Soziologische Fragen zum Göbekli Tepe

Ein Diskussionspapier


Wissenschaftlicher Aufsatz, 2012

45 Seiten


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Vorbemerkung

Soziologische Fragen zum Göbekli Tepe
Zeitlicher Rahmen:
Initiation:
Urkommunismus:
Kognition:
Sprache:
Mythen:
Krieg, Revolution:
Eiszeit:
Metamorphose:
Gentilgemeinschaft:
Bautechnik:
Kunst:
Das Ende:

Benutzte Literatur

Inhaltsverzeichnis von: Marx, Engels und

Vorbemerkung

Der vor fast 12.000 Jahren gebaute Kultbau am Göbekli Tepe in der südöstlichen Türkei nahe Urfa/ Sangliurfa wird in meinem Buch „Marx, Engels und die Teilung der Arbeit, Materialien zur Gesellschaftstheorie und Geschichte, 10. Ausgabe“ als Exkurs behandelt; den gebe ich hier wieder. Marx und Engels stellten 1845 ein soziologisches Modell der sozialen Evolution vor. Darin werden auch die urgeschichtliche Entwicklung des Menschen und später auch die der Familienformen thematisiert. Bekannt ist in diesem Zusammenhang der Begriff des Urkommunismus als frühe Lebensform, in der esjedenfalls noch keine Herrschaft geben konnte, sonst wäre es kein Kommunismus. Auf Marx und Engels wird hier aber nur beiläufig eingegangen. Eher stellt sich die Frage, wie weit der Blick auf rezente Urvölker weiterführt, um historische Gemeinschaften zu erkennen, die Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts untersucht wurden. Und es gilt, die Entstehung des Denkens in Onto- und Phylogenese zu berücksichtigen.

Beim Bekanntwerden der Funde am Göbekli Tepe durch die Arbeit Klaus Schmidts „Sie bauten die ersten Tempel...“ (2008) ergab sich die mutmaßliche Existenz einer bis dahin nicht gesehenen menschlichen Epoche, in der offenbar nicht-seßhafte Gruppen, Sammlerinnen und Jäger, einen riesigen Kultbau errichten konnten - wenn nicht Seßhaftigkeit schon früher entstand als heute angenommen wird.

Der Kultbau am Göbekli Tepe besteht aus einer Reihe von Steinkreisen mit etwa 20 Meter Durchmesser. Die (leicht ovalen) äußeren Felssteinmauern werden gestützt von einer Reihe gut zwei Meterüber den Boden ragender Pfeiler, die durch ein Kopfstück (T-Pfeiler) und zum Teil durch eingemeißelte „Arme“ deutlich als „menschlich“ gekennzeichnet sind. Es handelt sich offenbar um religiöse Symbole. Solche im Übergang von Animismus und Magie zur mythischen Göttervorstellung? In der Mitte jeden Kreises, von denen bisher vier ausgegraben wurden, steht ein größeres, bis gut fünfMeterüber den Boden aufragendes, vielleicht Frau und Mann darstellendes Götter-Paar. Die bis gut zwölfTonnen schweren T-Pfeiler zeigen Bildhauereien hoher Qualität, meist gefährliche Tiere, aber auch tanzende Kraniche, die möglicherweise SchamanInnen darstellen.

Die Ausfertigung dieser Kreise, von den großen Pfeilern bis hin zur bildhauerischen Kunst, konnte wohl nur von einer bereits arbeitsteilig organisierten sozialen Gruppierung geleistet werden. Arbeitsteilung, und als deren Ergebnis Eigentum, könnte wiederum auf soziale Schichtung verweisen; womöglich auf Herrschaft? Welche Gesellschaftsstruktur mußte es gegeben haben, welche Formen des Denkens und Sprechens ausgebildet sein, um den Bau zu errichten? Eine simpel strukturierte Gruppe von WildbeuterInnen war dazu weder geistig noch körperlich imstande.

