Die Wissensbilanz in der Pflegeausbildung


Wissenschaftlicher Aufsatz, 2012

118 Seiten


Leseprobe


Inhaltverzeichnis

Vorwort

Einleitung
Ziel der Arbeit
Grundlagen und Aufbau der Arbeit

1 Intellektuelles Kapital und Wissensmanagement
1.1 Intellektuelles Kapital
1.1.1 Definition und Komponenten des intellektuellen Kapitals
1.1.2 Der Mitarbeiter und sein Wissen als Humankapital
1.1.3 Historische Entwicklung des Humankapital-Begriffes
1.2 Wissensmanagement
1.2.1 Bedeutung des Wissensmanagements
1.2.2 Definition und Arten des Wissens

2 Definition und Aufbau einer Wissensbilanz
2.1 Definition und Nutzen einer Wissensbilanz
2.1.1 Definition Wissensbilanz
2.1.2 Nutzen und Funktion einer Wissensbilanz
2.1.3 Abgrenzung zur Finanzbilanz
2.2 Historische Entwicklung der Wissensbilanz
2.2.1 Internationale Entwicklung
2.2.2 Entwicklung im deutschsprachigen Raum
2.3 Aufbau einer Wissensbilanz
2.3.1 Allgemeiner Modellaufbau einer Wissensbilanz
2.3.2 Vision, Ziele, Strategie und Prozesse
2.3.3 Prozesse
2.3.4 Humankapital
2.3.5 Strukturkapital
2.3.6 Beziehungskapital
2.3.7 Kennzahlen und verbale Indikatoren
2.4 Form und Inhalt einer Wissensbilanz
2.4.1 Standards und Richtlinien
2.4.2 Form und Inhalt einer Wissensbilanz

3 Voraussetzungen für die Wissensbilanzierung im Schulbereich
3.1 Schule als Organisation
3.1.1 Der allgemeine Organisationsbegriff
3.1.2 Die Schule als Organisation
3.2 Schule und Management
3.2.1 Definition von Management
3.2.2 Allgemeine Aufgaben des Managements
3.2.3 Das Verhältnis zwischen Management und Pflege
3.2.4 Der Schuldirektor als Manager
3.2.5 Aktueller Status des Schuldirektors
3.2.6 Vergleich Schulleiter GKPS mit anderen Schulformen
3.3 Schulentwicklung und Steuerung als Managementaufgabe
3.3.1 Schulentwicklung allgemein
3.3.2 Leitbild-Schulprofil-Schulprogramm
3.4 Gesundheits- und Krankenpflegeschulen aus ökonomischer Sicht
3.4.1 Die Produktivität von Gesundheits-und Krankenpflegeschulen
3.4.2 Interne und externe Anspruchsgruppen einer GKPS

4 Entwicklung einer Wissensbilanz an einer Gesundheits- und Krankenpflegeschule
4.1 Allgemeine Grundlagen und Methode
4.2 Beschreibung der Ausgangssituation
4.2.1 Geschäftsumfeld bzw. Schulumfeld
4.2.2 Wissensziele
4.3 Bearbeitung und Darstellung des intellektuellen Kapitals
4.3.1 Humankapital
4.3.2 Strukturkapital
4.3.3 Beziehungskapital

5 Zusammenfassung und Ausblick

Vorwort

Dieses Buch ist eine stark erweiterte Fassung einer von mir verfassten Novizen-Thesis zum Thema Intellektuelles Kapital und Wissensbilanzierung in der Pflegeausbildung. Die primäre Fragestellung der Arbeit lautet: „ Wie kann das intellektuelle Kapital einer Gesundheits- und Krankenpflegeschule definiert und als Wissensbilanz dargestellt werden?“ und ist ein Versuch, die Begrifflichkeit und Methodik der Wissensbilanzierung in den Pflegebereich, beginnend bei der Ausbildung, zu übertragen.

Dieses Thema erscheint mir in der heutigen Zeit besonders wichtig, da sich der Gesundheits- und Sozialbereich vermehrt auch Gedanken über seine wirtschaftliche Leistungsfähigkeit machen muss. Die Meinung, Sozialbereiche sind Organisationen zur Selbstverwirklichung oder sie benötigen aus altruistischen Gründen kein Management, ist in der heutigen Zeit der angespannten Haushaltslagen nicht mehr länger aufrechtzuerhalten. Die Arbeit bietet daher mit dem Modell der Wissensbilanz eine Möglichkeit, ein Berichts- und Steuerungsinstrument für das Management zu entwickeln.

Ich denke, die Methode der Wissensbilanzierung ist nicht nur für die Ausbildung von Interesse, sondern für jede Institution und Organisation im Gesundheits- und Pflegebereich.

Christian Balon

Akademischer Lehrer für Gesundheits- und Krankenpflege

Einleitung

Ziel der Arbeit

Die Fragestellung „ Wie kann das intellektuelle Kapital einer Gesundheits- und Krankenpflegeschule definiert und als Wissensbilanz dargestellt werden“, zeigt bereits den managementorientierten Schwerpunkt der Arbeit.

Im Mittelpunkt steht das Management einer Schule für Gesundheits- und Krankenpflege[1] aus einer kennzahlenorientierten Perspektive mit den dazugehörigen Steuerungsinstrument in Form einer Wissensbilanz. Es geht also nicht um eine unterrichtswisssenschaftliche oder fachdidaktische Fragestellung, sondern um die Schule als Organisation, mit der Frage, welches Kapital, Vermögen oder Wert sie produziert und wie dieses dargestellt werden kann.

