Steuerungsorientierte Risikokennzahlen und Performancemaße in der Schaden- und Unfallversicherung


Diplomarbeit, 2005

109 Seiten


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Tabellenverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

Symbolverzeichnis

1 Einleitung
1.1 Aktualität der Thematik
1.1 Abgrenzung der Arbeit
1.2 Vorgehensweise

2 Versicherungswirtschaftliche Grundlagen
2.1 Theorien des Versicherungsbegriffs / das Versicherungsgeschäft
2.2 Der Risikobegriff / die Versicherungswirtschaft
2.3 Das versicherungstechnische Risiko
2.3.1 Erklärungsmodelle
2.3.2 Die Elemente des versicherungstechnischen Risikos
2.3.2.1 Das Zufallsrisiko
2.3.2.1.1 Dem Zufallsrisiko entgegenwirken
2.3.2.1.2 Wertung des Zufallsrisikos
2.3.2.2 Das Änderungs- und Irrtumsrisiko

3 Risikokennzahlen und Risikomaße
3.1 Eigenschaften von Risikomaßen
3.1.1 Vergleichende axiomatische Betrachtung von Risikomaßen
3.1.1.1 Das Axiomensystem von
3.1.1.2 Das Axiomensystem von Pederson/Satchell
3.1.1.3 Die Axiomensysteme von Rockafellar/Uryasev/Zabarankin (RUZ)
3.2 Der Value at Risk (VaR) als Risikomaß
3.2.1 Definition des Value at Risk
3.2.2 Die Kohärenz des Value-at-Risk
3.2.3 Fundamentale Beziehungen und Bedingungen des VaR
3.3 Conditional Value at risk (CVaR)
3.4 Lower-Partial-Moments (LPM), Shortfall- & Excesschancenmaße
3.5 Zusammenfassung

4 Risikokapitalbestimmung und Performancesteuerung
4.1 Produktionsfaktoren des Risikogeschäftes der Versicherungen
4.2 Risikobasierte Kapitalausstattung
4.2.1 Ist das VRAC ein Risikomaß?
4.2.2 Risikoadjustierte Performancemessung -
Risk Adjusted Performance Measurement (RAPM)
4.2.3 Ansatz der Allokation des Gesamt-VRAC
4.2.4 Risikoadjustierte Performancemessung und Unternehmens-
steuerung mit Shareholder Value Maximierung als Ausgangspunkt
4.3 Abschließende Betrachtung des RAC
4.4 Zusammenfassung

5 Abschlußbetrachtung

Literaturverzeichnis

Internetquellen

Abbildungsverzeichnis

Abb. 1-1 Gesamtaufbau der Arbeit

Abb. 2-1 Wahrscheinlichkeitsverteilung von Ergebnissen

Abb. 2-2 Versicherungstechnisches Risiko als Wahrschein- lichkeitsverteilung

Abb. 3-1 Veranschaulichung des Value-at-risk-Konzepts

Abb. 3-2 Value-at-Risk-Ermittlung mittels der Gewinnverteilung

Abb. 3-3 Die Translationsinvarianz des Value-at-Risk

Abb. 3-4 Komponenten des notwendigen Risikokapitals

Abb. 3-5 Shortfall- und Excessbereich einer finanziellen Steuerungsgröße relativ zur Zielgrößez

Tabellenverzeichnis

Tabelle 1.1 Typen von Erstversicherungsunternehmen

Tabelle 1.2 Versicherungssparten der Schaden- und Unfallversicherung

Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Symbolverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

1.Einleitung

1.1 Aktualität der Thematik

In den 60er und 70er Jahren war die Versicherungslandschaft in Deutschland über- proportional groß. Annähernd Tausend Versicherungsunternehmen standen den Menschen in Deutschland zur Verfügung.1 Doch nach Zeiten des stetigen Wachs- tums und der Wohlstandsmehrung befindet sich auch die Versicherungswirtschaft in einem Wandel. Neue Technologien, die Globalisierung der Märkte, gesell- schaftspolitische Veränderungen und der diskontinuierliche Wandel der Bedürfnisse und Verhaltensweisen der Versicherungsnehmer führen dazu, daß sich die Markt- teilnehmer immer schneller auf neue Situationen einstellen müssen.2 Chancen zie- hen parallel auch immer eine Vielzahl neuer Gefahren mit sich, die entdeckt, analy- siert und bewältigt werden müssen. Gerade Versicherungsunternehmen müssen sich auf diese Risiken, egal in welchem Bereich, sehr schnell einstellen und sie in ihre Finanz- und Risikopolitik schnellstmöglich integrieren. Es gilt für die Versiche- rungsunternehmen Möglichkeiten zu entwickeln, auftretende Risiken monetär messbar zu machen. Werden diese verschiedenartigen Risiken gebündelt oder muß für jedes Risiko eine Maßzahl entwickelt werden?

Seit Beginn der 90er Jahre ist es zwingend notwendig diese Risiken zu spezifizie- ren, denn sie spielen eine entscheidende Rolle bei der Berechnung der Beiträge, Prämien, Zuschläge etc. Besonderem Augenmerk unterliegt die jeweilige Finanzpo- litik. Sie mußte im Zuge der vielen Veränderungen um ein Vielfaches erweitert werden, da sich das Segment Risiko zu einem Schwergewicht der Finanzpolitik in Versicherungsunternehmen entwickelt hat. Sind Risiken nicht qualitativ und quanti- tativ in der Finanzpolitik integriert, kommt es schnell zu Liquiditätsengpässen. Es wird immer wichtiger das Risikopotential richtig bestimmt zu haben, um mit fi- nanzpolitischen Mitteln dem möglichen Schaden entgegenwirken zu können. Doch wie wird das Kapital gebündelt, um an der richtigen Stelle im Versicherungsge- schäft eingesetzt werden zu können? Ist eine gerechte risikobasierte Kapitalalloka- tion realisierbar? Welche Möglichkeiten der Performancesteuerung und -messung ergeben sich dadurch? Bis zum heutigen Zeitpunkt wird weiter an immer spezifischeren Methoden gearbeitet, um es den Versicherungsunternehmen zu ermöglichen, die auch immer spezieller werdenden Risiken adäquat für sich und die Versicherungsnehmer beherrschen zu können.

