Obszönität in Martin Montanus "Der Wegkürzer"

Zur Darstellung des Sexuellen in der Schwankliteratur des 15. und 16. Jahrhunderts


Hausarbeit, 2005

12 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


1. Einleitung

Obwohl im Vorwort von Martin Montanus’ Schwankbuch „Der Wegkürzer“1 bekräftigt wird, Montanus habe dieses Buch in Druck geben lassen, so dass es keinem, der es liest schädlich sein würde2 und das Buch „den mannen unnd allen weybspersonen zu gutem fürgeschriben ist“3, sei auch der „Wegkürzer“, zusammen mit den Werken von Jakob Frey, Michael Lindener und Valentin Schumann „für den schlechten Ruf der Schwankliteratur“ mitverantwortlich4, wenn man Kyra Heidemann, HansJürgen Bachorski5 oder „Der Augsburger Schmähschrift wider den Wegkürzer und Andreützo“6 glauben schenkt.

Das Schwankbuch, welches in der Tradition von „Schimpf und Ernst“, der „Gartengesellschaft“ und des „Rollwagens“ geschrieben ist, ist häufig analysiert worden. Mit der Augsburger Schmähschrift existiert sogar ein zeitgenössischer Rezeptionsbeleg, welcher Bemerkungen zu diesem Thema enthält.

In welcher Weise Obszönität Inhalt des „Wegkürzers“ ist, und was diese Anrüchigkeit ausmacht, soll in der folgenden Seminararbeit im Rahmen des Proseminars „Geschlechterverhältnisse in populären Texten des 15. und 16. Jahrhunderts“ mit besonderem Augenmerk auf den dargestellten Umgang von Männern und Frauen miteinander in Frage gestellt werden. Zur Anschauung werden die folgenden Schwänke analysiert: Nr. 157, Nr. 228, Nr. 279, Nr. 3010, Nr. 3111, Nr. 3212 und Nr. 3913, welche zur Belustigung auf Reisen und zum Zeitvertreib erzählt wurden.

2. Obszönität durch Thema, Metaphorik und Details?

Ein Text kann durch seinen Inhalt, seine Sprache oder seine allzu genaue Betrachtensweise als obszön betrachtet werden. Es bleibt zu untersuchen, inwiefern diese drei Bestandteile Obszönität im Falle des „Wegkürzers“ hervorrufen.

2.1 Obszöne Thematik:

Anrüchig sind viele Schwänke schon wegen ihres Themas. In den ausgesuchten Beispielen geht es nicht nur um Sexuelles im Allgemeinen, was je nach Aufbereitung schon Basis von Unflätigem sein kann, sondern viel mehr um sonderbare, moralisch oder sogar gesetzlich inakzeptable Praktiken und Figurenkonstellationen, wobei der Grad der Anstößigkeit im Lauf der Geschichten tendenziell zunimmt.

Unter den ersten Schwänken im Wegkürzer findet sich Schwank 15. Hier geht es um die Werbung einer Königstochter durch einen Gesellen. Die

Anzüglichkeit hierin besteht zum einen im Standesunterschied der beiden.

Zum anderen in der Verkleidung des Jünglings als Kammerzofe und der dadurch ermöglichten Intimität, die für ein unverheiratetes Paar tabu war.

Als Steigerung dessen geht es in Schwank 22 nicht nur um vorehelichen Geschlechtsverkehr, sondern um unfreiwilligen vorehelichen Beischlaf, der zusätzlich noch in der Zeugung eines vaterlosen Kindes mündet. Dies war nach der brandenburgischen Visitationsordnung von 1573 Unzucht14 und somit nicht nur Sünde, sondern ein öffentliches Delikt.15 „Keinen Vater zum Kinde zu haben, war .. für die Frau ehrmindernd und bedeutete, dass weder Hebamme noch Kindlbier [ein Geburtsfest] gezahlt wurden. Die emotionale und materielle Bedeutung dessen für die ledige Mutter lassen sich kaum messen.“16

Die Obszönität des Schwankes 27 liegt weniger in der ausgelebten Sexualität, da diese erstens in sehr geringem Maße und zweitens innerhalb einer Ehe praktiziert wird. Die Diskrepanz, was Erfahrung und Triebhaftigkeit angeht, zwischen dem alten, ruhesuchenden Ehemann und der jungen unerfahrenen Frau lässt einen Dialog entstehen, welcher durch seine Wortwahl als anrüchig zu verstehen ist. Ein Plus an Obszönität wird der Thematik hinzugefügt, als ein Priester einbezogen wird, welcher die Frau belästigt, indem er vorgibt, ihre Sünden würden nur vergeben, wenn sie sich auf ihn einlasse. Die Erzählung endet mit dem Fluch des Pfarrers „Ey, nun leck dich der teuffel!“, was den Höhepunkt der Unflätigkeit ausmacht.

