Das Konzept Computerspielschule: Anforderungen an die medienpädagogische Arbeit mit Gamern, Eltern und Lehrern


Bachelorarbeit, 2011

46 Seiten, Note: 1,6


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung
1.1 Zielsetzung der Arbeit
1.2 Gliederung und Vorgehensweise

2. Außerschulische Pädagogik
2.1 Handlungsorientierte Medienpädagogik
2.2 Lernprozesse in der Medienarbeit
2.3 Voraussetzungen reflexiv-praktischer Medienarbeit

3. Computer- und Videospiele
3.1 Plattformen und Systeme
3.2 Genre-Klassifikation
3.3 Gründe der Faszination nach SCHELL
3.4 Die vier Funktionskreise nach FRITZ
3.5 Das Flow-Erlebnis
3.6 Wirkungsweisen
3.6.1 Physische Auswirkungen
3.6.2 Psychologische Aspekte
3.6.3 Auswirkung auf die Intelligenz der Spieler

4. Projektbeschreibung ComputerSpielSchule Leipzig
4.1 Die ComputerSpielSchule Leipzig
4.2 Konzept
4.3 Beispielprojekte der Einrichtung

5. Handlungsanweisungen zur Arbeit mit Computer- und Videospielen
5.1 Mitarbeiterkompetenzen
5.2 Außerschulischer Handlungsrahmen
5.3 Weitere Aspekte

6. Persönliches Fazit und Zukunftsaussichten

7. Abbildungsverzeichnis

8. Quellenverzeichnis

9. Anhang

1. Einleitung

Computer- und Videospiele sind als Bestandteil der neuen Medien in unserer Gesell- schaft omnipräsent. Ihre Relevanz lässt sich anhand der Millionenumsätze, welche Spielehersteller und Softwareentwickler jährlich verzeichnen, gut nachvollziehen.1 Sie sind bei Kindern und Jugendlichen beliebt, wohingegen Eltern und Großeltern oftmals Verständnis für und Wissen über die Spiele fehlen. Das Angebot an Spielen ist nahezu unüberschaubar groß. Zudem sind die Spiele bei vielen Menschen in Verruf geraten und werden oftmals mit sozialen und leistungsbezogenen Problemen auf Seiten der Spieler und vereinzelten Tragödien wie dem Amoklauf von Erfurt im Jahr 2002 in Ver- bindung gebracht. Man sagt ihnen nach, dass sie Kinder und Jugendliche zur Gewalt animieren und ihnen die Möglichkeit bieten, diese zu erproben. Häufig bringt man den Gewaltaspekt auch mit einem möglichen Suchtverhalten in Zusammenhang, welches exzessive Spieler annehmen würden. Dabei wird meistens nicht zwischen den ver- schiedenen Spielarten unterschieden, sondern grundlegend pauschalisiert. Neben Kri- tikern und Skeptikern existieren auch strikte Gegner von Computer- und Videospielen, die davon überzeugt sind, Spiele würden nur schaden und kaum nützen.

Vom medienwissenschaftlichen Standpunkt aus gesehen wird schnell klar, dass Risi- ken und Gefahren vielmehr durch mangelnde Kompetenzen im Umgang mit den Spie- len als von den Spielen an sich ausgehen. Dies erklärt sich dadurch, dass die Spiele meist nur von den Spielern selbst im privaten Raum genutzt werden, darüber hinaus aber selten Beachtung finden. In den Schulen existieren zu wenig medienpädagogi- sche Angebote, als dass man dieses Thema hinreichend behandeln könnte. Selbst wenn in Schule oder Freizeiteinrichtung Betreuer vorhanden sind, welche den verant- wortungsbewussten Umgang mit Spielen begleiten, scheitern diese Bemühungen oft- mals am Elternhaus, wo das Interesse an den Spielmedien kaum vorhanden ist.

