Wie lässt sich der Kosovo-Konflikt aus Sicht des Konstruktivismus erklären?


Seminararbeit, 2003

15 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

I. Einleitung

II. Hauptteil
II.1 Konstruktivismus
II.2 Deutung

III. Zusammenfassung

IV. Literaturverzeichnis

I. Einleitung

In der Geschichte der Politikwissenschaften haben sich viele kluge Leute Gedanken darüber gemacht, warum bestimmte Dinge geschehen, welche Folgen sie haben, wie sie sich erklären oder vielleicht sogar voraussagen lassen. Im Bereich der Internationalen Beziehungen verhält es sich nicht viel anders als in den anderen Wissenschaftsfeldern der Politik. Jedoch ist der Zusammenhang zwischen Phänomenen hier oft sehr viel komplexer als dort und oft gehen Voraussagen trotz fundierter Argumente in die falsche Richtung.

Eine der Hauptfragen des Bereichs der Internationalen Beziehungen ist die von Krieg und Frieden. Wie entstehen Kriege, wie lassen sie sich erklären und verhindern, wer zieht möglicherweise einen Nutzen aus ihnen, wie lässt sich Frieden sichern? Um diese und andere Fragen zu klären, wurden im Laufe der letzten Jahrzehnte mehrere Theorien entwickelt, die den vielschichtigen Gegenstand Internationale Beziehungen erklären sollen.

Einige gehen dabei, wie zum Beispiel der Klassische Realismus, von einem rational agierenden Akteur, nämlich dem souveränen Nationalstaat aus, der aufgrund der behaupteten Haupteigenschaft des Wesens des Menschen, dem Streben nach Macht, handelt und stets darauf bedacht ist, seine Macht zu erweitern. Andere Ansätze wiederum, hier sei der Neorealismus genannt, beziehen sich ganz auf die Struktur des internationalen Systems und die Anarchie, die diese kennzeichnet, um schließlich zu folgern, dass das internationale System ein Selbsthilfesystem ist, indem die Staaten ihr Überleben selbst in die Hand nehmen müssen und sich nicht auf Hilfe durch andere Staaten verlassen können, da jeder ein potentieller Feind ist, der ihn zu vernichten droht.

Auch andere Theorien wurden im Laufe der Zeit entwickelt, manche konnten sich behaupten, da sie gut fundiert sind und sich in der Realität mit einigem Erfolg bewährt haben, andere sind genau so schnell von der Bildfläche verschwunden, wie sie dort auftauchten.

Nun hat die Geschichte mit dem relativ unspektakulären, weil friedlichem, Ende des Ost-West-Konflikts einen Verlauf genommen, den die vorherrschenden Theorien der Internationalen Beziehungen so nicht unbedingt vorausgesagt haben. Das nukleare Wettrüsten und die ideologischen Gegensätze des Sozialismus auf der einen sowie des Kapitalismus auf der anderen Seite haben nicht zu einer kriegerischen Auseinandersetzung geführt, in der ein Staat den anderen erobert, sondern der Konflikt wurde durch innere Veränderungen in einem Staat beendet, hervorgerufen durch "neues Denken", wie es in der Literatur häufig etwas vage, aber doch recht anschaulich heißt.

Verbunden wird dieses "neue Denken" häufig mit dem Namen eines einzigen Mannes, nämlich Michail Gorbatschow, der durch seine Politik von Perestrojka und Glasnost einen Transformationsprozess innerhalb der Sowjetunion auslöste.

Diesem unerwarteten Ende des Ost-West-Konflikts verdankt eine neue Denkrichtung innerhalb der Internationalen Beziehungen ihre Popularität. Der Konstruktivismus, von dem hier die Rede ist, geht davon aus, dass es nicht eine starre Struktur im internationalen System oder für immer und scheinbar von außen festgelegte Interessen von Staaten gibt, die die politische Welt ausmachen. Vielmehr legt er Wert darauf, dass wir in einer Welt leben, die von uns selbst sozial konstruiert wurde. In dieser Welt spielen Identitäten, Ideen, Normen, Werte und Rollenverständnis eine wichtige Rolle, denn an ihnen richtet sich das Verhalten der Akteure aus. Das Menschenbild ist folgerichtig im Konstruktivismus also nicht der kühl Kosten und Nutzen abwägende homo oeconomicus, sondern der homo sociologicus, der sein Handeln an sittlichen Normen und Werten ausrichtet. Eine genauere und ausführlichere Erklärung, was der Konstruktivismus aussagt, welche Prämissen er vertritt, etc. werde ich im Hauptteil ausführen.