Grundlagen meiner Vorstellungen zur menschlichen Kognition finden sich in der Hauptarbeit in Kürze skizziert; Kapitel „Mensch im Werden“, darin ab „Klassenkampf im Paradies?“. Ich gebe hier das Kapitel „> Initiationstempel Göbekli Tepe“ unverändert wieder, einige Hinweise auf die Hauptarbeit lassen sich problemlosüberlesen. Meine Überlegungen zum Denken früher Menschen sind noch nicht abgeschlossen, es ist gegebenenfalls in späteren Auflagen oder auch eigenständig daran anzuschließen; Hinweise und Kritiken sind willkommen. Die genannte Hauptarbeit ist in der neuesten Version frei unter www.LarsHennings.de zu laden.

Soziologische Fragen zum Göbekli Tepe > Initiationstempel Göbekli Tepe

In diesem Exkurs sollen einige primär soziologische Fragen zur Lebenswelt vor 12.000 Jahren angesprochen werden, um der Frage nach dem Urkommunismus in der Vorstellung Marx‘ und Engels [4]weiter nachzuspüren.1 Meine wichtigste Frage ist: Wie lebten und vor allem wie dachten die Menschen vor 12.000 Jahren. Dies am konkreten Beispiel des Göbekli Tepe tun zu können, zwingt ebenso zur Konkretion wie zur Spekulation. Es geht nicht darum, ein archäologisch interpretiertes Bauwerk neu zu bewerten, wenn es auch kleine Überschneidungen gibt.2 Allerdings will ich beispielsweise die archäologische Spekulationüber einen Totentempel mit derüber einen Initiationstempel konfrontieren und die Vorstellung einer konkreten Revolution hinterfragen. Vor allem sollen aber Fragen gestellt werden. Dabei kann auchüberlegt werden, wieweit Spekulationen in der Wissenschaft gehen können. Überwiegend bleibe ich aber im Rahmen dessen, was die Fachwissenschaft vorgibt, deren Vorschläge der Interpretation viel tiefer im Wissenüberjene Zeit begründet sind. Einerseits soll von den archäologischen Kenntnissenüber die frühen Menschen im Nahen Osten und in Europa her eingeengt werden, um was für Leute es sich gehandelt haben mochte, die ein solches Bauwerk schufen, andererseits vom Wissenüber die Onto- und Phylogenese des Denkens. Welche Bedingungen mußten erfüllt sein, um eine solche Leistung zu erbringen, technisch wie geistig, welche sozialen und religiösen Veränderungen sind dort vorstellbar? Verstehen wir dazu die am Kultbau gefundenen abstrakten Zeichen als mnemotechnische Symbole, bildhafte Gedächtnisstützen, die zusammen mit den Tierdarstellungen injener Zeit Wiedererkennbares für die Menschen waren, eine Vorform der Schrift, die vielleicht verschiedene Gruppen bezeichnete,3 dann kommt am Göbekli Tepe eine ausgeprägt kulturelle Welt zum Vorschein.4 Dabei stelle ich die („marxistische“) Frage nach der Produktion, zu der die nach dem Beginn der bäuerlichen Seßhaftigkeit gehört, ein wenig hinten an. Der Überbau, die Religion, hat vielleicht die Hauptrolle gespielt. Bis zu diesem Zeitpunkt prägten einige zehntausend Jahre Wildbeuterei die Produktion. Das sagt zur Geschichte nicht viel aus, wenn wir diesen Zeitraum nicht weiter differenzieren können. Wir kommen auch zu einigen Punkten, die langsame Änderungen in den Produktivkräften anzeigen, etwa Werkzeug für die Bildhauerarbeiten, große Meißel, Hämmer, Hebel, lange feste Taue. Und die Planung der Kulträume selbst gilt es zu bedenken! Wer sie ersann sollte keine (Wohn-) Gebäude kennen? Sind nicht die äußeren T-Pfeilerjenseits der geistigen Bedeutung schlicht Pfosten, die Mauern stützen? Es gibt bei viel jüngeren traditionalen Gruppen Gebäude, wie die vielfältigen Langhäuser, die nach diesem Bauprinzip errichtet wurden: die mittleren T-Pfeiler sind dann die Hauptdachstützen (etwa bei den Mandan am Missouri mit vier Mittelpfosten). Auch Ausgräber Schmidt sieht das, kommt aber nachvollziehbar am Göbekli Tepe zu offenen Kulträumen. Aus dem primitiven Zustand von Wildbeuterinnen heraus konnte dieser Kultbau kaum entstehen. Nicht nur die Kenntnis eines „Hauses“ halte ich für eine Vorbedingung der Planung, zuvor mußte eine deutliche sozialstrukturelle Veränderung begonnen haben und Arbeitsteilung entstanden sein. „Klassenkampf“ und akute „Revolution“ gegenüber der strukturellen Neolithischen Revolution Childes, wie ich es oben mit Schmidt beschrieb, erkenne ich dabei nicht so recht, seit ich mich intensiver mit dem Denken zujener Zeit beschäftige. Das Basis-Überbau-Modell - als wichtiges Thema meiner Arbeit - gilt es stets mit zu bedenken. Die Betrachtungüber den Göbekli Tepe bietet, wenn wir das Modell im nächsten Kapitel genauer kennenlernen, die Basis für eine plastische Vorstellung davon, wie es anwendbar ist. Ob dieses Modell heute noch erste Wahl sein sollte, ist eine andere Frage. Sehen wir uns diesen eigenartigen Bau und dessen Interpretation also von einem gewissen Abstand aus einmal an, um sehr frühe Gemeinschaft von allen Seiten her besser zu verstehen. Immer muß es einmal eine empirische Bestätigung geben, bevor ein bestimmter Sachverhalt festgestellt werden kann. Ich rede nicht einer generellen matriarchalen Stufe der Menschheit das Wort, sage ich noch einmal, obwohl ich beim Wandel der Religion und der sozialen Strukturen auch die Möglichkeit bedenke, es könne in der Urzeit zumindest hier oder da eine funktional begründete Zeit relativ gleichberechtigter Frauen gegeben haben. Jedenfalls gab es wohl auch kein „natürliches“ Patriarchat von Anbeginn an, sonst wären diejenigen Mythen nicht zu verstehen, die auf einen Umschwung der Stellung der Frau hinweisen.

