Gesellschaftliche Folgen der Säkularisation als Forschungsproblem am Beispiel Bayerns


Seminararbeit, 2011

22 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhalt

1. Einleitung

2. Funktionen der Kirche vor der Säkularisation

3. Folgen der Säkularisation
3.1. Kirche
3.2. Bevölkerung
3.3. Staat
3.4. Kulturelle und bildungspolitische Folgen

4. Zusammenfassung

Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Die Säkularisation[1] war ein Prozess mit dauerhaften Folgen, die selbst über 200 Jahre danach noch immer kontrovers diskutiert werden. Durch den Reichsdeputationshauptschluss vom 24. März 1803 begann die revolutionäre Umgestaltung der traditionellen, territorialen und politischen Strukturen. 112 rechtsrheinische Reichsstände, 19 Reichsbistümer, 44 Reichsabteien, 41 Reichsstädte und alle Reichsdörfer wurden in der Folge mediatisiert. 10.000 Quadratkilometer geistlichen Staatsgebiets kamen unter die Herrschaft weltlicher Territorialstaaten und etwa 3 Millionen Menschen wechselten ihre Staatsangehörigkeit. Die Säkularisation läutete damit das Ende der reichischen „Kleinstaaterei“ ein und bereitete der nationalen Einigung den Weg.[2] Auf der anderen Seite gehörte die über Jahrhunderte gewachsene bestehende Ordnung der Reichskirche, ab der Niederlegung der Kaiserkrone im August 1806, nun der Vergangenheit an.

Grundsätzlich war die politische Macht in geistlicher Hand durch die Emanzipation der Politik von der Religion fragwürdig geworden. Hierbei spielte die Aufklärung eine entscheidende Rolle, denn durch sie setzte ein Bewusstseinswandel ein. Hinzu kam die Last der Koalitionskriege, wodurch sich das Staatsdefizit erhöhte und man in erheblicher Finanznot steckte.[3] Daraus ergibt sich, dass die Säkularisation in Bayern als fiskalpolitische Notwendigkeit betrachtet werden kann, die nicht zuletzt wie die politische und kirchliche Neuordnung Deutschlands unter dem Spannungsfeld napoleonischer Politik stand.[4] Ein weiterer Grund für die Säkularisation war dementsprechend die Rolle Frankreichs. Durch die Expansion am Rhein und dem damit verbundenen Verlust ertragreicher Gebiete wurden die Reichsfürsten auf Kosten der Kirche entschädigt und berechtigt Enteignungen vorzunehmen.[5]

Mit dem Wandel der Zeit kam es zunehmend auch auf lokalgeschichtlicher Ebene zur Beschäftigung mit der Säkularisation in Bayern. Dies ermöglichte differenziertere Betrachtungen der Folgen, als dies auf der Makroebene allein möglich gewesen wäre, wobei weiterhin zwei Sichtweisen von der „umstrittenen Umwälzung“ bestehen. Zum einen kann man die Entmachtung und Enteignung der Römischen Kirche als legitimen Akt der Vernunft interpretieren, der den Auftakt zur geistigen Befreiung und wirtschaftlichen Verbesserung darstellte. Zum anderen aber auch als scheinlegalen Umsturz, der legitime Obrigkeiten beseitigte und das Ende für bewährte Sozialformen, gottgegebene Ordnung und blühende kirchliche Kultur bedeutete.[6]

In Anlehnung an den von Alois Schmid herausgegebenen Sammelband “Säkularisation in Bayern. Kulturbruch oder Modernisierung?“ wird das Forschungsproblem der Thematik deutlich. Wie in vielen Bereichen der Geschichte muss zwischen älterer und neuerer Literatur, sowie den damit verbundenen unterschiedlichen Bewertungen durch die Historiker, differenziert werden. Gerade bei der Auseinandersetzung mit den Folgen der Säkularisation ist es daher wichtig, immer nach der emotionalen Bindung des jeweiligen Autors zu fragen, da zwischen der rationalen und emotionalen Ebene kaum Beziehungen bestehen. Köchl stellt dabei treffend fest, dass „der Geschichtsforschung die Erstellung einer objektiven Gesamtbilanz der bayerischen Säkularisation nicht gelungen [ist].“[7]

