Schülerpartizipation bloß ein Alibi?

Möglichkeiten, Grenzen und (Aus-)Wirkungen am Beispiel ausgewählter Schülerparlamente an Schulen mit dem Förderschwerpunkt Lernen in Rheinland-Pfalz


Diplomarbeit, 2012

141 Seiten


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung
1.1 Motivation meiner Arbeit
1.2 Aufbau der Arbeit

2. Theoretischer Hintergrund
2.1 Partizipation
2.1.1 Was ist Partizipation?
2.1.2 Rechtliche Grundlagen
2.1.3 Kinder- und Jugendbericht Rheinland-Pfalz
2.1.4 Formen der Partizipation
2.1.5 Partizipationsfördernde Strukturen an Schulen
2.2 Förderschwerpunkt Lernen
2.2.1 Der Begriff der Lernbehinderung
2.2.2 Ursachen von Lernbehinderung
2.2.3 Verfahren zur Beurteilung von Lernbehinderung
2.3 Warum Partizipation an Schulen
2.4 Das Schülerparlament

3. Methodik
3.1 Stand, Auf- und Ausbau der Schülerparlamente in Rheinland-Pfalz
3.2. Der Weg zum Schülerparlament - Aufbauphasen
3.3 Aufbau des Fragebogens

4. Auswertung des Fragebogens

5. Möglichkeiten, Grenzen und (Aus-)Wirkungen des Schülerparlaments
5.1 Möglichkeiten, Grenzen und (Aus-)Wirkungen bei den Schülern
5.1.1 Möglichkeiten und ihre (Aus-)Wirkungen
5.1.2 Grenzen und ihre (Aus-)Wirkungen
5.2 Möglichkeiten, Grenzen und (Aus-)Wirkungen an der Schule
5.2.1 Möglichkeiten und ihre (Aus-)Wirkungen
5.2.2 Grenzen und ihre (Aus-)Wirkungen

6. Fazit und Ausblick

Literaturverzeichnis

Online Quellen

Abbildungsverzeichnis

Eidesstattliche Erklärung

Anhang

UN - Kinderrechtskonvention

Sozialgesetzbuch Achtes Buch - Kinder und Jugendhilfe Landesgesetz zur Förderung der Jugendarbeit und Jugendsozialarbeit (Jugendförderungsgesetz)

Rheinland-pfälzische Gemeindeordnung und Landkreisordnung

Landesgesetz über die Schulen (SchulG)

Aktionsprogramm "Kinderfreundliches Rheinland-Pfalz - Politik für Kinder mit Kindern"

Agenda 21

Satzung des Schülerparlaments

Wahlzettel zur Wahl des Schülerparlaments

Urkunde nach Ablauf der Legislaturperiode

1. Einleitung

1.1 Motivation meiner Arbeit

Partizipation ist in aller Munde. Schlägt man die Zeitung auf, so kommt es häufig vor, dass Ortsräte, gemeinsam mit ihren Jugendräten auf Fotos posieren. Damit wollen sie zeigen, dass in ihrem Ort ein großer Wert auf die Jugend gelegt wird und somit auch Partizipation betrieben wird. Kommunen bemühen sich ebenfalls um mehr Offenheit für die Kinder: Sie versuchen der Jugend beispielsweise durch spezielle ‚Kindersprechstunden‘ die Möglichkeit zu geben, ihr Recht auf Beteili- gung zu nutzen. Durch Spielleitplanungen in Städten und Gemeinden haben Kin- der und Jugendliche die Möglichkeit ihre Wünsche zu einer kinderfreundlichen Gestaltung ihres Ortes kund zu tun.

Auch in der Kinder- und Jugendhilfe - in §8 1 SGB VIII - sollen die Kinder und Jugendlichen gemäß ihres Alters an den sie betreffenden Entscheidungen beteiligt werden.

Dies sind alles Bereiche in denen Partizipation stattfindet. Wie sieht es aber in den Schulen unseres Bundeslandes aus?

Jeder kennt - mehr oder weniger - die gesetzlich vorgesehene Form der Schüler- partizipation: die Schülervertretung (SV). Allerdings, so habe ich die Erfahrung machen müssen, waren die Mitwirkungsmöglichkeiten auf Grund der festgelegten Anzahl an Vertretern (Klassen und Schülersprecher) sehr begrenzt. Auch die Chancen etwas an der Schule verändern zu können, sind teilweise auf Grund der begrenzten Mittel der Schulen, sowie des engen Aktionsrahmens der SV gering.

Wenn dies an Regelschulen schon schwierig ist, wie ist Schülerpartizipation dann an Förderschulen geregelt? Wer sorgt dort dafür, dass die Schüler ihre gesetzlich festgeschriebenes Recht auf Beteiligung auch tatsächlich wahrnehmen? Oder ist Schülerpartizipation dort bloß ein Alibi?

Im Rahmen meiner Tätigkeit als pädagogischen Fachkraft an verschiedenen Schulen mit dem Förderschwerpunkt Lernen im Rhein-Lahn-Kreis, sowie im Kreis Mayen-Koblenz konnte ich beobachten, dass es sich dort tatsächlich schwierig gestaltet, selbst die normalen Treffen der SV zu gewährleisten. Die Schüler sind auf Grund ihres sozio-kulturellen Hintergrunds oftmals schlichtweg kognitiv nicht zu einer solch selbständigen Tätigkeit in der Lage. Trotz wachsender Komplexität von Staat, Gesellschaft, sowie von sozialen Beziehungs- und Kooperationsformen im alltäglichen Leben wird Partizipation zunehmend zu einer anspruchsvollen Aufgabe, die von den Individuen vielerlei Fähigkeiten und Kompetenzen verlangt3. Die Schule bieten einen guten Rahmen um Partizipation zu erlernen.

Dessen war sich auch die Bund-Länder-Kommission (BLK) für Bildungsplanung und Forschungsförderung bewusst, als sie im Jahre 2002 das BLK-Programm ‚Demokratie lernen und leben’ beschloss, welches sich der Förderung demokrati- scher Handlungskompetenz und der Entwicklung einer demokratischen Schulkul- tur annehmen sollte. Deutschlandweit bekamen viele Schulen die Chance an die- sem Programm teilzunehmen. Auch aus Rheinland-Pfalz waren einige Schulen - auch Schulen mit Förderschwerpunkten - beteiligt. Jedoch gab es kein festes Konzept, sondern viele verschiedene Formen der Schülerparlamente. Auch ist es nicht ganz klar, inwiefern diese Parlamente auf der Stufe der Selbstbestimmung existieren.

Das zu Beginn dargestellte Zitat von Marissa Mayer zeigt meines Erachtens viele Punkte der positiven Auswirkungen von Partizipation auf. Durch Partizipation ist es möglich Netzwerke aufzubauen, welche zu Zusammenarbeit führen, welche ihrer- seits zu Kreativität und Innovation führen, welche - so Mayer - die Fähigkeit be- sitzen, die Welt zu verändern. Nun ist es im Rahmen dieser Diplomarbeit nicht möglich die Welt zu verändern. Sollte es nicht einen Versuch wert sein dies bei einer Schule zu versuchen um lernbehinderten Schülern auch die Chance zu ge- ben selbst mitzubestimmen?