In der vorliegenden Hausarbeit möchte ich mich dann auch mit dem Konstruktivismus beschäftigen und der Frage nachgehen, wie der Konstruktivismus einen speziellen Fall, nämlich den Kosovo-Konflikt, erklären kann. Dieser Konflikt hat einen lange historische Vorgeschichte, die zu erläutern den Rahmen dieser Hausarbeit bei weitem sprengen würde. Ich werde die Funktionsweise des Konstruktivismus näher darstellen und auf seine Entwicklung innerhalb des Bereichs der internationalen Beziehungen eingehen. Im zweiten Teil des Hauptteils werde ich versuchen, eine Erklärung des Konflikts mit den Annahmen des Konstruktivismus herauszuarbeiten. Dazu werde ich die drei wichtigsten Akteure - UçK, NATO und serbische Führung - analysieren und versuchen aufzuzeigen, wie sich ihre Handlungen mit dem Konstruktivismus vereinbaren lassen.

II. Hauptteil

II.1 Konstruktivismus

Der Konstruktivismus erhebt nicht den Anspruch, bereits eine fertig ausgearbeitete Theorie der Internationalen Beziehungen zu sein, da er keine bestimmten Phänomene der Internationalen Beziehungen erklärt, man könnte ihn also als Metatheorie bezeichnen. Vielmehr kann er als ein neuer Denkansatz betrachtet werden, der aus Reflexion über die Sozialwissenschaften entstanden ist1, und sich gerade durch die Herangehensweise an Problemstellungen auszeichnet. "Constructivism is not itself a theory of international relations, the way balance-of-power theory is, for example (...). Moreover, constructivism does not aspire to the hypothetic-deductive mode of theory construction."2

Er nimmt an, dass die Welt nicht materiell gegeben, sondern kollektiv sozial konstruiert wird. Ebenso verhält es sich mit Institutionen und unserem Wissen, die ebenfalls konstruiert sind, Begriffe wie "Staat" oder "international" haben keine Bedeutung ohne die Ideen, die unsere Welt konstruieren. Der englischsprachige Begriff "Social Constructivism" ist in dieser Hinsicht noch etwas treffender.

Damit steht er im Gegensatz zum Rationalismus, der beispielsweise die Anarchie im internationalen System als von außen gegeben ansieht. Der Konstruktivismus bestreitet seinerseits diese Verdinglichung, also "die Auffassung von menschliche Produkten, als wären sie etwas anderes als menschliche Produkte: Naturgegebenheiten, Folgen kosmischer Gesetze oder Offenbarungen eines göttlichen Willens."3, und sieht die soziale Welt einzig und allein als Produkt sozial konstruierter, und damit reversibler Ideen. Durchaus akzeptiert er zwar, dass es eine materielle Welt gibt, mit materiellen Fakten, um die wir nicht umhin kommen, jedoch ist diese bei weitem nicht so ausgedehnt, wie man gemeinhin annimmt. Die Natur sagt eben nicht voraus, welche Beweggründe Menschen zu bestimmten Handlungen leiten und ob sie von Grund auf gut oder böse sind. All dies sind variable Eigenschaften.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Auch für das Verstehen der materiellen Welt sind Interpretationen und Deutung notwendig. Anarchie und Sicherheitsdilemma im internationalen System sind also nicht unausweichlich, würden Staaten andere Staaten nicht als Bedrohung empfinden, müsste es nicht zum Rüstungswettlauf kommen. All diese äußeren Zwänge sind von Menschen gemacht und damit prinzipiell auch veränderbar.

"Anarchy is what states make of it"4 .

Ein gutes Beispiel ist hier der Ost-West-Konflikt, den man praktisch schon als zweite Natur hingenommen hat, ohne darauf aufmerksam zu werden, dass die Feindschaft zwischen den USA und der Sowjetunion auf sozialen Konstrukten und Ideen beruhte. Sein Ende fand er denn auch nicht durch Veränderung harter materieller Fakten, wie zum Beispiel der militärischen Stärke einer Seite, sondern durch "neues Denken".

Ein weiterer Grund für die Popularität des Konstruktivismus sind die Unzulänglichkeiten anderer Theorien, wenn es darum geht, ethnonationalistische Konflikte zu erklären, in denen der Faktor Macht keine übergeordnet wichtige Position einnimmt.

