Finale Verluste als Problem des europäischen Steuerrechts


Seminararbeit, 2012

24 Seiten


Leseprobe


Gliederung

I. Einleitung

II. Problemstellung und Gang der Untersuchung

III. Grundkonzept Grenzüberschreitender Verlustverrechnung

IV. Rechtsprechung des EuGH
1. Marks & Spencer
2. Lidl Belgium
3. Krankenheim Ruhesitz Wannsee
4. X- Holding

V. Rechtsprechung des BFH
1. BFH v. 17.7.2008
2. BFH v. 9.6.2010
a) Keine Verlustfinalität bei Endgültigkeit aus rechtlichen Gründen
b) Verlustfinalität bei Endgültigkeit aus tatsächlichen Gründen
3. BFH v. 9.11.2010

VI. Kontroverse
1. Auffassung der Finanzverwaltung
2. Zustimmende Literaturmeinung
3. Ablehnende Literaturstimmen
4. Kritische Würdigung
a) Die Steuerpläne der Regierungskoalition vom 14.2.2012
b) Bleibende Anwendungsfälle

VII. Fazit

Literaturverzeichnis

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Brocke, Klaus. „Abzug definitiver Verluste ausländischer Tochtergesellschaften im Rahmen der körperschaftsteuerlichen Organschaft? Zwei FG- Entscheidungen zur Anwendung der Grundsätze des EuGH in der Rs. Marks & Spencer.“DStR - Deutsches Steuerrecht, Mai 2010: S. 964-968.

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I. Einleitung

Die steuerliche Nutzbarmachung von Verlusten ist für international agierende Konzerne von besonderer Bedeutung und beschäftigt weite Teile der Beraterpraxis. Das Interesse an Steueroptimierung kollidiert dabei regelmäßig mit dem Bemühen der Finanzverwaltung, Steuersubstrat im Inland zu behalten. Die bisher langsam voranschreitende Harmonisierung des europäischen Steuerrechts im Bereich der direkten Steuern bietet den Nährboden für entsprechende Konflikte und Unsicherheiten.[1] Unverändert liegt die Kompetenz für die direkten Steuern in den Händen der einzelnen Mitgliedsstaaten. Eigenständiges Unionsrecht für die grenzüberschreitende Verlustberücksichtigung, etwa in Form von sekundärrechtlichen Richtlinien, existiert nicht. Damit ist das nationale Steuerrecht jedoch nicht völlig unabhängig vom Europarecht zu betrachten. Vielmehr ergeben sich wichtige Impulse aus dem Primärrecht und dessen Auslegung durch den EuGH[2]. Der EuGH betonte mehrmals, dass die Mitgliedsstaaten das Unionsrecht bei der Ausgestaltung nationaler Regelungen der direkten Steuer beachten müssen.[3] Auf diese Weise ist die Vorlagepraxis nationaler Gerichte zu verstehen. Regelmäßig wird der EuGH angerufen, Fragen der Vereinbarkeit nationaler steuerlicher Regelungen mit dem Unionsrecht zu beantworten. Eine in der Vergangenheit mehrfach vorgelegte Frage betrifft die Berücksichtigung von finalen Verlusten.

II. Problemstellung und Gang der Untersuchung

Der Begriff des finalen Verlusts kam erstmals 2005 im Zuge der EuGH Rechtsprechung in der Rs. Marks & Spencer[4] auf. Damals legte der High Court of Justice (England & Wales) dem EuGH die Frage vor, ob die englischen Regelungen der Gruppenbesteuerung (sog. „group relief“), die eine steuerliche Verlustverrechnung innerstaatlich, aber nicht grenzüberschreitend vorsahen, gegen die Niederlassungsfreiheit in Art. 49, 54 AEUV verstoßen.[5] Der EuGH entschied seiner Zeit, dass solche Regelungen grds. europarechtlich nicht zu beanstanden seien. Wenn ein Mitgliedsstaat auf die Gewinne der ausländischen Tochter keinen Zugriff hat, sei es folgerichtig, auch keinen Abzug ausländischer Verluste zuzulassen. Allerdings, so entschied der EuGH, muss dann etwas anderes gelten, wenn die Verluste im Ansässigkeitsstaat der Tochter endgültig nicht mehr berücksichtigt werden können.[6] Damit war der Begriff des finalen Verlusts geboren.

