucht B Guthaben vom Konto ab bzw. gewährt ihm gegen Sicherheiten einen Kredit und verbucht A den entsprechenden Betrag auf sein Konto.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. I-3: Drei verschiedene Szenarien eines Güterkaufs

(Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Homburg (2011), S.527 und Jobst et alteri (et al.) (2012), S. 88. )

Im letzten Szenario und im Folgenden als „Modelllösung Gütererwerb“ bezeichnet überweist B den fälligen Betrag zu A mithilfe einer innereuropäischen Überweisung, also einer Geldtransaktion von Land B zu Land A. Ohne es zu wissen werden in diesem Falle beide indirekt Benutzer des TARGET2 Systems. Bank 2 wird B den entsprechenden Betrag von seinem Konto abziehen und eine TARGET2 Transaktion in Auftrag geben. Wie schon im Kapitel I.1.1 diskutiert, benötigt ein Bruttozahlungssystem die ausreichende Deckung des TARGET2-Kontos oder die kurzfristige Inanspruchnahme eines Überziehungskredites für die Durchführung dieser Transaktion. Ist das TARGET2-Konto der Bank 2 bei ihrer NZB 2 gedeckt oder nimmt sie einen Überziehungskredit in Anspruch, so wird der fällige Betrag vom entsprechenden TARGET2-Konto abgebucht. Die NZB 2 wird dann eine Transaktion des Betrages zu NZB 1 vornehmen. Anschließend wird NZB 1 den erhaltenen Betrag auf dem TARGET2-Konto bei Bank 1, in der A sein Konto führt, um den entsprechenden Betrag bereichern.[20] Dieser Vorgang ist visualisiert in Abbildung I-3 (3.Szenario) und umfasst die mit „1“ gekennzeichneten roten Geldströme. Zu demselben Prozess kommt es, wenn Kapital aus einem Land mittels einer Geldtransaktion abgezogen wird („Modelllösung Kapitalabzug“). So könnte bspw., um im Beispiel zu bleiben, B beschließen sein Konto bei Bank 2 aufzulösen und stattdessen ein Konto bei Bank 1 im Land des A zu eröffnen. B wird dazu ebenfalls eine Transaktion seines Geldes vom Konto der Bank 2 auf ein neues Konto bei Bank 1 veranlassen. Es kommt zum selben Szenario, wie oben beschrieben, nur das keine Güter transferiert werden (s. Abbildung I-3).[21] Es kann also auch über den Abzug von Kapital eine Belastung des TARGET2-Systems entstehen.[22] Es kann auch zu einer Benutzung des TARGET2-Systems aufgrund eines Kredites kommen („Modelllösung Kreditinanspruchnahme“). Entscheidet sich B dazu, A Geld für eine bestimmte Periode zur Verfügung zu stellen und führt eine Überweisung aus, so kommt es ebenfalls zu einer Beanspruchung des TARGET2-Systems nach dem oben geschilderten Muster.

Die Geldströme zwischen den einzelnen NZB über TARGET2 werden täglich saldiert und sollten einander ausgleichen. Ist dies jedoch nicht der Fall, so kommt es zu der Entstehung eines TARGET2-Saldos, das „gemäß einem Abkommen im Eurosystem an die EZB übertragen und dort saldiert“ wird.[23] Normalerweise gleichen sich die Transaktionen über einen Tag aus. So könnte A von B eine Zahlung erhalten (Modelllösung Gütererwerb), dieses Geld bei der Bank anlegen, die es dann wiederum als Kredit weitergibt und zwar in das Land des B (Modelllösung Kreditinanspruchnahme in umgekehrter Richtung). Sind die Geschäftsfälle eines Tages jedoch nicht im Gleichgewicht, so entsteht ein TARGET2-Saldo, das an die EZB weitergegeben wird. Stark vereinfacht angenommen, dass entweder Modelllösung Gütererwerb, Kapitalabzug oder Kreditinanspruchnahme den einzigen Geschäftsfall am Tag darstellt, so kommt es zu einem TARGET2-Saldo. Für NZB 2 entsteht aufgrund des Mittelabflusses eine Verbindlichkeit gegenüber der EZB und NZB 1 verbucht eine Forderung gegenüber der EZB. Diese Geldströme sind in Abbildung I-3 (3.Szenario) grafisch aufbereitet und durch eine „2“ gekennzeichnet. Dieser TARGET2-Saldo wird jeden Tag fortgeschrieben und nicht durch einen in irgendeiner Art und Weise gearteten Zahlungsausgleich egalisiert.[24] Es gehen jedoch Zinszahlungen einher, die in Kap I.3.3 noch näher erläutert werden.[25]

