Jugendwiderstand in der DDR: Geschlossener Jugendwerkhof Torgau


Bachelorarbeit, 2012

52 Seiten, Note: 12,0


Leseprobe


Gliederung

1. Einleitung

2. Jugendwerkhofe
2.1 Definition der Institution Jugendwerkhofe
2.2 Geschichte der Jugendwerkhofe
2.3 Unterschiede und Verteilung der Jugendwerkhofe
2.4 Einweisung in den Jugendwerkhof

3. Jugendwiderstand in der DDR
3.1 Sozialistische Erziehung
3.2 Kollektiverziehung
3.3 Umerziehung und Anpassung
3.4 Anwendung der Jugendfursorge/Kollektiverziehung bei Jugendwiderstand

4. Der Geschlossene Jugendwerkhof Torgau
4.1 Anwendung der Padagogik im Geschlossenen Jugendwerkhof T orgau
4.2 Umsetzung der Kollektiverziehung im Jugendwerkhof
4.2.1 Schulbildung der Jugendlichen
4.2.2 Berufsbildung der Jugendlichen

5. Alltag in Torgau
5.1 Ein Tag im Geschlossenen Jugendwerkhof Torgau
5.2 Erziehungs- und Strafma&nahmen
5.3 Aufgaben des Personals im Jugendwerkhof

6. Die Entlassung
6.1 Nachbetreuung der Jugendlichen
6.2 Rehabilitation der Jugendlichen

7. Resumee

Abkurz ungsverzeichnis

Literaturverzeichnis

Internetquellen

Zeitschriftenverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Tabellenverzeichnis

1. Einleitung

Die historische Entwicklung der Deutschen Demokratischen Republik ist ein wichtiger Bestandteil der Geschichte Deutschlands. Mit unterschiedlichen Thematiken aus der Zeit der DDR beschaftigen sich Politwissenschaftler, Historiker und Erziehungswis- senschaftler. Relevant fur die Erziehungswissenschaftler ist das Thema der DDR Padagogik, welche im Zusammenhang mit Heimen, Jugendhilfe und Jugendwerksho- fen steht und viele Facetten aufweist. Aber auch das Bildungssystem mit den Thema­tiken der Umsetzung von padagogischen Konzepten in der Schule, die padagogische Arbeit in den Betreuungseinrichtungen sowie die Methodenauswahl fur eine erfolg- reiche Umsetzung. Gezielt wird die Arbeit auf die Umsetzung der padagogischen MaGnahmen in den Jugendwerkhofen, speziell der Jugendwerkhof Torgau, einge- hen. Aber nicht nur die MaGnahmen, sondern auch die Konzeption der DDR- Padagogik wird im Vordergrund und als zentrale Frage der Arbeit stehen. Ausgangs- punkt fur die Arbeit ist die Definition und Historie der Jugendwerkhofe, um zu verste- hen, in welchen Zusammenhang die Padagogik steht. Der Jugendwiderstand stand im engen Zusammenhang mit der Jugendhilfe und deren Konsequenzen und MaG- nahmen. Daher beschaftigt sich der Hauptteil der Arbeit mit den Folgen des Jugend- widerstandes. Besonders die Methoden der Umerziehung, Anpassung und die sozia- listische Umerziehung, welche auch die Kollektiverziehung beinhaltet, sind im Bezug mit dem Jugendwiderstand naher zu erlautern. Im folgenden Verlauf sollen anhand von Beispielen und Erfahrungsberichten die Fragen zur Methodik, Anwendungsfor- men und MaGnahmen der DDR-Padagogik, speziell im Jugendwerkhof Torgau, un- tersucht werden. Dieser Abschnitt beinhaltet die Umsetzung und Anwendung der Kol­lektiverziehung, welche kritisch beleuchtet werden soll sowie den gesamten Alltags- ablauf der Jugendlichen. Der Fokus des Abschnitts liegt in diesem Fall bei den Erzie- hungs- und StrafmaGnahmen sowie die Aufgaben und das Verhalten des Personals, welche kritisch analysiert werden.