Aus diesem Grund muss das Angebot an außerschulischen Einrichtungen und Projek- ten um diese Problemstellungen erweitert werden. Es muss ein Ort geschaffen werden, an dem Besucher ohne Zwang und Verpflichtung die Möglichkeit haben, Wissen über Computer- und Videospiele zu erlangen, eigene Erfahrungen mit ihnen zu sammeln und Vorurteile gegenüber einem solch dominanten Medium aufzulösen. So ein Ange- bot muss sie befähigen, selbstverantwortlich und kompetent mit den Spielen umzuge- hen. Wie medienpraktische Arbeit das leisten kann, soll Gegenstand dieser Bachelor- Thesis sein.

1.1 Zielsetzung der Arbeit

Diese Bachelorarbeit orientiert sich an medien- und erziehungswissenschaftlichen Grundlagen, sowie an spezifischen Eigenschaften und Wirkmechanismen von Compu- ter- und Videospielen. Es wird versucht, daraus Handlungsanweisungen zur erfolgrei- chen Konzeption und Durchführung eines mediendidaktischen Projekts im Bereich der Bildschirmspiele abzuleiten. Diese sollen Interessierten als Beispiel dienen, grundle- gende Fragen zur Konzeption eines solchen Projekts zu beantworten und gleichzeitig die erforderlichen Voraussetzungen für Pädagogen in diesem Bereich benennen. Die Handlungsanweisungen stützten sich dabei auf theoretisches Wissen aus den oben genannten Wissenschaftsbereichen und verknüpfen diese mit einem Praxisbericht über die Einrichtung ComputerSpielSchule Leipzig, die bereits praktische Medienarbeit mit Computerspielen betreibt.

1.2 Gliederung und Vorgehensweise

Für die Bearbeitung der Bachelorarbeit „Handlungsanweisungen zur didaktischen Arbeit mit Computer- und Videospielen im Bereich der außerschulischen Jugendarbeit“ wurde ein theoretischer Rahmen gesetzt, dem ein praktischer Teil und die Verknüpfung beider Bereiche folgen. Im ersten Kapitel soll an das Thema dieser wissenschaftlichen Arbeit herangeführt und die Zielsetzung dargestellt werden.

Im zweiten Kapitel folgen Erläuterungen zu den Grundlagen außerschulischer Ju- gendarbeit und handlungsorientierter Medienpädagogik. Was zeichnet außerschulische Jugendarbeit aus, wie handlungsorientiert muss Medienpädagogik sein und welche Form der Pädagogik passt zur Zielsetzung eines medienpraktischen Projekts? Das dritte Kapitel beinhaltet grundlegendes Wissen über Computer- und Videospiele sowie deren Wirkungsweisen. Welche Spielangebote existieren, wie lassen sie sich beschreiben? Welche Wirkungen haben Spiele auf die Spieler und welche Chancen und Risiken ergeben sich daraus?

Im vierten Kapitel wird die medienpraktische Arbeit mit Computer- und Videospielen anhand des Projekts „ComputerSpielSchule Leipzig“ beschrieben. Diese exemplarische Veranschaulichung soll genutzt werden, um aufzuzeigen, wie sich theoretisches Wissen in der Praxis umsetzen lässt und wie die Erfahrungen nach mehrjähriger Durchführung eines solchen Projektes sind.

Das fünfte Kapitel dient der Verknüpfung der theoretischen Grundlagen der vorangegangenen Kapitel mit der Praxisbeschreibung aus Kapitel 4. Aus diesen Verknüpfungspunkten werden Handlungsanweisungen abgeleitet und begründet. Das sechste Kapitel bildet den inhaltlichen Abschluss dieser Bachelorarbeit. Es beinhaltet ein Fazit des Autors und einen Ausblick in die Zukunft.

2. Außerschulische Pädagogik

Erziehung und Bildung im pädagogischen Sinne finden in nahezu allen Lebensberei- chen statt. Das Schulsystem zielt auf ein gesellschaftlich gleiches Maß an Allgemein- bildung ab und soll die Heranwachsenden dazu befähigen, den weiteren Verlauf ihres Bildungswegs zu bestehen. Doch Schule allein vermag den komplexen Anforderungen, die ein Mensch während seiner frühen Entwicklung an seine Umwelt und sich selbst stellt, nicht gerecht zu werden. Ein Bewusstsein darüber, wie Familie, Peergroup und soziales Umfeld prägen können, ist für Pädagogen notwendig, um zusätzliche Angebo- te außerhalb der Schule zu schaffen.