Primär angeregt durch verschiedene Arbeiten zur Wissensbilanzierung an Universitäten und in verschiedenen Unternehmensbereichen, aber auch durch Einflüsse aus dem Bildungsmanagement erscheint eine ökonomische Betrachtung einer Schule für Gesundheits- und Krankenpflege aus folgenden Gründen sinnvoll und notwendig:

- Aufgrund der zunehmenden Kostendiskussionen im Gesundheitswesen stellt sich für eine GKPS nicht nur die Frage, wie viele Absolventen jährlich auszubilden sind, sondern auch, welchen Wert die Schule als Institution für den Rechtsträger darstellt.
- Die alleinige Betrachtung von Absolventenzahlen, Drop-out-Raten und Lehrerdienstposten gibt keine vollständige Information über die von der Schule erbrachten Gesamtleistungen. Durch Einsparungs- und Rationalisierungsmaßnahmen sind Schulen zunehmend dem Wettbewerb ausgesetzt.[2]
- In der Öffentlichkeit und besonders bei Kollegen des öffentlichen Schulwesens ist die GKPS als Schule und die Ausbildung und Arbeit der Lehrer für Gesundheits- und Krankenpflege durch eine fehlende Berichtskultur weitgehend unbekannt. In den meisten Fällen wird die GKPS nicht als „richtige Schule“ und der Lehrer für Gesundheits- und Krankenpflege nicht als „richtiger Lehrer“ angesehen.
- Seit Ende der 90iger Jahre wird im öffentlichen Schulwesen vermehrt auf Qualitätsmanagement und Schulentwicklung Wert gelegt. Schulen werden nicht mehr alleinig als staatliche Bildungseinrichtungen angesehen, sondern sie bilden in Summe das größte Non-Profit-Unternehmen Österreichs.[3] Begriffe wie Schulprofil, Schulleitbild und Schulprogramm sind nur einige Umsetzungsvarianten dieser Entwicklung, die auch für eine GKPS von Interesse sein können.
- Zukünftig wird nicht nur das Verwalten, sondern das aktive Gestalten im Management einer GKPS immer wichtiger werden. Der Schuldirektor bekommt vermehrt die Rolle des Managers zugewiesen und muss wichtige Managementwerkzeuge wissen und einzusetzen können. Neben der pädagogischen Aufsicht muss sich die Schulleitung vermehrt mit dem Begriff des Bildungsmanagement auseinandersetzen, d.h. Lernprozesse sind nicht nur zur gestalten sondern auch betriebswirtschaftlich zu führen.[4] Bildungsarbeit steht angesichts der Dynamik und der Herausforderungen unserer Zeit in einem großen Umbruch. Für das Gestalten und Steuern von Lernprozessen werden verstärkt Managementfähigkeiten notwendig.[5]

Diese Beispiele zeigen teilweise bereits bestehende oder zukünftige Veränderungen und Herausforderungen, mit denen sich eine GKPS auf dem Gesundheits- und dem Bildungsmarkt auseinandersetzen muss. Der Wandel des Umfelds muss als Normalfall im Schulmanagement angesehen werden, und nicht mehr als Ausnahmesituation.[6]

Aufgrund der Komplexität stellt sich die Frage, welche Voraussetzungen und welche Instrumente für die Bearbeitung der oben genannten Aspekte verwendet werden können? Eine GKPS besitzt kein Kapital in Form von Grund, Rohstoffen oder Maschinen, sondern das Kapital findet sich vorwiegend in den Köpfen der Mitarbeiter und wird durch die Strukturen innerhalb der Organisation und durch die Beziehungen der GKPS zu diversen Einrichtungen ergänzt. Diese Form des Kapitals wird in der Literatur intellektuelles Kapital genannt. Eine mögliche Darstellungsform des intellektuellen Kapitals ist die Wissensbilanz, die folgende Aufgaben erfüllen kann:

- dient zur Erstellung eines Leistungsberichtes
- gibt Ziele vor, misst deren Erreichung und dient der Steuerung
- gibt Auskunft über die Qualifizierung der Mitarbeiter
- Kommunikation an die internen und externen Anspruchsgruppen

"Die Wissensbilanz könnte also zu allererst ein vernünftiges Instrument sein, die eigene Leistungsstärke zu analysieren und - auf einer solchen Bilanzierung aufbauend-auszubauen [...] Die Wissensbilanz wäre ein Instrument, das der Selbstentwicklung von Instituten nützt."[7]

Für die Erstellung einer Wissensbilanz müssen bestimmte Voraussetzungen erfüllt sein. Die in der Wissensbilanz betrachtete Institution muss organisiert sein, d.h. als Organisation betrachtet werden können, eine Managementstruktur muss klar erkennbar sein und die Institution sollte sich mit gängigen Wissensmanagementmethoden sowie mit Leitbild- und Strategieprozessen auseinandergesetzt haben. Ohne diese Voraussetzungen kann die Wissensbilanz ihre Steuerungsfunktion nicht erfüllen und wird zu einem eher aufwendigen Bericht degradiert.[8]

Grundlagen und Aufbau der Arbeit

Im ersten Kapitel wird der Begriff des Humankapitals bzw. des intellektuellen Kapitals näher beschrieben. In der Wirtschaft hat sich in den letzten Jahren der Fokus vom klassischen Kapitalbegriff zunehmend auf den Mitarbeiter und sein Wissenskapital hin verlagert. Neben den klassischen Werten wie Boden, Kapital und Arbeit wird das Wissen als wichtigste Ressource angesehen, besonders in Bereichen, die sich von der reinen Muskelarbeit hin zur Wissensarbeit entwickelt haben.[9] Die Definition von Wissen und die gängigsten Methoden des Wissensmanagement liefern hier die theoretischen Grundlagen für das nächste Kapitel.

Im zweiten Kapitel stehen der theoretische Aufbau sowie die praktische Anwendung von Wissensbilanzen im Mittelpunkt. Eine Definition inklusive historischem Rückblick soll den Begriff der Wissensbilanz fassbarer machen. Da in Bilanzen Zahlen verwendet werden, ist das Eingehen auf Kennzahlen und Kennzahlensystemen zum besseren Verständnis notwendig. Allgemeine praktische Hinweise zur Erstellung einer Wissensbilanz schließen das Kapitel ab.

Im dritten Kapitel werden die nötigen Voraussetzungen für die Erstellung einer Wissensbilanz im Schulbereich beschrieben. Ausgehend vom Bildungsmanagement werden Begriffe wie Organisation, Management und Schulentwicklung als notwendige Voraussetzungen für die Entwicklung einer Wissensbilanz in den vorher beschriebenen Kontext eingefügt.

