Inklusion von Menschen mit geistiger Behinderung am Arbeitsplatz vor dem Hintergrund der UN-Konvention für Behindertenrecht

Die aktuelle Beschäftigungssituation in den Werkstätten für behinderte Menschen (WfbM) und ein Ausblick in die Zukunft


Bachelorarbeit, 2012

53 Seiten


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Teilhabe und Arbeit bei Behinderung
2.1 Teilhabe, Integration und Inklusion
2.2 Historische Ansichten zur Teilhabe behinderter Menschen
2.3 Die Funktion und Bedeutung von Arbeit
2.3.1 Arbeit als (Erwerbs-) Tätigkeit
2.3.2 Die soziale Bedeutung von Arbeit

3. Werkstätten für behinderte Menschen (WfbM) im Überblick
3.1 Geschichtliche Entwicklung der Beschäftigung von Menschen mit geistiger Beeinträchtigung
3.1.1 Der Umgang mit behinderten Menschen im Laufe der Geschichte
3.1.2 Erste Arbeitseinrichtungen für Menschen mit geistiger Beeinträchtigung
3.1.3 Die Etablierung der ersten Werkstätten
3.2 Der heutige Entwicklungsstand der Werkstätten
3.2.1 Zahlen und Fakten
3.2.2 Aufnahmekriterien

4. Das Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen in Bezug auf Teilhabe am Arbeitsleben
4.1 Grundsätzliches zur UN-Konvention
4.2 Teilhabe am Arbeitsleben nach §27 der UN-Konvention
4.2.1 Recht auf Arbeit (in einem inklusiven Umfeld)
4.2.2 Recht auf Erwerb des Lebensunterhalts
4.2.3 Anforderungen an den Arbeitsmarkt
4.3 Umsetzung der UN-Konvention in Deutschland durch den Nationalen Aktionsplan (NAP)

5. Kritische Reflexion der Werkstätten im Hinblick auf Teilhabe am Arbeitslebenin Bezug auf die UN-Konvention
5.1 Förderung des Übergangs auf den ersten Arbeitsmarkt
5.2 Stellenwert und Förderung von Arbeit in den Werkstätten
5.3 Lösungs- und Reformansätze zur besseren Förderung der Teilhabe am Arbeitsleben

6. Fazit

Literatur

1. Einleitung

Werkstätten für behinderte Menschen (WfbM) gehören in Deutschland nach wie vor zu denbestetabliertenund bekanntesten Institutionen im Bereich der Hilfeleistungen für Menschen mit Behinderung und dabei insbesonderefür den Personenkreis der Menschen mit geistiger Beeinträchtigung. Die Institution der Werkstatt gilt dabei als sehr typisch für die deutsche Behindertenhilfe, denn es handelt sich um ein stark etabliertes, institutionalisiertes System, das in anderen Ländern in der Form weniger verbreitet und damit exemplarisch für die deutsche Hilfelandschaft ist, die immer noch sehr stark von Sondereinrichtungen mit aussonderndem, „beschützendem“ Charakter dominiert wird.