AbschlieGen wird die Arbeit mit dem Kapitel der Entlassung - dieser beinhaltet nicht nur die Grunde fur eine Entlassung, sondern auch die Nachbetreuung und Rehabili­tation der Jugendlichen. Durch Berichte und Erfahrungen von ehemaligen Jugendli­chen des Jugendwerkhofs Torgau werden die Folgen und die bis heute anhaltende Rehabilitation einzelner deutlich, so dass diese im letzten Teil verdeutlicht werden und die anschlieGende Schlussbetrachtung ein Resumee der DDR-Padagogik mit all ihren Facetten wiedergibt.

2. Jugendwerkhofe

Die Entstehungsgeschichte der Jugendwerkhofe begann Ende des 2. Weltkrieges. Durch den Krieg gab es viele Waisenkinder, die auf der Suche nach den Eltern, Ver- wandte oder anderen Bekannten waren. Jugendliche und Kinder waren auf der Su­che nach Nahrung und Obdach oder suchten eine Schlafmoglichkeit fur die Nacht. Die sowjetische Militaradministration, die den Osten Deutschlands besetzte, grundete aufgrund der Situation, den politische Aufgabenbereich der Jugendpolitik, um dadurch die Kinder von den StraGen zu holen. 1947 wurde der Gedanke verfestigt und die ersten Einrichtungen fur Kinder und Jugendliche gegrundet. Hauptanliegen war es in der SBZ, Krim inalitat zu unterbinden und Kindern und Jugendliche im Sinne der sozialistischen Erziehung zu Menschen einer vollwertigen Gesellschaft zu for- men. Durch eine Mischung aus Bildung und Arbeit sollten die Heimkinder eine Orien- tierung und Grundlage furs Leben erhalten. 1951 wurden dann die bis dahin unstruk- turierten Ablaufe und Vorhaben in den Heimen durch eine Verordnung geregelt. Im Jahr darauf wurde dann das Jugendgerichtsgesetz verabschiedet, in dem auch die Heimerziehung ihren gesetzlichen Platz fand.'[1]

2.1 Definition der Institution Jugendwerkhof

Die Jugendwerkhofe der DDR waren Einrichtungen, die der Jugendhilfe zugehorig waren und somit dem Staat unterstellt waren. In den Jugendwerkhofen wurden Ju­gendliche eingewiesen, welche aufgrund von unterschiedlichen Problemen umerzo- gen werden sollten. Die Umerziehung sollte in erster Linie durch produktive Arbeit vollzogen werden. Jugendwerkhofe sind keine Jugendvollzugsanstalten, sondern wurden als Spezialheim definiert. Vorrangig wurden straffallige Jugendliche, welche sich nicht sozial anpassen konnten, eingewiesen. Das Durchschnittsalter der Jugend- lichen lag zwischen 14 und 20 Jahren.[2]

2.2 Geschichte der Jugendwerkhofe

Die Grundungszeit der ersten Jugendwerkhofe war am Anfang der 50iger Jahre und ging auf die Zeit des Nationalsozialismus zuruck. Wenn man sich mit der Geschichte der Jugendwerkhofe beschaftigt, muss zunachst die gesetzliche Grundlage geklart werden. In der Grundungszeit, Anfang der 50iger Jahre, wurde die Jugendhilfe neu geregelt. Die Heimerziehung und Jugendhilfe war den Jugendamtern zugeordnet. Letztendlich wurde 1952 die „Verordnung uber die Berufsbildung und schulische Forderung der Jugendlichen in den Jugendwerkhofen der DDR" verabschiedet. Das Referat fur Jugendhilfe und Heimerziehung arbeitete auf Grundlage dieser Verord- nung sowie auf Grundlage des Jugendgerichtsgesetz (JGG). Im Falle eines Strafver- fahrens wurde das dafur geschaffene Gesetz herangezogen, mit der Voraussetzung, dass der Jugendliche bereits 14 Jahre, aber noch nicht das 18. Lebensjahr erreicht 3 hat.[3] Kernaussage des Gesetzes war es, die Eltern in die Pflicht zu nehmen, zu pru- fen, ob diese ihren Erziehungspflichten nachkommen, wenn eine Straffalligkeit vor- kommt.[4] Wenn die ErziehungsmaGnahmen nicht ausreichen, war die Institution, wel- che auf Grundlage des Gesetzes arbeitet, verpflichtet, die Einweisung in einen Ju- gendwerkhof anzuordnen.[5]

