Die DDR als nuklearer Raketenstandort während des „Kalten Krieges“


Hausarbeit (Hauptseminar), 2010

26 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Raketentruppen und Raketensysteme in der DDR
2.1 Raketentruppen der sowjetischen Westgruppe
2.2 Raketentruppen der NVA-Landstreitkräfte
2.3 weitere nukleare Trägersysteme der NVA
2.3.1 NVA-Volksmarine
2.3.2 NVA-Luftstreitkräfte/Luftverteidigung

3. Entscheidungsprozesse in Bezug auf den Standort der DDR
3.1 Die DDR im strategischen Design des Warschauer Paktes
3.2 Der Einfluss der SED gegenüber der UdSSR

4. Resümee

5. Literaturverzeichnis

6. Abbildungsverzeichnis

7. Anhang

1. Einleitung

Der Ost-West Konflikt war von 1945 - 1990 das bestimmende Merkmal der Weltpolitik. Er war gekennzeichnet durch die machtpolitische Rivalität zwischen den USA und der UdSSR, sowie dem weltanschaulichen Gegensatz von Kommunismus und westlicher Demokratie. Die Auseinandersetzung zwischen den gegensätzlichen Systemen nahm zunächst die Form des „Kalten Krieges“ an und eskalierte mehrfach bis an den Rand eines Atomkriegs. Eng verknüpft mit dieser Zeit sind natürlich auch die Raketenrüstung und daraus resultierende Raketenstandorte innerhalb dieses globalen Konfliktes. Stellvertretend für die Zeit des „Kalten Krieges“ soll exemplarisch die Rolle der DDR als nuklearer Raketenstandort betrachtet werden. Im engeren Sinn des Wortes war die „Deutsche Demokratische Republik“ keine Nuklearmacht, denn sie besaßen keine eigenen Kernwaffen, doch „ihre Landstreitkräfte hätten im Kriegsfall […] ihre taktischen und operativ-taktischen Raketensysteme den sowjetischen Streitkräften als Träger für nukleare Gefechtsköpfe zur Verfügung gestellt und wären damit Teil des nuklearen Potentials des Warschauer Vertrages geworden.“1

Ziel dieser Arbeit ist es aufzuzeigen, wie sich die DDR als nuklearer Raketenstandort während des Kalten Krieges charakterisierte. Es wird hier die These vertreten, dass die DDR im Design des Warschauer Paktes nur Mittel zum Zweck war, in welchem die Sowjetunion die Vormachtstellung inne hatte. Es soll festgestellt werden, warum die DDR dennoch ein bedeutsamer Raketenstandort und wichtiger Partner innerhalb des sowjetischen Gefüges war.

Für die Zielstellung dieser Hausarbeit bedarf es zweier Untersuchungsschwerpunkte. Zunächst soll durch das Aufzeigen der Standorte und der Anzahl der verschiedenen Raketenverbände in der DDR ein struktureller Überblick verschafft werden. Dabei ist wichtig, dass man eine Differenzierung zwischen den Raketentruppen der NVA und denen der sowjetischen Westgruppe vornimmt. Anschließend sollen die entsprechenden Entscheidungsprozesse für den Raketenstandort DDR im Fokus stehen. Dazu zählt zum einen die Einbettung der DDR im Design des militärischen Bündnisses des Warschauer Paktes. Zum anderen wird untersucht, wer die Entscheidungsträger zur Aufstellung der verschiedenen Raketen waren und welchen Spielraum dabei die SED gegenüber Moskau innerhalb dieses Entscheidungsprozesses hatte. Abschließend wird in einem Resümee eine kritische Beurteilung der Teilergebnisse der Untersuchung erfolgen.

2. Raketentruppen und Raketensysteme in der DDR

2.1 Raketentruppen der sowjetischen Westgruppe

Die „Westgruppe der Truppen“ (WGT) wurde bis 1954 als „Gruppe sowjetischer Besatzungstruppen in Deutschland“ und danach bis 1989 als „Gruppe sowjetischer Truppen in Deutschland“ (GSTD) bezeichnet. Diese bildeten sich aus Großverbänden der 1. und 2. Belorussischen Front und der 16. Luftarmee, welche 1944-45 an der Zerschlagung des Deutschen Reiches mitwirkten und nach dem Ende des 2. Weltkrieges ununterbrochen in Ostdeutschland stationiert waren.2 Auf dem Gebiet der DDR befanden sich zwölf Raketenbrigaden der WGT. Die sowjetische Westgruppe setzte sich aus fünf Armeen und aus der GSTD unmittelbar unterstellten Verbänden zusammen.

