Alltagsbegegnungen Alexander von Humboldts mit Angehörigen der kolonialen Unterschicht während seiner amerikanischen Forschungsreise


Hausarbeit (Hauptseminar), 2002

17 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhalt

I. Einleitung

II. Die Kenntnisse indigener Sprachen und der Sprachgebrauch Alexander von Humboldts

III. Rassistische Residuen in der Berichterstattung Alexander von Humboldts

IV. Der Indianer als Fabelwesen in der Berichterstattung Humboldts

V. Alexander von Humboldt und sein Umgang mit indianischen Bediensteten

VI. Indianische Gastgeber Alexander von Humboldts

VII. Schlußbetrachtung

VIII. Literatur
VIII.1 Primärliteratur
VIII.2. Sekundärliteratur

I. Einleitung

Während seiner fünfjährigen Reise traf Humboldt auf Vertreter aller Schichten und Klassen der lateinamerikanischen Kolonialgesellschaft. Es kann kaum bestritten werden, daß es vor allem Personen aus der weißen Oberschicht waren, zu denen Humboldt in engeren Beziehungen stand und die folglich in seinem Reisejournal besonders hervorgehoben werden.[1]Dennoch steht außer Frage, daß er auch mit Menschen aus den unteren Bevölkerungsschichten, zu denen neben den Indios auch Zamben, Mestizen und Mulatten, sowie freie und versklavte Schwarze zählten, in Berührung kam. Die vorliegende Arbeit soll einen Einblick in die Natur diese Kontakte geben, wie sie von Humboldt beurteilt wurden und in welchem Ausmaß sie sich in seiner Berichterstattung niedergeschlagen haben. Besonderes Augenmerk soll dabei auf Begegnungen mit der indigenen Bevölkerung gerichtet werden.

Die Beziehungen Humboldts zu Angehörigen der lateinamerikanischen Oberschicht sind von ihm nicht nur in seinen Reiseberichten, sondern auch durch seinen Schriftverkehr mit diesen Personen bestens dokumentiert. Auch sind diese Beziehungen innerhalb der Humboldt-Forschung vielfach analysiert worden.

Was hingegen Humboldts Begegnungen mit Angehörigen der Unterschicht betrifft, so gibt es nur wenige Veröffentlichungen, die sich explizit diesem Thema widmen. Als wichtigste Quellen sind hier der Artikel „Indianische Begleiter Alexander von Humboldts auf seiner amerikanischen Forschungsreise 1799 bis 1804“ von Kurt Biermann und Ingo Schwarz zu nennen, sowie das Alexander von Humboldt gewidmete Kapitel aus dem Werk „Imperial Eyes – Travel Writing and Transculturation“ von Mary Louise Pratt. Aufgrund dieser Quellenlage sind für die vorliegende Arbeit vor allem Humboldts eigene Texte, also seine Reiseberichte sowie seine amerikanischen Briefe, auf relevante Hinweis untersucht und interpretiert worden.

II. Die Kenntnisse indigener Sprachen und der Sprachgebrauch Alexander von Humboldts

Erste Hinweise auf Kontakte Humboldts zu eingeborenen Amerikanern kann uns sein Sprachgebrauch geben.

In der einleitenden Studie zum Bericht Humboldts über dieReise auf dem Rio Magdalena, durch die Anden und durch Mexiko, führen die Herausgeber an, die Überarbeitung desselben sei in besonderem Maße dadurch erschwert worden, daß Humboldt„sich auf der Reise zahlreiche Fachausdrücke aus dem in allen Ländern mit der jeweiligen Indianersprache vermischten Spanisch“ angeeignet habe, „die man nicht immer in der von ihm gebrauchten Form in den verfügbaren Wörterbüchern wiederfindet.“[2]Tatsächlich werden indianische Ausdrücke von Humboldt in seinen Reisetagebüchern häufig verwandt, vornehmlich um in Europa unbekannte Pflanzenarten oder aber indianische Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens zu bezeichnen. Es stellt sich die Frage, ob ein solches „indianisiertes“ Spanisch zu Zeiten Humboldts in der spanischen und kreolischen Oberschicht bereits gebräuchlich war, oder ob dieser Sprachgebrauch auf seinen Umgang mit der indianischen Bevölkerungsgruppe zurückzuführen ist.

