Father Knows Worst

(Vater-)Figurenanalyse von Benjamin Hood in “Der Eissturm“


Seminararbeit, 2012

24 Seiten, Note: 2,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. „Die Uhr der Figur“ – Hilfsmittel zur Figurenanalyse
2.1. Die Figur als „fiktives Wesen“
2.2. Die Figur als „Artefakt“
2.3. Die Figur als „Symbol“ und „Symptom“

3. Ang Lee – Eine Einführung
3.1. Biographisches
3.2. Father Knows Best
3.3. Weitere Motive

4. Der Eissturm (1997)
4.1. Handlung

5. Figurenanalyse „Benjamin ‘Ben‘ Hood“
5.1. Hermeneutische Szenen- und Figurenanalyse
5.1.1. Szenenbeschreibung: Das Telefongespräch
5.1.1.1 Szenen- und Figurenanalyse: Das Telefongespräch
5.1.2. Szenenbeschreibung: Das Gute-Nacht-Gespräch
5.1.2.1 Szenen- und Figurenanalyse: Das Gute-Nacht-Gespräch
5.1.3. Szenenbeschreibung: Szenenbeschreibung: Das Masturbationsgespräch
5.1.2.1 Szenen- und Figurenanalyse: Das Masturbationsgespräch
5.2. Ben Hood und „Die Uhr der Figur
5.2.1. Ben Hood als „fiktives Wesen“
5.2.2. Ben Hood als „Artefakt“
5.2.3. Ben Hood als „Symbol“ und „Symptom

6. Fazit

7. Quellenverzeichnis
7.1. Bibliographie
7.2. Filmographie

1. Einleitung

Das Jahr 1973 ist ein Jahr der Veränderungen. Richard Nixon, US-Präsident und „Vater der Nation“, wird im Rahmen der „Watergarte“-Affäre als Lügner enttarnt und muss zurücktreten. „Freie Liebe“ wird proklamiert und das Konzept einer (pseudo-)liberalen, sexuellen Revolution erreicht schließlich auch amerikanische Vororte.[1] Kombiniert mit dem katastrophalen Verlauf des Vietnamkriegs, führt dies zu einer Phase permanenter Unsicherheit der Bevölkerung, zu einer Phase der Umstrukturierung, der Suche nach sich selbst.

Ang Lees Film „Der Eissturm“, spielt im November des genannten Jahres und thematisiert eben diese Vorkommnisse und die dementsprechenden Auswirkungen im suburbanen Rahmen der fiktiven Kleinstadt „New Canaan“. „Die ganze Nation steckt in der Pubertät und experimentiert, auch die Erwachsenen.“[2] Dies trifft auch auf Benjamin Hood zu, Ehemann und Vater zweier Kinder. Entgegen frühere Filme Lees, die rückblickend als „Father Knows Best“-Trilogie bezeichnet werden[3], ist der Vater hier nicht „der Fels in der Brandung“, der respektiert wird und mit Rat und Tat zur Seite steht, sondern eine unsichere, inkonsequente Figur, die sich genauso wenig bzw. noch weniger gefunden hat, als die Kinder, die er zu erziehen versucht.

In dieser Seminararbeit wird der Annahme nachgegangen, dass die (Vater-)Figur des „Benjamin Hood“, als „Kind seiner Zeit“, ein durchgehend inkonsistentes Verhalten an den Tag legt und somit konträr zu den vorherigen Vaterfiguren, in den Filmen Lees angelegt ist. Dies bedeutet, er zeigt sich permanent, von den damaligen Diskursen und ambivalenten, gesellschaftlichen Verhältnissen und Veränderungen, beeinflusst und wirkt aufgrund dessen inkonsequent. Seine dementsprechende Unsicherheit zeigt sich vor allem in pädagogischer Hinsicht, d.h. in seiner Rolle als Vater, im Umgang mit seinen zwei Kindern. Dementsprechend besteht die primäre Absicht dieser Arbeit darin, Ben Hood als Vater, d.h. in der Interaktion mit seinen Kindern zu beschreiben und der Frage nachzugehen, wie er sich als Vater verhält, woran sich sein inkonsistenter Charakter zeigt, was seine Intentionen diesbezüglich sind und was er damit tatsächlich erreicht.

Zu diesem Zweck werden charakteristische Szenen ausgewählt und anschließend, hauptsächlich im Hinblick auf die Interaktion mit seinen Kindern, beschrieben und hermeneutisch interpretiert. Damit einher geht eine Figurenanalyse, die sich grundlegend an „Der Uhr der Figur“ von Jens Eder orientiert. Diese wird im Laufe der Arbeit in ihre wichtigsten Bestandteile zerlegt und erklärt. Zusätzlich wird die Handlung des Films „Der Eissturm“ skizziert, sowie einige Hintergrundinformationen zu dem Film, als auch zu Ang Lee selbst, bereitgestellt, die helfen, ein Vorverständnis über die Arbeit Lees, speziell über den Film „Der Eissturm“ zu erhalten.