Im Folgenden war seine Entwicklung Gegenstand fast jährlich erscheinender Entscheidungen des Gerichtshofs. Zunächst wurde der Begriff dabei auf weitere Konstellationen erweitert, um dann in einer späteren Entscheidung partiell relativiert zu werden. Begleitet wurde der Prozess von einer Kontroverse zur Existenz und Reichweite des finalen Verlusts. Die hohe Zahl von abgegebenen Stellungnahmen eigentlich unbeteiligter Regierungen ist dabei nur einer von vielen Indikatoren besonderer Brisanz.[7]

Die von der Literatur eröffnete Diskussion verzweigte sich zunehmend. Heute geht man teilweise davon aus, dass finale Verluste im Sinne der Marks & Spencer Rechtsprechung keinen[8] oder nur noch einen sehr eingeschränkten Anwendungsbereich haben[9].

Im Folgenden wird zunächst das rechtliche Grundkonzept der finalen Rechtsprechung entwickelt (III) und die ergangene Rechtsprechung des EuGH (IV) und des BFH (V) skizziert. Im Anschluss daran wird der bisherige Meinungsstand dargestellt (VI) und einer kritischen Würdigung unterzogen.

III. Grundkonzept Grenzüberschreitender Verlustverrechnung

Die steuerliche Berücksichtigung von Verlusten ist nicht nur Wunsch der Praxis, sondern auch verfassungsrechtlich geboten.[10] Das ergibt sich in Deutschland insbesondere aus Art. 3 I GG, der im Steuerrecht durch das Leistungsfähigkeitsprinzip konkretisiert wird.[11] Ausprägung des Leistungsfähigkeitsprinzips ist das objektive Nettoprinzip, welches Einkünfte entweder als Gewinn oder Überschuss der Einnahmen über die Werbungskosten definiert (§ 2 II EStG). Dabei erschöpft sich das objektive Nettoprinzip nicht in der Abziehbarkeit von Aufwendungen. Vielmehr ergibt sich daraus, dass der Ausgleich von Verlusten möglich sein muss.[12]

Steuerliche Verluste lassen sich als negative Einkünfte beschreiben, die sich ergeben, wenn die Aufwendungen im Zusammenhang mit einer Einkunftsquelle die Einnahmen aus dieser Quelle übersteigen. Im Rahmen der Einkünfteermittlung wird Verlustausgleich innerhalb jeder Einkunftsart (§ 2 II EStG) und bei der Bildung der Summe aller Einkünfte (§ 2 III 1 EStG) gewährt. Verluste stellen damit einen Teil der Bemessungsgrundlage dar.

Gleichzeitig ist Verlustausgleich zunächst nur im jeweiligen Veranlagungszeitraum selbst möglich. Insbesondere im unternehmerischen Bereich können damit allerdings nicht alle Verluste berücksichtigt werden. Investitionen erzeugen unter Umständen Verluste, die nicht mit Gewinnen aus demselben Veranlagungszeitraum ausgeglichen werden können. In solchen Fällen kommt ein periodenübergreifender oder intertemporärer Verlustabzug nach § 10d EStG (i. V. m. § 8 IV KStG) in Betracht. Möglich sind danach Verlustrücktrag und Verlustvortrag. Für die spätere Darstellung von Interesse ist, dass viele Staaten den periodenübergreifenden Verlustabzug sowohl zeitlich, als auch der Höhe nach beschränken. Lediglich in Belgien, Dänemark, Frankreich (bei Körperschaften), Irland, Litauen, Luxemburg, Malta, Schweden, Slowenien, Ungarn, dem Vereinigten Königreich und Zypern ist ein Verlustvortrag grds. unbegrenzt möglich.[13]

Dagegen ist es regelmäßig nicht möglich, den Verlust eines anderen Steuersubjekts nutzbar zu machen. Es leuchtet ein, dass zwei Freunde, die regelmäßig miteinander Karten spielen, aber ansonsten keinerlei Beziehung pflegen, ihre erwirtschafteten Einkünfte nicht miteinander verrechnen können. Sie stellen steuerlich zwei völlig voneinander zu trennenden Steuersubjekte dar. Nicht auf den ersten Blick ersichtlich ist, warum etwa der erwirtschaftete Gewinn einer GmbH mit den Verlusten des einzigen und 100 % der Anteile haltenden Gesellschafters verrechnet werden kann. Bei Kapitalgesellschaften erfolgt die Besteuerung jedoch unabhängig von der des Anteilseigners (sog. Trennungsprinzip).[14] Eine Verlustverrechnung mit einem damit „hinter“[15] der Kapitalgesellschaft stehenden Rechtssubjekt ist grds. ausgeschlossen.

