Freudenrausch und Weltenschmerz. Die Entwicklung des Erzählers in Friedrich Hölderlins Roman "Hyperion oder der Eremit in Griechenland"


Hausarbeit, 1998

17 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Einleitung

1. Die Krise des Beginnens

2. Die Krisen der Trennung
2.1 Die Trennung von Adamas
2.2 Die Trennung von Alabanda
2.3 Die Krise um Diotimas Tod

3. Die enttäuschten Ideale

4. Die Krise des Endes

5. Schlußbemerkung

Literatur

„Nun sprach ich nimmer zu der Blume, du bist meine Schwester! Und zu den Quellen, wir sind Eines Geschlechts! Ich gab nun treulich, wie ein Echo, jedem Dinge seinen Namen.“[1]

Einleitung

Die vorliegende Seminararbeit thematisiert die Entwicklung des Erzählers in Friedrich Hölderlins Roman „Hyperion oder der Eremit in Griechenland“. Ausgehend von der Tatsache, daß der erzählende Hyperion die im Roman geschilderten Erfahrungen durchlebt hat, soll anhand der Analyse ausgewählter Textstellen untersucht werden, in welchem Maße krisenhafte Ereignisse und deren Schilderung Einfluß auf dessen Entwicklung haben. Es stellt sich die Frage nach der Haltung, die der rückwärtsschauende Protagonist seiner Vergangenheit gegenüber einnimmt, inwieweit aus dem handelnden Hyperion ein reflektierender, ein erzieherischer Hyperion geworden ist oder wird. Dabei sind vor allem die Kommentare nützlich, die der Erzähler an zentralen Punkten des Romanes über sein aktuelles Befinden und seine Bewertung des Vergangenen einfügt. Um die Bedeutung der Krisen im Leben des Dichters zu bestimmen, muß zwischen rein elegischem Erzählton und der Reaktion Hyperions auf tiefe Lebenskrisen unterschieden werden. Damit eine Veränderung des Erzählers im Laufe der Analyse nachvollzogen werden kann, sollen, soweit dies die Konzeption des Buches zuläßt, mögliche Entwicklungsschritte chronologisch dokumentiert werden. Schwerpunkte der Untersuchung sind vor allem die Trennungserlebnisse Hyperions, die meist bedeutende Krisen nach sich ziehen. Um diese nachvollziehbar darzustellen, bedarf es jeweils einer kurzen Erläuterung der Bedeutung der einzelnen Charaktere für den Protagonisten. Weiter soll der Niedergang seiner konkreten Bemühungen um die Wiederherstellung einer idealen Gegenwart Beachtung finden. Es werden aus diesem Grunde die Kapitel untersucht, die die Kampfhandlungen beschreiben. An gegebenem Orte wird dann auch die Schmährede gegen die Deutschen in die Argumentation einbezogen. Diese Arbeitsschritte werden durch die Analyse des Anfanges, bzw. des Endes des Romans eingerahmt, in welcher sich mögliche Entwicklungsergebnisse besonders deutlich darstellen lassen. Abschließend sollen die Ergebnisse der Analyse nochmals kurz zusammengefaßt und kommentiert werden.