2. „Die Uhr der Figur“ – Hilfsmittel zur Figurenanalyse

Wie bereits erwähnt, orientiere ich mich bei der Analyse der Figur des „Benjamin Hood“ an der „Uhr der Figur“ von Jens Eder. Dabei werde ich ebenfalls die von ihm getätigte Aufforderung berücksichtigen, die dargestellten Modelle nicht als „starr abzufragende Schemata“, sondern als mentales Hilfsmittel zu gebrauchen.[4] Im Rahmen dieser Arbeit war keine vollständige Einführung in Eders umfangreiches Werk „Die Figur im Film“ möglich, weswegen sich auf die wichtigsten Aspekte, von Eders heuristischem Modell zur Optimierung der Figurenanalyse, konzentriert wurde.

Jens Eder plädiert in „Die Figur im Film“ dafür, sich bei der Figurenanalyse nicht nur auf „subjektive Intuitionen“ zu verlassen, sondern auf das Einbeziehen „systematischer Kategorien und Verfahrensweisen“.[5] Dazu müsse man aber erst einmal ein Vorverständnis über den eigentlichen Begriff der „Figur“ definieren. Eder schlägt vor, „Filmfiguren als wiedererkennbare fiktive Wesen mit einem Innenleben zu verstehen, die als kommunikativ konstruierte Artefakte existieren.“[6]. Figuren sind nicht rein subjektiv, dennoch erhält ihre Rezeption eine besondere Bedeutung im Bezug auf die Analyse, da „mentale Modelle“ hergestellt werden, die dabei helfen, eine Figur erklären zu können.

„Mentale Modelle sind multimodale Repräsentationen; sie verbinden verschiedene Formen der Informationsverarbeitung – visuell, akustisch, sprachlich usw. – zu einer anschaulich erlebten Ganzheit. Sie sind dynamisch, verändern sich im Zeitverlauf. Im Moment des Erlebens sind sie im Bewusstsein präsent, können aber auch […] im Gedächtnis gespeichert werden. Figurenmodelle repräsentieren die Eigenschaften eines fiktiven Wesens in einer bestimmten Struktur, Anschaulichkeit und Perspektivierung, und sie stehen in enger Beziehung zu weiteren mentalen Modellen, die die Zuschauer von den Situationen der Geschichte oder von sich selbst haben.“[7]

Zu ihrer praktischen Analyse leitet Eder eine „vereinfachte Heuristik“ ab, die er als „Uhr der Figur“ bezeichnet.[8] Eine Figur besitzt verschiedene Aspekte und kann hinsichtlich „Leitfragen in ästhetischer, mimetischer, thematischer und kausaler Hinsicht untersucht werden.“[9] Die „Uhr der Figur“ besteht aus vier Teilbereichen. So kann eine Figur auf ihre Eigenschaften als „Artefakt“, „Fiktives Wesen“, „Symbol“ und „Symptom“ hin analysiert werden.[10] Die „Uhr der Figur“ ermöglicht eine umfassende Betrachtung der Figur, muss aber nicht zwangsläufig „im Uhrzeigersinn gelesen werden“.[11] Einerseits kann es durchaus Sinn ergeben, eine Figur hinsichtlich aller Kategorien zu untersuchen, sollte man auf ein allumfassendes Verständnis abzielen, andererseits sind die Eigenschaften von Filmfiguren bzw. die spezifischen Analyseabsichten so vielfältig, dass auch nur bestimmte Teilaspekte im Mittelpunkt stehen können.[12]