Etwas anderes kann aber bei verbundenen Unternehmen gelten. Das deutsche Körperschaftssteuerrecht sieht in den §§ 14 ff. KStG eine Durchbrechung des Trennungsprinzips vor. Danach können Gesellschaft und Gesellschafter eine sog. Organschaft mit der Folge bilden, dass die Gewinne und Verluste der Organgesellschaft dem Organträger zugerechnet werden.[16] Grundsätzliche Voraussetzung ist dabei allerdings, dass sowohl Organgesellschaft, als auch Organträger unbeschränkt steuerpflichtig sind (§§ 14 I 1, 14 I 1 Nr.2 1 i. V. m. § 1 I KStG). Außerdem setzt die Organschaft den Abschluss eines Gewinnabführungsvertrags i. S. d. § 291 AktG voraus. Ein solcher Vertrag ist vielen anderen Rechtsordnungen allerdings unbekannt und kann deshalb nicht wirksam mit dort ansässigen Tochtergesellschaften abgeschlossen werden.[17]

Eine ertragssteuerliche Organschaft ist damit über die Grenzen Deutschlands hinweg grds. nicht möglich.[18] Damit scheidet eine Verrechnung mit Verlusten einer ausländischen Tochter auf Organträgerebene der deutschen Mutter grds. aus. Der Verlust einer ausländischen Tochter kann also nur in dessen Sitzstaat nutzbar gemacht werden und richtet sich grds. nach dem dort geltenden Steuerrecht. Sollte eine steuerliche Berücksichtigung dort nicht möglich sein, entfällt sie dem Grundsatz nach vollständig.

Der Fall des grenzüberschreitend tätigen verbundenen Unternehmens stellt damit eine erste denkbare Sachverhaltsgestaltung für das Vorliegen eines finalen Verlusts dar. Kennzeichnend ist also, dass sich Mutter- und Tochtergesellschaften in unterschiedlichen Mitgliedsstaaten befinden. Während die nationalen Rechtsordnungen regelmäßig eine Verlustverrechnung innerhalb des verbundenen Unternehmens innerstaatlich zulassen, wird es dem grenzüberschreitend tätigen Unternehmen verwehrt.[19]

Im Ergebnis ähnlich verhält es sich bei der zweiten denkbaren Konstellation grenzüberschreitender Verlustverrechnung. Dort besteht statt einer Tochtergesellschaft jedoch eine Betriebsstätte im Ausland. Ausländische Betriebsstätten gelten steuerrechtlich als unselbständiger Bestandteil des inländischen Stammhauses. Damit sind deren Einkünfte grds. in Deutschland steuerbar, vgl. § 1 I EStG (sog. Welteinkommensprinzip).[20] Gleichzeitig ist damit ein Ausgleich der Gewinne und Verluste der ausländischen Betriebsstätte bei der Berechnung der Summe der Einkünfte des Betriebsinhabers – sei er Einzelunternehmer oder Kapitalgesellschaft – möglich (§ 2 III EStG). Werden die ausländischen Einkünfte allerdings zugleich in dessen Quellenstaat besteuert, kann es zu einer Doppelbesteuerung kommen. Zur Vermeidung gibt es nationale Regelungen und Doppelbesteuerungsabkommen.

Angenommen eine deutsche AG würde eine Betriebsstätte in Italien unterhalten. Aus den Artikeln 7 und 23 des DBA- Italien[21] würde sich für diesen Fall ergeben, dass Italien die Besteuerung der Betriebsstätte vornehmen darf. Entsprechend würden die Gewinne der italienischen Betriebsstätte in Deutschland von der Steuer freigestellt werden (sog. Symmetriethese). Damit scheidet eine Doppelbesteuerung der deutschen AG zwar aus, ebenso ausgeschlossen ist jedoch eine grenzüberschreitende Verlustverrechnung der Einkünfte der AG. Wäre die Betriebsstätte in Deutschland gelegen, so wäre eine Nutzbarmachung der Verluste grds. möglich.