Im vierten Kapitel wird – aufbauend auf die vorangegangenen Inhalte – versucht, eine fiktive Wissensbilanz zur Erfassung des intellektuellen Kapitals einer Gesundheits- und Krankenpflegeschule zu erstellen. Die in dieser Arbeit entwickelte Form der Wissensbilanz soll als Berichts- und Steuerungsinstrument verschiedene Verantwortungsbereiche des Schulmanagements beinhalten und abdecken.

Eine kritische Betrachtung auf Brauchbarkeit und Entwicklungspotentiale der Wissensbilanz für die Gesundheits- und Krankenpflegeschule beenden die Arbeit.

1 Intellektuelles Kapital und Wissensmanagement

1.1 Intellektuelles Kapital

1.1.1 Definition und Komponenten des intellektuellen Kapitals

Im Gegensatz zur herkömmlichen Finanzbilanz versucht die Wissensbilanz das intellektuelle Kapital, d.h. die nicht-monetären Werte, von einem Unternehmen darzustellen.

Bei der Definition des Begriffes „intellektuelles Kapital“ gibt es in der internationalen Literatur verschiedene Ansätze. Im noch jungen Themenfeld intellektuelles Kapital werden international unterschiedliche Begriffe wie: Intellectual capital, intellecutal resources, intangible assets, knowledge assets, human resources, intangible resources verwendet.[10] Diese unterschiedlichen Begrifflichkeiten sind zum Teil dafür verantwortlich, dass es noch keine einheitliche Definition des Begriffes gibt. Zusätzlich gibt es in der praktischen Verwendung unterschiedliche Kontexte.

Das Wissensmanagement verwendet eher die Begriffe „intellectual“, „knowledge“ und „human“, das es sich vorwiegend mit dem Mitarbeiter und seinem Wissen als Vermögenswert beschäftigt, die Rechnungslegung und Finanzabteilungen sprechen eher von „intangible“ (engl. nicht greifbar), da für sie auch Strukturen und Prozesse den Wert eines Unternehmens steigern können. Beispielsweise eröffnet der Ökonom Baruch Lev seine Ausführungen zum intellektuellen Kapital mit der Feststellung: "Throughout this Volume I use the terms intangibles, knowledge assets, and intellectuall capital interchangeably. All three are widely used-intangibles in the accounting literature, knowledge assets by economist, and intellectual capital in the management and legal literature [...].[11]

Stewart - einer der ersten Pioniere auf diesem Gebiet - definierte 1991 intellektuelles Kapital als die Summe all dessen, was jeder Mitarbeiter eines Unternehmens weiß und was in diesem Zusammenhang dem Unternehmen einen wettbewerbstechnischen Vorteil am Markt ermöglicht. Neben dem Wissen und den Fähigkeiten der Mitarbeiter sind aber auch die Unternehmenskultur, die Unternehmensstruktur sowie die Beziehungen zu den Stakeholdern immaterielle Vermögenswerte.[12]

Eine weitere Definition lautet: „Intellektuelles Kapital sind Vermögensbestände, die schwer zu messen und in Zahlen auszudrücken sind. Zum Beispiel das Know-how der Mitarbeiter, Prozesse, die dabei helfen, Werte zu schaffen, Beziehungen zu Kunden und Lieferanten."[13]

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 1: Komponenten des intellektuellen Kapitals

Trotz einiger Formulierungsdifferenzen lassen sich aus den Definitionen drei Grundkategorien herauslesen: die menschliche Komponente, die Strukturen, die Prozesse sowie deren Beziehungen untereinander. Es hat sich daher eingebürgert, wie in Abbildung 1 dargestellt, intellektuelles Kapital in die drei Gruppen: Humankapital, Strukturkapital und Beziehungskapital zu unterteilen. Diese drei Kategorien sind nicht isoliert zu betrachten, sondern aufgrund von Quantifizierungs- und Messproblemen immer im Kontext mit der Unternehmens- und Managementphilosophie zu sehen.[14]

International wird das intellektuelle Kapital eines Unternehmens im „Intellectual Capital Report“ dargestellt, im deutschsprachigen Raum hat sich dafür in den letzten zehn Jahren der Begriff Wissensbilanz eingebürgert. Eine Wissensbilanz, wie wir sie heute kennen, gibt also Auskunft über das intellektuelle Kapital eines Unternehmens, wobei dieses in Human-, Struktur- und Beziehungskapital unterteilt wird. Trotz der Gliederung in die drei vorher genannten Bereich, steht bei der Wissensbilanzierung primär der Mitarbeiter im Mittelpunkt.

1.1.2 Der Mitarbeiter und sein Wissen als Humankapital

Den Mitarbeiter als humanes Kapital, d.h. als Wert für ein Unternehmen anzusehen, hat eine lange Tradition, die aber auch polarisiert. 2004 hat die Gesellschaft für deutsche Sprache Humankapital zum Unwort des Jahres gewählt. Menschen sind oder sollen nur mehr ökonomisch, erfassbare Größen sein, so die Begründung.[15] Dass der Begriff Humankapital Menschen nicht abwertet, sondern sich bemüht, das Wissen und die Fähigkeiten von Menschen als Vermögensfaktor darzustellen, zeigen verschiedene Definitionen:

"Unter Humankapital kann man die fachlichen und sozialen Potenziale der Mitarbeiter und Führungskräfte eines Unternehmens verstehen. Diese lassen sich durch Bildung und Lernen steigern."[16]

"Humankapital ist die Summe allen Wissens aller Mitarbeiter, die einem Unternehmen einen Wettbewerbsvorteil verschafft. Im Gegensatz zu herkömmlichen Vermögenswerten wie Land, Fabriken, Anlagen oder finanziellem Kapital.."[17]

Beide Definitionen zeigen einen deutlichen Schwerpunkt. Der Mitarbeiter wird durch diese Sichtweise nicht nur als Produktions- und Kostenfaktor gesehen, sondern als Wertzuwachs für das Unternehmen. Der Mitarbeiter wird losgelöst von einer eingeschränkten, kostenorientierten Betrachtung der Personalwirtschaft, das Management von Humankapital wird zu einem integralen Bestandteil der Unternehmensführung.[18]

Warum und wie sich der Begriff des Humankapitals entwickelt hat und von welchen verschiedenen Menschenbildern das Management beeinflusst war und ist, soll ein kurzer historischer Abriss näherbringen.