2.1. Die Figur als „fiktives Wesen“

Die Frage, bei der Untersuchung einer Figur als „fiktives Wesen“, lautet: „Welche Merkmale, Beziehungen und Verhaltensweisen hat sie als Bewohner einer fiktiven Welt?“[13] Erfasst man eine Figur als „fiktives Wesen“, geht es darum, sie in ihrem Kern zu beschreiben.[14] Die Informationen, die man beim Sehen eines Films über die Figur erhält, werden sprachlich ausformuliert und beschrieben.[15] Äußerlich wahrnehmbare Informationen, wie Sprache, Mimik und Gestik, durchlaufen einen Interpretationsprozess und lassen Schlüsse auf „nicht direkt wahrnehmbare psychische und soziale Aspekte der Figur“[16] zu, wie charakterliche Eigenschaften, Emotionen und Absichten.[17] Zwar unterscheidet sich die Art und Weise der Beobachtung „fiktiver Wesen“ von der Art und Weise wie wir reale Personen betrachten, dennoch ist es nicht hilfreich sich auf ein „anthropologisches Kategoriensystem“[18] zu stützen, wenn wir beabsichtigen die Eigenschaften „fiktiver Wesen“ zu beschreiben. Eder teilt dieses System in „die drei allgemeinsten Eigenschaftsbereiche des Menschen“[19] ein, nämlich die Körperlichkeit[20], Psyche[21] und Sozialität[22].[23] Diese drei Komponenten sind einerseits stabil, andererseits flüchtig, beeinflussen sich gegenseitig und spielen in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft eine Rolle.[24] Zwar erlaubt dieses Modell, „fiktive Wesen“ gründlicher untersuchen zu können, allerdings kann es, je nach angewandter Theorie oder Ziel der Analyse, zu völlig unterschiedlichen Ergebnissen führen.[25] Je nach Fragestellung, spielen „zum einen soziale Dispositionen, […], etwa Alltagspsychologie, emotionale Schemata oder soziale Stereotypen“[26] eine Rolle, zum anderen aber auch „das Medienwissen der Zuschauer […] ihre Kenntnis kommunikativer Regeln, Genres, Erzählstrukturen oder Figurentypen.“[27] Zusätzlich zu der „Ebene des Dargestellten“[28], ziehen wir bei der Analyse aber auch „Informationen außerhalb der fiktiven Welt, etwa […] Filmmusik, Bildgestaltung […]“ hinzu, was bedingt, das Figuren ebenfalls als „Artefakte“ betrachten werden müssen.[29]

2.2. Die Figur als „Artefakt“

Bei der Betrachtung einer Figur als „Artefakt“ geht es darum, festzustellen wie bzw. durch welche filmischen Mittel eine Figur dargestellt wird.[30] Wir nehmen wahr, welche ästhetischen Mittel eine Figur gestalten, ihr „sinnliche Konkretheit verleihen“.[31] Diese Darstellungsmittel können von der Besetzung des Schauspielers und einem möglicherweise damit einhergehenden Star-Image, über seinen individuellen Stil, bis hin zur ästhetischen Reflexion über Kameraführung und Musikuntermalung reichen. Visuelle oder auditive Erlebnisse, lassen so Rückschlüsse auf die Figur bzw. die jeweiligen Charakterisierungsmittel zu.[32] Zudem können „mit Hilfe erzähltheoretischer Modelle der Informationsvergabe“, Zusammenhänge und Entwicklungen erkannt werden.[33] Die variable Verteilung von Informationen bzgl. der Figur, dient als dramaturgisches Mittel mit spezifischen Wirkungsabsichten hinsichtlich „emotionaler Anteilnahme, Spannung, Neugierde und Überraschung“.[34] Auch „signifikante Phasen oder Sequenztypen“[35], d.h. längere Dialoge, Momente der Empathie, Veränderungen oder Krisen, dienen zur Charakterisierung einer Figur.[36] Die spezifischen Darstellungsweisen haben zur Folge, dass den Figuren bzw. der Struktur des jeweiligen Figurenmodells, Artefakt-Eigenschaften zugeschrieben werden, wie bspw. Realismus, Komplexität oder Dynamik.[37] Durch Wiederholung dieser Artefakt-Eigenschaften in der ganzheitlichen Filmgeschichte, kommt es zur Bildung und Verfestigung bestimmter „Figurenkonzeptionen“.[38] Diese beeinflussen einerseits die Weise, wie wir Figuren einschätzen, andererseits haben sie aber auch Einfluss auf die Art, wie wir tatsächliche Menschenbilder betrachten und rezipieren.[39] Figuren können dann, im Bezug auf die jeweiligen genreabhängigen Figurenkonzeptionen, analysiert werden.[40]

2.3. Die Figur als „Symbol“ und „Symptom“

Versucht man eine Figur als „Symbol“ zu betrachtet, geht man der Frage nach, wofür diese Figur steht bzw. „ welche indirekten Bedeutungen“ sie vermittelt.[41] Bei der Betrachtung einer Figur als „Symptom“ wird untersucht, aufgrund welcher Ursachen die Figur ist, wie sie ist, und welche Wirkungen sie auf die Zuschauer hat. Die Figur wird als Anzeichen, Faktor oder Folge realer Kommunikationsphänomene gesehen. Die Aspekte einer Figur als „fiktives Wesen“ oder „Artefakt“ spielt bei der Filmproduktion die größte Rolle, bei der Rezeption bzw. Interpretation hingegen, „besteht […] ein wesentlichen Ziel darin, die Symbolik der Figuren zu erkennen“ und „in kulturkritischen Auseinandersetzungen mit Filmen spielt […] die Symptomatik der Figuren eine größere Rolle.“[42] Die Untersuchung nach Symbolik und Symptomatik einer Figur, beruht auf den Aspekten, die zuvor bei den Bereichen „fiktives Wesen“ und „Artefakt“ behandelt wurden.