Zeitlicher Rahmen:

Vorab ein weiter Blicküber Land und Zeit, um die Situation zu skizzieren, von der ausgegangen wird: um vor 25.000 Jahren, stellenweise weit früher, lebte der Homo sapiens von den Pyrenäen bis Sibirien bereits in sozialen Verhältnissen, die Handel und regelmäßige Bestattungen kannten; beides können Zeichen für eine soziale Differenzierung sein, für ein neues Denken gegenüber schlichterem Wildbeutertum ebenso. Lange zuvor schon hatte der moderne Mensch im Nahen Osten Fuß gefaßt,über den er von Afrika kommend nach Norden zog. Nur zwischen diesen Gebieten, in Nordmesopotamien (und im südlichen Mesopotamien), scheint es bis vor etwa 14.000 Jahren keine Anzeichen für eine Besiedlung zu geben, aus der heraus der Bau des Göbekli Tepe nachvollziehbar ist. Die Studien, die ich ansah, beginnen dort „irgendwie“ mit der Proto-Neolithisierung zu dieser Zeit. Die Wanderungen aus dem Süden haben sich wahrscheinlich in Nordmesepotamien zuerst weiter nach Nordosten gerichtet, zum Schwarzen Meer und zum Kaukasus, weniger nach Anatolien. Vielleicht weil Herden diese Route nahmen. Die historische Sprachforschung sieht Anhaltspunkte dafür. Grundlage des Lebens damals ist Sammeln und Jagen, das normalerweise kaum Spuren hinterläßt. Die gibt es im westlichen, wärmeren Teil Europas, wo es möglich war, in Höhlen beziehungsweise unter Felsvorsprüngen als Wohnstätten zu leben; im europäischen Osten werden Langhäuser zum Beispiel aus Mammutknochen errichtet, oder Grubenhütten gebaut, im Nahen Osten ebenfalls Höhlen und einfachste Grubenhütten früh genutzt. Es wird von generell temporären Unterkünften ausgegangen, weil Jagd oder saisonales Klima es nötig machten, Herden zu folgen, Fische und Muscheln zu finden und bestimmte Pflanzen aufzusuchen. Zum Teil scheint im Südwesten Europasüber lange Zeiträume von ständigen Wohnstätten aus die Sicherung der Ernährung möglich gewesen zu sein. Die Lebensbedingungen in Nordmesopotamien und Anatolien waren angesichts ihrer geografischen Lage fast gleichaufmit den Pyrenäenjedenfalls wohl nicht ungünstiger als dort. Möglich ist eine weitgehende Neubesiedlung Westeuropas am Ende der Eiszeit von den Pyrenäen aus, wohin sich viele Menschen vor der Kälte der Eiszeit zurückgezogen hatten. Es heißt, dort sei es zum Ende der Eiszeit zu einer deutlichen Erhöhung der Bevölkerungszahl gekommen; eine solche Entwicklung könnte um den Göbekli Tepe in Richtung Seßhaftigkeit gedrängt haben, weil der Raum für Wildbeuterinnen zu knapp wurde. Dann, ab vor etwa 14.000 Jahren, beginnt nun ausgerechnet im Nahen Osten und in Nordmesopotamien die Proto-Neolithisierung, wie