Der Konstruktivismus übt Kritik am reinen Struktur- bzw. Akteursansatz des Neorealismus, da nicht eindeutig festgelegt werden kann, wer wen konstituiert, der Akteur die Struktur oder umgekehrt. Wendt beschreibt diese Problem treffend mit dem Ausdruck Supervenienz, was ein "nicht reduzierbares Abhängigkeitsverhältnis"5 meint, also ein konstituives Verhältnis an Stelle einer kausalen Abhängigkeit. Das Menschenbild im Konstruktivismus bildet der homo sociologicus, also der Gegenpart zum rationalistischen Menschenbild des homo oeconomicus, der sein Handeln an der Abwägung von Kosten und Nutzen ausrichtet. Der homo sociologicus fragt bei seiner Entscheidungsfindung hingegen nicht nach dem Gewinn, sondern nach dem Sinn der Dinge sowie nach sozialen Normen und Werten.

Die Interessen eines Staates sind nicht, wie im Realismus oder im Neorealismus von vornherein gegeben, sondern werden sozial konstruiert. Der Konstruktivismus leugnet nicht, dass strategisches, von Interessen geleitetes Handeln einen großen Bestandteil der

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

internationalen Politik ausmacht, aber diese Interessen sind nicht von außen und ein für alle

mal festgelegt. Ein Staat definiert demnach seine Interessen durch das Rollenverständnis, das er einerseits von sich selbst hat, andererseits aber auch durch sein Bild, das andere Staaten von ihm haben. Die Identität eines Staates ist also das Ergebnis eines stetigen Agierens mit seiner Umwelt und der Interpretation von Signalen, die andere Staaten an ihn senden.

Dieser Diskurs bestimmt denn auch, wer Freund und wer Feind ist, auch diese Unterscheidung ist eine soziale Konstruktion und nicht eine immanente Eigenschaft der Struktur des internationalen Systems. Wenn wir jedoch sagen, die Welt der internationalen Politik sei sozial konstruiert und dass die Ideen auf denen die Konstrukte beruhen, prinzipiell auch veränderbar sind, so dürfen wir jedoch nicht den Fehler machen anzunehmen, die Welt könnte jederzeit spontan anders konstruiert werden. Wie wohl jeder aus eigener Erfahrung weiß, können auch soziale Fakten ebenso hartnäckig sein wie materielle. Im Grunde genommen hält nichts einen Mann davon ab, rosa Jeans zu tragen, dass niemand es tut, zeigt, dass soziale Tatsachen nicht zu vernachlässigen sind.

Gert Krell bezeichnet den Konstruktivismus als einen neuen "Idealismus", da Ideen und Identitäten eine wichtige Rolle in den internationalen Beziehungen spielen. Dabei darf man jedoch Idealismus nicht im Sinne der klassischen Theorie verstehen. Der Konstruktivismus beschreibt eben auch, wie der Realismus, also die Gegentheorie zum Idealismus, die Politik so wie sie ist und nicht wie sie sein sollte. Auch ist der Konstruktivismus nicht von vornherein optimistischer als der Realismus. Es gibt gute und schlechte Ideen und wie bereits erwähnt sind Sicherheitsdilemma und Rüstungswettlauf ebenso möglich wie Kooperation und Freundschaft.

[...]


1 Krell 2000: "Weltbilder und Weltordnung. Einführung in die Theorie der internationalen Beziehungen." S. 240

2 Ruggie 1998: "What makes the world hang together? Neo-utalitarianism and the Social Constructivist Challenge" S. 34

3 Berger/Luckmann 1980: "Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit." S. 94 f.

4 Wendt 1994: "Der Internationalstaat: Identität und Strukturwandel in der internationalen Politik"

S. 383

5 Wendt 1992: "Anarchy is what states make of it: the social construction of power politics" S. 395

Ende der Leseprobe aus 15 Seiten

Details

Titel
Wie lässt sich der Kosovo-Konflikt aus Sicht des Konstruktivismus erklären?
Hochschule
Johannes Gutenberg-Universität Mainz  (Institut für Politikwissenschaft)
Veranstaltung
Grundseminar Internationale Beziehungen
Note
1,7
Autor
Jahr
2003
Seiten
15
Katalognummer
V20098
ISBN (eBook)
9783638240796
Dateigröße
474 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Kosovo-Konflikt, Sicht, Konstruktivismus, Grundseminar, Internationale, Beziehungen
Arbeit zitieren
Pascal Zimmer (Autor:in), 2003, Wie lässt sich der Kosovo-Konflikt aus Sicht des Konstruktivismus erklären?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/20098

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