Diese entstehenden TARGET2-Salden seien laut der Abteilung für volkswirtschaftliche Analysen der österreichischen ZB der dezentralen Organisationsstruktur der NZBen und der EZB geschuldet. Gebe es nur eine zentralisierte ZB und „hätten alle Zahlungsverkehrsteilnehmer ihre Konten bei dieser Zentralbank“, dann würden „alle Zahlungen […] sich dort ausgleichen.“[26] Zu diesem Schluss kommt auch die Untersuchung der Wissenschaftler Bindseil und König, die in ihrer Studie eine konsolidierte europäische Zentralbankbilanz erstellt haben. Das Ergebnis war das Gleiche. Sie entdeckten, dass sich alle Zahlungen aufgehoben haben.[27] Jedoch gibt es in Europa keine allein stehende zentrale Abwicklungsstelle für jegliche geldpolitische Aktivität, sondern ein dezentrales System, in dem TARGET2-Salden entstanden sind. Wie diese in der EZB und in den einzelnen NZB verbucht werden und welche Risiken damit verbunden sind, ist Thema des nächsten Kapitels.

I.3 TARGET2 in der EZB-Bilanz

In diesem Kapitel werden die Verbuchungen der TARGET2-Transaktionen in den einzelnen dezentralen Zentralbanken und in der Europäischen Zentralbank untersucht. Bevor diese Thematik in Kap. I.3.2 genauer evaluiert wird, werden zunächst der Aufbau einer Zentralbankbilanz und die darin enthaltenen Positionen Thema des Kap. I.3.1 sein. Abgeschlossen wird das Kapitel mit einer Betrachtung über die Risiken, die mit den TARGET2-Bilanzpositionen verbunden sind (Kap. I.3.3).

I.3.1 Bilanzen der Zentralbanken

Eine auf ökonomisch wichtige Positionen vereinfachte Zentralbankbilanz ist mithilfe der Abbildung I-4 dargestellt. Die Zentralbankbilanz besteht wie jede Bilanz aus einer Aktiva und einer Passiva-Seite. Die linke Bilanzseite enthält Positionen, die dem Geldmarkt Liquidität bzw. Zentralbankgeld zuführen und wird deswegen auch „Entstehungsseite“ genannt. Die rechte Seite wird als „Verwendungsseite“ bezeichnet.[28]

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. I-4: Vereinfachte Bilanz einer Zentralbank

(Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Weber (2012), S.6, Jarchow (2003), S.101 und Mussel (2011), S. 46. )

Die Entstehungsseite soll zunächst betrachtet werden. Der erste Posten umfasst die Währungsreserven und Auslandsforderungen. Unter erstere fallen Goldbestände und -forderungen, sowie der Reserveposten des Internationalen Währungsfonds, Devisenreserven und Sonderziehungsrechte. Die Auslandsforderungen sind „Forderungen in Fremdwährung an Ansässige außerhalb des Euro-Währungsgebiets“ und „Forderungen in Euro an Ansässige außerhalb des Euro-Währungsgebiets“.[29]

Die Position Kredite an Geschäftsbanken beinhaltet das „Volumen und die Struktur der Refinanzierung der inländischen Kreditinstitute“ bei der Zentralbank.[30] Primär verläuft die Vergabe der Kredite auf dem Weg von Offenmarktoperationen. Diese werden „technisch zumeist über Pensionsgeschäfte abgewickelt.[31] Bei Pensionsgeschäften handelt es sich um eine „zeitlich begrenzte Schaffung von Zentralbankgeld“. Dabei „erfolgt eine Übertragung von Eigentum an Vermögenswerten“. Auf der einen Seite übertragen die Geschäftsbanken der Zentralbank Aktiva in Form von Wertpapieren (Sicherheiten) und erhalten im Gegenzug Zentralbankgeld. Die EZB stellt jedoch spezifische Anforderungen, die die Papiere als Sicherheiten erfüllen müssen. Es wird zwischen marktfähigen und nicht-marktfähigen Sicherheiten unterschieden und dementsprechend die Zulassungskriterien und Risikokontrollmaßnahmen angepasst.[32] Allgemein dienen jedoch Ratings zur Einordnung der Wertpapiere in Risikoklassen. Bis zum 14. Oktober 2008 akzeptierte die EZB Sicherheiten ab einem Bonitätsschwellenwert mit einem Rating von mindestens A- für ein Wertpapier. Dies senkte sie jedoch zuerst in Folge der Finanzkrise 2008 und anschließend aufgrund der europäischen Schuldenkrise fortwährend ab.[33] Wie diese gelockerte Geldpolitik das Refinanzierungsverhalten der Länder beeinflusst hat, wird in Kap. I.3.2 noch näher betrachtet und eine erste Verbindung zu den TARGET2-Salden gezogen.