1. Die Krise des Beginnens

Hyperions Lebensbericht setzt mit einer Beschreibung der Umgebung ein, in der er sich zu Beginn der Niederschrift, also nach Verlauf der eigentlichen Romanhandlung befindet. Seine innige Beziehung zur Natur, die ihm „Freude und Leid“ gibt, und der Gedanke an die ruhmreiche Vergangenheit Griechenlands werden aber durch düstere Reflexionen verdrängt. Hyperion kann sich nach allen Kämpfen nicht mit seiner Identität als Grieche versöhnen. Sein Vaterland ist für ihn mit Bildern der Gefangenschaft und des Todes konnotiert. Auch die Erinnerung an den Aufenthalt in Deutschland[2] fließt in den Anfang der Niederschrift ein, der Rat der „weisen Herren“ zu handeln anstatt zu klagen läßt Hyperion ausrufen: „ hätt ich doch nie gehandelt! um wie manche Hoffnung wär ich reicher!-“[3]. Diese Irritation mündet in eine erneute Hinwendung zur Natur, die ihm in der Krise als Zuflucht erscheint. Bald darauf stellt er bitter seine Vereinsamung fest und vermißt schmerzlich die Stimme der Geliebten, von denen er nichts mehr vernimmt. Auch im folgenden Brief hält die pessimistische Stimmung Hyperions an. Weder Eigentum noch Menschen oder Aufgaben verbinden ihn mit der Welt und so resümiert er, daß sein „Geschäft auf Erden“ aus sei. Doch bald darauf formuliert er seine Hoffnung, Einheit mit allem Lebendigen zu erreichen. Es ist dieser Dualismus, der Hyperions Dasein die gespannte Dynamik verleiht. Auf der einen Seite gibt der Verlust der Geliebten und die Enttäuschung der erstrebten Ziele Grund zur Verzweiflung, auf der anderen Seite steht die neue Hoffnung, in einen tieferen Zusammenhang mit der Natur und damit mit den vermißten Menschen zu treten. Zu prüfen ist, inwieweit diese Hoffnung im Verlauf des Romans eingelöst werden kann, ob der Erzähler Hyperion diesem Ziel eines neuen Verhältnisses zur Welt näher kommt, oder ob er von den Hypotheken der Vergangenheit so stark belastet ist, daß eine Befreiung, ein Neuanfang nicht erreicht werden kann. Als Teil der Exposition ist auch Hyperions Äußerung über die Wissenschaft von Bedeutung. Er betrachtet seine Fähigkeit, sich von der Umgebung zu unterscheiden als eine Art Sündenfall, der ihn aus dem „Garten der Natur“ verbannt. Dem systematischen wissenschaftlichen Denken stellt er den Traum entgegen, der den Menschen zu einem Gott erhebt.

2. Die Krisen der Trennung

Hyperions Schicksal in der Welt ist durch die Unvereinbarkeit seines Wesens mit den ihn umgebenden Zuständen begründet. Tief verwurzelt in den idealen Vorstellungen des Altertums und ein Liebhaber der antiken Götterwelt verzweifelt er an den neugriechischen Zuständen. Die frühe Begegnung mit dem Künstler Adamas vertieft die Kluft zwischen Hyperion und seiner Umwelt weiter. In der Welt ein Fremdling begibt sich Hyperion immer wieder auf die Suche nach Menschen, die eben wie er die Sehnsucht nach neuer Größe Griechenlands spüren. Und er findet diese geistig verwandten Seelen neben Adamas in Alabanda, mit dem er den Traum von der Erneuerung der Menschheit träumt, und in Diotima, welche wie kein anderer für Hyperion zur Inkarnation des Göttlichen im Menschen wird. Gerade die Seltenheit dieser Begegnungen machen für ihn die Trennung von den Gleichgesinnten zu tiefen Lebenskrisen, in denen er unter dem Gefühl der Isolation und Vereinsamung leidet.

2.1 Die Trennung von Adamas

Die Person des Adamas erscheint in der Schilderung Hyperions als großer Mensch, als „traurender Halbgott“, der Träger der edelsten Eigenschaften ist. Hyperion sieht in Adamas sein Vorbild, seinen neuen Erzieher, rückschauend bezeichnet er das Verhältnis:

„Wie eine Pflanze, wenn ihr Friede den strebenden Geist besänftigt, und die einfältige Genügsamkeit wiederkehrt in die Seele – so stand er vor mir. Und ich, war ich nicht der Nachhall seiner stillen Begeisterung? wiederholten sich nicht die Melodien seines Wesens in mir? Was ich sah, ward ich, und es war Göttliches, was ich sah.“[4]

Adamas, dessen Größe das vorherrschende charakterisierende Moment in der Darstellung des Hyperions ist, hat prägende Wirkung auf die Jugend seines Schülers. Die Darstellung der gemeinsamen Zeit fällt entsprechend farbig aus. Doch selbst die unschuldige Jugenderinnerung wird durch die erdrückende Gegenwart belastet, Hyperion stellt fest, daß „ja nicht einmal ein schöner Traum gedeihen (kann) unter dem Fluche, der über uns lastet.“[5] Doch entsprechend der im Roman entwickelten Dialektik kontrastiert Hyperion den Pessimismus mit neuer Hoffnung, indem er sich an das gemeinsame Sonnenerlebnis erinnert, welches ihn stärkt.