In der vorliegenden Arbeit soll das Erkenntnisinteresse nicht auf einer solchen Gesamtbilanz, sondern schwerpunktmäßig auf den Folgen der Säkularisation liegen, wobei mittels einer komparatistischen Methodik versucht wird, neuere Literatur und damit den aktuellen Forschungsstand zu beleuchten. Waren die Folgen der Säkularisation der notwendige Befreiungsschlag, der die Entwicklung der modernen Gesellschaft erst ermöglichte? Oder führte dieser Akt zur unwiederbringlichen Zerstörung von Kulturwerten, die zum Niedergang der christlich geprägten Gesellschaft beitrug? Diese Fragen gilt es zu beantworten, jedoch ist es hierbei unabdingbar, dass man zuerst kurz auf die Ausgangslage eingeht, denn es kann keine Erfolg versprechende Bilanz gezogen werden, ohne zunächst auf die Situation vor der Säkularisation einzugehen. In Kapitel 2 werden aus diesem Grund die Funktionen der Kirche vor der Säkularisation aufgezeigt, um im dritten Abschnitt konkret die jeweiligen Veränderungen veranschaulichen zu können. Kapitel 3 ist dabei thematisch in die Bereiche Kirche, Bevölkerung, Staat und kulturelle und bildungspolitische Folgen unterteilt. Sicherlich kommt es vor, dass sich dabei einzelne Aspekte überschneiden, weil es nahezu unmöglich ist, die ineinander verlaufenden Grenzen zu trennen, aber gerade diese Überlappungen zeigen die Komplexität des Säkularisationsprozesses auf, der am Ende in Kapitel 4 anhand seiner Folgen zusammengefasst werden soll.

2. Funktionen der Kirche vor der Säkularisation

Stifte und Klöster verfügten vor der Säkularisation über erhebliche kulturelle, ökonomische und personelle Potenziale, die sich speziell in ihren Funktionen widerspiegelten. Werner Blessing unterscheidet hierbei vier Stränge von Kirchenfunktionen. Erstens die Herrschaftsfunktion, die strukturell wie personell feudal war, denn die Menschen mussten in dieser Ordnung dem Obereigentümer des Bodens Geld- und Naturalabgaben erbringen, sowie ihm verschiedenste Dienste leisten. Der Autor geht davon aus, dass da wo die Herrschaft in kirchlicher Hand lag, ein eher philanthropisches Motiv vorherrschte, was sich im Vergleich zu weltlich beherrschten Gebieten in milderen Diensten und Abgaben äußerte. Besonders in der Führungsschicht des Klerus waren hauptsächlich Adelige vertreten, die in den Territorien des Reiches die Landesherrschaft innehatten und teilweise auch die Mediatherrschaft besaßen. Somit waren sie nur mittelbar dem Reich untergeordnet und konnten über die grunduntertänigen Personen und deren Arbeitskraft verfügen. Für diese Menschen war die Klosterherrschaft alltäglich und auch prägender als der Kurfürst im fernen München, wobei zusätzlich noch angemerkt werden kann, dass kürzere Verwaltungs- und Verordnungswege den bürokratischen Aufwand minimierten. Außerdem verfügte die Kirche über die Gebots- und Verbotskompetenzen und konnte in ihrem Gebiet Sanktionen aussprechen. Gleichzeitig bot sie aber auch Schutz gegen Gewalt von außen, leistete Hilfe und sorgte für die Daseinsfürsorge der Untertanen. Als Herrschaftsinstanz kümmerte sie sich des Weiteren um Handel, Verkehr, Kommunen, Pfarreien, Stiftungen, Kreditquellen und Bildungsanstalten, wodurch deutlich wird, welch großes Spektrum an Aufgaben sie abzudecken hatte.[8]

Zweitens wirkte die Kirche als Kulturinstanz. Ihr Hauptzweck war es den Glauben zu vermitteln, bei der Leidbewältigung zu helfen und Gemeinschaft zu stiften. Zusätzlich kam noch ihre Bildungsabsicht zum Tragen, denn sie unterhielt Gymnasien, Lyzeen und Lateinschulen, die nicht nur für den eigenen Nachwuchs sorgten, sondern auch Kindern aus bürgerlichen Kreisen offen standen. Gerade die Entfaltung der Wissenschaften und der Landwirtschaft ist als herausragende kulturelle Leistung der Kirche zu nennen, deren Bedeutung für die damalige Zeit von unschätzbarem Wert war. Somit trug die Kirche einen entscheidenden Beitrag zur Aufklärung bei, weil sie versuchte die Glaubenstraditionen mit dem Vernunftwissen der Naturwissenschaften zu versöhnen, wodurch zusätzlich die Konfessionsgrenzen durchlässiger wurden. Neben diesen Aspekten prägte die Kirche ästhetisch, weil sie eine hohe Präsenz in der Gesellschaft besaß. Beispielsweise anhand von barocker Repräsentation inszenierte sie sich wie die weltlichen Herrscher und erlangte somit eine Art weltlicher Autorität.[9]