Grenzüberschreitende Verlustverrechnung kommt also in zwei Konstellationen vor, die vom EuGH seit der Rs. Lidl Belgium[22] jedenfalls vom Grundsatz her gleich behandelt werden.[23] Diese Gleichbehandlung ist nicht selbstverständlich, der EuGH betonte vielmehr in verschiedenen Entscheidungen, dass sich ausländische Betriebsstätten und gebietsfremde Tochtergesellschaften nicht in vergleichbaren Situationen befänden.[24] Soweit es auf eine Unterscheidung zwischen beiden Grundkonstellationen ankommt, wird deshalb nachfolgend darauf hingewiesen.

IV. Rechtsprechung des EuGH

1. Marks & Spencer

Im Mutterurteil der finalen Rechtsprechung ging es wie bereits angedeutet um die englische Gruppenbesteuerung, die es Marks & Spencer verwehrte Verluste ausländischer Tochtergesellschaften im Ansässigkeitsstaat der Muttergesellschaft zu nutzen. Darin sah der EuGH eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit, weil durch diese Regelung die Muttergesellschaft grds. davon abgehalten werden könnte, im Ausland Tochtergesellschaften zu gründen.[25] In der Beschränkung der Niederlassungsfreiheit ist allerdings nicht ohne Weiteres ein Verstoß hiergegen zu sehen. Vielmehr ist auf einer zweiten Stufe zu fragen, ob die Beschränkung im Einzelfall gerechtfertigt ist.[26] Zur Rechtfertigung zog der EuGH kumulativ drei Gründe heran. Namentlich die ausgewogene Aufteilung der Besteuerungsrechte zwischen den Mitgliedsstaaten, die Vermeidung der Gefahr einer doppelten Verlustberücksichtigung und die Bekämpfung der Steuerflucht.[27]

In einer früheren Entscheidung sprach der EuGH bereits aus, dass die Mitgliedsstaaten die alleinige Kompetenz hätten, ihre Besteuerungssphären voneinander abzugrenzen.[28] Im Urteil Marks & Spencer wurde der Rechtfertigungsgrund der ausgewogenen Aufteilung der Besteuerungsrechte zwischen den Mitgliedsstaaten nun konkretisiert. Demnach gefährde es die ausgewogene Aufteilung der Besteuerungsbefugnisse, wenn eine Gesellschaft frei wählen könne, in welchem Staat sie ihre Verluste geltend macht.[29] Eine Gestaltungsoption solle dem Steuerpflichtigen also nicht eingeräumt werden. Dagegen seien Regelungen, nach denen auf die wirtschaftliche Tätigkeit der in einem Staat niedergelassenen Gesellschaften sowohl in Bezug auf Gewinne als auch auf Verluste nur dessen Steuerecht anzuwenden ist, grds. zulässig.[30] Das traf auf die englische Gruppenbesteuerung zu.

Zudem beschränke sie den Verlustabzug von vornherein auf inländische Sachverhalte, damit sei sie in der Lage, eine doppelte Verlustberücksichtigung zu vermeiden.[31]

Zuletzt seien Regelungen gerechtfertigt, die Konzernen die Möglichkeit nehmen, Verluste in Mitgliedsstaaten mit hohen Steuersätzen zu transferieren, um so den steuerlichen Wert der Verluste zu erhöhen.[32] Da die englische Regelung dies grds. unterbindet, beuge sie auch der Steuerfluchtgefahr vor.

Die Regelungen der englischen Gruppenbesteuerung wurden insoweit als gerechtfertigt angesehen. Mit anderen Worten sind die mit der englischen Gruppenbesteuerung verfolgten Ziele grds. mit Unionsrecht vereinbar.

[...]


[1] Vgl. zur Harmonisierung der direkten Steuern Birk, Steuerrecht, Rn. 235 ff.; grundlegend dazu "Weißbuch" veröffentlicht vom Amt für Veröffentlichungen der EG, Luxemburg, 1985.

[2] Der Bearbeiter unterscheidet zwischen der amtlichen Bezeichnung des Europäischen Gerichtshofs als „Gerichtshofs“ und der Bezeichnung „EuGH“ nicht.