1.1.3 Historische Entwicklung des Humankapital-Begriffes

Die wissenschaftliche Beschäftigung mit Management und der Organisationslehre begann Anfang des 20. Jahrhunderts. Beispielsweise seien die Arbeiten von Max Weber und Frederic Winslow Taylor angeführt. Während sich Max Weber in seinem Bürokratieansatz überwiegend mit den bürokratischen Herrschaftsstrukturen in Organisationen beschäftigt, bezieht sich Taylor und sein arbeitswissenschaftlicher Ansatz vermehrt auf Führungsfunktionen und die effiziente Organisation von Arbeitsprozessen, was als Grundlage der modernen Managementlehre gilt.[19]

Der deutsche Soziologe Max Weber stellt die Bürokratie als Grundform einer Organisation in den Vordergrund, deren wichtigsten Ziele Ordnung, System, Rationalität, Uniformität und Einheitlichkeit sind. Arbeitsabläufe sind in Form von Regeln fix definiert. Kontrolle über die Arbeitsergebnisse des Untergeordneten übernimmt der Übergeordnete streng hierarchisch. Der einzelne Mitarbeiter hat kaum Gestaltungsmöglichkeiten, er muss sich auf die Anwendung schriftlicher Regeln beschränken.[20] Wissen und Kreativität sind im bürokratischen System nicht gefragt, ebenso sollen zwischenmenschliche Beziehungen unpersönlich und nicht gefühlsbetont ablaufen, erlaubt sind sie nur dann, wenn sie den Ablauf in der Organisation nicht stören. Das bürokratische Modell nach Weber ist ein streng formalisiertes, geschlossenes System, auf Veränderungen der Gesellschaft bzw. der Umwelt kann es nur wenig bis gar nicht flexibel reagieren.

Bei Taylor steht weniger die Administration, sondern mehr die Optimierung von Produktions- bzw. Arbeitsprozessen im Vordergrund, er gilt als Begründer der wissenschaftlichen Betriebsführung (Scientific Management). . Für Taylor galt das Prinzip der maximalen Produktion, ohne den Arbeiter zu schädigen.

Da Taylor Ingenieur und Mathematiker war, zerlegte er komplexe Produktionsprozesse in einzelne Arbeitsschritte und führte zusätzlich Zeitmessungen durch, d.h. die effektivste und zeitsparendste Durchführung stand für ihn im Vordergrund. Das Resultat ist ein optimierter Arbeitsverrichtungsprozess, der gut dokumentiert ausgewählten Personen gelehrt werden kann.[21]

Bei Taylor werden geistige und körperliche Arbeit getrennt. Dem Arbeiter obliegt einzig die körperliche Ausführung, für deren Eignung er auch ausgewählt wird, dem Management gebührt die Planung, Kontrolle und Überwachung, also die geistige Dimension des Arbeitsprozesses. Taylors Lehre, auch als Taylorismus bezeichnet, erlebte ihren Höhepunkt durch die Erfindung des Fließbands durch den Industriellen Henry Ford. Hier wurden Arbeitsprozesse zu stereotypen Bewegungsmuster reduziert. Taylor betrachtete Urteile und Erfahrungen der Arbeiter nicht als Quelle neuen Wissens.[22]

Angeregt durch die Hawthorne-Studien (Einfluss von Umweltbedingungen auf die Arbeitsleistung, Verhalten und Gesundheit der Mitarbeiter) wurde um 1930 die Human-Relation-Bewegung aktiv. Bei ihr liegt der Fokus auf den zwischenmenschlichen Beziehungen am Arbeitsplatz und bei der Arbeitszufriedenheit, weniger auf der ökonomischen Funktion des Unternehmens. Die Aufgaben des Managements lagen nicht nur bei der Planung und Kontrolle, sondern auch bei der Ermöglichung guter sozialer Beziehungen und Arbeitsbedingungen.[23] Wissen und Fähigkeiten des Mitarbeiters standen bei der Human-Relation-Bewegung ebenso nicht im Vordergrund. Ihr großer Verdienst ist es aber, dass Gefühle und Stimmungen, die auch als immaterielle Faktoren angesehen werden können, als Gegenstände ökonomischer Forschung entdeckt wurden.

Ähnlich der Human-Relation- Bewegung setzte sich ab 1950 das Menschenbild des „self-actualizing man“ durch. Im Vordergrund standen die Bedürfnisse des Mitarbeiters, besonders das Bedürfnis nach Selbstverwirklichung. Hier wurde eine Gegenbewegung zum immer noch vorhanden Taylorismus aufgebaut, der durch sein System die Arbeit in eine sinnentleerte Tätigkeit verwandelt hatte. Verstärkung bekam das Menschenbild des „self-actualizing man“ durch das fast zur gleichen Zeit entwickelte Bedürfnismodell nach Abraham Maslow.[24]

Erstmals hervorgebracht wurde der Begriff intellektuelles Vermögen durch den Volkswirt Kenneth Galbraith im Jahr 1969, wobei man die Beschäftigung mit dem intellektuellen Vermögen ab 1960 bis heute in zwei Phasen einteilen kann.[25] Die erste Phase von 1960 bis ca. 1990 stellte das Personalcontrolling in den Mittelpunkt des Interesses. Durch das steigende Bewusstsein über den Wert der Mitarbeiter wurde der Bedarf nach aussagekräftigen, detaillierten Informationen zum Personaleinsatz, Personalkosten und Qualifizierungsmaßnahmen immer größer. Gearbeitet wurde hier aber mit Kennzahlen, die in monetäre Werte umgerechnet werden konnten, wie z.B. die Produktivität anhand einer Stückzahl, Weiterbildungskosten, Kosten durch Abwesenheit und Krankheit und anderen „harten“ Faktoren. Kontrolliert wurden die Investitionen in den Mitarbeiter, die Potentiale hinsichtlich seiner zukünftigen Entwicklung und Wertbildung für das Unternehmen, sowie das mögliche Potential des Mitarbeiterwissens wurden kaum beachtet.[26]