So beschrieb der deutsche Erziehungswissenschaftler DIETER BAACKE bereits im Jahr 1976 die Polarität, die zwischen Schule und allen übrigen Sozialisationsbereichen bestehe. Seiner Meinung nach unterscheide sich das Schulwesen von allen übrigen Bereichen durch die Organisations- und Kontrollstrukturen, den verpflichtenden und nicht selbstbestimmten Charakter, sowie durch den pädagogischen Qualifikationsstand seiner Mitarbeiter.2 BAACKE benennt die übrigen Bereiche als „(…)Familie, Massenmedien, Jugendarbeit, Bereiche der Autonomiesuche der Jugend (Altersgruppen), betriebliche Ausbildung und Zwangserziehung“3.

Die Familie bestimme bis zum Eintritt in die Schule entscheidend die Erfahrungen und Handlungsmöglichkeiten, auch für die Zukunft des Heranwachsenden. Der Einfluss der Massenmedien entstehe durch ihre Allgegenwärtigkeit. Mit Jugendarbeit und Zwangs- erziehung habe nur ein geringer Teil von Jugendlichen zu tun, wohingegen die betrieb- liche Ausbildung, bzw. im heutigen Sinne Ausbildung allgemein, einen Großteil aller Jugendlichen betreffe. Der Bereich der Autonomiesuche meint die Jugendlichen im Kreise ihrer Subkultur und Altersgruppe. Zum Zeitpunkt der Publikation BAACKEs galt dieser Bereich als wenig gesichert und für pädagogischen Einfluss zunehmend unzu- gänglich.4

Heute jedoch haben pädagogische Angebote im Bereich der Jugendarbeit einen Stellenwert. Der § 11 Strafgesetzbuch VIII Jugendarbeit bestimmt auf gesetzlicher Ebene die Jugendarbeit.

Zu den Schwerpunkten der Jugendarbeit gehören: 1. außerschulische Jugendbildung mit allgemeiner, politischer, sozialer, gesundheitlicher, kultureller, naturkundlicher und technischer Bildung, 2. Jugendarbeit in Sport, Spiel und Geselligkeit, 3. arbeitswelt-, schul- und familienbezogene Jugendarbeit, 4.internationale Jugendarbeit, 5. Kinder- und Jugenderholung, 6.Jugendberatung.5

Diese Festlegung im Sozialgesetzbuch ist von hoher Bedeutung. Der Gesetzgeber erkennt an, dass jeder Jugendliche das Recht auf informelle und kulturelle Bildung in den genannten Bereichen hat. Aber auch abseits der systemischen Vorgaben wird bei der außerschulischen Arbeit mit Kindern und Jugendlichen klar, dass diese entscheidend zur Entwicklung der Heranwachsenden beitragen kann.

Die grundlegenden Annahmen hinter der von BAACKE beschriebenen Polarität treffen auch heute noch zu. Das Schulwesen hat durch neue Konzepte und Einflüsse an Er- fahrung und Leistungsvermögen gewonnen. Die Anforderungen, welche die Jugendli- chen an eine pädagogische Einrichtung stellen, haben sich entwickelt und erfordern von Akteuren und Pädagogen Kompetenzen in neuartigen Handlungsfeldern. Sie be- dingen auch eine Erweiterung des staatlich legitimierten Umfangs, in dem Pädagogik stattfinden kann. Die Allgegenwärtigkeit multimedialer Angebote erfordert von Pädago- gen eine Auseinandersetzung mit deren Techniken, Wirkungsweisen, Chancen und Risiken. Auch in Familie und Freizeit sollten die zu vermittelnden Kompetenzen im Umgang mit neuen Medien berücksichtigt werden. Aus diesem Grund liegt das Haupt- augenmerk dieser Bachelorarbeit im außerschulischen Bereich der Jugendarbeit, spe- ziell im Segment der angewandten Medienpädagogik in Freizeiteinrichtungen und Fa- milie.

