Christoph Martin Wieland und der deutsche Patriotismus

Zwischen Nationalismus und kosmopolitischen Geist


Hausarbeit, 2011

13 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Wielands Verhältnis zum Patriotismus
2.1 Das Verhältnis Wielands zum Patriotismus vor der französischen
2.2 „Ueber teutschen Patriotismus. Betrachtungen, Fragen und Zweifel“ (1793)

3. Fazit

4. Literaturverzeichnis
4.1 Quellen
4.2 Literatur

1. Einleitung

„Wir wollen, […], Bürger unserer Zeit seyn und bleiben, weil es nicht anders seyn kann; sonst aber und dem Geiste nach ist es das Vorrecht und die Pflicht des Philosophen wie des Dichters, zu keinem Volk und zu keiner Zeit zu gehören, sondern im eigentlichen Sinne des Worts der Zeitgenoße aller Zeiten zu seyn.“1

Mit diesen Worten Friedrich Schillers an Friedrich Heinrich Jacobi hätte auch Christoph Martin Wieland (1733-1813) argumentieren können. Ein umstrittener und vielleicht in der heutigen Zeit unterschätzter Autor, dessen Werke die jugendlichen Schwärmer des Göttinger Hainbundes feierlich verbrannten, der von Napoleon einen Orden nach einem persönlichen Gespräch erhielt und der sein Leben als Hauslehrer, Kanzleiverwalter, Philosophieprofessor, Prinzenerzieher, Zeitschriftenherausgeber, Landwirt und Dichter bestritt.2 Er gilt als der erste deutsche Nationalautor und verkörpert mit seinen Bemühungen um die Zeitschrift Teutscher Merkur und anderen Schriften in der Forschung einen Weltbürger, der das eigene im Fremden zu erkennen vermochte und es in seiner Nationalliteratur beheimatete.3 Wieland entwarf in seinen Schriften ein völlig anderes Bild als das der vorherrschenden nationalen Schwärmereien und fand eine patriotische Verehrung des eigenen Staates unabhängig von Oberhaupt und gesellschaftlicher Ordnung.

Exemplarisch für die Auseinandersetzung und Beurteilung mit dem deutschen Nationalstolz ist die Schrift „Ueber teutschen Patriotismus. Betrachtungen, Fragen und Zweifel“ aus dem Jahr 1793. Sie soll im Zentrum dieser Arbeit stehen und mit den voranstehenden Artikeln Wielands und mit zwei seiner Mitarbeiter, Johann Georg Jacobi und Joachim Christian Friedrich Schulz, beim Teutschen Merkur verknüpft werden.

Immer noch entscheidend für die Interpretation von Wielands nationalen Schriften und auf große Zustimmung stoßend, gilt nach wie vor die Monographie Sahmlands4, da sie sich umfassend mit der Thematik der patriotischen Denkweise des Dichters auseinandersetzt, während hingegen andere Autoren, wie Bäppler5 und Fertig6 sich vielmehr mit den philosophischen und erzieherischen Wieland beschäftigen oder, wie Jan-Dirk Müller7 und Jürgen Jacobs8 Monographien zu seinen Werken herausbrachten. Diese Arbeit stützt sich daher, neben den Quellen, größtenteils auf die Forschung von Irmtraud Sahmland. Berücksichtig aber gleichsam auch spätere Literatur, die in Sammelbänden erschien ist.

2. Wielands Verhältnis zum Patriotismus

2.1 Das Verhältnis Wielands zum Patriotismus vor der französischen Revolution

Christoph Martin Wielands Verhältnis zum deutschen Patriotismus sei niemals beständig, sondern stets veränderlich gewesen.9 Tatsächlich ist „das Wortfeld Patriotismus, Vaterland etc. […] beim frühen Wieland sehr undifferenziert und in wenig spezifischer Bedeutung“10 zu finden, denn das patriotische Verhalten in den 50er und 60er Jahren des 18. Jahrhunderts sei vielmehr ein Teil der allgemein aufklärerischen Tätigkeit gewesen.11 Generell könne der Patriotismus jener Zeit eher als semi-politisch betrachtet werden und bekommt bei den Aufklärern, im Vergleich zu ihren anderen Zielen, eine eher sekundäre Bedeutung zugeschrieben.12 Semi-Politisch deshalb, weil es auch Forderungen nach Toleranz und Wahrheit, vernünftigeren Denken und Handeln, sowie die Förderung des Guten im Menschen als geistesgeschichtliche Erwartungen gegeben habe. Die Wissenschaft, Religion und Ethik befreiten sich von der Vormundschaft der Theologie. Das Denken wurde weltlicher und fragte nach den Bedingungen des Lebens. Das Glück der Menschen im Diesseits war zum Gegenstand der aufklärerischen Denkweise geworden und verband sich dann, in zweiter Linie, auch mit dem staatlichen Handeln.13