Die vorliegenden Arbeit widmet sich dem Thema ‚Schülerpartizipation bloß ein Alibi? - Möglichkeiten, Grenzen und (Aus-)Wirkungen am Beispiel ausgewählter Schülerparlamente an Schulen mit dem Förderschwerpunkt Lernen in Rheinland- Pfalz‘.

Nach meinen persönlichen Erfahrungen stellte sich mir die Frage, ob Schülerparti- zipation an Schulen mit Förderschwerpunkt bloß Alibi-mäßig betrieben wird. Auf Grund dessen versucht diese Arbeit zum einen, ein Leitfaden für diejenigen zu sein, die gerne ein Schülerparlament aufbauen möchten. Auf der anderen Seite widmet sie sich der Beantwortung der Fragestellung und stellt dar, ob Schülerpar- tizipation wirklich nur ein Alibi ist und welche Möglichkeiten, Grenzen und (Aus-)Wirkungen sie im Rahmen eines Schülerparlaments mitbringt bzw. nach sich zieht. Die vorliegende Arbeit bezieht sich auf ausgewählte Schülerparlamente in Rheinland-Pfalz. Eines dieser Parlamente wurde im Rahmen der Diplomarbeit aufgebaut und begleitet.

1.2 Aufbau der Arbeit

Um die Fragestellung dieser Arbeit vollständig beantworten zu können sind die Kapitel wie folgt gegliedert:

Kapitel 2 gibt einen Überblick über die Theoretische Hintergründe dieser Arbeit.

Zunächst wird auf das Konzept der Partizipation eingegangen um dieses theoretisch zu fundieren. Hierbei wird erklärt, was unter Partizipation zu verstehen ist, welche rechtlich relevanten Grundlagen es für die vorliegende Arbeit gibt und welche Formen von Partizipation existieren.

Im Folgenden wird der Förderschwerpunkt Lernen theoretisch hinterlegt, um eine Vorstellung davon zu bekommen, was der Begriff bedeutet und welche Ursachen eine Lernbehinderung haben kann.

Im Anschluss daran wird erläutert, warum es wichtig ist auch an Schulen partizipativ zu arbeiten.

Den Abschluss dieses Kapitels bildet die Auseinandersetzung mit dem Prinzip des Schülerparlaments.

sein

Nachdem die Grundlagen gelegt wurden, stellt Kapitel 3 schließlich den empiri- schen Teil dieser Arbeit dar. Dieser befasst sich genauer mit dem methodischen Vorgehen der Befragung. Der aktuelle Stand von Partizipationsprojekten in Rhein- land-Pfalz, wie auch die einzelnen Arbeitsphasen und der Aufbau des Fragebogens werden hier beschrieben.

In Kapitel 4 werden die Ergebnisse der Befragung ausgewertet und beschrieben.

Kapitel 5 gibt einen Überblick über die denkbaren Möglichkeiten, Grenzen und deren (Aus-)Wirkungen von Schülerpartizipation im Rahmen eines Schülerparlamentes, aufgegliedert nach Schülern und Schule.

Den Abschluss dieser Arbeit bildet das Kapitel 6, in welchem ein Fazit dieser Ar- beit gezogen und eine Antwort auf die Fragestellung dieser Arbeit gegeben wer- den. Im Anschluss daran folgt ein Ausblick auf eine mögliche Fortführung dieser Forschungsarbeit.

Lesehinweis:

Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird auf die Bezeichnung der jeweils weib- lichen Form verzichtet. Ich bitte die Leserinnen und Leser um Verständnis und Nachsicht.

2. Theoretischer Hintergrund

Nach dem Lesen dieses Kapitels sollen folgende Dinge verständlich sein.

Zum einen sollen im Folgenden die Definitionen der Begriffe ‚Partizipation‘ und ‚Förderschwerpunkt Lernen‘ gegeben werden. Darüber hinaus werden diese Be- griffe mit weiteren Informationen, welche für das Verständnis dieser Arbeit, wichtig sind angereichert.

Nach der Klärung der Grundlagen wird folgender Frage auf den Grund gegangen: ‚Warum soll Partizipation an Schule stattfinden?‘. Dies ist nötig um sich der Fragestellung dieser Diplomarbeit anzunähern.

Den Abschluss dieses Kapitels bildet das Unterkapitel ‚Das Schülerparlament‘, welches eine kurze Einführung in die Thematik solcher Parlamente gibt.

2.1 Partizipation

Dieses Unterkapitel möchte zunächst eine Definition von Partizipation geben. Im Anschluss daran folgen rechtliche Grundlagen zum Thema Partizipation, welche für diese Arbeit als wichtig erschienen. Weiterhin werden verschiedenen Formen der Partizipation aufgezeigt, die partizipationsfördernden Maßnahmen bilden den Abschluss des Kapitels.

2.1.1 Was ist Partizipation?

Der Begriff Partizipation stammt von dem lateinischen Wort ‚particeps‘, was so viel heißt wie ‚an etwas teilnehmen‘ oder ‚beteiligt sein‘. In unserem Sprachgebrauch wird darunter auch die Gestaltung politischer Prozesse verstanden.

„Partizipation heißt, Entscheidungen, die das eigene Leben und das Leben der Gemeinschaft betreffen, zu teilen und gemeinsam Lösungen für Probleme zu fin- den.“ 4

Hierdurch soll den Betroffenen ermöglicht werden ihre Gegenwart und Zukunft mit zu prägen und bedeutet dementsprechend Mitgestaltung, aber auch Mitverantwor- tung. Partizipation steigert die Identifikation des Einzelnen mit der Gesellschaft und mit dem mitgestalteten Projekt/Prozess und fördert das Erlernen demokrati- schen Handelns.5

Die Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe (AGJ) unterscheidet bei Beteiligung zwischen6

- dem Bürgerrecht auf Teilnahme aller an gesellschaftlichen Lebensweisen und durchschnittlichen gesellschaftlichen Entwicklungen (z.B. Recht auf Arbeit und Wohnen, Wahlrecht)
- individueller Teilhabe als Nutzer von sozialen Angeboten und Diensten durch bewusste, reflexive Einbeziehung (z.B. Interessenartikulation in Kinder- und Jugendräten, Hilfeplanung, Befragungen)
- demokratischem Recht auf aktive Beteiligung des Subjekts (z.B. Selbstorganisation/Engagement in Vereinen und Verbänden, Mitwirkung in Projekten, Bürgerentscheid)

Jede dieser drei Formen ist für sich genommen wichtig. Jedoch entsteht Partizipa- tion im Sinne dieser Arbeit durch das Zusammenwirken und Beachten aller For- men.