1.2 Eingrenzung der Arbeit

Diese Arbeit soll zunächst die Grundlagen der Versicherungswirtschaft und an- schließend potentielle Risikokennzahlen und steuerungsorientierten Performance- maße aufzeigen. Für den zu bearbeitenden Bereich der Risikokennzahlen und Per- formancemaße sei zu berücksichtigen, daß sich diese Arbeit auf den Typ der Kom- positversicherungsunternehmen beschränkt. Der Begriff der Kompositversicherung, welche auch Schaden- und Unfallversicherung genannt wird, stellt eine Sammelbe- zeichnung für die nicht in der Lebens-, Kranken-, Rechtsschutz- oder Kreditversi- cherung angehörenden Versicherungssparten dar.3 Ein Versicherungsunternehmen wird dann dem Bereich der Schaden- und Unfallversicherungsunternehmen zuge- ordnet, wenn es die Erlaubnis zum Geschäftsbetrieb gleichzeitig für mehr als eine der in Tabelle 1.2 aufgeführten Versicherungssparten erhalten hat.4

Tabelle 1.1: Typen von Erstversicherungsunternehmen

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Tabelle 1.2: Versicherungssparten der Schaden- und Unfallversicherung5

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Die Wesentlichen Besonderheiten der Kompositversicherung gegenüber den anderen in Tabelle 1.1 angegebenen Versicherungssparten sind die kurzfristigeren Versicherungsverhältnisse, die nicht vorhandenen Wechselhindernisse und das deutlich niedrigere Prämienniveau.6

1.3 Vorgehensweise

Der erste Abschnitt dieser Arbeit dient der Vorstellung der weiteren Vorgehenswei- se und soll als Einführung in die Thematik verstanden werden. Der Versicherungs- und Risikobegriff sowie das allgemeine Versicherungsgeschäft werden im zweiten Abschnitt erläutert. Ebenfalls im zweiten Abschnitt wird verstärkt auf die spezifi- schen Eigenschaften des versicherungstechnischen Risikos, hier im Besonderen auf die des Zufallsrisikos, eingegangen. Im Hauptteil der Arbeit werden die wichtigsten monetären Risikokennzahlen der Schaden- und Unfallversicherung beschrieben und deren Vor- bzw. Nachteile aufgezeigt. Anschließend werden im vierten Abschnitt Möglichkeiten der risikoadjustierten Performancesteuerung und Kapitalallokation dargelegt und bewertet. Den Abschluß der Arbeit bildet eine Schlußbetrachtung mit eigenem Fazit. Aus der folgenden Abbildung ist der Gesamtaufbau der Arbeit zu entnehmen.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 1-1: Gesamtaufbau der Arbeit

2. Versicherungswirtschaftliche Grundlagen

In diesem Abschnitt der Arbeit werden grundlegende Aspekte der Versicherungs- wirtschaft aufgezeigt. Zu Beginn werden die theoretischen Grundlagen eines Versi- cherungsunternehmens und die verschiedenen Ausprägungen im Versicherungsge- schäft dargelegt. Im weiteren Verlauf werden der allgemeine Risikobegriff und die damit verbundenen statistische Grundlagen aufgezeigt. Anschließen geht die Arbeit über zum versicherungstechnischen Risiko, welches anhand eines Erklärungsmo- dells und den verschiedenen Elementen detaillierter aufgezeigt wird.

2.1 Theorie des Versicherungsbegriffs - des Versicherungsgeschäfts

Das Versicherungsaufsichtsgesetz definiert Versicherungsunternehmen als „Unter- nehmen, die den Betrieb von Versicherungsgeschäften zum Gegenstand haben und nicht Träger der Sozialversicherung sind.“7 Die wirtschaftliche Theorie der Versi- cherung bzw. die entsprechenden Versicherungsbegriffe der Allgemeinen Be- triebswirtschaftslehre sind unterschiedlich geeignet, das Versicherungsgeschäft als Gegenstand des Wirtschaftens im Versicherungsunternehmen zu erklären. Es exis- tieren verschieden Ansätze zur Analyse des Wirtschaftens von Versicherungen.8 Die Hauptaufgabe von Versicherungsunternehmen wird in der Produktion und Be- reitstellung von Versicherungsschutz gesehen. Hierzu sollte vorherig der Begriff Versicherung erst einmal definiert werden. Ausgehend davon, daß es zwischen Ver- sicherungsnehmer und Versicherer zu einem Risikotransfer kommt und die Not- wendigkeit besteht einen Ausgleich des Risikos zwischen Wirtschaftseinheiten zu schaffen, formulierte Karl Hax (1976a) den Begriff Versicherung folgendermaßen: „Versicherung ist Deckung eines im Einzelnen ungewissen, insgesamt aber schätz- baren Geldbedarfs auf der Grundlage eines zwischenwirtschaftlichen Risikoaus- gleichs.“9

Wie dieser Risikoausgleich innerhalb des Versicherungsunternehmens gestaltet wird, ist eine der Aufgaben der versicherungstechnischen Risikopolitik.10 Bevor wir jedoch solch einen speziellen Teil betrachten, sollten wir den Rahmen dieser Arbeit in Augenschein nehmen. Diesen bildet das allgemeine Versicherungsgeschäft. Das Versicherungsgeschäft umfasst betriebswirtschaftlich betrachtet alles, was unmittelbar mit der Produktion von Versicherungsschutz im Zusammenhang steht, wie die Beschaffung, Verwaltung und Abwicklung von Versicherungsverträgen. Das Produkt Versicherungsschutz ist ein immaterielles Wirtschaftsgut und nur ein Teil des gesamten Versicherungsgeschäftes. Dieses lässt sich theoretisch mit folgenden Bestandteilen erklären und vervollständigen:11

(1) Risikogeschäft;
(2) Spar- und Entspargeschäft, das in einigen Versicherungszweigen mit dem Versicherungsgeschäft verbunden ist;
(3) Dienstleistungsgeschäft in Form von Beratung und von Abwicklung des Ri- siko- und des Spar-/Entspargeschäftes.

In einigen Versicherungszweigen ist dem Risikogeschäft ein Spar-/Entspargeschäft angebunden, besonders in der Rentenversicherung, der Krankenversicherung und der Lebensversicherung.

Auch ist dem Risikogeschäft einschließlich dem Spar-/Entspargeschäft ein Abwicklungsgeschäft12 - welches auch Beratung umfasst - angehängt. Mit dieser Komponente des Produktes Versicherungsschutz sollen die Gegenstände des Risiko- und Spar-/Entspargeschäfts zwischen dem Versicherungsunternehmen und seinen Kunden zu austauschfähigen Wirtschaftsgütern werden.