Der Bilanzposten Wertpapiere ist in der Bilanz der EZB und ihrer nationalen Zentralbanken im Gegensatz zur Zentralbank Amerikas, der Fed (Federal Reserve System), eher klein. Die Fed verlangt Wertpapiere eben nicht nur als Sicherheiten, sondern kauft diese am offenen Markt und fügt ihm so Liquidität zu.[34] Dies wird noch von Bedeutung sein, wenn in Kap. II.3.1 das amerikanische Abrechnungssystem vorgestellt wird. Die EZB erwirbt Wertpapiere zumeist „von inländischen öffentlichen Emittenten“ und kann „bei Bedarf auch Kurspflege für öffentliche Titel betreiben.“ Besonders in den Blickpunkt der Fokus ist dieser Posten im Frühjahr 2010 gekommen, als die EZB den Ankauf staatlicher Wertpapiere von Griechenland, Portugal, Spanien und Italien beschloss, um damit die Krise einzudämmen.[35]

Der vorletzte Aktivaposten umfasst die Kredite an öffentliche Haushalte. Darunter fallen Kredite an Staaten zur Unterstützung deren öffentlicher Finanzen. Allerdings ist diese Form der Staatsfinanzierung gemäß der Maastrichter Beschlüsse verboten.[36] Jedoch befinden sich unter diesem Posten in den einzelnen NZB der Eurozone immer noch Geldbestände. Diese entspringen jedoch noch aus der Zeit vor dem Maastrichter Abkommen. So geht der Posten der deutschen Bundesbank auf die Währungsreform 1948 zurück und bildet den „bilanziellen Gegenposten für die Erstausstattung der Kreditinstitute und öffentlicher Körperschaften mit Zentralbankgeld.[37] Eurozone bezeichnet in diesem Text alle europäischen Staaten, die den Euro als Zahlungsmittel eingeführt haben.[38]

Der letzte Posten der Entstehungsseite wird Sonstige Akiva genannt und enthält neben Gebäuden, Grundstücken und Neubewertungsposten aus außerbilanziellen Geschäften etc. unter anderem auch den Posten „Forderungen innerhalb des Eurosystems“. Ihnen wurde bisher nicht sonderlich viel Aufmerksamkeit geschenkt, da sie „aus geldpolitischer und geldtheoretischer Sicht in der Regel keine große Bedeutung“ besäßen. Dies ändert sich jedoch zurzeit zumindest für den Euroraum, da unter dem Posten „Sonstige Forderungen“, ein Unterposten der eben angesprochenen „Forderungen innerhalb des Eurosystems“, die TARGET2-Forderungen (s. I.2) gegenüber der EZB verbucht werden.[39] Diese Thematik soll im nächsten Unterkapitel I.3.2 noch tiefer betrachtet werden. Ein weiterer interessanter Unterposten der Sonstigen Aktiva sind die Notfallkredite der nationalen Zentralbanken an nationale Kreditinstitute, die keinen Zugang mehr zu „regulären Refinanzierungs-Operationen“ bei der Zentralbank erhalten. Diese Notfallkredite werden auch als „Emergency Liquidity Assistance“ bzw. kurz ELA bezeichnet. Zwingende Voraussetzung für jeden ELA-Kredit ist die Genehmigung des EZB-Rates und die Verrichtung eines Strafzinses des Kreditinstitutes, das den Notfallkredit in Anspruch nimmt.[40] In der griechischen Bilanz tauchen die ELA-Kredite unter „Sundry“[41] , einem Unterposten von „Other Assets“, auf.[42]

Die Verwendungsseite ist durch die folgenden 4 Posten gekennzeichnet. Der Bargeldumlauf ist ein Verweis auf das Notenmonopol der Zentralbank[43] und führt die zirkulierende Banknotengeldmenge auf.[44] Der Posten Einlagen von Kreditinstituten führt die abzuführende Mindestreserve der Geschäftsbanken und darüber hinausgehende Einlagen aus unverbrauchten Überschussreserven.[45] Diese Einlagen stiegen insbesondere in Folge der Finanzmarktkrise 2008 stark an, weil „Banken einander nicht einmal über Nacht Geld verleihen wollten, sondern zumindest einen Teil“ lieber bei der EZB einlagerten.[46] In der Position Einlagen von öffentlichen Haushalten werden „die Guthaben des Bundes, seiner Sondervermögen, der Länder und anderer öffentlicher Einleger erfasst.“[47] Auch die Passivaseite verfügt noch über weitere Posten, die aus geldtheoretischer und -politischer Sicht bisher als nicht weiter relevant galten, die sonstigen Passiva. Darunter fallen u.a. die Posten Grundkapital, Rücklagen, Neubewertungskonten aus Währungsreserven,[48] sowie die TARGET2-Verbindlichkeiten. TARGET2-Verbindlichkeiten fallen für ein Land mit negativen TARGET2-Salden an (s. I.2). Im Jahresabschluss der Bank of Greece werden sie bspw. unter der Bezeichnung „Nettoverbindlichkeiten aus TARGET2-Salden“ geführt. Dies ist ein Unterposten des Posten 9 „Verbindlichkeiten innerhalb des Eurosystems“ der Abschlussbilanz der Bank of Greece.[49] Wie sich zurzeit herausstellt, ergibt sich aus diesem Unterposten der sonstigen Passiva eben doch eine geldtheoretische Relevanz, die im nachfolgenden Text noch näher eruiert werden soll.