Doch eben diese Stellung alsSondereinrichtung könnte für die künftige Entwicklung der Werkstätten-Landschaft zum Problem werden, denn es kommt eine neue Herausforderung auf die Behindertenhilfezu, die Sondereinrichtungen in naher Zukunft möglicherweise infrage stellen und auf jeden Fall deren zukünftige Entwicklung prägen wird: Das von den Vereinten Nationen (United Nations, Abk. UN) verabschiedete Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen („Convention on theRightsofPersonswithDisabilities“), vereinfacht UN-Behindertenrechtskonvention genannt, wurde verabschiedet, um die Rechtslage für Menschen mit Behinderung zu verbessern und Menschenrechtsverletzungen vorzubeugen, von denen Menschen mit Behinderung besonders bedroht sind(vgl. Rothfritz 2010). Zu diesem Zweck werden erstmals wichtige Grundrechte für Menschen mit Behinderung in noch nie dagewesener Form und Deutlichkeit als Menschenrechte verankert, dabei auf behinderungsspezifische Probleme abgestimmt ausformuliert und für alle Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen verpflichtend eingeführt. Auch das Recht auf Arbeit wird dabei formuliert und bekräftigt. Inwiefern dies nun Auswirkungen auf die einzelnen Einrichtungstypen der Behindertenhilfe haben wird, ist noch umstritten – sicher ist aber, dass die Konvention die Zukunft des gesamtenBehindertenhilfe-Systems prägen wird, und das insbesondere in Deutschland, wo, wie erwähnt, immer noch stationäre, institutionelle Einrichtungen das Bild prägen und die Hilfeleistungen häufig als starr, unflexibel und stark aussondernd kritisiert werden und in den vergangenen Jahrzehnten auch nur wenig spektakuläre Reformen durchgeführt werden konnten. Der Weg, den Menschen insbesondere mit geistiger Beeinträchtigung hierzulande gehen, ist nach wie vor in den meisten Fällen von Anfang an institutionell vorgezeichnet: Wenn man schon als Kind in eine Förder- oder Lernhilfeschule gerät, hat man in der Regel wenig Möglichkeiten, das Aussonderungssystem früher oder später zu verlassen – stattdessen folgt auf die Lernhilfeschule der Berufsbildungsbereich, der sich bereits in der Werkstatt für behinderte Menschen befindet, und dann dieArbeit in der Werkstatt selbst; ein Wechsel auf dem ersten Arbeitsmarkt ist kaum möglich. Auch bei der Wohnsituation sieht es wenig besser aus – geistig beeinträchtigte Menschen leben immer noch überwiegend bei ihren Eltern, und wenn nicht dort, in ganz klassischen stationären Wohnheimen, aber nur selten selbstständig oder in ambulant betreuten Wohneinrichtungen. In einigen anderen Ländern Europas lassen sich bereits wesentlich erfolgreicher umgesetzte Konzepte zur Auflösung der Sondereinrichtungen und Integration behinderter Menschen in gemeinschaftlich von Menschen mit und ohne Behinderung genutzte Einrichtungen beobachten; so etwa die Auflösung des Sonderschulsystems und die Integration lernbehinderter Kinder in die Regelschulen in Ländern wie Italien und Schweden oder die Integration behinderter Menschen in gemeinsam von behinderten und nicht behinderten Menschen genutzten Wohnquartieren in England durch das „Community Care“-Konzept. In Deutschland sind solche Reformen bislang kaum geschehen.

Die Aufgabe von Hilfeeinrichtungen für Menschen mit Behinderung ist es, Teilhabe zu ermöglichen, wobeiden Werkstätten die spezielle Aufgabe zukommt, Teilhabe am Arbeitsleben zu ermöglichen. Mit diesen Überlegungen verbindet sich deshalb das Interesse, im Rahmen dieser Arbeit zu klären: Was bedeutet Teilhabe am Arbeitsleben undinwiefern werden Werkstätten für behinderte Menschen im Anbetracht der UN-Behindertenrechtskonvention ihrer Aufgabe gerecht, Menschen mit Behinderung Teilhabe am Arbeitsleben zu ermöglichen?

Meine Hypothese ist dabei, dass Sondereinrichtungen der Behindertenhilfe ihrer Aufgabe, Teilhabe am Arbeitsleben zu ermöglichen, nur ungenügend nachkommen und mit Blick auf die UN-Konvention für Behindertenrecht eigentlich als nicht mehr zeitgemäß anzusehen sind und reinrechtlich keinen Bestand mehr haben werden, da die UN-Konvention die Grund-rechte von Menschen mit Behinderung dahingehend erweitern wird, dass Sondereinrichtungen zunehmend in Frage zu stellen sind und stattdessen Möglichkeiten der Beschäftigung auf dem ersten Arbeitsmarkt zu fördern sind.

Ich werde mich dabei auf die Klärung der Begriffe„Teilhabe“ und „Arbeit“konzentrieren und herausstellen, was Teilhabe bedeutet, bzw. was Leistungen zur Teilhabe sind. Des Weiteren werde ich erklären, was Arbeit dersoziologischen Definition nach eigentlich ist und inwiefern die Werkstätten aktuell wirklich Teilhabe am Arbeitsleben ermöglichen. Ich werde möglichst vermeiden, eine rechtliche Definition von Teilhabe anhand der gängigen Paragraphen zu finden, da dies zu sehr einer juristischen Arbeit gleichkäme, was den Rahmen dieser Arbeit sprengen würde.