In der Frühaufklärung waren Begriffe wie Patriotismus und Vaterlandsliebe in weiten Teilen des Heiligen Römischen Reiches noch völlig fremd, da „[…] das Bewusstsein der breiten Bevölkerung allenfalls ein lokales bzw. regionales Zusammengehörigkeitsgefühl […]“14 kannte. Die später vielfach übersteigerte Nennung des Begriffes „deutsch“, findet sich zur Mitte des 18. Jahrhunderts entweder gar nicht oder in negativer Besetzung, wie es Wieland auf seine Kindheit zurückblickend wiedergibt:

In meiner Kindheit wurde mir zwar vieles von Pflichten gegen Gott, den Nächsten und mich selbst, von Pflichten gegen Eltern und Lehrer, auch wohl beyläufig ein Wort von Pflichten gegen die Obrigkeit, […] vorgesagt: aber von der Pflicht, ein teutscher Patriot zu seyn, war so wenig die Rede, daß ich mich nicht entsinnen kann, das Wort Teutsch oder Deutsch (Teutschheit war damals noch ein völlig unbekanntes Wort) jemals ehrenhalber nennen gehört zu haben, wohl aber mich noch ganz lebhaft erinnere, daß in meinen Schuljahren das Prädikat teutscher Michel eines von denen war, womit belegt zu werden einem jungen Allemannier nur um ein Grad weniger schimpflich war, als den Schul-Esel zu tragen.15

Wenn auch die Debatte um den Nationalstolz in den 60er Jahren allmählich ihren Lauf nahm16, hielt sich Wieland in dieser ersten Phase aus dieser Diskussion heraus, bzw. er „[…] steht zu dieser Zeit der deutschen Problematik nicht nur indifferent gegenüber, sondern er erkennt sie nicht einmal […]“17. Dichtung müsse für Wieland einem höheren Zweck dienen, und dürfe nicht für eingeschränkte nationale Bezüge missbraucht werden, denn dann würde das Werk eines Dichters zur bloßen Übergangserscheinung degradiert werden.18 Diese Haltung soll sich im Laufe der 70er und 80er Jahre ändern, da im Teutschen Merkur auch über aktuelle Strömungen in der Literatur berichtet werden musste, um die Erwartungshaltung der Leserschaft zu erfüllen. Eine gegenwärtige Tendenz war in dieser Zeit das Aufkommen des sogenannten Bardenwesens, welches für die Grundlage eines deutschen Patriotismus die Geschichte der Germanen nutzen wollte. Wieland lehnte diese Form grundlegend ab, denn:

Unsre Verfassung, unsre Lebensart […] ist, Dank sey dem Himmel! So sehr von dem unterschieden, was unsre Vorfahren zu den Zeiten der Barden waren, daß kaum ein gewisseres Mittel wäre, unsre Poesie unbrauchbar und lächerlich zu machen, als wenn wir sie in eine Belleda verkleiden wollten .Ich dächte, auch in diesem Falle wären wir doch immer nur Nachahmer, die jenen rohen Waldgesang[…], durch Kunst erzwingen wollten. Und wir denn ja nachahmen wollen oder müssen, warum sollten wir unsre Modelle nicht lieber von einer Nation hernehmen, in deren Schoose jede edle und schöne Kunst […] bis zur Vervollkommnung getrieben wurde?19