Figuren als „Symbole“ können verschiedenste Assoziationen hervorrufen, bspw. mit „allgemeinen Tugenden […], religiösen Figuren oder historischen Personen“.[43] Die Ähnlichkeiten oder Analogien eines Charakters zu möglichen real existierenden Personen, kann sie zum „Träger allgemeiner thematischer Aussagen“ machen.[44] Im Grunde wird versucht, „indirekte Bedeutungen zu erschließen“, sowie die Bezugsgegenstände, einhergehend mit ihrer jeweiligen Form, zu identifizieren.[45]

[...]


[1] U.a. ausgelöst durch die Ideologien der „Hippie-Generation“, sowie den populären Pornofilm „Deep Throat“, findet ein gesellschaftlicher Diskurswandel im Bezug auf Sexualität statt.

[2] Hanhart, Tanja: Ang Lee und sein Kino, 2006

[3] S. Kapitel 3.2.

[4] Vgl. Eder, Jens: Die Figur im Film, 2009, S.728

[5] Ebd., S.706

[6] Ebd., S.707

[7] Ebd., S.709

[8] Vgl. Ebd., S.710

[9] Ebd.,

[10] Vgl. Ebd.

[11] Ebd., S.712

[12] Vgl. Ebd.

[13] Ebd., S.710

[14] Vgl. Ebd., S.713

[15] Vgl. Ebd.

[16] Ebd.

[17] Vgl. Ebd.

[18] Ebd.

[19] Ebd., S.714

[20] Zu der Analyse der Körperlichkeit gehören u.a. grundlegende Beschreibungen von Geschlecht, Alter und Körperform, aber auch Betrachtungen optischer Merkmale, wie Gestalt, Gesicht, Frisur und Kleidung, sowie Mimik, Gestik oder Haptik. (Vgl. Ebd., S.714)

[21] Zu der Analyse der Psyche gehört u.a. die Frage, nach Motivation, Emotion, Kognition der Figur, d.h. eine Betrachtung „des Innenlebens und der Persönlichkeit“, die mit verschiedenen, spezifischen Theorien aus dem Bereich der Psychologie erweitert werden können. (Vgl. Ebd. S. 714f.)

[22] Zu der Analyse der Sozialität erweisen sich soziologische, aber auch sozialpsychologische Konzepte als sinnvoll, die sowohl zur Beschreibung jeweiliger Gruppenzugehörigkeiten, d.h. u.a. Familie, Freundeskreis, Beruf, Religion, Nationalzugehörigkeit, dienen, als auch den gesellschaftlichen Status, potentielle Macht und soziale Beziehungen bzw. Interaktionen beschreiben. (Vgl. Ebd.)

[23] Vgl. Ebd.

[24] Vgl. Ebd.

[25] Vgl. Ebd., S.715

[26] Ebd.

[27] Ebd.

[28] Ebd.

[29] Ebd.

[30] Vgl. Ebd., S.710

[31] Ebd., S.716

[32] Vgl. Ebd., S.717

[33] Vgl. Ebd.

[34] Ebd.

[35] Ebd.

[36] Vgl. Ebd.

[37] Vgl. Ebd.

[38] Ebd., S.718

[39] Vgl. Ebd.

[40] Vgl. Ebd.

[41] Vgl. Ebd., S.711

[42] Ebd., S.722

[43] Ebd., S.723

[44] Ebd., S.723

[45] Ebd., S.711

Ende der Leseprobe aus 24 Seiten

Details

Titel
Father Knows Worst
Untertitel
(Vater-)Figurenanalyse von Benjamin Hood in “Der Eissturm“
Hochschule
Universität Koblenz-Landau
Veranstaltung
Kultur(en) im Film
Note
2,7
Autor
Jahr
2012
Seiten
24
Katalognummer
V200275
ISBN (eBook)
9783656264682
ISBN (Buch)
9783656265245
Dateigröße
682 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
father, knows, worst, vater-, figurenanalyse, benjamin, hood, eissturm
Arbeit zitieren
Lukas Lohmer (Autor:in), 2012, Father Knows Worst , München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/200275

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