Im dritten Kapitel werde ich dann die Werkstätten für behinderte Menschen, wie sie in Deutschland verbreitet sind, kurz beschreiben, indem ich die geschichtliche Entwicklung der Beschäftigung behinderter Menschen und im darauf folgenden Kapitel den heutigen Entwicklungsstand der Beschäftigung in Werkstätten aufzeige. Anschließend werde ich im vierten Kapitel versuchen, die UN-Behindertenrechtskonvention darzustellen, und dabei aufzeigen, wie Arbeit dort gesehen wird und welche Rechte Menschen mit Behinderung in Bezug auf Arbeit der Konvention nach zustehen und wie gut dies der aktuellen Arbeitssituation entspricht. Ich werde mich dabei so weit wie möglich auf die Hilfeeinrichtungen für Menschen mit geistiger Beeinträchtigung beschränken, da diese immer noch den größten Anteil unter den in den Werkstätten beschäftigten Menschen ausmachen. So waren im Jahr 2011unter den 291.711 Beschäftigten in den Werkstätten rund 77.41% Menschen mit geistiger Beeinträchtigung (vgl. Bundesarbeitsgemeinschaft Werkstätten für behinderte Menschen e.V. 2011).Zudem wird dieser Personenkreis noch einmal vor gänzlich andere Herausforderungen gestellt als Menschen mit körperlicher Behinderung. Des Weiteren werde ich mich bei der Beantwortung der Forschungsfrage so weit wie möglich auf den Aspekt der Teilhabe beschränken. Es folgt ein abschließendes, kritisches Fazit.

2. Teilhabe und Arbeit bei Behinderung

In diesem Kapitel werde ich werde ich den Begriff der Teilhabe im Kontext von Hilfeleistungen für Menschen mit Behinderung und anschließend den Begriff der Arbeit aus soziologischer Sicht definieren und dabei vor allem herausstellen, was Arbeit für Menschen mit Behinderung bedeutet und wie Teilhabe am Arbeitsleben definiert und realisiert wird.

Ich werde mich auf die soziologische Definitionvon Arbeit beschränken, da Arbeit aus zahlreichen verschiedenen Blickwinkeln betrachtet und dementsprechend verschieden definiert werden kann – sei es rechtlich, pädagogisch oder soziologisch. Ich werde mich dabei auf die soziologische Definition beschränken, da diese zum Ausdruck bringt, was Arbeit für die Gesellschaft wie für den Einzelnen bedeutet. Daraus werde ich dann ableiten, inwiefern die Teilhabe am Arbeitsleben, die in den Werkstätten geleistet wird, aus soziologischer Sicht zufriedenstellend ist.

2.1. Teilhabe, Integration und Inklusion

Der Begriff der Teilhabe wird im Bereich der Sozialen Arbeit in verschiedensten Zusammenhängen verwendet, sei es als übergeordnetes Ziel oder als konkrete Hilfeleistung. Doch so einfach und einleuchtend der Begriff auf den ersten Blick scheinen mag, so schwierig ist es dann doch, genauer zu definieren, was damit eigentlich gemeint ist. Denn tatsächlich handelt es sich dann doch um einen reichlich abstrakt und allgemein gefassten Begriff. Ursprünglich war der Begriff auch tatsächlich eher philosophischals praktisch geprägt (vgl. Pöld-Krämer 2007), erst im Laufe der Zeit wurde er dann konkreter ausformuliert.

Versucht man zunächst einmal zu definieren, was Teilhabe eigentlich meint, so ist dies schon eine höchst anspruchsvolle Aufgabe. Teilhabe kommt von Teilnehmen und Teilhaben an etwas. Rein rechtlich gesehen meinte Teilhabe schon immer die Teilnahme an der Gesellschaft; vor dem Gesetz sind alle Mitglieder einer Gesellschaft Teilhaber (vgl. Welti 2005). Es kommt zudem selten bis nie vor, dass mit den Begriff der Teilhabe nicht auch die Begriffe „Integration“ oder „Inklusion“ in Verbindung gebracht werden. Inklusion ist dabei der modernere der beiden Begriffe, der heutzutage häufiger angewandt wird, während der Begriff der Integration als veraltet gilt. In Folgenden werde ich deshalb versuchen, diese beiden Begriffe kurz zu definieren. Auch hier kann man verschiedene Wege der Definition anwenden, sei es aus pädagogischer oder soziologischer Sicht, wobei ich mich auf die soziologische Definition beschränken werde, da die pädagogische Definitionsweise mehr auf die konkrete pädagogische Arbeit bezogen ist, die soziologische Sichtweise hingegen auf die theoretischen Konzepte zur Umsetzung.