Zusammenfassend kann gesagt werden, dass die Anfangsjahre der 50iger mit vielen Umstrukturierungen konfrontiert und mit Anderungen der Kompetenzzustandigkeiten beschaftigt waren. Die Arbeit der Jugendhilfe war aufgrund der Veranderung nicht konstant und wurde erst 1952/1953 konsolidiert. Auf der Schulkonferenz 1958 der SED wurde die Forderung nach einer polytechnischen Bildung und Erziehung in Heimeinrichtungen deutlich. Daraufhin hat eine sozialistische Umgestaltung innerhalb aller Heime stattgefunden.[6] Diese Forderung wurde auch in dem geschlossenen Ju- gendwerkhof Torgau angewandt und durch die Gesetzgebung waren der Rat des Kreises und seine untergeordneten Amter dafur zustandig, eine Einweisung straffalli- ger und schwererziehbarer/auffalliger Jugendlicher in einen Werkhof zu verordnen. Somit stand die Jugendhilfe in enger Anbindung mit der sozialistischen Schulbildung und hatte die Vermittlung der Volksbildung zum Ziel.[7] In der Verordnung, welche als Arbeitsgrundlage der Jugendhilfe dient, ist folgendes festgeschrieben gewesen:

(2) „In den Spezialheimen werden schwererziehbare und straffallige Jugendli- che sowie schwererziehbare Kinder aufgenommen. [...] Die Erziehungsarbeit erfolgt unter Einbeziehung der Kinder - und Jugendorganisation und der Be- triebe auf Grundlage der sozialistischen Schulpolitik und Padagogik mit dem Ziel der Heranbildung vollwertiger Mitglieder der sozialistischen Gesellschaft o und bewusster Burger der Deutschen Demokratischen Republik.[8]

Die Jugendhilfe hatte verschiedene Aufgaben, die aber uber die Jahre in andere Zu- standigkeitsbereiche wechselten oder aber auch wieder in die Jugendhilfe integriert wurden. Die Aufgabengebiete der Jugendhilfe konnen in drei groGe Bereiche einge- teilt werden. Zum einen die Erziehungshilfe, Rechtsschutz fur Minderjahrige und Vormundschaftsrecht. Das groGe Ziel aller Aufgaben war es, die Jugendlichen zu einem sozialistischen Menschen zu erziehen, der es schafft, sich anschlieGend in das sozialistische System anzupassen und nicht mehr aufzufallen.[9]

2.3 Unterschiede und Verteilung der Jugendwerkhofe

In den bis 1952 insgesamt 18 Jugendwerkhofen der Kategorie A und 10 der Katego- rie B wurde die Umerziehung und sozialistische Ideologie stetig und kontrolliert vo- rangetrieben.

Jugendliche mit einem Wissensstand zwischen dem 6. und 8. Schuljahr wurden der Kategorie A zugeordnet. Diese Jugendwerkhofe verfugten uber interne Ausbil- dungsmaGnahmen, wie z. B. Tischler- und Schreinerausbildung, Schneiderausbil- dung und/oder Schlosser sowie vieles im handwerklichen Bereich. Die Kategorie B war somit fur die Jugendlichen vorgesehen, welche einen Wissensstand bis ein- schlieGlich der 5. Klassen nachweisen konnten. In der Kategorie B der Jugendwerk- hofe wurden Arbeiten durchgefuhrt, welche den Werkhof wirtschaftlich unterstutz- ten.[10]

