Das Spanische der Rumänischen Immigranten in Alicante


Magisterarbeit, 2006

225 Seiten, Note: 1.0


Leseprobe


INHALT

1.Einleitung

2.Theoretische Grundlagen
2.1 Migration
2.2 Sprachkontakt
2.2.1 Bilinguismus
2.2.2 Diglossie
2.3Zweitsprachenerwerb
2.3.1 Codeswitching
2.3.2 Transfer
2.4 Spracherhalt und Sprachwechsel

3.Verwendete Untersuchungsmethoden
3.1 Das Interview
3.2 Der Fragebogen
3.3 Bemerkungen zur Transkription der untersuchten Interviews
3.4 Bemerkungen zur Aussprache der rumanischen und bulgari-schen Worter

4. DieRumanen in Alicante
4.1 Einwanderer in Spanien und speziell in der Provinz Alicante
4.2 Die rumanischen Immigranten
4.3 Kulturvereine und soziale Organisationen

5.Rumanisch und Spanisch im Vergleich
5.1 Sprachvergleich
5.2 Das Rumanische als romanische Sprache
5.3 Das Rumanische als wichtigster Vertreter des Balkansprach-bunds 5.4 Rumanisch vs. Spanisch

6. Auswertung I. - Inhaltliche Aspekte
6.1 Die Profile der einzelnen Informanten
6.2 Gelebte Wirklichkeit: Interview und Fragebogen

7. Auswertung II. - Linguistische Aspekte
7.1 Phonetik und Phonologie
7.1.1 Das Phonem /v/
7.1.2 Die Phoneme /b/ und /d/
7.1.3 Die Phoneme /z/ und /s/
7.1.4 Die Phoneme /r/ und /rr/
7.1.5 Die geschlossene Aussprache von /a/, /e/ und /o/
7.1.6 Fur das Rumanische typische Phoneme
7.1.7 Fur das Spanische typische Aussprachemerkmale
7.2 Grammatik
7.2.1 Das Fehlen des bestimmten Artikels nach Praposition
7.2.2 Sprachinterne Analogien bei der Pluralbildung
7.2.3 Voran- und Nachstellung des Demonstrativpronomens
7.2.4 Die Bildung von Adverbien
7.2.5 Das Fehlen der Konjunktion ‘oder’
7.2.6 Abweichungen von der Norm bei der Konjugation der
Verben
7.2.7 Zeitformen und Modi
7.2.8 Ser und Estar
7.3 Lexikon
7.3.1 Rumanismen
7.3.2 Katalanismen
7.3.3. Anglizismen
7.3.4 Italianismen

8. Schlussbemerkungen
8.1 Zusammenfassung der Untersuchungsergebnisse
8.2 Wirksamkeit und Nutzen der verwendeten Methoden

9. Ausblick: Rumanen auf der Iberischen Halbinsel
9.1 Bemerkungen zur weiteren Entwicklung der Zweisprachigkeit
rumanischer Immigranten in Spanien
9.2 Ansatze fur die weitere Forschung

10. Bibliographie

11. Quellenverzeichnis

1. EINLEITUNG

Seit nunmehr vier Jahren interessiere ich mich sehr fur die rumanische Sprache und Kultur. m Sommer 2004 nahm ich am Sommerkurs Rumanisch teil, der jedes Jahr von der Universitat Timisoara veranstaltet wird. Mehrere spanische Kursteilnehmer be- richteten mir, dass seit einigen Jahren viele rumanische Einwanderer auf die Iberische Halbinsel kommen, um dort Arbeit zu finden. Bei der Suche nach einem geeigneten Thema fur meine Magisterarbeit entschied ich mich, mein Interesse fur den iberoro- manischen Sprachraum mit dem fur die rumanische Sprache und Kultur zu verbinden und die rumanischen Immigranten in Spanien zu erforschen.

Inoffizielle Schatzungen gehen davon aus, dass derzeit insgesamt bis zu 500.000 rumanische Immigranten legal oder illegal in Spanien leben[1], die, um im Land zurecht- zukommen, sich mehr oder weniger umfangreiche Kenntnisse in der spanischen Sprache aneignen mussen. In dieser Arbeit beschaftige ich mich mit dem Spanischen, wie es von rumanischen Immigranten in Alicante (Sudostspanien) gesprochen wird, die schon langere Zeit in Spanien leben.

Bei der Literaturrecherche fiel mir auf, dass es nur sehr wenige wissenschaftlichen Untersuchungen zu diesem Thema gibt, obwohl der Migrationsprozess bei den Ruma- nen schon kurze Zeit nach dem Tod des nationalkommunistischen Diktators Ceauses- cu im Jahre 1989 seinen Anfang nahm und sie seither in nahezu alle Lander Mittel- und Westeuropas gewandert sind. Spanische Studien zur Problematik der Immigration haben sich bisher vor allem den lateinamerikanischen Immigranten und Einwanderern aus dem Maghreb gewidmet, da diese seit langer Zeit die Mehrheit der auslandischen Bevolkerung im Land stellen (vgl. z.B. Gil 2003; GImenez Romero 1993; Lopez Garcia 1993).

Etwa seit dem Jahr 2000 wachst in Spanien aber auch die Zahl der rumanischen Im­migranten in immer grofterem Ausmaft. Mit dieser Arbeit mochte ich daher nicht nur einen Beitrag zur romanischen Sprachwissenschaft leisten, sondern auch aufmerksam machen auf die fur die Romanistik insgesamt sehr interessante Situation des Aufeinan- dertreffens zweier wesensahnlicher und sich dennoch so verschiedener Schwester- kulturen und -sprachen, die einander bis noch vor etwa zwei Jahrzehnten kaum kann- ten.

Im Zentrum meiner Untersuchungen stehen insbesondere die muttersprachlichen Inter- ferenzen - in diesem Falle solche aus dem Rumanischen -, wie sie etwa beim zwang- losen und unvorbereiteten Sprechen einer fremden Sprache - in diesem Falle im Spani- schen - auftreten. Fur eine Gesamtcharakteristik des Spanischen rumanischer Immi- granten mussen naturlich auch etwaige Einflusse aus anderen Sprachen, wie z.B. dem Englischen, Franzosischen, Italienischen oder auch Katalanischen, berucksichtigt wer- den, je nachdem welche Fremdsprachenkenntnisse bei den einzelnen Informanten vorhanden sind.

Im November 2005 habe ich Verbindung zu Professor Catalina Iliescu Gheorghiu aufgenommen. Sie ist Inhaberin des vor noch nicht allzu langer Zeit neu eingerichteten Lehrstuhls fur den Diplomstudiengang Ubersetzen und Dolmetschen Rumanisch- Spanisch an der Universitat von Alicante, dem bisher einzigen seiner Art in Spanien. Daruber hinaus ist Frau Iliescu auch Prasidentin des Vereins ARIPI, dessen Mitglieder sich darum bemuhen, die rumanischen Einwanderer in Alicante besser in die spanische Gesellschaft zu integrieren, indem sie u. a. versuchen, einen interkulturellen Dialog zwischen Spaniern und Rumanen anzuregen. Sie war mir bei der Suche geeigneter Informanten eine grofte Hilfe.

Zum Zwecke der Erhebung von Sprachmaterial fuhrte ich im Januar 2006 mehrere Einzelinterviews auf Spanisch durch, die dieser Arbeit als Transkripttexte beigefugt sind (vgl. Anhang I). Um ein moglichst ergiebiges Korpus zu erhalten, wurden die In­terviews so konzipiert, dass einzelne Ausgangsfragen den Informanten dazu anregen, einen langeren zusammenhangenden mundlichen Text zu produzieren. Damit ich ein abgerundetes Profil der Informanten erstellen konnte, habe ich jedem von ihnen im Anschluss an das Interview einen Fragebogen ausgehandigt, wo sie einige Angaben zu sich selbst machen sollten. Auch diese sind der Arbeit beigefugt (vgl. Anhang II). Des Weiteren gelang es mir, im Verlaufe meines Aufenthalts in Alicante einige Materialien zu sammeln, anhand derer sich Aussagen uber die sozialen und okonomischen Um- stande eines Lebens als rumanischer Immigrant in Spanien treffen lassen.

In meiner Arbeit mochte ich zunachst einmal die theoretischen Grundlagen diskutie- ren, was eine grundliche Definition der von mir verwendeten Begrifflichkeiten voraus- setzt.[2] Bei der Untersuchung der Kompetenz der rumanischen Immigranten in der Amtssprache des Gastlandes - in diesem Falle im Spanischen - ist zu berucksichtigen, dass es sich dabei um das Phanomen des Sprachkontakts und der Zweispra- chigkeit in einer Migrantensituation handelt, eine Domane der Sprachwissenschaft, mit 3 der sich die Migrationslinguistik beschaftigt.[3]

Auch der Vergleich der beiden Sprachen Spanisch und Rumanisch durfte wertvolle Erkenntnisse liefern, und zwar insbesondere in Bezug auf Lernschwierigkeiten oder -er- leichterungen, die sich einem Rumanen bieten, der Spanisch lernen will. Dabei kommt es mir vor allem darauf an, das Rumanische einerseits als Vertreter der romanischen Sprachen, andererseits aber auch als wichtigsten Vertreter des Balkansprachbunds zu charakterisieren. In diesem Zusammenhang mochte ich auf verschiedene nachbar- sprachliche Einflusse sowie insbesondere auf einzelne sprachliche Tendenzen eingeh- en, die das Rumanische mit anderen Balkansprachen gemein hat. Dabei sollen vor allem Beispiele aus dem Bulgarischen herangezogen werden. Fur die Hispanistik bietet daruber hinaus das Judenspanische, wie es im Balkanraum bis nach dem 2. Weltkrieg noch sehr lebendig war, die Moglichkeit, besser zu verstehen, wie sich das Spanische im Kontakt mit einer Balkansprache verhalt. Daher soll auch das Judenspanische (Dju- dezmo) in diesem Zusammenhang eine wenn auch nur Nebenrolle spielen.

Des Weiteren werde ich die von mir verwendeten Untersuchungsmethoden, das Inter­view und den Fragebogen, im Einzelnen vorstellen. Eine Auswertung inhaltlicher As- pekte soll zum einen der Erstellung individueller Informantenprofile dienen, zum an­deren aber auch Einblicke in die von den rumanischen Immigranten gelebte Wirk- lichkeit geben. Anhand der Ergebnisse einer linguistischen Analyse der Interviews las­sen sich Aussagen uber die Moglichkeiten des schnellen Erwerbs von guten Spa- nischkenntnissen treffen, und ein schneller und erfolgreicher Erwerb des Spanischen ist eng verbunden mit einer raschen und gelungenen Integration der rumanischen Im­migranten in die spanische Gesellschaft.

Mit einem Ausblick auf die mogliche zukunftige Entwicklung der Zweisprachigkeit ru- manischer Immigranten in Alicante - unter Einbeziehung der derzeit gegebenen Vor- aussetzungen - und einem Ausblick auf mogliche weitere Forschungsfelder werde ich meine Arbeit abschlieften.

Eine fundierte Gesamtdarstellung des Gegenstandsbereichs dieser sprachwissenschaft!ichen Teildisziplin liefert Krefeld (2004), wobei er insbesondere auf die italienischen Immigranten und deren Nachkommen in Deutschland sowie die Diaspora der spanischen Juden im Osmani- schen Reich eingeht.