- bedeutet der soziologischen Definition nach, dass eine Minderheit oder Randgruppe den Normen und Lebensweisen der Mehrheitsgesellschaft angepasst werden soll (vgl. Fachlexikon der sozialen Arbeit 2007). Diese Sichtweise zeigt bereits, warum der Begriff heute zutage als veraltet angesehen werden kann, da es sich mehr um eine Form der Anpassung und Unterwerfung handelt, zudem wird auch impliziert, dass die Gruppe der Minderheit innerhalb der Mehrheitsgesellschaft als eigene Gruppe erhalten bleibt, aber keine wirklicher Austausch und keine Vermischung stattfindet. Da es heutzutage jedoch darum gehen soll, Vielseitigkeit und Unterschiedlichkeit zu fördern, stellen pädagogische und soziologische Konzepte zum Umgang mit Minderheiten heute wesentliche eher Dialog und Diversität in den Mittelpunkt. In Bezug auf die Arbeit mit behinderten Menschen bedeutet dies zum einen, dass die Zusammenarbeit und das Miteinander von Menschen mit und ohne Behinderung gefördert werden soll, und zum anderen, dass Menschen mit Behinderung nicht bloß Mitglieder der nicht behinderten Mehrheitsgesellschaft sein sollen, sondern auch auf ihre Bedürfnisse abgestimmt inkludiert und gefördert werden sollen. Da dies jedoch mehr bedeutet als Integration, wird der Begriff und das Leitbild der Integration heute immer öfter von dem der Inklusion abgelöst.
- hingegen bedeutet wesentlich eher als Integration Einbeziehung und Zugehörigkeit, was auch schon im Wort zum Ausdruck kommt, das vom lateinischen „inclusio“ („Einschluss“) abgeleitet wurde. In einer inklusiven Gesellschaft sind alle Menschen unabhängig von äußerlichen Merkmalen wie Geschlecht, Ethnizität, körperlicher Verfassung und Intelligenzals gleichberechtigte Mitglieder akzeptiert und werden in ihrer Verschiedenheit gefördert (vgl. Niehoff2007).Schon der Systemtheoretiker Luhmann ersetzte in seinen Theorien von Gesellschaft Integration durch Inklusion und beschrieb Inklusion als das spezifische Verhältnis zwischen Mensch und Gesellschaft (vgl. Wansing 2005). Es wird in inklusiven (im Gegensatz zu integrativen) Gruppen nicht mehr zwischen verschiedenen Einzelgruppen unterschieden, sondern nur noch eine homogene Gruppegesehen, die ihre Mitglieder in ihrer Verschiedenheit wahrnimmt und dabei als gleichberechtigte Mitglieder der Gesellschaft akzeptiert und fördert. Zudem wird neben der institutionellen zunehmend auch die emotionale und soziale Ebene des Zusammenlebens wahrgenommen (vgl. Hinz, ohne Jahreszahl). Auch die UN-Behindertenrechtskonvention greift, wie später weiter ausgeführt werden wird, den Begriff der Inklusion auf und fördert die Rechte von Menschen mit Behinderung unter dem Leitbild der Inklusion statt Integration.

Das Inklusionskonzept mag einem freilich als eine sehr stark beschönigende Idealvorstellung vorkommen, weshalb man es sich eher als Vision und Leitbild vorstellen kann. In Bezug auf die Arbeit mit behinderten Menschen hat dies zur Folge, dass Sondereinrichtungen nach dem Leitbild der Inklusion zumindest in Frage zu stellen sind und deshalb die Zukunft der Behindertenhilfe stattdessen in inklusiven Einrichtungen erfolgen sollte, um zu ermöglichen, dass die gesamte Biographie behinderter Menschen in gemeinsamen Einrichtungen mit Menschen ohne Behinderung stattfinden kann, angefangen bei inklusiven Kindergärten und Schulen über geneinsame Arbeitsplätze bis hin zu gemeinsamen Wohneinrichtungen. Dem steht in der Realität jedoch das nach wie vor dominierende, etablierte System der stationären Sondereinrichtungen gegenüber; zudemistdie Beschäftigtenzahl in den Werkstätten seit Jahren steigend, weshalb anzunehmen ist, dass sich das Werkstattwesen in den kommenden Jahren eher noch weiter ausdifferenzieren wird. So ist alleine in den vergangenen drei Jahren die Zahl der Beschäftigten von 277.201 im Jahr 2009 auf 284.884 im Jahr 2010 und 291.711 im Jahr 2011 gestiegen (vgl. Bundesarbeitsgemeinschaft Werkstätten für behinderte Menschen e.V. 2011).