Im Jahre 1954 wurden zusatzlich Jugendwerkhofe der Kategorie C eingefuhrt, somit wurde eine spezielle EinrichtungsmaGnahme fur schwererziehbare Jugendliche ge- schaffen. Bereits 2 Jahre spater gab es sechs Jugendwerkhofe der Kategorie C. Ins- gesamt war es moglich, 4038 Jugendliche in verschiedenen Kategorien unterzubrin- gen.[11]

Durch die Verabschiedung diverser Gesetze und der Umstrukturierung der Verwal- tungsorgane wurden auch in diesem Zusammenhang die Kategorien in Typ- Bezeichnungen geandert. Die insgesamt 38 bestehenden Heime wurden in Typ I und II umbenannt. Innerhalb der Typenbezeichnung wurde noch einmal unterteilt. So gab es die Unterteilung A fur Normalschuler und B fur Hilfsschuler. Durch die kurze Auf- enthaltsdauer von nur 3 - 9 Monaten ist es bei Typ I der Jugendwerkhofe nicht mog­lich gewesen, in irgendeiner Form eine Berufsausbildung zu absolvieren. Dieser Auf- enthalt war vergleichbar mit dem Jugendarrest.[12] Die Jugendlichen, welche einen Aufenthalt in dieser Einrichtung wahrnehmen mussten, sollten in erster Linie diszipli- niert werden, welches wiederum in einer moglichst kurzen Zeit passieren sollte. Im Gegensatz dazu war der Aufenthalt im Jugendwerkhof des Typs II langfristig ange- legt und beinhaltete eine berufliche Qualifizierung. Fur die kurzfristige Disziplinierung standen 8 Jugendwerkhofe zur Verfugung, welche Raum fur 454 Jugendliche boten. Sieben dieser Werkhofe waren fur die Normalschuler (A) angedacht und ein Ju­gendwerkhof fur die sogenannten Hilfsschuler. Unterteilt wurden die sieben Heime nochmals in zwei fur Madchen und funf fur Jungen. Fur den Typ II, den sogenannten langfristigen Aufenthalt, waren insgesamt 22 Jugendwerkhofe vorgesehen.[13] Diese wurden unterteilt in 17 fur Normalschuler und funf fur Hilfsschuler. 2416 Ju­gendliche konnten somit in Erziehungsheimen des Typs II untergebracht werden. Von den 17 Heimen waren nur drei fur Madchen und acht fur Jungen vorbehalten. Die anderen sechs Jugendwerkhofe wurden genutzt, um Jungen und Madchen gleichzeitig zu erziehen und auch auszubilden. In diesem Kontext ist die Rede von Koedukation - was bedeutet, dass es sich um einen gemeinsamen Aufenthalt von Jungen und Madchen handelt, wobei bei der padagogischen Umsetzung gleiche Zie- le verfolgt werden. Speziell in groGen Heimen, ab 100 Jugendliche, wurden die Ju- gendlichen gemischt. Anhand der Heimen fur Madchen spiegelt sich auch das Ver- halten der Jugendlichen wider. So lag die Einweisungsrate bei 60 % der Jungen und etwa 40 % bei den weiblichen Einweisungen. Am Ende der DDR - Zeit waren 32 Ju- gendwerkhofe registriert.[14]

2.4 Einweisung der Jugendlichen

Die Einweisung der Jugendlichen wurde nicht in allen Landern/Kreisen gleich gere- gelt. So wurden die Einweisungsregelungen in Thuringen, Sachsen und Brandenburg gesondert geregelt und diese Lander besaGen eigene Aufnahmeheime. Diese Hei- me, auch Beobachtungsheime genannt, dienten ausschlieGlich der Beobachtung der Jugendlichen. Durch einen mehrwochigen Aufenthalt in diesem Heim lag die Prioritat darin herauszufinden, ob ein langerer Aufenthalt notwendig ist und somit eine Verle- gung in ein Heim des Typs II.[15]