Funde von Hütten und Getreideanbau zeigen. Aber wer begann diese neue Lebensform, was waren das für Gemeinschaften, die - nach heutigem Wissen - nur 2.000 Jahre danach mit den Großbauten Göbekli Tepe und Jericho einen Paukenschlag der Zivilisation erklingen ließen? Gehörten beide Orte mit ihren großen Felssteinmauern zusammen, trotz der Entfernung und unterschiedlichen Lebensbedingungen? An einem Ort entsteht ein Kultbau, gibt es reichlich Gazellen und Wildgetreide, am anderen ermöglicht wenig später eine starke Quelle in wüstenartiger Umgebung die Siedlung mit Hütten, Getreideanbau und Handel. Der dortige Turmbau wurde auf älteren Hüttenstandorten errichtet. Seine Nutzung ist unklar, ein Heiligtum scheint heute wahrscheinlicher als die biblische Stadtbefestigung, die einst mit Posaunen zum Einsturz gebracht wurde. (Jos 6) Dort werden die ersten bekannten getrockneten Lehmziegel verbaut. Der Handel mit Salz und Bitumen brachte Reichtum. (Roaf, 1998: 31ff)Es gab also Nahrungsüberschüsse, die erst das Bauwerk dort möglich machten, weil die Arbeiter damit ernährt werden konnten. Die Ernährung mußte auch am Göbekli Tepe irgendwie als Gruppe geregelt worden sein. Wir werden sehen, daß abgesehen von der Größe und den gediegenen T-Pfeilern dieses Bauwerk sonst keine besonderen Aspekte zeigt. Es paßt injene Zeit, das gilt auch für die kleineren künstlerischen Werke dort. Nur die ausdrücklich abstrakt geformten Symbole von Göttern, die in den T-Pfeilern wohl zu sehen sind (nicht einfach nur simpel hergerichtete Werkstücke), habenüber den Umkreis der Kultgemeinschaft am Göbekli Tepe hinaus keine bekannte Parallele. Vor etwa 10.000 Jahren nimmt in beiden Regionen die Seßhaftigkeit in großem Umfang ihre Gestalt an. Auch wenn bereits vor dem Baubeginn faktisch die Eiszeit langsam zu Ende geht, Flora und Fauna bessere Bedingungen finden - die Entwicklung bleibt unverstanden, solange es nicht eine nachvollziehbare Erklärung der Prozesse hin zu diesen Ereignissen gibt. Wie entstand die Besiedelung, wiejene Bevölkerung, die den Göbekli Tepe erschaffen konnte, auf den ich mich konzentriere? Gab es als Grundlage dieses Baus auch dort Handel, wie in Jericho, aber mit Feuersteinen und vielleicht dem harten und scharf absplitternden Obsidian vom nahen Vulkan? Brachten Zuwanderungen neue Ideen oder differenzierte sich die dort bereits lebenden Bevölkerung aus,über die derzeit nichts bekannt ist? Keine Höhlen, keine Bilder; oder wurde dort nur nicht hinreichend gesucht? Die folgende Besprechung basiert auf der Vorstellung einer bestehenden Besiedlung Nordmesopotamiens von zuerst einfachen