2.1 Handlungsorientierte Medienpädagogik

Pädagogische Arbeit orientiert sich häufig an etablierten Lerntheorien, welche sich in ihrer Entwicklung immer mehr spezifizierten und gegenseitig ablösten. So galt der Einfluss von äußeren Reizen und die darauf folgende Reaktion, der Behaviorismus, lange als klassische Lerntheorie, an der sich die Mediendidaktik orientiert hat. Durch die Entwicklung weg von diesen behavioristischen Lerntheorien hin zu kognitionstheoretischen Modellen wurde es möglich, Inhalte und Wirkungsweisen neuer Medien losgelöst von deren Reizwirkung auf den Rezipienten zu betrachten.6

Dieser Aspekt der kognitiven Entwicklungspsychologie, wie von PIAGET oder BRU- NER beschrieben7, besagt, „(…)dass sich der Lernende aus eigener Initiative heraus mit der Umwelt auseinandersetzt, indem er vorhandene Schemata und Begriffe an neue Erfahrungen anpasst (…) oder neue Gegebenheiten in seine kognitive Strukturen integriert(…)“8.

Die Auseinandersetzung mit den vorhandenen Erfahrungen des Jugendlichen rückt in den Mittelpunkt, denn ausgehend davon ergeben sich Chancen, die individuellen Kom- petenzen im Umgang mit dem spezifischen Medium ausreichend zu fördern. Da jeder Lernende Wissen individuell wahr- und aufnimmt, ist es wichtig, sich von objektiven Musterbeispielen zu lösen und individuelle Lernfortschritte zu erkennen, selbst wenn diese nicht dem Standard entsprechen mögen.9

Erfahrungen mit neuen Medien sind heute bei den meisten Jugendlichen bereits vor- handen. Oft sind die neuen Medien Schnittstellen im sozialen Umgang, der Organisati- on innerhalb der Peergroup und Mittel zur Freizeitgestaltung. Der Umgang mit ihnen ist vom individuellen Erfahrungs- und Bedürfnisschatz des Rezipienten geprägt. Kenntnisse werden durch Schulangebote vermittelt, unterscheiden sich jedoch vom autodidaktischen Wissen, welches in Freizeit und Familie selbst erworben wurde. Die- ses pädagogische Problem gilt in den Lerntheorien des gemäßigten Konstruktivismus als Ausgangspunkt und wird als „träges Wissen“ bezeichnet10, „(…)das in Bildungsinsti- tutionen erworben wird, in anderen Kontexten aber schwer oder kaum anwendbar ist“11.

Um diesem Problem entgegenzuwirken, stellt man in der handlungsorientierten Medi- enpädagogik die Erfahrung mit dem Medium dem theoretischen Wissen darüber voran.

„Es wird davon ausgegangen, dass durch die aktive Aneignung eines Mediums die Wirkmechanismen von Medien am besten durchschaut werden können.“12 Denn handlungsorientierte Medienpädagogik ist Medienpraxis, deren Bemühung es ist, die Nutzer dahingehend zu befähigen, „(…)Medien produktiv zur Artikulation eigener kollektiver Interessen zu nutzen(…)“13. Den Mittelpunkt dieser Bemühungen bilden nicht die Medien selbst, sondern die Individuen und ihr gesellschaftlicher Kontext, in dem die Medien eine Rolle spielen.14 Diese Position trägt zur Entscheidung bei, hand- lungsorientierte Medienangebote vor allem außerhalb des Schulsystems zur Anwen- dung zu bringen, insbesondere um den gesellschaftlichen Kontext der Nutzer als Aus- gangspunkt berücksichtigen zu können. Handlungsorientierte Medienpädagogik kann als integral gekennzeichnet werden, denn sie versucht, die Beziehung zwischen Nutzer, Medien und Gesellschaft den Prämissen einer demokratischen Mediengesellschaft anzupassen, sodass Inhalte und Zielstellungen von allen Menschen bestimmt werden. „Die Zielsetzung Medienkompetenz ist allgemein gültig“15, denn in einer beinah totalen Mediengesellschaft wird die mediale Kommunikation zur primären Art der Verständi- gung in der Gesellschaft. Die handlungsorientierte Medienpädagogik ist im Stande, auf biografisch bedingte individuelle Unterschiede als auch auf Alter, Geschlecht und Lebenswelt des Adressaten berücksichtigend einzugehen16, denn „alle medienpädagogischen Bemühungen müssen diesen angemessen sein“17.