Ab 1990 gab es die ersten Versuche, das Wissen der einzelnen Mitarbeiter als immateriellen Vermögens- und Produktionsfaktor transparent und darstellbar zu machen." Zu den klassischen Produktionsfaktoren Boden, Kapital und Arbeit ist das Wissen hinzugekommen."[27] Vorreiter auf diesem Gebiet war der schwedische Finanzdienstleister Skandia AFS, der bereits 1994 den ersten Intellecutal Capital Report, als Beigabe zur Finanzbilanz, veröffentlicht hat.[28]

Fast zur gleichen Zeit wurde von Kaplan und North die Methode der Balanced Scorecard entwickelt. Dieses Berichts- und Steuerungsinstrument betrachtet ein Unternehmen aus vier verschiedenen Perspektiven, darunter aus der Kundenperspektive sowie einer Lern- und Entwicklungsperspektive. Durch die Kombination der verschiedenen Perspektiven soll eine ganzheitliche Unternehmenssteuerung unter Berücksichtigung der nicht-monetären Faktoren ermöglicht werden.[29]

Ende der neunziger Jahre wurde die erste Wissensbilanz, die deutsche Bezeichnung für den Intellectual capital Report, von der österreichischen Forschungseinrichtung ARC Seibersdorf vorgestellt. Eine nähere Ausführung zur historischen Entwicklung der Wissensbilanz erfolgt aus Gründen des Kontexts im Kapitel 2.

Die Gründe für die intensive Beschäftigung mit dem intellektuellen Kapitals in Form des Humankapitals waren vielseitig. Primär reagiert man auf die grundlegenden Veränderungen in der Arbeitswelt. Durch den Wandel von der Industriegesellschaft hin zu einer wissensintensiven Dienstleistungs-und Informationsgesellschaft und durch die Entwicklung „intelligenter Produkte“ wurde die Form des Wissensarbeiters geschaffen. In einer Informationsgesellschaft gehört das entscheidende Produktionsmittel Wissen nicht der Firma, sondern den Mitarbeitern.[30] Da diese in der herkömmlichen Bilanz aber nicht als Wert dargestellt werden, geht diese Ressource nicht in das Berichtswesen ein, dadurch wurde die Unzufriedenheit mit der bisherigen Form der Bilanzierung immer größer.

Die Bestimmung des Humankapitals ist ein Prozess, der eng mit der Managementphilosophie und dem Unternehmensleitbild zusammengeführt werden muss. Auch wenn versucht wird, das Humankapital in Zahlen zu fassen darf nicht vergessen werden, dass es nicht darum geht, einen absoluten Wert für den Menschen zu finden, sondern einen relativen Wert für das Humankapital im Kontext des Arbeitsumfeldes.[31]

Humankapital, als Teil des intellektuellen Kapitals hat grundsätzlich mit dem Wissen der Mitarbeiter zu tun. Da es viele Arten von Wissen und Wissensträgern gibt, ist es notwendig, bevor man sich mit der Wissensbilanzierung beschäftigt, sich dem Wissensmanagement und seinen Zielen und Methoden zuzuwenden.[32]

1.2 Wissensmanagement

1.2.1 Bedeutung des Wissensmanagements

Noch bevor der Begriff des intellektuellen Kapitals in seiner heutigen Form thematisiert wurde, erkannte man die Bedeutung des Wissens als immateriellen Produktions- und Erfolgsfaktors für ein Unternehmen. Anfang der neunziger Jahre wies Peter Drucker auf die Wende zur Wissensgesellschaft hin, nicht nur Kapital, Bodenschätze oder Arbeitskraft alleinig seien die grundlegenden Ressourcen, sondern das Wissen in den Köpfen der Mitarbeiter sollte genauso berücksichtigt und gemanagt werden.[33] Vorläufer der Wissensgesellschaft war die Informationsgesellschaft. Sie erlebte ihren Aufschwung durch die technischen Weiterentwicklungen in der Informations- und Kommunikationstechnologie in den achtziger Jahren.

Besonders die Entwicklung und der sich rasch verbreitende Einsatz der Computertechnologie führten zu einem fast unbegrenzten Bearbeiten und Austausch von Informationen. Der Zunahme an Information geht gleichzeitig aber auch eine Fragmentierung des Wissens einher." Die Vermehrung von Informationen und Wissen ist keine Lösung, sondern ein neues Problem."[34] So ergaben sich und gibt es im Bereich des organisierten Umgangs mit Wissen zwei Perspektiven, die ingenieurwissenschaftliche Sicht mit den Schwerpunkten Netzwerktechnik, Daten- und Informationsspeicherung, Expertensysteme bis hin zur künstlichen Intelligenz, sowie die betriebswirtschaftliche Perspektive, in der der effektive Umgang mit Wissen in die Wertschöpfungskette mit einbezogen wird.[35] Wenn also oft von der Informationsgesellschaft gesprochen wird, stehen die technischen Grundlagen, d.h. die Infrastruktur, im Vordergrund, man nennt dies auch den objektorientierten Wissensansatz. Bei der Wissensgesellschaft rückt der Mensch als Wissensarbeiter in den Mittelpunkt des Interesses, hier wird ein prozessorientierter Wissensansatz verfolgt.[36]

Die Entstehung des Wissensarbeiters ist eng an die Entwicklung intelligenter Produkte geknüpft und an deren komplexen Produktions- und Schulungsprozessen. So verkauft eine Softwarefirma heute nicht mehr die Software alleine, sondern bietet den Kunden ein Gesamtpaket angefangen bei der Bedarfserhebung über die technische Implementierung bis hin zur Organisation und Durchführung von Einschulungsmaßnahmen an. Durch die wissensbasierten Zusatzleistungen entsteht für das Unternehmen ein Vorteil, der im Wettbewerb genutzt werden kann.

Der Techniker und der klassische Verkäufer werden dadurch zu Wissensarbeitern, deren Expertise genauso wertvoll ist als das materielle Produkt.

