Alenka Zupancic: Das Reale einer Illusion - Eine Ethik jenseits des Lustprinzips


Seminararbeit, 2011

19 Seiten, Note: 1


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis:

Einleitung

1. Kant: die ethische Handlung, das ethische Subjekt und die Freiheit. Lacan: das „Mehr-Genießen“, das psychoanalytische Subjekt und das Reale

2. Das Subjekt und das Gesetz: Handeln nach dem Buchstaben und dem Geist des Gesetzes

3. Die Ethik und die Lust: Kant und Lacan

Schluss

Literatur

Einleitung

In ihrem kleinen, aber umso dichteren Buch gelingt es Zupancic ein Potenzial in Kants Moralphilosophie herauszuarbeiten, das für das heutige Denken und heutige Vorstellungen von Ethik große Sprengkraft besitzt. Denn, so die Autorin, Kants Ethik ist, im Gegensatz zu unserem überstrapazierten Begriff der Ethik, die eigentlich gar keine mehr ist, gerade in ihrer Nicht-Aktualität, die sie zu jeder Zeit aufwies, die modernste Ethik überhaupt (Zupancic 2011:17). Es ist erstaunlich, wie Kant ein ethisches Konzept entwirft, das jenseits von Utilitarismus und Empirismus und jenseits von Hedonismus, aber auch von christlicher Nächstenliebe seine Stärke und sein subversives Potential aus einer fragilen Konstruktion der Freiheit bezieht, die auf ein Jenseits verweist, und gerade aus einer Abwesenheit heraus große Impulse zu setzen vermag. Vielleicht lag diese Kraft der Kantischen Ethik deshalb nie offen, weil ihm zu seiner Zeit noch die Konzeption eines Unbewussten gefehlt hat, dessen Entdeckung er aber, so Zupancic, gewissermaßen vorbereitet hat. Aus diesem Grunde wohl lässt sich das ganze Potential seiner Ethik in der Verknüpfung mit der Lacanschen Psychoanalyse aktualisieren. Zupancic zeigt in ihrer Arbeit auf, dass das Zusammenlesen von Kant und Lacan, wobei sich letzterer an vielen Stellen seiner Arbeit auf ersteren bezieht, diese ganz besondere Konzeption vom Subjekt, seiner Freiheit und der Möglichkeit ethischen Handelns erlaubt. Kants Kategorischer Imperativ und seine Freiheitskonzeption, sowie seine Definition der sittlichen Handlung und des höchsten Gutes lassen sich, so zeigt Zupancic, beinahe nahtlos an Lacans Theorie des gespaltenen Subjekts, des Begehrens, des Genießens und des Realen anschließen. Das Ergebnis ist eine Ethik, die sämtliche heute gängigen Moralvorstellungen, die sich entweder am Gesetz, an der Sachlogik aber auch an der Fokussierung auf die Erhaltung des Lebens oder etwa am Wohlergehen anderer orientieren als pathologisch entlarvt und ihnen eine radikale Alternative entgegenstellt, deren Reales so viel wirk-licher ist alles in der empirischen Welt Auffindbare. Dieses Reale hat das Potenzial einer Welt, die sich in einer selbstgemachten Depression des „es lohnt sich nicht“ (Zupancic 2001:14) und der Abarbeitung in den Tretmühlen eines am Realitätsprinzip ausgerichteten Imperativs zur Erfüllung der ökonomischen Notwendigkeiten und erstickt unter den ständigen „vitalistischen Schuldgefühlen“ (ebd., S. 16), bei all den mannigfaltigen Möglichkeiten des Diesseits nicht genug aus dem eigenen kostbaren Leben gemacht zu haben, einen Stromschlag zu verpassen, der das Subjekt wieder an seine Möglichkeit einer anderen Wahl erinnert, einer Wahl, die sich auf ein Reales jenseits der Realität bezieht, einer Wahl des Ethischen jenseits unseres Lebens, eines Handelns das einer Unbedingtheit folgt auch wenn es uns das Leben kostet. Doch auch wenn dieser Gesinnungswandel, falls er denn einmal eingetreten ist, eine unheimliche Kraft besitzt, so ist es doch schwierig ihn zu vollziehen. Denn die Depression ist alles was wir kennen, und es ist schwer sie loszulassen:

„Das Subjekt fürchtet den Verlust der Pathologie, des Pathos selbst, das den Kern seines jetzigen Seins ausmacht, so elend dieses auch sein möge; es fürchtet, sich in einer völlig unbekannten Zone wiederzufinden, in einer Region ohne Markierungen und Zeichen“ (Zupancic 2001:22).