In der sexuellen Beziehung eines Mönchs zu einer Frau liegt die Obszönität, betrachtet man die Schwänke 30, 31 und 32. Die Thematik des vorehelichen oder gar ehebrecherischen Geschlechtsverkehrs scheint nicht mehr schockierend genug, weshalb der Mönch als Figur vorkommt.

[...]


1 Ich zitiere nach Martin Montanus, Schwankb ü cher, (1557-1566) (i.e. Wegkuerzer), hrsg. Von Johannes Bolte, Tübingen 1899. Im Folgenden werden die Angaben daraus nur mit der Nummer des jeweiligen Schwankes zitiert. Die Hervorhebungen stammen von mir.

2 vgl. Montanus, Wegk ü rzer (siehe Anm. 1) S. 4, Z. 24-26

3 vgl. Montanus, Wegk ü rzer (siehe Anm. 1) S. 4, Z. 12f

4 vgl. Kyra Heidemann: Grob und teutsch mit nammen beschryben: Überlegungen zum Anstößigen in der Schwankliteratur des 16. Jh. 1991. 415/426 In: Ordnung und Lust. S. 418

5 Ich zitiere nach Hans-Jürgen Bachorski: Ein Diskurs von Begehren und Versagen: Sexualität Erotik und Obszönität in den Schwanksammlungen des 16. Jahrhunderts. 1996. In: Sciure.

6 Ich zitiere nach Der gelertter le ü tt urtell ü ber ain b ü chlin (Augsburger Schmähschrift wider den Wegkürzer und Andreützo (1558) in: Martin Montanus’ Schwankbücher, hg. Von Johannes Bolte. Tübingen 1899. Reprint 1972, S. 457-475

7 Montanus, Wegk ü rzer (siehe Anm. 1) „Ein junger Gesell erwarb eins konigs tochter.“ S. 36 - 39

8 Montanus, Wegk ü rzer (siehe Anm. 1) „Wie ein junger gesell einer ein kind im schlaff macht.“ S. 47

9 Montanus, Wegk ü rzer (siehe Anm. 1) „Ein alter mann hett ein junges weyb.“ S. 52f

10 Montanus, Wegk ü rzer (siehe Anm. 1) „Münch Albrecht einer jungen frauwen

zuverstehn gibt wie der engel Gabriel umb sie buhlet und er sie and des engels stadt offtermals beschlafft.“ S. 63 - 72

11 Montanus, Wegk ü rzer (siehe Anm. 1) „Münch Rinaldus beschlafft sein gefatterin, darzu der mann kommet dem sie beyde zuverstehn geben, wie sie dem kind die würm vertriben.“ S. 73 - 78

12 Montanus, Wegk ü rzer (siehe Anm. 1) „Münch Burckhardt schlafft bey einer würtin darzu der mann kompt.“ S. 78 - 83

13 Montanus, Wegk ü rzer (siehe Anm. 1) „Fraw Agnes schicket nach einem den sie zwen bundtschuch zu haben vermeint.“

14 Vgl. Emil Sehling: Die Evangelische Kirchenordnung des XVI. Jahrhunderts, Bd. 3, Leipzig 1909 (Neudruck Aalen 1970). Zitiert nach Ulrike Gleixner: Sexualisierung der Geschlechterverh ä ltnisse? Zum Unzuchtsdiskurs in der Frühen Neuzeit. S. 358

15 vgl.Heinz Schilling: „ Geschichte der S ü nde “ oder „ Geschichte des Verbrechens “:

Überlegung zur Gesellschaftsgeschichte der Frühneuzeitlichen Kirchenzucht in: Annali dell’Instituto storico italo-germanico in Trento 12 (1986) S. 169-192. Zitiert nach Gleixner. S. 358

16 Gleixner, S. 363

Ende der Leseprobe aus 12 Seiten

Details

Titel
Obszönität in Martin Montanus "Der Wegkürzer"
Untertitel
Zur Darstellung des Sexuellen in der Schwankliteratur des 15. und 16. Jahrhunderts
Hochschule
Johannes Gutenberg-Universität Mainz  (Deutsches Institut)
Veranstaltung
Schwankliteratur des 15. und 16. Jahrhunderts
Note
1,3
Autor
Jahr
2005
Seiten
12
Katalognummer
V197238
ISBN (eBook)
9783656232223
ISBN (Buch)
9783656232339
Dateigröße
479 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Schwankliteratur, Wegkürzer, Montanus, Obszönität, Sexualität, Metaphorik, Sexualmoral, Humor, Vulgärmetaphern
Arbeit zitieren
Mareike Hachemer (Autor:in), 2005, Obszönität in Martin Montanus "Der Wegkürzer", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/197238

Kommentare

  • Noch keine Kommentare.
Blick ins Buch
Titel: Obszönität in Martin Montanus "Der Wegkürzer"



Ihre Arbeit hochladen

Ihre Hausarbeit / Abschlussarbeit:

- Publikation als eBook und Buch
- Hohes Honorar auf die Verkäufe
- Für Sie komplett kostenlos – mit ISBN
- Es dauert nur 5 Minuten
- Jede Arbeit findet Leser

Kostenlos Autor werden