Wildbeuterinnen, die sich vor der beginnenden Proto-Neolithisierung bis zum Bau des Göbekli Tepe deutlich weiter zu entwickeln begann, hin auch zu ausgeprägter prä­operationaler Kognition und Sprache. Obwohl Zuwanderung als Ursache großer Veränderung nicht auszuschließen ist, gehen meine Überlegungen also primär von einer Entwicklung im Sinne sich selbst verändernder sozialer Prozesse aus.

Initiation:

Der Hinweis auf die Initiation am Göbekli Tepe ist ein wenig provokativ. Eine solche Nutzung scheintjedoch derzeit nicht weniger plausibel begründet zu sein wie ein Totentempel, von dem Schmidt spricht. Er meint das nicht zuletzt deshalb, weil Frauensymbole dort fehlen, die fürjene Zeit als Symbole der Fruchtbarkeit erwartbar sind. (2008: 122; und die unter dem Schuttberg noch gefunden werden können) Aber: es gibt Phallus-Symbole am Göbekli Tepe, als Skulptur und Relief, dazu eine Menschen- und eine Tierskulptur mit deutlich erigiertem Penis! (Schmidt, 2008: 97, 111, 113, 129, 159) Die häufigen Fuchsdarstellungen sind ebenso fast immer ausgeprägt männlich. (185) Auch in der verwandten Kultur in Nevali Çori seien später unter denjüngeren kleinen Figurinen „wahrscheinlich“ viele mit erigiertem Penis. (80) War also der Kultbau am Göbekli Tepe ein heiliger, bedrohlicher Ort, an dem aus Jungen Männer erzeugt wurden, von Männern? Die durch die Mütter geborenen nur irdischen Feiber wurden in solchen Riten bei vielen Urvölkern geistig neu geschaffen, wurden männlich. Eine „soziale Geburt“ durch die Väter gab es in Sparta der klassischen Zeit und noch bei den Germanen, bei der die Neugeborenen von ihnen angenommen oder getötet wurden. Initiationsriten sind zum Teil mit großen Schmerzen durch Beschneidung und Subinzision (Harnröhrenaufschnitt) verbunden, auch Fasten, erzeugte Halloziationen und dergleichen konnten dazugehören; die Beschneidung bei Juden und Moslems ist nichts anderes (Jos 5). Solche Einführungen in die Erwachsenenwelt gab es für Frauen offenbar seltener, waren oft aber noch schmerzhafter und ausgesproch ungesund, wenn die Klitoris entfernt und womöglich die Scheide vorerst bis auf einen Urinauslaß zugenäht wurde; ab wann dies vorkommt ist unbekannt. Die Stoßrichtungen sind sehr unterschiedlich: die Mädchen werden zur „Ware“, die „unbefleckt“ vom Vater an den Bräutigamübergeben werden soll.