Benachteiligten und ausgeschlossenen Menschen Teilhabe zu ermöglichen, war und ist eines der Hauptanliegen der Sozialen Arbeit. Beruhend auf Studien und Theorien sozialer Ungleichheit, nach denen es in einer Gesellschaft immer soziale Unterschiede und Ungleichheiten gibt, wovon Randgruppen besonders betroffen sind,ist es die Aufgabe, Teilhabe von Menschen, die von der Gesellschaft aus welchen Gründen auch immer exkludiert wurden, wiederher- und sicherzustellen (vgl. Wansing 2005). Dennoch gibt es in der Sozialen Arbeit keine einheitliche Definition von Teilhabe. Was mit dem Begriff gemeint ist und wie er umgesetzt wird, ist zunächst einmal davon abhängig, in welchem Bereich der Sozialen Arbeit man sich befindet. So wird der Begriff der Teilhabe nicht nur im Bereich der Behindertenhilfe angewandt, sondern beispielsweise auch im Bereich der Armen-Fürsorge (vgl. Pöld-Krämer 2007). Grundsätzlich sind Teilhabe-Leistungen dort nötig, wo Personengruppen aufgrund spezifischer Risikofaktoren gesellschaftliche Ausgrenzung und damit Exklusion droht. Da Behinderung zu den Hauptrisikofaktoren gesellschaftlicher Exklusion zählt (vgl. Wansing 2005), bedarf es hier besonders sensibler und ausgefeilter Konzepte, um Teilhabe zu ermöglichen und sicherzustellen. Die Hilfeleistungen der Behindertenhilfe sind deshalb darauf ausgerichtet, die behinderungsspezifischen,verminderten Teilhabemöglichkeitenzu kompensieren und dadurch Teilhabe zu ermöglichen. Auch im Sozialgesetz ist Behinderung deshalb definiert als Einschränkung von Teilhabemöglichkeiten (§ 2 SGB IX), die durchRehabilitations- und Teilhabeleistungen des sozialen Systemsauszugleichen sind.

Die Leistungen zur Teilhabe lassen sich dabei in verschiedene Kategorien unterteilen:

- Das eine sind ganz praktische Probleme, die deshalb als praktische Teilhabe zusammengefasst werden, wie etwa die Unerreichbarkeit von Orten, die nur über eine Treppe zu erreichen sind für Menschen, die auf den Rollstuhl angewiesen sind, oder auch die Frage, ob immer genug Behindertenparkplätze oder barrierefreie Fluchtwege vorhanden sind. In diesen Fällen kann man die Teilhabemöglichkeiten durch Barrierefreiheit verbessern, die dazu beiträgt, dass für Menschen mit Behinderung z.B. nicht nur ein Treppenhaus, sondern auch ein Fahrstuhl zur Verfügung steht. Doch Barrierefreiheit ist nicht nur auf räumlich-physikalische Probleme bezogen, sondern auch auf kognitive. So gibt es etwa das Problem, dass viele Menschen mit geistiger Beeinträchtigung nicht oder kaum lesen können und deshalb auf einen Vorleser angewiesen sind oder geistig nicht in der Lage sind, schwierige Texte zu verstehen und deshalb einfache Erklärungen benötigen. Hierfür gibt esBarrierefreiheit in Schriftform, die bedeutet, dass für geistig behinderte Menschen oder Analphabeten Texte durch Bilder verständlich gemacht werden oder es zusätzlich einen vereinfachten Text gibt.
- Daneben gibt es aber noch weitere Formen der Teilhabe, die schon wesentlich komplexer sind, nämlich die Ermöglichung der gesellschaftlichen Teilhabe.

Darunter fallen alle Hilfeleistungen, die über die rein physikalische Barrierefreiheit hinausgehen unddie soziale Inklusion des behinderten Menschen in die Gesellschaft fördern sollen. Was darunter zu verstehen ist und wie genau dies zu geschehen hat, ist schwer zu definieren. Man möchte behinderten Menschen Teilhabe an der Gesellschaft ermöglichen, doch was ist eigentlich gesellschaftliche Teilhabe? Gemäß der heutigen Inklusionstheoriensoll möglichst das Miteinander aller Gesellschaftsmitglieder gefördert werden. Können Sondereinrichtungen wie Wohnheime und Werkstätten, die Menschen mit Behinderung ja immer noch von der Gesellschaft weitgehend abgrenzen, überhaupt gesellschaftliche Teilhabe ermöglichen? Diese Fragen werden in der Behindertenhilfe heute kontrovers diskutiert.