Wissensmanagement versucht daher, mit verschiedenen Methoden Wissen zu generieren, zu verteilen, zu bewahren und natürlich zu nutzen. "Wissen managen bedeutet nicht nur das Speichern von Daten und Dokumenten oder mit dem Denken aufzuhören. Wissensmanagement ist das geschickte Organisieren und der bewusste Umgang mit der Ressource Wissen zur Realisierung von Wettbewerbsvorteilen"[37]

Zusätzlich hat Wissensmanagement die Aufgabe, die Mitarbeiter für die eigene Unternehmenskultur und ihren Einfluss auf den Umgang mit Wissen zu sensibilisieren. Das Managen von Wissen kann nicht als einmaliges Projekt angesehen werden, sondern es ist ein kontinuierlicher Prozess, der mit der Unternehmenskultur und dem Leitbild der Organisation in ständiger Wechselwirkung steht. Viele Projekte im Wissensmanagement scheitern, weil sie als punktuelle Ereignisse geplant sind und nicht als ständige Managementaufgabe angesehen werden.[38]

Trotz aller Vorteile durch ein professionelles Wissensmanagement bleiben einige Probleme bestehen. Wo liegt der Unterschied zwischen Information und Wissen? Wie kann man das Wissen des einzelnen Mitarbeiters für alle zugänglich machen? Wissen wird auch noch häufig als Machtinstrument verwendet und nicht als Basisgut, das jedem zur Nutzung zur Verfügung stehen sollte.[39] Gibt es nur ein das Wissen im Kopf des Mitarbeiters oder gibt es auch ein Wissen der Organisation und als bedeutendster Punkt: Wie kann Wissen gemessen und bilanziert werden?

Die Wissensbilanzierung als Weiterentwicklung bzw. als Ergänzung zum bisherigen Wissensmanagement beschäftigt sich besonders mit der letzten Frage, wie Wissen bewertet und gestaltet werden kann. "Die Wissensbilanz gibt die Richtung und Strategie für das Wissensmanagement vor [...]"[40]

1.2.2 Definition und Arten des Wissens

Der Wissensbegriff als Leitbild für die Wissensgesellschaft und des dadurch notwendig gewordenen Wissensmanagements, besitzt in der deutschen Sprache unterschiedliche Konnotationen.[41] Je nachdem in welcher Wissenschaft der Wissensbegriff verwendet wird, weist er verschiedene Bedeutungen auf. Bereits in der griechischen Philosophie, beginnend bei Platon und Aristoteles, wurde mit der Entwicklung einer Erkenntnistheorie die Frage nach dem Wesen und der Art von Wissen notwendig. War bei Platon im Sinne seiner Ideenlehre Wissen nicht personengebunden sondern in Form der Ideen universal existent, verfolgte Aristoteles den Ansatz, Wissen sie abhängig vom durch seine Sinneswahrnehmungen erkennenden Subjekt. Die beiden Ansätze entwickelten sich bis in die Neuzeit zur rationalistischen und empiristischen Perspektive weiter.

Mitte des 20. Jahrhunderts wurde die empiristische Sichtweise durch den Konstruktivismus ergänzt. Dieser geht davon aus, dass aus Sinneseindrücken durch die Einbettung in einen vorhandenen Kontext im Individuum Wissen erzeugt wird. Das Wissen einer Person ist daher für eine andere aus diesem Grund niemals das gleiche Wissen, sondern bestenfalls Information.[42] Gerade der individuelle Kontext stellt eines der größten Probleme im Wissensmanagement und bei der Wissensbilanzierung dar.

Die Bindung an einen erkennenden Wissensträger und seine individuelle Konstruktion von Wirklichkeit zeigt bereits der etymologische Ursprung des Wortes Wissen.[43] Das Wort Wissen hat seinen Ursprung im indogermanischen Wort „wizzen“ und bedeutet so viel wie erblicken, sehen oder gesehen haben.[44] Ebenso wird in der Psychologie und Pädagogik Wissen immer in Zusammenhang mit Lernprozessen betrachtet, wobei das Wissensmanagement das individuelle Lernen um den Begriff der lernenden Organisation erweitert hat.

Um trotzdem den Begriff des Wissens im Wissensmanagement und in der Wissensbilanzierung bearbeitbar zu machen, konzentriert man sich auf folgende Dimensionen des Wissens:

- Die Differenzierung: Zeichen-Daten-Information-Wissen
- Die Unterscheidung implizites und explizites Wissen
- personales Wissen und organisationales Wissen

Differenzierung: Zeichen-Daten-Informationen-Wissen

Im herkömmlichen Wissensmanagement gibt es nicht „das Wissen“. "Wissen zeichnet sich dadurch aus, dass es niemals eine absolute Größe ist, sondern stets ein Produkt von persönlichen Vernetzungen ist. Vernetzungen sind Verknüpfungen, Zusammenhänge, Verbindungen und Beziehungen, die Wissen entstehen und wirksam werden lassen."[45] Deutlich wird die Vernetzungsbezogenheit von Wissen durch das vierstufige Begriffsmodell nach Probst, Raub und Romhardt.[46]

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 2: Beziehungen zwischen den Ebenen der Begriffshierarchie nach Probst, Raub und Romhardt, 2003 S. 16

Wie in der Abbildung 2 ersichtlich, findet man auf der untersten Ebene der Begriffshierarchie einen fixen Satz an Zeichen. Jedes dieser Zeichen repräsentiert einen Zustand bzw. eine Information. Mit dem Zeichensatz werden Daten generiert. Diese sind bereits von der Konstruktion des Beobachters abhängig, und müssen in irgendeiner Form codiert sein wie in z.B. Zahlen, Sprache/Texte und Bilder. Für die Darstellung und Interpretation der Daten müssen die Zeichen in eine richtige und verständliche Reihenfolge, dem Syntax, gebracht werden[47]. So kann das Datum RR 120/80 von jedem, der die Syntaxregeln und den Code kennt, als Blutdruckangabe identifiziert werden.