Es muß für den Kultbau nicht nur eine einzige Verwendung angenommen werden - eine Kirche eben. Von den weiblichen Symbolen, wie sie in der frühen Steinzeit in den Frauen-Figurinen bekannt waren, gibt es keine erkennbare Tradition zum Göbekli Tepe; die meisten Figurinen sind mindestens 20.000 Jahre alt. Doch dann finden sich ähnliche Frauendarstellungen in Nevali Çori 1.000 Jahre und in Çatal Hüyük 2.000 Jahre nach dem Baubeginn des Göbekli Tepe wieder, nur an diesem Kultbau gibt es keine solchen Symbole der Fruchtbarkeit. Sind nicht auch männliche Fruchtbarkeitssymbole denkbar, etwa die am Göbekli Tepe gefundenen Phallus­Darstellungen und die mögliche Darstellung von Götter-Paaren? Schmidt hält es (vorsichtig) für möglich, die „neolithischen Hieroglyphen“, die sich auf dem bisher größten der paarweise in der Raummitte stehenden T-Pfeiler finden (Anlage D), stünden für ein weibliches Symbol, (172) da dessen geringfügig kleinerer (!) Nachbar durch ein Bukranium (Stierkopf mit Hörnern) bezeichnet ist, was möglicherweise als männlich gemeint gewesen sei. Ein göttliches Paar aus Frau und Mann in der Mitte dieser Rundbauten - wie auch in Nevali Çori - enthielte als Symbol ebenfalls so etwas wie das Thema der Fruchtbarkeit. Es ließe sich beim Heraustellen eines Paares gegenüber einem früher vielleicht egalitären Geisterklub zudem an den Umschwung einer matrifokalen zur patrifokalen Lebensweise denken, was ebenso zu einer Stätte der männlichen Initiation passen würde. Das Männliche hat an Einfluß gewonnen; noch in Urmythen Sumers scheint diese Aussage enthalten. Aber ebenso kann die Zeugung der Welt und der Menschen durch einen einzelnen Mann mit einem Phallus oder nur durch letzteren symbolisiert werden, wie Jahrtausende später manchmal noch die Zeugung ohne Frauen in Mythen betont wird; oder auch mal andersrum: Maria. Im sumerischen Schöpfungs-Mythos vom Paradies Tilmun macht der Gott Enki mit seinem Samen das sumpfige Land fruchtbar, bevor er mit seiner Gemahlin Ninhursag Kinder zeugt. (Grimal, 1977-1: 92) Der ägyptische Schöpfergott Atum schuf die nächste Göttergeneration durch Onanieren, (44) der hurritische Kumarbi zeugt einen Sohn mit einem Felsen, aus Sperma entstand noch die göttliche Aphrodite. In der französischen Höhle von Le Tuc d‘Audobert finden sich Fußabdrücke von (männlichen?) Kindern aus der Zeit des Magdalenien vor 20.000 - 12.000 Jahren, die um einen Phallus herum tanzten; auch Reste von Flöten ausjener Zeit wurden in solchen Höhlen ausgegraben und verweisen aufFeiern. Bei Höhlen der Frühzeit ist ebenfalls von Initiationsriten ins Erwachsenenleben die Rede, die oft mit Situationen der Angst, das heißt zugleich, des Mutes, zu tun hatten. (Burenhult, 2004: 114ff) Auch Schmidt denkt kurz an diesen Zweck. Die gefährlichen Tiere am Göbekli Tepe repräsentierten dann womöglich die Männerwelt. Ebenso ist vonjener Vorstellung her, das Leben der Frauen sei sehr früh durch die Machtverhältnisse von den Männern bestimmt worden, (Dux) verständlich, eher einen „Männertempel“ zu erkennen, einen mit männlichen Fruchtbarkeitssymbolen.

Könnten die um das neue, das nun führende Götter-Paar herumstehenden kleineren T-Pfeiler vielleicht eine abgelöste ältere Geister-Generation symbolisieren?