2.2 Lernprozesse in der Medienarbeit

In allen aktiven Verwendungsweisen von Medien ist der Prozess der Herstellung eines Medienproduktes entscheidend. Nur so erfolgt eine Auseinandersetzung mit dem Ge- genstandsbereich. Ob im gesellschaftlich-sozialen oder persönlichen Umfeld, spielt dabei keine Rolle. Lernprozesse finden statt und implizieren unterschiedliche Möglich- keiten, welche mit den Zielsetzungen einer handlungsorientierten Medienpädagogik konform gehen.18

Der Medienpädagoge BERND SCHORB beschreibt diese Lernprozesse. Nach SCHORB könne inhaltliches Wissen vertieft oder neu erworben, eigene Erfahrungen reflektiert und erweitert werden. Der Adressat könne Einsichten in Bereiche sozialer Realität, eigener Lebensbedingungen oder Verhaltensweisen bekommen und die eigenen Fähigkeiten, sich mit unterschiedlichen Positionen und Meinungen auseinanderzusetzen, entwickeln. Bei der Herstellung medialer Produkte können Erfahrungen gemacht und auf inhaltlicher, technischer, kreativer oder gestalterischer Ebene neu entdeckt oder gestärkt werden. Gemeinsames solidarisches Arbeiten und eine Differenzierung eigener Handlungsorientierungen seien anregbar.19

In solchen Lernprozessen liegt die Chance, die Entwicklung von Selbstwertgefühl und das Selbstbewusstsein Jugendlicher zu unterstützen, ihre Sensibilität gegen- über anderen und sozialen Verhältnissen zu erhöhen, also zu ihrer Emanzipation beizutragen.20

Neue Medien bieten zumeist die Option der aktiven Mediengestaltung. Inhalte aus Internet, Computer- und Videospielen und audio-visuellen Medien lassen sich mit einfachen Mitteln technisch, inhaltlich oder gestalterisch erfahrbar, nutzbar und reproduzierbar machen. Dieses Nutzbarkeits-Potenzial kann mit Hilfe reflexiv-praktischer Medienarbeit aktiviert und an die Adressaten transportiert werden.

Da der Erwerb oder die Aktivierung und Stärkung der Medienkompetenzen des Adressaten immer als Ziel des Lernprozesses steht, begünstigen Medien gestaltende Prozesse deren Bewertungskriterien, die den drei von SCHORB klassifizierten Bereichen Medienwissen, Medienbewerten und Medienhandeln entsprechen.21

Mit der kritischen Reflexion aller Medieninhalte wird die handlungsorientierte Medienpädagogik in ihrer aktiven Ausführung zu reflexiv-praktischer Medienarbeit.

2.3 Voraussetzungen reflexiv-praktischer Medienarbeit

Um den Erfolg der angestrebten Lernprozesse zu unterstützen, bedarf es einiger pä- dagogischer Prinzipien und Voraussetzungen. So ist Grundbedingung, dass dem Ad- ressaten von Grund auf eine gesellschaftliche Handlungs- und Gestaltungskompetenz zugestanden wird. Die Berücksichtigung aller individuell-spezifischen Problemlagen, Formen der Lebensbewältigung und alltagspraktischen Handlungen schließt sich dem an. Die Summe der Interessen, Problemlagen und Erfahrungen bestimmen grundle- gend das Thema und die Art der reflexiv-praktischen Medienarbeit mit dem Adressa- ten.22

Der Pädagoge fungiert im Prozess der Herstellung eines medialen Produktes als Un- terstützer oder Ratgeber, denn er setzt die Selbstständigkeit und Eigenverantwortung des Adressaten voraus. Dieser sollte den Prozess weitgehend selbst in der Hand ha- ben. Des Weiteren sollte reflexiv-praktische Medienarbeit nicht auf die Vermittlung von technischen oder gestalterischen Kompetenzen beschränkt sein. Wichtiger ist die Schärfung des Bewusstseins beim Adressaten, dass Medien Mittel und Mittler von Kommunikation sind.23