[...]


[1] Vgl. Sinn (2011a).

[2] Vgl. European Central Bank (2012a), S. 5.

[3] Vgl. Werdenich (2008), S. 261.

[4] Vgl. Fry (2005), S. 31.

[5] Vgl. Handschin (2012), S. 1.

[6] Vgl. Hagel (2005), S. 88.

[7] Vgl. van den Bergh et al (1994), S. 104.

[8] Vgl. Handschin (2012), S. 1.

[9] Vgl. Thieme et al (2011), S. 167f.

[10] Vgl. European Central Bank (2012a), S. 31.

[11] Vgl. Büschgen (2011), S. 11.

[12] Vgl. Garber (1998), S. 6.

[13] Vgl. European Central Bank (2000), S. 1.

[14] Vgl. European Central Bank (2012a), S. 31.

[15] Vgl. Schaper (2007), S. 59.

[16] Vgl. Bundesbank (2012a), S. 1.

[17] Vgl. Schaper (2007), S. 59.

[18] Vgl. Bundesbank (2012b), S. 1.

[19] Vgl. Bundesbank (2012b), S. 1.

[20] Vgl. Jobst et al (2012), S. 88.

[21] Vgl. Buiter et al. (2011a), S. 17.

[22] Vgl. Illing et al. (2012), S. 7f.

[23] Vgl. Bundesbank (2012c), S. 1.

[24] Vgl. Jobst et al (2012), S. 88f.

[25] Vgl. Burgold et al (2012), S. 10.

[26] Vgl. Jobst et al (2012), S. 88f.

[27] Vgl. Bindseil et al. (2012), S.11f.

[28] Vgl. Brunner et al. (2012), S.582.

[29] Vgl. Jarchow (2003), S. 101f..

[30] Vgl. Borchert (1992), S. 450.

[31] Vgl. Mussel (2011), S. 45f.

[32] Vgl. Mussel (2011), S.210ff..

[33] Vgl. Sinn (2012a), S.7.

[34] Vgl. Blanchard et al (2006), S.129.

[35] Vgl. Mussel (2011), S. 49.

[36] Vgl. Jarchow (2003), S. 102.

[37] Vgl. Bontrup (1998), S. 450.

[38] Vgl. Reineke et al. (2007), S. 122.

[39] Vgl. Bundesbank (2012), S. 150.

[40] Vgl. Doyle et al. (2012), S. 1.

[41] Vgl. Sinn (2012a), S. 8.

[42] Vgl. Bank of Greece (2012), S.1.

[43] Vgl. Jarchow (2003), S. 102.

[44] Vgl. Bontrup (1998), S. 452.

[45] Vgl. Jarchow (2003), S.102.

[46] Vgl. de la Motte et al. (2010), S. 65.

[47] Vgl. Bontrup (1998), S. 452.

[48] Vgl. Mussel (2011), S.49.

[49] Vgl. Bank of Greece (2012), S.1.

Ende der Leseprobe aus 67 Seiten

Details

Titel
Das TARGET2-System im internationalen Zahlungsverkehr: Die TARGET2-Problematik
Hochschule
Katholische Universität Eichstätt-Ingolstadt  (Universität)
Note
1,0
Autor
Jahr
2012
Seiten
67
Katalognummer
V201441
ISBN (eBook)
9783656295785
ISBN (Buch)
9783656298106
Dateigröße
23014 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Schuldenkrise, Eurokrise, Target2, Volkswirtschaftslehre, Betriebswirtschaftslehre, Euro, Eurobonds, Bonität, EZB, Fiskalpakt, Bankenunion, Haircut, Staatsanleihen, Transferunion, Austerität, EU, Haftung, Haftungsunion, TARGET2-Saldo, Staatsdefizit, Haftungsrisiko
Arbeit zitieren
Paul Möckel (Autor:in), 2012, Das TARGET2-System im internationalen Zahlungsverkehr: Die TARGET2-Problematik, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/201441

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