Bezeichnen die bildhauerischen Darstellungen aufihnenjeweils ihren Aufgabenbereich? Schmidtüberlegt ähnliches hinsichtlich nur der kleineren eingemeißelten Hieroglyphen. (226) Die wachsende Bedeutung einzelner Göttinnen ist ein bekannter mythischer Vorgang, wie beim babylonischen Marduk bis hin zu Zeus, der gleich eine ganze Gruppe auf dem Olymp anführt. Jedenfalls scheint es ein männlich geprägter Tempel gewesen zu sein; erst in jüngeren Grabungsschichten findet sichjahrtausende später eine Frau als - bisher ganz untypische, eher an Graffiti denken lassende - Ritzzeichnung. Ein früher Schritt weiterer Individuation und eine neue Weltsicht, die ein göttliches Paar gegenüber unspezifischem Geisterglauben ausdrücken könnte, läßt sich aber ebenso in Richtung verschiedener Totenrituale weiterdenken: nun sterben nicht nur bloß (irgendwelche) Sippenmitglieder, sondern den Hinterbliebenen nahestehende Personen gehen zu den Ahnen. Sie individuell zu erhalten, vielleicht dies in ihren mit Gesichtern aus Gips nachgeformten Schädeln zu ritualisieren, wie sie im wenig später begonnenen Jericho und an anderen Orten gefunden wurden, scheint nachvollziehbar; bisher wurden am Göbekli Tepe keine entsprechenden Funde gemacht. Eine solche Verehrung im Tode durch die Lebenden könnte erstmal nur den „Großen“ der Gruppe entgegengebracht worden sein: Frauen und Männern, Männern mit ihren Frauen? Initiation wie Totenkult verweisen auf ein Nachdenkenüber den einzelnen Menschen, welches sehr schlichte frühe WildbeuterInnen vielleicht noch nicht kannten. Schmidt hält auch den Turm in Jericho nicht für eine Stadtmauer, sondern eher für ein Heiligtum, (wie in Burenhult, 2004: 232)

Urkommunismus:

Was war die Zeit eines Urkommunismus? Oben sprach ich vom Zeitraum von 40,000 bis vor 15,000 Jahren, in der er schemenhaft sichtbar würde, in der Form zwischen der Lebensweise von Schimpansen und einfachen rezenten Urvölkern, Marx und Engels äußern sich zu diesem Thema nur beiläufig und sehr allgemein, Bei Engels sind soziale Strukturen, wie Morgan sie bei den weitgehend seßhaften Irokesen noch schildert, wo abwählbare Führungspersonen in Gremien/ Räte eingebunden waren, offenbar noch als urkommunistisch vorstellbar, das gilt ähnlich für Marx, der mal von indischen Dörfern in diesem Sinn spricht, also ebenfalls nicht mehr von WildbeuterInnen; gemeint war wohl eher ein Gemeineigentum als Grundlage der Gemeinschaften (wie sie es noch - ein bißchen - in den Dörfern Rußlands sahen), Wenn der Begriffüberhaupt Sinn machen soll, muß er heute wohl auf primitive WildbeuterInnen bezogen bleiben, Und es ist im Urkommunismus zumindest ein halbwegs ausgeglichenes Machtverhältnis zwischen den Geschlechtern zu unterstellen, so etwas wie die Engelssche „Weiberherrschaft“ im Haus beziehungsweise im Lager der Sammlerinnen und Jäger, Ein Urkommunismus müßte wohl auch aus dieser Sicht deutlich vor dem Göbekli Tepe zuende gegangen sein, der nur von einer nennenswerten sozialen Organisierung errichtet werden konnte und eine relativ weitgehende und arbeitsteilige Gemeinschaftstruktur voraussetzte, dieüber das, was ein so verstandener Urkommunismus sein könnte, hinausgeht, Herrschaft scheint denkbar, Besser ist der Verzicht auf diesen Begriff, der so etwas Trautes, Paradiesisches transportiert, Er stand bei Marx und Engels 1845 wohl nur metaphorisch dafür, es gäbe einen Übergang vom Tier zum Menschen, es gäbe eine soziale Evolution, Seit wann gab es Häuser? Das ist eine interessante Frage auch für die Beurteilung des Göbekli Tepe, da meiner Ansicht nach deren Erbauer welche gekannt haben, bevor sie ihn planten; dazu unten mehr, Aus der Zeit des Natufien der Levante ab vor 14,500 Jahren sind Fundstellen von Gebäuden bekannt, Loaf spricht von „festen Siedlungen“, da zum Kornmahlen (von Wildgetreide) schwere Geräte, wie Mahlsteine, benutzt worden seien, Bewohnt worden seien sie entweder „ganzjährig oder nur zu bestimmten Zeiten“, In Ain Mallalah nördlich des Sees Genezareth betrug der Durchmesser der Hütten 3,5 bis 5,0 Meter, dort lebte eine „Gemeinschaft von 200 oder 300 Menschen“ wahrscheinlich ganzjährig; gefunden wurden auch Gräber unter den Fußböden und außerhalb der Hütten, (1987: 30) Markante Bauten entstanden allerdings bereits viel früher, wenn auch nur weit entfernte bekannt sind, Von vor etwa 25,000 Jahren stammen in Kostenki (Ukraine) große, etwa zwölf Meter lange Unterkünfte aus Mammutknochen (wohl bedeckt mit Fellen; Langhaus); dort wurden besonders viele Frauen-Figurinen gefunden, Eine andere Siedlungsform mit teilsüber flachen Gruben errichteten Hütten gab es vor 28,000 Jahren in Dolni Vestonice (Tschechei), Dort fand sich ein Brennofen für Tonfiguren, (88) Wurden Frauen-Figurinen, die in weit von einander entfernten Regionen gefunden wurden, für den Export gebrannt?