Das Risikogeschäft bildet die Kernkompetenz eines Versicherungsunternehmens.13 Der Versicherer gibt an den Versicherungsnehmer ein Versicherungsschutzverspre- chen ab, daß er bei Eintritt des Versicherungsfalles die vertraglich vereinbarten Versicherungsleistungen gewährt. Für den Versicherungsnehmer hat das Versiche- rungsversprechen bzw. die Gewährung der Versicherungsleistung nach Eintritt eines Versicherungsfalles die Sicherung seiner wirtschaftlichen Lage zur Folge. Durch die Versicherungsleistungen können Schäden oder andere Mittelbedürfnisse ganz oder teilweise ausgeglichen werden. Es gibt zahlreiche verschiedene Wahr- scheinlichkeitsverteilungen von (wirtschaftlichen14 ) Schäden, welche die Versiche- rer übernehmen und im Kollektiv des Versicherungsbestandes sowie im Laufe der Zeit ausgleichen.15

Bevor wir im folgenden uns weiter mit dem Risikogeschäft, dem versicherungstechnischem Risiko und den risikopolitischen Instrumenten auseinandersetzen, sollten wir uns vorerst einmal mit dem Begriff Risiko auseinandersetzen und eine einheitliche, für diese Arbeit geltende, Definition festhalten.

2.2 Der Risikobegriff

Die Forschung konnte den Ursprung der Begriffe Risiko (deutsch) bzw. risk (engl.) bislang nicht zweifelsfrei klären. Als Vorläufer dieser gelten aus dem italienischen die Begriffe riscio oder risco (Klippe; 16.Jhd.; heute rischio), die gleichbedeutend mit Wagnis, Gefahr oder Verantwortung sind.16 Die weitere Herkunft ist unklar. Auch die moderne Begriffsverwendung ist uneinheitlich. Es liegt keine einheitlich anerkannte Definition vor. Was unter Risiko verstanden wird, ist nicht nur eine Fra- ge der Nomenklatur verschiedener Wissenschaftsdisziplinen.17 Selbst innerhalb der Betriebswirtschaftslehre ist eine enorme Vielfalt an Begriffsauffassungen einge- führt.

Auf eine umfassende Analyse wird hier verzichtet, stattdessen auf die schon ausge- arbeiteten Studien verwiesen, in denen die in der betriebswirtschaftlichen Literatur über die vergangenen Jahrzehnte verwendeten Risikobegriffe sachlich und zeitlich geordnet sind.18 Nunmehr wird in der betriebswirtschaftlichen Risikotheorie nicht mehr versucht das Risiko zu definieren, sondern es wird vielmehr mit seinen wesentlichen Eigenschaften umschrieben19:

Das Risiko des Handelns oder Verhaltens eines Versicherungsunternehmens kommt in einer Wahrscheinlichkeitsverteilung der möglichen Ergebnisse zum Ausdruck. Die Ergebnisse sind jeweilige Maße für die Zielerfüllung und Zielverfehlung. So oder ähnlich ist heute das vorherrschende Verständnis formuliert.20 Grafisch läßt sich das wie folgt darstellen und veranschaulichen:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 2-1: Wahrscheinlichkeitsverteilung von Ergebnissen

Im Bezug zur obigen Grafik (Abb.1) ist Risiko der Sachverhalt, daß eine Handlungsalternative eine Vielzahl von Ergebnismöglichkeiten, welche jeweils mit subjektiven oder objektiven Wahrscheinlichkeiten eintreten, generiert.21 Risiko findet erst seine vollständige Beschreibung in der gesamten Wahrscheinlichkeitsverteilung von möglichen Zuständen.22

Wenn wir den Risikobegriff im Versicherungsgeschäft betrachten, so liegt die Risikocharakteristik darin begründet, dass Entscheidungen eines Wirtschaftssubjekts bezüglich seines (ökonomischen) Verhaltens unter Unsicherheit getroffen werden, d.h. Handlungen führen in der Regel nicht zu einem sicheren Ergebnis, sondern schlagen sich in einer Vielzahl künftig möglicher Zustände wieder. Zum einen kann dies durch die Zufälligkeit von Ereignissen begründet sein, d.h. die kausalen und/oder finalen Zusammenhänge von Handlung und Ergebnis sind unvorhersehbar, es liegt eine Entscheidungssituation unter Risiko vor.

Zum anderen kann sich die Unsicherheit durch die Ungewissheit über die kausalen und/oder finalen Zusammenhänge von Handlung und Ergebnis manifestieren, d.h. es lassen sich keine oder nur unvollkommene Aussagen über Handlungskonsequen- zen treffen, es liegt eine Entscheidungssituation unter Unsicherheit im engeren Sin- ne vor.23

Formelle Grundlagen

Die Wahrscheinlichkeitsfunktion für diskrete bzw. Dichtefunktion für stetige Zufallsvariablen gibt den Zusammenhang zwischen Ergebnismöglichkeiten und deren Eintrittswahrscheinlichkeiten an.24

Wahrscheinlichkeitsfunktionen bzw. Dichtfunktionen können durch die ersten bei- den Momente, den Erwartungswert und die Varianz bzw. die Standardabweichung, für die Lösung einer Vielzahl von Problemen ausreichend charakterisiert werden.25

Der Schadenerwartungswert eines Versicherungsvertrages bei diskreter Modellformulierung ist festgelegt als die Summe aller mit ihren Eintrittswahrscheinlichkeiten pj gewichteten Schadenausprägungen xj (mit = 1,…,J).26

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Liegt eine stetige Modellformulierung vor, so wird der Erwartungswert des Scha- dens eines Versicherungsvertrages mit Hilfe der Integralrechnung bestimmt. Der Schadenerwartungswert ist das Integral über die Wahrscheinlichkeitsdichtefunkti- on.27

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Das zweite Moment einer Verteilung ist die Varianz bzw. Standardabweichung. Als Maß für die Streuung der Zufallsvariablen um den Erwartungswert28 stellt sie die wichtigste Risikokennziffer dar.29 Definiert ist die Varianz2 als der Erwartungs- wert der quadrierten Abweichung einer Zufallsvariablen von ihrem Erwartungs- wert.30

Die Varianz läßt sich über den Verschiebungssatz umformulieren zu:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Die Standardabweichung ergibt sich aus der Wurzel der Varianz:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Die eben vorgestellten Kennziffern Varianz bzw. Standardabweichung sind die Ge- bräuchlichsten, welche die Streuung einer Zufallsvariable beschreiben. Wird nach- folgend von Risiko gesprochen, so ist damit erst einmal die Standardabweichung als mathematischer Ausdruck obiger allgemeiner Risikocharakterisierung gemeint.31