2. THEORETISCHE GRUNDLAGEN

Die Beschaftigung mit den Spanischkenntnissen rumanischer Immigranten in Alicante erfordert zunachst einmal eine genauere theoretische Betrachtung der Auswirkungen von Migrationsprozessen auf das Sprachverhalten von Gruppen und Individuen. Als Teildisziplin der Sprachwissenschaft befasst sich die Migrationslinguistik mit diesem Thema.

Jede sich neu herausbildende Teildisziplin einer Wissenschaft muss, denke ich, fur sich in Anspruch nehmen, einen klar definierten Bereich des weiten Forschungsfeldes dieser Wissenschaft in spezifischer Weise abzudecken, um sich aufgrund dieser ihr anhaftenden Spezifik moglichst von vornherein deutlich von den anderen Teildiszipli- nen abzugrenzen und so ihre Existenzberechtigung zu untermauern. Im Laufe der Zeit haben sich auf diese Weise auch in der Linguistik einzelne Teildisziplinen entwickelt, die sich selbst jeweils uber ihren spezifischen Gegenstandsbereich definieren. So z.B. etablierte sich schon fruh der historisch-vergleichende Zweig in der Sprachwissen­schaft, und etwas spater nahmen so spezifische Zweige wie die Areal- und die Kon- taktlinguistik oder auch die Psycho- und die Soziolinguistik Gestalt an.

Die Migrationslinguistik beschaftigt sich nun ihrerseits, der Name deutet es bereits an, mit den Auswirkungen von Migrationsprozessen auf das Sprachverhalten einzelner Individuen bzw. Gruppen von Individuen. Im Zentrum des Interesses stehen dabei in erster Linie die Migranten selbst. Die Migrationslinguistik befasst sich insbesondere mit den Phanomenen Sprachkontakt und Zweisprachigkeit sowie mit den Modalitaten des Zweitsprachenerwerbs und des Sprachwechsels bzw. Spracherhalts in Migranten- situationen (vgl. Kapitel 2.2, 2.3 und 2.4).

Dieses zweite Kapitel meiner Arbeit stellt in seiner Gesamtheit den Versuch dar, aus der Fulle der Begrifflichkeiten, derer sich die Linguistik zur Beschreibung sprachlicher Phanomene bedient, diejenigen herauszufiltern, welche fur die Charakterisierung des Sprachverhaltens von Individuen und Gruppen in einer Migrantensituation von groftem Nutzen sind. Ziel ist es, die von mir verwendeten Begriffe zunachst anhand verschie- dener Meinungen aus der Sekundarliteratur vorzustellen und zu diskutieren, um sie schlieftlich eindeutig definieren zu konnen.

Theoretische Betrachtungen streben im Allgemeinen einen hoheren Grad der Abstrak- tion an, weshalb im Zusammenhang mit der Migrationslingustik der Begriff ‘Migrant’ bevorzugt gebraucht wird, welcher sowohl ‘Immigranten’ als auch ‘Emigranten’ mit ein- schlieftt. Im theoretischen Teil meiner Arbeit will ich diesen Begriff daher ubernehmen. An anderer Stelle, und zwar sobald ich auf meine eigenen konkreten Untersuchungen und deren Ergebnisse zu sprechen komme, werde ich jedoch immer von ‘den (rumani­schen) Immigranten’ sprechen. Dadurch tritt meiner Meinung nach auch der in diesen Fallen beabsichtigte Ubergang von einer abstrakten Ebene hin zum konkreten Beispiel deutlicher zu Tage.

Die in diesem Kapitel besprochenen Phanomene bilden sowohl die Grundlage fur mein methodologisches Vorgehen (vgl. Kapitel 3) als auch die Basis fur die in Kapitel 6 und 7 erfolgende grundliche Analyse und Auswertung der von mir durchgefuhrten Interviews.

2.1 Migration

Der Begriff Migration leitet sich von dem lateinischen Wort migratio her, was soviel bedeutet wie „Wanderung“. Gemeint ist damit eine Bewegung durch den Raum und gleichzeitig durch die Zeit, wie sie zunachst einmal alle Tiere und Menschen, die uber einen entsprechenden Bewegungsapparat verfugen, selbststandig bewerkstelligen konnen (vgl. Ehlich 1996: 182). Krefeld (2004: 12) zufolge ist die Migration eine spe- zifische Erscheinungsform der Mobilitat, die fur den Migranten eine grundlegende raumliche Neuorientierung der Lebenswelt bedeutet, welche die Sicherung seines Le- bensunterhaltes und auch das soziale Netzwerk, in dem er sich bewegt, mit ein- schlieftt. Anhand dieser Merkmale ist schnell eine entsprechende Definition des Be- griffes ‘Migrant’ gefunden, wie z.B. die folgende:

[Le migrant] vient a designer toute personne plongee dans un milieu geographique, culture! et linguistique nouveau, quelles que soient les circonstances sociales et la duree de ce changement. (Ludi/Py 2003: 18)

Migranten sind, wie im Prinzip alle Menschen, Teil eines sozialen Netzwerkes, das keine naturlichen Grenzen aufweist. Als Familienmitglieder, Arbeitnehmer, Kunden in Laden usw. bewegen sie sich innerhalb ihres Freundes- und Bekanntenkreises (vgl. Ludi/Py 2003: 47). Ein gedankliches Konstrukt wie das des sozialen Netzwerkes er- moglicht eine schematische Darstellung der individuellen Beziehungen und Be- kanntschaften innerhalb einer Gruppe von Personen. Im Mittelpunkt einer Unzahl klei­ner miteinander verbundener individueller sozialer Netzwerke, sogenannter personal networks (vgl. Degenne/Forse 1999: 14), befindet sich jeweils eine bestimmte Person, die vielfaltige Beziehungen zu den sie umgebenden Freunden und Bekannten unter- halt. Dabei steht jeder einzelne dieser Bekannten bzw. Freunde gleichzeitig im Zentrum seines eigenen individuellen sozialen Netzwerkes, das ihn seinerseits wiederum mit anderen personal networks verbindet.[4]

Degenne/Forse (1999: 24) unterscheiden drei Typen verschiedener Beziehungen, die zwischen den einzelnen Individuen bestehen konnen: 1) solche zu direkten Bekannten - den Mitgliedern des eigenen Netzwerkes -, 2) solche zu indirekten Bekannten - die ins personal network der direkten Bekannten eingebunden sind -, und 3) solche zu Unbekannten. Diese Einteilung erfolgt gemaft einer Empfehlung der Autoren, aus Grunden der Ubersichtlichkeit nur dann jemandem einen Platz im individuellen Netz- werk eines anderen einzuraumen, wenn beide einander personlich kennen, sich schon einmal getroffen und miteinander gesprochen haben (vgl. ibid.: 16).

Die Abbildungen 1 und 2 (nach Degenne/Forse 1999: 26) sollen noch einmal verdeut- lichen, wie sich ein soziales Netzwerk schematisch darstellen lasst:[5]

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 1: Beispiel mit einem individuellen Netzwerk

Die befragte Person (Ego) kennt die Personen A, B und C. Somit entsteht ein ego’s-1-star- Netz-werk. Werden alle Bekanntschaften zwischen den vier Personen erfasst, so ergibt sich ein ego’s-1-zone-Netzwerk: Die gestrichelte Linie besagt, dass auch A und C einander kennen.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 2: Beispiel mit zwei individuellen Netzwerken

Die Person A kennt auBer C noch die Personen a und B, sodass das Netzwerk sich nun aus zwei Sternen zusammensetzt (Ego- ABC verbunden mit A-aBC). Damit ergibt sich ein ego’s-2-star-Netz-werk. Werden wieder alle Bekanntschaften erfasst, so entsteht ein ego’s-2-zone-Netzwerk: die gestrichelte Linie besagt, dass auch a und B ein-ander kennen.

Krefeld (2004) unternimmt den Versuch, die Theorie der sozialen Netzwerke mit der sprachlichen Wirklichkeit von Einzelindividuen innerhalb einer Gruppe von Sprechern zu verknupfen. Zu diesem Zwecke fuhrt er den Begriff Glossotop als Grundeinheit des kommunikativen Raumes ein:

Das nicht sprach- sondern spRECHER-(gruppen)basierte Konzept fasst die varietatenge- bundenen kommunikativen Gewohnheiten sowohl der Gruppenmitglieder untereinander als auch die zwischen Gruppenmitgliedern und eher locker verbundenen oder ganz auBenstehenden Sprecher(innen) zusammen. (Krefeld 2004: 25)

Er unterscheidet dabei unterschiedliche Typen von Glossotopen. Einerseits den kom­munikativen Nahbereich, dessen Kern die Alltagskommunikation mit vertrauten Per­sonen bildet (vgl. ibid.: 28), und andererseits auBerhalb des personalisierten Nahbe- reichs gelegene Bereiche: die sogenannte areale Umgebung - welche alltagliche Be- horden und Institutionen (z.B. Post, Schule, Gemeinde) sowie Einkaufsmoglichkeiten umfasst - und das sogenannte Territorium, wozu alltagsferne Behorden und Instituti­onen zahlen (vgl. ibid.: 32). Unter Umstanden konnen im Falle der Migranten der per- sonalisierte Nahbereich, die areale Umgebung und das Territorium jeweils an unter­schiedliche Varietaten gebunden sein, die unterschiedlichen historischen Sprachen zuzurechnen sind.

Abbildung 3 zeigt das von Krefeld (2004) entworfene Modell des kommunikativen Nahbereichs, in dessen Zentrum das Individuum steht. Man beachte die Ahnlichkeit zur Theorie der sozialen Netze:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 3: Das Individuum in der Zelle des kommunikativen Nahbereichs(nach Krefeld, 2004: 28)

Die raumliche Neuorientierung und Verlagerung der kommunikativen Lebenswelt, wel- che durch Migration bewirkt wird, bezeichnet Krefeld (2004: 23) als Extraterritoriali- tat. Dabei geht er davon aus, dass historisch gewachsene Idiome in direkter Weise an spezifische Gegenden, genauer gesagt siedlungsgeographische Raume gebunden sind. Die Herausbildung der Nationalstaaten in Europa bestarkte den Status jeweils ei- ner bestimmten Varietat als ausgebaute und normierte Standardvarietat auf dem Ter- ritorium eines Staates (vgl. ibid.: 24). Die Migration bewirkt nun ihrerseits eine Dissozi- ation des Kommunikationsraums der Migranten vom Mutterland.[6] Sie werden zu Spre- chern, die aufterhalb des Geltungsbereiches, d.h. des Territoriums ihrer Erstsprache leben. Die von ihnen verwendete Nahesprache ist allochton, d.h. sie gehort zu einer anderen historischen Sprache als die im Gastland geltende Staats- bzw. Territorial- sprache. Daruber hinaus entspricht die nahesprachliche Varietat der Migranten nicht der traditionell arealspezifisch vor Ort gesprochenen (autochtonen) Varietat (vgl. Kre­feld 2004: 33-39).