In Mecklenburg wurden Lenkungsstellen eingerichtet, die die Aufgabe hatten, sich regional um die Einweisung zu kummern. Zustandig fur alle Einweisungen war die „Zentrale Lenkungsstelle", welche dem Ministerium fur Volksbildung untergeordnet war. Die Aufgabe dieser Institution war es, die Aufnahmen und alle Jugendwerkhofe einheitlich zu betrachten und zu kontrollieren. Die Kreisreferate unterlagen auch der Kontrolle der zentralen Lenkungsstelle, dadurch war ein regelmaGiger Austausch gegeben, was wiederum bedeutet hat, dass die Kreisreferate Meldung uber freie Platze machen mussten und uber Besonderheiten oder Auffalligkeiten Meldung ge- ben mussten.[16]

Durch die permanenten gesetzlichen Anderungen stand auch die Jugendhilfe in standiger Veranderung. So wurde 1964 eine neue Stelle geschaffen, welche die Auf­gabe hatte, spezielle Verfahren fur eine Einweisung zu entwickeln. Aber auch die weiteren darauffolgenden Schritte, wie etwa die regelmaGigen Kontrollen und die Beaufsichtigungen der Heime, wurde von dieser Stelle aus betreut und uberwacht. Nach zwei weiteren Jahren nach dieser Anderung wurde der Weg der Einweisung noch einmal neu beschlossen. 1966 war nur uber eine Zustimmung des Rats des Kreises eine Einweisung moglich und dieser Folge zu leisten. Grund dieser Anderung war es, die direkten Einweisungen zu unterbinden. Fur die Gerichte bedeutete das einen Ruckschlag, da diese die Jugendlichen nicht mehr durch einen Gerichtsbe- schluss direkt einweisen durften. Den Jugendlichen wurde durch diese Veranderung, die Moglichkeit gegeben, sich zu bewahren und nach einer kurzen Zeit wurde der weitere Weg bestimmt, in welches Spezialheim der Jugendliche aufgenommen wer- den sollte, wenn es denn uberhaupt noch notig war. Der Staat wollte somit einer Fehlentscheidung vorbeugen und eine ungerechte Behandlung ausschlieGen. Die 17 Anordnung basierte auf Grundlage der Jugendhilfeverordnung.[17]

Als die ersten Jugendwerkhofe entstanden sind, wurde eine Einweisung als erstes von den Eltern gestellt. In diesen Fallen wurde von freiwilligen Antragen gesprochen. Samtliche Einweisungen waren allerdings auf Gerichtsurteile zuruckzufuhren. Das Gericht hatte in der DDR das Recht, Jugendliche/Kinder ab dem 14. Lebensjahr zu einer Freiheitsstrafe zu verurteilen. Freiheitsstrafe bedeutete in diesem Fall auch, dass, wenn noch Hoffnung auf Umerziehung bestand, diese Jugendlichen in den ge- schlossenen Jugendwerkhof Torgau eingewiesen wurden.[18]

Grunde fur eine Einweisung waren unter anderem kriminelle Delikte, sexuelle Uber- griffe, aber auch politische Widerstande. Aber auch Grunde wie beispielsweise Ver- stoGe an der Arbeitsstelle, Schule und Elternhaus, Herumtreiberei, Passvergehen, Bandenbildung, Urkundenbetrug oder/und Staatsverleumdung. Im Fokus des Staates stand im Laufe der 80iger Jahre die politische Einstellung von Jugendlichen. In die­ser Zeit gab es besonders viele Einweisungen aus Grunden der politischen Provoka- tion, Ablehnung des Systems oder durch stark soziale Verwahrlosung. Nachgewie- sen wurden auch Einweisungen, welche weder einen Einweisungsantrag noch einen richterlichen Beschluss nachweisen konnten. Durch diese gesetzeswidrige Handlung wurde deutlich, welchen Einfluss der Staat auf die Institutionen hatte und dafur Sor- gen getragen hat, dass auffallige Jugendliche schnell umerzogen werden sollten.[19]