In jedem Lebensbereich, von der Verwaltung, Pflege und auch im privaten Bereich, wird heute eine Vielzahl an Daten erzeugt. "Daten stehen praktisch in beliebiger Menge zur Verfügung, in aller Regel ist das Problem nicht ein Mangel, sondern eine Überflutung mit Daten. Daten sind allerdings nur der Rohstoff, der für sich wenig bedeutet, wenig kostet und wenig wert ist. Erst wenn aus Daten Informationen und Wissen werden, wird es interessant."[48]

Je höher man die Hierarchie hinaufsteigt, desto fließender werden die Übergänge. Der Übergang von Daten hin zu Informationen entsteht durch die Einbindung in einen Kontext, der für jede Person unterschiedlich gestaltet und relevant sein kann. Durch die Vernetzung verschiedener Kontexte mit bereits gespeicherten Erfahrungsmustern entsteht Wissen.[49] Vorhandene Informationen und Wissen über die z.B. Physiologie und die Pathologie der Blutdruckregulation in Vernetzung mit bisherigen Erfahrungen mit und über den Patienten konstruieren so neues Wissen.

Während Daten und Informationen in Rohform unabhängig vom erkennenden Subjekt sinnvoll gespeichert werden können, z.B. elektronisch oder in Form von Regeln und Anweisungen, ist beim Wissen immer die Person als Wissenserzeuger und Wissensspeicher relevant. Erst die persönliche Zuschreibung von Bedeutungen lassen Wissen entstehen. Das individuelle Wissen des Einzelnen kann, wenn es kommunizierbar ist, für eine Organisation zur Verfügung gestellt und für alle nutzbar gemacht werden. Darin besteht eine wesentliche Aufgabe des Wissensmanagements. „Wissen ist die einzige Ressource eines Unternehmens, die sich durch Gebrauch vermehrt.“[50]

Die Unterscheidung implizites und explizites Wissen

Besonders Nonaka und Takeuchi konzentrieren sich in ihren Ausführungen auf die von Polanyi stammende Differenzierung in implizites und explizites Wissen.

"Implizites Wissen ist persönlich, kontextspezifisch und daher nur schwer kommunizierbar. Explizites Wissen hingegen lässt sich in formaler, systematischer Sprache weitergeben."[51]

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Tabelle 1: Unterschiede implizites und explizites Wissen nach Lucko, 2002 S.8

Implizites Wissen, auch tacit knowledge genannt, erlangt bzw. besitzt eine Person aufgrund ihrer Erfahrungen, ihrer Geschichte und besonders durch ihre Praxis.[52] Die Person muss aber nicht unbedingt wissen, dass sie dieses Wissen hat und sie muss auch nicht erklären können, wie sie was kann. In vielen Fällen bringt es auch Vorteile, sein implizites Wissen nicht bewusst weiter zu geben, durch die dadurch entstehende Rolle als Spezialist bzw. als Experte kann man sich wichtig und unabkömmlich machen.

"Manche außergewöhnliche Lehrer oder Meister, die ihr implizites Wissen mit großem Erfolg an eine Schülerschar weitergeben, sind nicht in der Lage oder weigern sich, ihr Wissen zu explizieren."[53] Wird jetzt im Rahmen des Wissensmanagements der Versuch unternommen, den Experten zur Kommunikation und Nutzbarmachung seines Wissen zu bewegen, kann der Aufwand allerdings sehr hoch sein und in keinem Verhältnis zu erwartenden Ertrag stehen. In den meisten Fällen reicht es aus, bei bestimmten Problemen auf die Expertise des Spezialisten zu verweisen[54]

Welche Bedeutung implizites Wissen für ein Unternehmen hat, zeigt sich bei Pensionierungen oder bei der Entlassung älterer und dadurch teurerer Mitarbeiter. In vielen Fällen konnte der Verlust an implizitem Wissen nicht mehr kompensiert werden, viele vorher Entlassene wurden mit guten Beraterverträgen in die Unternehmen zurückgeholt.[55]

Die Unterscheidung implizites und explizites Wissen ist im Wissensmanagement die bedeutendste, wobei der Schwerpunkt auf das implizite Wissen gelegt wird, da hier die größten Potentiale zur Produktivitätssteigerung zu erwarten sind. In der Wissensbilanzierung wird auf die Erfahrungen des Wissensmanagement hinsichtlich der Problematik mit implizitem Wissen aufgebaut. Da keine vollständige Explikation von implizitem Wissen stattfinden kann, wird der Mitarbeiter mit seinen speziellem Wissen und Fertigkeiten als ganze Person, sprich als Experte, in die Bilanzierung eingebunden.

Personales Wissen und organisationales Wissen

Mit dem personalen Wissen ist das individuelle Mitarbeiterwissen gemeint, welches in Form des impliziten und expliziten Wissens zur Verfügung steht. Das organisationale Wissen ist in den Strukturen der Organisation in Form von Organisationsstrukturen, Prozessabläufen und Operationsweisen enthalten.[56]

Organisationales Wissen setzt die Fähigkeit einer Organisation voraus, wie ein Individuum lernen zu können. Bereits in den siebziger Jahren haben Chris Argyris und Donald Schön ihre ersten Arbeiten zur lernenden Organisation veröffentlicht. Im Kreise der Sozialwissenschaften wurde diese These heftig diskutiert bzw. allgemein abgelehnt, da Lernprozesse nur von Individuen durchgeführt werden können.[57] Argyris und Schön sehen aber organisationales Wissen nicht als Addition des individuellen Wissens aller Mitarbeiter, sondern eine Organisation wird „intelligenter“ bzw. gewinnt an Wissen, wenn Strukturen und Prozesse durch Erfahrungen und Problemlösungsverfahren laufend adaptiert werden.

Ein weiterer Vertreter des organisationalen Wissens und Lernens ist Peter Senge. Für ihn ist das Wissen einer Organisation davon abhängig, wie weit das Management eines Unternehmens in der Lage ist, durch eine gemeinsame Vision eine Kultur der Wissensschaffung und Wissensnutzung durch z.B. systemisches Denken und Team-Lernen zu ermöglichen[58] Im Bereich der Wissensbilanzierung wird das organisationale Wissen im Bereich des Struktur- und Beziehungskapitals berücksichtigt.

