Sozialstaat und Arbeitsmarktpolitik - Geschichtlicher Rückblick und neue Perspektiven


Hausarbeit, 2000

17 Seiten, Note: 1,4


Leseprobe


1 Einleitung - der Sozialstaat in der Krise?

Betrachtet man die geschichtliche Entwicklung der Sozialpolitik in Deutschland, so fällt auf, dass der Staat in immer mehr Bereichen immer mehr Kompetenzen übernommen hat. Auf den ersten Blick erscheint das lobenswert – bedenkt man jedoch die derzeitige Situation der Bundesrepublik, so wird klar, dass in Zukunft neue Wege beschritten werden müssen. Auf politischer Ebene wird zunehmend an der Handlungsfähigkeit des Staats gezweifelt. Neue Konzepte wie Privatisierung oder Deregulierung werden diskutiert. Durch den Zusammenbruch des Sozialismus in den Ländern des Ostblocks fühlen sich die Marktliberalen in ihrer Auffassung bestätigt. Doch ein Schwarzweiß-Denken ob Markt oder Staat bringt keinen Fortschritt. Vielmehr müssen andere Konzepte der Gesellschaftssteuerung erarbeitet werden. Die Frage, wie viel Markt und wie viel Staat eine Gesellschaft beinhalten muss, ist schwierig. Heinze bringt diese Schwierigkeit so zum Ausdruck: „Eine Entlastung kann durch eine Rückverlagerung von staatlichen Aufgaben auf die Marktsteuerung erreicht werden. Dagegen allerdings spricht, dass gerade die wachsende Staatstätigkeit eine Antwort auf das Marktversagen war und deshalb wohl nur in wenigen Fällen Entlastung verspricht“ (Heinze 1998: 202).

Gerechtigkeit, soziale Sicherheit und Chancengleichheit sind ein Bündel gesellschaftlicher Interessen und lassen sich nicht durch nur den einen oder nur den anderen Weg verwirklichen. Durch den Dialog in der Öffentlichkeit ist uns die Chance eröffnet worden, über neue Möglichkeiten und Konzepte nachzudenken und unseren Horizont im europäischen oder auch globalen Vergleich zu erweitern. So können Konzepte anderer Länder das deutsche Verständnis des Wohlfahrtsstaats bereichern und man könnte Teile anderer Wohlfahrtspolitik importieren - eine Patentlösung wird aber auf keinen Fall zu finden sein.

In Zukunft wird sich auch ein anderer Einfluss stärker auf die Wohlfahrtsproduktion auswirken. Das, was weder Staat noch Markt leisten können, sollen zunehmend kleinere Organisationseinheiten, wie z.B. Selbsthilfegruppen und bürgerschaftliche Unterstützungsnetzwerke bewerkstelligen. Man könnte alle diese Entwicklungen, die sich im Zwischenraum vom Markt und Staat abspielen unter dem Begriff „ziviles Engagement“ zusammenfassen (Wendt 1999: 233). Dieses Engagement wird in Zukunft mit dafür sorgen müssen, soziale Herausforderungen zu bewältigen und den Gemeinsinn und die bürgerschaftliche Hilfe und Selbsthilfe zu entfachen und zu stärken. Die Nutzung von gesellschaftlichen Ressourcen ist keine Erfindung dieser Zeit. Evers/Olk sehen die Chance in der neuartigen Kombination von Organisationen und Institutionen darin, das bestehende Niveau der Wohlfahrt zu sichern bzw. einen Zuwachs zu erreichen (vgl. Evers/Olk 1996:10). Ursachen der stärkeren Einbeziehung sind zum einen finanzielle Grenzen, an die der Staat bei der Verwirklichung von Wohlfahrt stößt - die Leistungsbereitschaft scheint weitgehend erschöpft zu sein und das bürgerschaftliche Engagement dient somit als Lückenbüßer. Zum anderen ist der Einsatz der Bürger füreinander Ausdruck einer lebendigen Demokratie und einer Gesellschaft, die untereinander Solidarität zeigt und lebt.

Die Entwicklungen und Strömungen sind vielfältig. Es gibt jedoch einen Bereich, der meiner Meinung nach besondere Aufmerksamkeit verdient: Die Arbeitsmarktpolitik. Deshalb versuche ich in dieser Hausarbeit, folgender Frage nachzugehen: Welchen arbeitsmarktpolitischen Herausforderungen muss sich die Sozialpolitik/der Sozialstaat stellen und wie kann sie/er diese bewältigen? Um mich der Fragestellung zu nähern, werde ich methodisch folgendermaßen vorgehen. In Kapitel 2 dieser Hausarbeit werde ich sozialpolitisch-geschichtliche Entwicklungen der Bundesrepublik Deutschland von ca. 1900 bis heute analysieren, um mir so über die Prozesse der Konstruktion des Sozialstaats und der Arbeitsmarktlage klar zu werden und um die Hintergründe der aktuellen Debatte zu verstehen. Im 3. Kapitel folgt dann die Auseinandersetzung mit den Herausforderungen und mit ausgewählten Konzepten. Zum Abschluss werde ich meine Ergebnisse in einem Fazit zusammenfassen (Kapitel 4).