3. Jugendwiderstand in der DDR

Der gegen das kommunistische Regime gerichtete Widerstand kristallisierte sich ver- starkt Anfang der 50iger Jahre heraus. Als Feind wurden alle die eingestuft, welche nicht die Ideologie des Staates vertraten.[20] In der DDR waren die Thematiken und Widerstand und Oppositionen Tabu-Themen, gerade von Seiten der SED. Dennoch bildeten sich Gruppen, besonders oppositioneller Jugendlicher. Bekannt ist die Gruppe, welche den „Eisenberger Kreis" bildete. Sie bleibt aber auch die Ausnah- me.[21] Dazu mochte ich nur einen kurzen Einblick gewahren, da sich das Thema der Arbeit nicht ausschlieGlich mit dem „Eisenberger Kreis" beschaftigt, aber dennoch eine Form des Widerstandes ausdruckt. Der Grunder Thomas Ammer gehorte der FDJ an, aber nicht aus politischer Uberzeugung, sondern damit er die Moglichkeit hatte, sein Abitur zu machen. Die Ammer Gruppe setzte sich im Laufe der Grun- dungsgeschichte mit einer weiteren Gruppe in Verbindung, welche die gleichen Ab- sichten und Ziele verfolgte. Die zwei Gruppierungen, welche unabhangig voneinan- 22 der waren, schlossen sich dann zusammen.[22]

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 1: Grunder und Zeitzeuge des „Eisenberger Kreis" Thomas Ammer im Septem­ber 2006 in der Robert-Havemann-Gesellschaft. Foto: Frank Ebert Quelle: Robert-Havemann-Gesellschaft

In Bezug auf die Jugendwerkhofe geht es primar darum, dass sobald ein Jugendli- cher nicht die Ideologie des Regimes vertritt, eingewiesen worden ist. Somit eine MeinungsauGerung nicht moglich war - vor allem in der Offentlichkeit.[23] Wer in der Offentlichkeit fur einen Widerstand aussprach, musste damit rechnen, dass er von der Staatssicherheit, welche 1950 gegrundet wurde, verfolgt wurde. Die Strafen sollten abschrecken, um sich weiterhin gegen das Regime aufzulehnen. Die Strafen konnten die Einweisung ins Zuchthaus, in die Psychiatrie oder die Einwei- sung in den Jugendwerkhof bedeutete, je nach Alter und Straftat hat die Behorde das StrafmaG ausgesprochen. Auch der Eisenberger Kreis war gegen u. a. gegen die Scheinwahlen der SED, denn das Ergebnis der Wahlen wurde bereits im Vorfeld be- schlossen. So ergangen ist es auch dem damals 18-jahrigen Joseph Flade, der in seiner sachsischen Heimatstadt Olbernhaus Flugblatter gegen die undemokratische Volkswahl verteilte; vom Landgericht Dresden wird er dafur zum Tode verurteilt.[24] Er antwortete im Gericht auf das Urteil und auf die Frage, ob es ihm bewusst ware, dass er das hochste StrafmaG zu erwarten hatte:

"Auch wenn Sie mich zum Tode verurteilen, ich liebe die Freiheit mehr als mein Le- ben."[25]

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 2: Joseph Flade

Quelle: Heft der KgU, Heft 3, Nov. 1952

3.1 Sozialistische Erziehung

Die Forderung der sozialistischen Erziehung lag in den Schwerpunkten Sport, Kultur und Schule. Auf diese drei Bereiche bezogen sich die Gesetzgebungen. Auch das Jugendgesetz wurde geandert und den Bedurfnissen der Jugendforderung ange- passt. So wurden alleine zwischen 1950 und 1974 drei Gesetze zur Forderung ver- abschiedet. Diese drei Gesetze waren:

1. Gesetz uber die Teilnahme der Jugend am Aufbau der DDR und die Forde- Rund der Jugend in Schule und Beruf, bei Sport und Erholung (1950)
2. Gesetz uber die Teilnahme der Jugend der DDR am Kampf um den umfas- senden Aufbau des Sozialismus und die allseitige Forderung ihrer Initiati­ve bei der Leitung der Volkswirtschaft und des Staates, in Beruf und Schu­le, bei Kultur und Sport (1964)
3. Gesetz uber die Teilnahme der Jugend an der Gestaltung der entwickelten Sozialistischen Gesellschaft und uber ihre allseitige Forderung in der DDR.[26]