Die Schadenzahlungen eines Versicherungsunternehmens während einer Periode setzen sich aus den Schadenzahlungen der einzelnen Versicherungsverträge xi (für i = 1,…, n) additiv zusammen. Damit gilt:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Wenn y ~ eine mehrdimensionale Zufallsvariable32 ist, muß beachtet werden, daß sich [Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten] nicht allein aus [Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten] additiv zusammensetzt. Es muß neben den Varianzen ~ noch ein möglicher linearer Zusammenhang zwischen den [Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten] berücksichtigt wer- den. Dieser lineare Zusammenhang wird in der Literatur als Kovarianz cov( (für i j) bezeichnet

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Für diskrete Zufallsvariablen gilt dann:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Für stetige Zufallsvariablen resultiert:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Es ist somit festzuhalten, daß die Kovarianz ein Ausdruck der Zusammengehörig- keit der jeweiligen Merkmale ist und dementsprechend auch Berücksichtigung fin- den muß. Die beiden Zufallsvariablen heißen „vollständig positiv (negativ) korre- liert“, wenn ein vollständiger Gleichlauf (Gegenlauf) vorliegt. Die Varianz der ge- meinsamen Zufallsvariablen ist gleich der Summe der Einzelvarianzen, wenn die beiden Zufallsvariablen sich unabhängig voneinander entwickeln. Dies ist dadurch möglich, weil die Kovarianz aufgrund der Unkorreliertheit der beiden Zufallsvariablen den Wert Null annimmt.

2.3 Das versicherungstechnische Risiko

Wie in 2.1 bereits festgestellt, liegen die Kernkompetenzen eines Versicherungsunternehmens im Risikogeschäft. Es umfaßt den eigentlichen Transfer von Schadenwahrscheinlichkeitsfunktionen bzw. Dichtefunktionen im diskreten bzw. stetigen Fall vom Versicherungsnehmer auf den Versicherungsgeber, als auch den Risikoausgleich innerhalb des jeweiligen Versicherungsunternehmens durch die Bildung von Versicherungs- bzw.33 Risikokollektiven.3435

Die Versicherungswirtschaft lebt davon, solche Kollektive zusammenzustellen, bei denen sich die Unregelmäßigkeit der Schäden der einzelnen Versicherungsnehmer in der Gesamtheit möglichst gut ausgleichen. Die Versicherer versuchen Kollektive zusammenzustellen, bei denen die Schwankungen des Schadenverlaufs ausgegli- chener sind als die aggregierten Schadenschwankungen der einzelnen Versiche- rungsnehmer. Dies kann jedoch nie so gelingen, daß der Versicherer keinen Schwankungen mehr unterliegt. Es kann nur dann erreicht werden, wenn der Scha- denverlauf des zusammengestellten Kollektivs prognostizierbar36 wäre.

Selbst bei einem sehr großen Kollektiv schwankt der Schadenaufwand von Versicherungsperiode zu Versicherungsperiode und es bleiben dem Versicherungsunternehmen sogenannte arteigene Risiken. Diese arteigenen Risiken resultieren aus dem Produkt Versicherungsschutz und werden unter dem Sammelbegriff versicherungstechnisches Risiko subsummiert.37

Dieses versicherungstechnische Risiko besteht aus der Ungewissheit über den wahren Schadenaufwand eines Kollektivs in einer zukünftigen Versicherungsperiode, d.h. der Unwissenheit darüber, ob die kalkulierten Prämien für die Schadenaufwendungen ausreichen und inwieweit die Ergebnisse von den Zielen der Versicherungsunternehmen abweichen. Sollten die eingetretenen Schadenauf- wendungen von den prognostizierten Schadenaufwendungen positiv oder negativ abweichen, führt dies zur Änderung des Zielerreichungsgrades, d.h. zur Änderung des geplanten Wertes der Zielfunktion. Für eine mögliche negative Abweichung (Restrisiko des Versicherers) muß das Versicherungsunternehmen finanzielle Vor- sorge treffen. Sie wird durch die Ansammlung von Sicherheitsmitteln erreicht. Aus der Bereitstellung dieser Sicherheitsmittel resultiert eine Bindung von Finanzmit- teln, deren Finanzierung durch den in der Prämie enthaltenen Sicherheitszuschlag erreicht wird.38

2.3.1 Erklärungsmodelle

Wie bereits an vorheriger Stelle festgestellt, kann das versicherungstechnische Risiko in verteilungsspezifischen Erklärungsmodellen mit verschiedenen Ansätzen erfaßt und erklärt werden.

Das versicherungstechnische Risiko drückt sich definitionsgemäß in einer Schaden- verteilung aus, welche die mögliche (günstige/ungünstige) Abweichung des Scha- deneffektivwertes vom Schadenerwartungswert angibt (a). Wenn zusätzlich die Risikoprämien berücksichtigt werden, welche nach dem Äquivalenzprinzip der Versicherungsunternehmen in Höhe des Schadenerwartungswertes erhoben werden, dann wird das versicherungstechnische Risiko durch eine Gewinn- bzw. Verlustver- teilung mit einem Erwartungswert (kErwG/V) von Null ausgedrückt (b). Sollten ergänzend Sicherheits- bzw. Gewinnzuschläge (SZ) innerhalb der Risikoprämien mitbetrachtet werden, so bleibt es bei einer Gewinn- bzw. Verlustverteilung, jedoch mit einer Gewinnerwartung in Höhe der Sicherheits- bzw. Prämienzuschläge (c). Wird außerdem noch eine Risikoreserve zum Anfang einer Periode (AR) zur De- ckung von möglichen Überschäden - welche über die Sicherheitszuschläge hinaus- gehen - aufgenommen, so wird schließlich das versicherungstechnische Risiko durch eine Verteilung der Endrisikoreserve (ER) ausgedrückt (d). Die nachfolgende Abbildung soll dies verdeutlichen. Es zeigt die Wahrscheinlichkeiten für die Aus- gangsmöglichkeiten des Risikogeschäfts vollständig auf. Nach Farny (2000) sind es:

- die Wahrscheinlichkeit eines Risikogewinns, der dem Sicherheitszuschlag entspricht oder höher als dieser ist (Fläche A),
- die Wahrscheinlichkeit eines Risikogewinns im Betrag zwischen Null und dem Sicherheitszuschlag (Fläche B),
- die Wahrscheinlichkeit eines Risikoverlustes im Betrag zwischen Null und der Fläche der Anfangsreserve, wodurch diese ganz oder teilweise verzehrt wird (Fläche C),

die Wahrscheinlichkeit eines Risikoverlustes, der betragsmäßig der Anfangsreserve entspricht oder diese übersteigt (Fläche D).39

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 2-2: Versicherungstechnisches Risiko als Wahrscheinlichkeitsverteilung40

2.3.2 Die Elemente des versicherungstechnischen Risikos

Das versicherungstechnische Risiko als Branchenspezifikum der Versicherungswirtschaft findet seinen Hauptgrund in der Indeterminiertheit der vom Versicherungsunternehmen zu erbringenden Entschädigungsleistung im Schadenfall. Der Eintritt eines Schadenfalls muß stets zufallsbedingt sein, die Höhe der Entschädigungszahlung dagegen kann zufallsbedingt sein41. Damit liegt im Bezug auf die Versicherungsleistung auf jeden Fall Stochastizität vor.