Mit der Ausrichtung der Ethik an der Realität haben wir sie zu Grabe getragen. Wir machen uns vor, dass die Mannigfaltigkeit der Möglichkeiten eines postmodernen Lebens, in der jeder tun und sein kann was er will, die Freiheit bedeutet. Aber gerade diese Ausrichtung auf das unmittelbare Leben, das die Grenze unseres Denken und Handeln bildet, schließt den Spielraum der Freiheit. Denn hier befinden wir uns in einem Raum aus Bedingungen, deren Vielzahl diese Bedingtheit zwar verschleiern mag, aber sie nicht aufhebt. Für wirkliche Freiheit ist ein Außen vonnöten, das sich auf ein Unbedingtes bezieht. Dieses Außen entspricht aber nicht irgendeiner Vorstellung von Gott oder einem Absoluten, sondern dieses Außen wird im ethischen Subjekt selbst wirksam. Diese Konstruktion eines gespaltenen Subjekts, das sich dadurch konstituiert, dass Bereiche des Außen in die Psyche zurück genommen werden, ist in der Psychoanalyse nichts Neues mehr. Umso überraschender ist aber, dass Kant sein ethisches Subjekt ähnlich anlegt. Alenka Zupancic zeigt, wie Kant ausgehend von der Konzeption der ethischen Handlung ein solches gespaltenes ethisches Subjekt entwirft und anschließend klar macht, worin dessen Freiheit besteht. Sie zeigt auch auf, was diese Konzeption des Ethischen in Bezug auf die Probleme unserer Zeit bedeuten kann.

1. Kant: die ethische Handlung, das ethische Subjekt und die Freiheit. Lacan: das „Mehr-Genießen“, das psychoanalytische Subjekt und das Reale.

Für Kant ist eine ethische Handlung eine solche, deren Zweck oder Ursache nichts anderes ist als die Handlung selbst. Alle anderen Handlungen bezeichnet er als pathologisch. Kant beurteilt also Handlungen unabhängig von ihrem Inhalt, einzig nach ihrem Grund. Da dieser Grund aber im Grunde der Inhalt ist, aber auch nicht ist, tut sich hier eine interessante Konstruktion auf. Ohne vorerst auf die genaue Definition einer solchen ethischen Handlung einzugehen kann schon viel ausgesagt werden darüber, was eine ethische Handlung nicht ist. Denn vieles, was uns als ethisch erscheint, fällt bei Kant unter die Kategorie des Pathologischen. Dabei ist es irrelevant, ob eine Handlung aus Altruismus, aus Hedonismus, aus Idealismus oder Realismus erfolgt, immer dann, wenn auf irgend eine solche Triebfeder verwiesen werden kann, die gesondert formulierbar ist, dann ist eine Handlung nicht als ethisch zu bezeichnen. Zwischen niederen Trieben, wie unmittelbarem Lustgewinn und den höchsten Idealen wie der Nächstenliebe wird hier kein Unterschied gemacht. Es ist auch irrelevant, ob eine Handlung egoistisch oder altruistisch ist, denn es macht keinen Unterschied ob mein Wohlergehen oder das Wohlergehen des Anderen der Zweck der Handlung ist, ganz davon abgesehen, dass das Wohlergehen sowieso immer relativ und kaum zu bestimmen ist.

Doch wie kann es sein, dass eine Handlung selbst ihren Grund darstellt? Klar ist einmal, dass wir hier den bisher bekannten Boden verlassen. Wenn selbst das höchste Ideal pathologisch ist so macht es keinen Sinn, sich ein höheres zu denken, denn auch dieses wäre immer noch von der gleichen Qualität, nämlich der empirischen. Innerhalb des Empirischen findet sich nichts, was als Grund einer Handlung nicht pathologisch wäre. Wir müssen daher den empirischen Raum verlassen und von den ausformulierbaren Zwecken und Ursachen absehen. Es ist etwas anderes, was eine ethische Handlung auszeichnet, etwas was nicht innerhalb einer Kausalitätsstruktur anzusiedeln ist. Bei einer Ethischen Handlung ist also nicht das warum und wozu ausschlaggebend, sondern einzig und allein eine Haltung, die das Subjekt einnimmt, seine Gesinnung (ebd., S. 24). Aber dieser Begriff der Gesinnung bleibt nicht völlig leer, er ist nicht eine reine Deutungssache. Ganz im Gegenteil. Diese Gesinnung setzt eine Produktivität frei, die erst einmal darin besteht, überhaupt das Subjekt als ethisches zu konstituieren, denn mit diesem Akt der Übernahme einer solchen Gesinnung wird gleichzeitig die Neuschöpfung des Subjekts vollzogen. Doch woher kommt diese schöpferische Kraft der Gesinnung? Oder um mit Zupancic zu fragen:

„wie kann sich die „reine Form“ in Materie verwandeln, wie kann aus einer Sache, die in der Welt des Subjekts gar keine Ursache darstellt, mit einemmal eine Ursache werden“ (Zupancic 2001:27)?