„Die fünf Armeen verfügten insgesamt über je drei bis vier Kampfdivisionen, daneben gehörten zu jeder Armee u.a. eine Raketenbrigade SS 21, eine Raketenbrigade SCUD“3. Zwei weitere Raketenbrigaden unterstanden darüber hinaus direkt der GSTD. Die folgende Tabelle4 soll dies verdeutlichen und eine Übersicht über die Standorte der Raketenbrigaden und Raketentypen geben.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Aus der Übersicht geht zum einen hervor, dass die Standorte der Raketenbrigaden relativ gleichmäßig auf das Gebiet der DDR verteilt lagen. Als einzige Lücke in der Standortbetrachtung könnte man den Norden der DDR bezeichnen, da Alt-Strelitz den nördlichsten Standort bildete. Zum anderen ist auffällig das Raketenbrigaden mit zwei Raketentypen ausgestattet waren, nämlich mit den Kurzstreckenraketen der SS-1c oder der SS-215.

Des Weiteren besaß die sowjetische Westgruppe Standorte in der DDR, an denen SS-12 und SS-236 Raketen stationiert waren. Die Besonderheit war, dass diese Standorte unter den INF-Vertrag fielen. Die folgende Tabelle7 soll eine weitere Übersicht der Standorte und Anzahl dieser Raketen und der dazu benötigten Startrampen bilden.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Um diese verschiedenen Raketensysteme mit nuklearen Raketengefechtsköpfen zu bestücken, bedurfte es sicherer Lagerstätten. Dazu dienten der Westgruppe der Truppen mehrere Kernwaffenlager für nukleare Raketengefechtsköpfe auf dem Territorium der DDR.

„ Die Nuklearwaffenlager waren unter strikter sowjetischer Kontrolle. Ihre Lage war nur den wenigen nicht-sowjetischen Offizieren bekannt, die f ü r die Planung und Vorbereitung der Ü bernahme von Gefechtsk ö pfen verantwortlich waren und deshalb davon Kenntnis haben mu ß ten. In der DDR gab es mindestens ein Lager für jede Armee der GSSD, dazu ein Lager für die Luftarmee. “ 8

Die Quellenlage zu den genauen Standorten der Raketenkernwaffenlager der WGT gestaltet sich bis heute sehr schwierig, denn es gibt weiterhin Unstimmigkeiten hinsichtlich der tatsächlichen Standorte. Hall benennt folgende Standorte der Raketenkernwaffenlager: Neuthymen, Himmelpfort, Flecken Zechlin, Stolzenhain, Torgau, Hohenleipisch, Zeithain und Königsbrück.9 Diese Informationen stammen laut Peter Hall von Charles Tuten, einem CIA-Luftbildaufklärer.10

2.2 Raketentruppen der NVA-Landstreitkräfte

Am 1. März 1956 wurde die NVA gegründet und ihre Existenz endete am 3. Oktober 1990.11

„ Die Nationale Volksarmee war von Anfang an Kernst ü ck der Landesverteidigung der DDR. Zum Zeitpunkt ihrer Gr ü ndung wurde in Erg ä nzung des Artikels 5 der DDR-Verfassung vom 26. September 1955 der Dienst in den Streitkr ä ften zum Schutz des Vaterlandes und der Errungenschaften der Werkt ä tigen als eine ehrenvolle nationale Pflicht der B ü rger erkl ä rt. “ 12

Zu diesem Kernstück gehörten selbstverständlich auch die Raketentruppen, welche in die Streitkräfte der NVA fest integriert waren. Innerhalb der NVA gab es drei Teilstreitkräfte, die sich aus den Landstreitkräften, den Luftstreitkräften/Luftverteidigung und der Volksmarine zusammensetzten. Im Folgenden wird der Schwerpunkt auf den NVA-Landstreitkräften liegen, weil sie „die entscheidende Rolle bei der Abwehr des Aggressors und bei seiner nachfolgenden Zerschlagung spielen.“13 Die Luftstreitkräfte und Volksmarine besaßen hingegen keine eigenen Raketentruppen, sondern waren nur mit Raketensystemen bzw. Raketentechnik ausgestattet.