Nach KORCZAK/GOLDSZMIT ist Partizipation außerdem eine Frage der Gleichwürdigung von Kindern: „Kinder sind Menschen, keine Menschwerdenden.“ 7

Gerade in der Zusammenarbeit mit Kindern und Jugendlichen empfiehlt es sich Qualitätskriterien aufzustellen, um von vorneherein zu verhindern, dass die Kinder und Jugendlichen nicht überhört werden. Denn auf Grund der immer zahlreicher werdenden Projekte zum Thema Partizipation gerade in Gemeinden oder eben auch Schulen kann man davon sprechen, dass Partizipation zu einer Modeer- scheinung geworden ist. PHILIPP OECHSLI nennt einige wichtige Kriterien:8

1. Betroffenheit: Als erstes, wichtiges Kriterium nennt er die Betroffenheit der Kinder oder Jugendlichen. Denn Partizipation mit jungen Menschen ist nur möglich, wenn das Thema oder der Gegenstand die Kinder und Jugendlichen direkt betrifft.
2. Einbezug aller Betroffenen: Außerdem ist es wichtig, alle vom Projekt Be- troffenen direkt mit einzubeziehen, denn es nützt nichts, wenn Kinder beispielsweise ein Spielplatzprojekt ausarbeiten, welches durch betroffene Nachbarn dann durch Einsprüche verhindern.
3. Verbindlichkeit ist ein weiteres, wichtiges Schlagwort. Es darf nicht zu viel versprochen werden. Die Beurteilungen von Partizipationsergebnissen müssen ehrlich und realistisch sein. Zugleich fördert dies auch die Trans parenz für Kinder und Jugendliche.
4. Altersgerechte Methoden: Die Methoden zur Mitwirkung von Kindern und Jugendlichen müssen altersgerecht gehalten werden, das heißt mit der Zielgruppe abgestimmt sein. Abstraktere Themen müssen dementsprechend veranschaulicht werden.
5. Offenheit: Die Ergebnisse dürfen nie im Voraus bekannt sein. Ziele sollten den Rahmen abstecken, der mit den Zielgruppen gemeinsam definiert wur- de.
6. Kontinuität: Strukturen dauerhafter Mitbestimmung sind punktuellen Mit- wirkungsmöglichkeiten vorzuziehen. Dies bedeutet nicht, dass immer die gleichen Personen mitwirken.

- Weitere wichtige Punkte in Bezug auf Akzeptanz und Wirkung für Partizipation bei jungen Menschen hat die AGJ festgehalten:9
- Junge Menschen stehen als Subjekt und Experten ihres eigenen Wollens und Könnens im Mittelpunkt. Beteiligungsmodelle sind weder Alibiveranstaltungen für Kommunen, Parteien oder Mandatsträger, noch ‚Rekrutierungseinrichtungen‘ für Erwachsenenorganisationen
- Beteiligungsmodelle sollen unmittelbar im Lebensumfeld ansetzen, denn so kann die Kreativität am besten entfaltet werden
- Eigenwirkung der von jungen Menschen akzeptierten Beteiligungsmodelle. Sie hinterlassen erkennbare Spuren in den jugendlichen Lebenswelten, der Politik und Verwaltung
- Wirkungsvolle Beteiligungsmodelle setzen die Akzeptanz und Unterstüt- zung von Politikern der öffentlichen Verwaltung und von weiteren Organisa- tionen voraus. Sie benötigen von dort ernsthafte Kooperationspartner ebenso wie kontinuierliche Begleitung und fachliche Unterstützung. Dies gilt hauptsächlich für die sozialpädagogische Ebene, jedoch kann man dies auch auf die schulische Ebene transferieren, wie im weiteren Verlauf dieser Arbeit dargelegt werden soll.

Nachdem nun wesentliche Eckpfeiler des Prinzips der Partizipation veranschaulicht worden sind, soll im Folgenden auf die rechtlichen Grundlagen von Partizipation eingegangen werden.

2.1.2 Rechtliche Grundlagen

Die an allen Schulen gesetzlich vorgegebenen Schülervertretungen (SV) haben klare Richtlinien bezüglich ihrer Wahl und ihres Handlungsspielraums. Vor dem Hintergrund der Vielzahl gesetzlicher Grundlagen für die Partizipation von Schülern ist es erstaunlich, in welch engen Rahmen diese agieren können. Vor allem, wenn man bedenkt, dass Kinder im Vergleich zu Erwachsenen grund- sätzlich gleichberechtigt sind. Sie sind genau wie Erwachsene rechtsfähig bezie- hungsweise gleichermaßen grundrechtsfähig. Genau dies hat das Bundesverfas- sungsgericht ganz konkret vor circa 30 Jahren mit folgendem Ausspruch zum Ausdruck gebracht:

„Das Kind ist ein Wesen mit eigener Menschenwürde und dem eigenen Recht auf Entfaltung seiner eigenen Persönlichkeit im Sinne des Artikel

1 Abs. 1 und Artikel 2 Abs. 1 Grundgesetz.“ 10

Im Folgenden werden weitere rechtliche Grundlagen zur Partizipation von Kindern und Jugendlichen aufgeführt. Die einzelnen Paragrafen werden nur stichpunktartig im Sinne einer Zusammenfassung wiedergegeben. Im Anhang dieser Diplomarbeit sind die Auszüge der relevanten Gesetzestexte ohne Kürzungen zu finden. Zu- nächst werden die allgemeineren, aber dennoch rechtlich relevanten Gesetzestex- te aufgeführt um dann zu den für diese Arbeit im speziellen wichtigen Rechtstex- ten zu kommen.

Die UN-Kinderrechtskonvention ‚Übereinkommen über die Rechte des Kin- des‘ vom 20.11.1989, ratifiziert durch den Beschluss des Bundestages vom 05.04.1992, möchte einen rechtlichen Mindeststandard garantieren, welcher sich in drei Kategorien aufteilen lässt: Versorgung, Schutz und Partizipation. Die Mit- gliedsstaaten verpflichten sich zur Anerkennung dieser Konvention. Sie ist die am allgemeinsten gehaltene rechtliche Verordnung, da sie länderübergreifend gilt. Dementsprechend ungenau sind die Forderungen nach Partizipationsrechten für Kinder formuliert. Es wird hier lediglich von der freien Meinungsäußerung im All- gemeinen, sowie im speziellen gesprochen. Im speziellen bedeutet, dass die freie Meinungsäußerung des Kindes in Bezug auf die das Kind berührende Angelegen- heiten explizit gefordert wird. Die Rechte auf Partizipation sind in den folgenden Artikeln festgeschrieben:

- Artikel 12 - Berücksichtigung des Kindeswillens
- Artikel 13 - Meinungs- und Informationsfreiheit

Die Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen sind aufgefordert, diese Kinderrechte auch in ihrer nationalen Gesetzgebung zu verankern.

