„Glotzt nicht so romantisch“ 200 Jahre Museum – 30 Jahre Museumsforschung


Hausarbeit (Hauptseminar), 2011

28 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Ein Museum ist ein Museum ist ein Museum?

Sammelkultur als musealer Ursprung

Von der exklusiven privaten zur offenen Sammlung

Von offen stehenden Sammlungen zum öffentlichen Museum

„Die Künste haben ein Ziel: die Nation zu erziehen“

Sichtbares und Unsichtbares im Kunstmuseum

Die Museums-Geschichte geht weiter

Das Sorgenkind Museum im 21. Jahrhundert

Fazit und weiterführende Fragen

Anhang

„Glotzt nicht so romantisch!“ ließ der Dramatikers Bertolt Brecht auf einem Schild von Schauspielern dem Publikum entgegenhalten, dass 1922 die Uraufführung des Theaterstücks „Trommeln in der Nacht“ besuchte. Er wollte so beim Zuschauer Illusionen zerstören und sie eine kritische Distanz zum Dargestellten einnehmen lassen. Sie sollten kritisch sein, die Welt begreifen und weniger staunen.[1]

Diese Aufforderung mag knapp 90 Jahre später auch für den heutigen Besucher eines Museums gelten. Das vormalige Kuriositätenkabinett, das Staunen und Wundern, gelegentlich auch Schaudern hervor rief, wird als Museum zum Weltauf- und –erklärer, zur Bildungsanstalt. Wie es dazu kam, beschreibt diese Arbeit.

Ein Museum ist ein Museum ist ein Museum?

Unlängst wurde ich von einer Journalistin in der Kunsthalle Emden gefragt: „Ein Museum ist ein Museum. Stimmt das?“[2] Ich gebe zu, die Frage hat mich zunächst irritiert. Ist ein Wort durch das gleiche Wort beschreibbar - ohne dass das Wort an sich näher definiert ist? Und warum habe ich mir diese Frage vorher noch nicht gestellt, wo doch mein Studiengang „Museum und Ausstellung“ heißt.

Die Lösung dieser Frage erweist sich schwieriger als zunächst gedacht. Seit 30 Jahren ist die Frage „Was ist ein Museum?“ Forschungsgegenstand. Parallel zu dem damals beginnenden Museumsboom (Museumsneugründungen und steigende Besucherzahlen) hat die Wissenschaft das Forschungsfeld Museum entdeckt. Sehr schnell wurde deutlich, dass es sich hier nicht um ein abgrenzbares Gebiet, sondern um einen äußerst komplexen, vielschichtigen und interdisziplinären Forschungsgegenstand handelt. Nicht mehr nur die Dinge im Museum waren untersuchungswürdig, sondern auch die Art und Weise ihrer Präsentation, die Möglichkeiten der Objektvermittlung und der Museumsbesucher selbst.

Diese Darstellung unternimmt den Versuch, den wissenschaftlichen Erkenntnisstand zum Begriff Museum anhand wesentlicher Publikationen darzustellen. Er orientiert sich dabei, wie es viele der unten zitierten Werke tun, an der historisch-zeitlichen Entwicklung des Museums und des Museumsbegriffs. Vom modernen Ursprung des Museum im 18. Jahrhundert zum gegenwärtigen Museumsverständnis ist es ein langer Weg. Wie sich in diesem Zeitraum das Museum und der Museumsbegriff entwickelte, wird im Folgenden beschrieben werden. Zunächst wird die Entwicklung und Bedeutung des Sammelns als Grundlage für die Entstehung der Museen beleuchtet. Anschließend wird die Historie des öffentlichen Charakters, der gesellschaftlichen Bedeutung und der Vermittlungsfunktion dargestellt. Zum Abschluss gilt der Blick der Institution Museum im 21. Jahrhundert, ergänzt um einen kritischen Standpunkt zu tagesaktuellen Diskussionen.

Was also ist nun ein Museum? Zu einer ersten Klärung dieser Frage geht der Blick zunächst in den Sammelband gleichen Namens von Joachim Bauer, der sich dem Begriff mit verschiedenen wissenschaftlichen Sichtweisen nähert[3]. So untersucht er die Herkunft des Wortes „Museum“ in seiner etymologischen Bedeutung.