Der Lösungsweg, den die Autorin beschreitet, setzt bei der Differenz zwischen „pflichtmäßig“ und „aus Pflicht“ an, womit Kant den rechtlichen und den sittlichen Aspekt einer Handlung veranschaulicht (ebd., S. 25). Eine Handlung, die pflichtmäßig erfolgt, orientiert sich allein am Gesetz. Sie wird beurteilt allein danach, ob sie damit (inhaltlich) übereinstimmt. Damit ist aber noch nichts über die Sittlichkeit der Handlung ausgesagt, sondern nur über ihre Legalität. Eine ethische Handlung ist aber mehr als das. Sie wird getätigt „pflichtmäßig und aus Pflicht“. Dieses „aus Pflicht“ bedeutet, dass das Gesetz zum Grund, zur Triebfeder wird, was aber nur über die reine Form des Gesetzes möglich ist, denn bezogen auf den Inhalt wäre die Handlung pathologisch:

„Nach Kant, heißt es, soll unser Wille durch die „reine Form“ der Pflicht bestimmt sein und nicht durch ihren Inhalt“ (Zupancic 2001:26).

Aber was ganz wichtig ist: die Wendung „pflichtmäßig und aus Pflicht“ bedeutet, dass dieses „aus Pflicht“ nicht ohne irgendeinen Bezug zum Inhalt auskommt. Diese reine Form ist also nicht die Form eines Inhalts, aber auch nicht leere Form „ sondern vielmehr eine Form außerhalb des Inhalts, über den Inhalt hinaus, eine Form, die nur sich selber Form gibt“ (ebd., S. 29). Hier kommt zum ersten Mal Lacan hinzu, dessen Konzept des „Mehr-Genießen“ laut Zupancic genau diesen Überschuss einer solchen Form auszudrücken vermag. Dieses Überzählige der reinen Form erreicht man, wenn man alles Gesetzmäßige subtrahiert. Es bleibt dann ein Rest, der aber gerade durch die Abstraktion vom Inhalt, die Abwesenheit des Inhalts seine Materialität gewinnt und somit als Triebfeder des Handelns fungieren kann. Es ist dieser Mehrwert der reinen Form, der die „ethische Transsubstantiation“ (ebd., S. 27) ermöglicht, in der die Form eine Art Materialität erlangt, die auf ihrem Vermögen beruht, Handlungen hervor zu rufen. Es ist eine paradoxe Konstellation, die das ethische Handeln erfordert:

„die Trennung von allem, was der Ordnung des Pathologischen angehört, bringt etwas hervor, durch das hindurch sich eben diese Trennung vom Pathologischen vollendet“ (Zupancic 2001:30).

Ähnlich paradoxe und daher fragile Konstellationen sind es auch, die die Freiheit und die Autonomie des Subjekts, und somit das ethische Subjekt als solches ermöglichen. So ist auch Kants Konstruktion der Freiheit eng mit der Subjektkonstitution verknüpft. Wie in der Psychoanalyse Lacans ist dieses Subjekt gespalten, aber diese Spaltung verläuft nicht etwa klar zwischen pathologischem und dem reinen sittlichen Subjekt, sondern zwischen dem pathologischen und dem gespaltenen. Wir finden also zwei Elemente wieder, wie wir sie auch schon bei der Konzeption der sittlichen Handlung gesehen haben. Einerseits ist das Subjekt nicht losgelöst von allem Pathologischen, denn so wäre nur die Freiheit Gottes beschaffen (ebd., S. 31), sondern es bleibt in der Spannung verhaftet, die sich aus der Alternative ergibt, zwischen dem rein Pathologischen und dem Gespaltenen, welches aber nicht gänzlich frei von Pathologischem ist, wählen zu müssen. Der zweite wichtige Punkt ist die Antinomie, die bis zuletzt nicht ausgeschalten werden kann. Freiheit, Autonomie und Subjekt bestehen gerade nur durch diesen unüberwindbaren Gegensatz, und die Freiheit des Subjekts ist seine Gespaltenheit, weil nur sie die Wahl der Gesinnung ermöglicht. Dieses Subjekt ist also keines, das sich beliebig selbst transzendieren kann, in dem also ein völlig freier Wille am Werke ist. Dies ist nur einem göttlichen Subjekt vorbehalten. Das menschliche Subjekt hingegen ist mit dem pathologischen, dem kausalen Nexus der Bedingungen verbunden, hat aber die Möglichkeit, nicht völlig darin aufzugehen. In Anlehnung an Freud formuliert Zupancic einen für das Buch ganz zentralen Satz, der das Wesen der Kantischen Freiheit beschreibt:

[...]

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Details

Titel
Alenka Zupancic: Das Reale einer Illusion - Eine Ethik jenseits des Lustprinzips
Hochschule
Universität Wien  (Philosophie)
Veranstaltung
Kants Ethik als Dekonstruktion der pathologischen Züge aller vormaligen Subjekts-Metaphysik
Note
1
Autor
Jahr
2011
Seiten
19
Katalognummer
V201283
ISBN (eBook)
9783656277903
ISBN (Buch)
9783656562504
Dateigröße
523 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Schlagworte
alenka, zupancic, reale, illusion, eine, ethik, lustprinzips
Arbeit zitieren
Sandra Kerschbaumer (Autor:in), 2011, Alenka Zupancic: Das Reale einer Illusion - Eine Ethik jenseits des Lustprinzips, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/201283

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