Der Gebrauch der importierten eigenen Nahesprache [reicht] nicht uber den pragmati- schen Nachstbereich der personalisierten Kommunikation [hinaus]; alle sozialen und administrativen Institutionen sowie die offentlichen Einrichtungen, d.h. die gesamte Kommunikation mit unbekannten (anonymen) Kommunikationspartnern, ist an Varie- taten der territorial implementierten Staatssprache gebunden. (ibid.: 39/40)

Die Migranten sehen sich in dieser Situation haufig sehr bald mit der Notwendigkeit konfrontiert, ihren Sprachbesitz neu auszurichten oder ihr Repertoire zumindest durch den Aufbau einer zweitsprachigen Kompetenz zu erweitern. Sie gehen insbesondere dann sehr schnell zum Gebrauch der autochtonen Varietat uber, wenn entsprechende Netzwerke, in denen die allochtone Varietat Verwendung findet, im Gastland fehlen bzw. nicht aufgebaut werden konnen (vgl. ibid.: 55). Beispiele wie Chinatown und Little Italy in US-amerikanischen Groftstadten oder auch die turkischen Viertel in deutschen Stadten wie Berlin, Hamburg und Koln - wo die Migrantenkinder bis zum Schuleintritt theoretisch die Moglichkeit haben, nur in ihrer Muttersprache aufzuwachsen - zeigen jedoch, dass Migrantengruppen mit einer groften Zahl von Mitgliedern in der Lage sind, sich und ihre allochtone Varietat sehr wohl im Gastland als eigenstandige Grup- pe mit eigener Kultur und Sprache zu etablieren und zu behaupten (vgl. Riehl 2004: 61). Bechert/Wildgen (1991: 154) geben zu bedenken, dass die Migration zwar grofte Be- volkerungsverschiebungen, allerdings nur schwache kulturelle und sprachliche Ver- schiebungen bewirkt. Migranten wurden entweder kulturell und sprachlich schnell ab- sorbiert oder sie bildeten unterprivilegierte Subgesellschaften mit minimalen Einfluss- moglichkeiten.

Krefeld (2004: 17) unterscheidet vier Typen der Adaptation von Migranten: 1) die As­similation als Anpassung an die Mehrheit; 2) die Dissoziation als Anpassung an die vor Ort schon etablierte ethnische Minderheit; 3) die Akkulturation als Identifikation mit beiden Kulturen und 4) die Marginalisierung als Identifikation mit keiner der beiden 7 Kulturen.[7]

Ludi/Py (2003: 47/48) zeigen schlieftlich auf, dass schon im kleinen familiaren Kreis o von Migranten[8], und damit innerhalb der Kernzelle des kommunikativen Nahebereichs und ihres sozialen Netzes, durchaus unterschiedliche Arten des Umgangs mit den spezifischen kulturellen und sprachlichen Anforderungen, die die Migrantensituation an sie stellt, zu beobachten sind. Die Erwachsenen konnen auch im Gastland leben, ohne uber gute Kenntnisse in der Gastsprache zu verfugen. Die Kinder jedoch, die vor Ort zur Schule gehen und daher haufiger mit der Gastsprache konfrontiert sind und diese schlieftlich immer ofter verwenden, konnen ihre Eltern dazu ermuntern, die Gast­sprache besser zu lernen, um ihnen z.B. bei den Hausaufgaben zu helfen. Die Migran- tenkinder konnen daher als Vermittler zwischen ihren Eltern und der Gesellschaft des Gastlandes angesehen werden. Die Erwachsenen ermoglichen den Kindern wiederum einen, wenn auch unter Umstanden minimalen, Kontakt mit der Sprache und Kultur der Ursprungsregion. So z.B. ist es moglich, dass sie jedes Jahr ihre Ferien im Ursprungs- land verbringen.

2.2 Sprachkontakt

Uberall dort, wo Sprecher unterschiedlicher Sprachen aufeinander treffen und mitein- ander in Kontakt treten, kommt es auch zum Sprachkontakt. Mit Ursachen und Folgen des Sprachkontaktes beschaftigt sich speziell die Kontaktlinguistik.

Contactul [dintre limbi] poate fi pe acelasi teritoriu (considerat contact direct: amestec de populatsie, convietsuire de durata variata) sau pe teritorii diferite (considerat contact indirect: relatsii culturale, economice si politice). [...] Distinctsia dintre cele doua tipuri de contact Tntre limbi, cauzata de factori extralingvistici [...], este foarte importanta fiindca, Tn cazul contactului direct, care are ca urmare aparitsia unui stadiu de bilingvism, rezul- tatele contactului dintre limbi sunt de regula mult mai importante decat Tn cel de-al doilea caz. [...] Tn contactul indirect se ajunge la un contact superficial. (Sala 1997a: 31-33)

In Migrantensituationen kommt es zum Sprachkontakt, weil hier die Sprache der aus ihrem Ursprungsland (Territorium A) eingewanderten Migranten auf die vor Ort in der alltaglichen Kommunikation verwendete Sprache des Gastlandes (Territorium B) trifft (vgl. Ehlich 1994: 110). Ludi/Py (2003: 18) unterscheiden mehrere Arten von Sprach- kontakten bei Migranten: 1) sie haben womoglich keinen oder nur sehr wenig Kontakt zu Sprechern der Gastsprache und halten sich fast ausschlieftlich im Kreise ihrer Landsleute (Familie, Freunde und Bekannte) auf; 2) Migranten, die allein eingewandert sind (Studenten, Fluchtlinge, etc.) konnen unter Umstanden auch einen Kontakt zu ich- ren Landsleuten aufbauen. Je nachdem, welche Ziele die Migration verfolgt und welche sozialen Bedurfnisse sie haben, werden sie allerdings die Gastsprache mehr oder weni- ger schnell lernen; 3) Individuen und Familien, die in grofte Migrantengruppen einge- bunden sind und daher oft die Moglichkeit haben, in ihrer Ursprungssprache zu kommu- nizieren, konnen daneben auch relativ intensive soziale und professionelle Kontakte zur Bevolkerung des Gastlandes unterhalten.

Fur die Migranten als Angehorige einer ethnischen Minderheit erweist es sich meist jedoch sehr schnell als notwendig, die Sprache der einheimischen Mehrheit zu erler- nen, weil sich dadurch z.B. ihre Chancen auf eine rasche Integration in den lokalen Arbeitsmarkt erheblich verbessern.[9]

If two speakers of different codes are in contact, and if there is to be communication, then at least one of the speakers is required to accomodate the other [in speech], even if that means learning a new code. (Niedzielski/Giles 1996: 333)[10]

Hat ein aus einem anderen Land eingewanderter Migrant erst einmal Kenntnisse in der Sprache des Gastlandes erworben, so kann man ihn als zweisprachiges Individuum bezeichnen. Im Sinne Uriel Weinreichs (1953) ist ein bilingualer Sprecher auch selbst als ‘Ort des Sprachkontakts’ anzusehen: Zwei oder mehr Sprachen stehen miteinander in Kontakt, wenn sie von ein und demselben Menschen abwechselnd gebraucht wer­den, so Weinreich (vgl. Bechert/Wildgen 1991: 1; Riehl 2004: 11). Und eben das ist bei Migranten oft der Fall: in der Familie und mit Freunden sprechen sie ihre Mutter- sprache, in der Schule oder am Arbeitsplatz sowie im Umgang mit Behorden verwen- den sie hingegen die Gastsprache (vgl. Ludi/Py 2003: 11; Riehl 2004: 11). Zusammenfassend lasst sich sagen, dass die Zweisprachigkeit als Eigenschaft spre- chender Individuen einerseits einen Sprachkontakt bewirkt, andererseits aber auch als ein Resultat desselben angesehen werden kann (vgl. Ehlich 1994: 110; Riehl 2004: 11). Den spezifischen Auspragungen der Zweisprachigkeit bei Migranten sind im Fol- genden die Kapitel 2.2.1 und 2.2.2 gewidmet.

2.2.1 Bilinauismus

Der Terminus Bilinguismus (oder auch Zweisprachigkeit) bezeichnet den Zustand einzelner Personen oder einer ganzen Gruppe von Individuen, die sich bei der tagli- chen Kommunikation abwechselnd zweier unterschiedlicher Sprachen bedienen (vgl. Gluck 1993: 97; Weinreich 1979: 1)

[Man] betrachtet die Zweisprachigkeit heute gerne als Kontinuum sprachlicher Fahig- keiten, auf dem sich eine Minderheit dem theoretischen Ideal der perfekten, ausgewo- genen Beherrschung beider Sprachen annahert, wahrend die meisten ein gutes Stuck davon entfernt sind und manche nur sehr begrenzte Fertigkeiten aufweisen. Allerdings lasst sich diese Vorstellung nur sehr schwer prazisieren, da viele unterschiedliche Fa- higkeiten damit zusammenhangen - beim Sprechen, Horen, Lesen und Schreiben ebenso wie in Phonologie, Grammatik, Wortschatz und Pragmatik.

(Crystal 1998: 362)

Im Menschen ist die Fahigkeit, mehrere Sprachen zu erwerben, zu lernen und zu ge- brauchen grundsatzlich angelegt (vgl. Bausch 2003b: 439). Bilinguismus kann durch den Erwerb zweier Sprachen im Elternhaus, durch Fremdsprachenunterricht an Bil- dungseinrichtungen oder aufgrund einer im Kindesalter bzw. im spateren Leben bestehenden Notwendigkeit entstehen (vgl. Lewandowski 1994, Bd. 1: 191/192). Dabei ist zu beachten, dass ein Individuum im Laufe seines Lebens eine erworbene bilingua- le Kompetenz auch wieder verlieren kann (vgl. Riehl 2004: 64).

Bausch (2003b: 440) unterscheidet u. a. zwischen folgenden Typen von Zweisprachig- keit: 1) die minimale Zweisprachigkeit, wobei das jeweilige Individuum nur einzelne Floskeln (z.B. zur Begru^ung) und bestimmte Redewendungen in einer weiteren Spra- che kennt; 2) die maximale (idealtypische) Zweisprachigkeit - in diesem Fall musste ein Individuum beide Sprachen wie ein Muttersprachler beherrschen; 3) das Konzept der ausgewogenen (symmetrische) Zweisprachigkeit, welches davon ausgeht, dass ein In­dividuum fur alle moglichen Kommunikationssituationen einen ungefahr gleichwertigen Sprachstand in beiden Sprachen erreicht hat und in der Lage ist, diesen uber einen lan- geren Zeitraum hinweg konstant zu halten[11] ; und 4) als Gegenkonzept dazu eine domi- nante (asymetrische) Zweisprachigkeit, welche fur bilinguale Sprecher zutrifft, deren Ausdrucksfahigkeit bei einer der beiden Sprachen jeweils grower oder kleiner ist.

Cropley (1984) unterscheidet daruber hinaus zwischen ‘Bildungszweisprachig- keit’ und ‘Umgangszweisprachigkeit:[12]

a) Bildungszweisprachigkeit liegt vor, wenn jemand neben der eigenen Muttersprache noch eine weitere Sprache erlernt, etwa weil dies als Zeichen eines ‘Menschen von Bildung und Kultur’ gilt, weil damit der Zugang zu einer fremdsprachigen Kultur ermog- licht wird, weil es geschaftliche Aussichten verbessert oder eine besondere Berufsqua- lifikation darstellt, oder weil es die sozialen Kontaktmoglichkeiten erweitert, den Aus- landsurlaub angenehmer macht oder einfach eine interessante Erfahrung ist.

b) Umgangszweisprachigkeit dagegen liegt bei Personen vor, die auch im Alltag auf die Beherrschung einer weiteren Sprache unbedingt angewiesen sind, sei es in ihrer Er- werbstatigkeit, der Versorgung mit lebensnotwendigen Dingen, dem Umgang mit Be- horden oder der Teilnahme am sozialen und kulturellen Leben sowie am Freizeitge- schehen ihrer Umgebung.

