Die Sprichwörtersammlung Johannes Agricolas - Kurzweil?


Hausarbeit (Hauptseminar), 2000

13 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis:

I. Einleitung

II. Das Sprichwort

III. »Warzu die sprichwortter dienen«

IV. Die Darstellung der Welt

V. Der theologische Aspekt

VI. Schluß

VII. Literaturverzeichnis

I. Einleitung

In der vorliegenden Arbeit soll die Sprichwörtersammlung Johannes Agricolas in Hinsicht auf den Aspekt der Kurzweil untersucht werden. Im Vorfeld der Untersuchung wird zunächst der Begriff des Sprichworts geklärt und auf seine spezifischen Merkmale hin definiert werden.

Zwischen 1529 und 1548 gibt Johannes Agricola insgesamt vier Bände gesammelter Sprichwörter heraus, wobei die Ausgabe von 1534 eine verbesserte Neuauflage der ersten beiden ist.

Im Humanismus entstehen, angeregt durch Erasmus von Rotterdam und seine Adagia, mehrere Sprichwortsammlungen, die erläuternde Auslegungen beinhalten.1 Auf diesen Kommentaren, die auch Agricola seiner Anthologie hinzufügt, wird der Schwerpunkt der Analyse liegen.

Die Betrachtungsweise impliziert zum einen den Blick auf die tatsächliche Kürze der Texte im Sinne »Kleiner Prosa«. Bei lediglich der Feststellung, daß Agricola sich bei der Kommentierung der zusammengestellten Proverbien kurz faßt, soll es natürlich nicht bleiben. Stattdessen wird in diesem Kontext auf seine theoretischen Überlegungen zur Kürze der Sprichwörter und den sich seiner Ansicht nach daraus ergebenden Nutzen einzugehen sein. Hierzu wird die von Agricola der Sammlung vorangestellte und mit dem Titel »Warzu die sprichwortter dienen« versehene Abhandlung herangezogen werden.

Zum anderen soll anhand ihrer Funktionsweise dargestellt werden, welchen Gedanken oder welche Wahrheit die Texte möglicherweise transportieren, ob der Begriff der Kurzweil auch im Sinne eines Bedeutungsverzichts auf die Sprichwörtersammlung anwendbar ist.

Nicht sämtliche 750 Sprichwörter der Ausgabe von 1534 können in die Untersuchung einbezogen werden, die hier behandelte Auswahl kann lediglich einen gewissen Einblick in die Sammlung geben. Die vorliegende Arbeit ist begleitend zum Seminar »Kurzweil. Kleine Prosa der Frühen Neuzeit« entstanden, weswegen sich die Untersuchung auf die Sprichwörter beschränken wird, die sämtlichen Teilnehmern als Lektüre zur Verfügung stehen.

II. Das Sprichwort

Als Sprichwort gilt eine volkstümliche Aussage, die sich durch Konstanz des Wortlauts, Anspruch auf Allgemeingültigkeit und geschlossene syntaktische Form auszeichnet. Es formuliert eine Erfahrung, die weder schichtenspezifisch noch historisch gebunden ist. Das Sprichwort unterstellt eine ewige Wiederkehr des Gleichen, die jedoch nicht durch eine lehrhafte Tendenz oder eine moralische Forderung ausformuliert ist, sondern sich aus der Art der Anwendung ableiten läßt. Es wird nicht angewendet, um Klugheit oder ethisches Handeln zu begründen, sondern um die Gesetzmäßigkeit des Wiederkehrgedankens einzubringen. Anstelle einer moralischen Tendenz geben Sprichwörter häufig Beobachtungen und Erfahrungen wieder. Infolge der Diskrepanz von ahistorischer Erfahrung und historischer Fallanwendung zeichnet sich das Sprichwort durch eine rückschauende Tendenz und einen resignierenden Charakter aus.2 Die allgemeinmenschliche Orientierung sowie die Schilderung typischer Verhaltensweisen in generalisierender Weise können dazu führen, daß dem Proverbium Widersprüche immanent sind oder sich die Aussagen verschiedener Sprichwörter als Gegensätze konstituieren.3

III. »Warzu die sprichwortter dienen«

Seiner Sprichwortsammlung stellt Agricola eine theoretische Abhandlung voraus, die er mit dem Titel »Warzu die sprichwortter dienen« überschreibt.4 Seine sich anschließende Argumentation zielt zunächst weniger auf eine konkrete Beantwortung der aufgeworfenen Frage, als darauf, anhand einiger Beispiele die Vorteilhaftigkeit kurzer Texte aufzuzeigen. Zum Beweis führt Agricola verschiedene Grundsätze ethischen Verhaltens auf: die zehn Gebote der Juden, die »drey ding« der Heiden sowie die zwölf Tafeln der Griechen.