Wieland verweist auf die „[…] Vermischung der Kulturen, die das Beharren auf kultureller Eigenständigkeit fraglich erscheinen läßt […]“20, Er führt weiterhin aus, dass die gesamte europäische Kultur sich bisher auf die Griechen und Römer, nicht auf die Germanen, bezogen hat und man ihnen dankbar für „[…] unsre Verwandlung in gesittete Menschen […]“21 sein müsse. Zwar hat jede Literatur einen nationalen „Erdgeschmack“22, aber eine Konzentrierung oder Erweiterung dessen sei wohl kaum erstrebenswert, wie sein Mitarbeiter J.G. Jacobi treffend formuliert, denn die Deutschen seien eben nicht mehr die ursprünglichen Deutschen.23 Wieland „vermag es nicht einzusehen, wieso man sich an dem ͵rohen Waldgesangʹ einer undeutlichen Vergangenheit statt an der Blütezeit anderer Nationen orientieren soll […]“24 In diesem Fall sei dies die französische25, da es in jener Zeit als das am weitesten fortgeschrittenes Land gelten könne.26 Diese eindeutige Ablehnung des Rückgriffes in die Geschichte der Germanen lässt sich an den geschichtsphilosophischen Anschauungen des Dichters und Herausgebers ablesen, die in Form einer spiralartigen Höherentwicklung zu verstehen und die Phase des Patriotismus längst einer früheren Entwicklung zuzuordnen sei.27 Die Vervollkommnung des Menschen in seinem Denken und Handeln ist durchaus eine allgemeine Tendenz der Aufklärung. Denn seit Gottfried Wilhelm Leibnitz (1646-1716) und Jean-Jacques Rousseau (1712-1778) sei dies eine geschichtliche Grundbestimmung gewesen. Die Geschichte wurde nämlich von nun an als ein andauernder und zunehmender Prozess der Vervollkommnung verstanden.28 Wieland favorisiert dafür den Kosmopolitismus als vorrangiges Ziel der Menschheitsgeschichte und verlangt somit eine Universalgeschichte, die nur dadurch möglich werden würde, wenn einzelne Nationen an die höchsten bislang erreichten kulturellen Standards anknüpfen und an deren Verbreitung und Weiterentwicklung mitarbeiten würden.29 Somit ist die zweite Phase von Wielands Verhältnis zum Patriotismus durch eine kritische Distanz gekennzeichnet, die die aktuelle patriotische Einstellung ablehnt und bereits als eine überholte Idee darstellt.

2.2 „Ueber teutschen Patriotismus. Betrachtungen, Fragen und Zweifel“ (1793)

Warum Wieland Ende der 80er Jahre sein Verhältnis zum Patriotismus ändert ist nicht ganz klar.30 Sahmland geht davon aus, dass die patriotische Schwärmerei schon zurückgegangen sei, aber dennoch an Aktualität nichts verloren habe und Wieland sich nun intensiver mit der eigentlichen Problematik auseinandersetzen konnte.31 Gleichzeitig bekam der Patriotismus nun auch bei Wieland eine politische Bedeutung und sei eben nicht mehr entweder ignoriert, wie in der ersten Phase, oder eben ausschließlich an den humanistisch-aufklärerischen Prinzipien, wie in der zweiten Phase, orientiert gewesen.32

[...]


1 Schiller an Jacobi, vom 25. Jan. 1795. In: Ders. Werke, Nationalausgabe, Bd. 27. Hrsg. von Günter Schulz. Weimar 1958, S. 128-129.

2 Vgl. Jutta Heinz (Hrsg.): Wieland - Handbuch. Leben - Werk - Wirkung. Stuttgart 2008, S. VII.

3 Vgl. Klaus Manger: Wieland, der klassische Nationalautor. In: Metamorphosen des Dichters. Das Rollenverständnis deutscher Schriftsteller vom Barock bis zur Gegenwart, hrsg. von Gunter E. Grimm. Frankfurt/Main 1992, S. 67-81, hier: S.76.

4 Irmtraut Sahmland: Christoph Martin Wieland und die deutsche Nation. Zwischen Patriotismus, Kosmopolitismus und Griechentum. Tübingen 1990 (=Studien zur deutschen Literatur, Bd. 108).

5 Klaus Bäppler: Der philosophische Wieland. Stufen und Prägungen seines Denkens. München 1974.

6 Ludwig Fertig: Christoph Martin Wieland der Weisheitslehrer. Darmstadt 1991.

7 Jan-Dirk Müller: Wielands späte Romane. Untersuchungen zur Erzählweise und zur erzählten Wirklichkeit. München 1971.

8 Jürgen Jacobs: Wielands Romane. Bern/München 1969.

9 Vgl. Irmtraut Sahmland: Christoph Martin Wieland und die deutsche Nation, S. 148.

10 Ebd., S. 150.

11 Vgl. Ebd.

12 Vgl. Ebd., S. 152.

13 Vgl.: Margarete Schwind/ Wolfgang Weismantel: Aufklärung in Deutschland. In: Aufklärung und Ende des Deutschen Reiches 1740-1815. Gütersloh 1983 (= Deutsche Geschichte in 12 Bänden, Bd.8). S. 111-138, hier: S. 111-112.