(Cropley 1984: 181)

Bauschs Typ 4) und Cropleys Typ b) treffen insbesondere fur Migrantensituationen zu, d.h. fur im Ausland lebende Arbeitskrafte und deren Kinder, die zusatzlich zu ihrer Ursprungssprache auch Kenntnisse in der Sprache des Gastlandes erwerben mus- sen. Daruber hinaus ist speziell in diesem Falle davon auszugehen, dass der Bilinguis- mus auf die Migranten als ethnische Minderheit beschrankt bleibt, da die im Gastland heimische Mehrheit meist nicht so sehr daran interessiert ist, Kenntnisse in einer Mi- grantensprache zu erwerben (vgl. Gluck 1993: 97/98). [13]

2.2.2 Diglossie

Der Begriff Diglossie bezeichnet speziell solche zweisprachigen Situationen, in de- nen zwei Sprachvarietaten, von denen eine zumeist mehr Prestige genieftt als die andere, in jeweils unterschiedlichen Kommunikationssituationen gebraucht werden (vgl. Lewandowski 1994, Bd. 1: 226). Zunachst wurde der aus dem Griechischen stam- mende Begriff[14] zur Kennzeichnung der sprachlichen Situation Griechenlands verwen- det, wo lange Zeit eine puristisch-archaisierende Sprachform als griechische Literatur- sprache der volkstumlichen griechischen Umgangssprache gegenuberstand.[15] Char­les Ferguson fuhrte den Terminus Diglossie im Jahre 1959 in die Linguistik neu ein, wobei er ihn nun nicht mehr nur auf Griechenland sondern auch auf andere ahnliche sprachliche Situationen anwandte, in denen eine prestigetrachtige high variety, die im offentlichen und im schriftlichen Bereich verwendet wird, einer low variety, der Sprach- form fur die mundliche Alltagskommunikation, gegenuber steht - so etwa in der Schweiz oder in Saudi-Arabien (vgl. Kremnitz 1987: 209/210).[16] Der Terminus wurde spater noch einmal erweitert und kann nunmehr fur alle sprachlichen Situationen gelten, in denen zwei Sprachformen mit unterschiedlichen Funktionen gebraucht werden, die nicht unbedingt Varietaten ein- und derselben Sprache sein mussen (vgl. Sinner 2001: 126; LUDI 1996: 237).

Fishman (1967: 29 ff.) unternimmt den Versuch, die beiden Begriffe Bilinguismus und Diglossie klar voneinander abzugrenzen. Einerseits stuft er den Bilinguismus als Do- mane der Psycholinguistik ein, wahrend die Diglossie fur ihn ein soziolinguistisches Phanomen ist. Andererseits entwirft er ein dreigliedriges Schema, in dem er beide Er- scheinungen einander gegenuberstellt und fur die sich daraus ergebenden Konstella- tionen jeweils Beispiele anfuhrt: 1) bilingualism with diglossia; 2) bilingualism without diglossia; 3) diglossia without bilingualism.

Bemerkte Kremnitz (1987: 215) noch, dass im Falle der Kommunikation von Einheimi- schen mit auslandischen Arbeitskraften bislang nur selten von Diglossie gesprochen werde, so weist z.B. Sinner (2001: 127) einige Jahre spater darauf hin, dass der Be- griff auch schon auf den Fall zweisprachiger Nachkommen portugiesischer Immigran- ten in Hamburg angewandt worden sei.[17] Die Meinung, dass die sprachlichen Verhalt- nisse in Migrantensituationen durchaus als diglossisch bezeichnet werden konnen, wird heute demzufolge von weit mehr Linguisten vertreten als das fruher der Fall war. Vgl. dazu NELDE (1998: 524):

Arbeitsmigranten und in besonderem Mafte deren Kinder verhalten sich in Ferguson- schem Sinne diglossisch, d.h. ihre Muttersprache wird zur niederen, die Gastsprache zur hohen Varietat (low variety vs. high variety).

2.3 Zweitsprachenerwerb

Die Aneignung einer bilingualen Kompetenz ist in unterschiedlichen Lebensstadien moglich. Bechert/Wildgen (1991: 52) unterscheiden dabei: 1) den bei zweisprachiger Kindererziehung in gemischtethnischen Familien erfolgenden bilingualen Erstspra- chenerwerb; 2) den Erwerb einer zweiten Sprache nach einem ersten stabilisierenden Abschluss des Erstsprachenerwerbs[18], z.B. in der Schule; und 3) den Zweitsprachen­erwerb bei Erwachsenen. [19] Bezuglich des Zeitpunkts lassen sich folglich zum einen der simultane Erwerb und zum anderen die sukzessive Aneignung von Kenntnissen in einer Zweitsprache unterscheiden (vgl. Ludi 1996: 235).

Im Hinblick auf fremdsprachendidaktisch relevante Aspekte des Zweitsprachener- werbs schlagt Quetz (1989: 376) daruber hinaus eine Differenzierung zwischen den Termini Fremdsprachenerwerb und Fremdsprachenlernen vor. Mit ersterem Begriff meint er die direkte Auseinandersetzung mit einer zielsprachlichen Umgebung, den ungesteuerten Zweitsprachenerwerb, wie er vor allem fur Migrantensituationen postu- liert wird.[20] Fremdsprachenlernen umfasse hingegen jegliche Art der Aneignung von Fremdsprachen durch entsprechenden Unterricht an Bildungseinrichtungen oder mit Hilfe von Materialien zum Selbstlernen.[21] Somit verwendet er letzteren Terminus im Rahmen der Fremdsprachendidaktik zur Bezeichnung des gesteuerten Zweitspra- chenerwerbs.

Abbildung 4 fasst in pragnanter Weise noch einmal die oben behandelten Formen der Aneignung von Kenntnissen in einer zweiten Sprache zusammen:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 4: Formen des Zweitsprachenerwerbs (nach LUDI/PY 2003: 9)acquisition en milieu naturel ""

appropriation de la langue x apprentissage en milieu scolaire Speziell im Hinblick auf Migrantensituationen sei darauf hingewiesen, dass die Ur- sprungssprache der Einwanderer zumeist als ihre Erstsprache anzusehen ist, und die Gastsprache der einheimischen Bevolkerung als die zu erwerbende Zweitsprache (vgl. LUDI/PY 2003: 46).

Nach Housen (1996: 516) sind sowohl der ungesteuerte als auch der gesteuerte Zweit- sprachenerwerb im Allgemeinen sehr langwierige Prozesse, die sich durch lingui- stische Studien zwar gut beschreiben, aber nicht erklaren lassen:

Since there is no research method or tecnique which allows researchers to directly ob­serve [the] process as it unfolds itself in real time, hypotheses about the mechanisms of acquisition have been mainly inferred from either empirical descriptions of or theoretical speculations about the product of acquisition [...] and changes that occur in this product over time.

Zu den Faktoren, die den Zweitsprachenerwerb beeinflussen konnen, zahlt er zu- nachst das Lernumfeld, d.h. die Art und Haufigkeit des Kontakts mit der zu erlernen- den Sprache. Daruber hinaus nennt Housen (1996: 517) die individuellen Sprachlern- fahigkeiten (in den Bereichen Produktion und Rezeption), die mentale Verarbeitung sowie das Wissen uber Sprache. Auch die jeweiligen Motivationen des Lerners wirken sich auf den Zweitsprachenerwerb aus, so der Autor.

Viele Spracherwerbsforscher und Fremdsprachendidaktiker sehen den Zweitspra- chenerwerb als eine Abfolge von sich immer weiter entwickelnden Lernervarietaten[22], denen trotz der ihnen anhaftenden Instabilitat eine innere Systematik zuzuschreiben ist

(vgl. Gluck 1993: 276).[23] Bei Duwell (2003: 349) findet sich folgende Definition von ‘Lernervarietat’ (dort als ‘Lernersprache’ bezeichnet):

Mit ‘Lernersprache’ ist der jeweilige individuelle fremdsprachliche Zustand gemeint, den ein Fremdsprachenlerner zu einem bestimmten Zeitpunkt auf dem Weg der Loslosung von der Ausgangssprache in Richtung Zielsprache erreicht hat.

(mit gleichem Wortlaut schon in Duwell, 1989: 135)

In diesem Zusammenhang mochte ich auch auf Ludi (1996: 242) verweisen. Er be- schreibt die Lernersprachkompetenz als eine instabile aber systematische Menge von Hypothesen uber Sprache, welche als Resultat der kognitiven Arbeit des Lernens den momentanen Stand der mentalen Grammatik ausmachen.[24]

Es gibt verschiedene Grunde, die Menschen dazu bewegen, eine Fremdsprache zu lernen. Eine Rolle kann dabei z.B. die emotionale Bindung an eine bestimmte Sprache spielen, wie sie etwa durch eine Liebesbeziehung oder durch Freundschaft zu Men­schen, die diese Sprache sprechen, entsteht (vgl. Weinreich 1979: 78). Der Wunsch, sich gute Kenntnisse in einer zweiten Sprache anzueignen, kann aber auch mit einer davon erhofften Verbesserung der eigenen beruflichen Perspektiven zusammenhan- gen (vgl. ibid.). Duwell (1989: 134) weist darauf hin, dass die Motivation zum Lernen einer Fremdsprache besonders dann den Lernerfolg begunstigt, wenn der Lerner gros­ses Interesse fur die andere Sprachgemeinschaft zeigt und den Wunsch hat, von ihr an- erkannt und aufgenommen zu werden. Im Falle der Migranten als Fremdsprachen­lerner konnte dies bedeuten, dass der Wunsch nach einer raschen Integration in die Gesellschaft des Gastlandes auch ein vergleichsweise schnelles Erlernen der Gast- sprache mit sich bringt.

Insbesondere in Migrantensituationen stellt die Selbstaneignung von Kenntnissen in der Sprache der vor Ort ansassigen Bevolkerung ein willkommenes Mittel zur Uber- windung von Verstandigungsschwierigkeiten dar. Der Zweitsprachenerwerb kann da­bei als Streben des Lerners nach Optimierung der eigenen kommunikativen Effizienz gewertet werden, mit dem Ziel, seine kommunikativen Bedurfnisse besser befriedigen zu konnen (vgl. Housen 1996: 521).

Nach VAradi (1983: 82-84) ist das oberste Ziel, welches ein Fremdsprachenlerner bei der Produktion fremdsprachlicher Aufterungen verfolgt, die ‘Bedeutung’ (meaning) ei- ner entsprechenden Aufterung in seiner Muttersprache (Ausgangssprache) auch in der Fremdsprache (Zielsprache) zum Ausdruck zu bringen. Um dies zu erreichen, muss er eine geeignete Form (optimal message) finden. Dabei wahlt der Lerner eine Form aus, von der er glaubt, dass sie die intendierte Bedeutung am ehesten wiedergibt und dass sie eine korrekte Form der Zielsprache ist. Wenn er in seinem fremdsprachlichen Repertoire jedoch keine angemessene Form findet, kann er daruber hinaus auch einen Teil der Bedeutung opfern reduction of meaning) und eine andere Form wahlen, die zumindest annahernd das auszudrucken vermag, was er eigentlich sagen wollte. Taro- ne (1983: 10/11) spricht in diesem Zusammenhang auch von Vermeidungsstrategien: der Lerner versucht, bestimmte zielsprachliche Regeln und Formen zu umgehen, die er nach eigener Einschatzung noch nicht sicher beherrscht.