2 Geschichtliche Entwicklungen

2.1 Von der Jahrhundertwende bis zum Ersten Weltkrieg

Bis zum Beginn des 1. Weltkrieges war Deutschland mit seiner Sozialpolitik anderen Industrieländern voraus. Der Staat war in verschiedenen Bereichen tätig, wie z.b. der Sozialfürsorge, der Jugendfürsorge, der Gesundheitsfürsorge, dem Versicherungswesen und des Unterrichts- bzw. dem Erziehungswesen. Für jeden Bereich waren bereits differenzierte Verwaltungsbehörden vorhanden, was sich am Übergang vom Elberfelder System zum Straßburger System gut zeigen lässt. Beim Elberfelder System waren es ehrenamtliche Kräfte, die sich um die Versorgung von Bedürftigen in ihrem Quartier kümmerten. So hing die Hilfeerbringung vom Einsatz des zuständigen Helfers ab. Beim Straßburger System wurde eine kommunale Verwaltung geschaffen, die die Fälle von Bedürftigkeit prüfte und dann über die Hilfeerbringung entschied. Erste Anlaufstelle war somit eine Behörde, die nach festgelegten Verwaltungsverfahren und Rechtsvorschriften handelte. Grund für den Wechsel vom Elberfelder zum Straßburger System war die höhere Effizienz einer zentralen Stelle.

Besondere Bedeutung hatte die Ausbildung einer Verwaltung im Bereich der Kinder- und Jugendhilfe. So kapselte sich die Kinder- und Jugendhilfe von der Armenpflege ab und es entstand in diesem Zuge die erste überörtlich durchzuführende Jugendhilfemaßnahme mit dem „Gesetz für die Fürsorgeerziehung Minderjähriger“ von 1900 (Wendt 1995: 274). 1908 kam dann die Jugendgerichtshilfe hinzu. Um den administrativen Aufwand zu bewältigen, wurden 1909/1910 die ersten Jugendämter eröffnet. Die allgemeine Einführung der Jugendämter erfolgte jedoch erst nach 1922, nachdem die Verabschiedung des Reichsjugendwohlfahrtsgesetzes die Maßnahmen der Jugendhilfe in einem Gesetz zusammenfasste.

2.2 Der Erste Weltkrieg

Während des ersten Weltkriegs veränderten sich die bisherigen Strukturen der Armenhilfe. Armenämter wurden zu Fürsorge- bzw. Wohlfahrtsämtern, was der Stigmatisierung der Hilfeempfänger entgegenwirkte. Durch die Auswirkungen des Krieges wurden viele Menschen hilfebedürftig, die eigentlich nicht dem Armenmilieu zugeordnet werden konnten. So gab es eine Zeit lang die herkömmliche Armenfürsorge parallel zur Unterstützung von Familien, die infolge des Krieges bedürftig geworden waren. Man sprach in diesem Falle von Kriegsfürsorge. Die Trennung vom Armenfürsorge und Kriegsfürsorge ließ sich aber nicht lange aufrechterhalten, da in vielen Fällen eine Entscheidung, ob die eine oder die andere Fürsorge angezeigt war, nicht mehr getroffen werden konnte. Zu viele Menschen waren infolge des Krieges verarmt und zu viele Arme waren in den Krieg gezogen, ohne dass deren Familien primär deswegen mittellos geworden waren. So wurde die Armenfürsorge für die Zeit des Krieges in Kriegsfürsorge umgewandelt und diese zum Vorbild einer neuen Sozialhilfe.

Ein interessanter Prozess war in diesem Zusammenhang zu beobachten. Aufgrund der steigenden Zahl der wegen des Kriegs unverschuldeten Hilfeempfänger rückte eine neue Sichtweise von Bedürftigkeit ins Blickfeld. Man erkannte, dass Hilfebedürftigkeit nichts mit Faulheit oder einem nicht akzeptablen Lebenswandel zu tun hatte, sondern mit einer individuellen Notlage, die der Staat aufzufangen hatte. So nahm die Diskriminierung der Bedürftigen ab. Die Arbeiter verlangten in diesem Zuge nach einer rechtlichen Gleichstellung, die mit der Errichtung des Reicharbeitsministeriums 1919, das ab nun für den gesamten sozialpolitischen Bereich zuständig war, ihren Niederschlag fand. Als seine Hauptaufgabe sah das Reichsarbeitsministerium die Neugestaltung des Verhältnisses zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Durch die verstärkte Produktion von Kriegsgütern kam es zu positiven Verhältnissen auf dem Arbeitsmarkt.