Diese gesellschaftliche Teilhabe kann man dann noch einmal unterteilen in weitere Unteraspekte, die man in zwei Hauptkategorien unterteilen kann:

- Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft

und

- Teilhabe am Arbeitsleben.

Unter Teilhabe am Leben in der Gemeinschaftsind alle Hilfeleistungen zu verstehen, die die Inklusion behinderter Menschen außerhalb des Arbeitsbereichs fördern, also etwa Angebote der Bildung, Freizeit, usw.. Dabei gehen die beiden Begriffe bis zu einem gewissen Grad ineinander über, denn Arbeit gilt als „wesentliche[r] Aspekt für gesellschaftliche Teilhabe“ (Kühn/Rüter 2008: 13). Über Arbeit wird auch die Freizeit und der Zugang zur Erwachsenenbildung und die soziale Interaktion gestaltet und gefördert (vgl. Fischer/Heger/Laubenstein 2011). Teilhabe am Arbeitsleben ist somit auch ein wichtiger Beitrag zur gesellschaftlichen Teilhabe;wer nicht am Arbeitsleben teilhaben kann, dem droht die gesellschaftliche Exklusion (vgl. ebd.).

2.2 Historische Ansichten zur Teilhabe behinderter Menschen

Da Behinderung rechtlich und soziologisch als Einschränkung von gesellschaftlichen Teilhabemöglichkeiten gesehen wird,ist es die Aufgabe der Behindertenhilfe, Teilhabe an der Gesellschaft zu ermöglichen. Dies gibt der Sozialen Arbeit mit behinderten Menschen zudem ein klares Ziel vor: Während in anderen Bereichen der Sozialen Arbeit oft Unklarheit über das genaue Ziel der Arbeit herrscht, so ist hier die Ermöglichung von gesellschaftlicher Teilhabe zum Ausgleich der behinderungsbedingten Einschränkungen von Teilhabemöglichkeiten als Zielvorgabe klar definiert. Die Ansichten darüber, wie dies geschehen soll und was dabei unter Hilfeleistungen und Partizipation respektive Teilhabe genau zu verstehen ist, haben sich im Laufe der Zeit mehrfach geändert.Im Folgenden werde ich kurz die unterschiedlichen Bedeutungen von Teilhabe in Rahmen der Behindertenhilfe darstellen. Dabei soll es weniger darum gehen, die historische Entwicklung aufzuzeigen, sondern lediglich aufzuzeigen, wie sich die verschiedenen Ansichten zur Teilhabe im Laufe der Zeit verändert haben.

