Die Erzähltheorie am Beispiel der Erzählung „Das Versprechen“ von Friedrich Dürrenmatt


Hausarbeit, 2010

23 Seiten


Leseprobe


Inhalt

1. Einleitung

2. Elemente der Erzähltheorie
Theorie der Fiktionalität
Die fiktionale Erzählung

3. Handlung und Darstellung oder „das Erzählte und das Erzählen“
Handlung
Darstellung

4. Die Erzählung „Das Versprechen“ von Friedrich Dürrenmatt und seine Darstellung nach oben stehenden Merkmalen
Zeit
Ordnung
Dauer
Frequenz
Modus
Distanz
Die Erzählung von Ereignissen
Erzählung von Worten
Fokalisierung

5. Die Erzähltheorie im Unterricht

6. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Die Erzähltheorie hat bis heute keine einheitliche Begrifflichkeit oder Struktur.

Viele verschiedene Definitionen und Modelle, hier beschränkt auf die Gattung literarischer Erzählungen, erschweren eine überschaubare und systematische Erarbeitung der Darstellungsform epischer Texte.

Ziel dieser Ausarbeitung soll es sein, die wichtigsten Elemente der Erzähltheorie, überwiegend nach Matias Martinez und Michael Scheffel, anhand der Erzählung „Das Versprechen“ von Friedrich Dürrenmatt zu erläutern, beziehungsweise die Erzählung auf die verschiedenen Elemente der Erzähltheorie hin zu analysieren.

Die nachfolgend beschriebenen Beispiele und Passagen aus der Erzählung „Das Versprechen“ beziehen sich in dieser Arbeit auf die 34. Auflage vom November 2009.

Berücksichtigt werden dabei, nach der allgemeinen Einführung in die Erzähltheorie, die einzelnen Darstellungsaspekte der Zeit und des Modus, welche jeweils mit Beispielen aus der genannten Erzählung verdeutlicht werden.

Aus Gründen des großen Umfangs des Themas und seiner Komplexität wurde die nähere Darstellung des letzten Aspekts „Stimme“ in dieser Arbeit zugunsten der Vertiefung der anderen Aspekte sowie einer überschaubareren Seitenzahl dieser Arbeit vernachlässigt.

2. Elemente der Erzähltheorie

Die Form des Erzählens ist ein selbstverständlicher Bestandteil im Alltag eines jeden Individuums. Täglich werden mündlich, schriftlich, mimisch, persönlich oder via Radio, Television oder Lektüre Erfahrungen, Erlebnisse und allgemeine Ereignisse an andere Personen weitergegeben.

Die verschiedenen Erscheinungen einer Erzählung begründen auch die Vielzahl ihrer Definitionen, weshalb an dieser Stelle festzulegen ist, mit welcher Art der Erzählung sich diese Ausarbeitung auseinandersetzt. Da die Vermittlung der Erzähltheorie innerhalb dieser Ausarbeitung anhand der Erzählung „Das Versprechen“ von Friedrich Dürrenmatt (welche in schriftlicher Form vorliegt) stattfinden soll, werde ich nachfolgend die Elemente der Erzähltheorie auf die literarische Erzählung beziehen und versuchen, diese anhand von beispielhaften Textstellen aus der oben genannten Erzählung zu erläutern.

Theorie der Fiktionalität

Innerhalb der Erzähltheorie werden Erzählungen unterschieden, deren Inhalt als tatsächlich geschehen, also als real beschrieben werden (faktuale Erzählungen) und denen, deren Inhalt als erfunden (fiktionale Erzählungen) gelten.