Daß nunmehr die Stochastizität festgestellt wurde, rechtfertigt jedoch nicht, daß eine Besonderheit der Versicherungswirtschaft zu sehen ist. Ein Abweichen der a priori kalkulierten Kosten von den a posteriori entstandenen Kosten ist in allen Wirtschaftszweigen, aufgrund von Umweltänderungen oder aufgrund von Irrtümern der Entscheider, möglich. Die Besonderheit der Versicherungswirtschaft liegt darin, daß selbst bei änderungs- und irrtumsfreier Umwelt, die Entschädigungsleistungen des Versicherers aufgrund deren Zufallsabhängigkeit ex ante als nicht sicher gelten.

Der Versicherungsvorgang lässt sich charakterisieren als der entgeltliche Transfer von Schadenverteilungen zwischen Versicherungsnehmer und Versicherer.42 Hierin liegt der entscheidende Unterschied zu anderen Wirtschaftszweigen. Die dem Ver- sicherungsnehmer zugesagte Leistung ist ex ante nicht deterministisch. Sie besteht in der Übernahme einer Wahrscheinlichkeitsfunktion (im diskreten Fall) bzw. einer Dichtefunktion (im stetigen Fall) mit den in Geld gemessenen Schäden als Zufalls- variablen. Somit gilt der Umgang mit Risiken als Kernkompetenz eines Versiche- rers, hierbei insbesondere der Transfer von Schadenverteilungen.43

Die Unsicherheit über die vom Versicherer zu erbringende Leistung findet seinen Niederschlag in dem Ausdruck versicherungstechnischen Risikos.

An dieser Stelle schicke ich vorweg, daß sich das versicherungstechnische Risiko als arteigenes Risiko der Versicherungswirtschaft insbesondere auf das Zufallsrisiko erstreckt. Die weiteren in der Literatur angegebenen Komponenten sind nichts anderes als Risikofaktoren, mit denen auch Unternehmungen außerhalb der Versicherungswirtschaft konfrontiert werden.

Das versicherungstechnische Risiko wird durch die möglichen Abweichungen des kollektiven Effektivwertes vom kollektiven Erwartungswert des Gesamtschadens verursacht. Dieses Risiko kommt in Form der Gesamtschadenverteilung und deren charakteristischen Größen, Erwartungswert und Streuung zum Ausdruck.

Die möglichen Schadenabweichungen des kollektiven Effektivwertes der Gesamt- schäden von dem Erwartungswert kann von verschiedensten Einflüssen verursacht werden. Für die Erklärung dieser Abweichung gibt es verschiedenste Anätze:44

- Die zu Grunde gelegten Erwartungswerte der Schäden können von den Ef- fektivwerten überstiegen werden, da bei einer gegebenen Schadenverteilung während einer Versicherungsschutzperiode zufällig besonders viele und/oder hohe Schäden eintreten können (Zufallsrisiko)45.
- Die zu Grunde gelegten Erwartungswerte der Schäden können von den Ef- fektivwerten überstiegen werden, weil sich die Schadenverteilung während der Versicherungsschutzperiode - jedoch zeitlich nach der Schätzung - un- günstig ändern kann. Es kann sich damit der Schadenerwartungswert erhö- hen (Ä nderungsrisiko). Die Abgrenzung vom Zufallsrisiko ist nur theore- tisch, aber nicht praktisch möglich, denn auch mit veränderten Schadenver- teilungen sind die effektiven Schadeneintritte zufällig und können sich dem- entsprechend sowohl oberhalb, unterhalb als auch im Extremfall genau in Höhe des ursprünglichen Schadenerwartungs-wertes befinden.
- Die Effektivwerte der Schäden können die zu Grunde gelegten Erwartungs- werte übersteigen, wenn die Schadenverteilung für die Versicherungs- schutzperiode von vornherein falsch geschätzt worden sind. Es kann der Schadenerwartungswert zu niedrig angenommen werden (Irrtumsrisiko). Erneut ist die Abgrenzung vom Zufallsrisiko nicht eindeutig möglich, da auch hier mit der tatsächlichen Schadenverteilung die effektiven Schaden- eintritte zufällig sind und sich somit sowohl oberhalb, unterhalb als auch im Extremfall genau in Höhe des fälschlicherweise zu Grunde gelegten Scha- denerwartungswertes realisieren können.

Der bisherige Erklärungsansatz zielt nur auf die Schadenerwartungswerte ab, welche mit den reinen Risikoprämien gedeckt werden sollen. Die Streuung der Schadenverteilung wird hier total vernachlässigt. Ein Änderungs- bzw. Irrtumsrisiko kann auch darin gesehen werden, daß sich die Streuungen ändern, diese falsch geschätzt werden bzw. deshalb falsche - besonders zu niedrige - Risikozuschläge für etwaige Überschäden kalkuliert werden.46

Die Größe des Risikos eines Versicherungskollektivs hängt von zahlreichen Eigenschaften und der darin enthaltenen Einzelrisiken bzw. des Gesamtbestandes ab. Dieses jeweilige einzelne Risiko, d.h. die zugehörige Schadenverteilung mit Erwartungswert und Streuung, ist durch seine Risikomerkmale bestimmt. Die wichtigsten Zusammenhänge dieser Merkmalsausprägungen sind folgende:

- Das Zufallsrisiko sinkt bzw. der Risikoausgleich gelingt zunehmend mit steigender Anzahl der Versicherten. Die Unabhängigkeit der zu versicherten Risiken ist dabei jedoch erforderlich, d.h. kein Kumulrisiko oder Anste- ckungsrisiko darf den Risikoausgleich stören. Im Extremfall können solche Störungen die Wirkungszusammenhänge umdrehen, so daß das Zufallsrisiko mit steigender Anzahl der Versicherten, voneinander abhängigen Risiken steigt.47 Im Übrigen sinkt das Zufallsrisiko unter sonst gleich bleibenden Umständen mit steigendem Durchschnittswert für die Schadeneintrittswahr- scheinlichkeiten. Mit sinkender Streuung der Versicherungssummen bzw. der möglichen Schadenbeträge aus denen im Versicherungsbestand zusammengefassten Einzelrisiken sinkt das Zufallsrisiko ebenfalls (Merkmal der Bestandszusammensetzung)48.
- Das Änderungsrisiko steigt mit zunehmender Anzahl von versicherten Ein- zelrisiken im Versicherungsbestand, die zugleich von solchen Veränderun- gen betroffen sein können. Demzufolge erhöhen sich die individuellen Schadenerwartungswerte. Ausgleichsmöglichkeiten bestehen nur insofern, als daß mehrere Veränderungen mit insgesamt entgegenwirkenden Auswir- kungen auf die Schadenerwartungswerte einwirken können. Zudem sind Ausgleichseffekte über verschiedene Versicherungsbestände möglich, bei denen sich die gleichen Veränderungen gegenläufig auf die Schadenerwar- tungswerte auswirken49.
- Für das Irrtumsrisiko gilt das Gleiche wie für das Änderungsrisiko

2.3.2.1 Das Zufallsrisiko

Wie in Punkt 2.3.2 bereits kurz erläutert, wird die Möglichkeit des Abweichens der ex post tatsächlichen Schadenkosten von deren Erwartungswert als Zufallsrisiko bezeichnet.

Bei der Betrachtung des Zufallsrisikos kommt es darauf an, daß die jeweilige Ab- weichung bei konstantem Schadenerwartungswert durch die Stochastizität hervor- gerufen wird. Es liegt somit eine korrekte ex ante Berechnung des Erwartungswer- tes vor. Nur die konkrete Ausprägung der Zufallsvariablen [Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten] , welche der jeweiligen Schadenzahlung entspricht, weicht vom Erwartungswert derselbigen ab, weil die Ausprägungen der Schadenzahlen und/oder Schadenhöhen in den Perioden zufällig sind. Das Zufallsrisiko wird somit vollständig durch die Varianz bzw. die Standardabweichung der Zufallsvariablen Schadenzahlung charakterisiert.

Dadurch, daß die Versicherer in der Regel eine große Anzahl an Einzelrisiken in einem Kollektiv zusammenfassen, dem sogenannten Versicherungsbestand, ist dieser als Gesamtbestand der Einzelrisiken aufzufassen50. Die Schadenzahlungen des Versicherers an seine Vertragspartner resultieren aus dem Versicherungsbestand. Es werden in der Statistik Unterscheidungen beim Zufallsrisiko getroffen, da die Schadenverteilung des Versicherers aus vielen Einzelschäden resultiert.

Aus statistischer Sicht betrachtet kann jede Schadenzahlung als eine Zufallsvariable angesehen werden, wenn ein bestimmter Versicherungsvertrag dies begründet. Wenn nun das versicherungstechnische Risiko, hier das Zufallsrisiko, eines Versi- cherungsbestandes bestimmt werden soll, dann müssen mögliche Abhängigkeiten der einzelnen Versicherungsverträge untereinander im Versicherungsbestand be- rücksichtigt werden.

Zwei Versicherungsverträge sind nur dann voneinander stochastisch unabhängig, sollten sich die Wahrscheinlichkeiten für den Eintritt eines Versicherungsfalles in Bezug auf den einen Vertrag und die eines Versicherungsfalles auf einen anderen Vertrag nicht beeinflussen. Somit bewirkt das Wissen um den Eintritt des einen Versicherungsfalles ( Ereignis[Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten ) im Hinblick auf die Eintrittswahrscheinlich-[Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten] keit des anderen Versicherungsfalles ( Ereignis[Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten] ) nichts. Die Zusatzinformati- on (W (A)), ist nicht bedeutsam.51

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

n Versicherungsverträge heißen insgesamt stochastisch unabhängig, falls gilt:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Sollten nun in einem Versicherungsbestand, bestehend aus stochastisch unabhängigen Versicherungsverträgen, aufgrund zufälliger Umstände mehrere Versicherungsfälle gleichzeitig eintreten, so spricht man von einem Kumulrisiko.52

Bei dieser Begriffsdefinition fehlt die Differenzierung zwischen Schäden, die verursacht wurden aufgrund stochastisch unabh ä ngiger Verträge und Schadenzahlungen, die durch stochastisch abh ä ngige Verträge eingeleitet werden.

Wichtig ist, daß diejenigen Fälle vom Kumulrisiko abgegrenzt werden müssen, bei denen ex ante stochastische Abhängigkeit einzelner Versicherungsverträge und da- mit der Schadenzahlung gegeben ist. Auch hierfür kann man das Beispiel von Farny (2000) heranziehen.

Tritt ein Hagelereignis ein und löst einen Versicherungsfall für eine landwirtschaft- liche Nutzfläche aus, so ist davon auszugehen, daß durch das gleiche Ereignis auf benachbartem Grundstückstück ebenfalls ein Versicherungsfall ausgelöst wird. Mindestens ist jedoch die Eintrittswahrscheinlichkeit für das Schadenereignis hö- her. Beide Versicherungsverträge sind stochastisch abhängig. Diesem Problem wird in der Versicherungswirtschaft auf diesem Wege begegnet, daß stochastisch abhän- gige Verträge soweit wie nur möglich als eine vertragliche Einheit behandelt wer- den. Somit schließt das Vorliegen stochastischer Abhängigkeit das Auftreten von Kumulrisiko aus und umgekehrt.53

Kumulrisiko ist nachfolgend als die Anhäufung mehrerer stochastisch unabhängiger Schäden aufgrund eines Ereignisses bei einem Versicherungsunternehmen definiert. Neben dem Kumulrisiko gibt es angelehnt auch noch eine andere Teilmenge von Ereignissen, die im versicherungswirtschaftlichen Sprachgebrauch als Katastro phenrisiko oder Gro ß schadenrisiko bezeichnet wird. Hierunter sind solche Schadenereignisse zu verstehen, wie Vulkanausbrüche, Flugzeugabstürze und anderen Elementarschäden von großen Dimensionen. Hierbei wird eine bestimmte Grenze der Größe der Schäden überschritten, jedoch ist die risikotheoretische Betrachtung hier nicht zielführend, da die Abgrenzung von Groß- und Katastrophenschäden nicht genormt ist. Praktisch ist diese Abgrenzung für die Versicherungsunternehmen sehr wichtig, da hierfür besondere risikopolitische Instrumente zur Verfügung stehen, wie etwa im Bereich der Rückversicherung oder der Bildung von Großschadenreserven.54