Das Wort Museum hat sich im Laufe der Geschichte immer wieder verändert: vom altgriechischen Wort museion, dem Musentempel als Stätte der Bildung und Künste über das lateinische la museum , den Ort für Gelehrte, einer Art Bibliothek zum museum graecum , der Athener Universität oder dem museum alexandrium als Schule, Gymnasium (öffentlicher Ort der Bildung und Lehre). Alle Wörter verbindet bereits die Beziehung zur Bildung, jedoch noch nicht zur Sammlung (abgesehen von der Bibliothek als „Büchersammlung“).

Lange verschollen, wird im 17. Jahrhundert der Begriff Museum mit der Rückbesinnung auf die Antike wiederbelebt - allerdings im privaten Gebrauch als Arbeits- oder Studierzimmer.[4] So beschreibt Johann Amos Comenius 1659 „das Museums ist ein Ort, an dem der Scholar alleine sitzt und abgeschieden von den anderen Menschen in sein Studium vertieft Bücher liest.“[5] Und genau diese Studierstuben (oder Kabinette) sind die Geburtsorte für Sammlungen, da in ihnen Dinge, sowohl privaten als auch wissenschaftlichen Interesses, zusammengetragen und aufbewahrt werden.

Im 18. Jahrhundert ist der Museumsbegriff vielschichtig und bezeichnet unter anderem einen Ort der Geselligkeit, einen Verkaufsort mit wechselnden Ausstellungen, ein Kaffeehaus, eine Akademie, eine Leihbibliothek oder auch einen Ort des Diskurses.[6] Ein Jahrhundert später zeigt sich diese Bedeutungsvielfalt nicht mehr. Zunehmend, datierbar auf die Zeit nach der Französischen Revolution, wird das Museum als Sammlungsort verstanden.

1805 tritt der Begriff Museum erstmals eigenständig in einer Enzyklopädie auf. In der Krünitzschen Enzyklopädie[7] wird das Museum als öffentliche Sammlung nicht naturaler Objekte definiert, abgegrenzt vom (Naturalien-, Kunst-)Kabinett. Der Begriff Museum hat sich nicht nur im aktiven Sprachgebrauch etabliert[8], sondern scheint sich allmählich auch zu „einer Institution mit gesellschaftlicher Aktualität“[9] zu entwickeln.

Der Brockhaus fasst 1815 zusammen: „ Museum, eine Sammlung seltener und interessanter Gegenstände aus dem ganzen Umkreise der Naturgeschichte und Künste, und in Zimmern oder Gebäuden zur Ansicht der Kenner und Liebhaber entweder auf Kosten einer Privatperson oder einer Regierung aufgestellt […]“[10]. Ein Museum ist demnach eine private oder staatlich getragene Sammlung, die - so scheint es auf den ersten Blick - jedem zugänglich ist. Der Autor umgeht jedoch die Frage nach der Öffentlichkeit. Er beschreibt die Besucher lediglich als „Kenner und Liebhaber“. Da sich das Brockhaus-Lexikon jener Zeit direkt an „die gebildeten Stände“ (Untertitel) richtet, wird klar, dass der Besuch einer Sammlung bis ins frühe 19.Jahrhundert nur einer kleinen exklusiven Schicht möglich war. Und dennoch: der Grundstein für das Museum als Institution ist damit gesetzt.

In heutigen Lexika wird ein Museum z. B. als „eine Einrichtung zur thematischen Forschung und Archivierung, der präsentierten Aufbereitung und Ausstellung ausgewählter Ausstellungsstücke für die Öffentlichkeit mit meist pädagogischem Anspruch“[11] bezeichnet.

In dieser Definition werden die Aufgaben eines Museum angesprochen, welche auch die ICOM, der Internationale Museumsrat, für seine umfassende und heute maßgebliche Definition verwendet[12] : Forschung, Archivierung (Sammeln), Ausstellen, Bildung durch Vermittlung und der Öffentlichkeit zugänglich.

Sammelkultur als musealer Ursprung

Als „erstes Museum der Welt“ benennen Baur und Pomian[13] die römische Antiquitätensammlung Papst Sixtus IV, die im Jahr 1471 als erste Einrichtung festlegte, ihre Sammlung auf unbestimmte Zeit zu erhalten und sie öffentlich zugänglich zu machen. Sie stellen zwei Dinge in den Mittelpunkt: Die Sammlung und die öffentliche Präsentation. Sammlungen waren bis dahin üblich, deren öffentliches Zurschaustellen nicht. Wie entwickelten sich nun aus den privaten Kabinetten die Museen von heute?