[...]


1 Dieser Text hat gegenüber dem Buch, dessen Teil er ist, und das für junge Leute verständlich sein soll, eine gewisse Eigenständigkeit und kann allein verstanden werden; wenige Hinweise auf das Buch sindüberlesbar.

2 Es geht mir hier in keinster Weise um Kritik an Schmidt, dessen Arbeit von ganz anderen Voraussetzungen bestimmt wird, als meine soziologischen Fragen, die notwendig - schon wegen der nicht hinreichenden Kenntnisse der Frühgeschichte - vage bleiben müssen, die Antworten erst recht.

3 Wird die mehrere tausend Jahre lange Entwicklung der ersten Texte von Uruk bis zum von den Griechen von den Phöniziernübernommenen Buchstabenalphabet bedacht, kann ein Rückdenken zu ersten Anfängen nochmals tausende von Jahren zuvor nicht mehr als abwegig erscheinen, wobei nicht von direkter Kontinuität ausgehbar ist. Aber warum sollte ein solches Prinzip nicht schon dort seine Wurzeln haben, es gabja auch sehr früh schon Handel, wie in Çatal Hüyük gefundene Objekte zeigen.

4 Mit rezenten Völkern, die auch heute immer mal wieder von der Luft aus im Regenwald „entdeckt“ und fotografiert werden, wie sie mit Pfeilen den Hubschrauber beschießen, hat die Situation am Göbekli Tepe kaum etwas zu tun, selbst wenn diese kleinen Stämme sich Hütten bauen, die es vielleicht am Göbekli Tepe noch gar nicht gab, oder doch?

Ende der Leseprobe aus 45 Seiten

Details

Titel
Soziologische Fragen zum Göbekli Tepe
Untertitel
Ein Diskussionspapier
Autor
Jahr
2012
Seiten
45
Katalognummer
V199727
ISBN (eBook)
9783656260455
ISBN (Buch)
9783656261193
Dateigröße
603 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
soziologische, fragen, göbekli, tepe, diskussionspapier
Arbeit zitieren
Dr. Lars Hennings (Autor:in), 2012, Soziologische Fragen zum Göbekli Tepe, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/199727

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