Ein Hinweis darauf, daß ersteres der Fall gewesen sein könnte, findet sich in einem Brief Humboldts an seinen Bruder, den Sprachforscher Wilhelm von Humboldt, aus Lima vom 25. November 1802:

„Mich beschäftigt auch sehr das Studium der amerikanischen Sprachen, und ich habe gesehen, wie sehr das, was La Condamine über ihre Armut sagt, falsch ist[...]Besonders beschäftige ich mich mit der Inka-Sprache. Man spricht sie hier gewöhnlich in Gesellschaft, und sie ist so reich an feinen und mannigfaltigen Wendungen, daß diejungen Herren, um den Damen Schmeicheleien zu sagen, Inka zu sprechen beginnen, wenn sie die ganzen Schätze des Kastilianischen ausgeschöpft haben.[3]

Auch Pratt führt an, Humboldt habe sich während seines einjährigen Aufenthaltes in Mexiko (1803 – 1804) dem Studium des Nahuatl ausschließlich in den Bibliotheken der Universität und im Kreise der amerikanischen Intellektuellen gewidmet.[4]

Nichtsdestotrotz finden sich in Humboldts Reisetagebüchern immer wieder Passagen, die darauf hindeuten, daß er sich seine Kenntnisse indigener Sprachen nicht nur „aus zweiter Hand“ sondern auch im direkten Umgang mit Indios aneignete. So berichtet er beispielsweise im August 1802 über eine Begegnung mit den Jibaro-Indianern am Rio Magdalena:

Sie fanden selbst ein so großes Vergnügen daran, spanische Worte nachzusprechen, daß sie, wenn man in ihrer Gegenwart sprach, fortgesetzt Wort für Wort das, was man sagte, wiederholten. Sie haben die gleiche Besessenheit, ihre eigene Sprache zu lehren. Beginnt man einmal, ihnen Worte durch Zeichen abzufragen, um ein Vokabular zusammenzustellen, so bestürmen sie einen fortzufahren.“[5]

Die auf diese Weise zusammengetragenen Vokabularien hielt Humboldt in seinem Tagebuch detailliert fest, unter anderem um sie an seinen Bruder Wilhelm weiterzugeben.[6]

III. Rassistische Residuen in der Berichterstattung Alexander von Humboldts

Humboldt hat in seinen Schriften häufig, zum Teil in drastischer Form, Kritik am spanischen Kolonialregime und den „beklagenswerten Zuständen“ in seinen amerikanischen Besitzungen geübt. Eines der markantesten Beispiele dafür stellt sein vehementes Plädoyer gegen die Institution der Sklaverei dar.[7]Die menschenunwürdige Behandlung versklavter Indianer und Schwarzer, die er auf seiner Amerikareise vielfach beobachtete, wurde von ihm immer wieder aufs Schärfste verurteilt und sein Einsatz für die Abschaffung der Sklaverei geht zweifelsohne weit über ein bloßes Lippenbekenntnis hinaus.[8]Besonders hart geht er dabei mit jenen Zeitgenossen ins Gericht die

„[...]mit schönen philosophischen Redensarten im Munde doch die ersten Grundsätze der Philosophie durch ihre Handlungen verleugnen, mit dem Raynal in der Hand ihre Sklaven mißhandeln und mit Enthusiasmus von der wichtigen Angelegenheit der Freiheit redend, die Kinder ihrer Neger einige Monate nach der Geburt verkaufen.“[9]

Ob Humboldt selbst aber den Angehörigen anderer Ethnien wirklich völlig vorurteilsfrei begegnete, ob er sie als gleichwertige und ihm intellektuell ebenbürtige Individuen erlebte, ist eine Frage, die nicht einfach zu beantworten ist. Wie im Folgenden gezeigt werden soll, weisen Humboldts antirassistische Einstellung und seine Berichterstattung oftmals Inkongruenzen auf.

Eine Passage, die häufig zitiert wird, um zu illustrieren, daß der „preußische Adelige“ sich unter allen Klassen der amerikanischen Kolonialgesellschaft wie unter Seinesgleichen bewegt habe, stammt aus einem Brief Humboldts vom 18. November 1799 an Reinhard und Christiane von Haeften. Hier berichtet er von den Bällen der Gesellschaft Cumanás auf denen er „fast alle Tage[...]mit den Negern“ modische Tänze wie„el samba, l´animalito“ tanzte und mokiert sich über die Steifheit der spanischen Sitten. Bemerkenswert ist, daß der in Klammern stehende Zusatz „denken Sie sich den Geruch von 80 schwitzenden Negern in feinem weißen Musselin[10]dabei unterschlagen wird.[11]Es ist aber eben jener Zusatz, der deutlich macht, daß auch bei Humboldt im Umgang mit anderen Ethnien gewisse stereotype Vorstellungen, wie sie sich teilweise bis in die heutige Zeit tradiert haben, diagnostizierbar sind.

Auch in Humboldts Beschreibungen von Begegnungen mit Indios werden solche Tendenzen immer wieder deutlich. Auffallend häufig verwendet er bei diesen Gelegenheiten die Adjektive naiv[12], träge[13]und abgestumpft[14]zur verallgemeinernden Qualifizierung. Gleichwohl ist er stets bemüht, diese „Charaktereigenschaften“ umgehend zu erklären und zu entschuldigen:

„Sie liegen Tag und Nacht herum, wenn die Jagd oder der Feind sie nicht zum Aufbruch zwingen. Aber diese Gleichgültigkeit[...]hat sicherlich nichts mit Stupidität zu tun. Sie zeigt bei ihnen ebensowenig Stupidität an wie der Müßiggang unserer Grandseigneurs oder unserer Gelehrten, die die Erde nicht bebauen, niemals zu Fuß gehen sich bedienen lassen(sic)Die Menschen bewegen sich nur, wenn die Notwendigkeit sie dazu aufruft. Und welche Notwendigkeit besteht für den Freien der Wälder, der sich von Palmfrüchten oder Bananen nährt, die fast von selbst wachsen?“[15]

Man könnte diese Form der Kontextualisierung dahingehend deuten, daß Humboldt sich des latenten Rassismus seiner Wahrnehmung bewußt war. Sie zeigt aber gleichzeitig, daß der Forschungsreisende trotz seiner progressiven Geisteshaltung was sein Indianerbild betrifft in nicht unerheblichem Maße dem Ideal der Aufklärung und romantischen Frühzeit verhaftet war, das den Indio als „edlen Wilden“ naiv, kindlich-reinen Herzens beschreibt, der sich „gleich dem ersten Menschenpaar im Paradies“ von den Früchten der übervollen Natur ernährt.[16]

Gleichwohl muß festgestellt werden, daß Humboldt sich und die Angehörigen seiner Klasse niemals expressis verbis über die autochthonen Amerikaner bzw. versklavten Afrikaner stellt. Die Ansicht, die Situation der Indianer könne dadurch verbessert werden, daß man ihnen die Errungenschaften der europäischen Zivilisation aufzwänge, wurde von ihm nicht geteilt. Vielmehr kritisiert er dahingehende Versuche, wie sie vor allem in den jesuitischen Missionen unternommen wurden, ausdrücklich:

„Die Mönchszucht innerhalb der Klostermauern entzieht zwar dem Staate nützliche Bürger, indessen mag sie immerhin hie und da [...] der geistigen Vertiefung förderlich sein; aber in die Wildnisse der Neuen Welt verpflanzt [...] muß sie desto verderblicher wirken, je länger sie andauert. Sie hält von Geschlecht zu Geschlecht die geistige Entwicklung nieder, sie hemmt den Verkehr unter den Völkern, sie weist alles ab, was die Seele erhebt und den Vorstellungskreis erweitert.“[17]

Man wird daher nicht behaupten können, er sei der indigenen Bevölkerungsgruppe durchgehend mit der eurozentristischen Attitüde der „white men´s burden“ begegnet. Rassistische Residuen in seiner Berichterstattung, wie sie oben beschrieben wurden, sind im Kontext ihrer Zeit zu sehen und zu verstehen.

[...]


[1]vgl. Zeuske 1992, S. 190

[2]Humboldt 1986, Bd. I, S. 33

[3]Humboldt 1999, S. 154

[4]vgl. Pratt 1992, S. 136

[5]Humboldt 1986, Bd. II, S.147

[6]Humboldt 1986, Bd. II, S. 350; siehe auch Faak 1993, S.13

[7]Gartz 2001

[8]vgl. Brann 1954, S. 11

[9]Humboldt 1999, S. 78

[10]Humboldt 1999, S. 41

[11]vgl. z.B. Beck 1959, S. 143

[12]z.B. Humboldt 1999, S. 41

[13]z.B. Humboldt 1985, S. 110

[14]z.B. Humboldt 1986, Bd. II, S. 132 & S. 217

[15]Humboldt 1986, S. 146

[16]vgl. Grossmann 1969, S.53

[17]Humboldt 1985, S.69

Ende der Leseprobe aus 17 Seiten

Details

Titel
Alltagsbegegnungen Alexander von Humboldts mit Angehörigen der kolonialen Unterschicht während seiner amerikanischen Forschungsreise
Hochschule
Universität zu Köln  (Historisches Seminar Abteilung für lateinamerikanische Geschichte)
Veranstaltung
Hauptseminar: "Humboldt in Amerika, 1799 - 1804"
Note
1,7
Autor
Jahr
2002
Seiten
17
Katalognummer
V20011
ISBN (eBook)
9783638240178
ISBN (Buch)
9783638747295
Dateigröße
518 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Alltagsbegegnungen, Alexander, Humboldts, Angehörigen, Unterschicht, Forschungsreise, Hauptseminar, Humboldt, Amerika
Arbeit zitieren
Anita Breuer (Autor:in), 2002, Alltagsbegegnungen Alexander von Humboldts mit Angehörigen der kolonialen Unterschicht während seiner amerikanischen Forschungsreise, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/20011

Kommentare

  • Noch keine Kommentare.
Blick ins Buch
Titel: Alltagsbegegnungen Alexander von Humboldts mit Angehörigen der kolonialen Unterschicht  während seiner amerikanischen Forschungsreise



Ihre Arbeit hochladen

Ihre Hausarbeit / Abschlussarbeit:

- Publikation als eBook und Buch
- Hohes Honorar auf die Verkäufe
- Für Sie komplett kostenlos – mit ISBN
- Es dauert nur 5 Minuten
- Jede Arbeit findet Leser

Kostenlos Autor werden