„Was ist Verlust, wenn so der Mensch in seiner eignen Welt sich findet? In uns ist alles. Was kümmerts den Menschen, wenn ein Haar von seinem Haupte fällt? Was ringt er so nach Knechtschaft, da er ein Gott sein könnte!“[6]

Die Auseinandersetzung des Dichters mit den erlebten Verlusten und sein Versuch, diese durch philosophische Anschauung von ihren Schrecken zu befreien, klingt deutlich an. Und die Prophezeiung des früheren Lehrers, daß Hyperion einst einsam sein werde, bringt diesem seine Not erneut vor Augen. Das schmerzhafte Fehlen der geliebten Menschen, das bemerkt Hyperion, macht ihn trotz seines Reichtumes arm. Hier beläßt er es nicht bei der Feststellung seiner Trauer, er benennt bereits die Ursachen für das Unglück. Mit der Exklamation „Wir sinds, wir!“[7] distanziert sich Hyperion vom Glauben an schicksalshafte Fügung und verlegt die Verantwortung für seine Verluste in den Bereich menschlichen Wollens. Damit leitet er zur Trennung von seinem geliebten Lehrer Adamas über, die für ihn zu einer ersten ernsten Krise wird. Die innige Verbundenheit mit dem Idol führt ihn im Angesicht des Abschieds an die Grenzen seiner Existenz: „Mit jedem Augenblicke, der uns der letzten Stunde näher brachte, wurd es sichtbarer, wie dieser Mensch verwebt war in mein Wesen. Wie ein Sterbender den fliehenden Othem, hielt ihn meine Seele.“[8] Noch mit den letzten Worten des Abschieds empfielt Adamas seinen Adepten in die Arme einer alles durchwaltenden Gottheit, die für Hyperion schließlich zur bestimmenden Lebensperspektive wird. Durch derartige Ideale geprägt, vertieft sich die Kluft, die zwischen Hyperion und den Menschen entsteht.

2.2 Die Trennung von Alabanda

Die bedrückende Trennung von Adamas macht Hyperion das Leben in seiner Heimat schwer. Um sich weiter auszubilden und der Enge seiner Heimatinsel Tina zu entgehen, begibt sich Hyperion nach Smyrna an der kleinasiatischen Küste. Dort löst sich seine Schwermut unter den neuen Eindrücken, er erholt sich und berichtet angeregt vom Leben in der Stadt. Das wechselhafte Befinden seines Seelenlebens, welches keine dauerhafte Stabilität kennt, setzt sich auch hier fort und so empfindet er Smyrna bald als Belastung und entschließt sich zur Abreise. Seine Erfahrungen in der Stadt führen ihm die „Unheilbarkeit des Jahrhunderts“ drastisch vor Augen und resignierend verwirft er die Hoffnung, eine gleichgesinnte Seele zu finden. Allein die Person Alabandas, den er in der Stadt kennenlernt, bringt ihn von seinem Vorhaben ab. Dieser teilt seine Verehrung der Heroen des Altertums und hofft eben wie er auf eine neue Größe Griechenlands. Gemeinsam entwickeln die beiden jungen Männer ihre Phantasien von einem „Siegeszug der Menschheit“. Ihr gemeinsamer Idealismus trägt euphorische Züge:

[...]


[1] Friedrich Hölderlin, Hyperion oder der Eremit in Griechenland, Stuttgart 1961, S. 47.

[2] Durch die Kreisstruktur des Romans liegt dieser Aufenthalt zeitlich unmittelbar vor dem Beginn der Niederschrift.

[3] Hölderlin, S. 7.

[4] Hölderlin, S. 14.

[5] Hölderlin, S. 16.

[6] Hölderlin, S. 17.

[7] Hölderlin, S. 18.

[8] Hölderlin, S. 18.

Ende der Leseprobe aus 17 Seiten

Details

Titel
Freudenrausch und Weltenschmerz. Die Entwicklung des Erzählers in Friedrich Hölderlins Roman "Hyperion oder der Eremit in Griechenland"
Hochschule
Freie Universität Berlin  (Germanistik)
Veranstaltung
Friedrich Hölderlin: „Hyperion oder der Eremit in Griechenland“
Note
1,0
Autor
Jahr
1998
Seiten
17
Katalognummer
V198377
ISBN (eBook)
9783656248026
ISBN (Buch)
9783656249504
Dateigröße
506 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
freudenrausch, weltenschmerz, entwicklung, erzählers, friedrich, hölderlins, roman, hyperion, eremit, griechenland
Arbeit zitieren
Thorsten Beck (Autor:in), 1998, Freudenrausch und Weltenschmerz. Die Entwicklung des Erzählers in Friedrich Hölderlins Roman "Hyperion oder der Eremit in Griechenland", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/198377

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