In Deutschland geschieht dies im ‚Kinder- und Jugendhilfegesetz ‘ (KJHG) oder ‚Sozialgesetzbuch‘ (SGB) VIII. Seit dem 1. Januar 1991 wird ihnen im KJHG ein verstärktes Mitspracherecht bei Angelegenheiten, welche sie betreffen einge- räumt. In diesem Zusammenhang sind die folgenden Paragrafen besonders rele- vant:

- §8 Beteiligung von Kindern und Jugendlichen
- §11 Jugendarbeit
- §80 Jugendhilfeplanung

Das KJHG geht wesentlich konkreter auf die Rechte der Kinder ein und fordert Kinder und Jugendliche „entsprechend ihrem Entwicklungsstand an allen sie betreffenden Entscheidungen [ … ] zu beteiligen“ 11. Weiterhin wird gefordert Kindern und Jugendlichen Angebote zur Förderung ihrer Entwicklung bereitzustellen, bei denen selbige ihre Position vertreten und das Angebot mitgestalten können. Hierdurch sollen sie zur Selbstbestimmung befähigt und an gesellschaftliche Mitverantwortung herangeführt werden.

Das Kinder- und Jugendhilfegesetz wurde im ‚rheinland-pfälzischen Landesge- setz zur Ausführung des Kinder- und Jugendhilfegesetzes‘ (AGKJHG) vom 21. Dezember 1993 konkretisiert. Dies geht allerdings zu spezifisch auf die Jugendhilfe ein, so dass dies hier nicht weiter ausgeführt wird.

Im ‚Landesgesetz zur Förderung der Jugendarbeit und Jugendsozialarbeit‘ (Jugendförderungsgesetz) ist die Mitbestimmung in der Jugendarbeit gesetzlich verankert. Besonders relevant ist hier

- §2 Jugendarbeit

Dort werden explizit die Merkmale der Jugendarbeit festgelegt, welche unter ande- rem durch Freiwilligkeit sowie durch die Möglichkeit der aktiven Mitgestaltung cha- rakterisiert ist.

Auch in der ‚rheinlandpfälzischen Gemeindeordnung und Landkreisordnung‘ gibt es eine Vielzahl von Beteiligungsbestimmungen wie Unterrichtung und Bera- tung, Einwohnerversammlung, Fragestunden, Anregungen und Beschwerden, so- wie Einwohnerantrag, die allesamt für ‚Einwohner‘, also damit auch für Kinder und Jugendliche gelten.

Schülerpartizipation im Speziellen ist in Rheinland-Pfalz, wie auch in an anderen Bundesländern im Schulgesetz festgeschrieben. Weiterhin ist hier, als besondere Aufgabe der Schule ausdrücklich festgeschrieben, Kinder und Jugendliche zur Übernahme demokratischer Aufgaben zu führen und ihnen in der Schule Mitbe- stimmung zu garantieren. Das rheinland-pfälzische Landesgesetz über die Schulen‘ (SchulG) wurde 1992 mit dem ausdrücklichen Ziel, die Prinzipien des demokratischen Zusammenlebens wieder stärker ins Bewusstsein zu rücken und nachdrücklicher einzufordern erneuert. Die letztmalige Erneuerung fand am 22. Dezember 2009 statt.

Die für diese Arbeit relevanten Paragrafen aus dem SchulG sind:

- §1 Auftrag der Schule
- §3 Schülerinnen und Schüler
- §31 Vertretungen für Schülerinnen und Schüler
- §32 Klassenversammlung
- §36 Schülerzeitungen
- §48 Schulausschuss

Das Recht auf Schülerpartizipation wird in §1, welcher die Aufgaben der Schule formuliert, zunächst allgemein beschrieben. Schule soll die Schüler zur Selbstbe- stimmung sowie zur Übernahme sozialer und politischer Aufgaben im freiheitlich- demokratischen Rechtsstaat erziehen. §3 beinhaltet die alters- und entwicklungs- gerechte Einbindung von Schülern in die Entscheidungsfindung über das Unter- richtsgeschehen sowie in außerschulischen Bereichen. Diese Möglichkeiten müs- sen, laut Gesetz, von der Schule bereitgestellt werden. §31 handelt im Folgenden konkret von Vertretungen für Schüler und bildet die gesetzliche Grundlage der SV- Arbeit. Diese sollen bei der Verwirklichung der Erziehungs- und Bildungsziele der Schule eigenverantwortlich mitwirken. Die SV führt aktiv die Beteiligungsrechte aller Schüler aus.

Es wird auch explizit darauf hingewiesen, dass Schüler an Förderschulen, ihren Möglichkeiten und Fähigkeiten entsprechend am Schulleben beteiligt werden müssen, sofern es nicht möglich ist eine SV zu bilden.

Die Landesregierung Rheinland-Pfalz hat am 4. Juli 1995 ein Aktionsprogramm ‚Kinderfreundliches Rheinland-Pfalz - Politik für und mit Kindern‘ beschlossen, da die Politik mit Kindern und nicht nur für Kinder zu gestalten ein ausdrückliches Anliegen war.

Auch in der ‚Agenda 21‘, welches ein entwicklungs- und umweltpolitisches Akti- onsprogramm für das 21. Jahrhundert der Konferenz für Umwelt und Entwicklung der UN ist, gibt es Grundlagen für die ‚aktive Einbeziehung‘ der Jugendlichen.

2.1.3 Kinder- und Jugendbericht Rheinland-Pfalz

Partizipation ist auch im 1. Kinder- und Jugendbericht des Landes Rheinland-Pfalz ein Thema. Dieser bezieht sich zum Teil auf den 13. Kinder- und Jugendbericht der Bundesregierung. Hier heißt es zum Thema Partizipation: Sozialisation sei auf Grund der Tatsache, dass die Erfahrung sich selbst als Hand- lungsmächtig zu erleben eine zentrale Voraussetzung dafür ist, sein Leben als kohärent zu erleben, nicht nur ein bloßer Kompetenzerwerb, sondern auch eine Handlungsbefähigung im Sinne des Erfahrens einer erfolgreichen Wirkung des eigenen Handelns. Hierzu bedarf es gewissen Bedingungen, damit sich Kinder und Jugendliche als wirkmächtig erfahren können. Als wichtigen Indikator für das partizipative Klima gibt der 13. Kinder- und Jugendbericht des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) das bürgerschaftliche Enga- gement an. Denn hier haben die Menschen die Möglichkeit ihre eigenen Wir- kungsmöglichkeiten durch selbstbestimmtes Handeln zu erfahren, wodurch sie wichtige Erfahrungen und Fähigkeiten erwerben.12 Wie auch schon in der Perplex- Studie13 bestätigt, liefert das Freiwilligenengagement Gelegenheitsstrukturen für die Identitätsfindung als Bürger sowie auch

„ein Experimentierfeld für die eigene Identitätsarbeit und den Erwerb von Lebenskompetenzen, die in der Reichweite und Nachhaltigkeit der Lernprozesse oft weitüber das hinausreichen, was formelle Lernorte vermitteln.“ 14