2.3 Die Weimarer Republik

Ein weiterer großer Schritt auf dem Weg zum Sozialstaat war der Erlass des Reichsversorgungsgesetztes und des bereits erwähnten Reichsjugendwohlfahrtsgesetzes durch den Reichstag 1922. Leider konnten die Bestimmungen dieser Gesetzte wegen der finanziellen Schwäche, die durch die Inflation und die spätere Weltwirtschaftskrise verursacht wurde, nicht umgesetzt werden. So traten vorerst Notverordnungen in Kraft, die die Leistungen der Gesetze erheblich minderten. Die Weltwirtschaftskrise wirkte sich auch bedeutend auf die Arbeitsmarktsituation aus. Die Arbeitslosigkeit stieg auf Rekordhöhe an. Heinze sieht die gigantischen Arbeitslosenzahlen als ausschlaggebend für den Zerfall der Weimarer Republik (vgl. Heinze 1998: 66).

1924 ergingen dann die Verordnungen über die Fürsorgepflicht und dazu die Bestimmungen über Voraussetzung, Art und Maß der Fürsorge. Nun stand die Sozialpolitik auf drei Pfeilern: Sozialversicherungen, Fürsorge und Versorgung. 1927 kam zur Kranken-, Unfall- und Rentenversicherung noch die Arbeitslosenversicherung hinzu und bei diesen vier Versicherungszweigen blieb es dann auch fast sieben Jahrzehnte, bis 1994 die Pflegeversicherung entstand.

Die Fürsorge in der Weimarer Republik war geprägt von administrativen Tätigkeiten der zuständigen Fachkräfte. Da die finanziellen Mittel sehr knapp waren und die Zahl der Hilfebedürftigen groß, konnte man sich nur auf das Allerwichtigste konzentrieren. Für eine fallbezogene Arbeit gab es weder Zeit noch Geld.

Durch zunehmendes soziales Engagement des Staates sahen sich die fünf großen Wohlfahrtsverbände Caritas, Innere Mission (später: Diakonie), Rotes Kreuz, Arbeiterwohlfahrt, und Paritätischer Wohlfahrtsverband in ihrem Bestand bedroht. Sie fürchteten, ihre Legitimation zu verlieren und fügten sich in den gesetzlichen Rahmen, der vorgegeben wurde. Der Staat verflocht die Verbände so in seine fürsorgerische Arbeit, dass sozialpolitische Interventionen von dieser Seite nicht zu erwarten waren. Da die Wohlfahrtsverbände auf die Sicherung ihrer Existenz auswaren, vernachlässigten sie zunehmend die Grundsätze der Subsidiarität, indem sie Aufgaben wahrnahmen, die auch von kleineren gesellschaftlichen Organisationsformen hätten bewältigt werden können.

Bei der konkreten Erledigung der sozialen Arbeit hielt die Weimarer Regierung an der Linderung der individuellen und gesellschaftlichen Not fest, obwohl es ein sozialpolitisches Gesamtkonzept während der Weimarer Republik nicht gegeben hat (vgl. Wendt 1995: 277).

[...]

Ende der Leseprobe aus 17 Seiten

Details

Titel
Sozialstaat und Arbeitsmarktpolitik - Geschichtlicher Rückblick und neue Perspektiven
Hochschule
Katholische Hochschule Freiburg, ehem. Katholische Fachhochschule Freiburg im Breisgau
Veranstaltung
Sozialpolitik
Note
1,4
Autor
Jahr
2000
Seiten
17
Katalognummer
V19635
ISBN (eBook)
9783638237086
Dateigröße
388 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Betrachtet man die geschichtliche Entwicklung der Sozialpolitik in Deutschland, so fällt auf, dass der Staat in immer mehr Bereichen immer mehr Kompetenzen übernommen hat. Auf den ersten Blick erscheint das lobenswert - bedenkt man jedoch die derzeitige Situation der Bundesrepublik, so wird klar, dass in Zukunft neue Wege beschritten werden müssen.
Schlagworte
Sozialstaat, Arbeitsmarktpolitik, Geschichtlicher, Rückblick, Perspektiven, Sozialpolitik
Arbeit zitieren
Sören Funk (Autor:in), 2000, Sozialstaat und Arbeitsmarktpolitik - Geschichtlicher Rückblick und neue Perspektiven, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/19635

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