Die Kapitel 2.3.1 und 2.3.2 behandeln nun ihrerseits zwei bestimmte kommunikative Strategien, derer sich ein Sprecher bei der Produktion fremdsprachlicher Aufterungen bedienen kann, um eventuell dennoch auftretende Verstandigungsschwierigkeiten zu uberwinden.

2.3.1 Codeswitching

Weinreich (1953/1979) entwickelt das Idealbild eines bilingualen Sprechers, der nur eine Sprache in einer Situation gebraucht und fahig sowie gewillt ist, die beiden Spra- chen immer voneinander zu trennen und sie in der Rede nicht miteinander zj vermi- schen:

The ideal bilingual switches from one language to the other according to appropriate changes in speech situation (interlocutors, topics, etc.), but not in an unchanged speech situation, and certainly not within a single sentence. (Weinreich 1979: 73)

Gleichzeitig gibt er aber zu bedenken, dass die sprachliche Wirklichkeit diesem Ideal gewohnlich nicht entspricht, da das sogenannte codeswitching - der Wechsel von einer Sprache zur anderen innerhalb eines Satzes oder (mundlichen) Textes - ein[25] allgegenwartiges Phanomen der kommunikativen Interaktion bilingualer Sprecher dar- stellt (vgl. ibid.).

Im Allgemeinen gehen Sprachforscher zumeist davon aus, dass codeswitching ins- besondere dann zu beobachten ist, wenn bilinguale Sprecher mit Individuen kom- munizieren, die dieselben zwei Sprachen beherrschen wie sie selbst (vgl. Weinreich 1979: 81; LUDI 1996: 242; KREFELD 2004: 91). Sprachwechsel kann nach CRYSTAL (1998: 363) jedoch auch auftreten, wenn ein bilingualer Sprecher sich in einer der Sprachen nicht angemessen auszudrucken vermag und zur anderen ubergeht, um diesen Mangel auszugleichen.

Dieser Annahme entsprechen auch die Ausfuhrungen von Corder (1983: 17). Er stuft codeswitching infolge von Verstandigungsschwierigkeiten im Gesprach zwischen Fremdsprachenlernern und monolingualen Sprechern als Extremfall einer „success oriented though risk running [resource expansion] strategy'1 ein. Mit dieser Strategie versucht der Lerner, so Corder, trotz nach eigener Einschatzung unzureichender Fremdsprachenkenntnisse dennoch erfolgreich und moglichst in Ganze das auszu­drucken, was er an Information vermitteln mochte, ohne Bedeutung (/meaning) opfern zu mussen. Das Risiko, vom Gesprachspartner letztlich nicht verstanden zu werden, nimmt er dabei zunachst einmal in Kauf.

Ludi (2001: 426) gibt daruber hinaus zu bedenken, dass codeswitching als kompen- satorische Strategie zum Fullen von ‘Wissenslucken’ durchaus auch bei kompetenten bilingualen Sprechern vorkommen kann.

2.3.2 Transfer

Neben ganzen Satzen oder Satzsequenzen konnen vom Fremdsprachenlerner auch einzelne Worter spontan aus seiner Muttersprache in die Fremdsprache ubernommen werden. Diese kompensatorische Strategie des Lerners bezeichnet Corder (1983: 16) als Transfer. Der Status formaler Kriterien zur Unterscheidung von codeswitching und Transfer ist jedoch, wie Ludi (1996: 242) bemerkt, durchaus nicht unumstritten:

Wahrend die einen [Forscher] zwischen mehr oder weniger integrierten Spontanentleh- nungen und Juxtapositionen durch Kodeumschaltung unterscheiden [...], stellt fur ande- re eine spontane Entlehnung eines Wortes eine Subkategorie des codeswitching dar.[26]

Er schlagt daher seinerseits vor, alle durch Sprachwechsel und Transfer aus der Mut- tersprache (L1) in die Fremdsprache (L2) einflieftenden Elemente unter dem Begriff transkodische Markierungen zusammenzufassen (vgl. LODI 1996: 241-242).

In der Zweitsprachenerwerbsforschung wird zumeist zwischen positivem und negati- vem Transfer unterschieden. Ersterer umfasst dabei diejenigen Regeln und Elemente,27 die in beiden Sprachen (struktur-)identisch sind und daher zu keinen Fehlern fuhren.[27] Im Gegensatz dazu stellen Regeln und Elemente, die in beiden Sprachen (struktur-) verschieden sind, Lernschwierigkeiten dar, die Fehler produzieren, weshalb der Trans­fer in diesem Falle zumeist als negativ eingestuft wird (vgl. Ludi 2001: 426/427).[28]

In der Rede zweisprachiger Individuen auftretende Abweichungen von der Norm[29] der einen ihnen vertrauten Sprache, welche durch negativen Transfer von Elementen und Regeln aus der anderen ihnen vertrauten Sprache zustande kommen, bezeichnet Weinreich (1953/1979) als Interferenzen (vgl. Weinreich 1979: 1). LUdi (2001: 427) gibt jedoch zu bedenken, dass Lerner daruber hinaus auch falsche Schlusse hinsicht- lich der Struktur einer Fremdsprache ziehen konnen, die im Unterschied zu Interferen­zen nicht selbst aus dem System der Muttersprache herruhren. Damit meint er in ers- ter Linie die Ubergeneralisierung des Gebrauchs bestimmter Sprachstrukturen und - elemente, wobei der Lerner zwar die Regelmaftigkeiten im System erkennt und an- wendet, aber gleichzeitig bestimmte Unregelmaftigkeiten und Besonderheiten nicht beachtet.[30]

Im Hinblick auf die Form dessen, was aus der einen in die andere Sprache ubernom- men wird, ist festzustellen, dass Interferenzen moglich sind 1) auf phonologischer Ebene - was sich in einem ‘fremden Akzent’ bemerkbar macht; 2) im Bereich der Grammatik (Syntax und Morphologie); und 3) auf lexikalischer Ebene - etwa bei un- angemessenen ‘Entlehnungen’ und im Falle der sogenannten ‘falschen Freunde’ (vgl. LUDI 2001: 428; TARONE 1983: 5).[31]

In manchen Fallen kann sich daruber hinaus ein Transfer von Elementen aus der ei- nen in die andere Sprache auch als unumganglich erweisen, so. z.B. bei Entlehnun­gen, welche bestimmte kulturelle Besonderheiten bezeichnen, fur die es in einer ande- ren Sprache keine Entsprechung gibt (vgl. Heller/Pfaff 1996: 602). Dabei handelt es sich sehr haufig um nominale Elemente (vgl. H. Weinrich 1984: 78).

Auch die Uberlegungen von Gass (1996: 563/564) hinsichtlich der Entstehung von In- terferenzen sind sehr interessant. Die Autorin geht davon aus, dass der Lerner zu- nachst eine gewisse Ahnlichkeit zwischen der Fremdsprache und ihrer Muttersprache feststellen muss[32], um zu begreifen, dass letztere fur ihn bei der Produktion fremd- sprachlicher Aufterungen durchaus von Nutzen sein kann. Habe er das erst erkannt, so treffe der Lerner eigenmachtig Entscheidungen daruber, welche Elemente spezifisch fur seine Muttersprache (d.h. nicht ubertragbar) sind, und welche in allen Sprachen vorkommen und ohne weiteres auch als Elemente der Fremdsprache angesehen werden konnen. Interferenzen sind somit als Ergebnis eventueller Fehlentscheidungen seitens des Lerners einzustufen.

2.4 Spracherhalt und Sprachwechsel

Fur Migrantensituationen gilt haufig als ‘normaler’ Verlauf der sprachlichen Entwick- lung: 1) zunachst Einsprachigkeit in der Muttersprache - wenn die Einwanderer im Gastland ankommen; dann 2) ubergangsweise unterschiedliche Formen von Bilin- guismus - wobei sowohl die Ursprungssprache und die Gastsprache bei der Kommu- nikation verwendet werden; und schlieftlich 3) die Einsprachigkeit in der Gastsprache, wenn diese bereits Muttersprache einer jungeren Generation ist (vgl. DE Bot 1996: 580)[33]. Eine solche Entwicklung wird in der Linguistik als Sprachwechsel bezeichnet. Ein gutes Beispiel dafur ist der Fall der Russlanddeutschen in der ehemaligen Sow- jetunion, der von Rosenberg (1993) untersucht wurde:

Grundsatzlich zeichnet sich ein generationsweise vollzogener Sprachverlust ab, der insbesondere bei der jungeren Generation durchschlagende Wirkung zeigt. Die heu- te alteste Generation spricht meist eine dialektale Varietat [des Deutschen] am bes- ten; in dem Mafte, wie sie noch deutschen Schulunterricht genossen haben, auch ei­ne standardnahe Varietat und - oft schlecht - Russisch. Die mittlere Generation spricht eine lokale Varietat [des Deutschen] und Russisch gleichermaften [...]. Die jungste Generation ist weitgehend zum Russischen ubergegangen.

(Rosenberg 1993: 126/127)

Als mogliche Grunde fur einen Sprachwechsel in Migrantensituationen fuhrt Riehl (2004: 166) u. a. an, dass die Ursprungssprache, welche schlieftlich zugunsten der Gastsprache aufgegeben wird, in der neuen Heimat zumeist nicht den Status einer Schulsprache genieftt. Desweiteren gestalte sich haufig der Zugang zu Medien in die- ser Sprache schwer, und schlieftlich seien im Gastland im Allgemeinen weitaus weni- ger Gesprachspartner zu finden, die die Sprache der Einwanderer sprechen. Womog- lich schwinde deren Zahl mit der Zeit sogar noch, etwa durch den Tod der alteren Ge­neration oder durch den ausschlieftlichen Gebrauch der Gastsprache bei der jungeren Generation. Daruber hinaus kann die Heirat aufterhalb der eigenen Sprachgruppe (Exogamie) einen Sprachwechsel begunstigen (vgl. ibid.: 168).

Ludi/Py (2003: 17) sehen im Bilinguismus von Migranten ebenfalls ein Ubergangspha- nomen. Binnen zwei bis drei Generationen seien die Nachkommen der Einwanderer zumeist bereits monolingual, wenn nicht besondere Umstanden dies verhindern. Sie geben jedoch zu bedenken, dass Migranten, wenn sie in ihre alte Heimat zuruck- kehren, ihre Zweisprachigkeit durchaus wieder aufgeben konnen.[34] Nach Argente (1998: 7) ist die Verdrangung der Muttersprache durch die Gastsprache bei Migranten als Resultat eines Sprachkonflikts zu sehen, in dessen Folge die Gastsprache letzt- lich alle Funktionen ubernimmt, die vor der Einwanderung ausschlieftlich die Mutter- sprache innehatte. Hingegen kann eine stabile Diglossiesituation dazu beitragen, beide im Kontakt befindlichen Sprachen zu erhalten.

Neben dem Sprachwechsel und einem damit verbunden Verlust von Kenntnissen in der Ursprungssprache ist in Migrantensituationen ebenso der Spracherhalt, d.h. die Bewahrung der Ursprungssprache als Kommunikationsmedium, zu beobachten.[35] Wird die betreffende Sprache z.B. als Symbol fur die Zugehorigkeit zu einer bestimmten Gruppe und fur die eigene Identitat verstanden, so festigt dies ihre Stellung und unterstutzt somit ihren Erhalt (vgl. Rosenberg 1993: 131). Riehl (2004) fuhrt weitere Faktoren fur Spracherhalt an. Dort heiftt es u.a.:

Die Geschlossenheit eines Gebiets kann auch bei modernen Migranten den Spracher­halt uber mehrere Generationen hinweg bewirken, wie das bereits in den ethnischen Vierteln Little Italy und Chinatown in den USA und neuerdings auch in einigen turkisch dominierten Bezirken deutscher Groftstadte der Fall ist. (Riehl 2004: 159).