„Die inhaltliche Auseinandersetzung mit einem Themenbereich (…) und die dabei (…) in Gang gesetzten Lern- und Erfahrungsprozesse sind wesentlicher als ein technisch perfekt umgesetztes und gestaltetes Produkt.“24

Unter Berücksichtigung solcher Voraussetzungen kann reflexiv-praktische Medienar- beit einen Beitrag zur gesellschaftlichen Partizipation und Entwicklung des Nutzers leisten.25

Damit wird diese Form der handlungsorientierten Medienpädagogik auch den soziokulturellen Anforderungen außerschulischer Jugendarbeit gerecht. Bereits 1976 benannte DIETER BAACKE Aufgaben und Ziele der Jugendarbeit als Freiwilligkeit der Teilnahme, Bedürfnisorientierung und erfahrungsbezogenes Lernen mit Offenheit zur Aktion.26 So bewahrheiten sich Aspekte der kognitionstheoretischen Lerntheorien, die nicht das Medium, sondern dessen Nutzer und seinen individuellen Erfahrungsraum als Mittelpunkt der pädagogischen Arbeit bestimmen. Unabhängig vom Medium gilt es, diese Grundsätze zu berücksichtigen und auf ihnen aufzubauen.

3. Computer- und Videospiele

Computer- und Videospiele gelten als neue Medien. Die Kategorie der neuen Medien meint heute nicht mehr die Gesamtheit aller Medien, die sich im zeitlichen Kontext durch ihre neuartigen Techniken realisiert von den althergebrachten und handwerklich gestalteten Medien unterscheiden. Der Begriff bezieht sich heute fast ausschließlich auf digitale Angebote, speziell im Internet, auf Computer, Konsole und digitale Daten- träger.

In dieser Bachelorarbeit werden die Computer- und Videospiele zum Untersuchungsgegenstand hinsichtlich ihrer spezifischen Eigenschaften, ihrer Klassifikation und den Wirkungsweisen, die sie auf die Rezipienten haben.

Die stetig wachsende Verbreitung von Computer- und Videospielen geht mit der fort- schreitenden Entwicklung von Soft- und Hardwaretechnik einher. Die Spiele sind längst keine Nischenprodukte mehr, die nur von einer speziellen Gruppe genutzt werden. Die Angebote der Spiele-Industrie sind reichhaltig, es werden, mit steigender Tendenz, Mil- lionenumsätze gemacht. So wurden in Deutschland im Jahr 2010 für Spiele in den Be- reichen Computer, Konsole und mobile Geräte 1.590 Millionen Euro Umsatz verzeich- net, die Anzahl der verkauften Spiele lag bei 71 Millionen Einheiten.27 Des Weiteren existiert ein Unterschied in der Nutzung der verschiedenen Plattformen, bei dem die Spielekonsolen, also Geräte, die spezifisch für die Nutzung von Spielen konstruiert sind, weit vorne liegen.28

Dies soll verdeutlichen, wie präsent die Angebote sind und dass davon auszugehen ist, dass immer mehr potenzielle Spieler diese Angebote nutzen werden. Bei Betrachtung dieser Zahlen kann man von einem Großteil an Rezipienten ausgehen, die sich nicht auf ein Spiel oder ein Spielesystem beschränken. Es lässt sich aber auch beobachten, dass sogenannte Familienkonsolen die Verkaufsränge anführen29, was vermuten lässt, dass nicht nur stark spielaffine Kunden für den Verkaufserfolg jener Systeme verant- wortlich sind.

Um einen Überblick über das Feld der Computer- und Videospiele zu bekommen, folgen in den nächsten Kapiteln Erklärungen zur Klassifikation der Spielmedien.

3.1 Plattformen und Systeme

Grundsätzlich lassen sich die technischen Systeme, die zur Darstellung von Computer- und Videospielen existieren, in verschiedene Kategorien klassifizieren. Daraus ergibt sich allerdings keine zwangsläufige Differenz in der Wirkungsweise des speziellen Spiels, da die Entwicklung meist für mehrere Spielesysteme erfolgt, der Inhalt des Spiels dabei aber in der Regel unverändert bleibt.