Laut dem 1. Kinder- und Jugendbericht des Landes Rheinland-Pfalz ist Partizipati- on damit ein zentrales Querschnittsthema, da sie als Form von Beteiligung junger Menschen in allen Handlungsfeldern der öffentlichen Verantwortung zu finden ist. Der Bericht der rheinland-pfälzischen Landesregierung geht im Folgenden auf 3 Themenbereiche ein:

- Bedeutung von Beteiligung und Mitwirkung der jungen Menschen
- Projekte und Angebote im Land Rheinland-Pfalz
- Aktionsfelder des bürgerschaftlichen Engagements

Partizipation ist als konkrete ‚Mitwirkmöglichkeit‘ von entscheidender Bedeutung in den Themenfeldern Gesundheit, Kinder- und Jugendhilfe sowie Schule. Allerdings ist Partizipation nicht nur ein Querschnittsthema, sondern auch Gegenstand spezi- fischer Projekte oft auch in Verbindung mit dem ‚bürgerschaftlichen Engage- ment‘.15

An dieser Stelle auf die im 1. Kinder- und Jugendbericht Rheinland-Pfalz genannten Partizipationsangebote, -maßnahmen und -projekte einzugehen, wäre nicht zielführend, da auf dieses Thema in Kapitel 3.1 näher eingegangen wird ebenso wie die Formen von Partizipation in Kapitel 2.1.4 gesondert erläutert werden. Im Folgenden geht der 1. Kinder- und Jugendbericht Rheinland-Pfalz auf die Aktionsfelder des Bürgerschaftlichen Engagements ein. Da aber dies nicht Thema dieser Arbeit ist, wird darauf nicht näher eingegangen.

2.1.4 Formen der Partizipation

Es wurde gezeigt, dass es eine große Zahl von gesetzlichen Forderungen nach Partizipation gibt. Allerdings ist Partizipation jedoch nicht gleich Partizipation. Es gibt eine Vielzahl an Formen und Methoden, die in diesem Kapitel erläutert wer- den.

Zunächst einmal gibt es eine Unterscheidung in ‚Partizipation für Kin- der/Jugendliche‘ (Indirekte Partizipation) und eine ‚Partizipation durch Kin- der/Jugendliche‘ (Direkte Partizipation). Der Arbeitskreis ‚Partizipation‘ im Land- kreis Mayen-Koblenz unterscheidet acht verschiedene Formen der Partizipation. (Abbildung 1)

Die einzig rein indirekte Form von Partizipation sind die stellvertretenden und sonstigen Formen. Diese könnten beispielsweise durch einen Kinderanwalt, ein Kinderbüro oder die Bürgermeistersprechstunde abgedeckt sein. Bei der direkten Partizipation werden sieben verschiedene Formen unterschieden.

- Alltägliche Formen können beispielsweise durch einen Feedbackkreis, eine Mecker- und Kritikwand, spontane Kreisgespräche oder durch Schweigesteine im Kindergarten, etc., wahrgenommen werden .
- Punktuelle Formen von Partizipation sind zum Beispiel ein Planspiel, der Besuch eines Kreistags, eine Kindersprechstunde beim Bürgermeister, Be- fragungen.
- Projektorientierte Beteiligungsformen sind zeitlich und thematisch be- grenzte Beteiligungsprojekte, welche oftmals mit kreativen Methoden arbei- ten. (z. B. Zukunftswerkstätten, Spielplatzgestaltung, Verschönerungsaktio- nen, etc.)
- Repräsentative Formen der Beteiligung sind oftmals Gremien mit gewählten oder delegierten Vertreterinnen und Vertretern unterschiedlicher Altersstufen. (Bspw. Kinderparlament, Jugendparlament, Kinder- und Jugendbeirat, Klassen- bzw. Gruppensprecher)
- Die offenen Beteiligungsformen sind durch einen freien Zugang für alle Interessierten Kinder und Jugendlichen und die Möglichkeit zu spontaner Teilnahme gekennzeichnet. Diese sind zum Beispiel Kinder- und Jugendfo- ren, runde Tische, Kinder- und Jugendeinwohnerversammlungen, Kinderkonferenzen, etc.
- Medienorientierte Formen der Beteiligung sollen Kinder und Jugendliche dazu befähigen, sich bewusster und kritisch mit unterschiedlichen Medien auseinandersetzen zu können. Es gibt eine Vielfalt an Möglichkeiten, durch die Kinder und Jugendliche partizipieren können, zum Beispiel durch die Gestaltung von Fernsehprogrammen, Radioprogrammen, Schülerzeitun- gen, Internetseiten von Kindern und Jugendlichen, Kinderseiten in der Ta- geszeitung.
- Partizipation von Kindern und Jugendlichen in Erwachsenenstruktu- ren bietet die Möglichkeit sich innerhalb bestehender Planungsgruppen, in denen hauptsächlich Erwachsene vertreten sind, zu beteiligen. Dies kann teilweise sogar durch Stimmrecht geschehen. (zum Beispiel: Teilnahme an Stadtratssitzungen, Bürgerversammlungen, evangelischer Kirchengemein- de ab 16 Jahren oder Konfirmation, kommunales Wahlrecht ab 16 Jahren in Niedersachen, etc.)

Bei dieser Vielzahl an Partizipationsformen muss für ein gelingendes Projekt die richtige Form gefunden werden.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 1: Partizipation - Formen und Methoden nach dem Arbeitskreis ‚Partizipation‘ im Landkreis Mayen Koblenz 2008, S. 11

Des Weiteren hat der Arbeitskreis ‚Partizipation‘ eine ‚Partizipationsampel‘ entworfen, welche auf der folgenden Abbildung 2 zu sehen ist. Die Abbildung an sich ist selbsterklärend.

Sie ist aufgebaut wie eine Straßenampel. Demnach bedeutet ‚rot‘ die schlechteste Form von Partizipation und ‚grün‘ die Beste.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 2: Beteiligungsampel des Arbeitskreises "Partizipation" des Landkreises Mayen-Koblenz

Derlei Konzepte über Partizipationsstufen gibt es viele. So unterteilen beispiels- weise BRUNER, WINKLHOFER und ZINSER Partizipation in drei Stufen. Die erste Stufe bilden das Recht oder die Möglichkeit zur Mitsprache. Aus der Be- teiligung am Beratungsprozess über gemeinsame Angelegenheiten oder zu tref- fenden Entscheidungen ergibt sich die zweite Stufe, Mitwirkung. Die dritte und letzte Stufe, Mitbestimmung genannt, ergibt sich aus dem Recht auf Beteiligung am Entscheidungsprozess.16

Der Grund sich in dieser Arbeit für die Partizipationsampel zu entscheiden ist, die für Kinder verständliche und selbsterklärende Form, da diese selbst Kinder und Jugendliche erkennen lässt, in welchem Bereich der Partizipation sie sich gerade bewegen. Somit wird mehr Transparenz geschaffen und den Kindern und Jugendlichen fällt es leichter ihre Rechte einzufordern.