Parallel mit der ab 1962 beginnenden Ausstattung der Streitkräfte des Warschauer Vertrages mit Kernwaffenträgern wurden bei den NVA-Landstreitkräften mit der operativ-taktischen Boden-/Boden-Rakete SCUD-A („8 K 11“ / „R-170“) und der taktischen Boden-/Boden-Rakete FROG-4/5 („LUNA“ / „R-30“) nuklearfähige Waffensysteme eingeführt.14 Die Nachfolgemuster dieser Raketengeneration waren die SCUD-B („8 K 14“ / „R-300“) und FROG-7 („LUNA-M“ / „R-65“).15 In Anbetracht der geringen Treffgenauigkeit der Raketen war deren primäre Rolle der nukleare Kernwaffeneinsatz.

„ Die Raketensysteme der neuesten Generation, SS-21/SCARAB ( „ TOTSCHKA “ ) und SS-23/SPIDER ( „ OKA “ ), bedeuteten gegen ü ber ihren Vorg ä ngersystemen einen technologischen Sprung. Ihre hohe Treffgenauigkeit bot zum ersten Mal eine tats ä chliche konventionelle Option. Deshalb waren sie neben den nuklearen auch mit konventionellen Gefechtsk ö pfen bevorratet, auch wenn bei beiden Systemen, besonders aber bei der SS-23, die nukleare Option im Vordergrund stand. “ 16

Eine gute Übersicht zu den einzelnen Bezeichnungen der Raketensysteme der NVALandstreitkräfte und deren Unterscheidung in operative-taktische Raketen und taktische Raketen ist bei Nielsen zu finden.17

Mit der Raketenausstattung der NVA-Landstreitkräfte entstand eine erweiterte Waffengattung: die Raketentruppen/ Artillerie - welche die Hauptfeuerkraft der NVA bildete. Allerdings waren die Truppen nicht mit Nuklearwaffen ausgestattet.

„ Die NVA verf ü gte mit ihren Raketensystemen der Landstreitkr ä fte zwar ü ber nukleare Tr ä germittel, nicht aber ü ber die nuklearen Gefechtsk ö pfe daf ü r. Die Gefechtsk ö pfe kamen aus den Best ä nden der sowjetischen Streitkr ä fte. “ 18

Es gab zwei sowjetische Lager, in denen die für die Raketen der NVA bestimmten Gefechtsköpfe gelagert wurden, „das eine, in Meyenburg in der Nähe des sowjetischen Flugplatzes Wittstock, war zuständig für den Militärbezirk V, das andere in Stolzenhain, in der Nähe des sowjetischen Flugplatzes Jüterbog.“19 Nach einigen Umstrukturierungen innerhalb der NVA-Landstreitkräfte20 gab es jeweils eine Raketenbrigade unter dem Kommando eines Militärbezirkes, die mit operativ- taktischen Raketen (OTR) ausgerüstet wurde. Mit der Aufstellung der 3. und 5. Raketenbrigade21 verfügte die NVA über die Voraussetzung, um in operativen Gruppierungen von den Frontstäben geplante und befohlene Kernwaffenschläge mit einer Distanz bis 300 Kilometer zu führen.22

Auf der einen Seite waren jeder Raketenbrigade23, auf der anderen Seite waren jeder Division ab 1967 Raketenabteilungen unterstellt. Eine Übersicht der Standorte der einzelnen Raketenabteilungen sollen die folgenden zwei Tabellen24 geben.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Außerdem verfügten die NVA-Landstreitkräfte über das Raketenausbildungszentrum40, welches sich in Prora auf der Insel Rügen befand.25

Die Artillerie der NVA-Landstreitkräfte erhielt 1979 mit der 152mm-Haubitze („AKAZIA“) auf Selbstfahrlafette erstmals ein nuklearfähiges Geschütz. Der Bestand wuchs von 1979 bis 1989 von 18 auf 90 Geschütze.26 Weitere nuklearfähige Artilleriewaffen waren nicht vorhanden.