Die Kategorie der Spielekonsolen lässt sich abermals in zwei Unterkategorien aufgliedern. Neben stationären Spielekonsolen existieren kleinere Konsolen mit integrierten Displays, die für den mobilen Gebrauch konzipiert sind. Zur ersten Gruppen zählen die Konsolen Sony Playstation 3, Microsoft Xbox 360 sowie Nintendo Wii. Mobile Konsolen sind Nintendo DS und Sony Playstation Portable.

Darüber hinaus existiert eine Vielzahl von älteren Varianten dieser Systeme, sowie einige, nicht etablierte Alternativ-Systeme, die innerhalb der Spieleindustrie aber ohne Relevanz sind.

Die Bedienung erfolgt bei den stationären Systemen über Controller, das Bild wird über ein TV-Gerät oder einen externen Monitor angezeigt. Der Spieler steuert mit Hilfe der vorgegebenen Tasten das Spielgeschehen. In den mobilen Konsolen sind Display und Steuertasten bereits integriert.

In der Kategorie der Computerspiele, d.h. Spiele, die für den Gebrauch auf PC- oder Macintosh-Systemen entwickelt wurden, kann man nochmals zwischen Spielen unter- scheiden, die offline oder online über das Internet gespielt werden. Zu den Onlinespie- len zählen neben Spielen, die ausschließlich für die Nutzung über das Internet gedacht sind, auch Spiele, die dem Nutzer die Möglichkeit eines Online-Spielmodus anbieten. Die Spiele werden auch hier über Eingabegeräte wie Tastatur und Maus, Kontroller oder Joysticks gesteuert. Bei Onlinespielen wird die Steuerung über festgelegte Tasten durch sprachliche Interaktionsmöglichkeiten mit anderen Spielern erweitert. So werden nicht nur Spielfiguren bewegt, sondern auch Texte und Befehle über das Spiel mit an- deren Spielteilnehmern kommuniziert. Der Computer wird in diesem Fall zu einem mul- timedialen Interface, mit dessen Hilfe der Spieler in der Spielwelt interagiert.

Diese beiden technischen Spielsystemprinzipien unterscheiden sich im Angebot der Spiele nur gering. Auch Konsolenhersteller nutzen das Internet für eine Vernetzung der Spieler untereinander. Kostenpflichtige Zusatzangebote und Zubehör in Hard- und Software existieren für fast alle dieser Systeme.

3.2 Genre-Klassifikation

Um einen Überblick über das vielfältige Angebot der Computer- und Videospiele zu bekommen, ist eine Klassifizierung in inhaltliche Genre-Kategorien sinnvoll. Da die Zuordnung eines Spiels in ein vordefiniertes Genre abhängig von der subjektiven Ein-schätzung des Betrachters ist, existieren bisher keine offiziellen Klassifizierungen. Al- lerdings kann man eine Einteilung in etablierte Genreklassen beobachten, welche in- ternational ähnlich benannt und beschrieben werden. Die folgenden Klassifizierungen orientieren sich an der Genre-Einteilung der Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle (USK), welche als eine von der Industrie selbst eingesetzte Kontrollinstanz die Interes- sen von Entwicklern und Nutzern in Aspekten des Jugendmedienschutzes und der Wirkungsweise der Spiele vertritt.30

Im Genre der klassischen Adventure stehen Komplexität und Spielspaß in opulenten und detailreich gestalteten Welten im Vordergrund. Obwohl das Spielprinzip in der Re- gel gewaltlos ist, sind jüngere Kinder nicht die Hauptzielgruppe der Spielehersteller. Rätsel und logisches Denken sind oft tragende Elemente der Spielgeschichte, welche nur durch das Lösen von Puzzeln, das Weiterverwenden von Informationen und das Interagieren über Multiple-Choice-Dialoge bis zum Ende erlebt werden kann. Bekannte Vertreter des Genres sind „Day of the Tentacle“, die „Monkey-Island“-Reihe, „The Lon- gest Journey“ oder „Sam & Max“.