2.1.5 Partizipationsfördernde Strukturen an Schulen

Um demokratische Partizipation an Schulen erfolgreich fördern zu können, erfor- dert es zum einen partizipationsfördernde Schulstrukturen und Lernarrangements und zum anderen eine demokratisch-partizipative Schulkultur.17 Nach EIKEL können vor dem Hintergrund der oben genannten Zusammenhänge von Lernen, Werteentwicklung und Partizipation folgende Prinzipien einer demo- kratisch-partizipativen Schulkultur für die Förderung von Partizipation als zentral gelten:

- Transparenz und Kommunikation

Es ist eine Voraussetzung von Partizipation, informiert zu sein, um über- haupt Partizipationsmöglichkeiten zu (er-)kennen und nutzen zu können.

- Selbstbestimmung und Unterstützung

Selbstbestimmung ist nicht nur ein grundlegendes menschliches Bedürfnis, sondern auch ein Prinzip von Partizipation, sowie ein wichtiges Bildungs- ziel. Entscheidungsfreiheiten/-notwendigkeiten im Sinne vielfältiger Wahl- und Mitbestimmungsmöglichkeiten bei relevanten Fragen der Lern und Un- terrichtsgestaltung nehmen dabei eine ebenso zentrale Rolle ein, wie die Möglichkeiten aktiver Mitgestaltung von Schulleben, Schule und außerschulischen Lebensräumen. Wichtiges Merkmal einer demokratischpartizipativen Schulkultur ist dabei nicht das bloße Angebot entsprechender Selbst- und Mitbestimmungsgelegenheiten, sondern auch eine jeweils an den Bedarf der Schüler angepasste (nicht-kontrollierende und anerkennende) Unterstützung in der Wahrnehmung dieser Freiheiten.18

- Zugehörigkeit, Anerkennung und soziale Inklusion

Die gezielte Förderung sozialer Inklusion stellt ein weiteres zentrales Prin- zip demokratisch-partizipativer Schulkultur dar. Auch in den Schulen spie- gelt sich die zunehmende Pluralisierung und Heterogenität unserer Gesell- schaft wieder und birgt neue Herausforderungen für Lehrer und Schüler. Eine demokratisch-partizipative Schulkultur ist nicht nur durch Anerken- nung, sondern auch durch Wertschätzung und Vielfalt gekennzeichnet. Au- ßerdem bietet eine solche Schulkultur vielfache Anlässe und Gelegenhei- ten, um allen Schülern, Lehrern und sonstigen Mitwirkenden Erfahrungen von sozialer Einbindung, Zugehörigkeit und Gemeinsinn zu ermöglichen.19 Wirksamkeit und Erfolgserleben

Welche Relevanz der Aspekt der ‚Wirksamkeit‘ für das Lernen, sowie auch im Zusammenhang von sozialem Engagement und Werteentwicklung be- sitzt, wird in Kapitel 2.3 nochmals detaillierter beschrieben. Für eine demo- kratisch-partizipative Schulkultur kann man folgern, dass beispielsweise im Unterricht nicht nur eine größere Fehlerfreundlichkeit, sondern auch neue Konzepte der Beteiligung und Bezugsnormorientierung bei der Bewertung von Schülerleistungen manifestiert werden sollten, denn „Ein vielfältiges Schulleben fördert die Mitwirkung aller an Schule beteiligten Gruppen und Personen.“ 20 Seitens der Schule bedarf es eines erkennbaren Vertrauens in die Fähigkeiten der Schüler und vielfältiger Möglichkeiten aktiver Verant- wortungsübernahme. Dabei sind unterschiedliche Formen einer expliziten Anerkennung von Schülerpartizipation denkbar.21

Obwohl diese Faktoren sich hauptsächlich auf Schülerpartizipation beziehen, so sollte man stets beachten, dass die ‚Schulkultur‘ stets die gesamte Schule betrifft.

„So spielen solche oderähnliche Klima- und Schulkulturfaktoren nicht nur für das Lernen und die Werteentwicklung von Schülern eine wichti ge Rolle, sondern auch für die Zufriedenheit und Motivation von Lehrern sowie allen anderen an Schulen Beteiligten.“ 22

Neben den soeben erwähnten Prinzipien demokratisch-partizipativer Schulkultur existiert eine weitere entscheidende Voraussetzung zur Förderung von Schülerpartizipation: Die Bereitstellung von Lerngelegenheiten und Kontexten. Abbildung 4 gibt eine Übersicht von partizipationsfördernden Strukturen und Lernarrangements nach dem Beispiel von EIKEL.

Weiter, so EIKEL, ist es wichtig neben einem möglichst breit gefächerten Angebot an Partizipationsmöglichkeiten unterschiedliche Partizipationsmöglichkeiten miteinander zu verzahnen:

„Denn will Partizipation in der Schule nicht nur durch wenige Exklusiv- gruppen realisiert und wirksam werden, sind Vernetzungen eine wichti- ge Voraussetzung. Nicht zuletzt auch, da auf diese Weise mehr Trans- parenz hergestellt und Kooperationen zwischen unterschiedlichen Schülergruppen sowie anderen an Schule Beteiligten ermöglicht wer- den kann.“ 23

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 3:Partizipationsfördernde Strukturen und Lernarrangements in der Schule (aus EIKEL 2007, S.34)

Einige der in der Grafik enthaltenen und im BLK-Programm ‚Demokratie lernen und leben‘24 erprobten Partizipationsansätze sollen exemplarisch skizziert werden. Dabei soll unterschieden werden zwischen Ansätzen, welche hauptsächlich die institutionelle Struktur der Schule betreffen und solchen, die partizipationsfördernde Lehr- und Lernarrangements darstellen.25

Lernarrangements bedeutet in diesem Zusammenhang didaktische Settings, welche im Gegensatz zu partizipationsfördernden Strukturen deutlicher an die in Curricula enthaltenen Lernziele und Themen anknüpfen.

Partizipationsfördernde Lernarrangements

- Service Learning

Hier geht es im Hinblick auf die Schülerbeteiligung hauptsächlich um Förde- rung und Ermöglichung von zivilgesellschaftlichen Engagement sowie akti- ver Verantwortungsübernahme für gemeinnützige Themen und Aufgaben. Service Learning ist an curriculare Bildungsziele und Themen gebunden. Es beteiligt gerade durch die Anbindung an den Unterricht komplette Schul- klassen oder auch übergreifende Arbeits- und Lerngruppen bei der Suche nach Lösungen und der aktiven Bearbeitung von realen und kommunalen Problemen.26

- Deliberationsforum

Das Deliberationsforum stellt ein Lehr- und Lernsetting dar, welches auf der einen Seite mit dem „Deliberieren“27 unterschiedlicher Perspektiven, Meinungen oder Ansichten beschäftigt. Somit kann im Rahmen eines solchen Forums eine hohe Anzahl an potenziell Beteiligten erreicht werden. Auf der anderen Seite wird das Forum von einer kleinen Projektgruppe organisiert, vorbereitet und durchgeführt.