14 Irmtraut Sahmland: Christoph Martin Wieland und die deutsche Nation, S. 153.

15 Christoph Martin Wieland: Ueber teutschen Patriotismus. Betrachtungen, Fragen und Zweifel. In: NTM 1793/II, S. 3-21, hier: S. 5-6.

16 Bekanntestes Werk um den Nationalgeist der 60er Jahre: Friedrich Carl von Moser: Von dem Deutschen Nationalgeist, Nachdruck der Ausgabe von 1766, o.O. 1976. - Sahmlands Theorie, dass dies eine „eigene Patriotismus-Variante“ darstelle, kann aufgrund des geringen Umfanges dieser Seminararbeit nicht ausreichend genug dargestellt werden: Irmtraud Sahmland: Die Debatte um den deutschen Nationalgeist. In: Christoph Martin Wieland und die deutsche Nation, S. 106-123.

17 Sahmland: Christoph Martin Wieland und die deutsche Nation, S. 154.

18 Irmtraud Sahmland: Ein Weltbürger und seine Nation: Christoph Martin Wieland. In: Dichter und ihre Nation, hrsg. von Helmut Scheuer. Frankfurt/Main 1993, S. 88-102, hier: S. 92.

19 Christoph Martin Wieland: Zusätze des Herausgebers zu dem vorstehenden Artikel. In: TM 1773/II, S. 168-186, hier: S. 177-178.

20 Reinhard Ohm: „Unsere jungen Dichter“. Wielands literaturästhetische Publizistik im Teutschen Merkur zur Zeit des Sturm und Drang und der Frühklassik (1773-1789). Trier 2001 (=Schriftenreihe Literaturwissenschaft, Bd. 52), S.37.

21 Wieland: Zusätze des Herausgebers zu dem vorstehenden Artikel, S. 178.

22 Ebd., S. 175.

23 Vgl. Johann Georg Jacobi: Merkur, oder die Gastmahle. Ein Götter-Gespräch. In: TM 1773/III, S. 237-260, hier: S.248.

24 Ohm: „Unsere jungen Dichter“, S. 38.

25 Dies zeigt sich im Grunde genommen bereits an der Herausgabe des „Teutschen Merkur“, der eine Anlehnung an den „Mercure de France“ bildet. Nachzulesen ist dies bei: Andrea Heinz: Auf dem Weg zur Kulturzeitschrift. Die ersten Jahrgänge von Wielands Teutschem Merkur. In: „Der Teutsche Merkur“ - die erste deutsche Kulturzeitschrift?, hrsg. von Andrea Heinz. Heidelberg 2003, S. 11-36, hier: S. 19.

26 Vgl. Sahmland: Christoph Martin Wieland und die deutsche Nation, S. 157. 6

27 Vgl. Sahmland: Dichter und ihre Nation, S. 96.

28 Vgl. Reinhart Koselleck: Vergangene Zukunft. Zur Semantik geschichtlicher Zeiten. Frankfurt/Main 1989, S. 362-363.

29 Vgl. Ebd., S. 97-98.

30 Sahmland: Christoph Martin Wieland und die deutsche Nation, S. 170.

31 Vgl. Ebd., S. 170-171.

32 Vgl. Ebd., S. 171, Anmerkung 103.

Ende der Leseprobe aus 13 Seiten

Details

Titel
Christoph Martin Wieland und der deutsche Patriotismus
Untertitel
Zwischen Nationalismus und kosmopolitischen Geist
Hochschule
Universität Potsdam  (Historisches Institut)
Veranstaltung
Nationen und Nationalismus
Note
1,3
Autor
Jahr
2011
Seiten
13
Katalognummer
V200865
ISBN (eBook)
9783656278603
ISBN (Buch)
9783656279211
Dateigröße
430 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Patriotismus, Nationalismus, Wieland, Kosmopolitismus, Teutscher Merkur
Arbeit zitieren
Christina Gierschick (Autor:in), 2011, Christoph Martin Wieland und der deutsche Patriotismus, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/200865

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