Auch ein bestandiger Kontakt mit dem Mutterland, z.B. durch langere Aufenthalte dort in den Ferien, oder durch den anhaltenenden Zustrom neuer Einwanderer[36], ist fur den Erhalt der Ursprungssprache im Gastland von Bedeutung. Gleiches gilt im Falle der religios bedingten Endogamie oder wenn eine Sprache besonders stark an eine be- stimmte Religion gebunden ist (vgl. ibid.: 164). Hyltenstam/Stroud (1996: 570) sehen daruber hinaus auch in der Existenz verschiedener Institutionen (Schulen, Gottes- hauser, Verlage und Fernsehsender, Kulturvereine) und gebildeter Eliten (charismati- sche Fursprecher, Forscher, Schriftsteller, Schauspieler und Musiker) wichtige Fakto­ren, die fur den Spracherhalt ausschlaggebend sein konnen.

Fur Oksaar (1984b: 254) sind der Erwerb von Kenntnissen in der Sprache des Gast- landes und die gleichzeitige Bewahrung der Ursprungssprache als Kommunikations- medium zwei Anzeichen fur eine gelungene Integration von Migranten. Der Aufbau so- zialer Beziehungen durch Bekannt- und Freundschaften mit Mitgliedern aus der Majo- ritatsbevolkerung sei dafur ebenso wichtig wie de Aufrechterhaltung von Kontakten zu Landsleuten.

Integration bedeutet [...], dass die Immigranten Bereiche ihrer ursprunglichen Kultur be- halten, gewohnlich die individuelle Sphare mit der Sprache und Religion, auch wenn sie die neue Sprache erwerben. In anderen Sektoren, vor allem im okonomischen Bereich, Schulen und Ausbildung, werden sie in das System des Gastlandes eingefugt. [...] Zwi- schen den beiden Spharen braucht es bei der Integration keine Spannungen zu geben, wenn die individuelle Sphare relativ stabil ist; dadurch wird auch die emotionale Stabili- tat der Menschen gestarkt. (ibid.)

Anhand der von mir zusammengetragenen Informationen uber die rumanischen Immi­granten in Spanien und speziell in Alicante lassen sich schon einige Aussagen uber die weitere Entwicklung der Zweisprachigkeit rumanischer Immigranten und den Erhalt des Rumanischen treffen. In einem Ausblick mochte ich daher gesondert darauf eingehen (vgl. 9.1). Allerdings sei dazu angemerkt, dass sich gegenwartig nur Hypothesen auf-stellen lassen, die in spateren Untersuchungen uberpruft werden konnen.[37]

3. VERWENDETE UNTERSUCHUNGSMETHODEN

In diesem Kapitel mochte ich die empirischen Methoden, die ich bei der Befragung meiner Informanten verwendet habe, vorstellen. Diese sind das Leitfadeninterview und der Fragebogen. Dabei werde ich sowohl die einzelnen gestellten Fragen und die Themenschwerpunkte als auch einige Grunde fur die Wahl der jeweiligen Untersu- chungsmethode naher erlautern.

In diesem Zusammenhang sei jedoch darauf hingewiesen, dass ich in diesem Kapitel nur auf die Ziele, die ich bei der Erstellung des Interviewleitfadens und des Fragebo- gens verfolgte, eingehen werde. Die tatsachliche Realisierung der Interviews und der Umgang der Informanten mit den Fragebogen konnen im Einzelnen anhand des Anhangs (Teil I und Teil II) nachvollzogen werden. Eine Auswertung der verwendeten Methoden im Hinblick auf ihre Wirksamkeit erfolgt dann in einem gesonderten Kapitel (vgl. 8.2). Dort werde ich auch auf Probleme zu sprechen kommen, die sich bei der Durchfuhrung der Interviews und beim Einsatz des Fragebogens ergaben.

Empirische Methoden wie die Befragung dienen der Sammlung und Systematisierung von Erfahrungen uber die Realitat. Sie stellen den direkten forschungspraktischen Be- zug zu einem aufterwissenschaftlichen Gegenstand her. Durch diese Methoden kon- nen theoretische Uberlegungen uberpruft und bestatigt bzw. widerlegt werden (vgl. Scholl 2003: 22). Die Sammlung und Aufzeichnung linguistischer Daten ‘vor Ort’ wird auch als linguistische Feldforschung bezeichnet. Dabei wird mittels Interviews und Fragebogen Sprachmaterial im Kontakt und in der Kommunikation mit Mitgliedern ei- ner Sprachgemeinschaft erhoben. Es kann in der Folge zu einem speziellen Korpus zusammengefasst und ausgewertet werden (vgl. Gluck 1993: 183). Diejenigen Spre- cher einer Sprache, die einem Linguisten als Informationsquelle dienen, werden in der Feldforschung als Informanten bezeichnet (vgl. ibid.: 266).

Die Befragung ist eine empirische Methode mit einer groften Bandbreite von Moglich- keiten. Sie erfolgt entweder in Form von mundlichen Interviews, oder aber sie verlangt das schriftliche Ausfullen von Fragebogenformularen (vgl. Scholl 2003: 31). In beiden Fallen konnen - je nachdem, welche Ziele die Untersuchung verfolgt - mehr oder we- niger detaillierte Fragenkataloge zum Einsatz kommen. Mittels offener Interviewver- fahren, welche die Anpassung der Fragen an die Gesprachssituation erlauben, lasst es sich vermeiden, dass der Informant in die Rolle eines bloften Auskunftsgebers ge- drangt wird. Man kann ihn dabei zur Selbstbeschreibung auffordern, indem man nach seiner Meinung fragt oder ihn bittet, seine eigenen Erfahrungen zu schildern (vgl. ibid.: 24-27).

3.1 Das Interview

Meine Untersuchungen dienen der Herausarbeitung und Analyse von muttersprach- lichen Interferenzen im Spanischen, wie es von rumanischen Immigranten in Alicante gesprochen wird. Es war mir wichtig, in der Feldforschungsphase ein ergiebiges Korpus sprachlicher Daten zu erheben, die ich im Hinblick auf meine Zielsetzung auswerten konnte. Daher entschied ich mich nach reiflicher Uberlegung schlieftlich fur eine Kombination aus narrativem und gelenktem Interview.

Das narrative Interview ist eine Form der Befragung, welche den Informanten dazu auffordert, von sich selbst zu erzahlen. Nach Flick (2005: 146) eroffnen Erzahlungen einen umfassenden und in sich strukturierten Zugang zur Erfahrungswelt des Inter- viewpartners.

Interviews, die primar auf Erzahlungen von Interviewpartnern abzielen, erheben Daten in Form eines mehr oder minder umfangreichen und strukturierten Ganzen - als Er- zahlung von Lebensgeschichten oder von konkreten Situationen, in denen bestimmte Erfahrungen gemacht worden sind. Damit geben sie der Sichtweise von Interviewpart­nern mehr Raum als Befragungsverfahren, die konkrete Themen und die Struktur ih- rer Behandlung in den gestellten Fragen weitgehend vorgeben. (ibid.: 166)

Wenn der Informant das Gefuhl hat, selbst im Zentrum des Interesses zu stehen, wird er mit Sicherheit weitaus mehr zu sagen haben, als wenn er zu Sachverhalten befragt wird, uber die er unter Umstanden nur relativ wenig weift, da sie nicht unmittelbar Teil seiner eigenen Lebenswelt sind. Ich hatte mir zum Ziel gesetzt, dem Informanten die Gelegenheit zu geben, moglichst viel zu sprechen und somit einen langeren zu- sammenhangenden mundlichen Text zu produzieren. Dafur eignet sich das narrative Interview sehr gut.

Die Themenwahl steht dem Befragten bei dieser Methode meist frei, sodass er eigen- standig daruber entscheiden kann, was er dem Interviewer mitteilen mochte und was nicht. Erst im Anschluss an das Interview werden Fragen gestellt, die sich aus dem Kontext des Erzahlten ergeben haben (vgl. Flick 2005: 147).

Mir war hingegen durchaus daran gelegen, das Interview von vornherein auf bestimm­te Themen zu lenken, einerseits um dem Informanten Hilfestellung bei der Strukturie- rung der Erzahlung zu geben, und um die Befragung andererseits in ihrem zeitlichen Umfang zu beschranken.[38] Daher entschied ch mich dafur, einen Interviewleitfaden zu erstellen.[39]

Die von mir durchgefuhrten Interviews haben die Form einer biographischen Befra­gung: der Informant sollte uber seine momentane Situation Auskunft geben, aber auch auf vergangene Ereignisse eingehen sowie seine Zukunftsvorstellungen schildern (vgl. dazu Scholl 2003: 106). Durch entsprechende Ausgangsfragen wurde der Befragte zu den jeweiligen Schwerpunktthemen gefuhrt. Im Einzelnen gestaltete ich den Fragen- katalog fur die Interviews in seinen Grundzugen wie folgt:

1) Wie heiftt du[40] und wie alt bist du?

Wann und wie bist du in Spanien eingewandert?

Warum hast du gerade Alicante als Wohnsitz ausgewahlt?

2) Was hat dich dazu bewogen, in Spanien einzuwandern?

Wie hast du dir dein Leben in Spanien vorgestellt?

Haben sich deine Erwartungen erfullt? Inwiefern?

3) Erzahl mir mehr uber dein Leben in Rumanien vor der Einwanderung in Spanien.

4) Beschreibe mir, wie es dir in den ersten Monaten in Spanien ergangen ist.

Hast du dich schnell eingelebt? Warum (nicht)?

Und wie siehst du deine Situation jetzt?

5) Fallen dir ein paar typisch rumanische Dinge ein, die du hier in Spanien sehr vermisst? Erzahle mir mehr daruber.

Was gefallt dir an Spanien am meisten? Und was gefallt dir nicht so sehr?

6) Hast du schon in etwa eine Vorstellung von deiner Zukunft?

Konntest du mir beschreiben, wie du sie dir ausmalst?

Welche Plane hast du fur die Zukunft?

Wurdest du gern eines Tages nach Rumanien zuruckkehren? Warum (nicht)?

7) Sag, mit wem unterhaltst du dich am liebsten auf Rumanisch?

Und woruber redet ihr dann?

8) Wie hast du Spanisch gelernt?

Hast du spanische Freunde?

9) Warst du schon mal in einem anderen europaischen Land?

10) Was verbindet dich noch mit Rumanien? Hast du noch Verwandte, Freunde oder Be- kannte dort?

Fahrst du oft nach Rumanien?

Tabelle 1 bietet einen Uberblick uber die thematischen Schwerpunkte der Interviews:

Tab. 1: Themen, uber die mit den Informanten gesprochen wurde

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Anzumerken ist, dass bestimmte Teilfragen in den einzelnen Interviews nach Bedarf jeweils anders gestellt wurden. Zumeist ergab sich eine solche Loslosung vom Leit- faden aus der jeweiligen Gesprachssituation (vgl. dazu die einzelnen Interviews: An- hang I).