Der Bestand an Startrampen, die für jedes Raketensystem Vorraussetuzng waren, wuchs von 1962 bis 1989 für die operativ-taktischen Raketen von 6 auf 24, für die taktischen Raketen von 2 auf 34.27 Die Gesamtzahl der Raketensysteme der Landstreitkräfte wuchs ebenfalls von 1962 bis 1989 von 8 auf 68.28

[...]


1 Nielsen 1998, S. 22.

2 Vgl. Frank 1996, S. 331.; Arlt 1998, S. 593

3 Ebd., S. 332.

4 Vgl. Ebd., Anlage XII 1/1 und XII 1/2, S. 345ff.; Mahler 1988, S. 29ff.; Arlt 1998, S. 606f.

5 Die SS-1c Scud-B (russische Bezeichnung R-17) und die SS-21 Scarab (russische Bezeichnung Totschka) waren taktische ballistische Boden-Boden-Raketen aus sowjetischer Produktion, die zur Klasse der Kurzstreckenraketen gehören. Vgl. Nielsen 1998, S. 210f. Anlage 18(1) und 18(2).

6 Die SS-12 (russische Bezeichnung OTR-22)und die SS-23 (russische Bezeichnung OTR 23) waren ebenfalls taktische ballistische Boden-Boden-Raketen aus sowjetischer Produktion. Diese wurden als ergänzendes Raketensystem zur SS-1C Scud-B konzipiert. Vgl. ebd., S. 210f. Anlage 18(1) und 18(2).

7 Vgl. http://www.state.gov/www/global/arms/treaties/inf1.html#treaty [Zugriff: 31.03.2011 14:10h] http://www.fas.org/nuke/control/inf/text/inf3.htm [Zugriff: 31.03.2011 14:27h]

8 Nielsen 1998, S. 116f.

9 Vgl. http://www.peterhall.de/srbm/westerngroup/wg52.html [Zugriff: 05.04.2011 15:08h]

10 Diese Information erfolgte 2007 im Umfeld einer Veranstaltung des Luftfahrtmuseums Finowfurt, in dem Peter Hall ehrenamtlich als Arbeitsgruppenleiter ballistische Raketenwaffen arbeitete.

11 Vgl. Schirmer 1995, S. 57.

12 Ebd., S. 59.

13 Göpel 1996, S. 77.

14 Vgl. Göpel 1996, S. 92f.

15 Vgl. Neidhardt / Marum 2007, S. 112.

16 Nielsen 1998, S. 139.

17 Vgl. ebd., Anlage 18 (1) und 18 (2), S. 210f.

18 Ebd., S. 129.

19 Ebd., S. 117.

20 Vgl. ebd., S. 141.

21 Die 3. Raketenbrigade war dem Militärbezirk III (Leipzig) unterstellt und in Tautenhain zwischen Gera und Jena stationiert. Die 5. Raketenbrigade war wiederum dem Militärbezirk V (Neubrandenburg) unterstellt und zunächst in Stallberg (1962-1977) und dann in Demen (1977-1990) stationiert.

22 Vgl. Mangliers 1987, S. 30.

23 Zu der 3. Raketenbrigade zählten 2 Raketenabteilungen und zu der 5. Raketenbrigade zählten 3 Raketenabteilungen. Vgl. Nielsen 1998, S. 143 Abb. 23.

24 Vgl. Göpel 1996, S. 115ff.

25 Vgl. http://www.peterhall.de/srbm/nva/raz-40/raz3.html [Zugriff: 05.04.2011 15:39h]

26 Vgl. Abbildung 2 im Anhang S. 23.

27 Vgl. Abbildung 3 im Anhang S. 24.

28 Vgl. Abbildung 1 und 2 im Anhang S. 23.

Ende der Leseprobe aus 26 Seiten

Details

Titel
Die DDR als nuklearer Raketenstandort während des „Kalten Krieges“
Hochschule
Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald
Veranstaltung
Raketenrüstung im 20 Jh.
Note
1,3
Autor
Jahr
2010
Seiten
26
Katalognummer
V201341
ISBN (eBook)
9783656280040
ISBN (Buch)
9783656280286
Dateigröße
1335 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
raketenstandort, kalten, krieges
Arbeit zitieren
Marco Schmidt (Autor:in), 2010, Die DDR als nuklearer Raketenstandort während des „Kalten Krieges“ , München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/201341

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