Vom Anbeginn der Geschichte bis etwa zum Zweiten Weltkrieg gab es keinerlei ernsthafte Konzepte für die Teilhabe von Menschen mit geistiger Beeinträchtigung. Über die Jahrhunderte hinweg lebtensie in ihrem Familien und ab dem Mittelalter immer häufiger auch in Zucht- oder Arbeitshäusern und später in Pflegeheimen. An die gesellschaftliche Inklusion dieser Menschen war damals noch lange nicht zu denken, sie hatten lediglich ihren Familienverband als soziales Umfeld. Wenn überhaupt gab es erst ab der Renaissance und dem damit verbundenen humanistischen Denken erste Überlegungen, dass auch behinderte Menschen in ihrer Würde geachtet werden müssen und man diesem Personenkreis Hilfeleistungen anbieten müsse, was im 17. Jahrhundert zu den ersten stationären Hilfs- und Pflegeeinrichtungen führte (vgl. Scheibner 2000). Konzepte zur gesellschaftlichen Teilhabe oder gar zur Erwerbsarbeit gab es aber nicht, stattdessen wurden Menschen mit geistiger Beeinträchtigung weiterhin ausgesondert, und die Hilfeleistungen beschränkten sich auf Pflegeleistungen. Im Dritten Reich wurde schließlich dafür gesorgt, Menschen mit Behinderung aus der Gesellschaft zu entfernen durch die massenhafte Zwangssterilisierung und schließlich die systematische Ermordung im Rahmen des Euthanasie-Programms. Deshalb beginnt die Entwicklung ernsthafter Konzepte zur Partizipation und Teilhabe behinderter Menschen erst nach dem Zweiten Weltkrieg. Ein erstes konkretes Konzept zur Gleichbehandlung und Integration von Menschen mit Behinderung war das Normalisierungsprinzip,das bereits 1959 von dem dänischen Juristen Niels Erik Bank-Mikkelsen entwickelt wurde und in Dänemark und Schweden, später auch in den USA Verbreitung fand. In Deutschland sorgte dieses Konzept erst ab den 1980er Jahren für ein allmähliches Umdenken (vgl. Schlummer/Schütte 2006). Es war speziell auf Menschen mit geistiger Behinderung zugeschnitten und forderte, wie bereits der Name deutlich macht, eine „Normalisierung“ der Lebenssituation geistig behinderter Menschen, indem ihnen ein möglichst „normales“ Leben ermöglicht werden sollte, was einen normalen Tagesablauf, Jahreszeitenwechsel, Jahres-Rhythmus usw. umfasste. Anders als häufig kritisch angemerkt wird, war der Gedanke des Normalisierungsprinzipsdabei nicht eine Anpassung an einen bestimmten, als „normal“ empfundenen gesellschaftlichen „Mainstream“, sondern lediglich eine Angleichung der Lebensbedingungen und -voraussetzungen. Teilhabe sollte dem Normalisierungsprinzip zufolge also durch die „Normalisierung“ bzw. Angleichung von Lebensverhältnissen realisiert werden, wobei sich die Normalisierung ausdrücklich auf Lebensverhältnisse und nicht auf Personen bezog (vgl. u.a. Wansing 2005, Schlummer/Schütte 2006). Auch wenn das Normalisierungsprinzip einen zweifelsohne sehr richtigen und wichtigen Ansatz darstellte und seine Gedanken bis heute diskutiert werden, gilt es heute dennoch als eher überholt, da zum einem die Konzeption der „einheitlichen“ Lebensführung im Zuge zunehmender Individualisierung von Lebensverhältnissen als immer weniger zeitgemäß gilt und es zunehmend schwer fällt, zu definieren, was für einem Menschen eigentlich ein „normaler“ Tagesablauf oder „normale“ Lebensverhältnisse sind. Zum anderen beinhaltetder Begriff auch eine stigmatisierende und diskriminierende Wirkung, da er impliziert, dass die üblichen Lebensverhältnisse behinderter Menschen nicht als „normal“ angesehen werden, was mit dem heutigen Gedanken der Inklusion, in der alle Gesellschaftsmitglieder gleich behandelt werden,zunehmend schwer vereinbar ist. Deshalb wirdheutzutage anstelle von Normalisierung immer öfter der Begriff der „Gleichstellung“ verwendet.Gleichstellung wird zunehmend zu einem bestimmenden Begriff der Behindertenpolitik und zeigt den Paradigmenwechsel weg von der defizitorientierten, auf Unterschiede zwischen Personengruppen zielenden Perspektive hin zur Anerkennung von allen Mitgliedern einer Gesellschaft als gleichberechtigte Teilhaber. Neben der Chancen-gleichheit zielt Gleichstellung auch auf die Beseitigung von Unterschieden und damit auch auf die Beseitigung von Diskriminierung und Ungleichbehandlung ab (vgl. Baer 2007). Damit einher geht auch der Paradigmenwechsel von der Integration zur Inklusion, der die Gleichstellung anerkennt und auf die Beseitigung von Unterschieden und Benachteiligungen ausgerichtet ist.