Bei der Gestaltung des Fragenkatalogs fur den Interviewleitfaden habe ich mich an den Empfehlungen von Porst (1996: 741) und Scholl (2003: 171) orientiert. Beide Auto-ren raten, am Beginn des Interviews einfache Fragen zu stellen und dabei das Inter- esse der Informanten zu wecken. Hingegen sollten die Befragten am Anfang moglichst nicht mit heiklen oder komplexen Fragen konfrontiert werden, um nicht einen vorzei- tigen Abbruch des Interviews zu riskieren. Daruber hinaus wird empfohlen, spannende Fragen zu stellen und die Liste der Fragen nicht zu lang ausfallen zu lassen, da dies Ermudung und Langeweile bewirken kann.

Die Interviews mit den rumanischen Immigranten habe ich allesamt vollstandig auf Spanisch gefuhrt. Daruber hinaus unterhielt ich mich auch sonst im Gesprach mit den Informanten immer auf Spanisch. Nach Sinner (2004: 3) ist es bei der Untersuchung der Kenntnisse bilingualer Sprecher in der Zweitsprache von Vorteil, dass der Inter­viewer nicht ein monolingualer Sprecher der betreffenden Sprache ist, sondern ein Auslander, der diese als Fremdsprache erlernt hat:

Muchos informantes ven al entrevistador como persona que defiende o representa una determinada norma, lo que puede influenciar las respuestas y provocar desfiguraciones de los resultados [...]. Por esta razon, el hecho de que el investigador sea extranjero, es decir, no nativo de lengua espanola [.] constituye una clara ventaja, ya que los en- trevistados no lo ven como representante o defensor de una norma.

Bilinguale Sprecher konnen je nach Situation in der Rede zwischen einem ein- und einem zweisprachigen Modus wahlen. Entweder sie schalten die nicht benotigte Spra­che ab, oder aber es steht ihnen ihr gesamtes sprachliches Repertoire zur Verfugung (vgl. Ludi 1996: 240). Letzteres ist zumeist im Gesprach mit ebenfalls bilingualen Spre- chern der Fall, wobei es haufig zu codeswitching kommt.

Um solches codeswitching moglichst von vornherein zu vermeiden, habe ich den ru­manischen Immigranten nicht gesagt, dass ich sowohl Spanisch als auch Rumanisch beherrsche. Auf diese Weise konnte ich schlieftlich verhindern, dass die Informanten plotzlich in ihre Muttersprache wechseln, wenn ihnen die entsprechende spanische Formulierung nicht einfiel. Es gestaltete sich aber dennoch unerwartet schwierig, den Immigranten zu verheimlichen, dass ich uber Rumanischkenntnisse verfuge. Daher entschloss ich mich, ihnen wenigstens zu sagen, dass ich mich fur Rumanien sehr interessiere und auch schon angefangen habe, die Sprache zu lernen, sie allerdings nicht sehr gut beherrsche. Nur so lieften sich eingehendere Fragen, etwa nach dem Grund fur mein Interesse an den rumanischen Immigranten und an Rumanien, befriedigend und ohne Weiteres beantworten. Auch vom sprachwissenschaftlichen Charakter der Studie sollten die Informanten nichts erfahren, da ein solches For- schungsziel ihre Erwartungen womoglich enttauscht oder ihnen das Gefuhl gegeben hatte, sich plotzlich in einer Art Prufungssituation zu befinden und dementsprechend besonders korrekt sprechen zu mussen. Daher lieft ich sie in dem Glauben, ich sei ein Soziologiestudent und wurde die Untersuchungsergebnisse in meiner Abschlussarbeit verwenden.[41]

3.2 Der Fragebogen

Der Fragebogen ist das Instrument einer standardisierten Befragung, wobei die Fra- gen jedem Informanten im gleichen Wortlaut gestellt werden. In bestimmten Fallen er- weist es sich als gunstig, die jeweiligen Antwortmoglichkeiten schon vorzugeben.[42] Ein solches standardisiertes Verfahren gestattet eine bessere Vergleichbarkeit der erho- benen Daten, was fur die nachfolgende Auswertung der Ergebnisse der Untersuchung von Vorteil ist (vgl. Scholl 2003: 74-76).

Fur meine Untersuchung war es mir wichtig, mit Hilfe des Fragebogens zusatzliche In- formationen uber die von mir interviewten rumanischen Immigranten zu sammeln, um mir ein vollstandigeres Bild von ihrer Lebenssituation machen zu konnen. Dabei legte ich besonderen Wert auf Themen, die im Interview selbst nicht angesprochen werden. An einigen Stellen habe ich jedoch dieselben Daten wie im Interview erhoben, mit dem Ziel, uber einen Fragebogen zu verfugen, der sich durch seine Vollstandigkeit und die Relevanz der Themen auszeichnet. Einer Empfehlung von Scholl (2003: 148) zufolge, sollte ein Fragebogen beim Informanten nicht den Eindruck erwecken, als enthalte er Lucken bzw. unnutze Fragen und sei nicht sorgfaltig erarbeitet.

Mein Fragebogen beginnt mit Anweisungen zum Umgang mit darin verwendeten Sym- bolen.[43] Dort, wo der Informant nur entsprechend Zutreffendes (d.h. eine vorgegebeneAntwort) ankreuzen soil, erscheint ein Quadrat (□) Dort, wo er eine Zahl oder ein Wort eintragen bzw. in einem kurzen Satz antworten soll, erscheint eine Linie ( ). Vgl.:

Por favor, elige/elija la lengua antes de cumplimentar el formulario. Donde haya una lfnea escribe/escriba una palabra, un numero o una frase. Donde haya una cuadrlcula □ marca/marque con una cruz todo lo que corresponda.

Va / te rog sa alegetsi / alegi limba rnainte de completarea formularului. Sa scrii / scrietsi un cuvant, un numar sau o propozitsie pe linii. Sa marchezi/marcatsi toate raspunsele coraspunzatoare unde se gaseste un patrat □.

Im Ubrigen ist der gesamte Fragebogen zweisprachig (auf Spanisch und Rumanisch) gestaltet, da ich zunachst nicht voraussetzen konnte, dass die rumanischen Immigran- ten neben mundlichen Spanischkenntnissen auch uber entsprechend gute Schreib- kenntnisse verfugen. Man konnte einwenden, dass die Informanten nun doch erfuh- ren, dass ich die rumanische Sprache gut beherrsche. Aber fur das Interview war dies nicht mehr relevant, da ich ohnehin plante, die Fragebogen den Untersuchungs- teilnehmern erst im Anschluss an die mundlichen Interviews zu uberreichen. Um dennoch ganz sicher zu gehen, gab ich an, dass meine Freundin aus Bulgarien, die Rumanisch studiert, mir bei der Ausarbeitung der Fragebogen geholfen habe.

Zum Zwecke einer eindeutigen Zuordnung der Fragebogen zu den Interviews habe ich diese mit der dazugehorigen Interviewnummer und dem Termin, an dem die jeweilige Befragung stattfand, versehen.

Die Schwerpunkte 1) bis 8) werden dem Informanten nicht direkt als Fragen, sondern anhand einzelner Stichworte (u. a.: Name, Alter, Bildungsabschluss, Vater, Mutter, Geschwister, Freunde) dargeboten. Die Punkte 2) bis 8) sind daruber hinaus als ein Abschnitt unter der Uberschrift ‘Familienangehorige und Freunde’ zusammengefasst. Die thematischen Bereiche 9) bis 17) sind ihrer Form nach hingegen ausformulierte offene bzw. geschlossene Fragen. Sie erscheinen in einem eigenen Abschnitt unter der Uberschrift ‘weitere Fragen’. Dazu sei bemerkt, dass gerade diese Fragen uber den Erwerb von Spanischkenntnissen und den Gebrauch des Spanischen und Ruma­nischen im Alltag fur die vorliegende linguistische Analyse von besonderem Interesse sind. Allerdings sollte der sprachwissenschaftliche Charakter der Arbeit auch im Fragebogen nicht allzu stark in den Vordergrund geruckt werden, um die Informanten nicht so sehr zu verunsichern, dass sie womoglich vor einer Teilnahme an der Befra- gung zuruckgeschreckt waren.

Im Themenkomplex 1) werden einige personliche Daten der Informanten in Form von verkurzten Faktfragen erhoben: Vorname, Alter, Bildungsabschluss, Beruf. Der hierbei erfasste Vorname erscheint anstelle einer Sprechersigle im Transkriptionstext.

[...]


[1] Vgl. Lengua D - Rumano: <www.ua.es/iliescu/rumano/>.

[2] Vgl. dazu die Forderung Sinners (2001: 146): „[Die] (wenn auch nur partielle) Uberschneidung unterschiedlicher Terminologien verschiedener Autoren - mindestens aber in der verwendeten Literatur - sollte thematisiert und geklart werden, wie auch stets auf die eigene Verwendungs- weise hingewiesen bzw. die verwendete Terminologie ausreichend definiert werden sollte.“

[3] Eine fundierte Gesamtdarstellung des Gegenstandsbereichs dieser sprachwissenschaftlichen Teildisziplin liefert KREFELD (2004), wobei er insbesondere auf die italienischen Immigranten und deren Nachkommen in Deutschland sowie die Diaspora der spanischen Juden im Osmanischen Reich eingeht.

[4] Die Gesamtheit der Beziehungen, die ein Individuum oder eine Gruppe zu anderen Individu­en unterhalt, fassen Degenne/Forse (1999) unter dem Begriff sociability zusammen.

[5] Auch ich konnte auf der Grundlage der mir zur Verfugung stehenden Angaben, die meine In- formanten uber sich selbst machten, eine schematische Darstellung des sozialen Netzwerkes erstellen, in dem sich samtliche von mir befragten rumanischen Immigranten bewegen (vgl. 6.1).

[6] Vgl. dazu: „Fur die Sprache bedeutet Migration ein langsames Auseinanderfallen von Kom- munikationsgemeinschaften; die Haufigkeit eines kommunikativen Kontakts und damit der Kon- trolle und Stabilisierung des benutzten Sprachsystems wird mit der raumlichen Distanz gerin- ger“ (Bechert/Wildgen 1991: 152).

[7] Vgl. dazu die Beobachtungen von Ludi/Py (2003: 70) im Bezug auf den Umgang der Migran­ten mit der eigenen Kultur und Sprache sowie der Kultur und Sprache des Gastlandes: a) „Le migrant peut d’arbord refuser les differences [culturelles et linguistiques] en essayant de vivre comme si’l n’avait pas quitte sa region d’origine“; b) „[Le migrant] peut aussi nier les differences en abandonnant sa culture d’origine, en se identifiant totalement a la population d’accueil“; c) „Le migrant peut enfin accepter les differences, les assumer et entreprendre la construction d’une identite bilingue et biculturelle. [...] Sans renoncer a sa langue ni a sa culture d’origine, il se fixera des objectifs d’acquisition de la langue d’accueil lui permettant d’etablir des contacts que depassent le simple souci de la survie materielle et sociale.“

[8] Zur Veranschaulichung soll hier eine Migrantenfamilie dienen, deren Mitglieder - Eltern und Kinder - allesamt bereits im Gastland leben.

[9] Nelde (1998: 519) gibt jedoch zu bedenken, dass die Last der Zweisprachigkeit unter Umstan­den eine rasche Eingliederung in das Bildungssystem des Gastlandes erschweren und auch die beruflichen Aufstiegschancen von Migranten einschranken kann.