An diesen hebt er insbesondere ihre Kürze hervor, die die Prinzipien richtigen Verhaltens präzise hervortreten läßt und sie im Gedächtnis zu halten ermöglicht.5 Agricola kommt zu dem Schluß, daß die Anzahl von Gesetzen in direktem Zusammenhang zur Eigenmoral steht, wobei er die Notwendigkeit vieler Worte und Gesetze als Anzeichen dafür deutet, daß die natürliche Ordnung gestört ist: »Ja mehr gesetze/ ia mehr untugent«. So befürwortet er eine Reduktion auf das Wesentliche, eine Dezimierung der Vorschriften gerade in Bezug auf ihre Länge. Seine Ansicht stellt er in konkreten Zusammenhang mit dem Wirken Gottes. Auch dieser, so argumentiert Agricola, habe in der Kürze der zehn Gebote »nichts vergessen […] alles des/ das ein mensch Gott und den menschen schuldig ist zuthun.«

Den Anspruch, in konziser Form normative Handlungsanweisungen auszudrücken, sieht Agricola in den Sprichwörtern gegeben und stellt sie den oben beschriebenen Grundordnungen an die Seite. Er sieht die Sprichwörter als Vermächtnis der alten Deutschen, die Treue und Glauben gemäß lebten, ohne viele Worte zu machen.

Diesem Umstand entnimmt Agricola zudem eine Rechtfertigung für die fehlende volkssprachliche schriftliche Überlieferung.6

Auf den hier bereits im Voraus thematisierten Sachverhalt wird Agricola im Kommentar zum 733. Sprichwort »Vor zeiten gab man kurtze brief und war vil glaubens/ yetz gibt man lange brieffe/ und ist wenig glaubens« erneut Bezug nehmen. Auch dort beklagt er, daß die vielen Gesetzes- und Vertragsregeln nicht deren Einhaltung implizieren, sondern daß im Gegenteil das Recht unter seiner starken Reglementierung zu leiden hat. Die alten Deutschen unter Barbarossa hätten wenige Worte gemacht, aber ihre Versprechen eingehalten. »Dise erfarung«, so führt er aus, »lobet die alten/ aber uns lobet sie nit seer fast«.

Untersuchungen.) Die im folgenden verwendeten Angaben zum Werk Agricolas beziehen sich auf diese Ausgabe.

Zum Abschluß seiner einleitenden Überlegung werden einige Sprichwörter in einer Aufzählung angeführt, die unter verschiedenen thematischen Gesichtspunkten zusammengefaßt werden können: zunächst verdeutlicht er die Macht Gottes und die Überzeugung, daß letztlich alles Wirken auf diesen zurückzuführen ist: »Widder die bauchsorge haben sie gesagt/ Gott bescheret uber nacht. Item/ Gott hat mehr/ denn er yeh vergab.«

Darauf folgen moralisch ausgerichtete Sprichwörter zu Treue und Genügsamkeit, um zu zeigen, daß die von ihm gesammelten Weisheiten alle guten und schlechten Dinge des Lebens umfassen.

Agricolas Abhandlung steht in verhältnismäßig konkreter Verbindung zum Werk, indem sie sich theoretisch mit dem Gegenstand der Sammlung befaßt. Zur Begründung des Wertes der gesammelten Texte, ihrer Geschichte und Funktion, tritt die Diskussion allgemeiner moralischer, zeitkritischer und religiöser Fragen.7

IV. Die Darstellung der Welt

Einige der Sprichwortauslegungen, die Agricola seiner Sammlung hinzufügt, scheinen weniger der Erläuterung oder Herkunft der Sprichwörter zu dienen. Auch eine moralisierende Komponente ist in diesen kaum zu finden. Vielmehr finden sich hier einzelne Schwänke oder Historien, die lediglich eine Situation schildern, in der das Proverbium den Sachverhalt trifft.8