Durch die Gesetze wird deutlich, dass es dem Regime sehr wichtig war, die Jugend am Aufbau der DDR und dem Sozialismus zu beteiligen und diesen zu verinnerli- chen. Durch die Grundung von Jugendgruppen, wie etwa den Jungpioniere, Thal- mann-Pioniere und die FDJ, innerhalb der Schulen, sollte ein Zusammenhalt ge- schaffen werden und ein kollektives Miteinander. Der Staat wollte die sozialistische Erziehung nicht ausschlieGlich dem Elternhaus uberlassen, sondern ubernahm gro- Gen Einfluss, schon durch Pflichtveranstaltungen in den Schulen. Aus der Verfas- sung der DDR, im Artikel 31 vom 7.10.1949 hieG es:

„Die Erziehung der Kinder zu geistig und korperlichen tuchtigen Menschen im Geiste der Demokratie ist das naturliche Recht der Eltern und deren oberste Pflicht gegen- uber der Gesellschaft."[27]

Fur den Staat war es auGerordentlich wichtig, dass die sozialistische Erziehung in allen Lebensbereichen wiederzufinden war. Die Kinder sollten sich in das bestehen- de System einordnen, mit all ihren allseitigen und psychischen Entwicklungsschritten; durch die menschenbildende Einwirkung in Form der Arbeit sollten weitere sozialisti­sche Ideologien vermittelt werden. Fur das Regime war die Erziehung durch Arbeit die eigentliche und wichtigste Voraussetzung fur das Menschwerden.[28] Aufgabe der Institutionen, dazu zahlten alle Betreuungseinrichtungen sowie Heime und Jugend- werkhofe, war es durch ErziehungsmaGnahmen das Gemeinschafts- und Kollektiv- verhalten zu starken sowie die Werte der sozialistischen Erziehung weiterzugeben und somit auch eine Vorbildfunktion inne zu haben. Das hochste Ziel der Einrichtun- gen, wie z. B. Schule, Hort, Kinderkrippe, Kindergarten, war es, das die zu Erziehen- den in die bestehende sozialistische Gesellschaft aufgenommen werden und sich nutzlich einbringen. So war auch das oberste padagogische Ziel in allen Heimen, in denen es um eine Umerziehung ging. Die Mitarbeiter sollten die Jugendlichen zu vollwertigen Mitgliedern der sozialistischen Gesellschaft umerziehen und das Be- wusstsein dieser starken.[29]

3.2 Kollektiverziehung

Durch die Einbeziehung von den o.g. Institutionen wurde nicht nur sozialistisches Gedankengut sehr fruh verankert, sondern auch die Kollektiverziehung in fruhen Kin- derjahren gestarkt und gefordert. Heute und zur Zeit der Bundesrepublik Deutsch- lands zur Zeit der Teilung verstand man unter dem Begriff Kollektiv jenes, was wir heute als Team oder Arbeitsgruppe bezeichnen. In der DDR wurde der Begriff Kol­lektiv in etwas anderer Form abgewandelt und angewandt. Der Begriff der Kollekti­verziehung steht dem Begriff der Individualisierung gegenuber und hat in vielen west- lichen Landern keinen festen Bestandteil in der Erziehung gefunden. Schon der Phi- losoph Rousseau (1750) befasste sich in der Neuzeit mit den Gegensatzen Kollektiv und Individualismus/Subjekt sowie zur Zeit der Antike waren es Platon und Aristote- les, welche sich mit dem Gemeinwohl und Gluck des Einzelnen befassten und philo- sophierten. In der Zeit des Mittelalters war es Thomas von Aquin, der sich mit dem Gemeinwohl auseinandersetzte. So hatte jede Zeit seine Philosophen, Meinungen und Ansichten, welche gegensatzlich diskutiert worden sind und sich mit dem ver- schiedenen Machtwechsel und Wechsel der Epochen anderten.[30] In Frankreich war die kollektivistische Einstellung innerhalb der Sozialwissenschaften stark vertreten gewesen. Bekannte Vertreter, wie Durkheim und seine Schuler, setzten durch ihre Schriften der Individualisierung entgegen. Dennoch kann in der modernen philoso- phischen Erkenntnistheorie mehrheitlich gesagt werden, dass der Fokus bei der Be-trachtungsweise auf dem Subjekt liegt und somit individuelle Verhaltensweisen im Vordergrund standen[31]

[...]