Beispiele für die erst genannte Variante sind Erzählungen in Form von Reiseberichten, Dokumentationen, Zeitungsberichte und Biographien von Personen. Diese Form der Erzählung weist eine schriftliche, authentische Wiedergabe eines Ereignisses oder mehrerer Ereignisse auf, die von einem realen Autor an einen realen Leser gerichtet sind (Martinez & Scheffel 2002:10). Diese Art der Tatsachenerzählung soll in dieser Ausarbeitung jedoch nur erwähnt und nicht weiter ausgearbeitet werden. Der nachfolgende Abschnitt wird sich eingehender mit der fiktionalen Erzählung befassen, unter die auch die Erzählung „Das Versprechen“ fällt.

Die fiktionale Erzählung

Im Unterschied zu einem faktualen Text, sind schriftliche fiktionale Erzählungen zwar auch Teil einer realen Kommunikation zwischen einem realen Autor und einem realen Leser, sie sind jedoch zusätzlich noch Bestandteil einer zweiten, imaginären Kommunikationssituation (Martinez & Scheffel 2002: 17). „ E ine fiktionale Erzählung stellt eine „kommunizierte Kommunikation“ dar, bei welcher der Leser einen Bezug zum realen, als auch zum imaginären Kontext erhält“ (Janik, Kommunikationsstruktur in Martinez &Scheffel 2002: 17).

Die fiktionale Erzählung ist zugleich Teil einer realen wie einer imaginären Kommunikation und besteht deshalb je nach Sichtweise aus real-inauthentischen oder aus imaginär-authentischen Sätzen.“ (Martinez & Scheffel 2002: 18).

Das bedeutet, dass ein Autor zwar Sätze real produziert, die darin enthaltenen Behauptungen jedoch nicht als wahrheitsgemäß durchsetzen will (real-inauthentisch) und deshalb auch nicht für den Wahrheitsgehalt seiner Behauptungen verantwortlich gemacht werden kann. Der fiktive Erzähler, der als Medium zwischen Autor und Leser die entsprechenden Ereignisse wiedergibt, behauptet dagegen die in den Sätzen wiedergegebenen Inhalte, deshalb sind ihm diese als authentisch zuzuschreiben, auch wenn sie innerhalb einer imaginären Kommunikation stattfinden (imaginär-authentisch).

In Bezug auf die Erzählung „Das Versprechen“ bedeutet das, dass Friedrich Dürrenmatt als Autor und Produzent der Sätze dieser Erzählung nicht für die Wahrheit des beschriebenen Inhalts einsteht und damit auch nicht für die Wahrheit dieses Inhalts oder Teile von ihm verantwortlich gemacht werden kann. Offensichtlich ist die Erzählung so in dieser Form nicht tatsächlich passiert, auch wenn sie aufgrund der Darstellung und durch die Nutzung realer Örtlichkeiten in der Schweiz durchaus vom Leser als real empfunden werden kann (real-inauthentisch).

Aus Sicht des Erzählers der Binnenhandlung, dem ehemaligen Kommandanten Dr.H., sind die erzählten Inhalte jedoch wahr, da er diese aus seiner Erinnerung heraus erzählt. Die Geschehnisse sind also innerhalb seiner Vergangenheit passiert und er teilt diese nun dem namenlosen Kriminalautor der Rahmenhandlung mit, wobei die Kommunikation zum Leser deshalb imaginär ist, da die Figur des Kommandanten nicht real existiert und dieser seine Informationen nicht direkt an den realen Leser richtet, sondern an eine weitere fiktive Figur des Romans (imaginär-authentisch).

Die Erzählung „Das Versprechen“ weist in dieser Hinsicht sogar in zwei verschiedenen Kontexten imaginär-authentische Sätze auf , da die Erzählung aus einer Rahmenhandlung (der Kriminalautor auf Lesereise und später im Auto mit Dr.H.) und einer Binnenhandlung, der eigentlichen primären Handlung des Romans (die Geschichte des Dr. Matthäi, erzählt von Dr. H.) besteht. Im Bereich der Rahmenhandlung sind die Sätze als imaginär-authentisch aus Sicht des Kriminalautors, der seine gegenwärtige Situation beschreibt und im Bereich der Binnenhandlung ist der Text aus Sicht des Dr. H. imaginär-authentisch, der die Geschehnisse im Leben des Dr. Matthäi erzählt.