Der Homo Sapiens ist Jäger und Sammler. Er sammelt Dinge, die ihm besonders oder selten erscheinen, er sammelt vertraute Dinge, die Erinnerungen speichern bzw. bedeuten und eine Verbindung von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft[14] schaffen. Er sammelt Dinge, für die er sich besonders interessiert und über die er ein spezielles Wissen besitzt. Sammeln ist eine gewisse Art von Ordnung und Festhalten des eigenen Lebens. Sammeln repräsentiert in gewisser Weise auch den Sammler selbst und somit auch einen Teil seiner Persönlichkeit. Der Sammler hofft, auch nach seinem Tod in den Dingen weiter zu leben. Köstlin fasst es mit folgendes Worten zusammen: „Beim Sammeln wird etwas aufbewahrt, es soll dem Vergessen entzogen werden, soll oft die schriftliche Biografie ersetzen: man lebt in den gesammelten Dingen weiter.“[15]

Seit Beginn der Menschheit werden die Menschen gesammelt haben, nur waren private Sammlungen nach dem Tod des Eigentümers häufig nicht weiter aufbewahrungswürdig und sind daher nicht nachweisbar. Die ersten nachweisbaren privaten Sammlungen des Bürgertums datiert die Forschung ins 15. Jahrhundert, deren Höhepunkte in die Zeit zwischen dem 16. und 18. Jahrhundert.[16] Auslander verknüpft die Anfänge des privaten Sammelns mit der sich bildenden Konsumgesellschaft nach der französischen Revolution[17] und Salsa datiert erste private Sammlungen des Bürgertums erst um 1850[18]. In Vitrinen und Schränken der privaten Wohnstube, die im 19. Jahrhundert eher einem repräsentativen Gästesaal als einem gemütlichen Wohnzimmer glich, stellte der Hausherr seine gesammelten Objekte zur Schau. Besitz spielte eine entscheidende Rolle für die Zugehörigkeit zum Bürgertum.[19] Die Wohnung inklusive deren Inhalt spiegelte den Status und den Bildungsstand des Hausherren wieder. Die Wirkung des Raumes, die durch wertvolle Sammlergegenstände vermittelte Kostbarkeit und Exklusivität oder die Repräsentation von Wissen durch Bücherregale, wird automatisch auf dessen Besitzer übertragen.[20] Interessant ist dabei, dass die privaten Sammlungen von Haus zu Haus sich kaum unterschieden, da jeder denselben Status anstrebte. Diese Sammlungen sind die ersten Zeugnisse einer Musealisierung des Alltags, auch wenn diese nicht für jedermann zugänglich sind und nach dem Ableben des Sammlers häufig nicht weitergeführt oder sogar aufgelöst werden.

Der Ursprung der Museen ist weniger in den privaten als in den fürstlichen Sammlungen zu finden. „Seit der Renaissance war das Sammeln von Dingen ein wichtiger Teil eines Daseins als Fürst.“[21] Für den Fürsten und den Adel dienten die zusammengetragenen Objekte zu repräsentativen Zwecken wie auch zur politischen Machtverdeutlichung. Der Besitz von besonderen, seltensten, schönsten und außergewöhnlichsten Objekten war Ausdruck von Prestige, Macht, Reichtum und Stolz. Mit der Sammlung stellte der Fürst seinen guten Geschmack und seine Bildung zur Schau. Daneben repräsentierten die Objekte als Mikrokosmos die Besonderheiten der Welt, über die der Fürst Autorität beanspruchte.[22] Im Unterschied zur privaten bürgerlichen Sammlung, deren Objekte eher einen ideellen Wert haben (Pomian spricht von einem „virtuellen Reichtum“[23] ), zeichnet sich die fürstliche Sammlung stärker durch ihren materiellen Wert aus.

Zu Beginn dieser Entwicklung strebten die Fürsten nach einer allumfassenden und vielseitigen Sammlung, die sich stetig erweiterte. Aus Platzmangel waren viele Fürsten im 18. Jahrhundert gezwungen ihre Sammlungen in andere, zum Teil neu gebaute Räume zu überführen. Dabei wurde die Gelegenheit genutzt, die Sammlung neu zu ordnen und zu strukturieren. Aus den mannigfaltigen Schatz- und Wunderkammern (Kuriositätenkabinetten) entwickelten sich allmählich strukturierte und zielgerichtete Zusammenstellungen von gesammelten Objekten. Als erstes differenzierte man diese Objekte in künstlerische und natürliche Zeugnisse. „Übrig blieb ein Rest aus historischen Monumenten, exotischen Objekten und diversen Kuriositäten, die im 19. Jahrhundert ihren Platz in neuartigen Museumstypen fanden.“

[...]