Eine weitere Unterart des Zufallsrisikos stellt das Ansteckungsrisiko dar. Durch den Schadeneintritt bei dem einen Versicherungsvertrag wird die Schadeneintrittswahr- scheinlichkeit bei einem anderen Vertrag spontan erhöht, jedoch treten die Schäden nicht gleichzeitig sondern nacheinander ein. Somit ist dann von Ansteckungsrisiko zu sprechen, wenn ein Ereignis nacheinander bei mehreren Versicherungsverträgen Schadenzahlungen auslöst. Um das Zufallsrisiko, gemessen als die mittlere qua- drierte Abweichung der Schadenzahlung von ihrem Erwartungswert, zu messen und auch zu beeinflussen, stehen dem Versicherungsunternehmen mehrere Parameter zur Verfügung.

2.3.2.1.1 Dem Zufallsrisiko entgegenwirken

Wenn wir die versicherungswirtschaftliche Literatur betrachten, so finden wir die Bestätigung dafür, daß jedes versicherte Einzelrisiko im Bestand eines Versiche- rungsunternehmens, welches normalverteilt ist, durch die jeweilig individuellen Ausprägungen der ersten beiden Momente seiner Verteilung55 gekennzeichnet ist. Es gilt somit für jedes versicherte Einzelrisiko, daß innerhalb der betrachteten Peri- ode entweder kein, ein oder mehrere Schadenzahlungen des Versicherungsunter- nehmens ausgelöst werden. Es kommt nun noch darauf an, welche Versicherungsform betrachtet wird. In Abhängigkeit dieser sind grundsätzlich Schadenzahlungen zwischen Null und bestimmten Höchstbeträgen denkbar.56 Es wird keine Schadenzahlung erfolgen, soweit kein Schaden beim Versicherungs- nehmer eintritt. Die Zahlung einer Leistung in einer vorher festgelegten Höhe erfolgt nur dann, wenn während der Versicherungsperiode ein Schaden eintritt und eine Summenversicherung57 vereinbart worden war.

Die ex ante in ihrer Höhe nicht definierte Zahlung erfolgt im Schadenfall im Rahmen einer Schadenversicherung. Hierbei verpflichtet sich der Versicherer innerhalb bestimmter Grenzen dasjenige Geldäquivalent zu leisten, welches zur Kompensation eines individuell entstandenen Schadens notwendig ist.

Die Übereinstimmung von erwartetem Schaden[Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten] E(S) und dem tatsächlichem Schaden [Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten] gilt als zufällig. Ein tatsächlicher Schaden wird in der Regel vom er- warteten Schaden nach oben (Überschaden) oder nach unten (Unterschaden) abwei- chen.

Wie bereits in 2.2.1 ausgeführt, ist der Versicherungsbestand eines Versicherungsunternehmens, mit einem Kollektiv aus n Verträgen, als Linearkombination der einzelnen Versicherungsverträge aufzufassen.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Für den Erwartungswert bzw. die Varianz der Schadenzahlung des Versicherungsbestand gilt:58

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

[...]


1 Vgl. statistisches Taschenbuch der Versicherer (2004), S. 11.

2 Schradin (2001), S. 2.

3 Es wird in der Praxis zwischen Lebens- und Krankenversicherung, Schaden- und Unfallversiche- rung sowie Rechtsschutz- und Kreditversicherung unterschieden. Vgl. Farny (2000), S. 222-223.

4 Vgl. VAG.

5 Vgl. Farny (2000), S. 223.

6 Vgl. hierzu ausführlicher Hofer (2004), S.11-13.

7 Gemäß § 1 Abs. (1) VAG

8 Farny (2000) unterscheidet sieben verschiedene Konzeptionen der Versicherungsbetriebslehre: Entscheidungsorientierte, güterwirtschaftliche,8produktionstheoretische), funktionale, genetische, systemtheoretische, sozial- oder verhaltenswissenschaftliche und informationstheoretische Versicherungsbetriebslehre. Vgl. dazu Farny, Dieter (2000), S. 1-7.

9 Hax, K. (1976a), S.1-48, Zitat von S. 16

10 der Begriff der versicherungstechnischen Risikopolitik wird zu einem späteren Zeitpunkt mit dem versicherungstechnischen Risiko beleuchtet.

11 Vgl. dazu beispielsweise Farny (2000), S.22-23.

12 Vgl. hierzu Farny,D. (2000), S.22.

13 Vgl. Farny.D. (2000), S. 22

14 Die Übernahme von Wahrscheinlichkeitsverteilungen von Realschäden ist die Ausnahme. Sie bedeutet, dass das Versicherungsunternehmen im versicherten Schadenfall Realgütersatz leistet. In der Glasversicherung ist es dazu bedingungsgemäß berechtigt.

15 Vgl. Helten (1994), S. 40-43.

16 Vgl. den Duden - das Herkunftswörterbuch, Etymologie der deutschen Sprache, 2. Aufl., Mann- heim 1989

17 Vgl. dazu ausführlich Banse, G.; Bechmann, G.(1998), S.29-43

18 siehe Braun, H.(1984), S. 22ff.; Karten, W. (1972), S 147-169.; Philipp, F.(1967), S. 34-37

19 Vgl. Helten, E.(1994a), S.2 und Michaels, B,(1999), S.233-254.

20 Vgl. in deutschsprachiger Literatur z.B. Albrecht, P. S.325-339; Haller, M. (1984), S.513.558; Schmidt, G.(1978), S. 85-98

21 Bestünde nicht die Möglichkeit, den einzelnen Zuständen eine Wahrscheinlichkeit zuzuordnen, so läge Unsicherheit im engeren Sinne vor. Vgl. Laux (1998), S. 22f.

22 Farny (1995), S. 17.

23 Vgl. Farny, D. (2000), S. 26-27.

24 Vgl. Farny, D. (2000) S. 29.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

25 Die Charakterisierung einer Wahrscheinlichkeitsfunktion bzw. Dichtefunktion wird am vollstän- digsten durch ihre jeweilige Verteilungsfunktion vorgenommen. Die Normalverteilung bildet hierbei insofern eine Ausnahme, da sie sich durch ihre ersten beiden Momente vollständig beschreiben läßt.

