Analyse zur Blutstropfenszene im "Parzival"


Hausarbeit (Hauptseminar), 2011

18 Seiten


Leseprobe


Inhalt

Einleitung

Der Schneefall

Der Baumstamm

Der Falke

Die Personen

Die Gleichsetzung von Personen und Tieren

Schlussbetrachtung

Literaturverzeichnis

Einleitung

Welt ir nu hoeren war sî komn

Parzivâl der Wâleis?

Von snêwe was ein niwe leis

des nahtes vast ûf in gesnît.

ez enwas iedoch niht snêwes zît,

istz als ichz vernomen hân.

Artûs der meienbære man,

swaz man ie von dem gesprach,

zeinen pfinxten daz geschach,

odr in des meien bluomenzît.[1]

So lauten die einführenden Verse der berühmten Blutstropfenszene in Wolframs Parzival. Wolfram übernahm die Erzählung von Chrétien aus dem Französischen und baute den Parzival weiter aus. Nellmann beschreibt den Umgang Wolframs mit seiner Quelle mit den folgenden Worten: „ Ungewöhnlich selbstständig geht er mit dem Text Chrétiens um, erweitert ihn, kürzt ihn, erfindet neue Personen, neue Szenen, neue Handlungsmotivationen.“[2] Der Originaltext Chrétiens lautete zu dieser Szene wie folgt:

Au matin ot mout bien negié;

Que froide estoit mout la contree.

Et Percevaus la matinee

Fu levez si come il soloit,

Que querre et ancontrer voloit

Avanture et chevalerie

Et vint droit an la praerie,

Qui fu gelee et annegiee,

Ou l’oz le roi estoit logiee.[3]

Diese Arbeit versucht neben den vielen verschiedenen Untersuchungsmöglichkeiten der Blutstropfenszene hauptsächlich die Veränderungen Wolframs, gegenüber Chrétien zu untersuchen. Durch den Einbau vieler humoristischer Elemente gelang es Wolfram „ das Geschehen in sich zu verdichten und beziehungsreicher zu machen “.[4] Dieser Humor zeichnet sich dadurch aus, dass bei ihm „Diskrepanzen in ein akzeptables, versöhnliches Licht gerückt sind“[5] Als wie wichtig Wolfram die Blutstropfenszene empfand, lässt sich allein schon am Umfang erkennen. 343 altfranzösische Verse von Chrétien wurden bei Wolfram zu 715 mittelhochdeutschen Versen. Doch nicht etwa die Späße Wolframs steht hier im Vordergrund, „ sondern daß sie sich dieser ritterlichste und tiefsinnigste Erzähler des deutschen Mittelalters leistet “.[6] Zunächst folgt eine Behandlung des Schneemotivs beider Dichter, das gefolgt wird von einer genaueren Betrachtung eines bestimmten Baumstammes. Dem entflogene Falke wird anschließend ein Abschnitt gewidmet, sowie ein Abriss über verschiedene Parallelstellungen von Personen und Tieren, die sich aus Wolframs Anspielungen ergeben. Immer wieder wird deutlich werden, dass Wolfram seine Quelle nicht nur stur übernommen, sondern sehr überlegt durch komische Erweiterungen verdichtet hat.

Der Schneefall

Die Wetterlage ist bei beiden Dichtern die gleiche. Der Schneefall, der in beiden Absätzen vorkommt, wird jedoch unterschiedlich stark bewertet. Chrétien beschreibt eine Wiese, die am Morgen von Schnee bedeckt ist. Auf dieser hat Artus sein Lager aufgeschlagen: „ Au matin ot mout bien negié; Que froide estoit mout la contree.“ (4162f.) Hier wird dem Schneefall keine eigene Bedeutung zugeschrieben und bereitet hauptsächlich Untergrund für die folgenden Blutstropfen vor. Dass der Schneefall vollkommen Jahreszeit untypisch ist, wird von Chrétien nicht weiter behandelt. Perceval steht früh auf und macht sich auf den Weg zu der zugefrorenen Wiese, auf der Artus lagert (4165f.). Der Text liest sich also ganz so, als habe Perceval seine Nacht nicht im Schnee verbringen müssen. Schwerer hat es da schon Wolframs Parzival, der schon in der Nacht mit Neuschnee zu kämpfen hatte: „ Von snêwe was ein niwe leis / des nahtes vast ûf in gesnît“ (281,12f.). Markus Möhren findet einen Bruch in diesem „ Schnee, der dem lakonischen Kommentar des Erzählers nach gar nicht so recht zum topischen Auftreten des Maienkönigs Artus passen will “.[7] Wolfram beschäftigt sich schon zu Beginn der Szene eingehend mit dem untypischen Wetterphänomen: „ ez enwas iedoch niht snêwes zît, / istz als ichz vernomen hân. / Artûs der meienbære man, / swaz man ie von dem gesprach, / zeinen pfinxten daz geschach, / odr in des meien bluomenzît“ (281,14ff.).