An dritter Stelle kommt nach Blessing die wirtschaftliche Funktion in der feudalen Agrargesellschaft. Vor allem die Klöster betrieben konsumtive Eigenwirtschaft, was in Kurbayern einen Großteil der landwirtschaftlichen Produktion ausgemacht haben dürfte, denn mehr als ein Viertel des bebauten Bodens stand unter geistlicher Grundherrschaft. Die Kirche war so direkt Erzeuger und auch Nutzungsberechtigter. Sie verwendete die daraus resultierenden beträchtlichen Einnahmen um Gebäude für religiöse Zwecke zu errichten, die notwendigen Gerätschaften zu produzieren und sie sorgte für die jeweiligen Ausstattungen der Arbeiter. Als Wirtschaftszentrum ist es daher nicht verwunderlich, dass das Gewerbe in den Städten und auf dem Land auf sie bezogen war, weil viele Handwerker und Künstler für den Klerus arbeiteten. Doch nicht nur das Handwerk war eng mit der Kirche verbunden, auch der Dienstleistungssektor war von ihr abhängig, da für die Bedienung des Klerus, die Verwaltung der Haushalte und kirchliche Gerichte, Dienstleute vom Handlanger bis zum Juristen benötigt wurden. Kirchenleute waren zusammenfassend gesagt also Produzenten und Verbraucher, Arbeitgeber und Auftraggeber und daher vielerorts Hauptfaktor lokaler Ökonomie, wobei es ihnen nicht um Gewinn, sondern um Auskommen ging.

[...]


[1] Begriff ist Ende des 16. Jahrhunderts im Französischen aufgekommen und meinte zunächst die Überführung

eines Ordensgeistlichen in den weltlichen Status. Seit dem Westfälischen Frieden von 1648 steht er für die

Überführung von Kirchengütern in Weltliche Herrschaft. Säkularisation dient auch der christlichen oder

antichristlichen Kulturkritik und erlangt hierbei eine geschichtsphilosophische Dimension. Siehe dazu:

Koselleck, Reinhart: Zeitgeschichten. Studien zur Historik, Frankfurt am Main 2000, S. 179-181.

[2] Vgl. Weitlauf, Manfred: Der Staat greift nach der Kirche. Die Säkularisation von 1802/03 und ihre Folgen, in:

Ders.: Kirche im 19. Jahrhundert, Regensburg 1998, S. 44.

[3] Vgl. Arbeitsgemeinschaft außeruniversitärer historischer Forschungseinrichtungen in der Bundesrepublik

Deutschland e. V.: Die Säkularisation in Bayern 1803. Kulturbruch oder Modernisierung?, in: AHF-

Informationen Nr. 109, München 2003.

[4] Vgl. Hausberger, Karl: Staat und Kirche nach der Säkularisation. Zur bayerischen Konkordatspolitik im frühen

19. Jahrhundert, St. Ottilien 1983, S.23.

[5] Vgl. Blessing, Werner K.: Verödung oder Fortschritt? Zu den gesellschaftlichen Folgen der Säkularisation, in:

Schmid, Alois (Hrsg.): Die Säkularisation in Bayern 1803. Kulturbruch oder Modernisierung?, München 2003,

S. 335-337.

[6] Vgl. Blessing, Werner K.: Verödung oder Fortschritt? Zu den gesellschaftlichen Folgen der Säkularisation,

S. 335.

[7] Köchl, Maximilian: Die Säkularisation in Bayern von 1803 – ein Rückblick. Teil III: Die Folgen – Versuch

einer Bilanz, in: Köchl, Dietlinde: Streifzüge durch unsere Geschichte, Aying 2008, S. 105.

[8] Vgl. Blessing, Werner K.: Verödung oder Fortschritt? Zu den gesellschaftlichen Folgen der Säkularisation,

S. 338-340.

[9] Vgl. Blessing, Werner K.: Verödung oder Fortschritt? Zu den gesellschaftlichen Folgen der Säkularisation,

S. 340-342.

Ende der Leseprobe aus 22 Seiten

Details

Titel
Gesellschaftliche Folgen der Säkularisation als Forschungsproblem am Beispiel Bayerns
Hochschule
Universität der Bundeswehr München, Neubiberg
Veranstaltung
Die Säkularisation im 19. Jahrhundert: Kulturbruch oder Modernisierung?
Note
1,0
Autor
Jahr
2011
Seiten
22
Katalognummer
V200513
ISBN (eBook)
9783656265368
ISBN (Buch)
9783656265962
Dateigröße
523 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Bayern, Säkularisation, Folgen der Säkularisation
Arbeit zitieren
Master of Arts Alexander Eichler (Autor:in), 2011, Gesellschaftliche Folgen der Säkularisation als Forschungsproblem am Beispiel Bayerns, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/200513

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