Partizipationsfördernde Strukturen

- Klassenrat

Der Klassenrat ist eine basisdemokratische Einrichtung, welche für unter- schiedliche Formen, Fragen oder Ziele von Beteiligung genutzt werden kann. Hauptsächlich geht es hier um die Regelung des sozialen Miteinan- ders in der Klassengemeinschaft. Weiter werden aktuelle Vorhaben, Prob- leme und Konflikte besprochen. Auch die Beteiligung an Angelegenheiten, welche das gesamte Schulleben betreffen können hier besprochen wer- den.28

- Schülerparlament

Das Schülerparlament ist im Kern eine repräsentative Beteiligungsstruktur, welche die Mitbestimmung von Schülern, ähnlich zur SV, durch Wahlen und die Einrichtung von Gremien ermöglichen soll. Im weiteren Sinne beschreibt es ein Beteiligungsmodell, welches formale und repräsentative Strukturen mit basisdemokratischen Ansätzen vernetzt. Auf diese Weise wird Partizi- pation nicht nur breiter angelegt, sondern auch für unterschiedliche Formen der Schülermotivation geöffnet.29

- Initiativen und Schülerfirmen

Themenspezifische Initiativen sowie Schülerfirmen ermöglichen den Schülern projektorientierte Beteiligung auf freiwilliger Basis. Diese hängen in besonderem Maße von der Initiative der Beteiligten ab, verlangen allerdings auch Anregung und Unterstützung durch Lehrkräfte.30

2.2 Förderschwerpunkt Lernen

In dieser Arbeit geht es um das Phänomen der Partizipation an Schulen mit dem Förderschwerpunkt Lernen. Da lernbehinderte Schüler an Partizipation herangeführt werden sollen, macht es Sinn sich an dieser Stelle mit dem Phänomen der ‚Lernbehinderung‘ zu beschäftigen. Nachdem der Begriff näher erläutert wird, sollen mögliche Ursachen aufgezeigt und abschließend das Verfahren zur Beurteilung von Lernbehinderung erläutert werden.

2.2.1 Der Begriff der Lernbehinderung

Bei der Durchsicht der Literatur zum Thema Lernbehinderung ist festzustellen, dass es nicht möglich ist eine einheitliche Definition des Begriffes zu finden.

Die Begriffe ‚lernbehindert‘ und ‚Lernbehinderung‘ entstanden um das Jahr 1960 im Zuge der Umbenennung der ‚Hilfsschule‘ in ‚Schule für Lernbehinderte‘. Eine allgemeingültige Definition des Begriffes ist bis heute nicht vorhanden. Aller- dings findet man in der Fachliteratur unterschiedliche Perspektiven, aus denen der Begriff definiert wird.

Schüler, die Lern- und Leistungsprobleme aufweisen und deshalb auf besondere schulorganisatorische Maßnahmen angewiesen sind, bezeichnet man im deutsch- sprachigen Raum im Allgemeinen als ‚lernbehindert‘. Es ist nicht einfach, Lern- und Leistungsprobleme inhaltlich klar zu fassen und von anderen Begriffen wie z.B. Schulleistungsschwäche, Lernversagen oder Lernstörungen abzugrenzen.31 HUBER, BLESS, MOSER & KLAGHOFER bezeichnen einen Schüler aus schulorganisa- torischer Sicht als lernbehindert, „wenn er den Anforderungen der Regelschule auch nach ein oder mehrmaliger Klassenwiederholung nicht gewachsen ist“ 32

Aus intelligenzdiagnostischer Perspektive spricht man von Lernbehinderten, „wenn ihr Intelligenzquotient deutlich reduziert, jedoch noch nicht eindeutig im Bereich der geistigen Behinderung ist.“ 33 Bei verschiedenen Autoren sind zum Teil erhebliche Unterschiede in den Grenzbereichen des IQ-Wertes festzustellen.

Ab welchem Bereich des Intelligenzquotienten man von Lernbehinderung spricht, ist national unterschiedlich. Beispielsweise ist der Intelligenzbereich in Deutschland etwas tiefer angesetzt als in anderen Ländern.

Nach der Weltgesundheitsorganisation (WHO), wird dieser folgendermaßen be- wertet: Ein IQ-Wert zwischen 70 - 80 steht für eine ‚Minderbegabung‘. Von einer ‚Normalbegabung‘ hingegen wird gesprochen, wenn der IQ zwischen 90 - 110 liegt.34

Inzwischen ist bekannt, dass sich die Lernprobleme betroffener Kinder nicht ausschließlich über Intelligenztests definieren lassen. Auch eine Schullaufbahnentscheidung lässt sich nicht alleine daraus treffen.

Die mangelnde Aussagefähigkeit der Intelligenztestwerte erklärt sich durch unter- schiedliche Voraussetzungen der zu Testenden, welche allerdings nicht berück- sichtigt werden. Beispielsweise sind hierbei das Nicht-Verstehen von Testinstruk- tionen oder ein geringer Wortschatz zu nennen, welche den IQ-Wert beeinflus- sen.35

Aus lernpsychologischer Perspektive werden Kinder, die überdurchschnittliche Lernschwierigkeiten bei üblichen Lernmethoden vorweisen, als lernbehindert be- zeichnet.36

In der Entwicklungspsychologie hingegen tritt der Aspekt der Entwicklungsverzö- gerung in den Fokus der Betrachtung: betroffene Schüler „stehen im Vergleich zu den Kindern des gleichen Lebensalters auf einer tiefer liegenden Entwicklungsstu- fe“ 37

Die Einordnung von Lernbehinderung als Entwicklungsstörung ist in der ICD-10 Klassifikation zu finden.

Hier sind unterschiedliche Umschreibungen für Lernbehinderung zu finden, die unter dem Überbegriff ‚Entwicklungsstörungen‘ mit der Chiffre ICD-10 F81 stehen. Dies sind vor allem:

- Lese-Rechtschreib-Schwäche, auch Lese-Rechtschreib-Störung oder Legasthenie genannt, siehe ICD-10 F81.0
- Leserückstand, siehe ICD-10 F81.0
- Isolierte Rechtschreibschwäche, auch isolierte Rechtschreibstörung genannt, siehe iCD-10 F81.1
- Rechenschwäche, sowie Dyskalkulie, siehe ICD-10 F81.2
- Kombinierte Störung schulischer Fertigkeiten, siehe ICD-10 F81.3
- Sonstige Entwicklungsstörungen schulischer Fertigkeiten, siehe dazu ICD- 10 F81.8
- Entwicklungsstörung schulischer Fertigkeiten, nicht näher bezeichnet, siehe ICD-10 F81.938

Vor circa zwanzig Jahren kam die soziokulturelle Betrachtungsweise zur Definition des Begriffs Lernbehinderung hinzu. Nach dieser Betrachtungsweise sind Lernbe- hinderte in erster Linie sozial benachteiligte Kinder aus Arbeiterfamilien.39 Im Allgemeinen werden Schüler als lernbehindert bezeichnet, die eine Schule mit dem Förderschwerpunkt Lernen besuchen. Allerdings resultiert der Grund des Be- suches der Förderschule in den meisten Fällen aus dem Schulversagen in der Regelschule.