26 Vgl. Fisz, M. (1989), S.88.

27 Vgl. Fisz (1989), S.90.

28 Negative Abweichungen vom Erwartungswert stellen damit die Verlustgefahr dar, während positive Abweichungen vom Erwartungswert die Gewinnchancen repräsentieren.

29 Vgl. Karten (1966), Seite 15.

30 Für die Definition der Varianz bzw. Standardabweichung vgl. Fisz (1989), S. 90-96.

31 neben der Standardabweichung gibt es noch eine Reihe weiterer Risikokennziffern auf die im Verlaufe dieser Arbeit noch sehr explizit eingegangen wird, jedoch zur ersten Orientierung und Einführung gilt obiges.

32 genauer hierzu Fisz (1989), S. 77-85.

33 Siehe hierzu u.a. Hesberg/Nell/Schott (1994), S. 325-339.

34 Es liegen die Beobachtungen beim Versicherungsgeschäft zugrunde, daß Schadenereignisse, die bei einem Versicherungsnehmer sehr unregelmäßig auftreten, bei einer größeren Menge von Versi- cherungsnehmern im Durchschnitt regelmäßiger auftreten. Diese Regelmäßigkeit wird auch als sta- tistische Gesetzmäßigkeit bezeichnet. Wenn solche Regelmäßigkeiten von Schadenereignissen ver- mutet bzw. sogar in einem bestimmten Zeitraum bei einer bestimmten Menge von Versicherungs- nehmern beobachtet worden sind, so faßt man möglichst viele dieser Versicherungsnehmer in einem Risikokollektiv zusammen, um somit den Ausgleich der Schäden im Kollektiv zu realisieren.

35 Vgl. Farny, D.(2000), S.80.

36 Vorhersehbar.

37 Vgl. Helten (1994), S. 7 sowie Groffmann (1995), S 18.

38 Erläuterung und Veranschaulichung erfolgt im Verlaufe dieser Arbeit.

39 Grafik zur verbalen Erläuterung siehe Anhang 1.

40 Vgl. Farny (2000), S. 82; Helten (1994a), S. 47-48.

41 Jeder Versicherungsfall muß zufallsbedingt sein, da andernfalls durch Verhaltensveränderungen des Versicherungsnehmers oder anderen, dem Versicherungsgedanken entgegenwirkenden Umstän- den, das Vorliegen einer Versicherung ausgeschlossen wird. Dieses eben geschilderte Verhalten der Versicherungsnehmer wird zwar in der Praxis beobachtet und unter dem Begriff „agency theorie“ (hier speziell: „Moral Hazard“) diskutiert, ändert aber nichts an dem Umstand, dass zum Vorliegen einer Versicherung der Eintritt eines Schadenfalles ex ante zufallsbedingt sein muß.

Die Zufallsbedingheit kann, muß aber nicht bei der Kompensationsleistung im Schadenfall vorliegen. In diesem Zusammenhang ist bspw. an eine Risikolebensversicherung zu denken: Der die Kompensationsleistung auslösende Schadenfall ist der Tod des Versicherungsnehmers. Dieser ist zufallsbedingt. Die Höhe der Versicherungsleistung an dessen Hinterbliebene dagegen ist durch Vertrag determiniert. Vgl. hierzu Groffmann (1995), S. 18-23.

42 Vgl. Farny (2000), S.80.

43 Vgl. Farny (2000), S.30.

44 Vgl. Farny (2000), S. 85.

45 Auf das Zufallsrisiko wird im Laufe der Arbeit in 2.2.2.2.1 ausführlich eingegangen.

46 Vgl. Helten (1994a), S. 54.

47 dies ist ein Merkmal der Bestandsgröße Vgl. Farny (2000), S. 88.

48 Vgl. hierzu Farny (2000), S. 45-47 und 85.

49 Vgl. Farny (2000), S. 90-93.

50 Bereits in 2.2.1 wurde angedeutet, daß der Versicherungsbestand als Linearkombination der einzelnen Versicherungsverträge aufgefasst werden kann.

51 Für die Definition der stochastischen Abhängigkeit bzw. der stochastischen Unabhängigkeit, sowohl paarweise als auch insgesamt vgl. Fisz (1980), S. 41-43.

52 Farny nennt in diesem Zusammenhang den Münchner Hagelsturm vom 12. Juli 1984 als Beispiel. Vgl. Farny (2000), S. 86.

53 Vgl. Farny (2000), S. 87.

54 Vgl. Farny (2000), S. 87.

55 Zu den Momenten der Verteilung wird im Laufe der Arbeit noch etwas gesagt. Vgl. hierzu Fisz (1989), S. 90-96.

56 Theoretisch sollte auch der Fall unendlich hoher Schäden vorstellbar sein. Es besteht dabei jedoch die Schwierigkeit, daß die Fähigkeiten des jeweiligen Versicherungsunternehmens, Schäden zu kompensieren, auch begrenzt sind. Somit ist der Fall der unendlich hohen Schäden in der Praxis nicht von Bedeutung.

57 Summenversicherung meint, daß bei Versicherungsvertragsabschluß die Versicherungsleistung der Höhe nach bereits vor Eintritt des Schadens in den Vertrag mit aufgenommen wird. Bekanntes Beispiel hierfür ist die (Risiko-) Lebensversicherung. Egal welcher materielle oder immaterielle Verlust durch den Tod des Versicherungsnehmers entstanden ist, die begünstigte Person erhält die im Vertrag vereinbarte Summe. Vgl. hierzu Farny (2000), S. 369.

58 Für die ersten beiden Momente einer mehrdimensionalen Linearkombination vgl. Fisz, (1980), S. 104-117 sowie Maurer (2000), S.50-53.

Ende der Leseprobe aus 109 Seiten

Details

Titel
Steuerungsorientierte Risikokennzahlen und Performancemaße in der Schaden- und Unfallversicherung
Hochschule
Universität der Bundeswehr München, Neubiberg  (Lehrstuhl für Finanzwirtschaft und Finanzdienstleistungen)
Veranstaltung
Wirtschafts- und Organisationswissenschaften
Autor
Jahr
2005
Seiten
109
Katalognummer
V195298
ISBN (eBook)
9783656211471
Dateigröße
845 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Risiko, Risikomaße, Value at risk, Risikokennzahlen, Versicherung, Versicherungsrisiko, Ausfallrisiko, Ausfallrisikomessung
Arbeit zitieren
Thomas Grube (Autor:in), 2005, Steuerungsorientierte Risikokennzahlen und Performancemaße in der Schaden- und Unfallversicherung, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/195298

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