[3] EuGH v. 8. 3. 2001 – Rs. C-397/98 und C-410/98, Metallgesellschaft u.a., Slg. 2001, I 1727, Rn. 37, und v. 30. 5. 1989 - Rs. 305/87, Kommission/Griechenland, Slg. 1989, 1461, Rn. 12 und 13, und v. 12. 4. 1994 - Rs. C-1/93, Halliburton Services, Slg. 1994, I-1137, Rn. 12, IStR 1994, 235.

[4] EuGH v. 13.12.2005 - Rs. C-446/03, Marks & Spencer, Slg 2005, I-10837-10886.

[5] EuGH v. 13.12.2005, a.a.O. (Fn. 4), Rn. 27.

[6] EuGH v. 13.12.2005, a.a.O. (Fn. 4), Rn. 55, 56.

[7] Sowohl zur Rs. Marks & Spencer, als auch zur noch darzustellenden Rs. X Holding haben inklusive Deutschland sechs weitere Regierungen Stellungnahmen abgegeben. Nachzulesen in Fn.7 in Eisenbarth/ Hufeld, IStR, 2010, 309ff.

[8] Mitschke, FR 2011, 24, 27; Günkel/ Wagner, Ubg 2010, 603.

[9] Benecke/Staats, IStR 2010, 668; Musil, DB 2011, 2451.

[10] Entgegen früher: BVerfG 1. Senat v. 8.3.1978 - BvR 117/78.

[11] Birk, Steuerrecht, Rn. 615.

[12] Vgl. Kirchhof in: Kirchhof, Einkommensteuergesetz, § 2, Rn. 11.

[13] Bericht der Facharbeitsgruppe „Verlustverrechnung und Gruppenbesteuerung, S. 20.

[14] Birk, Steuerrecht, Rn.1203.

[15] So wörtlich Birk, Steuerrecht, Rn.1489.

[16] Danelsing in: Blümich, § 14 KStG, Rn.1.

[17] Graw, DB, 2010, 2469.

[18] Vgl. Pache/Englert, IStR 2010, 448, 450.

[19] Vgl. Kußmaul, Niehren, IStR 2008, S. 81, 82 ff.

[20] Birk, Steuerrecht, Rn.1452.

[21] http://www.bundesfinanzministerium.de/nn_74412/DE/BMF__Startseite/Service/Downloads/Abt__IV/dba/054,templateId=raw,property=publicationFile.pdf (Zugriff am 13.05.2012).

[22] EuGH v. 15.5.2008 – Rs. C-414/06, Lidl Belgium, EuGHE 2008 S. I-3601 = DB 2008 S.1130.

[23] Dazu z.B. Englisch, IStR 2008, S. 404.

[24] EuGH v. 25.2.2010 – Rs. C-337/08, X Holding, DStR 2010, 427, Rn. 37 ff.

[25] EuGH v. 13.12.2005, a.a.O. (Fn.4), Rn.33.

[26] Vgl. Kingreen in: Calliess/Ruffert, Art.36 AEUV, Rn.74 ff.

[27] EuGH v. 13.12.2005, a.a.O. (Fn.6), Rn.45 ff.

[28] Musil, DStR 2010, 1501-1503; EuGH v 12.5.1998, C-336/96, Gilly, Slg 1998, I-2793-2842.

[29] EuGH v. 13.12.2005, a.a.O. (Fn.4), Rn.45, 46; vgl. Heurung/Engel/Thiedermann, FR 2011, 212.

[30] EuGH v. 13.12.2005, a.a.O. (Fn. 4), Rn. 45.

[31] EuGH v. 13.12.2005, a.a.O. (Fn. 4), Rn. 47, 48.

[32] EuGH v. 13.12.2005, a.a.O. (Fn. 4), Rn. 49, 50.

Ende der Leseprobe aus 24 Seiten

Details

Titel
Finale Verluste als Problem des europäischen Steuerrechts
Hochschule
Universität Potsdam
Autor
Jahr
2012
Seiten
24
Katalognummer
V200313
ISBN (eBook)
9783656264507
Dateigröße
650 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
finale, verluste, problem, steuerrechts
Arbeit zitieren
Fabian Mayer (Autor:in), 2012, Finale Verluste als Problem des europäischen Steuerrechts, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/200313

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