In der Empfehlung des DEUTSCHEN BILDUNGSRATES von 1973 kann man den Ver- such einer Definition finden: Hier heißt es, dass die als ‚lernbehindert‘ geltenden Schüler in Folge mangelhafter Entwicklung oder einer Schädigung des zentralen Nervensystems oder soziokultureller Ausgrenzung bei verminderten Intelligenz- leistungen hauptsächlich in ihren schulischen Leistungen soweit beeinträchtigt sind, dass die Aufnahme, Speicherung und Verarbeitung von Lerninhalten nicht in altersentsprechender Weise gelingt.40 Weiter wird bestätigt, dass die Entste- hungsursache der Lernbehinderung durch das Zusammenwirken sozialer Deter- minanten und biologischer Faktoren nicht eindeutig nachweisbar ist. Dies ist auch bei den verschiedenen Abgrenzungsversuchen unterschiedlicher Autoren, wie beispielsweise BLEIDICK, BACH, KLAUER und WEGENER, zu erkennen. So ist zu erkennen, dass alle Betrachtungsweisen den soziokulturellen bzw. den sozioökonomischen Aspekt in ihrer Erklärung berücksichtigen.

Laut BACH ist die Lernbehinderung nicht ausschließlich am Schüler selbst auszu- machen. Auch das Verhältnis zwischen Schüler und Lehrer und teilweise auch das Verhältnis zwischen Mitschülern innerhalb einer Gruppe sind hier zu berücksichti- gen.41

Der Begriff Lernbehinderung kann in keiner Wissenschaft, weder in der Pädago- gik, noch der Psychologie, Soziologie oder der Psychiatrie , klar umschrieben werden. Eine exakte Definition des Begriffes gestaltet sich schwierig, da hier nicht, wie in anderen Arten der Behinderung/Beeinträchtigung, klar umrissene Sympto- me vorhanden sind. Die Lernschwierigkeiten und Lerneinschränkungen können sich auf Grund von verschiedenen Bedingungskonstellationen unterscheiden.

Die Folge ist, dass ein Schüler beispielsweise nach der einen Betrachtungsweise in die Kategorie lernbehindert fallen kann, aber die Aspekte einer anderen Perspektive nicht auf ihn zutreffen.

Auf Grund dieser Tatsache wird der Begriff der Lernbehinderung in der vorliegenden Arbeit als „Arbeitskonzept, das sich in den letzten Jahren im Erziehungsbereich zunehmend durchgesetzt und in den gegenwärtigen Schulstimmungen all gemein Anerkennung gefunden hat“ , angenommen.42

Zusammenfassend kann gesagt werden, dass eine Lernbehinderung nicht aus- schließlich über den betroffenen Schüler selbst definiert werden kann, sondern dass der Einfluss seines sozialen Umfeldes, welches primär aus dem häuslich- familiären Umfeld und danach aus dem institutionellen Umfeld besteht, zu berück- sichtigen ist.

[...]


3 Vgl. EIKEL, Angelika 2007, S. 12

4 Arbeitskreis Partizipation im Landkreis Mayen-Koblenz, 2008, S. 2

5 Vgl. Ebd.

6 Vgl. Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe - AGJ, 2008

7 KORCZAK/GOLDSZMIT, 1878

8 Vgl. OECHSLI, an der Pro Juventute-Tagung ‚Kinder reden mit‘ vom 17. Juni 2000

9 VGL. Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe - AGJ, 2008

10 Hötzel, Oktober 1998 zit. nach http://net-part.rlp.de/information/rechtliche-grundlagen/

11 SGB VIII §8 Abs. 1

12 Vgl. BMFSFJ 2009, S.72

13 Vgl. Reinders 2005a, 2005b - Längsschnittstudie zum sozialen Engagement Jugendlicher

14 BMFSFJ 2009, S. 72 f

15 Vgl. MBWJK 2010, S. 235

16 Vgl. BRUNER, WINKLHOFER, ZINSER, 1999 S. 8

17 Vgl. EIKEL 2007, S. 32

18 Vgl. Ebd. S. 32

19 Vgl. Ebd. S. 33

20 MBWJK, ORS 2007, S. 19

21 Vgl. EIKEL 2007, S. 33

22 Ebd. S. 33

23 Ebd. S. 34

24 Schulentwicklungsprogramm der Bund-Länder-Kommission (BLK) für Bildungsplanung und Forschungsförderung

25 Vgl. Ebd. S. 35

26 Vgl. FRANK, SLIWKA: Service Learning und Partizipation in Eikel, de Haan (2007): Partizipation in der Schule S. 42f.

27 Deliberation, die: Substantiv, feminin; Beratschlagung, Überlegung.

28 Vgl. EIKEL 2007, S. 36

29 Vgl. Ebd.

30 Vgl. Ebd.

31 Vgl. HAEBERLIN, BLESS, MOSER & KLAGHOFER 2003, S. 21

32 Ebd. S.21

33 Ebd. S. 21

34 Vgl. CFT 20, WEIß,, 1998

35 Vgl. MAND in EBERWEIN & KNAUER 2003, S. 22

36 Vgl. BEDNORZ & SCHUSTER 2002, Kapitel 12

37 HAEBERLIN, BLESS, MOSER & KLAGHOFER 2003, S. 21

38 Vgl. Deutsches Institut für Medizinische Dokumentation und Information, 2011

39 Vgl. HAEBERLIN, BLESS, MOSER & KLAGHOFER 2003, S. 21

40 Vgl. DEUTSCHER BILDUNGSRAT 1973, S. 57

41 Vgl. BACH, 1977

42 Siehe Kanter in HAEBERLIN, BLESS, MOSER & KLAGHOFER 2003, S. 22

Ende der Leseprobe aus 141 Seiten

Details

Titel
Schülerpartizipation bloß ein Alibi?
Untertitel
Möglichkeiten, Grenzen und (Aus-)Wirkungen am Beispiel ausgewählter Schülerparlamente an Schulen mit dem Förderschwerpunkt Lernen in Rheinland-Pfalz
Hochschule
Universität Koblenz-Landau
Autor
Jahr
2012
Seiten
141
Katalognummer
V194811
ISBN (eBook)
9783656203223
ISBN (Buch)
9783656204176
Dateigröße
1845 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Sozialpädagogik, Demokratiepädagogik, Demokratie, Partizipation, Schülerpartizipation, Förderschwerpunkt Lernen
Arbeit zitieren
Andreas Häfner (Autor:in), 2012, Schülerpartizipation bloß ein Alibi?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/194811

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