3. Handlung und Darstellung oder „das Erzählte und das Erzählen“

Wie eine Geschichte erzählt wird und worin der Unterschied zwischen dem Erzählen (Art und Weise) und dem Erzählten (Inhalt) liegt, soll in dem folgenden Abschnitt kurz erläutert werden.

Während des Lesens eines erzählenden Textes ist es üblich, dass die Wahrnehmung der stilistischen Mittel die der Geschichte zugrunde liegen, in den Hintergrund rückt und der Leser sich primär auf die erzählte Welt konzentriert, die ihm der Text bietet. Innerhalb dieser Lesehaltung konzentriert sich der Leser demnach auf das, was ihm erzählt wird und beginnt sich mit den Figuren zu identifizieren und an ihrem Schicksal Anteil zu nehmen, ohne darauf zu achten wie die Geschichte vermittelt wird (Martinez & Scheffel 2002: 20).

Beim Lesen der Erzählung „Das Versprechen“ wird der Rezipient sehr schnell zuerst in die triste Welt des Kriminalautors im kleinen Chur entführt und wenig später an das Schicksal des Herrn Dr. Matthäi gefesselt, ohne sich während des Lesens Gedanken über die äußere Erscheinungsform der Erzählung zu machen.

Handlung

Die literaturwissenschaftliche Terminologie bezüglich der Unterscheidung von Handlung und Darstellung ist bei weitem nicht einheitlich. Matias Martinez und Michael Scheffel unterscheiden im Bereich der Handlung vier Elemente (Martinez & Scheffel 2002:25):

1. Ereignis (Motiv) als die elementare Einheit eines Erzähltextes
2. Geschehen als chronologisch aufeinander folgende Ereignisse
3. Geschichte als Einheit der Geschehnisse
4. Handlungsschema als abstrahiertes globales Muster der Geschichte, das auch für

ganze Textgruppen gelten kann. Durch ein Handlungsschema

erhält eine Geschichte eine abgeschlossene und sinnhafte

Struktur.

Auf Dürrenmatts Erzählung angewendet würden diese Aspekte durch folgende Inhalte erfüllt:

1. Ereignis / Motiv = Kriminalautor trifft Dr.H

Die gemeinsame Autofahrt / Stopp an der Tankstelle

Dr. H. erzählt die Geschichte des Dr. Matthäi

Die Versetzung

Der Mord an Gritli Moser

Die Suche nach dem Täter

Auflösung der Geschichte in der Kronenhalle in Zürich

2. Als Geschehen ziehen sich die aufeinander folgenden Ereignisse (in diesem

Fall die Ereignisse im Leben des Matthäi, beziehungsweise im Mordfall Gritli Moser) als Binnenhandlung zusammen. Anschließend lässt sich in der chronologischen Reihenfolge das Aufeinandertreffen des Kriminalautors und des Dr. H. nennen, die gemeinsame Autofahrt und das Zusammensitzen in der Kronenhalle, während der die Geschichte des Matthäi erzählt wird.

3. Die Geschehnisse im Leben des Dr. Matthäi im Zusammenhang mit dem Mordfall Gritli Moser lassen sich in dieser Erzählung als eine abgschlossene Geschichte zusammenziehen. Ebenso ergeben die Ereignisse und Geschehnisse des Kriminalautors in Chur, welcher mit Dr. H. Nach Zürich fährt, eine zweite kleine Rahmengeschichte, welche allerdings ohne die Binnenerzählung der Geschichte um Matthäi keinen Spannungsbogen erzeugen könnte und somit mehr oder minder uninteressant bliebe.