2 Definition und Aufbau einer Wissensbilanz

2.1 Definition und Nutzen einer Wissensbilanz

2.1.1 Definition Wissensbilanz

Die Wissensbilanz ist die logische Weiterentwicklung, aber auch ein Ausgangspunkt des Wissensmanagements. Analog der konventionellen Rechnungslegung entstand das Bedürfnis, dass durch das Wissensmanagement bearbeitete Wissen bzw. intellektuelle Kapital eines Unternehmens in Form eines Berichtes bzw. Bilanz transparent zu machen, da ca. 50% des Firmenwertes, so schätzen Experten, in der herkömmlichen Bilanz der Controller nicht oder nur am Rande aufscheint.[59]

Der deutsche Name Wissensbilanz ist das Äquivalent der ursprünglich englischen Begriffe wie „Intellectual Capital Statement (ICS) oder „Intellectual Capital Report (ICR).[60] Der Begriff Wissensbilanz ist entstanden, da die Übersetzungen ins Deutsche wenig klangvoll waren und die meisten Unternehmungen bereits den Begriff Wissensbilanz benutzten. In Österreich wurde mit dem Universitätsgesetz 2002 der Begriff Wissensbilanz sogar gesetzlich verankert.[61] Für den Begriff der Wissensbilanz liegen mehrere Definitionen vor, die sich teilweise mit den Definitionen des intellektuellen Kapitals überschneiden, bzw. sind Begriffe analog übernommen worden.

Kay Alwert definiert Wissensbilanz mit: „Eine Wissensbilanz ist ein Bericht über das bewertete intellektuelle Kapital einer Organisation sowie laufende, abgeschlossene und geplante Initiativen zu dessen Veränderung. Zur Nachvollziehbarkeit der Bewertung wird das intellektuelle Kapital in seinem organisationalen Kontext dargestellt. Hierzu wird der Beitrag des intellektuellen Kapitals zur Zielerreichung, Strategieumsetzung, Leistungserstellung und letztlich dem Geschäftserfolg der Organisation beschrieben. Die Bewertungen werden mittels Indikatoren und Interpretationen dargestellt.“[62]

[...]


[1] in weiterer Folge als GKPS bezeichnet

[2] vgl.Grüll et al. 2006, S. 413

[3] vgl.Aff 2009, S. 35

[4] vgl.Wagner 2003, S. 1

[5] vgl.Decker 2000, S. 5

[6] vgl.von Braun Reinersdorff 2007, S. 15

[7] Hamachers-Zuba et al. 2005, S. 15

[8] vgl.Roehl 2002, S. 9–10

[9] vgl.Meyer 2006, S. 17

[10] vgl.Heisig und Mertins 2005, S. 2

[11] Lev 2001, S. 5

[12] vgl.Schützenhofer 2005, S. 61

[13] Geißer 2007, S. 1

[14] Alwert 2005b, S. 13

[15] vgl.Gloger 2005, S. 17

[16] Barthel et al. 2004, S. 5

[17] Stewart 1998, S. 7

[18] vgl.Schütt 2000, S. 37

[19] vgl.Alwert 2005b, S. 3

[20] vgl.Kirchler 2008, S. 51

[21] vgl.Kirchler 2008, S. 30

[22] vgl.Nonaka und Takeuchi 1997, S. 49

[23] vgl.Kirchler 2008, S. 65

[24] vgl.Kirchler 2008, S. 99

[25] vgl.Schützenhofer 2005, S. 62

[26] vgl.Barthel et al. 2004, S. 11

[27] Mohr 1999, S. 23

[28] vgl.Alwert 2005a, S. 31

[29] vgl.Austerer et al. 2005, S. 89

[30] vgl.Händeler 2005, S. 110

[31] vgl.Scholz et al. 2003, S. 50

[32] vgl.von der Weth 2005, S. 420

[33] vgl.Nonaka und Takeuchi 1997, S. 57

[34] Lehner 2008, S. 8

[35] vgl.Roehl 2002, S. 71

[36] vgl.Meixner 2010, S. 7

[37] vgl.Lucko und Trauner 2002, S. 10

[38] vgl.Kluge et al. 2003, S. 36

[39] vgl.Boch et al. 1997, S. 76

[40] Heisig und Mertins 2005, S. 15

[41] vgl.Wiater 2007, S. 18

[42] vgl.Roehl 2002, S. 22

[43] vgl.Siebert 2008, S. 167

[44] vgl.Auberle und Wermke 2001, S. 931

[45] vgl.Roehl 2002, S. 19

[46] vgl.Probst et al. 2003, S. 16–17

[47] vgl.Roumois-Hasler 2007, S. 214

[48] vgl.Willke 2001, S. 8

[49] vgl.Lucko und Trauner 2002, S. 7

[50] Schütt 2000, S. 137

[51] Nonaka und Takeuchi 1997, S. 72

[52] vgl.Neuweg 2004, S. 19

[53] Willke 2001, S. 13–14

[54] vgl.Probst et al. 2003, S. 71

[55] vgl.Kluge et al. 2003, S. 231

[56] vgl.Wiater 2007, S. 25–26

[57] vgl.Argyris und Schön 1999, S. 20

[58] vgl.Senge 2001, S. 171

[59] vgl.Deutsche Bank Results, S. 16

[60] vgl.Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie 2008, S. 53

[61] vgl.Republik Österreich 2002, S. 2

[62] Alwert 2005b, S. 16

Ende der Leseprobe aus 118 Seiten

Details

Titel
Die Wissensbilanz in der Pflegeausbildung
Autor
Jahr
2012
Seiten
118
Katalognummer
V195842
ISBN (eBook)
9783656217596
ISBN (Buch)
9783656218142
Dateigröße
970 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
intellektuelles Kapital, Pflegepädagogik, Pflegeausbildung, Pflegemanagement
Arbeit zitieren
Christian Balon (Autor:in), 2012, Die Wissensbilanz in der Pflegeausbildung, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/195842

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