[1] http://www.welt.de/print-welt/article338567/Glotzt_nicht_so_romantisch_Theater_Experimente_in_Berlin_um_1930.html, (14.03.2011).

[2] Interview mit Ina Wagner, für den Zeitungsbericht: Studenten erproben den Blick hinter die Kulissen, Emdener Zeitung, 11.02.2011. siehe Anhang 1.

[3] Baur: "Was ist ein Museum?“, S.15-48.

[4] Blank/Debelts: „Was ist ein Museum?“, S.25.

[5] Johann Amos Comenius, zitiert nach Bennett: „der bürgerliche Blick.“, S.56.

[6] Baur: "Was ist ein Museum?“, S.23.

[7] Krünitz, Johann Georg, Oeconomische-technologische Encyklopädie, Berlin, 1805, Bd. 98, S.449-525, zitiert nach: Blank/Debelts: „Was ist ein Museum?“, S. 47.

[8] Im 18. Jahrhundert taucht der Begriff des Museums immer häufiger in Lexikoneinträgen auf. Siehe: Blank/Debelts: „Was ist ein Museum?“, S.21.

[9] Ebenda, S.47.

[10] Brockhaus, Friedrich Arnold, Conversations-Lexikon oder kurzgefaßtes Handwörterbuch für die gebildeten Stände, umgearb. 2. Auflage Altenburg, Leipzig, 1815, Bd. 6, S.548-549. zitiert nach: Blank/Debelts: „Was ist ein Museum?“, S.69.

[11] http://de.dict.md/definition/Museum,(10.02.2011).

[12] „Ein Museum ist eine gemeinnützige, auf Dauer angelegte, der Öffentlichkeit zugängliche

Einrichtung im Dienste der Gesellschaft und ihrer Entwicklung, die zum Zwecke des Studiums,

der Bildung und des Erlebens materielle und immaterielle Zeugnisse von Menschen und

ihrer Umwelt beschafft, bewahrt, erforscht, bekannt macht und ausstellt.“ ICOM Definition, in Ethische Richtlinien Stand 2004, siehe: http://www.icom-deutschland.de/client/media/364/icom_ethische_richtlinien_d_2010.pdf, (11.02.2011).

[13] Baur: "Was ist ein Museum?“, S.24. und Pomian: „Museum und kulturelles Erbe“, S.52.

[14] Baur: "Was ist ein Museum?“, S.24.

[15] Köstlin, Sammlervitrinen, S.210.

[16] Pomian: „Museum und kulturelles Erbe“, S.48.

[17] Auslander: The Gendering of Consumer Practices, S.80-81.

[18] Salsa: “Museum im Wandel”, S.6.

[19] Auslander: The Gendering of Consumer Practices, S.81.

[20] Köstlin, Sammlervitrinen, S.201.

[21] Sheehan: „Geschichte der deutschen Kunstmuseen“, S.38.

[22] Ebenda, S.39.

[23] Pomian: „Museum und kulturelles Erbe“, S.48.

Ende der Leseprobe aus 28 Seiten

Details

Titel
„Glotzt nicht so romantisch“ 200 Jahre Museum – 30 Jahre Museumsforschung
Hochschule
Carl von Ossietzky Universität Oldenburg
Veranstaltung
Museumstheorie / Museumsgeschichte
Note
2,0
Autor
Jahr
2011
Seiten
28
Katalognummer
V198419
ISBN (eBook)
9783656247951
Dateigröße
2286 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Die Note ergibt sich daraus, dass ich einige Pflichttexte zur Museumspädagogik weggelassen habe
Schlagworte
Museumstheorie, Museumsgeschichte, Kunstbetrachtung, Entwicklung des Museums, Kuriositätenkabinett, Museumsforschung
Arbeit zitieren
Cornelia Maser (Autor:in), 2011, „Glotzt nicht so romantisch“ 200 Jahre Museum – 30 Jahre Museumsforschung , München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/198419

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