So werden im Kommentar zu »Wer do redet was yhn gelustet/ der muß offt horen/ das er nicht gern horet« (Nr. 159) drei Episoden erzählt, die, abgesehen von der im Sprichwort selbst anklingenden Moral, keine weiteren Lehren kundtun. Hier bestehen die Anmerkungen Agricolas demnach nur in der Schilderung dreier spezieller Situationen, in denen sich die Wahrheit des Proverbiums abzeichnet. Eine Schlußfolgerung im Sinne eines Rates, wie man sich richtig zu verhalten habe, gibt es nicht. Die Erkenntnis, daß der Inhalt des Sprichwortes sich in den genannten Fällen bewahrheitet hat, reicht als Feststellung aus. Daß seine Absicht nicht moralisch motiviert ist, sondern lediglich der Erklärung und Erläuterung dient, artikuliert Agricola selbst: »Dise historie schreib ich nicht/ yemand damit zuschenden/ […] sonder daß man also durch gemeyne gleichnis erfare/ daß die do gern reden was sie gelustet/ die mussen auch offt horen das sie nicht gern horen.«

[...]


1 Vgl. Thomas Althaus: Kleine Prosa der Frühen Neuzeit: Die Adagia des Erasmus von Rotterdam in ihrer Wirkung auf Johannes Agricola und Sebastian Franck. In: Jahrbuch der Oswald von Wolkenstein Gesellschaft. 11. Bd. Frankfurt/Main 1999, S. 322.

2 Vgl. Helmut Weidhase: Sprichwort. In: Metzler Literatur Lexikon. Begriffe und Definitionen. Hrsg. v. Günther u. Irmgard Schweikle. 2., überarb. Aufl. Stuttgart 1990, S. 439.

3 Vgl. Heinz-Dieter Grau: Die Leistung Johannes Agricolas als Sprichwortsammler. Ein Beitrag zur Sprichwortsammlung. Diss. Tübingen 1968, S. 194.

4 Johannes Agricola: Sybenhundert und fünnfftzig Teütscher Sprichwörter verneüwert und gebessert. Mit einem Vorwort von Mathilde Hain. Hildesheim, New York 1970. (Nachdruck der Ausgabe Hagenau 1534). (= Volkskundliche Quellen. Neudrucke europäischer Texte und

5 Vgl. Bärbel Schwitzgebel: Noch nicht genug der Vorrede. Zur Vorrede volkssprachiger Sammlungen von Exempeln, Fabeln, Sprichwörtern und Schwänken des 16. Jahrhunderts. Tübingen 1996. (= Frühe Neuzeit. 28.), S. 103; vgl. Hans Rupprich: Die deutsche Literatur vom späten Mittelalter bis zum Barock. 2. Teil: Das Zeitalter der Reformation. 1520-1570. München 1973. (= Geschichte der deutschen Literatur. Von den Anfängen bis zur Gegenwart. 4,2.), S. 395.

6 Vgl. Wolfgang Mieder: Sprichwort - Wahrwort!? Studien zur Geschichte, Bedeutung und Funktion deutscher Sprichwörter. Frankfurt/Main u.a. 1992. (= Artes Populares.23.), S. 13.

7 Vgl. Schwitzgebel (wie Anm. 5), S. 110.

8 Vgl. Althaus (wie Anm. 1), S. 323.

Ende der Leseprobe aus 13 Seiten

Details

Titel
Die Sprichwörtersammlung Johannes Agricolas - Kurzweil?
Hochschule
Universität Münster  (Institut für Deutsche Philologie II (Neuere deutsche Literatur))
Veranstaltung
Hauptseminar: Kurzweil. Kleine Prosa der Frühen Neuzeit
Note
2,0
Autor
Jahr
2000
Seiten
13
Katalognummer
V197095
ISBN (eBook)
9783656230922
Dateigröße
405 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Agricola, Sprichwörtersammlung, Sprichwort, Kurzweil, Frühe Neuzeit, Prosa
Arbeit zitieren
Christina Wagner-Emden (Autor:in), 2000, Die Sprichwörtersammlung Johannes Agricolas - Kurzweil?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/197095

Kommentare

  • Noch keine Kommentare.
Blick ins Buch
Titel: Die Sprichwörtersammlung Johannes Agricolas - Kurzweil?



Ihre Arbeit hochladen

Ihre Hausarbeit / Abschlussarbeit:

- Publikation als eBook und Buch
- Hohes Honorar auf die Verkäufe
- Für Sie komplett kostenlos – mit ISBN
- Es dauert nur 5 Minuten
- Jede Arbeit findet Leser

Kostenlos Autor werden