4. Das Handlungsschema ist in der Binnenerzählung um Dr. Matthäi typisch dem Schema eines Kriminalromans. Die Geschichte beginnt mit einem Mord, den es aufzuklären gilt, es gibt einen naheliegenden Verdächtigen, der festgenommen wird, die Tat jedoch am Ende nicht begangen hat. Dr. Matthäi beginnt alleine weiterzusuchen, wendet ungewöhnliche Methoden an, scheitert dennoch scheinbar und wird als verrückt und verwahrlost angesehen. Zum Ende erfährt der ehemalige Kommandant Dr. H. durch Zufall, dass Matthäi die gesamte Zeit über recht hatte und er den wahren Mörder beinahe gefasst hätte. Dies wird zum Schluss des Romans innerhalb einer auflösenden Analepse erzählt, die der ganzen bisherigen Geschichte eine wichtige Wendung gibt und typisch für das Genre der Kriminalromane ist. Die Form der auflösenden Analepse in Bezug auf den Roman „Das Versprechen“ wird nachfolgend auf den Seiten 9 und 10 näher erklärt.

Darstellung

Der Bereich der Darstellung umfasst zwei weitere Aspekte, zum einen den der

Erzählung, die den Text oder die Geschichte[1] an sich darstellt und sich dadurch auszeichnet, dass sie die Ereignisse nicht immer in ihrer chronologischen Reihenfolge wiedergibt, sondern Rückwendungen (Analepsen) und Vorausdeutungen (Prolepsen) nutzt, um die Ereignisse zu schildern (Martinez & Scheffel 2002: 25).

Für die Erzählung „Das Versprechen“ bedeutet das, dass Dürrenmatt die Ereignisse nicht in ihrer chronologischen Reihenfolge erzählt hat (Leben des Matthäi, Mordfall, Absturz des Matthäi, Leben des Matthäi an der Tankstelle, Gespräch des Kriminalautors mit Dr. H., Besuch der Tankstelle, Fahrt nach Zürich, Besuch der Kronenhalle), sondern die Binnenhandlung mit der Geschichte des Dr. Matthäi mithilfe von Rückwendungen während der Reise von Chur nach Zürich erzählt.

Zum anderen den Aspekt des Erzählens als Produktion des Textes,

welcher die Art und Weise der Präsentation der Geschichte meint, wie zum Beispiel Sprache, Stil und das Medium des Erzählens im Sinne von sprachlicher, visueller, audio-visueller oder rein akkustischer Vermittlung der Geschichte (Martinez & Scheffel 2002: 25).

[...]


[1] Anmerkung: In diesem Fall beschränke ich mich, wie bereits erwähnt, auf die literarische Erzählung und blende mündliche, akkustische und visuelle Erzählungen an dieser Stelle aus.

Ende der Leseprobe aus 23 Seiten

Details

Titel
Die Erzähltheorie am Beispiel der Erzählung „Das Versprechen“ von Friedrich Dürrenmatt
Hochschule
Universität Kassel
Autor
Jahr
2010
Seiten
23
Katalognummer
V195399
ISBN (eBook)
9783656215301
ISBN (Buch)
9783656218463
Dateigröße
565 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
erzähltheorie, beispiel, erzählung, versprechen, friedrich, dürrenmatt
Arbeit zitieren
Christina Schröder (Autor:in), 2010, Die Erzähltheorie am Beispiel der Erzählung „Das Versprechen“ von Friedrich Dürrenmatt, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/195399

Kommentare

  • Noch keine Kommentare.
Blick ins Buch
Titel: Die Erzähltheorie am Beispiel der Erzählung „Das Versprechen“ von Friedrich Dürrenmatt



Ihre Arbeit hochladen

Ihre Hausarbeit / Abschlussarbeit:

- Publikation als eBook und Buch
- Hohes Honorar auf die Verkäufe
- Für Sie komplett kostenlos – mit ISBN
- Es dauert nur 5 Minuten
- Jede Arbeit findet Leser

Kostenlos Autor werden