[1] Vgl.: Eine Publikation des Ministeriums fur Bildung, Jugend und Sport des Landes Brandenburg: Einweisung nach Torgau, S. 79 ff.

[2] Vgl.: ebd., S. 81

[3] Vgl.: ebd., S. 116

[4] Vgl.: § 12 (4) JGG vom 23.5.1952

[5] Vgl.: Eine Publikation des Ministeriums fur Bildung, Jugend und Sport des Landes Brandenburg: Einweisung nach Torgau, § 14, JGS vom 23.5.1952, S. 47

[6] Vgl.: ebd., S. 50

[7] Vgl.: Anordnung uber die Spezialheime der Jugendhilfe vom 22. April 1965

[8] Wiedemann, Theresa; 2006:

http://www.albertiner.de/CMS/images/stories/albertinerPDF/Jugendwerkhoefe_in_der_DDR_Theresa_Wiede mann.pdf

[9] Niermann 1974, S. 113

[10] Vgl.: Zimmermann 2004, S. 266

[11] Vgl.: Eine Publikation des Ministeriums fur Bildung, Jugend und Sport des Landes Brandenburg: Einweisung nach Torgau, S. 89

[12] Vgl.: Zimmermann 2004, S. 271 ff.

[13] Vgl.: ebd., S. 274

[14] Vgl.: ebd., S. 268

[15] Vgl.: ebd., S.259 ff.

[16] Vgl.: ebd., S. 261

[17] Vgl.: Eine Publikation des Ministeriums fur Bildung, Jugend und Sport des Landes Brandenburg: Einweisung nach Torgau; § 23 JHVO, S. 98

[18] Vgl.: Zimmermann 2004, S. 261 ff.

[19] Vgl.: Eine Publikation des Ministeriums fur Bildung, Jugend und Sport des Landes Brandenburg: Einweisung nach Torgau, S. 108 ff.

[20] Vgl.: Von zur Muhlen (1995), S. 241

[21] Vgl.: a.a.O., S. 18

[22] Vgl.: ebd.

[23] Anm. des Verfassers

[24] 4 Vgl.: http://www.jugendopposition.de/index.php?id=2658

[25] http://www.munzinger.de/search/portrait/Hermann+Josef+Flade/0/3840.html

[26] Niermann (1974), S. 114

[27] Helwig, Gisela (1984): Jugend und Familie in der DDR, S. 107

[28] Vgl.: Niermann (1974), S. 84 ff.

[29] Vgl. a.a.O.

[30] Vgl.: Regenbogen/Meyer(2005) : Worterbuch der philosophischen Begriffe, S. 236

[31] Vgl.: http://dreiweltentheoriekritik.wordpress.com/tag/rousseau/

Ende der Leseprobe aus 52 Seiten

Details

Titel
Jugendwiderstand in der DDR: Geschlossener Jugendwerkhof Torgau
Hochschule
Justus-Liebig-Universität Gießen  (Erziehungswissenschaft)
Note
12,0
Autor
Jahr
2012
Seiten
52
Katalognummer
V197483
ISBN (eBook)
9783656236207
ISBN (Buch)
9783656237488
Dateigröße
1204 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Thematisiert wird primär die Pädagogik der DDR in den Jugendwerkhöfen - speziell im Fokus der Arbeit steht der Geschlossene Jugendwerkhof Torgau.
Schlagworte
jugendwiderstand
Arbeit zitieren
Wiebke Knobloch (Autor:in), 2012, Jugendwiderstand in der DDR: Geschlossener Jugendwerkhof Torgau, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/197483

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