Im Jahr 2001erschien eine neue, seitdem gültige Definition von Behinderung und Teilhabe durch die Weltgesundheitsorganisation (WHO), die den Begriff von Behinderung neu definiert und zu einem „Verständniswandel“ (Wansing 2005: 79) beigetragen hat. Die WHO veröffentlichte 2001 die„International ClassificationofFunction, DisabilityandHealth“(ICF), die den Nachfolger der 1980 erschienen „International ClassificationofImpairments, Disabilitiesand Handicaps“ (ICIDH) darstellt und den Begriff der Behinderung im Vergleich zum Vorgänger gänzlich neu definiert. Neu ist vor allem, dass es im Gegensatz zum Vorgänger-Konzept erstmals ein für alle Behinderungsarten übergreifendes Gesamtkonzept gibt, um Behinderungen zu klassifizieren und objektivierbar zu machen. In diesem Zusammenhang hat sich auch die Sicht auf Behinderung geändert – während in der ICIDH noch eine wesentlich defizitorientiertereSicht auf Behinderung zu finden war, hat sich die Perspektive nungewandelt, und die Ressourcen-Orientierung steht im Mittelpunkt, was auch schon im Namen zum Ausdruck kommt. Behinderung wird mit der ICF nicht mehr als Zuschreibung spezifischer Defizite definiert, sondern als Zusammenspiel individueller Möglichkeiten und Kontextfaktoren unter Berücksichtigung von Wechselwirkungen und Umwelteinflüssen. Die zentralen Elemente dabei sind Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit. Konkret wird zwischen den Dimensionen Körperstrukturen (anatomische Teile des Körpers), Körperfunktionen, Aktivität und Teilhabe unterteilt und auch die sogenannten Umweltfaktoren, also das gesamte Umfeld des behinderten Menschen, berücksichtigt. Behinderung wird nun als Zusammenspiel negativer Kontextfaktoren beschrieben(vgl. u.a. Schlummer/Schütte 2006, Wansing 2005). Der Teilhabe kommt dabei hohe Bedeutung zu. Teilhabe wird in der ICF nun als „Einbezogen-sein in eine Lebenssituation“ („involvement in a lifesituation“) definiert; Behinderung wird infolgedessen als Defizit von Teilhabe konstruiert (vgl. Welti 2005). Behinderung ist demzufolge eine Beeinträchtigung der Möglichkeiten der Teilhabe an der Gesellschaft. Die Sozialgesetzgebung hat deshalb das Ziel, Menschen mit Behinderung gleichberechtigte Teilhabe am Leben in der Gesellschaft zu ermöglichen, was auch bereits im §1 des SGB IX verankert ist (vgl. Welti 2005). Die Einrichtungen der Behindertenhilfe sind demnach Einrichtungen, deren Auftrag es ist, Menschen mit Behinderung Teilhabe zu ermöglichen. Insgesamt wird Behinderung damit nicht mehr als Grundlast eines Menschen angesehen, sondern als Zuschreibungsprozess. Es handelt sich nicht mehr um einen passiven Zustand, sondern um einen aktiven Prozess – man ist nicht, sondern wird vielmehr behindert. Dies dient auch der Stärkung der Rechte von Menschen mit Behinderung – durch die neue Definition soll die Sicht stärker auf die behinderungsbedingten Benachteiligungen der betroffenen Menschen gelegt werden und dadurch Menschenrechtsverletzungen vorgebeugt werden (vgl. Rothfritz 2010). Im Zuge dessen findet auch beim Prinzip der Hilfeleistungen für behinderte Menschen seitdem ein Paradigmenwechsel statt: Anstelle von bloßer „Förderung“ in Form von defizitorientierten Hilfeleistungen steht zunehmend das Leitbild der Selbstbestimmung der Klienten im Vordergrund, was zur Folge hat, dass die Entscheidungs- und Mitbestimmungsrechte sowie die Auswahlmöglichkeiten der Klienten gestärkt werden. Auch die UN-Behindertenrechtskonvention fördert diesen Ansatz und stellt die individuelle Förderung und Achtung behinderter Menschen in den Mittelpunkt. Inwiefern dies jedoch in der Realität wirklich umsetzbar ist und umgesetzt wird, wird im weiteren Verlauf der Arbeit dargestellt.

Die UN-Behindertenrechtskonvention enthält allerdings keine konkrete Definition von Behinderung. Sie lehnt sich bei ihrer Sicht auf Behinderung aber eng an das soziale Modell von Behinderung nach der ICF an und sieht Behinderung als dynamischen Prozess und nicht mehr als defizitorientierten, medizinisch definierten Zustand (vgl. Demke 2011).

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Details

Titel
Inklusion von Menschen mit geistiger Behinderung am Arbeitsplatz vor dem Hintergrund der UN-Konvention für Behindertenrecht
Untertitel
Die aktuelle Beschäftigungssituation in den Werkstätten für behinderte Menschen (WfbM) und ein Ausblick in die Zukunft
Hochschule
Universität Kassel
Autor
Jahr
2012
Seiten
53
Katalognummer
V199687
ISBN (eBook)
9783656268451
ISBN (Buch)
9783656268925
Dateigröße
597 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
werkstätten, menschen, wfbm, un‐konvention, behindertenrecht, widersprüche, zukunft, un-behindertenrechtskonvention, geistige behinderung, inklusion
Arbeit zitieren
Torsten Scholz (Autor:in), 2012, Inklusion von Menschen mit geistiger Behinderung am Arbeitsplatz vor dem Hintergrund der UN-Konvention für Behindertenrecht, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/199687

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