Bei Spielen des Genres Action-Adventure steht eine actionorientierte Steuerung der Spielfiguren im Mittelpunkt. Die Inhalte beschreiben meist fantastische Abenteuergeschichten, welche den Spieler durch Dschungel, Katakomben und alte Tempel führen. Nicht selten muss die Figur sich durch den Einsatz von Gewalt zur Wehr setzen, um im weiteren Spielverlauf bestehen zu können. Die Rätsel- und Logikelemente werden hier meist in den Kontext der Spielgeschichte eingearbeitet. Der Action-Anteil dieser Spiele führt oft zu Altersbeschränkungen, die allerdings abhängig vom jeweiligen Spielkontext, dem Realismusgehalt und Handlungsdruck des spezifischen Spiels erteilt werden. Bekannte Vertreter sind „Tomb Raider“, „Metal Gear Solid“, Spiele der „Zelda“-Reihe, „Assassin’s Creed“ oder Spiele der Reihe „Resident Evil“.

Das Genre der Shooter lässt sich in Untergenre einteilen. Diese Einteilung ist zur Be- wertung der Inhalte und Vergabe einer Altersbeschränkung hilfreich. Neben Ego- Shootern und 3rd-Person-Shootern existieren noch Taktik-Shooter und Online-Shooter. Charakteristisch für alle Arten ist, dass der Spieler einer im Spielkontext festgelegten Bedrohung gegenübersteht, die es mit Hilfe von Waffengewalt zu besiegen gilt. Geg- nerfiguren können fiktive Fantasiegestalten, aber auch realistische menschliche Alter Ego sein, die vom Computer oder anderen Spielern gesteuert werden. Taktik-Shooter erweitern das zu Grunde liegende Spielprinzip um militärisches Strategiedenken.

[...]


1 Vgl. Abbildung 1, S. 34.

2 Vgl. Baacke, Dieter: Einführung in die außerschulische Pädagogik, S. 13.

3 Ebda. S. 14.

4 Vgl. ebda. S. 14.

5 Sozialgesetzbuch (SGB) VIII § 11 Absatz 3: Kinder- und Jugendhilfe.

6 Vgl. Witt, Claudia de: Lehren und Lernen mit neuen Medien/E-Learning, S. 441.

7 Vgl. ebda. S. 441.

8 Ebda. S. 441.

9 Vgl. Witt, Claudia de: Lehren und Lernen mit neuen Medien/E-Learning, S. 441.

10 Vgl. ebda. S. 441.

11 Ebda. S. 441.

12 Röll, Franz Josef: Außerschulische Jugendmedienarbeit, S. 512.

13 Schorb, Bernd: Handlungsorientierte Medienpädagogik, S. 77.

14 Vgl. ebda. S. 77.

15 Ebda. S. 78.

16 Vgl. Schorb, Bernd: Handlungsorientierte Medienpädagogik, S. 78.

17 Ebda. S. 78.

18 Vgl. ebda. S. 83.

19 Vgl. ebda. S. 83.

20 Ebda. S. 83.

21 Vgl. ebda. S. 79.

22 Vgl. Schorb, Bernd: Handlungsorientierte Medienpädagogik, S. 83.

23 Vgl. ebda. S. 84.

24 Ebda. S. 84.

25 Vgl. ebda. S. 84.

26 Vgl. Baacke, Dieter: Einführung in die ausserschulische Pädagogik, S. 125-126.

27 Vgl. Abbildung 1, S. 34.

28 Vgl. Abbildung 2, S. 35.

29 Vgl. Abbildung 3, S. 36.

30 Vgl. USK: Die Genres der USK, Online.

Ende der Leseprobe aus 46 Seiten

Details

Titel
Das Konzept Computerspielschule: Anforderungen an die medienpädagogische Arbeit mit Gamern, Eltern und Lehrern
Hochschule
Hochschule Merseburg
Veranstaltung
Kultur- und Medienpädagogik
Note
1,6
Autor
Jahr
2011
Seiten
46
Katalognummer
V201231
ISBN (eBook)
9783656308577
ISBN (Buch)
9783656309185
Dateigröße
3151 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Medienpädagogik, Computerspiele, Jugendarbeit, außerschulisch, Sucht, Prävention, Eltern
Arbeit zitieren
Gabriel Richter (Autor:in), 2011, Das Konzept Computerspielschule: Anforderungen an die medienpädagogische Arbeit mit Gamern, Eltern und Lehrern, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/201231

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