[10] Vgl. dazu auch: „[The] strategy whereby speakers adapt to their interlocutors’ communicative behaviors [has been defined as convergence in the Communication Accomodation Theory pa­radigm]/' (Niedzielski/Giles 1996: 335)

[11] Das gilt insbesondere für einzelne Fälle von bilingualem Erstsprachenerwerb.

[12] Dabei bezieht er sich er auf Paulston, C.B. (1978): „Education in a Bi/Multilingual Setting“. In: International Review of Education 24; S. 309-328.

[13] Bezeichnend dafur sind z.B. auch die seit Jahren gefuhrten politischen Diskussionen um die sprachliche Assimilation von Auslandern in den USA (English-only movement) oder in Deutsch­land (Sprach- und Wissenstest).

[14] neugriechisch diglossos „zweisprachig“

[15] Katharheuousa vs. Demotike. Die beiden Sprachformen unterscheiden sich sogar in der Lexik, vgl. oinos vs. krasi„Wein“.

[16] Ludi/Py (2003: 11) fuhren u. a. folgende unterschiedliche kommunikative Funktionen von Sprachen in Diglossiesituationen auf: langue professionelle vs. langue privee; langue scolaire vs. langue familiale; langue publique vs. langue de l’intimite; langue ecrite vs. langue de l’inter- action orale spontanee.

[17] Er bezieht sich dabei auf folgende Studie: Brauer de Figueiredo, Maria de FAtima (1997): „Aspectos do bilinguismo dos emigrantes portugueses da 2a geragao em Hamburgo“. In: Ludtke, Helmut/ Schmidt-Radefeldt, Jurgen (Hrsg.): Linguistica contrastiva. Deutsch vs. Portugiesisch - Spanisch - Franzosisch. Tubingen: Narr; S. 318-406.

[18] Vgl. dazu auch Lewandowski (1994, Bd. 3: 1285): „Bis zum 10. Lebensjahr hat die Entwicklung der kommunikativen Kompetenz in der Erstsprache einen relativen Abschluss erreicht. Der Zweitspracherwerb kann sich dann auf eine Reihe von Mechanismen vor allem interaktionaler, kognitiver und universalgrammatischer Art stutzen [...] und braucht diese nicht neu auszubilden.“

[19] Zu Unterschieden zwischen dem kindlichen Zweitsprachenerwerb und der Aneignung bilin- gualer Kompetenzen im Erwachsenenalter vgl. Quetz 1989: 377-379.

[20] Vgl. dazu Gluck 1993: 663.

[21] Zu Selbstlernmaterialien vgl. Lahaie (2003).

[22] Gluck (1993) spricht in diesem Zusammenhang von Interimssprache; Housen (1996) ver- wendet die Begriffe learner language und interlanguage; bei Ludi/Py (2003) findet sich der Ter­minus interlangue.

[23] Vgl. dazu Barkowski (2003: 159): „Die Lernervarietaten sind nicht als Fehlersammlungen zu interpretieren, sondern als Dokumentationen von Spracherwerbsverlaufen und Annaherungen an die Zielsprache.“

[24] Vgl. dazu auch Duwell (2003: 349): „Indem der Lerner zu Beginn des Zweitsprachenerwerbs, vor allem aufgrund seines muttersprachlichen, sodann zunehmend aufgrund seines fremd- sprachlichen Wissens, standig Hypothesen zu den einzelnen Phanomenen der Fremdsprache bildet und pruft, erweisen sich Lernersprachen als dynamische Systeme, die sich aufgrund des fortschreitenden Lernprozesses schnell verandern konnen.“

[25] Vgl. Lewandowski 1994, Bd. 3: 1078-1079; Heller/Pfaff (1996: 594) unterscheiden zwi- schen Sprachwechsel innerhalb eines Satzes und satzweisem Sprachwechsel; Ludi (1996: 242) definiert das Phanomen wie folgt: Codeswitching meint die on line-Einbettung einer Sequenz aus einer Sprache Lb [...] in einen Text, der nach den Regeln der Sprache La produziert wird.“

[26] So auch in einem spateren Artikel desselben Autors: vgl. Ludi 2001: 425.

[27] In diesem Fall wird auch von Konvergenz gesprochen (vgl. Sinner 2004: 75).

[28] Vgl. auch: „A fundamental tenet of contrastive analysis was that differences signified difficulty and that simiarity signified ease. Difficulty was, thus, equated with errors“ (Gass 1996: 560).

[29] An dieser Stelle sei bemerkt, dass man im spateren Verlauf der Wissenschaftsentwicklung schlieftlich dazu uberging, bevorzugt den neutraleren Begriff ‘Abweichung von der Sprachnorm’ anstelle der wertenden Bezeichnung ‘Fehler’ zu verwenden.

[30] Zur Unterscheidung von Transfer und Ubergeneralisierung vgl. Tarone (1983: 8): „At the theoretical level, overgeneralization is differentiated from transfer from native language in that in overgeneralization, it is always a rule of the target language which is used in place of the correct target language rule. In transfer, the learner is using a native language form [...] in place of the correct target language rule.“.

[31] Vgl. dazu auch Lewandowski (1994, Bd. 2: 477/478): „Bei Sprachlernprozessen stellt das auf- gebaute phonetisch-phonologische, grammatikalisch-syntaktische und lexikalisch-semantische System eine Art Filter dar, durch den die zu erlernende Sprache wahrgenommen wird [...] Das bereits vorhandene Funktionssystem uberlagert das zu erlernende und erzwingt die Tendenz, Neues in gewohnter Weise zu behandeln.“ Einige Beispiele fur Interferenzen im Englischen gibt Bamgbose (1994: 91): phonological transfer ‘r’ instead of T in ‘love’ / ‘t’ for ‘th’ in ‘thief’ lexical interference ‘borrow’ for ‘lend’, as in ‘Borrow me your book’ ‘cow meat’ for ‘beef’ syntactic deviance ‘I’m owing him ten dollars’ instead of ‘I owe him ten dollars’

[32] Zum Zusammenhang zwischen der Ahnlichkeit von Sprachen und sich daraus ergebenden Interferenzen vgl. auch Sala (1997a: 38): „Se sustsine ca doua limbi Tnrudite genetic sau cu structuri foarte apropiate se influentseaza reciproc mai puternic decat doua limbi neTnrudite ge­netic sau tipologic.“

[33] Vgl. dazu auch Cropley (1984: 188): „Die Einwanderergruppe verstandigt sich aus Ge- wohnheit in der Familie und mit Freunden in ihrer Muttersprache. Angehorige der ersten im neu­en Land geborenen Generation verstehen diese Sprache zwar noch, in der Offentlichkeit und sogar im Gesprach mit Freunden jedoch gebrauchen sie haufig die Sprache der neuen Heimat und sprechen zu Hause in vielen Fallen beide Sprachen.“

[34] Vgl. dazu Riehl (2004: 169): „Die altere Generation ist haufig ausschlieftlich in das Netzwerk der eigenen Sprachgemeinschaft eingebunden. Hier kann es auch geschehen, dass Sprecher, nachdem die Kinder, die in der Regel die Trager des Sprachwechsels sind, das Haus verlassen haben, wieder zu ihrer Erstsprache zuruckkehren. D. h. also, dass Sprachwechsel von Individu- en nicht als etwas Endgultiges betrachtet werden darf, sondern wieder ruckgangig gemacht werden kann.“

[35] Hyltenstam/Stroud (1996: 567) weisen darauf hin, dass es sich dabei als notwendig erweist, zwischen language maintenance - als dem Erhalt einer Sprache innerhalb einer Gruppe trotz aufterer Zwange - und language retention zu unterscheiden. Letzterer Begriff umfasst dabei die individuelle Fahigkeit eines Menschen, seine Muttersprache nicht zu vergessen.

[36] Ein gutes Beispiel dafur ist der Spracherhalt des lateinamerikanischen Spanisch in den USA. Bei Ramirez (1992: 182 ff.) heiftt es dazu: „Muchos de los norteamericanos ven el espanol como un idioma de inmigrantes, el cual desaparecera de la sociedad siguiendo los pasos de otros grupos inmigrantes [...] que despues de tres generaciones han pasado a ser monolingues de ingles [...]. [Admito que] el espanol si puede morir a nivel de individuo o de familia, pero no a nivel de sociedad o de region, porque como idioma se ve continuamente renovado con la llega- da de nuevas olas de inmigracion hispana.“

[37] Hyltenstam/Stoud (1996: 568) vertreten die Auffassung, dass sich zumeist nicht voraussagen lasst, ob es in einem bestimmten Fall nun zum Spracherhalt oder zu einem Sprachwechsel kommt.

[38] Scholl (2003: 170) weist darauf hin, dass nach 15 bis 20 Minuten auf Seiten des Befragten erste Ermudungserscheinungen auftreten konnen.

[39] Dumbrava (2004) ging bei seiner Untersuchung ahnlich vor. Er berichtet: „Der Leitfaden hatte die Funktion einer Gedachtnisstutze: Die Reihenfolge der angesprochenen Themen ergab sich nicht aus dem Leitfaden, sondern aus der Gesprachssituation. Der Leitfaden erwies sich zudem als grofte Hilfe, sobald das Gesprach in eine Sackgasse zu geraten drohte“ (Dumbrava 2004: 20/21).

[40] Zunachst war vorgesehen, jungere Erwachsene und Informanten meiner Altersgruppe mit ‘du’ anzureden und altere Erwachsene mit ‘Sie’. Allerdings erubrigte sich dies, da die Informanten von vornherein damit einverstanden waren, dass ich sie duzte. Dieser Umstand trug in nicht unerheblichem Mafte auch zu einer vertrauteren Gesprachsatmosphare bei.

[41] Scholl (2003: 228) gibt zu bedenken, dass Tauschungen uber das eigentliche Untersu- chungsziel oft methodisch notwendig sind. Eine Aufklarung im Anschluss an die Interviews sei zwar ethisch durchaus wunschenswert, aber nur dann, wenn die Informanten dadurch nicht in ihrem Vertrauen verletzt werden.

[42] Porst (1996: 739/740) unterscheidet daher auch zwischen offenen und geschlossenen Fra­gen. Bei letzteren werden bestimmte Antwortkategorien vorgegeben, wohingegen erstere es dem Befragten uberlassen, eine Antwort mit seinen eigenen Worten frei zu formulieren. Wenn sich das tatsachliche Universum moglicher Antworten nicht definitiv bestimmen lasst, konnen an Stelle von geschlossenen auch sogenannte halboffene Fragen mit einer Kategorie ‘Sonstiges’ gestellt werden. Ahnliches schreibt Scholl (2003: 156) zu den unterschiedlichen Arten von Fragen.

[43] Zu den nun folgenden Ausfuhrungen vgl. Anhang II.

Ende der Leseprobe aus 225 Seiten

Details

Titel
Das Spanische der Rumänischen Immigranten in Alicante
Hochschule
Humboldt-Universität zu Berlin  (Institut für Romanistik)
Note
1.0
Autor
Jahr
2006
Seiten
225
Katalognummer
V196043
ISBN (eBook)
9783656243359
ISBN (Buch)
9783656245445
Dateigröße
1405 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Schlagworte
Spanisch, Sprachwissenschaft, Rumänisch, Einwanderer in Spanien, Migration, Sprachkontakt
Arbeit zitieren
Dr. Patrick Roesler (Autor:in), 2006, Das Spanische der Rumänischen Immigranten in Alicante, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/196043

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