Wolfram legt sehr viel Wert darauf deutlich zu machen, dass alle Vorkommnisse die mit Artus in Verbindung stehen hauptsächlich im Frühling sattfinden. Diese eigentlich warme Jahreszeit steht hier im deutlichen Kontrast zu der verschneiten Wiese in deren Mitte sich ein „Frühlingskönig“ befindet. Die Blutstropfenszene fordert also eine ungewöhnlich winterliche Umwelt, in welche sie eingebunden wird. Wolfram schafft hierfür extra den Neologismus „ meienbære“ (281, 16), der nach Johnson „ gutmütig spöttisch[8] daherkommt. Eine Erhöhung des „ Komisch-Humorvollen[9] ragt hier bei Wolfram Chrétien gegenüber hervor. Der Schnee hat hier jedoch nicht nur eine Bedeutung als Untergrund für gut sichtbare Blutstropfen, später erfährt der Leser noch mehr über die Bedeutung der weißen Pracht. In Vers 489, Zeile 27 wird erklärt, dass der sommerliche Schnee durch den Einfluss des Planeten Saturn verursacht werden kann. An dieser Stelle werden die unerträglichen Schmerzen des Anfortas thematisiert, der erst innere Kälte in Form von Schmerzen und dann äußere Kälte in Form von Schnee ertragen muss: „ Sâturnus louft sô hôhe enbor, / daz ez diu wunde wesse vor, / ê der ander frost koem her nâch. / dem snê was ninder als gâch, / er viel alrêrst an dr andern naht / in der sumerlîchen maht.“ (493,1ff.) Schnee hat folglich nicht nur eine natürliche Bedeutung, sondern auch eine kosmische.

Walter Blank findet es bemerkenswert, dass Wolfram hier, im Gegenteil zu seiner Vorlage, „ diese Klammer neu geschaffen hat und damit – über den Saturn seine Wirkung – Anfortas und Parzival miteinander verknüpft, während er Artus ausdrücklich davon absetzt.“[10]

Schnee wird also über einige Ecken wieder mit Parzival verbunden. Auffällig ist es ebenso, dass wann auch immer Schnee im Zusammenhang mit Parzival auftritt, dieser in eine Art Trance verfällt. Als sich Parzival beispielsweise auf dem Weg zum Einsiedler Trevrizent befindet, beginnt in der verschneiten Landschaft eine Innenschau des Protagonisten: „ der rît nu ûf die niwen slâ, / die gein im kom der rîter grâ. / er erkande ein stat, swie læge der snê / dâ liehte bluomen stuonden ê “ (455,23ff). Nach Möhren kommt dem Schneemotiv folglich „ eine wichtige Signalfunktion zu “.[11]

Parzival, der durch den unerwarteten Schneefall völlig ohne Orientierung ist, muss sich seinen Weg erst suchen: „ im was versnît sîns pfades pan: / vil ungevertes reit er dan / über ronen und [über] manegen stein “ (282f). Max Wehrli sieht darin eine Klage Wolframs, „ über das Entfallensein des Helden aus der Gesellschaft, aus der Gemeinschaft mit der Geliebten und mit dem Gral “.[12] Dies stellt jedoch keinen harten Bruch dar, sondern eher das „ entspannte Hinausfallen ins Komische “.[13] Durch den Anblick der drei Blutstropfen wird Parzival förmlich gebannt und fällt in eine Art Trance.

[...]


[1] Wolfram von Eschenbach: Parzival. Studienausgabe. Mittelhochdeutscher Text nach der sechsten Ausgabe von Karl Lachmann. Übersetzung von Peter Knecht. Berlin/New York, 1998, Vers 281,10 ff.

[2] Eberhard Nellmann: Produktive Missverständnisse. Wolfram als Übersetzer Chrétiens. In: Übersetzen im Mittelalter. Cambridger Kolloquium 1994. Herausgegeben von Joachim Heinzle (=Wolfram-Studien XIV). Berlin, 1996. S. 134.

[3] Chrétiens de Troyes: Der Percevalroman (=Le Conte du Graal). Übersetzt und eingeleitet von Monica Schöler-Beinhauer, München, 1991, Vers 4162 ff.

[4] Max Wehrli: Wolframs Humor. In: Wolfram von Eschenbach. Hrsg. von Heinz Rupp (=Wege der Forschung 57). Darmstadt, 1966. S. 107.

[5] Günther Schweikle: Humor und Ironie im Minnesang. In: Wolfram-Studien VII. Herausgegeben von Werner Schröder. Berlin, 1982. S. 55.

[6] Max Wehrli: Wolframs Humor. S. 110.

[7] Markus Möhren: der snê dem bluote wîze bôt. Die Blutstropfenszene als Beispiel symbolisch-verdichtenden Erzählens in Wolframs ‚Parzival’. In: Als das wissend die meister wol. Beiträge zur Darstellung und Vermittlung von Wissen in Fachliteratur und Dichtung des Mittelalters und der frühen Neuzeit. Walter Blank zum 65. Geburtstag. Herausgegeben von Martin Ehrenfeuchter und Thomas Ehlen. Frankfurt am Main u.a, 2000. S. 155.

[8] Peter L. Johnson: Die Blutstropfenepisode in Wolframs ‚Parzival’: Humor, Komik und Ironie. In: Gärtner, Kurt (Hg.): Studien zu Wolfram von Eschenbach. Tübingen, 1989. S. 310.

[9] Ebd.

[10] Walter Blank: Wolframs Parzival – ein >melancholicus<?. In: Melancholie in Literatur und Kunst (=Schriften zu Psychopathologie, Kunst und Literatur I. Herausgegeben von Dietrich Engelhardt). Hürtgenwald, 1990. S. 36.

[11] Markus Möhren: der snê dem bluote wîze bôt. S. 157.

[12] Max Wehrli: Wolframs Humor. S. 117.

[13] Ebd. S. 117.

Ende der Leseprobe aus 18 Seiten

Details

Titel
Analyse zur Blutstropfenszene im "Parzival"
Hochschule
Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg
Autor
Jahr
2011
Seiten
18
Katalognummer
V199453
ISBN (eBook)
9783656256465
ISBN (Buch)
9783656256953
Dateigröße
509 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
parzival, blutstropfenszene
Arbeit zitieren
Verena König (Autor:in), 2011, Analyse zur Blutstropfenszene im "Parzival", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/199453

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